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Leipziger Insolvenzrechtstag und Leipziger

Anspruchsvolle Impulse und viel Raum zum Reflektieren

Leipzig. Am 24.02.2020 (Rosenmontag) fand im Leipziger Kubus des Umweltforschungszentrums Leipzig-Halle der 21. Leipziger Insolvenzrechtstag (LIT) statt, gefolgt am 25.02.2020 vom 5. Leipziger Insolvenzsteuerrechtstag (LIST). Insgesamt 260 Teilnehmer folgten dem Ruf, sich aktiv mit den Entwicklungen im Gesellschafts-, Insolvenz- und Steuerrecht auseinanderzusetzen. Im Fokus von Vorträgen und Workshops standen beim LIT die Freigabe nach § 35 Abs. 2 InsO, ein Update zu § 64 GmbHG sowie das Vergütungssystem und das Restschuldbefreiungs-/Verbraucherinsolvenzrecht. Der LIST behandelte die Besteuerung von Personengesellschaften bzw. Organschaften in der Insolvenz und den Einfluss der Restrukturierungsrichtlinie auf das Sanierungssteuerrecht.

Text: Rechtsanwalt Dr. Frank Thomas Zimmer

Die Begrüßung der 260 Teilnehmer erfolgte am ersten Veranstaltungstag durch Prof. Dr. Christian Berger, am zweiten Tag durch Prof. Dr. Marc Desens, beide für das Ernst-Jaeger-Institut für Unternehmenssanierung und Insolvenzrecht der Universität Leipzig. Beide hoben mit Recht die Bedeutung der Veranstaltung und der ausgewählten Themen hervor. Insbesondere die Schnittstellen und Reibungspunkte von Insolvenz-, Gesellschafts- und Steuerrecht böten mehr als ausreichendes Potenzial für Auseinandersetzungen und Reformbedarf. Den drei Vorträgen des ersten Vormittags (LIT) folgten nach dem gemeinsamen Mittagessen drei parallele Workshops, die an die Vorträge des Vormittags anknüpften, wobei den Vortragsrednern jeweils weitere Mitdiskutanten zur Seite (oder gegenüber-) gestellt wurden. Gleichfalls parallel fand ein Forum zu den aktuellen Fragen des Verbraucher- und Restschuldbefreiungsrechts statt. Abschließend wurde den nun wiedervereinten Teilnehmern das Ergebnis der Einzelworkshops präsentiert. Der zweite Tag (LIST) war von zwei Einzelvorträgen und einer Paneldiskussion mit Impulsreferaten geprägt.

RiBGH Dr. Heinrich Schoppmeyer (IX. ZS) als erster Vortragsredner befasste sich mit den aktuellen Entwicklungen zur »Freigabe« nach § 35 Abs. 2 InsO. In einem ersten Punkt der Einführung hob Schoppmeyer hervor, dass die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehöre (BGH, IX ZR 43/12) und der Insolvenzverwalter keinen Einfluss auf die Erwerbstätigkeit des Schuldners habe, erst recht nicht i. S. e. Weisungsrechts; solche Fragen beträfen einzig die Frage von Restschuldbefreiung und Versagungsgründen. Zweitens wurde daran

LIT- und LIST-Gastgeber Prof. Dr. Christian Berger

erinnert, dass durch die Einbeziehung des Neuerwerbs mit der Einführung der InsO ein Paradigmenwechsel stattgefunden habe; im Vergleich zur KO habe sich die Definition des Massebegriffs von der Eröffnung des Verfahrens auf die Beendigung des Verfahrens verschoben. Ohne eine »Freigabe« des Neuerwerbs, resultierend aus einer selbstständigen Tätigkeit des Schuldners, erstrecke sich – drittens – der Massebegriff vollständig auf die Einnahmen und nicht nur auf einen (vom Schuldner selbst ermittelten) Gewinn (BGH, IX ZB 388/02). Ohne »Freigabe« müsse die Selbstständigkeit ferner im Interesse der Insolvenzgläubiger erfolgen, ein Pfändungsschutz des Schuldners beschränke sich auf den Unterhaltsbedarf (BGH, IX ZB 388/02). Diese Einführung anhand älterer Rechtsprechung war vor dem Hintergrund erforderlich, da es – wie der Referent im Fazit auch hervorhob – noch keine haftungsrechtliche Rechtsprechung zur Frage des Ob und Wann der »Freigabe« gibt. Verneint wurde jedenfalls die Frage, ob der Insolvenzverwalter seine Freigabeerklärung anfechten könne (BGH, IX ZA 19/17); solches könne nur das Insolvenzgericht auf Antrag der Gläubigerversammlung feststellen (§ 35 Abs. 2 Satz 3 InsO), und dann nur mit Wirkung ex nunc (BSG, B 6 KA 45/13 R).

Der systematisch gegliederte Vortrag kam im Übrigen häufig zurück auf die Entscheidung des BGH vom 21.02.2019 (IX ZR 246/17). Von der »Freigabe« betroffen seien alle der selbstständigen Tätigkeit gewidmeten Vermögensgegenstände und Vertragsverhältnisse. Diese etwas unklare Vorgabe bereite in der Praxis durchaus Probleme, da sie sich kaum anhand objektiver Umstände rechtssicher festlegen lasse; am besten seien ausdrückliche Erklärungen des Insolvenzverwalters. Umgekehrt sollen der Selbstständigkeit gewidmete Vermögensgegenstände nach Auffassung Schoppmeyers von der Freigabeerklärung ausgenommen werden können. Dies scheint jedoch etwas zweifelhaft, da die Freigabeerklärung nicht teilbar in massegünstige und massenachteilige Folgen ist (BGH, a. a. O., Rz. 23). Neben weiteren Voraussetzungen und Wirkungen der Freigabe gem. älterer Rechtsprechung wurde die Frage der Rückwirkung thematisiert. Nach BGH komme eine solche nicht in Betracht; ob eine Rückwirkung durch ergänzende Einzelfreigabe erzielt werden könne, müsse im Einzelfall entschieden werden (BGH, a. a. O., Rz. 23). Bei Honorarforderungen müsse zudem beantwortet werden, wann sie entstehen; richten sich z. B. Ansprüche eines Arztes gegen eine Kassenärztliche Verrechnungsstelle, gelte Sozialrecht (BGH, a. a. O., Rz. 35 ff.). Die zweite zentrale Entscheidung aus dem letzten Jahr ist datiert auf den 06.06.2019 (IX ZR 272/17). Hier kam der BGH unter ausdrücklicher Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung zu dem Ergebnis, dass eine vorinsolvenzliche Abtretung von Forderungen nicht durch eine »Freigabe« i. S. d. § 35 Abs. 2 InsO wieder auflebt. Ungeklärt sei indes, wie sich die spätere Beendigung des Insolvenzverfahrens auswirke, ob die Abtretung dann wieder greife.

Von der Praxis oft übersehen und nicht mit Rechtsprechung unterlegt

In Ergänzung zu Schoppmeyer folgte im Workshop zur »Freigabe« nach § 35 Abs. 2 InsO ein Eingangsstatement durch RA Dr. Matthias Hofmann (Pohlmann Hofmann Insolvenzverwalter Rechtsanwälte Partnerschaft). Der Referent hob hervor, dass eine ergänzende Einzelfreigabe von Vermögensgegenständen neben der »Freigabe« nach § 35 Abs. 2 InsO mit dem Zweck einer Rückwirkung einer Entlassung aus der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis in der Praxis schwierig sei, da die dogmatische Herleitung unklar sei. In diesem Zusammenhang erinnerte Hofmann daran, dass die Negativerklärung nach § 35 Abs. 2 InsO nur künftiges Vermögen aus selbstständiger Tätigkeit als Neuerwerb erfasse. Hieraus müsse folgern – in der Praxis oft übersehen oder anders gehandhabt, jedenfalls noch nicht mit Rechtsprechung unterlegt –, dass im Zeitpunkt der »Freigabe« vorhandene Vermögenswerte weiterhin Massebestandteil bleiben (z. B. Betriebs- und Geschäftsausstattung, soweit nicht durch § 811 ZPO geschützt). Will der Insolvenzverwalter auch diese Gegenstände aus dem Massebeschlag lösen, bedürfe es einer Einzelfreigabe, die jedoch auch von einer Zahlung des

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INDat Report 02_2020 RiBGH Dr. Heinrich Schoppmeyer

Schuldners aus seinem insolvenzfreien Vermögen als Gegenleistung abhängig gemacht werden könne. Eine unentgeltliche Lösung aus dem Massebeschlag, quasi als »Mitgift« der Masse für die weitere Selbstständigkeit des Schuldners, komme jedoch in Betracht, wenn die Einstellung des Geschäftsbetriebs zu einer Belastung mit Masseverbindlichkeiten führen würde und gerade durch die »Freigabe« vermieden werden könnte; der Wert der Gegenstände müsse mithin potenziellen Abwicklungskosten gegenübergestellt werden.

Ganz entschieden bestehe jedoch entgegen der Rechtsprechung ein Bedarf für eine generelle Rückwirkung jedenfalls für überschaubare Zeiträume. Hier müsse die Dauer der Informationsgewinnung ebenso berücksichtigt werden wie steuerliche Auswirkungen. Schließlich kritisierte Hofmann die o. g. Rechtsprechungsänderung zur Berücksichtigung vorinsolvenzlicher Abtretungen, die im Widerspruch zur Dogmatik und Ratio des § 91 InsO stehe und (weiterhin) keine Lösung für die Zeiträume nach Beendigung des Verfahrens anbiete. Abschließend problematisierte Hofmann die fehlende Freigabemöglichkeit in der Eigenverwaltung (BGH, IX ZR 177/15), die sich jedoch nur auf Einzelfreigabe bezog. In Bezug auf eine »Freigabe« nach § 35 Abs. 2 InsO könnte der Ausschluss des Anwendungsbereichs generell als nachteilig i. S. d. § 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO angesehen werden. In der Diskussion wurden weitere praktische Fälle erörtert, um hervorzuheben, dass das Konzept um die Wirkung einer »Freigabe« noch nicht abgeschlossen sein kann. Ferner wurde die Frage aufgeworfen, ob § 35 Abs. 2 InsO auch bei Personengesellschaften in Betracht kommen könne.

Als zweiter Vormittagsreferent des ersten Tages folgte RiBGH Volker Sander (II. ZS) mit der Thematik Geschäftsführerzahlungen – Update zu § 64 GmbHG, im späteren Workshop verstärkt durch RA Thomas Mulansky (Mulansky und Kollegen Rechtsanwälte GmbH). Auch Sander gliederte seinen Vortrag systematisch und ordnete aktuelle Entscheidungen den einzelnen Gliederungsüberschriften zu. Hinsichtlich der Zahlungsunfähigkeit wurde an die Vermutungswirkung bei Zahlungseinstellung auf Basis älterer Entscheidungen erinnert, ergänzt um zwei Entscheidungen aus dem Vorjahr, ausweislich derer aber keine übertriebenen Anforderungen an den Geschäftsführer gestellt werden dürften (BGH v. 21.05.2019, II ZR 337/17; BGH v. 08.10.2019, II ZR 170/18). Bei einem Nachweis der Zahlungsunfähigkeit durch Liquiditätsbilanz genüge die schlüssige Behauptung der Fälligkeit einer Verbindlichkeit (BGH v. 21.05.2019, II ZR 337/17). Bei Einwänden gegen die Richtigkeit der Buchführung obliege dem Geschäftsführer die Beweislast (BGH v. 19.12.2017, II ZR 88/16).

Hinsichtlich der Überschuldung beschränkte sich der Referent auf die Regelungen de lege lata. Aus der neueren Rechtsprechung wurde die Darlegungs- und Beweislast des Geschäftsführers für eine positive Fortbestehensprognose hervorgehoben (BGH v. 24.09.2019, II ZR 248/17). Diese Entscheidung befasse sich auch mit zahlreichen anderen Fragen. Bei der von § 64 Satz 1 GmbHG sanktionierten Zahlung werde von Geschäftsführern z. B. oftmals vorgetragen, die Zahlung sei ohne Einverständnis des Geschäftsführers erfolgt; auf ein solches Einverständnis komme es jedoch nicht an. Ferner könne der Geschäftsführer einen substanziierten Vortrag des Insolvenzverwalters nicht mit Nichtwissen bestreiten. Im Übrigen bestehe bei Anzeichen einer Krisensituation stets eine Prüfungspflicht des Geschäftsführers. Der Geschäftsführer könne

Professor Ulrich Keller RiBGH Volker Sander

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sich auch nicht auf eine subjektive Unvermeidbarkeit der Masseschmälerung berufen, weil er sich innerlich bereits von seinen Aufgaben gelöst habe oder er sich nur als verlängerter Arm eines Beirats sehe. Abschließend erinnerte Sander hinsichtlich der Verjährung an die Anspruchsentstehung mit Zahlung einschließlich der Individualisierungsprobleme im gerichtlichen Mahnverfahren (BGH v. 08.05.2018, II ZR 314/16).

Praxis wünscht sich intensivere Abstimmung der BGH-Senate

Im Workshop erfolgte eine Vertiefung der angesprochenen Punkte unter Berücksichtigung der praktischen Anwendungsprobleme und einer Ansprache offener Fragen. Insbesondere erfolgte ein »Abgleich« der Entscheidungen des II. Zivilsenats mit der Rechtsprechung des IX. Zivilsenats des BGH; hier wünschten sich die Teilnehmer offenbar eine intensivere Abstimmung der Senate, um eine rechtssichere Beratung von Mandanten zu ermöglichen. In der Tat gibt ein Geschäftsführer ja kein Geld für die Antwort aus, bei dem einen Senat könne er Glück haben, beim anderen hafte er bis zur Privatinsolvenz. Da sich hier Insolvenzrechtler und Gesellschaftsrechtler trafen, ging den einen allerdings alles zu weit, den anderen noch nicht weit genug, was ein Indiz für die Notwendigkeit einer Harmonisierung von Gesellschafts- und Insolvenzrecht sein könnte. Am Ende stand die Frage im Raum, inwieweit auch Berater haften können.

Die offenbar ebenso akademisch wie praktisch diffizile Frage, wohin das System der Vergütung im Insolvenzverfahren steuere, wurde alsdann von Professor Ulrich Keller (Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin) beleuchtet. Der Vortrag war zweigeteilt in die Fragen, wohin die aktuelle Rechtsprechung wohl streben mag und wo ein konkreter und dringender Reformbedarf bestehe. Im ersten Teil wurde die Rechtsprechung des vergangenen Jahres ausführlich dargestellt, fachkundig analysiert und ins Systemgefüge eingeordnet. Im zweiten Teil standen die Fragen im Vordergrund, was genau ein Normalverfahren sei oder sein könne, wie die Einzeltatbestände des Vergütungsrechts zueinander stehen oder stehen sollten und wie das Zuschlagswesen ausgestaltet ist oder werden sollte. Der dritte Workshop am Nachmittag knüpfte an die Darstellung von Keller zur Fahrtrichtung des Vergütungsrechts an. Eine kritische Einführung aus Sicht eines Insolvenzverwalters erfolgte durch RA Oliver Vahl (hww wienberg wilhelm). Für ein Statement aus der Perspektive eines Insolvenzgerichts stand Rechtspflegerin Yvonne Heine (AG Leipzig) zur Verfügung. Vahl wies zunächst auf zahlreiche Probleme hin, die weniger aus dem materiellen Vergütungsrecht resultieren, als eher die formalen Anforderungen betreffen. So würden sich Vergütungsbeschlüsse in Umfang und Qualität oftmals derart unterscheiden, dass im Rückschluss ungeklärt sei, was Insolvenzgerichte hier überhaupt dürften und müssten bzw. welchen Anforderungen die Vergütungsanträge dann gerecht werden müssten. Ferner ließen sich Rechtspfleger rückwirkend für ältere Verfahren teils neue Anforderungen einfallen, z. B. Zeiterfassungen oder Verfahrenstagebücher, sodass die Frage im Raum stehe, welche Denklogik oder Dogmatik überhaupt noch existiere. Im Wesentlichen richtete sich die Kritik also weniger gegen die Rechtsprechung des BGH, der sich ebenfalls oft genug damit auseinandersetzen muss, wie die Insolvenzgerichte (und Landgerichte) mit dem Vergütungsantrag umgegangen sind. Möglicherweise sind Fortbildungen für Rechtspfleger in der Tat zuvörderst auf Reduzierung geltend gemachter Vergütungen fokussiert und vernachlässigen das Verfahrensrecht und die konkrete Rechtsanwendung. Materiell-rechtlich stand bei der Kritik die sog. Gesamtwürdigung im Fokus. Heine wiederum stellte in den Vordergrund, dass Vergütungsanträge gelegentlich nicht mit dem bisherigen Berichtswesen im Einklang stünden, dass bei Zuschlägen einfach auf Faustregeltabellen rekurriert werde, ohne auf den Verfahrensbezug einzugehen, dass der Einsatz von Hilfskräften entgegen § 8 Abs. 2 InsVV nicht aufgeführt werde etc. Die Diskussion mit den Teilnehmern fokussierte sich – abgesehen von einem inhaltlich nicht ganz nachvollziehbaren Exkurs in die Berechnungsgrundlage des vorläufigen Verwalters aufgrund eines Fehlverständnisses der sog. Abänderungsbefugnis – darauf, dass die Insolvenzgerichte einfach zu unterschiedlich arbeiteten; was für den einen Rechtspfleger ein zwingend notwendiger Sachvortrag sei, sei für den anderen Rechtspfleger ein überflüssiger Gesinnungsaufsatz. Hinsichtlich der Frage, ob bei einer Reform des Vergütungsrechts eine konkretere Ausgestaltung von Normalverfahren und Zuschlägen zu befürworten sei, ergab sich ein eher indifferentes Meinungsbild der Teilnehmer.

INDat Report 02_2020 RA Dr. Matthias Hofmann Yvonne Heine Sylvia Wipperfürth

Das parallel zu den Workshops angesiedelte Forum Verbraucher- und Restschuldbefreiungsrecht wurde geleitet von Sylvia Wipperfürth (SIIW Sachverständigeninstitut für Insolvenzund Wirtschaftsrecht). Auch hier erfolgte eine systematische Darstellung, bei der ältere Entscheidungen als Basis erwähnt wurden, um dann die aktuelle Rechtsprechung der letzten ein bis zwei Jahre einzusortieren und zu würdigen. Ob das Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht oder als Prozessgericht in einem Rechtsstreit entscheidet, hänge davon ab, ob die Auseinandersetzung zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner um die Massezugehörigkeit als solche geführt wird – dann gehöre der Rechtsstreit vor das Prozessgericht – oder ob über die Zulässigkeit der Vollstreckung (einschließlich der Berechnung des pfändbaren Betrags) gestritten wird – dann entscheide das

IX ZB 56/18), Kaufpreisraten (BGH v. 12.09.2019, IX ZB 21/19) und Rentenleistungen (LG Hannover v. 19.03.2019, 20 O 277/16), wobei Rückzahlungsansprüche aus Mietkautionen gerade keine Einkünfte darstellen (BGH v. 21.02.2019, IX ZB 7/17). Zu den komplexen Problemen von P-Konten wurden ebenfalls einige Entscheidungen präsentiert. Die »Freigabe« nach § 35 Abs. 2 InsO sowie Einzelfreigaben wurden auch hier umfassend thematisiert, ebenso auf den Teilnehmerkreis bezogene Entwicklungen im Insolvenzanfechtungs- und -steuerrecht. Umfangreich dargestellt wurde das häufige Ansinnen vorzeitiger Restschuldbefreiung bis hin zur neuesten Entscheidung des BGH vom 19.09.2019 (IX ZB 23/19), deren praktische Anwendung im Vordergrund stand, und zu den vorgeschlagenen Änderungen des RefE eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens nebst voraussichtlicher und recht komplexer Übergangsregelungen. Auch für das gegenwärtige Recht wurde abschließend auf nach § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen eingegangen (BGH v. 19.12.2019, IX ZB 53/18).

Abgerundet wurde der erste Veranstaltungstag durch einen gemeinsamen Abend im Restaurant Imperii, nur wörtlich dem Ort der Amtsgewalt. Dem Bacchus folgte am nächsten Tag der Fiskus.

Besteuerungen in der Insolvenz und Auswirkungen der EU-RL

RA Thomas Mulansky (li.) und RiBGH Volker Sander

Insolvenzgericht als Vollstreckungsgericht (BGH v. 27.09.2018, IX ZA 4/18). Auch ein umfangreicher Fall zur praxisrelevanten Zusammenrechnung mehrerer Einkünfte wurde anhand neuerer Rechtsprechung (VG Berlin v. 23.05.2019, 5 K 571/17) erörtert. Stets relevant und während der Verfahrensdauer einem gelegentlichen Wandel unterzogen sei die Berücksichtigung unterhaltsberechtigter Personen. Diesbezüglich wurde auf die Frage eigener Einkünfte von Kindern eingegangen (BGH v. 19.12.2019, IX ZB 83/18), ebenso auf die Bedeutung von Naturalleistungen (BGH v. 19.04.2018, IX ZB 27/17). Neuere Rechtsprechung existiert für Sonderfälle von Einkünften, wie z. B. Einkünfte aus Gewinnausschüttungen als Kommanditist (BGH v. 19.09.2019, IX ZB 2/18), Kaufpreisrentenansprüche (BGH v. 12.09.2019, Der Begrüßung der etwa 140 Teilnehmer durch Desens am zweiten Tag (LIST) schloss sich ein Vortrag von Prof. Dr. André Meyer (Universität Bayreuth) zur Besteuerung von Personengesellschaften in der Insolvenz an. Ausgangspunkt der Überlegungen war eine rechtskräftige Entscheidung des FG Düsseldorf vom 17.05.2018 (15 K 1458/17 E) zur Gewinnbesteuerung. Der Kläger war in diesem Fall Kommanditist und hatte seine Einlage vollständig erbracht. In der Folgezeit wurden ihm erhebliche Verluste zugewiesen. Nach der Insolvenz der Kommanditgesellschaft entstanden aufgrund von Immobilienveräußerungen erhebliche Gewinne auf der Gesellschaftsebene. Das Finanzamt zog den Kläger zur Besteuerung auf Gesellschafterebene heran, da sich auch nach Verrechnung mit gesondert festgestellten Verlusten ein positiver Saldo ergab. In einem Exkurs wurde die Doppelinsolvenz von Gesellschaft und Gesellschafter betrachtet. Hier führe die dargestellte Rechtslage dazu, dass die Steuerlast im Gesellschaf

Prof. Dr. André Meyer RA/StB Dr. Johann Wagner

terinsolvenzverfahren Masseverbindlichkeit i. S. d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei. Dagegen gäbe es drei Minderansichten, die (1.) in der Doppelinsolvenz keine Mitunternehmerstellung mehr annähmen, (2.) Billigkeitsvorschriften der AO zum Schutz des Gesellschafters zu Anwendung bringen wollten oder (3.) eine gesellschaftsrechtliche Ausgleichspflicht bzw. ein insolvenzfestes Steuerentnahmerecht bei der Gesellschaft sähen, um also die Zahllast bei der Gesellschaft anzusiedeln.

LIST-Gastgeber Prof. Dr. Marc Desens

Alsdann wurden generell (mit oder ohne Doppelinsolvenz) die ständige Rechtsprechung und die Minderansichten dargestellt und analysiert. Zunächst hebe der BFH in ständiger Rechtsprechung hervor, dass es trotz Diskontinuität der Herrschaftsverhältnisse eine Kontinuität der Steuerrechtsverhältnisse gebe. Nur in Einzelfällen setze sich der BFH mit den Minderansichten auseinander, z. B. mit der Anwendung von Billigkeitsvorschriften (BFH v. 05.03.2008, X R 60/04). Solche Billigkeitsvorschriften lehnte auch der Referent ab, da diese für atypische Einzelfälle entwickelt wurden, während es bei der angesprochenen Problematik um eine fehlende Abstimmung zwischen Insolvenz- und Steuerrecht gehe. Außerdem sei der Lösungsansatz untauglich, da Gewinne dann in Gänze unversteuert blieben. Fast schon umgekehrt käme es bei Annahme eines insolvenzfesten Steuerentnahmerechts zu einem nicht vertretbaren Vorteil des Fiskus, wenn und weil die dann zahlungspflichtige Gesellschaft keine den Gesellschaftern zugewiesenen Verluste verrechnen könnte. Letztlich verwarf der Referent auch die These der fehlenden Mitunternehmerschaft bei Doppelinsolvenz. Im Ergebnis gebe es keine tauglichen Lösungsansätze de lege lata wider den BFH; die Situation sei jedoch gleichwohl inakzeptabel, da Grundwertungen der InsO durchbrochen würden. Aufgrund einer neueren Entscheidung des BFH vom 10.07.2019 (X R 31/16) sei indes nicht mit Änderungen der Rechtsprechung zu rechnen. In der Praxis müsse somit die Frage im Vordergrund stehen, inwieweit in der Gesellschafterinsolvenz eine Einzelfreigabe sinnvoll sei. Dies setzt nach Ansicht des Verfassers freilich voraus, dass sich bei nicht personenidentischen Insolvenzverwaltern auch der Gesellschafterverwalter intensiv mit der Vermögenslage der Gesellschaft befasst (»drohende« Aufdeckung stiller Reserven). Unabhängig von der Personenidentität – verstärkt aber bei Personenidentität – müsste eine Massebelastung in der Gesellschafterinsolvenz wegen unterlassener Freigabe auch im Lichte der §§ 60, 61 InsO gesehen werden. Zurück zum Referenten: Meyer forderte den Gesetzgeber auf, eine Lösung i. S. d. Gewinnbesteuerung der Gesellschaft zu suchen. Auch die anschließende Diskussion sah für den BFH gar keinen anderen Weg de lege lata, da der BFH dann (nur) aus dem Insolvenzrecht heraus das gesamte Konzept der Besteuerung von Personengesellschaften infrage stellen müsste, wofür jedoch außerhalb der Insolvenz kein Anlass bestehe. Mit der Besteuerung von Organschaften in der Insolvenz befasste sich alsdann RA/StB Dr. Johann Wagner (Gleiss Lutz). Die körperschaftsteuerliche Organschaft wurde am Ende des Vortrags nur gestreift, von aktueller Bedeutung sei lediglich ein anhängiges Revisionsverfahren (BFH, I R 29/19) zu der Frage, inwieweit eine insolvenzbedingte, vorzeitige Beendigung und Nichtdurchführung eines Gewinnabführungsvertrags schädlich für die Annahme einer körperschaft- und gewerbesteuerrechtlichen Organschaft in den Vorjahren ist. Im Übrigen stand die umsatzsteuerliche Organschaft im Vordergrund, hier wiederum das Urteil des BFH vom 15.12.2016 (V R 14/16). Zuvor habe sich die Diskussion um das Bestehen oder Nichtbestehen der Organschaft in der Insolvenz regelmäßig um das Tatbestandsmerkmal der organisatorischen Eingliederung gedreht, nun seien jedoch fast alle denkbaren Konstellationen abgehandelt. Denn nach Auffassung des BFH führe die Insolvenz von Organträger oder Organgesellschaft stets zur Beendigung der Organschaft. Noch nicht explizit entschieden seien lediglich folgende Fälle: Bestellung eines vorläufigen Verwalters nur beim Organträger oder Bestellung eines vorläufigen Sachwalters bei Organträger oder Organgesellschaft.

INDat Report 02_2020 Prof. Dr. Marcel Krumm

Da die Rechtslage insoweit relativ eindeutig ist, befasste sich der Referent maßgeblich mit Kritik an diesem System. So stellte er anhand eines Praxisfalls dar, dass die automatische Beendigung der Organschaft tendenziell krisenverschärfend wirke. Dieser Fall baute allerdings darauf auf, dass Leistungsempfänger im vormaligen Organkreis bei Fortführung nach Insolvenz keinen Vorsteuerabzug aus Eingangsrechnungen geltend machen könnten, weil sie ohnehin aufgrund Branche (Bank) nicht vorsteuerabzugsberechtigt sind; sicherlich ein Spezialfall. Der Referent wies jedoch darauf hin, dass die Trennung der Vermögensmassen von Organträger und Organgesellschaft zivil

insolventer Rechtsträger entgegenstehe. Als zweite These sei fragwürdig, warum die Umsatzsteuer aus dem Organkreis beim Organträger keine Masseverbindlichkeit sein solle. Drittens blieben die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auch in der Insolvenz unverändert, sodass viertens die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft nicht mit Anordnung der Eigenverwaltung bei der Organgesellschaft entfallen könne. Der BFH habe sich in der Besprechungsentscheidung nicht intensiv genug mit solchen Argumenten befasst, obgleich die Vorinstanz durchaus diese Kritikpunkte angesprochen habe. Abschließend stellte Wagner die Grundkonstellationen der Organschaft dar. Rechtsprechung des BFH wurde ergänzt um die Anweisungen im Umsatzsteueranwendungserlass bis hin zur Berichtigung nach § 17 UStG. Ein sehr informativer Vortrag, allein ein Anlass für die Thematik zum gegenwärtigen Zeitpunkt fehlte, sodass sich auch die anschließende Diskussion in Grenzen hielt.

Finanzamt als Gläubiger im Restrukturierungsplan

RA/StB Dr. Günter Kahlert

rechtlich unabhängig von der Insolvenz bestehe, mithin kein Insolvenzspezifikum darstelle. Folglich könne auch die (zivilrechtliche) Zusammenfassung in einem Organkreis eigentlich nicht vom Insolvenzrecht beeinflusst werden. Ferner sei nur schwer nachzuvollziehen, warum die Organschaft als unionsrechtliches Institut von der Ausgestaltung des nationalen Insolvenzrechts abhängen solle. Daraus folge als erste These, dass der insolvenzrechtliche Einzelverfahrensgrundsatz jedenfalls nicht zwingend einer umsatzsteuerlichen Zusammenfassung mehrerer Der Einfluss der EU-Restrukturierungsrichtlinie auf das Sanierungssteuerrecht mit Impulsreferaten von Prof. Dr. Stephan Madaus (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg), Prof. Dr. Marcel Krumm (Westfälische Wilhelms-Universität Münster und RiFG Münster) und RA/StB Dr. Günter Kahlert (Flick Gocke Schaumburg) nebst anschließender Diskussion, moderiert von Mitgastgeber Desens, bildete den thematischen Abschluss des LIST und richtete sich nun mit ebenso großen wie vagen Schritten in die Zukunft. Zunächst stellte Madaus den präventiven Restrukturierungsrahmen anhand der Richtlinie allgemein dar. Dem Steuerbezug folgend wurde darauf hingewiesen, dass der Restrukturierungsplan nicht auf Finanzgläubiger beschränkt sei, mithin auch das Finanzamt als Gläubiger treffen könne. Möglich seien bei den vorausgehenden Restrukturierungsverhandlungen auch Vollstreckungseinstellungen, nicht aber eine Suspendierung laufender Steuerpflichten. Als Passiva im Plan könnten nur bei Plan

vorlage bereits festgesetzte Steuerverbindlichkeiten berücksichtigt werden, insoweit gebe es jedoch kein Festsetzungsverfahren analog der InsO. Während der Planumsetzung entstehende Steuerverbindlichkeiten seien nicht plantauglich. Selbiges gelte für Steuerverbindlichkeiten aufgrund der Restrukturierung (Sanierungsgewinn, Vorsteuerberichtigung). Von besonderer Bedeutung in der Praxis sei daher das Timing der Aufdeckung stiller Reserven. Der Referent hob ferner die Stellung des Finanzamts bei Gruppenbildung und Schlechterstellungsverbot hervor und warf die Fragen auf, ob die Planwirkung im Hinblick auf spätere Aufrechnungsversuche einen echten Verzicht oder nur eine Durchsetzungssperre zur Folge habe, ob der im Plan berücksichtigte Steueranspruch zementiert werde oder – anzunehmen – materiell-rechtlich noch angreifbar bleibt und welche Anforderungen sich aus alledem an den Gesetzgeber richteten.

Prof. Dr. Stephan Madaus

Nach zielgerichteter Einstimmung der Teilnehmer durch Madaus stellte nun Krumm sehr strukturiert und noch pointierter dar, welche Regelungspflichten und -grenzen sich für den deutschen Gesetzgeber ergäben. Zunächst wurden die Steueransprüche als Gegenstand des Restrukturierungsverfahrens angesprochen, wobei der erhebliche Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hervorgehoben wurde, da die Befugnis zur sachlichen (Steuerarten) und zeitlichen Differenzierung (keine Zäsur analog InsO) zu definieren sei. Gerade dies stelle einen Paradigmenwechsel dar, der auch für die praktische Anwendung auf Sachbearbeiterebene transparent sein müsse; denn nun könne erstmals über Steuerforderungen verhandelt werden. Ergänzend wurde jedoch auf Erwägungsgrund 52 der Richtlinie verwiesen, der eine privilegierte Stellung von Steuergläubigern ermögliche; insoweit müsse über die Frage diskutiert werden, ob z. B. Umsatzsteuer als Treugut anzusehen ist und wie die Akzessorietät bei bestimmten Verbrauchssteuern ausgestaltet werden muss. Auf technischer Ebene scheide eine Regelung über Billigkeitsvorschriften aus, vielmehr bedürfe es einer klaren Gesetzgebung anhand des Maßstabs der bestmöglichen statt einer vollständigen Befriedigung. Besonders klärungsbedürftig seien die Fragen des Umgangs mit Bezifferungsungewissheiten, einer eventuellen Naturalobligation sowie Aufrechnungs- und Haftungsfragen. Alsdann wurde erörtert, welche Kodifizierung für Steueransprüche als Gegenstand der Aussetzung von Einzelvollstreckungsmaßnahmen erforderlich sei, da die AdV in der Praxis im Vordergrund stehe. Bei der Frage, welche Steuerarten erfasst sein sollen, hob Krumm hervor, dass das Steuersubstrat nicht dazu da sei, Zahlungen an andere Gläubiger zu finanzieren. Bei der Frage der Aussetzungswirkung wurde daran erinnert, dass steuerliche Erklärungs- und Mitwirkungspflichten ohnehin unberührt blieben. Für die Beratungspraxis bzw. die Anwendung z. B. des § 64 GmbHG von Bedeutung werde sicher gravierend sein, inwieweit eine Vollstreckungsaussetzung die Leistungspflicht des Geschäftsführers beträfe; der Referent plädierte für eine klare Regelung. In Bezug auf die Ertragsbesteuerung sah Krumm keinen zwingenden Regelungsbedarf im Hinblick auf die Bewertung stiller Reserven, ferner regele § 3 a EStG (Sanierungsgewinn) vieles, aber nicht alles.

Anschließend hob Kahlert hervor, dass sich Deutschland intensiver als andere Mitgliedstaaten um die Thematik kümmere und schon die Zusammensetzung des Panels zeige, wie breit die Themen- und Aufgabenstellung sei. Einen weiten Raum nahm die (zwingende) Umsatz- und Vorsteuerberichtigung ein, wobei die zentrale Frage laute, ob die Einleitung eines Restrukturierungsverfahrens schon das Tatbestandsmerkmal der Uneinbringlichkeit erfülle, was der Referent aufgrund der nur wahrscheinlichen Insolvenz verneinte; lediglich eine freiwillige Vorsteuerkorrektur durch den Schuldner wäre denkbar. Auch Kahlert hob hervor, dass sich ein Geschäftsführer nicht mehr vernünftig beraten lasse, wenn seine Haftung nicht hinreichend geregelt wird, denn schon gegenwärtig beseitige die Aussetzung der Vollziehung nicht die Mittelvorsorgepflicht des Geschäftsführers (BFH v. 29.08.2018, XI R 57/17). Der Vortrag wurde abgerundet durch weitere Praxisfälle mit dem Fokus Umsatzsteuer, aus denen sich die notwendige Regelungstiefe de lege ferenda herleite. Den drei Impulsreferaten schloss sich eine intensive Diskussion an.

Nicht nur auf den zweiten Tag bezogen verabschiedete Desens die Teilnehmer mit dem Fazit, dass sich nun andere Fragen als vor der Veranstaltung stellten, was Sinn und Zweck einer Tagung sei. Dem ist zuzustimmen, es war eine gut organisierte und informative Veranstaltung. «

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