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Folgeinsolvenz: Nur Ärgernis oder bald Regelfall? RiAG a. D. Guido Stephan Die Reform der Entschuldung natürlicher Personen – eine Reform für die Zukunft?

Die Reform der Entschuldung natürlicher Personen – eine Reform für die Zukunft?

von Guido Stephan, Richter am Amtsgericht a. D.

Er ist da, der »Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens«. Bereits am 07.11.2019, anlässlich des Deutschen Insolvenzverwalterkongresses, stellte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht in einer Presseerklärung die Leitlinien des Referentenentwurfs vor. Jetzt liegt der Referentenentwurf des BMJV schwarz auf weiß vor und muss sich der Diskussion und Kritik stellen. Aus diesem Grund ist der Gesetzesentwurf am 13.02.2020 den Verbänden zur Stellungnahme übersandt worden. Liest man nun die Begründung des Gesetzesentwurfs, wird man gleich zu Beginn darauf hingewiesen, dass dieser Entwurf – soweit er der Umsetzung der Richtlinie dient – ohne Alternative ist. Das Wort »alternativlos«, das im Jahr 2010 zum Unwort des Jahres gewählt wurde, suggeriert, »dass es bei einem Entscheidungsprozess von vornherein keine Alternativen und damit auch keine Notwendigkeit der Diskussion und Argumentation gebe«. Dies kann so nicht gemeint sein. Und auch in der Gesetzesbegründung wird im nächsten Absatz diese Behauptung der Alternativlosigkeit wieder relativiert, indem darauf hingewiesen wird, dass die Umsetzung der Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber in der Wahl der Form und der Mittel durchaus Freiräume belassen hat. Es darf daher diskutiert und kritisiert werden.

Regelungsgegenstand

Mit dem vorliegenden Referentenentwurf soll ein Teil der Richtlinie (EU) 2019/1023 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20.06.2019 über präventive Restrukturierungsrahmen, über Entschuldung und über Tätigkeitsverbote sowie über Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren in deutsches Recht umgesetzt werden. Es handelt sich um Normen zur Entschuldung in Teil III (Art. 20–24), die regeln, dass insolventen Unternehmern grundsätzlich nach drei Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung zu erteilen ist. Ein weiterer Gesetzgebungsauftrag beruht auf der Evaluation des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.07.2013. Nach dem Evaluationsbericht der Bundesregierung hat das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte sein gesetzgeberisches Ziel, mit einer Mindestbefriedigungsquote von 35 % eine Halbierung der Verfahrensdauer zu erreichen, deutlich verfehlt. Weniger als 2 % der Schuldner haben dieses Ziel erreicht. Nach den Erwartungen des Gesetzgebers sollten mindestens 15 % der Schuldner eine vorzeitige Restschuldbefreiung durch die Neuregelung erlangen.

Bei der Umsetzung der Richtlinie muss der deutsche Gesetzgeber die ihm vorgegebene Umsetzungsfrist beachten. Die für unternehmerisch tätige nat. Personen vorgeschriebenen Entschuldungsregeln müssen nach Art. 34 I, II der Restrukturierungsrichtlinie grundsätzlich bis zum 17.07.2021, spätestens bis zum 17.07.2022 in nationales Recht umgesetzt werden. Bei der Bewertung des Gesetzesvorhaben ist diese zeitliche Vorgabe stets im Blick zu haben.

Der vorliegende Referentenentwurf regelt in § 287 Abs. 2 InsO n. F. die Verkürzung der Abtretungsfrist auf drei Jahre und erweitert die Sperrfrist gem. § 287 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO nach Erteilung der Restschuldbefreiung von zehn auf 13 Jahre. In § 300 InsO wird die Möglichkeit der vorzeitigen Restschuldbefreiung bei Erfüllung einer Mindestquote gestrichen. Durch das Anfügen von Abs. 4 in § 301 soll Art. 22 RL (EU) Nr. 2019/1023 umgesetzt werden. Danach entfalten Berufsverbote, die aufgrund der Insolvenz des Schuldners ergangen sind, nach Rechtskraft der Restschuldbefreiung keine Wirkung. Die zukünftig in § 301 Abs. 5 InsO beabsichtigte Regelung setzt datenschutzrechtliche Vorgaben um. Die Fristen für die Speicherung der Daten über das Restschuldbefreiungsverfahren durch Auskunfteien werden auf ein Jahr verkürzt, um dem Schuldner oder der Schuldnerin nach Erteilung der Restschuldbefreiung einen wirtschaftlichen Neustart zu erleichtern. Eine umfangreiche Regelung haben die Übergangsfristen erfahren. Die neue Frist von drei Jahren soll gem. Art. 103 k EGInsO erst ab dem 17.07.2022 verbindlich sein. Für die Verfahren davor soll eine gestaffelte Abtretungsfrist gelten. Beginnend ab dem 17.12.2019 soll die Restschuldbefreiungsfrist bei den neu beantragten Verfahren pro abgelaufenem Monat um einen Monat kürzer sein, sodass sie ab Juli 2022 nur noch drei Jahre beträgt. Schließlich werden noch Anpassungen in der InsVV (§§ 1, 19) und bei den Formularen für das Verbraucherinsolvenzverfahren vorgenommen.

Die meisten der vorgenannten Regelungen finden in der Fachöffentlichkeit und bei den Verfahrensbeteiligten uneingeschränkte Zustimmung. Deswegen wird sich die nachfolgende Bewertung des Referentenentwurfs auf zwei Regelungsgegenstände beschränken: auf die Verkürzung der Abtretungsfrist auf drei Jahre und auf die Regelungen zu den Übergangsfristen.

Entwurfsbegründung – Abschied von einem veralteten Schuldnerbild

Der erfreulichste Teil des Referentenentwurfs sind die Ausführungen auf Seite 12 des Entwurfs zu den Alternativen, die die Richtlinie dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Restschuldbefreiungsrechts belässt. Hier zeigt sich ein verändertes Schuldnerbild. Sämtlichen umgesetzten und nicht umgesetzten Reformen des Verbraucherinsolvenzverfahrens – genannt Dauerbaustelle InsO – in den Jahren 2001 bis 2014 lag ein Schuldnerbild zugrunde, dass zwar aus der Entstehungsgeschichte des Restschuldbefreiungsverfahrens erklärbar war, aber nicht der Realität entsprach. Selbst die letzte »große Reform«, die am 01.07.2014 in Kraft getreten ist, beruhte auf dem sog. Anreizsystem. Die Verkürzung der Verfahrensdauer soll für den Schuldner ein positiver Anreiz sein, sich um eine Befriedigung der Gläubiger zu bemühen. Schon damals hätte man sich durch einen Blick in die vorhandenen Statistiken davon überzeugen können, dass das Bild von einem Schuldner in der Hängematte, der – wenn er wollte – mit Anstrengung zur Befriedigung seiner Schuldner etwas leisten könnte, in den allermeisten Fällen nicht der Realität entsprach. In Gesetzesbegründungen wurde darauf hingewiesen, dass sich der Schuldner im Entschuldungsverfahren die »Wohltat der Restschuldbefreiung« verdienen muss. In diesem Sinne erklärte die Justizministerin Brigitte Zypries in einer Rede auf dem Deutschen Insolvenzrechtstag 2005: »Dem Restschuldbefreiungsverfahren muss auch von der Laufzeit her gesehen noch ein gewisser Abschreckungseffekt zukommen.« Gemeint ist: Die Verfahrenslänge ist notwendig, um den Ausnahmecharakter eines Schuldenerlasses hervorzuheben und klarzumachen, dass eine Entschuldung nur unter engen Voraussetzungen gewährt werden kann. Es sollen keinesfalls falsche Anreize gesetzt werden, die einen schnellen Schuldenerlass versprechen. Der Schuldner muss büßen, um von seiner Schuld befreit zu werden. Dieses schlichte Schuldnerbild verschließt sich der Realität. Die Überschuldung privater Haushalte ist ein hochkomplexes und vielschichtiges Problem ist, dessen Ursachen eng mit gesellschaftlichen Zusammenhängen verwoben sind. Die Verbraucherinsolvenz allein kann die Folgen der Überschuldung privater Haushalte nicht lösen, vielmehr sind Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen vonnöten. Dem Insolvenzrecht kommt letztlich »nur« der Beitrag zu, ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten, welches die Interessen aller Beteiligten wahrt und in eine praktische Konkordanz bringt.

Dass die Verfasser des Referentenentwurfs diesem sehr lange im BMJV vorherrschenden Schuldnerbild abgesagt haben, lässt sich der Gesetzesbegründung auf Seite 12 entnehmen. Dort heißt es:

»Vor diesem Hintergrund ist von vornherein auch das ordnungspolitische Argument zu relativieren, wonach eine Verkürzung des Verfahrens mit der Gefahr einhergehe, dass Verbraucherinnen und Verbraucher zu einer ›sorgenbefreiten‹ oder gar missbräuchlichen Überschuldung verleitet werden, die zulasten der Gläubigerschaft und letztlich auch der Rechts- und Wirtschaftsmoral gehen muss. Entsprechende Argumente sind schon gegen die Einführung der Restschuldbefreiung in den 1990erJahren und im Zuge der späteren Verkürzungen der Restschuldbefreiungsfrist geltend gemacht worden, ohne dass eine systematische Inanspruchnahme des Restschuldbefreiungsverfahrens durch solche Schuldnerinnen oder Schuldner zu beklagen gewesen wäre, deren Überschuldung auf leichtfertiges oder gar missbräuchliches Verhalten zurückzuführen ist. Nach wie vor geht der überwiegende Teil der Überschuldung von Privatpersonen auf nicht vorhersehbare und schwer vermeidbare Ereignisse wie Scheidung, Krankheit, Arbeitslosigkeit oder -unfähigkeit zurück. Nur ein verhältnismäßig geringer Teil lässt sich überhaupt schwerpunktmäßig auf vermeidbares Verhalten zurückführen. Und selbst in diesem Bereich ist zu berücksichtigen, dass es sich oftmals um Fälle der »Armutsüberschuldung« handelt, bei denen die finanzielle Situation eng mit psychosozialen Notlagen verwoben ist, bei denen die Fähigkeiten zur finanziellen Planung und zur Bewerkstelligung finanzieller Ausnahmesituationen von vornherein eingeschränkt sind und bei denen folglich auch die Fähigkeit zu planvollem Finanzgebaren stark eingeschränkt ist.«

Auf der Grundlage dieses veränderten Schuldnerbilds im BMJV kann künftigen notwendigen Reformen mit Interesse und ohne Furcht entgegengesehen werden.

Der persönliche Anwendungsbereich des verkürzten Entschuldungsverfahrens

Die Verkürzung der Abtretungsfrist auf drei Jahre wurde nicht auf unternehmerische Personen beschränkt. Vielmehr sieht der Referentenentwurf vor, allen nat. Personen den Zugang zu dem verkürzten Verfahren zu eröffnen. Dies entspricht der in der rechtspolitischen Diskussion überwiegend vertretenen Auffassung und dem im deutschen Recht begründeten Konzept eines einheitlichen Verfahrens ohne Sonderregelungen für einen Kaufmannskonkurs. Sie verdient volle Zustimmung. Abzulehnen ist die vereinzelte Forderung nach einem zwischen unternehmerisch tätigen Personen und anderen nat. Personen unterschiedenen Anwendungsbereich. Frank Frind fordert dies, um für nat. Personen zum Zwecke der besseren Gläubigerbefriedigung eine auf fünf Jahre verlängerte Verfahrensdauer zu begründen. Dies ist abzulehnen und wird auch im Referentenentwurf nicht erwogen. Ein Regelungsmodell, das zwischen unternehmerisch tätigen Personen und sonstigen nat. Personen unterscheidet, provoziert nicht nur Umgehungsstrategien, sondern bringt auch praktische Schwierigkeiten und Regelungsprobleme mit sich.

Die Gläubiger – Verlierer der Gesetzesänderung

Die Entwurfsbegründung setzt sich auch offen mit der Feststellung auseinander, dass die Gläubiger die einzigen Verlierer der geplanten Gesetzesänderung sind. Durch die Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens von sechs auf drei Jahre entgehen ihnen die Befriedigungsbeiträge, die sie nach heutigem Recht in den Jahren vier bis sechs erwarten können. Dies ist auch der entscheidende Kritikpunkt, der von Gläubigerseite im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens gegen die Verfahrenskürzung erhoben wurde. Unter dem Gesichtspunkt, dass durch die Verfahrensverkürzung das zentrale Prinzip der unbeschränkten Vermögenshaftung relativiert wird und der Grundsatz »pacta sunt servanda« in seiner praktischen Wirksamkeit eingeschränkt wird, ist die Verkürzung daher kritisch zu sehen. Allerdings – so die Entwurfsbegründung – »wird der Bereich der Verbraucherinsolvenzen von masse- und einkommenslosen Verfahren dominiert, bei denen Insolvenzforderungen in der Regel uneinbringlich sind und selbst die Kosten des Verfahrens ungedeckt bleiben. Positive Befriedigungsbeiträge sind daher auch in der Spätphase des heutigen sechsjährigen Verfahrens eher die Ausnahme. Solche Ausnahmefälle sollten den Gesetzgeber nicht daran hindern, eine für die große Masse der Fälle angemessene Regelung zu treffen. Dies gilt umso mehr, als die grundlegende rechtspolitische Entscheidung zugunsten einer grundsätzlich dreijährigen Verfahrensdauer für den Bereich der unternehmerisch tätigen Personen, bei denen die Gläubigerinnen und Gläubiger in den weit überwiegenden Fällen mit signifikanten Befriedigungsquoten rechnen können, bereits auf der Ebene des europäischen Rechts getroffen worden ist. Es wäre widersprüchlich, wenn der nationale Gesetzgeber ausgerechnet in dem Segment auf einer längeren Dauer des Verfahrens beharren würde, in dem es nur in Ausnahmefällen zu positiven Befriedigungsbeiträgen kommt und in dem in der Regel noch nicht einmal die Verfahrenskosten gedeckt werden.« Dieser Gesetzesbegründung ist nichts hinzuzufügen.

Problematische Übergangsregelungen

Sehr unterschiedlich werden die umfangreichen Übergangsregelungen bewertet. Während z. B. die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein es begrüßt, dass der Gesetzgeber eine Regelung zur Übergangsfrist geschaffen hat, »die verhindert, dass viele Schuldner die Antragstellung bis 2022 hinausschieben«, prophezeien andere, wie z. B. der BAKinso, dass die Übergangsregelungen die Funktionsfähigkeit der Gerichte nicht nur überstrapazieren, sondern außer Kraft setzen werden.

Auf den ersten Blick erscheint das Verfahren mit der monatlichen Verkürzung der Abtretungsfrist als eine kluge Lösung, um Ungerechtigkeiten – so die Begründung des Entwurfs –, die durch einen abrupten Übergang zum neuen Recht drohen, zu vermeiden. Das Argument, eine gestufte Abtretungsfrist sei aus Gerechtigkeitsgründen notwendig, verliert sofort seine Überzeugungskraft, wenn man sich näher mit der Begründung des Entwurfs dazu befasst. Als Beispiel der Ungerechtigkeit wird angeführt, dass die Verfahrenslänge bei Antragstellungen rund um den Tag des Inkrafttretens davon abhinge, wann der Antrag konkret gestellt wurde. Jeder beratene Schuldner wird wohl wissen, zu welchem Zeitpunkt er den Insolvenzantrag stellen muss, um in das verkürzte Verfahren zu gelangen. Entscheidend für die Praxisferne der gestuften Abtretungsfrist ist – wie bereits der BAKinso in seiner Stellungnahme mit einem Beispiel für ein mittelgroßes Gericht nachvollziehbar belegt –, dass ein Insolvenzgericht innerhalb eines Monats nicht die üblichen 50 Restschuldbefreiungen erteilen muss, sondern zusätzliche weitere 1500 Restschuldbefreiungen für alle in dem Zeitraum vom 17.12.2019 bis zum 16.07.2022 beantragten Verfahren. Die Erteilung der Restschuldbefreiung erledigt sich – auch im elektronischen Zeitalter – nicht mit einem Knopfdruck. Vielmehr – so § 300 InsO n. F. – erfolgt die Erteilung der Restschuldbefreiung durch einen Beschluss, der nach Anhörung der Insolvenzgläubiger, des Insolvenzverwalters oder Treuhänders und des Schuldners ergeht. Daniel Blankenburg bestätigt diese Zahlen für das Insolvenzgericht Hannover. Danach fallen bei dem AG Hannover pro Jahr circa 1000 Verfahren an, bei denen es zu einer Eröffnung mit einem Restschuldbefreiungsantrag kommt. Durch die Staffelung werden zwischen Mitte Juli und Mitte August 2025 die Verfahren der vorhergehenden zweieinhalb Jahre enden. Dies bedeutet, dass innerhalb eines Monats bei einem Gericht etwa 2500 Restschuldbefreiungsverfahren abgewickelt werden müssen. Diese Abwicklung kann auch nicht über Monate hinaus-

gezogen werden, da die Rechtsfolgen gem. § 301 Abs. 4 und 5 InsO n. F. erst mit dem Eintritt der Rechtskraft der Erteilung der Restschuldbefreiung eintreten. Der Entwurf sieht dieses Problem, verweist jedoch darauf, dass bis zum 17.07.2025 ein hinreichender Zeitraum verbleibt, um zur Bewältigung des einmaligen Sonderaufwands die notwendigen organisatorischen und personellen Vorkehrungen zu treffen. Wie ein SEK-Restschuldbefreiung dieses Problem lösen sollte, entzieht sich jeglicher Vorstellungskraft. Nur wenn die im Gesetzgebungsverfahren anzuhörenden Landesjustizverwaltungen, die diese organisatorischen und personellen Vorkehrungen zu verantworten haben, Lösungen hierfür bereit haben, werden die vorgeschlagenen Übergangsregelungen das Gesetzgebungsverfahren überstehen.

Nach Auffassung der Entwurfsverfasser sind die Nachteile bei einem Antragsstau, der sich einstellen würde, wenn sich der Übergang zum neuen Recht abrupt vollzöge, weitaus gravierender als bei einem Entscheidungsstau, der durch die Übergangsregelung verursacht würde. Diese Bewertung ist nicht überzeugend. Bei einem zügigen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens könnte – so auch der Vorschlag des BAKinso – das Gesetz z. B. zum 01.01.2021 in Kraft treten. Mit einem eindeutigen Inkrafttretensdatum müssten Schuldner, die die ihnen günstigere Regelung in Anspruch nehmen wollen, die Antragstellung nur bis zum 01.01.2021 und nicht, wie die Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein meint, bis 2022 hinausschieben. Der Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ist überschaubar. Der geringere Antragsstau könnte im Rahmen des Eröffnungsverfahrens sukzessive abgebaut werden und würde auch die Gefahr vermindern, dass es bei Beendigung der Verfahren zu einer Häufung des Arbeitsanfalls an einem Stichtag kommen würde. Der Verzicht auf die sog. weiche stufenweise Halbierung der regulären Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens hätte überdies den Vorteil, dass das verkürzte Verfahren schon mit Inkrafttreten des Gesetzes zu einem erheblich früheren Zeitpunkt als dem 17.07.2022 in Kraft treten könnte. Die Bedenken, ob wegen der Überschreitung der in der EU-Richtlinie vorgesehenen regulären Umsetzungsfrist zum 17.07.2021 der Entwurf noch EU-konform ist, wären obsolet. Nach dem Entwurf wird wegen der weichen Übergangsregelung bereits ab dem 17.12.2019, d. h. deutlich vor einem möglichen Inkrafttreten des Verkürzungsgesetzes, die Länge des Restschuldbefreiungsverfahrens herabgesetzt. Ein Verzicht auf die weiche Übergangsregelung würde auch die Diskussion über die Frage beenden, ob die Regelung gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen könnte und somit unzulässig ist. Nach der Reform ist vor der Reform Der Referentenentwurf hat sich, indem er im Rahmen der Umsetzung der Richtlinie lediglich die Frist der Restschuldbefreiung angepasst hat, für eine Minimalumsetzung entschieden. Der Entwurf hat darüber hinaus den persönlichen Anwendungsbereich des dreijährigen Entschuldungsverfahrens auf alle nat. Personen erweitert. Diese Regelungen haben überwiegende Zustimmung erfahren. In den meisten Stellungnahmen wurde jedoch darauf hingewiesen, dass dies nur ein erster Schritt – aufgenötigt durch die Richtlinie – im Rahmen einer grundlegenden Revision des Privatinsolvenzrechts gewesen sein kann. Der Referentenentwurf ist nicht als verpasste Chance anzusehen. Eine gründliche und sorgfältige Reform des Privatinsolvenzrechts braucht ausreichend Zeit, die innerhalb der durch die BuP_AA_Anzeige_171x125mm_RZ.indd 1 20.02.2020 13:55:56

INDat Report 02_2020 EU-Richtlinie vorgegebenen Umsetzungsfrist und angesichts der zahlreichen aktuellen insolvenzrechtlichen Gesetzesvorhaben nicht vorhanden war.

Es fällt nicht leicht, von der dringenden Notwendigkeit einer Reform des Entschuldungsverfahrens zu sprechen. Nach den zahlreichen erfolgreichen und gescheiterten Reformen im Bereich des Privatinsolvenzrechts zwischen 2001 und 2014, für die der Ausdruck »Dauerbaustelle InsO« geprägt wurde, hatte man die Hoffnung, dass mit der 2014 in Kraft getretenen »großen« Reform des Verbraucherinsolvenzverfahrens gesetzgeberische Maßnahmen im Privatinsolvenzrecht in den Hintergrund treten. Doch das war eine Fehleinschätzung, denn immer häufiger begegnet man der Feststellung: Nach der Reform ist vor der Reform.

Das Entschuldungsverfahren oder besser das Insolvenzverfahren mit dem Ziel einer Restschuldbefreiung befindet sich in keinem guten Zustand. Die Zahl der Verbraucherinsolvenzverfahren sinkt seit 2010 kontinuierlich. Waren es 2010 noch 111.500 Verfahren, so ist die Zahl 2018 auf 71.400 Verfahren gesunken. Dies wäre dann ein erfreuliches Ergebnis, wenn in gleichem Umfang auch die Zahl der überschuldeten Haushalte zurückgegangen wäre. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Der Anteil der überschuldeten natürlichen Haushalte ist seit der Einführung der Restschuldbefreiung weiter gestiegen, zuletzt von 2,9 Millionen im Jahr 2003 auf 3,46 Millionen im Jahr 2018, das sind etwa 7 Millionen überschuldete Erwachsene in Deutschland. Der Rückgang der Insolvenzverfahren ist somit kein Indikator für den Rückgang der Überschuldung. Viele Überschuldete richten sich mithilfe des Pfändungsschutzkontos in ihre Situation ein. Dies ist aber nicht das Ziel des Insolvenzverfahrens, das überschuldeten Menschen einen Neustart ermöglichen soll, indem es sie in den regulären Wirtschaftskreislauf zurückführt. Diesen Menschen soll wieder eine langfristige eigene Lebensplanung, insbesondere auch im Hinblick auf ihre Altersvorsorge, eröffnet werden. Die Themen in Fachzeitschriften wie »Privatinsolvenz – ein Milliardengeschäft« oder »Wenn Politik zu wenig auf Sachverstand hört – Reform der Verbraucherentschuldung 2014 und in Zukunft« lassen die Alarmglocken läuten.

In welche Richtung soll sich ein reformiertes Verfahren bewegen?

Eine Reform der Restschuldbefreiung muss – so Stephan Madaus in dem NZI Editorial Heft 5/2020 – von der Erkenntnis ausgehen, dass die Entschuldung von Privatpersonen keine soziale Wohltat, sondern eine makroökonomische Notwendigkeit in unserem Wirtschaftssystem ist. Die Verfasser des Entwurfs haben in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck gebracht, dass sie sich vom vergangenen Schuldnerbild, in dem sich der Schuldner, auch wenn er kein pfändbares Einkommen hatte, die Restschuldbefreiung durch eine lange Verfahrensdauer verdienen musste und damit auch über Jahre das Justizsystem belastet, verabschiedet. Gebraucht wird ein einfacheres Verfahren und kein Verfahren, in dem sich nur Experten zurechtfinden. Notwendig ist ein kostengünstigeres Verfahren, das nicht nur die Justizhaushalte weniger belastet, sondern auch die Gläubiger wieder mehr einbezieht.

Bei einer Gesamtrevision des Privatrechts sollte man auch einmal rechtsvergleichend über die Grenzen schauen, wie andere Länder ähnliche Probleme regeln. Ein Blick nach Österreich zeigt, wie man den Aufwand eines Verfahrens reduzieren und für alle Beteiligten bessere Ergebnisse erzielen kann. Der Blick nach Österreich ist deswegen naheliegend, weil die deutsche und österreichische Insolvenzordnung zeitgleich entstanden sind, die Verfahrensstrukturen grundsätzlich ähnlich und die Regelungen, insbesondere z. B. bei den Versagungsgründen und Obliegenheiten, fast wortidentisch sind. Ein Erfolgsmodell in Österreich ist der Zahlungsplan – vergleichbar mit dem deutschen gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren, das man allerdings nicht als Erfolgsmodell bezeichnen kann. Mehr als 70 % aller Verfahren – mit steigender Tendenz – werden mittels eines Zahlungsplans erledigt. In circa 85 % dieser Zahlungsplanverfahren wird kein Verwalter eingesetzt. Die Verfahrenskosten können zwischen 0 bis 100 Euro betragen. Nur wenn ein Verwalter eingesetzt wird, entstehen – ähnlich wie in Deutschland – durchschnittlich Verfahrenskosten zwischen 1500 und 3000 Euro. Somit profitieren in Österreich in mehr als 85 % aller Fälle die Gläubiger davon, dass ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren (Zahlungsplanverfahren) durchgeführt wird, in dem keine Verwalterkosten entstehen, weil ein Insolvenzverwalter nur eingesetzt wird: –wenn die Vermögensverhältnisse des Schuldners, insbesondere wegen der Zahl der Gläubiger und der Höhe der Verbindlichkeiten, nicht überschaubar sind, –wenn Umstände bekannt sind, die erwarten lassen, dass die Eigenverwaltung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird, –oder wenn der Schuldner kein genaues Vermögensverzeichnis vorgelegt hat.

Im Zweifel soll dem Schuldner die Eigenverwaltung jedoch belassen werden. Es wäre sicherlich lohnenswert und sinnvoll zu prüfen, warum in Österreich seit über 20 Jahren ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren funktioniert, von dem alle Beteiligten profitieren, in Deutschland aber ein teures, kompliziertes und aufwendiges Insolvenzverfahren durchgeführt werden muss. «

Handbuch der Restrukturierung, Sanierung und Insolvenz INDat 2020

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