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Titel
from INDat Report 02_2020
by INDat Report
Bluffen, buttern, bieten und bedienen
Köln. Der Kunde ist König, sagt man gern. Was jedoch, wenn der Kunde ein Schreckensherrscher ist, der seine Macht regelmäßig bis zur Neige ausschöpft und dabei für eine Trümmerlandschaft sorgt, auf der sich kaum noch etwas aufbauen lässt? Diesen Eindruck haben seit einiger Zeit eine Reihe von Insolvenzverwaltern, die in der Automobilbranche bestellt werden. Oder eben nicht mehr bestellt werden, denn gerade bei den Automobilzulieferern reichen die starken Arme der OEMs, der großen deutschen Autobauer wie VW, Daimler oder BMW, tief in das Unternehmen hinein – und damit in den gesamten Sanierungs- oder Liquidationsprozess. Viele der eher kleinen und mittleren Zulieferer haben nur einen Großkunden, der die Produktion fast vollständig abnimmt. Ohne den OEM ist keine Sanierung möglich. Und ohne den kriselnden Zulieferer droht der Produktionsstopp beim OEM, dessen Produktion nicht selten von 1500 Teilelieferanten abhängt. Die Folge: Die Autobauer setzen alles daran, den gefürchteten »Bandabriss« zu vermeiden: Sie platzieren ihren Insolvenzverwalter und pokern um jedes Detail der sog. Fortführungsvereinbarung, mit der u. a. der weitere Geschäftsbetrieb geregelt wird. Oft geht es dabei um die Rolle des Insolvenzgelds, das mit Blick auf die Produktionskosten eine Art Jackpot in diesem Spiel darstellt. So der deutliche Vorwurf vieler Insolvenzverwalter. Und das könnte erst der Anfang sein. Denn der ohnehin schwächelnden Autobranche droht mit der auch wirtschaftlich extrem gefährlichen Corona-Pandemie ein weiterer Risikofaktor, der zu stark steigenden Insolvenzzahlen führen dürfte vor allem bei den kleineren und mittleren Betrieben – und zu noch härteren Bandagen im Kampf um den sich stark wandelnden Automarkt.

(Ein Insolvenzverwalter) »Ich bin eine Persona non grata für die Autobauer«, sagt ein bekannter Insolvenzverwalter, der aber namentlich nicht genannt werden möchte. Bestellt wird er nicht mehr in Automotive-Verfahren, wie er sagt. Beweisen könne er das mit der unerwünschten Person natürlich nicht. Sicher sei er trotzdem, da er mit seiner Kanzlei bestimmte Ansichten vertrete, aufgrund derer ihn die Platzhirsche von Deutschlands wichtigster Branche draußen haben wollten. Dabei geht es u. a. auch um ein seit Jahren umstrittenes Thema: die Rolle des Insolvenzgelds im Rahmen der Fortführungsvereinbarung. Diese Vereinbarungen über u. a. die Fortführung des Geschäftsbetriebs, den Ausgleich von Fortführungsverlusten sowie Gewährleistung und Leistungsstörung, zumeist schrittweise über Zeiträume von drei Monaten abgeschlossen, werden in der Autobranche zwischen insolventen Zulieferern und ihren Großkunden geschlossen, i. d. R. mit einem OEM wie Volkswagen, BMW, Daimler oder Ford, manchmal auch mit einem großen Zulieferer. Genauso wie bei der Frage zur Handhabung des Insolvenzgelds könne man aufgrund von Differenzen bei der Investorenauswahl für einen angeschlagenen Zulieferer zur Persona non grata werden. Auch da wolle der Großkunde die letzte Entscheidung treffen. Insolvenzverwalter, die dabei nicht mitmachen, würden kaltgestellt. So der Vorwurf.
Blickt man auf die Bestellungen in der Automobilzuliefererbranche, scheint es viele Personae non gratae zu geben. Im süddeutschen Raum, einem Zentrum der Automobilzuliefererbranche, lassen sich die in größeren Automotive-Verfahren bestellten Verwalter bzw. mit den Fällen betraute Kanzleien fast an einer Hand abzählen. Andere erfahrene Verwalter, die früher über Jahre hinweg größere Automotive-Fälle erhalten haben, tauchen bei den Bestellungen nicht mehr auf. Warum dies so ist, beschreibt Insolvenzverwalter RA Michael Pluta (PLUTA Rechtsanwalts GmbH) mit klaren Worten: »Es ruft jemand vom OEM bei Gericht an und sagt, den hätten wir gerne bzw. den wollen wir nicht. Und zu denen, die nicht gerne genommen werden, gehöre ich. Weil ich die Befolgung von Vorgaben, die andere Gläubiger benachteiligen könnten, für eine Pflichtverletzung halte.« Ein anderer Verwalter ergänzt, dass er trotz der Attraktivität vieler Automotive-Verfahren »nicht so furchtbar traurig« darüber sei, nicht bestellt zu werden. »Ich muss keine Diskussionen mit dem OEM und den Tier 1 führen. Der Ton ist dabei oft unter aller Kanone, teilweise wird richtig aggressiv auf Kriegsmodus geschaltet von Anfang an.« Zur Anwendung komme »das gesamte Einkäuferwerkzeug«: Wartenlassen, unhöfliche Begrüßung, konfrontative Gespräche, all dies mit dem einen Ziel: »Den Verwalter mürbe machen.«
Es beginnt meist mit einer Telefon-»Diplomatie«, heißt es, völlig unbenommen davon, ob der Automobilhersteller Mitglied im (vorläufigen) Gläubigerausschuss ist oder nicht. Ziel ist es, den Verwalter zu installieren, der dem Kunden – im Grunde erst einmal wirtschaftlich völlig nachvollziehbar – die Weiterversorgung mit produktionswichtigen Teilen sichert und dies natürlich zu bestmöglichen Preisen. Deshalb werde »im Vorfeld massiv versucht, Einfluss auf die Bestellung zu nehmen«, berichtet ein weiterer Verwalter. »Das betrifft den Sachwalter oder auch im Regelverfahren den Insolvenzverwalter. Und es ist kein Geheimnis, dass bei der Auswahl auch die Frage nach der Berücksichtigung des Insolvenzgelds eine Rolle spielt. Da wird relativ stringent und schmerzfrei Interessenwahrnehmung betrieben.«
Auch noch eine weitere Stimme, die ebenfalls nicht namentlich genannt werden möchte, bestätigt die vielfach kolportierten Aussagen, dass Verwalter konkret und konsequent in zwei Gruppen eingeordnet werden: »geht« oder »geht nicht«. Dies betreffe allerdings »nur« ein oder zwei der ganz großen OEMs, sagt ein automotiveerfahrener Verwalter und nennt als Beispiel aus der Praxis einen OEM, der in diesem Fall nicht im Gläubigerausschuss vertreten war und dies auch nicht wollte, aber ganz offenbar dennoch den Verwalterwunsch erfüllt bekam: »Ich erhielt den Anruf vom Richter um 11 Uhr. Der Anruf des OEM folgte um 11.03 Uhr mit der Bitte, ihn über alles zu informieren, was unternommen wird. Das war schnell, das fand ich schon sehr bemerkenswert.«
»Ganz normaler« Einfluss der OEMs auf das Insolvenzverfahren?
Dass große Gläubiger einen stärkeren Einfluss auf das Insolvenzverfahren ausüben möchten, um ihre Interessen zu wahren, kann Insolvenzverwalter RA Dr. Holger Leichtle (Schultze & Braun) bestätigen und hält dies auch »in einem gewissen Rahmen für völlig legitim«, da niemand einen Bandstillstand beim OEM wolle. »Die OEMs müssen und wollen einbezogen werden, also beziehe ich sie ein. Eine offene Kommunikation und eine enge Abstimmung sind deshalb für mich ganz normal.« Auf diese Weise nähmen die OEMs stärker als in vielen anderen Branchen »als wesentliche Kunden maßgeblichen Einfluss auf die Auswahl des Insolvenzverwalters. Überwiegend sind sie im Gläubigerausschuss vertreten und werden bereits vor dem Verfahren von den Beratern des auf die Insolvenz zusteuernden Unternehmens darauf angesprochen, ob sie einen Sitz im Gläubigerausschuss einnehmen möchten und welchen potenziellen Verwalter sie akzeptieren würden.«
Unabhängig davon, wie kritisch der Einfluss des OEM gesehen wird: An der Machtposition von Volkswagen und Co. besteht kein Zweifel. Ohne den Großkunden gibt es so gut wie keine Lösungsmöglichkeiten in der Insolvenz. Auch haben viele Verwalter durchaus ein Verständnis für die Beweggründe der Autoriesen und ihrer Akteure etwa aus dem Riskmanagement. »Würden die entsprechenden Verantwortlichen bei den OEMs nicht maximale Interessenwahrung betreiben, säßen sie nicht mehr lange auf ihrem Job«, sagt ein Verwalter hinter vorgehaltener Hand. »Zu glauben, dass sich ein OEM zurücknimmt, um im Sinne der übrigen Beteiligten etwas zu ermöglichen, wäre naiv. Es braucht ganz sicher eines starken Verwalters, um die Interessengleichheit der Gläubiger im Verfahren zu gewährleisten.« Eine Einschätzung, die von der Nummer eins auf dem Markt naturgemäß anders gesehen wird. Volkswagen suche »stabile Geschäftsbeziehungen mit allen Zuliefe
rern«, heißt es von Dr. Christoph Ludewig, stellvertretender Leiter Corporate Communications von Volkswagen. Schließlich sei ein »starker Partner« im Interesse von Volkswagen. »Nur so kann ein auf allen Ebenen profitables Miteinander entstehen. Soweit ein Lieferant Insolvenz anmelden muss, suchen wir gemeinsam mit dem Unternehmen und dem Insolvenzverwalter nach Lösungen. Oberstes Ziel ist dabei, wenn möglich die Zusammenarbeit weiterzuführen. Dabei ist jeder Fall individuell zu betrachten. Dementsprechend gehen wir ganz spezifisch auf die einzelnen Partner ein. Dabei ist ein faires Miteinander auf Augenhöhe entscheidend.«
Auch bei Insolvenzverwaltern finden Positionen wie die von VW durchaus Verständnis. So beschreibt beispielsweise Insolvenzverwalter RA Joachim Exner (Dr. Beck & Partner Rechtsanwälte), zu welchen Drucksituationen die Besonderheiten der Branche zwangsläufig führen, und verweist auf die eng getakteten Lieferketten auf Basis von just in time und just in sequence. Deshalb sei erforderlich, »dass der Insolvenzverwalter und sein Team mit größter Geschwindigkeit die Betriebsfortführung und insbesondere die Lieferkette absichern. Hier bestehen höchste Anforderungen an den Insolvenzverwalter und sein Team, da sie mit einer Vielzahl von Lieferanten, Logistikern und Dienstleistern innerhalb von Stunden Lösungen erreichen müssen. Gelingt dies nicht, drohen Bandabrisse bzw. -stillstände, die bereits im vorläufigen Insolvenzverfahren zu Schäden führen können, die die Quotenaussicht der anderen Verfahrensbeteiligten marginalisieren können.«
Das Worst-Case-Szenario Bandstillstand zu vermeiden, gehört zu den wichtigsten Aufgaben des Riskmanagements der OEMs, sei es präventiv oder notfalls reaktiv. Bei z. B. weltweit 1500 Lieferanten, diese Zahl nannten Vertreter von Mercedes-Benz für ihren Konzern auf einem Kongress in Berlin 2017, sei das mitunter nicht einfach zu bewerkstelligen. Krisen sollen möglichst bereits im Vorfeld einer Insolvenz erkannt werden, um ausreichend Zeit für Maßnahmen zur Gegensteuerung zu bekommen. Oder, wie es ein Verwalter formuliert: »Man guckt schon, wenn nur eine Vorahnung von Schwierigkeiten beim Zulieferer aufkommt, nach einer Second Source. Je kürzer der Zeitraum ist, in dem ein OEM auf den kriselnden Lieferanten angewiesen ist, desto besser.«
Zuliefererinsolvenzen sind ein Thema, das viel Schweigen hervorruft
Für diesen Beitrag im INDat Report waren übrigens mehr als 20 Unternehmen, Verwalter und Berater angefragt mit der Bitte, ihre Positionen darzustellen, darunter z. B. die in diesen Fällen häufig anzutreffenden Großgläubiger bzw. Verfahrensbeteiligten Deutsche Bank, UniCredit, Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), Euler Hermes, IG Metall sowie OEMs wie VW, Daimler und BMW. Wer auf die Fragen nicht geantwortet hat – es ist die Mehrzahl der Angefragten –, findet sich nicht im Text. Einige der Angefragten haben Gründe für ihre Absage genannt, ohne damit zitiert werden zu wollen, etwa die »Sensibilität« des Themas, dass es »ein heißes Eisen« sei und dass man mit Statements Kundenbeziehungen schaden könne. Viele baten um »Verständnis«, wie z. B. die LBBW, einer der wichtigsten Finanzierer im Autozuliefererland Baden-Württemberg, sie nannte aber keine Gründe für ihr Schweigen. Auch Autobauer Ford bat um Nachsicht. Denn man stecke selbst »mitten in einer Restrukturierungsphase, sodass die personellen Ressourcen derzeit gebunden sind«. Auch die für die Automobilbranche zuständige Gewerkschaft IG Metall äußerte sich trotz
Die enge Verbindung durch Just-in-timeund Just-in-sequenceBelieferung sorgt für »gewisse Usancen«
wiederholter Nachfrage nicht. Mitunter hieß es in den Absagen, dass man die (zu kritischen?) Fragen nicht beantworten könne. Sie behandelten z. B. die kolportierte Dominanz der OEMs in Gläubigerausschüssen und die nachgesagte Durchsetzungsschwäche der anderen Gläubiger und Finanzierer, ein nicht selten beschriebenes Klima »wechselseitiger Drohungen« und das Aus- bzw. Überreizen des Prinzips »Der Kunde ist König«.
Zugleich hat der INDat Report zehn Verwalter angesprochen, die im Automotive-Sektor häufig bestellt werden bzw. wurden. Immerhin waren drei bereit, offen zu sprechen. Weitere wollten sich nur ohne Namensnennung äußern. Zu denjenigen, die mit Namen für ihre Einschätzungen und Positionen stehen, gehört Exner, der »bisher keine Übermacht« der OEMs bzw. »wechselseitige Drohungen« im Zusammenhang mit der Verwalterauswahl feststellen konnte. »Gem. § 56 a InsO ist ein einstimmiger Vorschlag eines vorläufigen Gläubigerausschusses notwendig, damit ein Vorschlag vom Insolvenzgericht zu beachten ist. Im Ergebnis sind bei der Verwalterbestellung bzw. einem einstimmigen Vorschlag alle wesentlichen Beteiligten, d. h. die Arbeitnehmervertreter, die Lieferantenvertreter und insbesondere die Kreditinstitute, intensiv in die Verwalterauswahl einzubeziehen.«
Unterschiede zu anderen Branchen sieht Exner ebenfalls nicht, sobald es dort ähnliche Strukturen gibt wie bei den Autobauern. »In jedem Insolvenzverfahren, gleich in welcher Branche, haben die Kunden im Hinblick auf die zukünftige Geschäftsbeziehung stets einen wesentlichen Schlüssel zum Erfolg in der Hand.« Bei Automobilzulieferern mit »einer häufig überschaubaren Zahl von Hauptkunden« habe der einzelne Kunde »naturgemäß« mehr Gewicht. Eine Besonderheit der Automobilzulieferer sei dies nicht, sondern zeige sich »auch in anderen Branchen mit vergleichbaren Kundenstrukturen«.
Andere Verwalter wie Leichtle nennen ebenfalls die Besonderheiten bei Insolvenzverfahren in der Automobilindustrie mit der bereits beschriebenen »massiven Abhängigkeit des jeweiligen Kunden von der täglichen Belieferung«. Auf Basis der genannten Lieferketten Tier-1-, Tier-2- und Tier-3-Zulieferer mit OEMs an der Spitze sowie Just-in-time- und Justin-sequence-Belieferung hätten sich »gewisse Usancen in diesem Bereich herauskristallisiert. Dazu gehören die Teilnahme der Großkunden am Gläubigerausschuss, aber auch regelmäßige Kundengespräche oder -telefonate, der Abschluss von Fortführungsvereinbarungen mit Verlustdeckungselementen, eine enge Begleitung des M&A-Prozesses und am Schluss der Abschluss von Trade Agreements mit den Übernehmern. Hat ein Verwalter hier keine Erfahrung, tut er sich sicherlich schwer, sich in diese Besonderheiten hineinzufinden.«
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Sind sie zu stark, bist du zu schwach – lässt sich die Automotive-Debatte auf diese einfache Formel herunterbrechen? Mit dem speziell in dieser Branche größeren Einfluss der Großkunden, der zudem aktiver ausgeübt wird, könne man gut klarkommen, heißt es von einem Verwalter. »Mir ist das immer gelungen, alles war gut lösbar. Und in anderen Branchen wünscht man sich doch oft, dass Kunden und Partner aktiver wären. Ich erlebe die OEMs sehr sachlich, z. B. bei Anfechtungsfragen. Man muss es mit den OEMs können und die müssen ihrerseits das Gefühl haben, dass man sich kümmert und sich auch als Verwalter selbst kümmert. Die Vereinbarung muss natürlich verhandelt werden. Das ist nicht immer einfach. Die versuchen, ihre Interessen durchzudrücken und so wenig wie möglich zu bezahlen.« Ähnlich sieht es Leichtle: »Zwar gibt es teilweise sicherlich sehr unterschiedliche Vorstellungen über den Verlauf des Verfahrens und auch harte Diskussionen. Ich habe es jedoch immer so erlebt, dass sich die Beteiligten am Schluss geeinigt haben und sogar zu einer einstimmigen Entscheidung gekommen sind. Das gilt auch für das Verhältnis der OEMs untereinander.« Für VW, Deutschlands größten Autobauer, ist die Sache klar, erklärt dessen Kommunikationsabteilung. Der Konzern führe »mit allen Partnern in der Restrukturierung und den Insolvenzen einen konstruktiven Austausch, wobei jeder natürlich für seine Position verhandelt. ›Drohungen‹ oder ›Druck‹ sind dabei nicht zielführend.« Ein Insolvenzverwalter solle »operative Restrukturierungskompetenzen haben, um das Unternehmen möglichst schnell wieder zu einem starken Wettbewerber im Markt zu machen. Nur so wird eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung erreicht. Er muss ein starker und unabhängiger Partner für alle Stakeholder sein und Interessen ausgleichen können.« Vulgo: Wenn’s nicht klappt, war der Verwalter schuld. Keine Restrukturierungskompetenz. Und nicht stark. So auch der Eindruck eines Verwalters: »Macht man einen Fehler, geht es zu wie in der freien Wildbahn. Das ist kein Miteinander unter fairen Geschäftspartnern.« Grundlegend sei dabei das Selbstverständnis in dem Unternehmen, etwa die Firmenkultur bei VW. Auch eine Rolle spiele das ESUG, zu dessen negativen Folgen eine schwächere Position des Insolvenzgerichts und in der Folge ein Untergraben der Verwalterposition zu zählen sei. Ein anderer Verwalter bestätigt: »Von einem ›Gemeinsam-dieKarre-aus-dem Dreck-Ziehen‹ kann häufig keine Rede sein. Ich gehe sogar so weit, dass ich meinen Gesprächspartnern beim OEM grundsätzlich leider nicht vertrauen kann. Ich mache alles schriftlich und wasserdicht und gehe nie allein in eine Besprechung, die grundsätzlich protokolliert wird.«
Es ist gerade zehn Jahre her, da klang alles noch ganz anders. Mit einem Thesenpapier zu »Grundregeln in Automobilzulieferer-Insolvenzverfahren« vom März 2009 hatten sich sechs Insolvenzverwalter zusammengetan, RA Dr. Frank Kebekus, RA Dr. Jörg Nerlich, RA Dr. Martin Prager, RA Dr. Andreas Ringstmeier, RA Christopher Seagon und RA Dr. WolfRüdiger von der Fecht, um auch in der Automobilzulieferindustrie die »Sanierungschancen signifikant zu erhöhen«. Überwunden werden sollten »außergerichtlich oftmals langwierige und zähe Verhandlungen« mithilfe des Insolvenzrechts. Dabei sollte u. a. »verloren gegangenes Vertrauen von Kunden« wiedergewonnen werden und aufgrund »guter Arbeitsbeziehungen zu den Gläubigern und den Kunden« der Geschäftsbetrieb weiterlaufen. Hierzu sollten sich »insbesondere Kunden eines Automobilzulieferers frühzeitig in die Organisation der Betriebsfortführung gemeinsam mit dem vorläufigen Insolvenzverwalter einbringen und diesen nach Kräften fördern«. Aus heutiger Sicht scheint ein Ziel erreicht:
Die OEMs sind unbestreitbar früh eingebunden. Ob dies jedoch den Insolvenzverwalter »nach Kräften fördert«, darf hinterfragt werden. Oder sind die Verwalter, die zugeben, nicht gut klargekommen zu sein, vielleicht einfach keine starken Verwalter, keine Supermänner oder »Wonder Women«? Sind die OEMs also unfair oder nur sehr anspruchsvoll? Nur sehr selbstbewusst oder schon konfrontativ? Zumindest lässt sich sagen, dass Verwalter typischerweise ebenfalls selbstbewusst und anspruchsvoll auftreten. Möglicherweise reicht schon dies aus für den einen oder anderen Krach.
Zumindest stehen auch die Autobauer mitunter heftig in der Kritik. So mutet beispielsweise ein im Manager Magazin am 23.01.2020 erschienener Bericht wie ein Blick hinter die Kulissen an. Thematisiert wurde ein vertraulicher »Round Table Restructuring« im Dezember 2019, bei dem Volkswagen, vor Ort repräsentiert von Riskmanagerin Frauke Eßer, von der Runde »sturmreif« geschossen worden sei. Vorwurf: Eine »harte Haltung« von VW – der Autobauer habe im Gegensatz zu Banken und Kreditversicherern einen Krisenfall (der Artikel spricht vom Zulieferer Eisenmann, der später Insolvenz anmelden musste) nicht vorfinanzieren wollen, das habe zu Ausfällen bei Banken und Kreditversicherern geführt. Und auch in anderen Fällen habe Eßer die Banken und andere Autohersteller »verärgert«. Der Artikel spricht allerdings auch von Drohungen, die ein namentlich genannter Banker gegenüber VW ausgesprochen haben soll, dass nämlich bei der nächsten vergleichbaren Situation die Banken ihre Forderungen an Hedgefunds verkaufen könnten, denen man bekanntermaßen nachsagt, als äußerst unangenehme Verhandler auftreten zu können.
Beratungsunternehmen wie Roland Berger mahnen deshalb generell zur Einsicht: »Ein beliebiger Zulieferer ist heute für den einen Hersteller fast immer relevanter als für den anderen, das bedingt schon allein die Wettbewerbslandschaft zwischen einzelnen Zulieferern in einem Segment. Jede Partei hat dabei natürlich zunächst ihre eigenen Interessen im Blick. Es hat sich aber in vielen Fällen gezeigt, dass nur ein konstruktives Verhalten zum Ziel führt, bei dem man nicht immer die eigene Position zu 100 % durchsetzt«, sagt Senior Partner Dr. Gerd Sievers. Dafür sei kooperatives Verhalten notwendig, dieses wiederum werde durch eine gute Moderation garantiert, »also durch die Rolle, die vom Sanierungsexperten oder auch Verwalter eingenommen wird«. Dementsprechend kann man

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zuversichtlich sein, dass sich die partiell zu beobachtenden Unstimmigkeiten zwischen verschiedenen Parteien seit Beginn der Krisenphase im Automobilbereich reduzieren werden. Aus der Restrukturierungsbranche heißt es zudem auch, dass vereinzelt Verwalter die fast alternativlose Abhängigkeit der OEMs von einzelnen Teilen ihres insolventen Zulieferers auch dafür nutzten, Preisvereinbarungen nachverhandeln zu wollen und somit von ihnen auch Druck und Drohungen in Richtung Kunde ausgingen.
Ein weiterer Knackpunkt, der immer wieder neben Verwalterauswahl und Investorensuche genannt wird, ist die seit Jahren bestehende Frage, inwiefern das Insolvenzgeld im Rahmen einer Fortführungsvereinbarung einkalkuliert werden darf. Dabei fallen alle Namen der großen deutschen Autobauer: BMW, häufiger Daimler und vor allem Volkswagen. Dieser Punkt zählt zu den besonders umkämpften Gebieten auf dem Schlachtfeld der vielfach sehr detaillierten und umfangreichen Fortführungsvereinbarung, die ohnehin eine Besonderheit der Autobranche darstellt. »Grundsätzlich glaube ich«, so ein Verwalter, »dass die OEMs kalkulieren, was sie im Fall eines Insolvenzverfahrens in das Unternehmen reinstecken müssen und was der Aufbau der Second Source kosten würde.« Meist könnten OEMs oder Tier 1 über die Zeit von einigen wenigen Monaten nicht »mal eben« solche Teile ersetzen. »Es ist also vor allem eine Frage der Zeit, wie lange ein insolventes Unternehmen am Leben erhalten werden muss.«
Auch andere Verwalter bestätigen die Kampfzone Fortführungsvereinbarung, bei der es oft »um die Nachkommastelle« gehe. »Und genau geguckt wird übrigens auch, was betriebsnotwendige Ausgaben sind, auch die Beraterhonorare werden in den Blick genommen.« Hinter allem stehe schlicht und einfach die Frage der OEMs: »Brauchen wir den Zulieferer noch oder nicht? Und wenn ja, wie lange? Hat man als Insolvenzverwalter das Glück, dass der Zulieferer noch benötigt wird, muss man nicht ganz so hart kämpfen.« Die wohl überwiegende Mehrheit der Verwalter ordnet das Insolvenzgeld aus Massesicht ein. Folgt man dieser Sichtweise, kann diese Leistung nicht einem Kunden zugeschlagen werden und hat deshalb in einer Preiskalkulation bzw. einer Fortführungsvereinbarung nichts zu suchen (siehe auch Siemon, ZInsO 2014, 625 ff.; Hill, ZInsO 2014, 1513 ff.). »Man muss natürlich immer den Einzelfall betrachten. Aber ich halte es für insolvenzzweckwidrig, das Insolvenzgeld systematisch einzurechnen.« Dem stimmt Pluta prinzipiell zu: »Die Grenzen sind natürlich fließend, aber letztlich ist das oft eine Bewertung nicht nach HGB, sondern zugunsten eines Gläubigers mit der Folge, dass Massemittel vorrangig in Richtung dieses Gläubigers geleitet werden.«
Ein weiterer Verwalter warnt vor einem »riesen Haftungsanspruch«, wenn das Insolvenzgeld in einen Preis für Kunden eingerechnet wird. Zudem verzerre dies möglicherweise durch Dumpingpreise den Wettbewerb. »Das wäre dann eine Frage des Wettbewerbsrechts. Ich persönlich habe mit dem Kunden immer unter Vollkostenaspekten über die Preise verhandelt und mich strikt geweigert, auch nur einen Cent des Insolvenzgelds in eine Fortführungsvereinbarung einzurechnen.« Eine Position, die VW ebenfalls entgegengesetzt betrachtet: »Das Insolvenzgeld wird von der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt und ist daher klar eine Absicherung der Mitarbeiter, wenn das Unternehmen ihnen den Lohn schuldig bleibt. Es ist keine Leistung für die Gläubiger. Die Löhne selbst sind Fortführungskosten und insofern ist die externe Bezahlung dieser Fortführungskosten in die Berechnung der Fortführung mit einzurechnen. In verschiedenen Verfahren haben Gläubigerausschüsse dazu Rechtsgutachten einholen lassen, die alle die Zulässigkeit bestätigt haben.«
Rolle des Insolvenzgelds bei der Fortführung bleibt umstritten
Zur Beantwortung holt Exner weit aus, teilt aber im Grunde die letztgenannte Einschätzung, die im Großen und Ganzen auch Paulus (ZInsO 2015, 2160ff.) vertritt. So diene das Insolvenzgeld bzw. dessen Vorfinanzierung allein der Sicherung der Entgeltansprüche und der Arbeitsplätze der Arbeitnehmer im Insolvenzfall, nicht jedoch die Finanzierung der Insolvenzschuldnerin oder der Mehrung der Insolvenzmasse. Positive Finanzierungs- und Sanierungseffekte für die Insolvenzschuldnerin seien zwangsläufige – und erwünschte – Nebeneffekte, dürften aber nicht das alleinige Ziel der Beantragung von Insolvenzgeld sein. Exner betont aber: »Die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld darf nicht rechtsmissbräuchlich sein. Das wäre sie dann, wenn die Zwecke des Insolvenzgelds nicht erreicht werden können, was insbesondere der Fall ist, wenn von vornherein eine längerfristige Sicherung der Arbeitsplätze nicht beabsichtigt oder aufgrund der Umstände nicht möglich ist.« Dies sei etwa auch der Fall, wenn eine Einstellung des Betriebs nach Ablauf des Insolvenzgeldzeitraums von Anfang an vorgesehen ist oder die wirtschaftliche Situation eine Unternehmensfortführung offensichtlich nicht zulässt. Die Inanspruchnahme der Vorfinanzierung setze insbesondere nicht voraus, dass sämtliche Fortführungsverluste anderweitig bzw. von dritter Seite gedeckt werden. »Würde die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld voraussetzen, dass sämtliche Fortführungsverluste im vorläufigen Insolvenzverfahren anderweitig bzw. von dritter Seite gedeckt werden, damit das Insolvenzgeld in vollem Umfang der Insolvenzmasse zugutekommt, so würde das dem Zweck der Insolvenzgeldgewährung fundamental widersprechen«, sagt Exner. »Das Insolvenzgeld wäre dann nämlich nicht mehr ein Instrument des Arbeitnehmerschutzes, sondern würde vor allem der Massemehrung dienen.« Das würde den Anwendungsbereich des Insolvenzgelds zudem substanziell einschränken. »Insolvenzgeld könnte nur noch in solchen Fällen gewährt werden, in denen der eigentliche Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin profitabel ist. Dies ist nur in den seltensten Fällen gegeben.«
(Volkswagen AG)
INDat Report 02_2020 Daher: Beim Abschluss von Fortführungsvereinbarungen sei das Insolvenzgeld bei der Finanz- und Ertragsplanung zu berücksichtigen, sagt Exner. Wichtig sei, dass bei der begründeten Vorfinanzierung von Insolvenzgeld grundsätzlich keine rechtliche Möglichkeit des Verwalters besteht, die OEMs zu höheren Preisen bzw. Ausgleichszahlungen zu verpflichten, da die insolvenzrechtlichen Sanierungs- und Restrukturierungsinstrumentarien der §§ 103 ff. InsO erst ab Insolvenzeröffnung greifen. Der vorläufige Insolvenzverwalter sei rechtlich an die bestehenden Verträge gebunden. Zudem werde der vorläufige Verwalter eine Fortführungsvereinbarung stets unter den Zustimmungsvorbehalt des Gläubigerausschusses stellen. »Die Frage der rechtlichen Behandlung des Insolvenzgeldeffekts wird dann regelmäßig von den wesentlichen Verfahrensbeteiligten im Gläubigerausschuss diskutiert und entschieden.«
Leichtle zufolge werde die Diskussion zu hoch gehängt. »Ein Automotive-Verfahren ist ein ganz normales Insolvenzverfahren. Ich sehe keine gesetzliche Begründung, weshalb am Ende des vorläufigen Insolvenzverfahrens das Insolvenzgeld komplett übrig bleiben muss. Aus meiner Sicht kann das Insolvenzgeld ganz normal zur Fortführung während des vorläufigen Verfahrens herangezogen werden. Es muss allerdings sichergestellt sein, dass unter Cash-Gesichtspunkten – d. h. ohne Hinzurechnen von Personalkosten, die ja tatsächlich im vorläufigen Verfahren nicht anfallen – ein positives Ergebnis übrig bleibt.« Sofern unter dem Strich dann aber immer noch Verluste gemacht werden, müssten diese ausgeglichen werden. Umgekehrt könne es allerdings auch nicht sein, dass das Insolvenzgeld zu einem positiven Betriebsergebnis im vorläufigen Verfahren führt und das dann mit Verlusten verrechnet wird, die nach Insolvenzeröffnung entstehen, nur um die Verlustübernahme zu mindern. »Die Verfahrensabschnitte müssen streng getrennt werden. Im jeweiligen Verfahrensabschnitt darf keine Masse verbrannt werden. Das wäre aber der Fall, wenn das Ergebnis des vorläufigen Verfahrens verrechnet wird.«

Sind die übrigen Mitglieder des Gläubigerausschusses viel zu passiv?
Von den Verwaltern ist häufig zu vernehmen, dass sie den Großkunden im Gläubigerausschuss entweder für kaum denkbar oder zumindest jedoch für bedenklich halten, aber als notwendige Bedingung, die der faktischen Macht der milliardenschweren Konzerne entspricht. Doch welche Rolle spielen die übrigen Mitglieder des Gläubigerausschusses? Wenn es denn so ist, dass – wie ein Verwalter moniert – »geschachert wird bis zum Abwinken und die OEMs stets versuchen, den größtmöglichen Einfluss auf die Gestaltung des Gläubigerausschusses und damit auch die Verwalterauswahl zu gewinnen«? Was ist mit Banken, Kreditversicherern, Arbeitnehmervertretern, anderen Gläubigern? Sind sie – von wenigen Ausnahmen abgesehen – »in aller Regel nicht aggressiv genug beim Kontrageben«, wie dies ein Verwalter beschreibt?
Rein juristisch wird die Gläubigerposition dadurch begründet, dass bei einem OEM Schadenersatzansprüche entstehen, wenn der Betrieb eingestellt werden muss oder es aus anderen Gründen zu Lieferausfällen kommt. Auch gibt es bei Volumina von Tausenden Teilen immer irgendetwas, das irgendwo nicht in Ordnung ist, sagt ein Verwalter. VW dagegen gibt sich an diesem Punkt vergleichsweise auskunftsknapp: »Unsere Forderungen gegenüber den Lieferanten sind vielfältig und deren Zusammensetzung von Fall zu Fall verschieden.« Als Gläubiger stehe dem Unternehmen ein Platz im Gläubigerausschuss zu. Und Interessenkonflikte gebe es »bei uns genauso wenig wie bei den Banken«.
So ganz konfliktfrei scheint es in der Realität wohl nicht zu sein, denn nicht immer setze sich der OEM durch, wie ein Verwalter einwirft. Auch nicht, wenn es der bekanntermaßen sehr engagierte Volkswagenkonzern ist. »Ich kenne Fälle, in denen VW bestimmte Vorstellung hatte und sich im Gläubigerausschuss nicht durchgesetzt hat gegen die übrigen Gläubigerausschussmitglieder. Und dabei ging es sogar um die Person des Verwalters.« Schweigt der Gläubigerausschuss stattdessen, muss man sich die Frage stellen, woher der »starke Verwalter« kommen soll. Eine Frage, die man an die Gläubiger stellen müsse, antwortet ein Verwalter. Und gibt die Antwort eigentlich selbst: »Auch wenn ein OEM 80 % des Umsatzes verantwortet, ändert das nichts daran, dass bei einem vielleicht größeren Verfahren ein präsumtiver Gläubigerausschuss bestimmt wird, in dem eine Bank, ein Arbeitnehmervertreter, ein Kreditversicherer und ein Kleingläubigervertreter vertreten sind. Möglicherweise auch ein OEM. Aber der hat nur eine Kopfstimme wie alle anderen auch.« Die Bindungswirkung für einen Verwalter gibt es bekanntlich in dieser Phase nur dann, wenn sich alle Mitglieder des Gläubigerausschusses einig sind. Aber was hindert die übrigen Gläubigerausschussmitglieder, in dieser Phase ihre Interessen stärker durchzusetzen? Ist es nur Desinteresse oder ist es auch Respekt vor der Konfrontation? Antwort eines Verwalters: »Angesichts der Professionalität der Personen, die die Institutionellen im Gläubigerausschuss vertreten, kann ich mir nicht vorstellen, dass Desinteresse vorhanden ist. Aber Angst vor Konfrontation haben die meiner Ansicht nach ebenfalls nicht als gestandene Frauen und Männer, die diesen Job schon länger machen. Ich weiß nicht, warum sie manchmal die Sachen laufen lassen und einen OEM seine Agenda eins zu eins durchbringen lassen. Da müsste man sie mal selber fragen.« Eines, so der Verwalter weiter, sei allerdings klar. »Wer von vornherein im präsumtiven Gläubigerausschuss keinen Arsch in der Hose hat, soll hinterher auch nicht jammern, wenn VW das Verfahren bestimmt.« «









