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Standpunkt

Folgeinsolvenz: Nur Ärgernis oder bald Regelfall?

von Richter am Amtsgericht Frank Frind*

»Zum dritten Mal insolvent«, »XY muss erneut Insolvenz anmelden« – in fast jedem der Pressespiegel, die dankenswerterweise in so mancher insolvenzrechtlichen Fachzeitschrift enthalten sind, können solche Meldungen gefunden werden. Es handelt sich hierbei nicht nur um prominente Fälle 1 , sondern auch um eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen. Die sog. Folgeinsolvenz ist als Begriff fachwissenschaftlich zwar nicht definiert, i. d. R. wird man von einer solchen aber in zwei Varianten sprechen können: Das schuldnerische Unternehmen selbst fällt erneut in Insolvenz (oder ein hinsichtlich des Rechtsträgers im Zuge der Beendigung nur leicht verändertes Unternehmen) oder aber das im Zuge des Asset Deals übernehmende Unternehmen fällt nunmehr seinerseits in die Insolvenz (ein solcher Fall liegt jüngst der Insolvenz eines großen Hamburger Autohändlers zugrunde). Auch der zeitliche Zusammenhang der beiden Insolvenzfälle, um noch mit Fug und Recht von einer Folgeinsolvenz sprechen zu können, ist undefiniert. Aus der vom Verfasser geführten (nicht empirisch repräsentativen) Liste aus Presseauswertungen ergibt sich über die Jahre seit 2013 ein durchschnittlicher Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren bis zum »Rückfall«. Dies ist nicht überraschend: Eine operative Sanierung soll je nach Geschäftsmodell zwischen drei und fünf Jahren dauern. 2 Der IDW S 6 zeigt teilweise sogar längere Zeithorizonte auf. 3 Von einem sanierten Unternehmen ist daher nach betriebswirtschaftlicher Betrachtung erst nach einem Konsolidierungsprozess, der dem Stresstest der Marktwirklichkeit standgehalten hat, auszugehen. Fraglich, ob dies mit den derzeitigen schuldnerseitigen Erwartungen zum Insolvenzverfahren harmoniert.

Folgeinsolvenz – in diesem Sinne und Zeitkorridor verstanden – ist von den Folgen her die Widerlegung der Sanierungshoffnungen, die mit der Reform der InsO verbunden waren. Sie führt zu enttäuschten Erwartungen bei Arbeitnehmern, Kunden und Lieferanten sowie Bankengläubigern, verunmöglicht i. d. R. eine nochmalige Insolvenzgeldvorfinanzierung und erzeugt mit

1 Siehe INDat Report 09_2019, S. 17 ff. 2 Siehe Steffan, ZIP 2016, 1712 f. 3 Siehe Frind, ZInsO 2015, 2249 ff.

der Notwendigkeit, den gesamten Ablauf des Erstverfahrens anfechtungs- und haftungsrechtlich im Zweitverfahren zu überprüfen 4 , für Insolvenzverwalter/Sachwalter und alle Beteiligten mehr als missliche Situationen.

Fehlen jeglicher empirischer Beobachtung

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber nicht spätestens mit dem Inkrafttreten des ESUG durch Implementierung entsprechender regelhaft von der Insolvenzverwalterschaft zu beantwortenden Anfragen nach Eröffnung im Insolvenzstatistikgesetz dafür Sorge getragen hat, zumindest für die Beantwortung der Frage nach der Erfüllung nachhaltiger Sanierung durch das deutsche Insolvenzverfahren zweier markanter Daten zu sorgen: die Angabe, ob der Insolvenzantrag rechtzeitig i. S. d. zeitlichen Einhaltens der Antragsfrist nach § 15 a InsO gestellt worden ist, und die Angabe, ob dem jeweiligen Insolvenzverfahren bereits ein eröffnetes Insolvenzverfahren über den gleichen oder gesellschaftsrechtlich »verwandten« Rechtsträger vorausgegangen ist. Beide Umstände wären für den jeweiligen Insolvenzverwalter leicht mitteilbar: Er muss im Insolvenzeröffnungsgutachten nach den Standards des VID e. V. und des BAKinso e. V. ohnehin i. d. R. den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz (zumindest zeitraummäßig) dingfest machen und er muss zudem die gesellschaftsrechtliche Vita des Schuldnerunternehmens im Gutachten darlegen. Hätten wir im Jahr 2020 solche Daten seit 2013 vorliegen, könnte die Frage des Erfolgs von Insolvenzverfahren zumindest deutlich valider beantwortet werden. Der Gesetzgeber hatte in der Begründung des ESUG, das ja die Sanierungsfähigkeit des deutschen Insolvenzrechts fördern sollte, ausdrücklich als Ziel den frühzeitigeren Insolvenzantrag genannt 5 – die Zauberformel hieß: frühzeitiger Antrag = frühzeitigere Sanierung = erfolgreiche Sanierung.

*Der Verfasser ist Vorstandsmitglied des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte (BAKinso e. V.). Foto: Friedrich Stark

Der ESUG-Evaluationsbericht vom 10.10.2018 6 hat (mangels gesetzlich dazu verankerter Fragestellung, aber wohl auch mangels empirischer Datenbasis) dazu keinerlei Ergebnis, ob diese Zielsetzung erfüllt wurde, verlautbart. Auch die Frage nach der Häufigkeit der Folgeinsolvenz oder Nachhaltigkeit von Sanierungen blieb ununtersucht. 7 So hat es derzeit zu diesen beiden bedeutenden Fragen sein Bewenden nur mit Befragungsergebnissen. 8 Ebenso wird berichtet, die wahrzunehmenden Folgeinsolvenzen hätten in bestimmten Verfahrensarten, nämlich bei Eigenverwaltungen, zugenommen 9 , gleichzeitig wird der Ruf nach (undefinierter) nachhaltiger Sanierung lauter. 10 Als einzige zumindest kurz gefasste statistische (schmale) Auswertung liegt von Fröhlich 11 der Befund vor, bei eröffneten Eigenverwaltungsverfahren betrage die sog. Rückfallquote 9 % zu 3 % (im Regelinsolvenzverfahren).

Ursachen für Folgeinsolvenzen und Blick auf die Restrukturierungsrichtlinie

Ist Folgeinsolvenz nun ein ab und zu auftretendes Phänomen oder haben wir es mit einem systemhaften Symptom für ein Versagen der Sanierungskultur zu tun? Nicht ganz zu Unrecht wird bereits gar ein »Sanierungshype« beklagt. 12 Ehrlicherweise wird zunächst eingeräumt werden müssen, dass Sanierungs(förderung) zwar nach der Begründung zum ESUG ein Ziel dieses Gesetzes gewesen sein mag, aber nach § 1 InsO kein Ziel des Gesamtverfahrens ist. 13 Hier geht es ausschließlich höchstens (und selbst das ist streitig) um gleichmäßige Gläubigerbefriedigung, zuweilen wird sogar das nach h. M. statthaft zugesetzte »bestmöglich« bezweifelt, und die für den Aspekt der Nachhaltigkeit notwendige Zeitraumbetrachtung (also auch nach Abschluss des Verfahrens) der Ergebnisse von Insolvenzverfahren 14 ist gesetzlich zwar de lege ferenda gefordert, de lege lata aber als in der InsO verankert nicht auszumachen. 15 Die Möglichkeiten des Insolvenzgerichts, nachhaltige Sanierungen zu befördern, sind daher sehr begrenzt 16 , lediglich im Planverfahren, das zumindest die Folgeinsolvenz in § 255 Abs. 2 InsO ausdrücklich nennt, lässt sich über die Anforderung nach einer validen Vergleichsrechnung mit Planverprobungsrechnung als notwendig im darstellenden Teil ein bisschen Validierung der zeitlichen Perspektive des Unternehmens sicherstellen, das erfordert aber betriebswirtschaftlich kundige Richter.

6 Siehe www.bmjv.de/SharedDocs/Artikel/DE/ 2018/101018_Bericht_ESUG.html. 7 So zutreffend Buchalik, ZInsO 2019, 1576, 1581. 8 Kein Trend zu früheren Anträgen laut Befragung IfUS-Institut Heidelberg 2015 (Paul/Rudow, NZI 2016, 385, 391); Roland-BergerStudie ESUG 2014/2015 vom Mai 2015: An eine frühere Antragstellung glauben nur 35 % der Befragten; Befund: Verstärkte Inanspruchnahme der D&O-Versicherungen wegen Insolvenzverschleppung (INDat Report 04_2018, S. 11). 9 So z. B. Schulte-Kaubrügger laut INDat Report 08_2016, S. 75. 10 So z. B. Paulus, NZI 2015, 1001, 1003. 11 Siehe return 3/2016, S. 8, 9. 12 Rechel laut INDat Report 09_2019, S. 17, 21. 13 Siehe Paulus, JZ 2009, 1148f. 14 Hierzu jüngst wieder Freitag, ZIP 2019, 541, 543. 15 Siehe Kayser, ZIP 2018, 2189. 16 Dazu Frind/Köchling, ZInsO 2013, 1666.

Denn als Ursache wird der häufige Trend zu nur finanzwirtschaftlicher Sanierung ausgemacht 17 , die die Gründe der Krise nicht beseitigt und dadurch entsprechende Gläubigerentscheidungen nur quotenorientiert erfolgen: 18 Der Insolvenzverwalter/Sachwalter »schaut im Verfahren mal vorbei«, »repariert« den Insolvenzgrund und verabschiedet sich wieder, der (eigenverwaltende) Schuldner/Gesellschafter bedankt sich und wurschtelt weiter.

Da könnte man sagen: Ein Glück, dass die Restrukturierungsrichtlinie keine Beschränkung auf diese Sanierungsform vorsieht, im Gegensatz zu den mehrheitlich veröffentlichten deutschen Erwartungen. Die Richtlinie öffnet den Kanon der Sanierungswege ausdrücklich für operative Maßnahmen (Art. 2, Erwägungsgrund 2). Auch im Rahmen der vorinsolvenzlichen – künftig gesetzlich zu regelnden – Restrukturierung liegt aber die Entscheidung bei den Gläubigern, die via Zustimmung oder Ablehnung zum Restrukturierungsplan darüber zu entscheiden haben werden, ob eine kurzfristig angelegte Sanierung genügt. Die »Strafe« bei Misslingen im Wege der Anfechtbarkeit von Honoraren, Sanierungsbeiträgen und Lieferantenbezahlungen (»Transaktionen«) ist durch Art. 17, 18 RL (zumindest solange materielle Insolvenz noch nicht eingetreten ist, Art. 17 Abs. 3, Art. 18 Abs. 3 RL) zudem begrenzt. Das zukünftige Restrukturierungsgericht wird erst auf Anrufung eines überstimmten Gläubigers gem. Art. 14 RL einschreiten können. Zu prüfen wird dann außerhalb des Falls eines Cram-downs die Verletzung des Gläubigerinteresses im Wege der Schlechterstellungsprüfung i. S. v. Art. 2 Abs. 1 Nr. 6 RL sein. Vergleichsbasis ist die Liquidation nach nationalem Recht oder das »nächstbeste Alternativszenario, wenn der Restrukturierungsplan nicht bestätigt wurde«. Hierzu wird es Aufgabe findiger Gläubiger sein, die Nachhaltigkeit des vorgeschlagenen Sanierungsszenarios zu bezweifeln und darzulegen, dass sie als Dauergläubiger eine bessere Befriedigungsperspektive bei höher wahrscheinlicher Nachhaltigkeit der Sanierung hätten und dafür einen Alternativplan vorlegen. Das Gericht darf dann Sachverständige zur Bewertung einsetzen (Art. 14 Abs. 2 RL). Es mag sein, dass dies dann langfristig dazu führt, dass leistungswirtschaftliche Sanierung mit belastbaren Planverprobungsrechnungen der Regelfall wird statt einer »Durchlauferhitzer«-Sanierung. 19 Das würde auch i. d. R. die vollständige Ersetzung der bisherigen Unternehmensleitung erfordern 20 – ein Thema, das im Insolvenzverfahren, besonders bei Eigenverwaltung, häufig gescheut wird. Ansonsten müsste der Gesetzgeber zur Sicherstellung von Nachhaltigkeit die InsO um ein ausdrückliches Sanierungsziel in § 1 InsO erweitern und zu dessen Umsetzung Nachsorgemaßnahmen treffen. 21 Man darf also gespannt sein, wie viele Folgeinsolvenzen es dazu noch braucht. «

17 So z. B. Stockhausen laut INDat Report 04_2015, S. 19; J. Brinkmann, hww-ESUG-Radar 2015, INDat Report 04_2015, S. 36. 18 Siehe Reckenzaun, ZInsO 2014, 2030, 2033. 19 Dies im Zuge der Umsetzung der RL fordernd Plathner, Beil, NZI 2019, 65; Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 226, 237, 243. 20 Siehe Cranshaw/Portisch, ZInsO 2020, 226, 244. 21 Siehe Paul, INDat Report 08_2019, S. 36.

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