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Konzert mit Mutter und Töchtern Diskussionsveranstaltung des Berlin/Brandenburger

Im Großen und Ganzen alles beim Alten belassen

Berlin. Der Berlin/Brandenburger Arbeitskreis für Insolvenzrecht e. V. hatte am 20.02.2020 zu einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung eingeladen, die die mögliche Reform des Überschuldungsbegriffs behandelte. Nach dem Impulsvortrag von Prof. Dr. Lars Klöhn, der sich mit dem Thema bereits eingehend für ein Gutachten befasst hatte, kam es wie gewünscht zu einer angeregten Diskussion mit den Sichtweisen der Sanierungsberatung, der Banken und der Insolvenzverwaltung auf den Überschuldungstatbestand.

Text: Rechtsanwalt Martin Horstkotte, RiAG a. D., Of Counsel bei Dentons Europe LLP, Berlin

Nachdem RiAG Dr. Thorsten Graeber nach rund zwei Jahrzehnten als Vorsitzender des Berlin/Brandenburger Arbeitskreises für Insolvenzrecht e. V. nicht mehr zur Verfügung stand und Sybille Pursche ihr Amt als Vorstandsmitglied zur Verfügung stellte, gab es einige Veränderungen auf Vorstandsebene: Weiter an Bord sind die Altgedienten, Prof. Dr. Christoph G. Paulus, früher Ordinarius an der Humboldt-Universität zu Berlin, nunmehr Of Counsel bei White & Case in Berlin, als neuer Vorsitzender und die in Sanierungsberatung und Restrukturierung tätigen Rechtsanwälte Andreas Ziegenhagen und Dr. Matthias Lenhardt als weitere Vorstandsmitglieder. Mit RA Prof. Dr. Torsten Martini kam ein weiterer Praktiker hinzu; die Klammer zur gerichtlichen Insolvenzpraxis bildet der in der Insolvenzabteilung des AG Charlottenburg tätige Berliner Diplom-Rechtspfleger Tommy Ziersch. Diese veränderte Zusammensetzung bietet die Möglichkeit, Rahmen und Fokus der Veranstaltungen des Arbeitskreises neu zu justieren: weg vom Frontalvortrag hin zu einer Einbindung des fachkundigen Publikums durch Impulsvorträge und (Panel-)Diskussionen. Auch weiterhin sollen Lehre, Wissenschaft und Praxis in einen Dialog gebracht werden und noch mehr als bisher soll der Arbeitskreis die Begegnung der auf diesem Gebiet aktiven Player – vulgo das Networking – auch abseits der üblichen Hotspots Köln, Hamburg und Frankfurt am Main – ermöglichen.

Am 20.02.2020 fand als Auftaktveranstaltung im neuen Format und in gewisser Weise als Relaunch der Vortrags- und Diskussionsangebote des Arbeitskreises eine Podiumsdiskussion unter Beteiligung des Auditoriums zum Thema »Reform des Überschuldungsbegriffs?« im Berliner Ellington Hotel statt. Insbesondere die Vorstandsmitglieder des Veranstalters waren gespannt, in welchem Maße das neue Format auf das Interesse des Fachpublikums treffen würde. Sie wurden nicht enttäuscht. Der Saal war vollständig gefüllt; es mussten noch weitere Sitzmöglichkeiten herbeigeschafft werden.

Nach einer kurzen Begrüßung durch den neuen Vorsitzenden des Vorstands Paulus übernahm Ziegenhagen die weitere Moderation und stellte einleitend den Referenten des Abends, Prof. Dr. Lars Klöhn, sowie die Diskutanten auf dem Panel, Peter Wiegand (Wirtschaftsprüfer/Berater, KPMG), Mathias Hartig (Berliner Sparkasse) und in Vertretung für den angekündigten, an der Teilnahme allerdings krankheitsbedingt verhinderten RA Dr. Christoph Schulte-Kaubrügger Torsten Martini vor. Klöhn ist seit dem 01.03.2016 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein umfangreiches Schrifttumsverzeichnis weist eine bemerkenswerte Breite seiner wirtschaftsrechtlichen Forschungsgebiete unter Einschluss insolvenzrechtlicher Themen mit einer gewissen Schwerpunktsetzung im Kapitalmarktrecht auf. 1 In leichter Abwandlung vom Inhalt der Ankündigung war sein Impulsreferat überschrieben mit der Frage: »Abschaffung der Überschuldungsregelung?« Hergeleitet war dieser Vortrag teilweise aus einem Gutachten, das der Referent dem Gravenbrucher Kreis erstattet hatte und das bereits Anfang des Jahres veröffentlicht wurde. 2 Um das Ergebnis sogleich vorwegzunehmen: Klöhn verneint diese Frage und macht sich für eine Beibehaltung des gegenwärtigen Überschuldungstatbestands als das Ergebnis – so jedenfalls das Verständnis des Verfassers dieses Berichts – einer modifiziert zweistufigen Prüfung stark. 3 Auch sei eine Änderung des Begriffsinhalts durch einen gesetzgeberischen Akt nicht zwingend erforderlich.

Hier soll der Versuch unternommen werden, die tragenden Begründungsansätze für das gefundene Ergebnis gerafft und ggf. ergänzt um einen Kommentar des Verfassers dieses Berichts wiederzugeben, was – das ist der Vorgabe eines Veranstaltungsberichts geschuldet – an der einen oder anderen Stelle zur Unvollständigkeit oder Vereinfachung der Darstellung des Gedankengangs nötigt.

1 Näheres zum Referenten findet sich unter www.rewi.hu-berlin.de/de/lf/ls/kln. 2 Vergleiche ZRI 2020, 2; ob bearbeitet oder unbearbeitet, ist dem Verfasser nicht bekannt. 3 Weitergehend Bork (ZIP-Sonderheft, Beilage zu Heft 43/2019, S. 1 ff.), der sich für die Rückkehr zum herkömmlich zweistufigen Begriff der Überschuldung ausspricht.

Prof. Dr. Lars Klöhn

Das in Erwägungsgrund 24 der Richtlinie (EU) 2019/1023 (»Restrukturierungsrichtlinie«) angesprochene Abstandsgebot erfordert nach Auffassung von Klöhn keine randscharfe Abgrenzung des Zeitraums, der für ein Verfahren nach der Restrukturierungsrichtlinie zur Verfügung steht, und dem Eintritt der Überschuldung nach gegenwärtigem Inhaltsverständnis als verpflichtendem Insolvenzantragsgrund. Die europarechtliche Vorgabe erlaube einen Überschneidungszeitraum, in dem Insolvenzwahrscheinlichkeit vorliegt, obwohl objektiv bereits Überschuldung eingetreten ist. Zu diesem Ergebnis gelangt der Referent mit Hilfe von Art. 14 der Restrukturierungsrichtlinie, wonach eine Bewertung des schuldnerischen Unternehmens, die die Feststellung einer Überschuldung beinhalte, durch die Justiz- oder Verwaltungsbehörde nur in den dort genannten Fällen (Ablehnung eines Restrukturierungsplans durch eine betroffene Partei) zulässig sei. Das erscheint durchaus überraschend, wird dem Überschuldungsbegriff somit ein aus dem Verfahrensrecht entlehnter Inhalt gegeben. Im Ergebnis differenziert der Referent daher augenscheinlich zwischen – vergröbert ausgedrückt – einer evident eingetretenen Überschuldung und einer für die Zugänglichkeit zum Verfahren nach dem Restrukturierungsrahmen unschädlichen Überschuldungsfeststellung aufgrund Sonderwissens. Da Letzteres außenstehenden Dritten fehle, sei schon wegen der Voraussetzungen gem. § 14 InsO nicht mit »schädlichen« auf eine eingetretene Überschuldung gestützten Insolvenzanträgen von Gläubigern zu rechnen.

Die Zäsur zwischen dem Zeitraum, der für ein Verfahren nach der Restrukturierungsrichtlinie zur Verfügung steht, und einem unumgänglichen Insolvenzverfahren aufgrund Überschuldung, ohne dass zugleich eine Zahlungsunfähigkeit vorliegt, bildet nach Auffassung des Referenten der Zeitpunkt, in dem das Ergebnis einer (fakultativen – sic!) Bestandsfähigkeitsprüfung gem. Art. 4 Abs. 3 der Restrukturierungsrichtlinie negativ ausfällt. Dieser sei regelmäßig zwischen dem Eintritt von drohender Zahlungsunfähigkeit und zeitgleich Überschuldung einerseits und Zahlungsunfähigkeit andererseits zu verorten. Zur Gewährleistung eines i. S. d. Effet-utile-Prinzips wirksamen Zugangs zu einem vorinsolvenzlichen Restrukturierungsrahmen gem. dessen Art. 4 Abs. 1 sei es zudem geboten, vor dem Hintergrund der Fortbestehensprognose auch den zu erwartenden Erfolg eines Restrukturierungsverfahrens zu berücksichtigen. 4 Solange dessen Prüfung nicht abgeschlossen sei, sei auch der

3-Wochen-Zeitraum i. S. v. § 15 a Abs. 1 InsO noch nicht angebrochen. 5 Wenn dessen Ergebnis indes nicht mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit als Erfolg versprechend angenommen werden kann, dürfte wohl ein Zugang zum Restrukturierungsverfahren nicht mehr möglich sein. 6 Mithin bedürfe es einer Änderung des Begriffsinhalts der Überschuldung nicht. Allenfalls zur Vermeidung des »Restrisikos« einer pflichtwidrigen Versäumung der Stellung eines Eigenantrags könne beispielsweise an eine Verkürzung des relevanten Zeitraums für die anzustellenden Fortbestehens- oder (synonym) insolvenzrechtlichen Fortsetzungsprognose gedacht werden. 7 Auch rechtspolitisch sei es wünschenswert, am Fortbestand der Überschuldung als ein das gesetzeskonforme Verhalten zur verpflichtenden Stellung eines Insolvenzantrags motivierendes Momentum festzuhalten. Als eines unter mehreren Beispielen führte Klöhn die Schutzwirkung des Überschuldungstatbestands im Szenario des Verlangens der Rückzahlung eines für den Fall der eintretenden Überschuldung subordinierten Darlehens an: Führe die Rückzahlung nicht als solche bereits zur Zahlungsunfähigkeit, allerdings zu einer relevanten Liquiditätsunterdeckung im Rahmen der anzustellenden Fortführungsprognose (hier und wohl allgemein zu verstehen als Zahlungsfähigkeitsprognose), so könne einem solchen Verlangen kein Leistungsverweigerungsrecht entgegengehalten werden.

Die Überschuldung als Mittel zur Minimierung einer Risikoverlagerung

Der zweite Teil des Vortrags von Klöhn sollte dann in der Tat eine veritable Herausforderung für die Aufnahmefähigkeit wesentlicher Teile des Auditoriums werden: Verschiedene finanzmathematisch inspirierte Beispiele verdeutlichten u. a. die Methode zu Berechnung der Vorteilhaftigkeit von Sanierungsoptionen im Rahmen eines durch sie beeinflussten Szenariums einer Fortführungsprognose. Seine These: Aufgrund der beschränkten Gesellschafterhaftung komme es in der überschuldeten Gesellschaft zu einer asymmetrischen Teilnahme an den Chancen und Risiken der Un

5 Zur Vermeidung einer Ausuferung wird man – wenn man denn geneigt ist, diesem Ansatz zu folgen – wohl anzunehmen haben, dass die verantwortliche Prüfung mit zumutbarer Beschleunigung zu erfolgen hat. 6 Zur Bedeutung der Erfolgsaussicht einer Sanierung für das Prognoseergebnis beispielhaft Schröder in HambKomm, 7. Aufl., § 19 InsO, Rn. 23 m. w. N. 7 Für eine Abkürzung auf zwölf Monate Brinkmann, NZI 2019, 921.

INDat Report 02_2020 (v. li.) Prof. Dr. Lars Klöhn, RA Prof. Dr. Torsten Martini, Mathias Hartig, WP Peter Wiegand

ternehmensfortführung. Es finde ein »risk shifting« von der Sphäre der Anteilseigner in die Sphäre der Gesamtgläubigerschaft statt: Im Fall eines risikoreichen Sanierungsversuchs hätten Erstgenannte nichts mehr zu verlieren, währenddessen sich die Position der Gläubigerschaft – jedenfalls soweit diese nicht valide gesichert sei – verschlechtere. Die Beibehaltung der Überschuldung als Insolvenzgrund sei geeignet, dem Problem des »gambling for resurrection« entgegenzuwirken.

Einstieg für Restrukturierungsrahmen »nach vorne« ziehen

Klöhn beendete schließlich nach einer unvermeidbaren Überschreitung des avisierten Zeitrahmens seinen lebendigen und die volle Aufmerksamkeit des Auditoriums fordernden Vortrag unter nachhaltigem Applaus. 8 Hieran schloss sich unter Leitung von Ziegenhagen als Moderator eine Runde von Statements der Praktiker auf dem Panel an: Nicht wirklich überraschte die Einschätzung von Wiegand, der auf ein – vorsichtig ausgedrückt – »Erkenntnisgefälle« hinsichtlich der Sensibilität für die Überschuldung als Antragsgrund zwischen kleinen und professionell aufgestellten Unternehmen der mittleren oder großen Klassen hinwies. Sowohl die mit der Fortführungsprognose vorzunehmende Prüfung der zukunftsbezogenen Zahlungsfähigkeit als auch – dem ggf. nachfolgend – die Berechnung einer insolvenzrechtlichen Unterdeckung weisen eine Vielzahl von Detailproblemen auf. Der nach seiner Auffassung zu beachtende Prognosezeitraum von zwei Jahren nötige dazu, einen Einstieg in eine Sanierung unter den Bedingungen des Restrukturierungsrahmens »nach vorn« zu ziehen.

Hartig stellte aus Bankensicht zunächst fest, dass die Wahrnehmung, ein Kreditnehmer sei überschuldet, immer eine entsprechende Information durch den Kunden voraussetze. Diese (gemeint gewesen sein dürfte wohl eine sich aus der Rechnungslegung des Unternehmens ergebende rechnerische Vermögensunterdeckung) sei für die Bank in erster Linie Anlass, den Kunden zu einer fachkundigen Untersuchung zu veranlassen. Angespro

chen auf den Zeitrahmen sprach auch er sich für eine Vorverlagerung des Zugangs zu einer Sanierung im Restrukturierungsverfahren aus. Martini aus der Sicht des Insolvenzverwalters befragt zeigte sich hinsichtlich des von Klöhn für möglich gehaltenen Überschneidungsbereichs zwischen noch bestehender Zugangsfähigkeit zu einer Sanierung auf der Grundlage des Restrukturierungsrahmens und einer zur Insolvenzantragstellung nötigenden Überschuldung zurückhaltend im Hinblick auf eine dann erforderliche Harmonisierung mit dem System des Kapitalund Liquiditätsschutzes. So greife § 64 GmbHG ja unmittelbar und nicht erst nach Ablauf der 3-Wochen-Frist. Auch würde er einer Abschaffung der Überschuldung nicht von vornherein ablehnend gegenüberstehen, wenn denn gewährleistet wäre, dass durch Instrumente valider Handelndenhaftung eine entsprechende Massemehrung gewährleistet wäre. Da genau das aber zweifelhaft sei, habe er durchaus Sympathie für die von Prof. Dr. Reinhard Bork favorisierte Rückkehr zur klassisch zweistufigen Prüfung der vermögensmäßigen Unterdeckung im Rahmen der Überschuldungsprüfung 9 , nötige diese doch in aller Regel zu einer noch frühzeitigeren und daher regelmäßig masseschonenden Insolvenzantragstellung. Ganz unabhängig hiervon stelle er aber fest, dass die Organe der betroffenen Schuldner sich über Fragen der Überschuldung selten Gedanken gemacht hätten.

Bedauerlicherweise, aber – das wird man konzedieren müssen – nicht untypisch verblieb für eine weitere Diskussion unter Einbeziehung des Auditoriums nur noch eingeschränkt Zeit. Aber auch die in diesem Zusammenhang geäußerten Stellungnahmen ließen deutlich erkennen, dass das zur Diskussion gestellte Thema von lebhaftem Interesse für alle Beteiligten war. Ihren Abschluss fand die überaus gelungene Veranstaltung bei einem Get-togethers aller Interessierten bei Fingerfood und Getränken zur weiteren Diskussion des Veranstaltungsthemas, zu anderen Fachfragen oder auch nur zum Austausch im Rahmen des Networkings. Es bleibt zu wünschen und zu hoffen, dass dieser initiale Erfolg sich bei weiter geplanten Veranstaltungen des Arbeitskreises fortsetzt. 10 «

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