Standpunkt
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Folgeinsolvenz: Nur Ärgernis oder bald Regelfall? »Zum dritten Mal insolvent«, »XY muss erneut Insolvenz anmelden« – in fast jedem der Pressespiegel, die dankenswerterweise in so mancher insolvenzrechtlichen Fachzeitschrift enthalten sind, können solche Meldungen gefunden werden. Es handelt sich hierbei nicht nur um prominente Fälle1, sondern auch um eine Vielzahl kleiner und mittelständischer Unternehmen. Die sog. Folgeinsolvenz ist als Begriff fachwissenschaftlich zwar nicht definiert, i. d. R. wird man von einer solchen aber in zwei Varianten sprechen können: Das schuldnerische Unternehmen selbst fällt erneut in Insolvenz (oder ein hinsichtlich des Rechtsträgers im Zuge der Beendigung nur leicht verändertes Unternehmen) oder aber das im Zuge des Asset Deals übernehmende Unternehmen fällt nunmehr seinerseits in die Insolvenz (ein solcher Fall liegt jüngst der Insolvenz eines großen Hamburger Autohändlers zugrunde). Auch der zeitliche Zusammenhang der beiden Insolvenzfälle, um noch mit Fug und Recht von einer Folgeinsolvenz sprechen zu können, ist undefiniert. Aus der vom Verfasser geführten (nicht empirisch repräsentativen) Liste aus Presseauswertungen ergibt sich über die Jahre seit 2013 ein durchschnittlicher Zeitraum von anderthalb bis zwei Jahren bis zum »Rückfall«. Dies ist nicht überraschend: Eine operative Sanierung soll je nach Geschäftsmodell zwischen drei und fünf Jahren dauern.2 Der IDW S 6 zeigt teilweise sogar längere Zeithorizonte auf.3 Von einem sanierten Unternehmen ist daher nach betriebswirtschaftlicher Betrachtung erst nach einem Konsolidierungsprozess, der dem Stresstest der Marktwirklichkeit standgehalten hat, auszugehen. Fraglich, ob dies mit den derzeitigen schuldnerseitigen Erwartungen zum Insolvenzverfahren harmoniert. Folgeinsolvenz – in diesem Sinne und Zeitkorridor verstanden – ist von den Folgen her die Widerlegung der Sanierungshoffnungen, die mit der Reform der InsO verbunden waren. Sie führt zu enttäuschten Erwartungen bei Arbeitnehmern, Kunden und Lieferanten sowie Bankengläubigern, verunmöglicht i. d. R. eine nochmalige Insolvenzgeldvorfinanzierung und erzeugt mit 1 Siehe INDat Report 09_2019, S. 17 ff. 2 Siehe Steffan, ZIP 2016, 1712 f. 3 Siehe Frind, ZInsO 2015, 2249 ff.
der Notwendigkeit, den gesamten Ablauf des Erstverfahrens anfechtungs- und haftungsrechtlich im Zweitverfahren zu überprüfen4, für Insolvenzverwalter/Sachwalter und alle Beteiligten mehr als missliche Situationen. Fehlen jeglicher empirischer Beobachtung In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber nicht spätestens mit dem Inkrafttreten des ESUG durch Implementierung entsprechender regelhaft von der Insolvenzverwalterschaft zu beantwortenden Anfragen nach Eröffnung im Insolvenzstatistikgesetz dafür Sorge getragen hat, zumindest für die Beantwortung der Frage nach der Erfüllung nachhaltiger Sanierung durch das deutsche Insolvenzverfahren zweier markanter Daten zu sorgen: die Angabe, ob der Insolvenzantrag rechtzeitig i. S. d. zeitlichen Einhaltens der Antragsfrist nach § 15 a InsO gestellt worden ist, und die Angabe, ob dem jeweiligen Insolvenzverfahren bereits ein eröffnetes Insolvenzverfahren über den gleichen oder gesellschaftsrechtlich »verwandten« Rechtsträger vorausgegangen ist. Beide Umstände wären für den jeweiligen Insolvenzverwalter leicht mitteilbar: Er muss im Insolvenzeröffnungsgutachten nach den Standards des VID e. V. und des BAKinso e. V. ohnehin i. d. R. den Zeitpunkt des Eintritts der materiellen Insolvenz (zumindest zeitraummäßig) dingfest machen und er muss zudem die gesellschaftsrechtliche Vita des Schuldnerunternehmens im Gutachten darlegen. Hätten wir im Jahr 2020 solche Daten seit 2013 vorliegen, könnte die Frage des Erfolgs von Insolvenzverfahren zumindest deutlich valider beantwortet werden. Der Gesetzgeber hatte in der Begründung des ESUG, das ja die Sanierungsfähigkeit des deutschen Insolvenzrechts fördern sollte, ausdrücklich als Ziel den frühzeitigeren Insolvenzantrag genannt5 – die Zauberformel hieß: frühzeitiger Antrag = frühzeitigere Sanierung = erfolgreiche Sanierung.
4 Siehe jüngst Frind, ZInsO 2020, 390 f. 5 Siehe BT-Drs. 17/5712, S. 19, 38, 39, 40, 58, 70.
*Der Verfasser ist Vorstandsmitglied des Bundesarbeitskreises Insolvenzgerichte (BAKinso e. V.).
Foto: Friedrich Stark
INDat Report 02_2020
von Richter am Amtsgericht Frank Frind*

















