alpenblick, Ausgabe 3/2022

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Interview

Ein echtes Stück Allgäu – die Sennerei in Gunzesried Das Sennen gehört zum Allgäu wie die Schellen zur Kuh von Margrit Schönberg Zwischen Tennenmooskopf und der Nagelfluhkette mit Stuiben und Steineberg erstreckt sich das Gunzesrieder Tal. Im Sommer sind Blaichach und Gunzesried ein beliebtes Wandergebiet; im Winter reizt die Traumlandschaft des Gunzesrieder Tals und Ostertals für Schneeschuhwanderungen, Skilanglauf, Skitouren oder für einfache Winterwanderungen. Viele Mitglieder der Sektion Augsburg haben hier schon schöne Tage auf unserer Otto-Schwegler-Hütte verbracht. Gunzesried – ein Dorf auf 900 m Höhe hat seine Seele behalten. Alte Häuser, mit Schindeln verkleidet, bestimmen das Dorfbild. Ein Anziehungspunkt ist die Sennerei in der Dorfmitte, es führt kein Weg an ihr vorbei. Hier ist ein „Stop“ unbedingt einzulegen! Der Senner, Geschäftsführer und Rechner der Sennerei Peter Haslach war bereit, uns einige Fragen zu beantworten: Seit wann gibt es die Sennerei in Gunzesried? Unsere Sennerei ist die älteste durchgehend produzierende in Bayern. Sie wurde vor über 125 Jahren gegründet. Sie ist eine Genossenschaft und seit ihrer Gründung am 4. Januar 1892 im

Im Keller der Sennerei lagern rund 1.200 Käselaibe.

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Besitz der heimischen Bauern. 40 Bauern schlossen sich damals zusammen. Mit ihrer langen, erfolgreichen Geschichte ist sie identitätsstiftend für die Region. Die Sennerei hält die Landwirtschaft am Leben und prägt dadurch die dörfliche Gemeinschaft Was war der Auslöser für den Aufbau der Sennerei? Eigentlich fand eine Revolution statt? Ja, wenn man es genau bedenkt, stimmt das. Unsere Sennerei ist ein wichtiger Teil der „grünen Landwirtschaft“ im Allgäu, wie der Geschäftszweig rund um die Milch- und Käseproduktion genannt wird. Das war nicht immer so. Bis vor rund 200 Jahren bauten die meisten Bauern Flachs an. Lange Zeit bestimmten die blauen Blüten der Pflanze unser Landschaftsbild. Doch im 19. Jahrhundert wendete sich das Blatt: Die Flachsanbauer konnten nicht mehr mit der billigen amerikanischen Baumwolle konkurrieren. Da reformierte ein vorausschauender Großbauer und Agrarreformer die Wirtschaft im Allgäu: Carl Hirnbein sagte zu den Grundbesitzern, sie sollten lieber Milch produzieren und diese zu Käse verarbeiten. So etablierte er mit viel Überzeugungsarbeit und Tatkraft ein neues Geschäftsfeld. Kleine Sennereien entstanden. Jedes Dorf hatte eine eigene Sennerei. Es gab mal in Schwaben 1.000 Sennereien. Aus der blauen wurde die grüne Landwirtschaft und das Allgäu zum „Käseland“, das mittlerweile in der ganzen Welt bekannt ist. Ob im Biergarten um die Ecke oder im Wirtshaus – fast auf jedem Brotzeitbrettl findet sich der Allgäuer Käse wieder. Unsere Sennerei wurde damals gegründet und hält sich bis heute. Viele andere haben aufgegeben oder sich

zu großen Molkereien zusammengeschlossen. Warum hat sich die Sennerei in Gunzesried gehalten? Was ist ihr Geheimnis? Bis heute hält die Sennerei mit ihrer Käseproduktion die örtliche Landwirtschaft am Leben und sichert die Zukunft der Landwirte vor Ort. Hier macht ein ganzes Dorf Käse, vom Senner über die Verkäuferin im Laden bis hin zu den zwölf Landwirten, die mit ihrer Milch den Rohstoff für die Käseproduktion liefern. Alle arbeiten Hand in Hand und halten zusammen. Keine langen Transportwege! Alle Milchkühe bleiben auch im Sommer hier auf den Weiden vor Ort. Auf den Alpen der Nagelfluhkette verbringt das Jungvieh den Sommer. Herr Haslach, Sie sind einer dieser Landwirte, Geschäftsführer und Rechner der Sennerei. Wieviel Milch verarbeiten Sie täglich? Was produzieren Sie daraus? Wir verarbeiten ausschließlich Milch aus dem Gunzesrieder Tal, insgesamt um die 1,3 Millionen Liter pro Jahr. Jeden Tag verarbeiten wir 3.000 bis 4.500 Liter Milch. 17 Sorten Käse produzieren wir. Am besten geht der Bergkäse. Rund 1.200 Laibe Bergkäse von je 30 Kilogramm Gewicht werden produziert. Sie lagern im Keller und müssen durchschnittlich zweimal in der Woche geschmiert werden, das bedeutet: Sie werden aus dem Regal genommen, gewendet und mit Salzwasser abgerieben. Es wird zwischen jungem und altem Bergkäse unterschieden. Der alte Bergkäse kann bis zu 24 Monaten gelagert sein. Unser Warensortiment umfasst weitere Milchprodukte wie Butter, Joghurt, Quark usw. Wer sind Ihre Kunden? Ein großes Standbein ist der Direktverkauf in unserer Sennerei. Wir haben viel Laufkundschaft; d. h. Touristen, die das Gunzesrieder Tal besuchen, wandern etc. Der Selbstvermarktungseffekt führt dazu, dass unsere Preise moderat blei-

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