alpenblick, Ausgabe 3/2021

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Reportage

Spaghetti al Dente: Monte-Rosa-Durchquerung mit Biss von Laura Jantz-Klinkner

Fotos: Laura Jantz-Klinkner und Vikki Schaefer

Schritt für Schritt. Einatmen. Ausatmen. Die Steigeisen finden guten Halt. Noch ein Schritt. Bloß nicht nach unten schauen oder gar über dieses Unterfangen nachdenken. Ein Fehltritt, eine Unachtsamkeit, ein Stolperer bedeuten den sicheren Absturz. Erste Löcher im überwechteten Grat. Vor uns liegen noch einige Kletterstel– len im IIer- bis IIIer-Gelände. Mit Steigeisen – das habe ich bisher nicht so oft gemacht. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ist die Dufourspitze nicht doch eine Nummer zu groß für mich? Einige Wochen vorher: „Hi Laura, Lust auf eine Woche Hochtouren in der Schweiz, Ende Juli? LG Vikki“, dazu ein Link. Als ich die Beschreibung der vorgeschlagenen Tour im Monte-RosaMassiv lese, muss ich zunächst schmunzeln: Sie wird „Spaghetti-Runde“ genannt, da sich Start und Ende zwar in Zermatt befinden, man aber zwischendurch mehrheitlich auf italienischen Hütten übernachtet und dort mit Unmengen an Pasta verköstigt wird. Das hört sich schon mal gut an! Weiter heißt es, man könne dort „Viertausender sammeln“, bis zu zwölf Stück in fünf Tagen. Darunter anspruchsvolle Gipfel wie Liskamm oder Dufourspitze, doch auch leichtere Ziele wie die Vincentpyramide, die man quasi im Vorbeigehen mitnehmen kann. Ich schaue mir ein paar Videos im Internet an – und erschaudere. Grate, die gerade einmal breit genug sind, um einen Fuß vor den nächsten zu setzen. Steile Eis- und Firnflanken.

Schmale Gletscherbrücken. Natürlich weiß ich, dass Videos von Helmkameras nie repräsentativ sind und Steilheiten dabei immer extremer aussehen, als sie tatsächlich sind. Aber ich muss trotzdem schlucken. Reicht meine Hochtourenerfahrung für so etwas aus? Habe ich die Nerven für diese Ausgesetztheit? Bin ich konditionell fit genug? Ich möchte auf keinen Fall in der Statistik der Bergrettung auftauchen – weder als Absturzopfer noch als „vollkommen überforderte Bergsteigerin (32) aus Augsburg“. Die weitere Recherche beruhigt mich wieder: Von den ersten Hütten könnte man notfalls allein und ohne Gletscherkontakt ins Aostatal absteigen, auch müsse man nicht alle Gipfel mitnehmen. Es gibt also genug ExitOptionen. Nun bin ich wirklich angefixt. Mein Mann bestärkt mich: „Mach das! Ich sehe dir doch an, dass du eigentlich Bock drauf hast!“ – also sage ich zu. Noch einmal Komfortzone Die Tour beginnt zunächst recht komfortabel mit einer Übernachtung im Hotel „Bergfreund“ in Herbriggen. Die Wirtin, mit Verweis auf die aktuellen Corona-Geschehnisse nach eigener Aussage „81 Jahre und sechs Monate alt und nicht einen Tag im Leben krank gewesen!“, empfängt uns freundlich. Hier kennt man sich mit SpaghettiAspirant*innen aus, das Hotel ist bei Bergführer*innen und ihren Gruppen ebenfalls beliebt. Bei Panaché (Radler) und feinem Essen werfen wir – Vikki, Laura & Laura und Joachim – einen

Blick auf Karte und Material, planen den Transfer nach Zermatt und sortieren unsere Futtervorräte. Eigentlich habe ich bei Bergtouren ja immer dauerhaft Hunger und musste schon so manches Mal Traubenzucker einwerfen, obwohl der Gipfel bereits in Reichweite war. Aber ich kann ja schlecht zehn Kilo Essen mitschleppen! Ich orientiere mich an Vikkis „Ein-Riegel-Taktik“ und kann mich immerhin zu einer Reduktion des Fresspaketes auf anderthalb Riegel pro Tag durchringen. Weniger ist nicht drin, sonst verhungere ich garantiert. Wir genießen die vorerst letzte Nacht in richtigen Betten mit flauschiger Bettwäsche und duschen noch einmal ausgiebig – und ich bin jetzt schon neidisch auf Joachims praktischen Kurzhaarschnitt. Zwar bin ich auf Reisen auch mal länger ohne fließendes Wasser ausgekommen, aber mir graut vor einer Woche mit „Helmfrisur“ und ohne Haarewaschen. Wenn ich zu dem Zeitpunkt gewusst hätte, welche anderen alpinen Herausforderungen mir bevorstehen … Warm-Up am einfachsten Viertausender der Alpen Am nächsten Morgen starten wir gemütlich mit dem hoteleigenen Shuttlebus nach Zermatt. Von dort geht es per Seilbahn zum Klein Matterhorn und wir reihen uns in die Spur aufs Breithorn ein. Dieser Berg gilt als der einfachste Viertausender der Alpen. Die Vielzahl an Seilschaften stört jedoch kaum, da wir die Tour bewusst entspannt angehen wollen. Oben stehen wir sogar kurz allein am alpenblick 3 | 2021

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