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Gastkommentar

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Kurz gemeldet

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Eine Hütte muss es sein!

War es Zufall, Fügung oder Vorbestimmung? Auf jeden Fall war es ein glücklicher Augenblick, als ich mich im Februar 1978 am Stuiben entschloss, Hüttenwirt auf der Oberreintalhütte bzw. auf der Stuibenhütte zu werden. Jenem Augenblick verdanke ich eine für mich völlig neue Lebensform. 2021 feiere ich mein 40-jähriges Hüttenwirtsjubiläum.

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In den Sommerferien 1961 hatten mich meine Eltern auf das Gimpelhaus in den Tannheimer Bergen bringen dürfen. Das ging deshalb, weil hier mein Vater als Elektromeister öfters Installationen zu bewerkstelligen hatte. Ich erinnere mich noch so gut daran, wie Kletterer spät abends auf das Gimpelhaus zurückkamen, müde, ausgelaugt, aber glücklich nach einer überstandenen Erstbegehung am Hochwiesler, wie sie danach im Bergsteigerstüble saßen und die Tour Revue passieren ließen. Hier fand es statt, das wahre Leben in den Bergen. Was war da dagegen die eigentliche Gaststube und erst recht der Saal, wo Fußball- und Kegelvereine im Alkoholkonsum Berglieder zweckentfremdet grölten und den Raum mit Zigarettenqualm vollwaberten. Schon damals nahm ich in mir auf, wie unterschiedlich Bergromantik gelebt wird.

Noch während der Lehrzeit begannen mein jüngster Bruder Siggi und ich mit den ersten Klettereien auf der Schwäbischen Alb, auch die Ziele in den Alpen häuften sich nun genauso wie Übernachtungen auf verschiedenen Berghütten. Ich kann es nicht genau erklären, aber es muss mit meinen Bergferien auf dem Gimpelhaus zu tun haben. Hüttenerlebnisse speicherte ich fortan minutiös ab: Wie ist die Lage der Hütte, ist sie sauber, kalt, romantisch, konservativ? Wie wird sie geführt, autoritär, wie ein Selbstbedienungsladen, freundlich, liberal? Wie ist das Essen, reichlich, appetitlich, teuer?

Gerne erinnere ich mich an manche Abende beim Fischer Franz auf der Tannheimer Hütte, auf der Dreizinnen- und Zigmondyhütte, auf der Grutten – genau- so wie auf der Similaunhütte.

Aber auch negative Erlebnisse prägten meine jugendliche Kletterseele. Als Wanderer, Bergsteiger oder Kletterer wollte ich mich insbesondere nach einer schweren Felstour oder nach einem langen Aufstieg in einer Hütte zuhause fühlen, Geborgenheit spüren. In dem Moment, in dem ich eine Hütte betrat, erklang in mir die Melodie meiner Kindererlebnisse auf dem Gimpelhaus. Gab es harmonische Klänge oder Dissonanzen, verschanzte sich der Hüttenwirt nur in der Küche oder saß er bei den Gästen, war er ein Abzocker oder Pragraphenreiter, hatte er Verständnis, wenn einer seinen AV-Ausweis vergaß? War es einladend, wenn ein Hüttenwirt in penetranter Weise Macht ausübte, wie ich es im Wilden Kaiser erlebte? Was soll eine verschlossene Türe auf einer Schutzhütte, wenn man nachts verschwitzt und müde ankommt und der Hüttenwirt wegen der Verspätung zur Strafe lediglich den dreckigen Eselstall zur Verfügung stellt? Oder wenn man, wie in den Ötztaler Alpen, statt in einem Lager vor der Herrentoilette am Boden nächtigen musste? Nur ein paar Negativbeispiele, die mir in Erinnerung geblieben sind. Da überkam mich schon der Anspruch, es selbst viel besser und menschenfreundlicher zu machen.

Selbst stand ich öfters einer völlig überfüllten Hütte gegenüber, doch jedes Mal gelang es mir, die Lage zu entschärfen, indem ich zum Beispiel ein Vierbettzimmer in ein Lager umfunktionierte, um eben jeden Gast menschenwürdig übernachten zu lassen. Bergunfälle, Unwetter, ganz banale Fragen nach dem Wetter und auch die nach einer Kopfwehtablette, all das und manches mehr beinhaltet der Hüttenwirtsberuf. Der Transport und der Wareneinkauf waren zu organisieren und innerhalb von fünf Minuten konnte es sein, dass zwanzig Fragen auf einmal zu beantworten waren, im Hütten ur oder am Telefon. Das konnte durchaus anstrengend sein. In der Regel ist es aber bis heute so, dass mir das Hüttenwirtsleben größtenteils Freude machte und immer noch macht.

Auch jetzt in Zeiten von Corona gilt es, einen gangbaren Weg zu nden. Die Hüttenbesucher zu betreuen zwischen Abstand und Hygiene, sie aufzumuntern, um ihnen ein paar entspannte Stunden zu bieten. Eine gar nicht so leichte Gratwanderung.

Hauptsächlich waren und sind es die Begegnungen mit täglich neuen Men schen, die Gespräche mit ihnen, die einen Tag spannend machen. Der morgendliche Weckruf, die Teamarbeit in der Küche, das abendliche, gemeinsame Musizieren, ein spannendes Schachspiel oder eine Kletterroute mit einem Freund, Momente, welche einem ungeahnte Kräfte verleihen. Oder die Gesamtorganisation und die Regie, eine große Hütte zu führen, die täglich Überblick und sowohl geistige als auch körperliche Kraft verlangt.

Zahlreiche, glückliche Tage darf ich mein Eigen nennen, ich erlebe sie noch immer, jetzt oben auf der Simmshütte in den Lechtaler Alpen.

Nicht zuletzt lag und liegt das auch daran, dass ich stets eine lange Zeit einem ausgewählten Ort treu blieb und mich mit ihm an schönen und weniger schönen Tagen auseinandersetzte, besonders auch kulturell. Gerade deshalb entstanden daraus einige Bücher und die Ausstellung und Dokumentation „Wände – Grate – Dome“ über die Geschichte des Oberreintals. Dass zahlreiche Mitarbeiter, Weggefährten und Freunde stets dazu ihre Ideen mit einbrachten, erfüllt mich mit Freude und auch ein wenig mit Stolz.

Charly Wehrle

ehemaliger Wirt der Stuiben-, Oberreintal- und Reintalangerhütte, aktueller Hüttenpächter der Frederick-Simms-Hütte, Bergsteiger und Buchautor >> www.charly-wehrle.de

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