2021 05 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

05 21 KAI SPRICHT KLARTEXT ARMUT IST IMMER

CHANCEN FÜR ARME

RAKETE IM KOPF

Fury-Frontmann Wingenfelder über Angst, Kunst und Corona.

FDP-Chef Lindner über Porsche, Minijobs und Wanderarbeiter.

Neuer Staatsvertrag erleichtert mehr Glücksspiel-Sucht.


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Notizblock

6 Angespitzt

Am 1. Juli treten mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 neue Regeln für Automaten, Wetten, Roulette und Co in Kraft. Ein Desaster, sagen Suchttherapeuten.

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Ganz tief durchatmen Allergiker finden im Frühjahr nur an wenigen Orten wirklich Ruhe vor den Pollen. Ganz sicher auf Borkum.

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Die eigene Tür Housing First heißt Wohnen für Obdachlose ohne Bedingungen. In Hannover-Vahrenwald hat das erste landesweite Projekt dieser Art begonnen.

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Aus der Szene

23 Das muss mal gesagt werden 24 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Stefan

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Rund um Asphalt/Impressum

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Briefe an uns

34 Buchtipps

11 Lindner will Chancen

35 Spieletipps

Im September wird gewählt. Wir fragen die SpitzenpolitikerInnen der demokratischen Parteien. Monat für Monat. Es geht um Wohnen, Arbeit, Armut, um Lösungen. Im Mai: Christian Lindner.

38 Silbenrätsel

36 Kulturtipps

39 Brodowys Ausblick

Titelbild: picture alliance / Geisler-Fotopress | Andre Havergo/Geisler-Fotopress

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Rakete im Kopf

Das Asphalt-Prinzip

30 Armut geht uns alle an

Im Asphalt-Interview spricht Fury in the Slaughterhouse-Sänger Kai Wingenfelder über Hoffnung in chaotischen Zeiten, soziales Engagement und Rock’n’Roll als Lebensgefühl.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


Foto: Markus Lampe

sind Sie anfällig? Ich schon. Jeden Morgen gehe ich auf dem Weg zur Arbeit an der Spielbank vorbei, zweimal war ich in den letzten Jahren sogar drin. Und ich war erschrocken fasziniert, wie schnell man dort viel Geld verlieren kann. Gewinner sah ich nicht. Ich habe auch verloren, zum Glück hatten wir uns vorab ein Limit gesetzt – aber die verlorenen zehn Euro einmal zurückzuholen, das reizt mich schon. Und jetzt stelle ich mir vor, ich wäre jünger, muss anders als in einer Spielbank keinen Personalausweis vorzeigen. Ich stelle mir vor, ich muss nirgends hingehen, sondern kann online eine Wette nach der anderen, etwa auf das nächste Tor gegen Bayern, abschließen. Oder eben von Bayern. Erfolg, Misserfolg in kurzer Abfolge, ich erlebe was. Und das alles zu Hause vor dem heimischen PC. Erlebnisse in der Schule fallen weg, Sport findet in diesen Zeiten nicht statt, aber wenn selbst Olli Kahn für Sportwetten wirbt … Es geht so leicht, zu leicht. Die Folgen? Mehr zu dieser ganz eigenen Welt des Glückspiels und dem neuen Glückspielstaatsvertrag, der in diesem Jahr in Kraft tritt, in diesem Heft. In der Welt der Politik wird in diesem Jahr auch ein neuer Bundestag gewählt. In unserer Reihe fragen wir nach den Gesprächen mit Herrn Habeck und Herrn Scholz jetzt Herrn Lindner von der FDP nach seinen Ideen und Visionen für eine bessere Gesellschaft. In der Welt der Musik fragt man ebenfalls nach einer besseren Gesellschaft. Jedenfalls machen das Fury in the Slaughterhouse, die sich trotz Corona nicht unterkriegen lassen und ein neues Album produzieren. Kai Wingenfelder steht Asphalt Rede und Antwort und sagt klar, wie kritisch er die Welt sieht. Aber seine Hoffnung mit der das Interview schließt, vereint ihn mit uns allen. Er erzählt vom letzten Auftritt in Wacken, wo am Ende alle »Time To Wonder« sangen und sich in den Armen lagen. Danach sehnen wir uns alle. So verschieden unsere Welten auch sind: Time to wonder. Es wird Zeit.

Bessere Zeiten wünscht Ihnen Ihr

Rainer Müller-Brandes · Stadtsuperintendent und Asphalt-Mitherausgber

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Foto: picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

Warnung vor Judenhass

DGB fordert Schutz für Erntehelfer Hannover. Mit dem Saisonstart in der Landwirtschaft kommen auch in diesem Jahr tausende Erntehelfer nach Niedersachsen. Ende Juni 2020 waren allein in der Region Hannover 1.051 von ihnen ohne Kranken-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung auf den Feldern beschäftigt, so der DGB in einer aktuellen Mitteilung. Auch in diesem zweiten Corona-Jahr habe die Bundesregierung die eigentlich auf 70 Tage begrenzte Frist, innerhalb der die Erntehelfer sozialversicherungsfrei beschäftigt werden können, ausgeweitet – auf insgesamt 102 Tage und trotz Pandemie. »Ohne die Saisonbeschäftigten aus Rumänien, Polen oder Bulgarien gibt es keinen Spargel, keine Erdbeeren. Aber in der Landwirtschaft gilt das Credo: Billig müssen die Arbeitskräfte sein«, kritisierte Reinhard Nold, Vorsitzender des DGB-Kreisverbands Region Hannover. »Die Bundesregierung ist auch dieses Jahr vor der Landwirtschaftslobby eingeknickt und öffnet Tür und Tor, um die Sozialversicherungspflicht für vier Monate zu umgehen. Wir lehnen diese missbrauchsanfällige Regelung ab. Sie ist ursprünglich für die Ferienzeit von Schülern und StudentInnen gedacht. Darauf muss sie auch wieder begrenzt werden«, forderte der Gewerkschafter. Er fürchte zudem gerade in der dritten Pandemie-Welle, »dass Beschäftigte nachts in einem Doppel- oder Vierbettzimmer schlafen müssen, ohne zu wissen, ob ihre KollegInnen sie vielleicht anstecken.« MAC

Hannover. Der niedersächsische Antisemitismus-Beauftragte Franz Rainer Enste warnt vor einem »Tarnkappen-Antisemitismus« und fehlendem Geschichtsbewusstsein. In seinem ersten Jahresbericht erläutert Enste, dass Judenhass gerade in Begleitung mit Verschwörungsmythen neue Verbreitungswege in der Gesellschaft finde. »Antisemitismus kommt immer mehr nicht im offenen Visier daher, sondern in Gestalt von chiffrierten Botschaften, die es unbedingt zu erkennen gilt«, sagte er bei der Vorstellung des Berichts. Zugleich betonte Enste, die deutsche Erinnerungskultur sei »ein einmaliges Immunsystem« gegen Hass und Hetze. Jedoch: »Viele Jugendliche, mit denen ich diskutiere, erwecken den Eindruck, dass die Grauen von Auschwitz so weit weg für sie sind, wie die Grauen des Dreißigjährigen Krieges.« Der Kampf gegen den Antisemitismus müsse auf Grundlage einer Gesamtstrategie auf zahlreichen unterschiedlichen Feldern geführt werden. Er regte eine verbindliche Bildungseinheit für angehende Lehrer, Erzieher, Polizisten und Richter zum Wert jüdischer Kultur an. Die weitgehende Anonymität im Internet habe auf die Äußerung antisemitischer Haltungen eine enttabuisierende Wirkung. »Diesem Phänomen mit achselzuckender Gleichgültigkeit zu begegnen, wäre angesichts der historischen Lehre, dass das, was mit Auschwitz endete, mit Worten begann, von geradezu geschichtsvergessener Blauäugigkeit.« EPD

Mehr rechte Vorfälle in Südniedersachsen Göttingen/Einbeck. Im südlichen Niedersachsen und im nordwestlichen Thüringen gab es im Jahr 2020 im Schnitt jeden Tag deutlich mehr als einen rechtsextremen Vorfall. Insgesamt seien in den Landkreisen Göttingen, Northeim sowie Eichsfeld im vergangenen Jahr 469 solcher Vorfälle registriert worden, teilte das unabhängige »Antifaschistische Bildungszentrum und Archiv Göttingen« mit. Im Jahr davor seien es 404 gewesen. Für die Zählung wurden unter anderem örtliche Medien ausgewertet, Zeugen befragt und weitere eigene Recherchen vorgenommen. 2020 seien wie im Jahr davor hauptsächlich rechtsextreme Propaganda-Aktionen wie das Verteilen von Flugblättern registriert worden, hieß es. Gleichzeitig habe es einen massiven Anstieg antisemitischer Vorfälle gegeben. Das Archiv stellte aber auch direkte Angriffe durch extrem rechte Akteure fest. Vor allem in der Stadt Einbeck habe es viele solcher Vorfälle gegeben. Einbecker Neonazis hätten Kundgebungen vor dem Wohnhaus einer Antifaschistin abgehalten. Zudem sei eine Frau, die sich für Flüchtlinge einsetze, mit dem Tod bedroht worden. Auf ihr Haus sei ein Sprengstoffanschlag verübt worden. EPD


Hannover/Bremen. Zum Ende vergangenen Jahres haben 117.125 Menschen in Niedersachsen Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen. Bundesweit waren es knapp 1,1 Millionen Menschen, mithin 1,3 Prozent mehr als im Dezember 2019, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden jetzt mitteilte. Leistungsberechtigt sind Erwachsene, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind oder als Rentner ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen und Vermögen sicherstellen können. Knapp die Hälfte der Menschen waren Grundsicherungsempfänger im Alter, die andere Hälfte der EmpfängerInnen waren zwischen 18 Jahren und dem Renteneintrittsalter. Diese erhielten die Leistung aufgrund einer dauerhaft vollen Erwerbsminderung, also weil sie aufgrund einer Krankheit oder Behinderung für einen nicht absehbaren Zeitraum täglich keine drei Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein konnten. Das Rentenalter liegt aktuell bei 65 Jahren und 9 Monaten. EPD

Osnabrück. Die Mitarbeiter von Tierheimen sehen sich nach Angaben des Tierschutzbundes in der Corona-Krise zunehmend Anfeindungen, Bedrohungen und auch Bestechungsversuchen ausgesetzt. Die Nachfrage insbesondere nach Hundewelpen sei deutlich gestiegen. Manche Menschen reagierten verärgert, wenn sie nicht sofort ein Tier mit nach Hause nehmen könnten, sagte Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder der »Neuen Osnabrücker Zeitung«. Bei einer Umfrage hätten die dem Tierschutzbund angeschlossenen Tierheime rückgemeldet, dem Unmut werde persönlich oder in sozialen Netzwerken Luft gemacht. Dies reiche von Drohungen mit dem Anwalt oder der Anwendung von Gewalt bis hin zu Handgreiflichkeiten, betonte Schröder. In einem Fall sei eine Morddrohung ausgesprochen worden. Einzelne Tierheime berichteten zudem von Bestechungsversuchen. Die Helfer in den Einrichtungen würden sorgfältig abwägen, wem sie die Tiere anvertrauten, sagte der Präsident: »Ein Tierheim ist kein Supermarkt, in dem man Hund, Katze und Co. einfach so mitnehmen kann.« Schröder sprach von einer regelrechten Gier vor allem nach Welpen. Auf einzelne Tiere kämen in einigen Fällen mehrere Hundert Anfragen. EPD

4 von 10 Deutschen trinken mindestens 1 x pro Woche Alkohol. Von 10 Männern sind es 5, unter 10 Frauen 3. Mit dem

Bildungsniveau nimmt auch der AlkoAnzeige

holkonsum zu: Jeder 2. Bundesbürger mit Hochschulabschluss trinkt jede Woche. Dies sind Ergebnisse der bevölkerungsrepräsentativen Studie »Die Süchte der Deutschen« der pronova BKK. 16 % der Deutschen sind

abstinent. Knapp 25 % trinken dagegen mehrmals pro Woche. 6 % greifen täglich zur Flasche. 50 % der Menschen mit Hochschulabschluss trinken 1 x die Woche und öfter. Menschen ohne oder mit einfachem Schulabschluss nur zu 25 %.

Beratung sofort nach Beitritt! Jetzt Mitglied werden! Kompetente Hilfe bei allen Fragen zum Mietrecht. Herrenstraße 14 · 30159 Hannover Telefon: 0511–12106-0 Internet: www.dmb-hannover.de E-Mail: info@dmb-hannover.de Außenstellen: Nienburg, Soltau, Hoya, Celle, Neustadt, Springe und Obernkirchen.

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Hundemangel macht aggressiv

ZAHLENSPIEGEL »LEBEN MIT ALKOHOL«

Arm ohne Chance

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ANGESPITZT – DIE GLOSSE

Jäger haben es auch nicht leicht. Im Unterschied zu den von ihnen geschossenen Tieren, vermehren sie sich ungehemmt. Allein in Niedersachsen gibt es mittlerweile 60.000 Jäger. Und wer erst einmal einen Jagdschein hat, will auch totmachen. Das muss man sich mal ausrechnen: Sagen wir, zehnmal auf die Jagd und jeweils zwei Tiere geschossen, macht bei allen Jägern im Land 1,2 Millionen tote Tiere. Pro Jahr!

»BESTANDSREGULIERUNG«

Die müssen ja irgendwo herkommen. Deshalb können gar nicht genug Tierarten in das Jagdrecht aufgenommen werden. In Niedersachsen sind es derzeit 55. Fehlt außer Goldfischen und Milchkühen nur der Wolf. Und der ist ein klarer Konkurrent. Immerhin gibt es Sonderabschussgenehmigungen. Wie kürzlich für zwei Rüden. Erschossen wurden aber zwei Welpen. Kann man verwechseln, sagt Olaf Lies. Minister für Umwelt (sic!). Auch Jäger werden älter, im Wald verdecken lauter Bäume die Sicht und abends wird es dunkel. Wer da noch zum Zuge kommen will, schießt auf alles, was sich bewegt. So kann es eben mal Welpen treffen oder einen Kollegen, wie letztes Jahr. Das ist dann auch eine Form der Bestandsregulierung. Ulrich Matthias Anzeige


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Foto: Virrage Images/shutterstock.com

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RAKETE IM KOPF

Am 1. Juli treten mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 neue Regeln für Automaten, Wetten, Roulette und Co in Kraft. Ein maximal erreichbarer Kompromiss, sagt die Landesregierung. Ein Desaster, sagen Suchttherapeuten. Denn vieles, was bislang verboten war, soll künftig erlaubt sein. Können beim Fußball beide Mannschaften gleichzeitig gewinnen? Oder beim Schach beide siegen? Oder die Kugel beim Roulette pair und impair gleichzeitig fallen? Der jüngst ratifizierte Glücksspielstaatsvertrag 2021 (GlüStV) nennt einleitend zwei Ziele: Die Entstehung von Glücksspielsucht verhindern und einen vermeintlich natürlichen Glücksspieltrieb ermöglichen. »Gleichrangig.« Bei Thom fing es in einer Gaststätte hinterm Steinhuder Meer an. Das ist Jahre her. Er hatte eine kleine Reinigungsfirma aufgebaut, hatte eine Familie, Haus und Hof, zwei private PKW.

Das Spiel am Automaten bot die Chance, einen kleinen finanziellen Engpass zu meistern. Automatenspiele müssen regelmäßig ausschütten, mit Glück hat man Glück, wenn man davorsitzt, auf die Räder starrt, die Tasten blinken und »Drück mich« rufen. Thom hatte Glück. Den richtigen Moment abpassen, das kann man können, wenn man übt, täuscht einem der Automat vor. Wenig später drückt Thom mit anderen. In der Spielhalle drücken alle, mehrere Automaten gleichzeitig. Längst ist es das ganze Ambiente, das Fokussieren, der Alltag draußen, die Gemeinschaft der Einzelkämpfer drinnen, der Kampf Mann gegen


Foto: MHH

»DOPAMIN KICKT« Was passiert da eigentlich, wenn man spielsüchtig wird? Ein Gespräch mit Privatdozent Dr. Alexander Glahn, Leiter der Forschungsgruppe Abhängigkeitserkrankungen sowie der Suchtambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover.

Herr Glahn, was genau passiert im Körper eines Menschen, wenn er glückspielsüchtig wird?

Sind bestimmte Menschen besonders gefährdet, gibt es also quasi schlechte Voraussetzungen?

Wir unterscheiden stoffgebundene und nicht stoffliche Abhängigkeiten. Im Falle des Glücksspiels haben wir es mit nicht stofflicher Sucht zu tun. Der Reiz beim Spiel, Gewinne oder auch nur die Aussicht auf Gewinne, die Aussicht, die Maschine zu besiegen, aktivieren im Limbischen System im Gehirn ein ganzes Botenstoff-System. Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und viele weitere Stoffe sind daran beteiligt. Dopamin ist landläufig als Glückshormon bekannt. Man ist kurzfristig high vor Glück. Wenn Gewinne ein solches Wohlgefühl zur Folge haben, kann das dazu führen, dass der Spieler immer wieder diesen Dopamin-Kick sucht und in immer kürzeren Abständen wieder spielt.

Mehrere Faktoren spielen eine Rolle. Genetische Dispositionen, Lernmechanismen und dysfunktionales Verhalten bereits in der Familie, also Suchtverhalten irgendeiner Art. Studien zur Geldautomatenspielsucht haben ergeben, dass vor allem Männer zwischen 31 und 47 Jahren mit geringerer Schulbildung, Migrationshintergrund sowie Arbeitslosigkeit besonders betroffen sind. Eine Sucht für Online-Casinos entwickeln eher Jugendliche und junge Männer in ihren Zwanzigern. Aufgrund der extrem hohen Ereignisfrequenz in diesem Bereich braucht es hier auch nur rund zwei Jahre, bis aus dem ersten Spiel eine handfeste Sucht entsteht.

Wie helfen Sie den Menschen? Warum werden manche Glücksspieler süchtig, andere nicht? Ein wesentlicher Faktor beim Glücksspiel ist die Ereignisfrequenz. Während beim Lottospiel nur zweimal pro Woche etwas passiert, kann am Automaten oder im Online-Casino quasi rund um die Uhr gespielt werden. Lotto ist also kaum suchtgefährdend, Automatenspiel, Sportwetten und Online-Casinos in hohem Maße. Die schnelle Folge kurzfristiger Erfolge am Automaten beispielsweise beeinflusst die Nervenverknüpfungen im Gehirn. Das Suchtgedächtnis entsteht. Je mehr und je häufiger der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet wird, umso mehr werden im Gehirn entsprechende Rezeptoren gebildet. Spielt man plötzlich nicht mehr, fehlen die Reize, fehlt das Dopamin. Verkürzt gesagt gibt es dann zu viele Rezeptoren für den normalen Hormonspiegel. Es kommt dann zu Entzugserscheinungen wie Unruhe, Schwitzen und Schlafstörungen. Solche Veränderungen im Gehirn lassen sich sogar mittels MRT sichtbar machen.

In Gruppentherapien werden unter anderem Strategien zur Selbststeuerung und Reduktion der Verhaltensexzesse aufgebaut, es geht aber auch um den Umgang mit Rückfällen oder den Aufbau von alternativen Freizeitaktivitäten. Erstes Therapieziel ist die Motivation, etwas ändern zu wollen. Dafür ist es nötig, dass die Betroffenen erkennen, was die positiven Aspekte ihres Spielverhaltens sind. Letztlich geht es darum, das schädigende Verhalten zu verlernen und durch ein gesundes Verhalten zu ersetzen. Völlige Abstinenz ist – anders als bei stoffgebundenen Abhängigkeiten – nicht Ziel unserer Spielsuchttherapie.

Wenn das Spiel mir so viele Glücksgefühle beschert hat, kann ich dann nach einer Therapie noch Glück empfinden oder bin ich durch den Kick-Missbrauch abgestumpft? Jeder und jede kann lernen, wieder ohne den Stimulus Spiel Glück zu empfinden. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Eine Therapie kann durchaus zwei Jahre dauern.


»Was wir für Schicksale erleben ist schon schauerlich«, so die Suchttherapeuten Silke Quast und Stefan Krüger.

Geldmaschinen im Land In Niedersachsen gibt es 1.169 Spielhallenstandorte mit insgesamt 14.748 Geldspielgeräten, zudem sind 3.223 Geldspielgeräte in Gaststätten angemeldet. Mit den Geräten in Spielhallen wurden 2019 gut 490 Mio. Euro in die Kassen der Betreiber gespült. Im Jahr 2012 waren es noch knapp 370 Mio. Euro, ein Plus von rund 33 Prozent. Im Vergleich zum Jahr 2006 gar ein Plus von 150 Prozent (2006: 195 Mio. Euro). In Geldspielgeräte in Gaststätten wurden nochmal rund 50 Mio. Euro versenkt, 20 Mio. Euro mehr als noch im Jahr 2012 und 25 Mio. Euro mehr als 2006 und damit ein Plus von 63 Prozent gegenüber 2012 und 102 Prozent mehr als 2006. Quelle: Trümper/Heimann, Angebotsstruktur der Spielhallen und Geldspielgeräte in Deutschland, 15. Auflage.

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solange also werden die privaten, jetzt legalisierten Anbieter, die auf Malta und anderswo ihre Zentralen des bisher illegalen Online-Spielmarktes betreiben, bar jeder Kontrolle sein. Menschen wie Thom sitzen derweil wöchentlich in den Sprechstunden von Silke Quast und Stefan Krüger. Quast ist eine von 24 halben Stellen im Land, die dezidiert Glücksspielberatung anbieten. 800.000 Euro lässt sich das Land das jährlich kosten. Seit zehn Jahren, der Ansatz wurde nie erhöht. Unabhängig von gestiegenen Personalkosten und insbesondere ungerührt davon, dass die Arbeitsbelastung kontinuierlich gestiegen ist. »Ich bin gestartet mit 25 Beratungsfällen im Jahr und bin jetzt bei 125«, sagt Quast, die bei der Suchtberatung des Diakonischen Werks Hannover angestellt ist. Hoch problematisch findet die Landessuchtbeauftrage Lörcher-Straßburg die seit Jahren ausbleibenden Finanzierungsanpassungen. »Meiner Meinung nach müsste das Geld verdoppelt werden.« Erst recht jetzt, wo mit dem neuen GlüStV der Bedarf – da sind sich alle Fachleute bundesweit einig – rapide steigen wird. »Je mehr ich als Staat liberalisiere, umso mehr Schutzmechanismen müsste ich eigentlich einbauen«, mahnt Lörcher-Straßburg.

Foto: G. Biele

Maschine. Immer wieder Verluste, haarscharf dran vorbei. Beim nächsten Mal – da werden die Symbole wieder in Reihe stehen. Ganz sicher, dachte sich Thom. Thom ist heute Asphalt-Verkäufer, hat mit einiger Mühe die Schulden im Griff, die Sucht kon­ trolliert. Er ist nicht allein. Zwei Handvoll Asphalter waren mal Glücksspielen verfallen. Wie aktuell rund 42.900 Menschen in Niedersachsen. »Menschen mit glücksspielbezogenen Problemen«, wie das die Niedersächsische Landesstelle für Suchtfragen (NLS) offiziell nennt. »Der Glücksspielstaatsvertrag 2021 stellt aus suchtpräventiver Sicht einen klaren Paradigmenwechsel der Glücksspielregulierung in Deutschland dar«, schreiben ebendiese landeseigenen NLS-Fachleute in einer internen Stellungnahme zum jüngst vom Landeskabinett beschlossenen Vertrag, und weiter: »Das staatliche Monopol für Glücksspiele, das bislang eine begrenzte und kon­ trollierte Zulassung vorsieht, wird durch ein großzügiges Lizensierungsmodell ersetzt, das private Angebote kommerzieller Glücksspiele und damit auch das Online-Glücksspiel mit seinen hohen Suchtgefahren legalisiert.« Die harten warnenden Einwände haben nichts genützt. Im Juli geht es los. Mit den legalisierten Online-Casinos und Live-Sportwetten, mit mehr Werbung und weniger Restriktionen. »Es gibt noch eine Reihe ungeklärter Fragen: Wie werden die Vorgaben umgesetzt? Wer verpflichtet die Anbieter und wer kontrolliert sie? Mit welchen Mitteln?«, fasst die Suchtbeauftragte des Landes Niedersachsen, Bärbel Lörcher-Straßburg, die Folgen des Paradigmenwechsels für den Spieler- und Jugendschutz zusammen – das eine Ziel des GlüStV fest im Blick. Diese und weitere Fragen soll zwar eine neu zu schaffende länderübergreifende Aufsichtsbehörde in Sachsen-Anhalt klären. Allerdings, so Schätzungen von Verwaltungsfachleuten, erst in zirka vier Jahren. Solange wird der Aufbau der neuen Behörde brauchen,

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Foto: V. Macke

Aber das sieht bisher nicht danach aus. Längst reicht Quasts halbe Stelle nicht mehr für den Beratungsbedarf. Ihr Kollege Stefan Krüger unterstützt Quast seit einiger Zeit. Nicht jeder, der zur Beratung kommt, bleibt auch für eine längere Therapie, die Abbrecherquote ist hoch, wer bleibt habe aber eine gute Chance auf Heilung. »Doch viele folgen zunächst externem Druck aus der Familie oder seitens des Arbeitgebers«, sagt Krüger. Erst wenn die Bombe platzt, Privatinsolvenz unvermeidlich ist, weil alles Geld verspielt ist und alle Schulden nicht mehr getilgt werden können, beginnt für viele Spieler der mühsame Weg zurück. Schuldensummen von 40.000 bis 70.000 Euro allein durchs Spielen seien keine Seltenheit. »Was wir für Schicksale erleben ist schon schauerlich«, sagt Quast. »Oft glauben die Menschen dann immer noch, dass das mal eben schnell zu lösen ist, aber da irren sie. Manche brauchen »Anders als sogar einen rechtlichen Betreubeim Rauchen er, und viele bleiben zwei Jahre lang in Therapie.« stirbt man beim Angesichts der schmerzhafGlücksspiel nicht ten Wege, die heute schon die – zumindest nicht Spielsüchtigen gehen müssen, direkt, die Suizidund angesichts ihrer Verluste, rate ist hoch.« finanziell wie familiär, halten Bärbel Lörcher-Straßburg, die Praktiker die mit dem neuDrogenbeauftragte des en GlüStV vereinbarte ZulasLandes Niedersachsen sung von Live-Sportwetten und Onlineautomatenspielen für geradezu fahrlässig. Influencer, die im Internet live zocken und zu hohen Wetteinsätzen auffordern, und Sportgrößen, die ungeniert zu Sportwetten animieren, werden dann zur Falle werden für Jugendliche und junge Erwachsene mit Hoffnung auf Teilhabe und schnelles Geld. Schon heute, so die NLS, haben trotz der Teilnahmebeschränkung »ab 18 Jahren« 61 Prozent der Jugendlichen im Alter von 16 bis 17 Jahren Glücksspielerfahrung. Und Kahn, Kimmich, Süle und Co werben schon heute munter für Sportwetten. Demnächst darf live in Echtzeit gewettet werden, aufs nächste Tor, aufs nächste Ereignis. »Das ist dann der ultimative Thrill, die Rakete im Kopf«, sagt Quast. »Der Tenor der jetzt anstehenden Legalisierung ist verheerend, jetzt werden diejenigen, die bisher illegal Onlinespiele angeboten haben, mit einer Lizenz belohnt«, so Krüger. »Aber, da darf man nicht naiv sein, hier werden schlicht neue hohe Steuer-

Nur im Bild hinter Gittern: Idole wie Oliver Kahn werben für Sportwetten.

einnahmen generiert werden.« Rund 5,4 Milliarden Euro hat der Staat bundesweit im Jahr 2019 aus dem legalen Glücksspiel eingenommen, davon mehr als 50 Prozent aus Spielen an Geldspielautomaten. Der Gesamtertrag des legalen Marktes samt Automaten, Spielbanken, Pferdewetten, Lotto, Toto und Co betrug im Jahr 2019 rund elf Milliarden Euro. Im bisher illegalen Glücksspielmarkt bieten derzeit 290 Internetanbieter Online-Casinos, Online-Poker oder Online-Lotterien an. Und viele spielen schon heute munter mit, wie Zahlen der Suchthilfe zeigen: 17 Prozent der Menschen mit offiziell diagnostiziertem »pathologischen Spielen« gaben schon 2019 an, süchtig nach Online-Glücksspiel zu sein. Weil es, so die Landesregierung, »mit den bislang zur Verfügung stehenden aufsichtsrechtlichen Maßnahmen nicht gelungen (war), das unüberschaubare Glücksspielangebot im Internet entscheidend einzudämmen«, soll dieses »Online-Glücksspiel ab Juli in ein Erlaubnisverfahren überführt« werden. Volker Macke


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LINDNER WILL CHANCEN Im September wird gewählt. Die Straßenzeitungen Deutschlands* läuten den Wahlkampf zur Bundestagswahl ein. Es geht um Wohnen, Arbeit, Armut, um Lösungen. Wir fragen die SpitzenpolitikerInnen der demokratischen Parteien. Monat für Monat. Nach Habeck und Scholz heute Christian Lindner von der FDP. Herr Lindner, Sie besitzen einen Porsche, eine Rennfahrerlizenz und einen Jagdschein, sind also ein gemachter Mann. Wir 20 Straßenzeitungen glauben, dass Sie trotzdem etwas mit obdachlosen Menschen gemein haben. Raten Sie mal, was. Das Wort »gemachter Mann« finde ich rätselhaft, denn es klingt

für mich nach dem Zutun von anderen. Tatsächlich bestreite ich seit meinem 18. Geburtstag meinen Lebensunterhalt selbst, geschenkt hat mir niemand etwas.

Wir dachten an Folgendes: Viele wohnungslose Menschen beziehen staatliche Grundsicherung, Sie leben seit Ihrem


auch eine Polizistin oder ein Krankenpfleger beziehen ihre Gehälter aus öffentlichen Mitteln. Es führt nicht weiter, wenn jede Tätigkeit, die sich aus Steuergeldern finanziert, mit Sozialleistungen verglichen wird. In der Sache bin ich dafür, dass sich die Höhe der Grundsicherung daran orientiert, welche Bedürfnisse bestehen und wie die Preise sich entwickeln. Das sollten Fachleute festlegen, das ist nichts für Wahlkampfversprechen. Viel wichtiger ist es mir, den Menschen zu erleichtern, sich durch eigenen Einsatz, Schritt für Schritt, aus einer Bedürftigkeit herauszuarbeiten. Ganz konkret halte ich die Hinzuverdienstgrenzen beim Arbeitslosengeld II für skandalös ungerecht.

Das wird die Straßenzeitungsverkäufer freuen, die Hartz IV beziehen. Wie stehen Sie zur Forderung, den Freibetrag beim Zuverdienst von jetzt 100 Euro auf 400 Euro anzuheben? Genau das ist unsere Forderung. Jeder, der einen Euro hinzuverdient, muss mehr als die Hälfte davon behalten können. Übrigens muss auch die Höhe des Minijobs angepasst werden. Denn wenn der Mindestlohn steigt, haben viele Betroffene dennoch nicht mehr Geld, wenn es bei 450 Euro bleibt. Die Die Hinzuvermüssen stattdessen die Arbeitszeit dienstgrenzen reduzieren, das bremst Aufstiegs­ beim ALG II chancen. Deshalb sollte die Höhe sind skandalös des Minijobs immer das 60-fache ungerecht. des jeweiligen Mindeststundenlohns betragen.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und der Grüne Robert Habeck fordern höhere Steuern für Gutverdiener. Wären Sie bereit, mehr abzugeben?

22. Lebensjahr von staatlichen Diäten. Allerdings reichen die Ihnen nicht: Sie haben allein in dieser Legislaturperiode mehr als 400.000 Euro dazu verdient. Wohlfahrtsverbände finden den Hartz-IV-Regelsatz auch zu niedrig und fordern eine Aufstockung auf 600 Euro. Gehen Sie da mit? Mir können Sie solche zugespitzten Fragen gerne stellen. Aber

Zu glauben, es habe nur positive Folgen, wenn man Steuern erhöht, weil dann der Staat über mehr Geld verfügt, greift zu kurz. Es muss immer alles erst erwirtschaftet werden, bevor es verteilt werden kann. Die Aufgabe lautet doch, mehr gut bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und in neue Technologien zu investieren. Dafür muss es Spielräume geben. Ich bin also für eine Senkung von Steuern für Beschäftigte und Betriebe.

Wie will die FDP die Kluft zwischen Arm und Reich verringern? Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung kommen wir immer


de die FDP in einer Regierungskoalition tun, um dieses Elend zu stoppen?

Wir müssen die Aufstiegschance für jede Frau und jeden Mann erhöhen. Wir brauchen einen treffsicheren Sozialstaat, der für die Menschen ein Sprungbrett in die Selbstbestimmung ist und nicht wirkt wie ein Magnet, der Menschen eher festhält. Die größte Form der Ungleichheit ist für mich die der Bildung. Nirgendwo sonst in entwickelWas ist mit der ten Gesellschaften entscheidet sozialen Verantder Zufall der Geburt so sehr wortung jedes über Lebenschancen. Das haleinzelnen EU-Mitte ich für einen Skandal! Wir gliedsstaats? brauchen mehr Frühförderung von Kindern, hinsichtlich des Spracherwerbs schon vor der Einschulung, und viel mehr individuelle Förderung an öffentlichen Schulen. Kein junger Mensch sollte die Schule ohne einen Abschluss verlassen.

Wir müssen über die Qualität der Arbeitsverhältnisse nachdenken, zum Beispiel im Bereich der fleischverarbeitenden Industrie. Und wir müssen die Verantwortung der Herkunftsländer stärken. Das ist eine Frage, die man hinsichtlich der Migration in Europa stellen muss: Was ist mit der sozialen Verantwortung jedes einzelnen EU-Mitgliedsstaats? Zum Arbeiten nach Deutschland zu kommen, darf nicht zu Verelendung führen. Es geht um eine unbearbeitete Aufgabe, die sich durch die Freizügigkeit innerhalb der EU stellt.

Die SPD Nordrhein-Westfalen nannte 2009 Ihre Landes-FDP die »Partei der sozialen Kälte«. Grund: Die schwarz-gelbe Regierungskoalition kürzte die Landesgelder für Obdachlosenhilfe damals um 1,12 Millionen Euro. Sie sagten damals, die Kommunen seien alleine für die Obdachlosenhilfe zuständig. Sehen Sie das heute noch so? Der Ausflug in die Geschichte ist noch nicht vollständig. Denn zeitgleich hat die von der FDP mitgetragene Bundesregierung die Kommunen von den Kosten der Grundsicherung im Alter entlastet. Das machte für die Städte und Gemeinden seitdem Hunderte von Millionen Euro an Einsparungen aus, die zum Beispiel für soziale Vorhaben oder Investitionen genutzt werden könnten. Oberstes Ziel: So lange es geht, müssen Menschen ihre Wohnung behalten können, sei es mittels Grundsicherung, Schuldnerberatung, gesundheitlicher Hilfestellung. Das muss nah am Menschen geschehen, also auf der kommunalen Ebene. Genauso vielschichtig wie die Problemlage muss das Hilfesystem sein.

Obdachlosigkeit ist heutzutage vorwiegend ein Ergebnis von Migration: Immer mehr Menschen aus armen EU-Ländern landen in prekären Arbeitsverhältnissen, sei es auf Schlachthöfen oder auf Baustellen oder als Putzkräfte, und im Winter dann oft auf der Straße. Was wür-

Die Mindestlöhne für Saisonkräfte liegen häufig unter dem gesetzlichen Mindestlohn von 9,50 Euro. Die SPD will den Mindestlohn auf 12 Euro abheben. Was versprechen Sie prekär Beschäftigten? Eine Aufstiegsperspektive. Unsere Hauptanstrengung muss darin liegen, dass niemand dauerhaft zu den Bedingungen eines Mindestlohns oder generell prekär arbeiten muss. Die Perspektive sollte sein, immer wieder neue Qualifikationsangebote zu unterbreiten, und zwar maßgeschneiderte. Was die Untergrenze des Mindestlohns angeht: Wir haben gute Erfahrung damit, dies in die Hände einer unabhängigen Kommission zu legen, die dafür sorgt, dass der Mindestlohn regelmäßig angepasst wird, und dass die Lohnfindung nicht politisiert wird. Nicht parteipolitische Interessen dürfen eine Rolle spielen, sondern arbeitsmarkt- und sozialpolitische Erwägungen.

Die FDP spricht sich aus für »Housing First«, also dass Obdachlose erstmal eine Wohnung bekommen, ohne groß nachweisen zu müssen, dass sie dafür geeignet sind. Wie sollen die Kommunen das finanzieren? Ich bin dezidiert der Meinung, dass wir die kommunale Ebene stärken müssen. Weil sich die Aufgaben der unterschiedlichen öffentlichen Ebenen verändern. Aufgaben, die der Staat den Gemeinden überträgt, muss er immer mitfinanzieren. Die Kommunen sind unser erstes Auffangnetz bei Notlagen.

In Wien gibt es neuerdings als Housing-First-Angebote »Chancenhäuser«: Hier werden Obdachlose – einzeln, als Paar, als Familie – für drei Monate einquartiert und beraten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. In der Hälfte der Fälle mit Erfolg … … klingt für mich nach einem guten Modell auch für deutsche Kommunen, ein maßgeschneidertes 360-Grad-Konzept aus der Obdachlosigkeit.

Ihre Partei fordert, dass der Staat elektronische Akten für obdachlose Menschen einrichtet, damit sie auch ohne Meldeadresse an ihre privaten Daten kommen können.

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mehr in die Nähe von US-Verhältnissen bei der Vermögensverteilung.

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Wären Sie für solche E-Akten für alle Bürger? Unbedingt. Ich war vor einiger Zeit in Estland: Dort können Sie Ihre Meldeanschrift genauso leicht wie Ihre Anschrift im Amazon-Account ändern. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung scheint mir besonders nach den Erfahrungen in dieser Pandemie enorm wichtig: Lassen wir Corona das letzte Kapitel im Leben des Faxgeräts gewesen sein!

Sie werfen den Grünen vor, den Menschen den Traum vom eigenen Haus zu vermiesen. Zugleich fehlen allenthalben bezahlbare Wohnungen. Dafür hören wir Sie weniger laut trommeln. Zufall? Das Gegenteil ist der Fall: Keine Partei setzt sich ähnlich stark für bezahlbaren Wohnraum ein wie die FDP und ist auch bereit, die entsprechenden Entscheidungen zu treffen. Wer bezahlbare Wohnungen will, der muss so viel wie möglich bauen, beispielsweise hier in Berlin auch auf dem Tempelhofer Feld. Der muss Flächen bereitstellen. Und der kann nicht, wie die Grünen, bauliche Standards über Gebühr erhöhen und damit

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verteuern. Weil dann nicht einmal mehr große Baugenossenschaften Mietwohnungen errichten können. Wir wollen die Wohnungsnot reduzieren durch mehr Angebot. Schlüssel dazu: Senken von Baustandards, Ausweisen neuer Flächen, weniger Grunderwerbssteuer.

Geht denn beides, wenn Deutschland die Pariser Klimaschutzziele erreichen will: Kann man den fortschreitenden Flächenverbrauch senken und zugleich mehr Wohnungen und Einfamilienhäuser bauen? Der Klimaschutz ist eine globale Aufgabe. Nur in Hückeswagen im Bergischen Land CO2 einzusparen, indem man auf neue Einfamilienhäuser verzichtet, macht für das Weltklima keinen echten Unterschied. Die Grünen wählen für den Klimaschutz ihren Weg, wir einen anderen: globales Denken und Ideenwettbewerb. Wir müssen mit entwickelter Technologie die Steigerung des CO2-Ausstoßes begrenzen. Also etwa Millionen von Pkw in Deutschland mit synthetischen, klimafreundlichen Kraftstoffen versorgen – statt einseitig nur auf die Elektromobilität zu setzen.

Wie steht es mit dem Bau von Sozialwohnungen? Die SPD verspricht 100.000 pro Jahr. Gehen Sie da mit, und wenn ja, soll die der private Sektor bauen oder die öffentliche Hand?

Schütze die Menschenrechte mit deiner Unterschrift, deiner Spende, deinem Einsatz.

So erreichen Sie uns: https://amnesty-hannover.de Gruppe Oststadt-List Amnesty International Bezirk Hannover Fraunhoferstr. 15 · 30163 Hannover E: info@amnesty-hannover.de T: 0511-66 72 63 · F: 0511-39 29 09 Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft DE23 3702 0500 0008 0901 00 Stichwort 1475

Ich würde immer die Förderung von Menschen der Förderung von Steinen vorziehen. In die Sozialwohnung ist vielleicht der studentische Bafög-Empfänger eingezogen und hat sie noch als Professor bewohnt. Ich bin ein Befürworter individueller Wohnkostenzuschüsse, für die individuelle Bedarfslage. Privaten Bauträgern bestimmte Auflagen zu unterbreiten, halte ich für denkbar. Also zum Beispiel: Wenn jemand ein Haus mit acht Wohneinheiten baut, kann sie oder er die beiden Penthousewohnungen zu hohen Quadratmeterpreisen anbieten, solange in tieferen Etagen günstige Wohnungen entstehen. Diese Mischung hätte zugleich eine gesellschaftspolitisch wünschenswerte Pluralität zur Folge.

Sie haben vor einem Jahr zugelassen, dass ein FDP-Politiker mit Stimmen der AfD thüringischer Ministerpräsident wurde. Ein Fehler, haben Sie hinterher gesagt. Mit Ihren Positionen zu Corona sind Sie wieder nahe an der AfD: Sie fordern Öffnungen, für Läden, für Hotels – freilich bei mehr Schutz von Risikogruppen. Sie sa-


Sie haben eine Frage gestellt, die der Sortierung bedarf. Ich habe auf gar keinen Fall zugelassen, dass jemand mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist. Sondern ein aufrechter Demokrat ist in eine Falle der AfD gelaufen. So hat es Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei formuliert. Zweitens ist die Pandemiepolitik der FDP nicht vergleichbar mit der der AfD. Ich würde Wir wollen durch innovative Maßnahmen mehr gesellschaftliches immer die und wirtschaftliches Leben erlauFörderung ben, aber sehen das Risiko, das in von Menschen der Erkrankung liegt und leugnen der Förderung es nicht. Man tut der AfD einen von Steinen Gefallen, wenn man sie in einem Atemzug mit der FDP nennt und vorziehen. verharmlost die politische Gefahr, die von ihr ausgeht. Dritter Punkt: Gesundheitsschutz darf nicht abhängig sein von Lebensverhältnissen. Masken oder Schnelltests müssen an Menschen abgegeben werden, die sich das nicht selbst leisten können, damit wirkungsvolle Hygiene keine Frage des Einkommens ist.

Olaf Scholz haben wir gefragt, was er macht, wenn er nicht Kanzler wird. Sie fragen wir, was Sie machen, wenn Schwarz-Grün Sie zum Tanz bittet: Werfen Sie wieder hin, wenn nicht nach Ihrer Pfeife getanzt wird? Wenn es eine gemeinsame Choreographie gibt, sind wir gerne mit dabei. Aber nach der Pfeife anderer tanzen, beziehungsweise das, was vor der Wahl versprochen wurde, nicht zu liefern, wäre respektlos.

Und wenn Sie Vizekanzler wären: Was würden Sie als erstes versuchen zu ändern? Für Aufstiegsgerechtigkeit sorgen! Meine Leidenschaft gehört denen, die ihren Weg gehen wollen. Keinem geht es besser, wenn wir »denen da oben« etwas wegnehmen, etwa durch eine Vermögenssteuer. Sondern die Frage ist: Wie ändern wir das Leben derer, die aufsteigen wollen. Da will ich für neue Chancen sorgen. Interview: Annette Bruhns Fotos: Thomas Meyer/Ostkreuz

*Die SpitzenpolitikerInnen-Interviews erscheinen in den Straßenzeitungen abseits (Osnabrück), Asphalt (Hannover), BISS (München), bodo (Dortmund), die straße (Schwerin), Donaustrudl (Regensburg), draußen (Münster), DRAUSSENSEITER (Köln), drObs (Dresden), fiftyfifty (Düsseldorf ), FreieBürger (Freiburg), Guddzje (Saarbrücken), Hempels (Kiel), Hinz&Kunzt (Hamburg), Jerusalemmer (Neumünster), KARUNA Kompass (Berlin), KiPPE (Leipzig), RISS (Augsburg), Straßenkreuzer (Nürnberg), Trottwar (Stuttgart) mit einer Gesamtauflage von 346.000 Exemplaren. IM JUNI-ASPHALT: SUSANNE HENNIG-WELLSOW IM INTERVIEW.

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gen dabei nicht, dass Corona ein Virus ist, dass Ärmere viel häufiger trifft, weil sie beengt wohnen und nicht im Homeoffice arbeiten können. Ist Ihnen deren Gesundheit egal?

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GANZ TIEF DURCHATMEN Allergiker finden im Frühjahr nur an wenigen Orten wirklich Ruhe vor den Pollen. Zum Beispiel auf Borkum, seit 2013 zertifiziert als »erste allergikerfreundliche Insel Europas«. Borkum, Mitte März 2020. Es sind die Tage, in denen noch niemand damit rechnet, dass Corona bald schon das öffentliche Leben lahmlegen wird. Das Café »Lüttje Toornkieker« im langen Schatten des Alten Leuchtturms hat gerade geöffnet, die ersten Gäste genießen die Frühlingssonne. An einem Ecktisch

beugen sich drei Menschen über eine Speisekarte: Monika Harms, die Kurärztin, Tanja Rück von der Tourist-Information und Holger Hoven, der Besitzer des Cafés. Die Gestaltung einer solchen Speisekarte ist eine Wissenschaft für sich, jedenfalls dann, wenn man seinen Betrieb nach den Kriterien der Euro-


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Seit über 25 Jahren Fachärztin für Allgemeinmedizin und als

Im Café Lüttje Toornkieker von Holger Hoven, direkt neben dem Alten Leuchtturm

Kurärztin im Nordseeheilbad Borkum: Monika Harms.

von Borkum, können die Gäste vegan, gluten- und lactosefrei schlemmen.

päischen Stiftung für Allergieforschung (ECARF) als allergikerfreundlich zertifizieren lassen möchte. Und Hoven möchte. Damit ein Allergiker auf den ersten Blick erkennt, was drin ist in den Speisen und Getränken, will Hoven mit Symbolen arbeiten. »Habt ihr was mit Sesam?«, »Mittlerweile fragt Harms. Sesam kann sehr lebt in mindesheftige Reaktionen auslösen, bis tens jedem hin zu einem lebensbedrohlidritten Haushalt chen Schock, so die Medizinerin. in Deutschland Sesambrötchen müsste Hoven also auf einem Extrablech in den ein Allergiker.« Ofen schieben, ganz unten, daMonika Harms, Kurärztin mit nichts auf andere Produkte fallen kann. Dann doch lieber nur Brötchen mit Haferflocken und Sonnenblumenkernen, entscheidet der 40-Jährige. Auf der Anrichte stehen mehrere Kuchen, alle laktose- und glutenfrei, alle von einer Konditorin im Haus gebacken. Unter jeder Torte liegt ein eigener Heber. Strikte Trennung lautet die Devise, auch im Kühlschrank und bei der Zubereitung. Pommes dürfen nicht in die gleiche Fritteuse wie die Kibbelinge, weil die ja eine Weizenpanade haben. Es gibt eine Pfanne für Fisch, eine für Tofu und eine für die leckere Bratwurst mit Fenchel. Ein Fischallergen ist

nicht gleich weg, nur weil man die Pfanne mal eben spült, sagt Harms. Auch Bretter und Messer müssen ständig gewechselt werden. Es dauert rund 90 Minuten, bis Tanja Rück auf ihrem Beurteilungsbogen alle erforderlichen Haken gemacht hat. Bitte keine Orchideen, mahnt sie noch beim Rausgehen. Es sind Kleinigkeiten, um die Hoven sich noch kümmern muss, dann darf er das ECARF-Siegel für weitere zwei Jahre nutzen.

Waschmaschine Nordsee Mittlerweile lebt in mindestens jedem dritten Haushalt in Deutschland ein Allergiker, sagt Monika Harms. Eigentlich müsste Borkum also aus allen Nähten platzen, denn die natürlichen Voraussetzungen sind gut, mal ganz abgesehen davon, dass die Insel zu den Orten mit den meisten Sonnenstunden in Deutschland zählt. »Wir liegen von allen ostfriesischen Inseln am weitesten draußen. Wir haben wenig Schadstoffe in der Luft. Und wir haben immer Wind, die Pollen werden weggetragen.« Es ist vor allem die Birkenblüte, die vielen Allergikern zusetzt. »Die können hier durchatmen«, so die Kurärztin. »Die Luft, die übers Meer kommt, ist quasi gewaschen. Die Nordsee ist wie eine Waschmaschine.« Die hohe Luftfeuchtigkeit und das Salz tun ein Übriges. Wobei es nicht reicht, einfach nur über die Promenade zu schlendern. »Wir empfehlen unseren


Tief durchatmen in den Borkumer Salzwiesen – hier und mehr noch direkt an der Brandungszone wirkt die frische Nordseeluft wie ein natürlicher Inhalator.

Patienten, direkt an der Brandungszone zu laufen, unserem natürlichen Inhalatorium.« Dort ist die Konzentration an Jod am höchsten. Nur: Gute Luft allein nutzt wenig, wenn der Allergiker kein geeignetes Zimmer findet. Wichtig sind wischbare Böden, kurzflorige Textilien und spezielle Überzüge für Matratzen und Bettzeug. Denn der größte Teil der Allergiker leidet unter Hausstaubmilben. Auf Borkum gibt es mittlerweile knapp 130 Ferienwohnungen, die das ECARF-Siegel tragen. Dazu kommen sechs Hotels und die Jugendherberge. Macht unterm Strich 1.832 allergikerfreundliche Betten (Stand Januar 2021).

Sahneschnitte ohne Risiko Ein Inselurlaub beginnt bekanntlich schon auf der Fähre. Die AG EMS trägt zwar kein Siegel, hat die Allergiker aber ebenfalls im Blick. Schon kurz nach der Abfahrt in Emden weist der Kapitän mit einer Durchsage darauf hin, dass zwei Salons an Bord eine »tierfreie Zone« sind. Claudia Hanschmann, die »Stewardess« an der Kioskkasse, beantwortet geduldig alle Allergikerfragen. Für die, die es ganz genau wissen wollen, gibt

es eine lange Liste, der man entnehmen kann, dass Erdnuss-Spuren im Käsekuchen sind, der »Salat Ostfriesland« dagegen von jedermann bedenkenlos verzehrt werden kann. Eine solche Liste hat auch Bäcker Müller, der zu den zertifizierten Betrieben auf Borkum zählt. Manuel Pietzner, der Verkaufsleiter, hat genaugenommen nicht nur eine Liste, sondern eine ganze Mappe, in der haarklein alle Produkte mit ihren Inhaltsstoffen aufgeführt sind. Wenn Pietzner bei der Kasse den Button »Info« drückt, dann erscheint die »Zutaten-Volldeklaration« und er sieht auf einen Blick, was drin ist in der Sahneschnitte. Die am häufigsten gestellte Frage lautet: »Haben Sie weizenfreie Sachen?« Auch Pietzner achtet streng drauf, dass Produkte, die Nuss oder Sesam enthalten, sauber getrennt werden von denen, die frei von solchen Zutaten sind – und das schon auf dem Backblech und erst recht im Verkaufsregal. Nahrungsmittelallergien »sind meistens im Handgepäck der Polle«, sagt Monika Harms. Der Sellerie in der Brühe, die Nuss im Müsli – mitunter reichen ganz kleine Mengen, »dann geht die Post ab«. Lebensgefährliche Reaktionen drohen manchmal noch Stunden später. Umso wichtiger sind geschulte »Wir empfehlen Mitarbeiter und glasklare Deklarationen. Der Markant-Suunseren Patienpermarkt auf Borkum hat alle ten, direkt an der Produkte für Allergiker mit Brandungszone besonderen Etiketten gekennzu laufen, unsezeichnet, gelb für glutenfrei, rem natürlichen blau für laktosefrei. »Normalerweise kann ein Laktose-InInhalatorium.« toleranter hier alles bekomMonika Harms, Kurärztin men, was er im Alltag braucht«, bis hin zur Tiefkühlpizza mit laktosefreiem Käse oder der glutenfreien Wurst, sagt Nicole Rathjen, die eigens eine Fortbildung für Ernährungsfragen absolviert hat und außerdem darauf achtet, dass der Filter in der Klimaanlage am Eingang regelmäßig ausgetauscht wird und Hunde draußen bleiben. Eigentlich sind sie auf Borkum also bestens vorbereitet auf den Besuch von Allergikern. Doch seit Corona ist alles anders. Die Krise hat den Tourismus voll erfasst. Und nicht nur auf Borkum hoffen sie, dass das Ende der Pandemie und der Einschränkungen nicht mehr lange auf sich warten lässt. Text und Fotos: Wolfgang Stelljes


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Foto: V. Macke

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DIE EIGENE TÜR Housing First heißt Wohnen für Obdachlose ohne Bedingungen. In Hannover-Vahrenwald hat das erste landesweite Projekt dieser Art begonnen. 15 BewohnerInnen sind jüngst eingezogen. Einer davon: Asphalter Franz. Wir haben ihn besucht. Ein kleiner roter Teppich, eine Grünpflanze, Vorhänge an bodentiefen Fernstern: der Anfang ist gemacht, das Leben auf der Straße Geschichte. Für Franz, möglichst für immer. Denn Franz hat jetzt einen Mietvertrag. Unbefristet. Im ersten HousingFirst-Projekt von Niedersachsen in Hannover-Vahrenwald. Housing First, ein Importkonzept aus Amerika, setzt in der Obdachlosenhilfe auf eigenen Wohnraum ohne Wenn und Aber: Erfolgreiche Sozial- und Suchtarbeit, Therapien und Schul-

denregulierung sind dabei nicht länger Voraussetzung für eine Wohnung, sondern ihre Folge. So die Idee. Vor sechs Wochen konnte Asphalt-Verkäufer Franz (58) zusammen mit seinem Verkäufer-Kollegen Karl und 13 weiteren Glücklichen in den roten Klinkerbau der Stiftung »Ein Zuhause« im Karl-Imhoff-Weg einziehen: Neun Männer und sechs Frauen aus der hannoverschen Obdachlosenszene – zwischen 19 und 59 Jahren alt – haben nach einem von Stadt und Region durch-


geführten Losverfahren ihre bisherigen Bleiben in Massenunterkünften, Kleingärten, Sleep-Ins und den vorübergehenden Hotelunterbringungen gegen einen echten Mietvertrag eingetauscht. »Dieser Moment, als ich den Schlüssel für meine Wohnungstür bekam, das hat schon Freudentränen gemacht. Ihr könnt euch das vielleicht nicht vorstellen, aber das Gefühl zur ganz eigenen privaten Toilette gehen zu können, das ist einfach ganz großartig«, sagt Franz mit badischem Dialekt und rückt fürs Asphalt-Foto inmitten seiner eigenen vier Wände sein Käppi gerade. Er zeigt seine nagelneuen 35 Quadratmeter gern: »Kochzeile, Kühlschrank, Waschmaschine, alles war schon da, die Möbel suche ich mir gerade mithilfe der Sozialarbeiterinnen zusammen, ein schönes Sofa habe ich schon gefunden, das weiß ich alles sehr zu schätzen.« Franz ist kaputt, wie er sagt: Milz gerissen, verschraubte Wirbelsäule, ein chronisches Lungenleiden. »Der Arbeitsunfall, als ich fünf Meter tief vom Hochlagergerüst gefallen war, hat mein Leben in Unordnung gebracht«, sagt Franz. Das war vor Jahren, in Düsseldorf gestrandet, landete er in einer toxischen Liebesbeziehung in der Trinkerszene, löste sich daraus mit Mühe. Seit gut einem Jahr lebt er in Hannover. Zunächst mit Schlafsäcken auf Parkbänken am Fluss, dann mal am alten Flughafen, mal im Sleep-In in der Wörthstraße. Immer von der Hand in den Mund. 450 Euro-Jobs könnte er noch machen, sagt er. Hat aber aktuell keinen. So zahlt die Miete das Jobcenter. Für das Wenige, was er braucht, reicht ihm der Hartz IV-Regelsatz. »Schönes« finanziert er sich seit einigen Monaten über den Asphalt-Verkauf.

Freiheit und Verantwortung Wer zu Franz oder den anderen Ex-Obdachlosen will, muss klingeln. Wie in jedem gewöhnlichen Mietshaus. So soll das sein. Die Sozialarbeit ist, anders als in Wohnheimen oder Unterkünften, nur ein Angebot, betont Susanne Kolb, die in 20 aktiven Jahren in der Obdachlosenhilfe gestählte Sozialarbeiterin vor Ort. »Manche nutzen unsere Hilfe häufig, andere kommen sehr gut allein klar, wieder andere haben eigene Betreuung über andere Träger wie die Zentrale Beratungsstelle.« Alle 15 BewohnerInnen seien höchst unterschiedlich. Manche kämen von Anfang an gut mit der ungewohnten Freiheit und Verantwortung fürs eigene Leben zurecht, andere bräuchten viel Unterstützung. »Einer unserer Be-

wohner stammt von der Szene am Weißekreuzplatz, kam hier ziemlich ungepflegt mit langem Bart an. 14 Tage später war der Bart ab, seine Wohnung blitzsauber, alles akkurat aufgeräumt. Der Mann erfüllt sich hier sein Bedürfnis nach Sicherheit und Ordnung, was er sich auf der Straße schlicht nie erfüllen konnte«, erzählt Kolb. Andere Bewohner brächten auch Wochen nach dem Einzug immer noch Besuch von der Straße mit, erzählt die Sozialarbeiterin. Auch zum gemeinsamen Trinken, warum auch nicht? Erstmal. »Die brauchen die alten Kontakte, die fürchten das Alleinsein,« erläutert Kolb. Housing First gebe ihnen die Zeit, die sie brauchen, um ihre Angelegenheiten in ihrem Tempo zu ordnen. Straße verändert Menschen, Wohnung aber auch. Der Weg zurück ist unterschiedlich lang.

Steigende Nachfrage Der Bedarf an Housing-First-Wohnungen ist groß. Weit mehr als dreimal so viele Menschen aus der Obdachlosenszene hatten sich auf die 15 Wohnungen beworben. »Als das Projekt auch szeneöffentlich bekannter wurde, stieg die Zahl der Interessenten abermals«, weiß Stiftungsrat Andreas Sonnenberg, im Hauptberuf Chef des räumlich nicht weit entfernten Männerwohnheims Werkheim – einer großen Einrichtung der stationären Wohnungslosenhilfe. Dort werden dezidiert verbindliche Hilfepläne geschmiedet, die rund 200 Männer von der Straße mit klarer Struktur und Sozialarbeit auf ein Leben nach der Obdachlosigkeit in eigener Wohnung vorbereiten. Für einige dauert der Prozess Monate, für andere Jahre, manche bleiben aufgrund zahlreicher Hemmnisse dauerhaft. Einen Gegensatz zu seinem neuen Housing-First-Engagement im Karl-Imhoff-Weg sieht der Fachmann nicht: »Housing First kann die herkömmliche Wohnungslosenhilfe nicht ersetzen, es ist aber ein starkes neues Instrument für uns, Menschen, die wir bisher nicht erreicht haben, versorgen zu können, das zeigt gerade auch die steigende Nachfrage.« Anzeige


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Foto: V. Macke

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Die Sozialarbeit wird von der Stadt und Region Hannover für drei Jahre mit 240.000 Euro finanziert. So lange dauert die Phase als Modellprojekt. »Wir müssen den Menschen jetzt Zeit geben, sich einzuleben. Mittelfristig wird die spannende Frage sein, ob für alle Beteiligten Sozialarbeit als reines Angebot ausreichend ist, oder ob für den einen oder anderen Bewohner ein verbindlicheres Angebot bereitet werden sollte«, sagt Regionssozialdezernentin Andrea Hanke. »Allein in einer Wohnung zu leben stellt sicherlich gewisse Anforderungen an die Menschen, die es nicht mehr gewohnt waren, so zu leben.« Die sichere Finanzierung der dafür nötigen wissenschaftlichen Begleitstudie steht indes noch aus.

5,60 Euro kalt Nicht nur in sozialarbeiterischer Hinsicht ist das Projekt im Karl-Imhoff-Weg besonders. Auch finanziell. »Wir konnten mit dem Bau der 15 Wohnungen zeigen, dass Wohnungsneubau mit ganz gewöhnlichen Fördermitteln für eine spätere Kaltmiete von 5,60 Euro pro Quadratmeter realisierbar ist«, betont Stiftungsrat Sonnenberg. Ein interessanter Hinweis in Zeiten, in denen sich die politischen Parteien mit Versprechen in Sachen Wohnungsbau auf den Kommunalwahlkampf vorbereiten. Ihm sei klar, dass das kleine Housing-First-Projekt den überhitzten Wohnungsmarkt in Hannover nicht substanziell beeinflussen könne, so Sonnenberg. »Wir finden für unsere Klientel deshalb keine Wohnungen, weil es sie auch für andere längst nicht mehr gibt. Kleine, günstige Zweizimmerwohnungen mit akzeptablen

Wohnen mit eigenen Briefkästen und Klingeln: Sozialarbeiterin Susanne Kolb mit Bewohner Franz vor dem Eingang des Housing-First-Hauses.

Nebenkosten sind Mangelware.« Gleichwohl plane die Stiftung schon das nächste Projekt: Auf dem zweiten, noch unbebauten Teil des von der Stadt Hannover zur Verfügung gestellten Grundstücks solle alsbald ein Haus für wohnungslose Familien entstehen. Asphalter Franz freut sich schon drauf: »Ihr könnt euch das »Nachbarn zu haben, das kann auch Glück vielleicht nicht vorstelbedeuten.« Vielleicht len, aber das Gefühl entstünden Freundzur ganz eigenen prischaften daraus. So wie vaten Toilette gehen die zum Asphalt-Kollezu können, das ist eingen Karl, der nur drei Türen weiter sein kleifach ganz großartig.« nes Appartement hat. Franz, Asphalt-Verkäufer Manchmal sitzen sie abends lange zusammen und erzählen, mal in der einen, mal in der anderen Wohnung. Denn zum Bedürfnis, die eigene Tür hinter sich zu machen zu können, gehöre doch auch das andere: »Das Bedürfnis, die Tür für andere zu öffnen.« Selbstbestimmt. Volker Macke/Jasmin Kohler/StreetLIVE* *StreetLIVE ist eine Kooperation von und


Impfstart für Obdachlose Hannover. Der Andrang ist größer als sonst an diesem Morgen vor dem Kontaktladen Mecki am dunklen Ende der Passerelle unter der Raschplatzhochstraße. Es ist Impfstart für Obdachlose. Bevor die Türen sich für die Impfwilligen öffnen, bereitet Rettungssanitäter Stephan von Krage von den Johannitern die Impfdosen vor. Denn gleich wird es Schlag auf Schlag gehen. Gekleckert wird hier heute höchstens in der Küche, beim Impfen soll geklotzt werden. »Wir haben 250 Dosen vorrätig und sogar 400 Anmeldungen aus der Szene. Notfalls können wir aber nachbestellen«, sagt Pascal Allewelt, der Leiter des Kontaktladens. Zwei Impfstationen wurden aufgebaut im Mecki, dennoch bereitet sich das Team auf einen langen Tag vor. »Bis 18 Uhr werden wir das nicht schaffen«, ist sich Krankenschwester Franziska sicher. Vor der Tür haben die SozialarbeiterInnen mitunter zu tun, um die aufkommende Unruhe zu besänftigen. Doch obwohl eine lange Wartezeit absehbar ist, bleiben die Wartenden insgesamt erstaunlich diszipliniert. Auch Asphalt-Verkäufer Uwe hat sich eingereiht. »Das wird heute meine erste Impfung«, sagt er, »ich bin froh, wenn ich das erledigt habe«. So wie ihm scheint es vielen zu gehen. »Das Impfangebot wurde gut angenommen«, so Allewelt, allerdings habe man auch kräftig die Werbetrommel gerührt. »Viele von den Leuten hier sind chronisch krank und müssen trotz Corona immer noch in Massenunterkünften wie am Alten Flughafen hausen.« Das macht die Obdachlosen zu einer Hochrisikogruppe. Mitten in der dritten Welle kommt dieser Impftermin nicht zu früh. UM

Online-Umfrage zu Obdachlosigkeit Hannover. Mit einer Umfrage zum Thema Wohnungslosigkeit will die Stadt Hannover »die Vielfalt der Lebenslagen von wohnungslosen Menschen noch besser verstehen, um passgenaue Unterstützungsangebote entwickeln zu können«, so Oberbürgermeister Belit Onay. Die Umfrage dauerte rund eine Woche und wurde hundertfach ausgefüllt. Mitmachen konnten nicht nur Wohnungslose sondern alle Interessierten in Hannover, betonte Sozialdezernentin Sylvia Bruns. Die Fragen im Multiple Choice-Format bezogen sich unter anderem auf beobachtete Aufenthaltsorte Wohnungsloser, eigene Erfahrungen auf der Straße, Einstellungen zur Wohnungslosenhilfe, zu Engagement und Unterstützungsmöglichkeiten. Alles anonym, freiwillig und – mehrfach ausfüllbar. Plakate und Handzettel mit QR-Codes wurden auf Deutsch, Russisch, Polnisch, Bulgarisch, Rumänisch und Englisch in der Stadt an die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe verteilt. Die Ergebnisse werden voraussichtlich im letzten Sozialausschuss vor der Sommerpause im Juni vorgestellt. Die Betroffenenvereinigung »Armutstinkt« hat in einer ersten Reaktion den Tenor der Umfrage als »stigmatisierend« verurteilt, sie »reproduziere diskriminierende Vorurteile«, stelle »den wohnungslosen Menschen als Störfaktor« dar. Eine weitere Umfrage zum Thema via Bürger-Panel (3.000 rerpäsentativ ausgewählte BürgerInnen) soll im Sommer folgen. MAC

Foto: V Macke

Foto: U. Matthias

AUS DER SZENE


Es ist Anfang April, das Wetter ist kalt, regnerisch, einfach ungemütlich, während ich diese Zeilen für die Mai-Ausgabe schreibe. Doch wenn Sie liebe Leserinnen und Leser sie lesen, dann sieht die Welt wahrscheinlich ganz anders aus. Vergessen Sie einfach mal Corona. Damit müssen wir wahrscheinlich noch eine ganze Zeit leben. Nehmen wir’s hin und seien wir vorsichtig im Umgang mit unseren Mitmenschen. Aber freuen wir uns einfach mal, wenn wir gesund sind. Freuen wir uns auf die warme Jahreszeit und freuen wir uns, der Enge der vier Wände entfliehen zu können. Ich liebe den Mai – und während ich dies schreibe, entscheide ich ganz spontan: es ist mein Lieblingsmonat! Ich liebe die Sonne, die Wärme! Ich liebe es, zu erleben, wie wunderbar die Natur erwacht, wie herrlich der Flieder duftet, wie schön die blühenden Bäume und die ersten Blumen auf der Wiese sind. Da denke ich an das Gedicht von Eduard Mörike: »Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohl bekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land …« Genießen Sie einfach in vollen Zügen diese wundervolle Jahreszeit (vielleicht mit einem Eis auf einer Bank am Kanal!).

Viele Mai-Grüße Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»WAHLHELFER UND MALER« Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Stefan (56). Hallo Stefan, du bist jetzt Mitglied der Asphalt-Familie, hast zuvor acht Jahre in Göttingen den TagesSatz verkauft. Ist dir die Umstellung schwergefallen? Eigentlich nicht, meine Kunden haben sich sehr darüber gefreut, dass das Projekt weitergeführt wird, alle Verkäufer übernommen wurden und nun den Asphalt verkaufen dürfen.

Kannst du dich noch erinnern wann du die erste Straßenzeitung verkauft hast? 2012 war das. Ich habe ja selbst studiert und bin eigentlich Betriebswirt. Nach dem Studium habe ich im Außendienst gearbeitet und in Clausthal-Zellerfeld gewohnt. Das hat mir zwar viel Freude gemacht, aber meine psychische Gesundheit hat dem Druck der Arbeit nicht standgehalten. Daher bin ich nach Göttingen umgezogen und von einem Aushilfsjob in den anderen vermittelt worden. Ich hatte das Gefühl, dass ich nichts mehr tauge. Aber ich habe mich wieder aufgerappelt und bin heute als Erwerbsminderungsrentner im Unruhestand.

Das ist zum Jahreswechsel 2019/2020 entstanden. Da gab es die ersten Berichte über Corona. Da habe ich meine Gefühle und Ängste verarbeitet. Ich wusste ja noch nicht, was da auf mich zukommt.

Was sind sonst die Themen deiner Bilder? Ich male alles was mir in den Kopf kommt. Das kommt einfach. Michelin Männchen oder Schäferhunde oder Rennautos. Das mache ich einfach. Das habe ich nie gelernt, aber es macht mir Spaß und ich staune oft, was da auf dem Papier landet. Oder auf der Leinwand. Aquarell, Acryl, Kugelschreiber oder was auch immer mir in die Finger fällt wird benutzt.

Sind deine Bilder auch zu verkaufen? Die meisten verschenke ich an Menschen, die mir was bedeuten. Aber ich verkaufe auch gerne mal ein Bild, wenn man mich lieb bittet.

Du bist ja auch als Wahlhelfer tätig, warum? Wie bist du dann zur Straßenzeitung gekommen? Mein verstorbener Verkäuferkollege und Freund Werner Koßmann hat mich damals mitgenommen ins Büro und seitdem habe ich Spaß am Verkaufen. Seitdem hatte ich meinen Standplatz an der Universität. Da habe ich sehr gern verkauft, aber dann kam Corona.

Das gibt mir die Bestätigung, dass ich auch noch was anderes kann. Das mache ich sehr gerne und es macht mir Freude. Die Demokratie in Deutschland ist mir wichtig, da möchte ich gerne meinen Teil zu beisteuern.

Wirst du dieses Jahr im September zur Bundestagswahl auch wieder mit am Start sein?

Du musstest deswegen den Standplatz wechseln, da die Universität geschlossen hat und stehst jetzt am Geismar Tor. Vermisst du deine Studenten?

Ich glaube schon. Beim letzten Mal war ich ja auf den Zietenterrassen im Wahlbüro als Beisitzer, da gehe ich gerne wieder hin.

Oh ja, ein paar Studenten und Angestellte der Universität kommen aber auch regelmäßig an meinem neuen Standplatz vorbei und holen sich den Asphalt/TagesSatz bei mir. Das ist schön. Da verlieren wir den Kontakt nicht ganz. Es haben mich ja auch schon einige vermisst an der Uni.

Dann gehst du auch selbst zur Wahl?

Hast du auch Laster oder bist du nur ein Workaholic? (Lacht) Ich rauche nicht, trinke nicht und nehme keine Drogen. Eigentlich bin ich ein richtiger Spießer, was das an geht. Aber Arbeit ist für mich wichtig. Ich brauche die Struktur und die Freude. Mit einem Lächeln oder Trinkgeld macht man mich immer glücklich.

Ja klar, das mache ich schon immer, seit ich 18 bin.

Hast du Wünsche an die Politiker? Ja, glaubwürdige Aussagen und dass sie sich auch nach der Wahl noch an ihre Wahlversprechen erinnern. Das war ja nicht immer so.

Und was wünscht du dir für deine eigene Zukunft?

Musik höre ich gerne, lese und male. Aber nur wenn die Muse mich küsst.

Dass ich gesund bleibe. Das ist ja nicht immer der Fall. Da gibt’s ja das eine oder andere kleine Zipperlein. Ich musste jetzt ja auch zwei Wochen aussetzen, weil ich nicht laufen konnte. Aber meine Kunden freuen sich immer, wenn ich dastehe und ich freue mich darauf, dass ich bald zweimal gegen Corona geimpft bin. Wenn die Uni wieder öffnet, bin ich auch wieder auf meinem Platz gegenüber der SUB zu finden. Hoffentlich ganz bald.

Du hast für die Leser ein Bild mitgebracht, das ist recht düster. Wann ist es entstanden?

Interview und Fotos: Ute Kahle

Was machst du, wenn du keine Straßenzeitung verkaufst?


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Stefan verkauft Asphalt/TagesSatz aktuell am Geismar Tor und gegenüber der SUB (Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek) in Göttingen.


RUND UM ASPHALT

Leinestern: Jetzt bewerben!

Foto: V. Macke

Asphalt hat ihn längst. Den Leinestern, den Anerkennungspreis für das besondere ehrenamtliche Engagement in und um Hannover, bekam Asphalt vor acht Jahren. Für den Leinestern 2021 sind jetzt wieder Bewerbungen möglich. Bewerbungsfrist für Vorschläge ist der 21. Mai. Seit 2009 werden alle zwei Jahre die Glanzlichter des Ehrenamtes gewürdigt. »Wir fördern das bürgerschaftliche Engagement und ehren Menschen, die sich selbstlos für das gute Miteinander und den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft einsetzen«, so Jochen Ramakers, Vorstandsvorsitzender der Sparda-Bank-Stiftung Hannover, die gemeinsam mit dem Freiwilligenzentrum Hannover die Auszeichnung vergibt. Bewerben können sich alle freiwillig Engagierten, die in Projekten aktiv sind und gemeinnützige Zwecke verfolgen. Gleichfalls können Freiwillige auch von Freunden, Bekannten, KollegInnen vorgeschlagen werden. Die Preise sind mit 500 bis 1.500 Euro dotiert. Bewerbungsunterlagen und weitere Infos unter: www.freiwilligenzentrum-hannover.de/ projekte/leinestern. MAC

Asphalt für die nächsten sechs Monate direkt nach Haus. Weil die neue Covid-19-Welle VerkäuferInnen und KäuferInnen das Zusammentreffen auf der Straße schwierig macht. Bestellen Sie für 24 Euro unser Solidaritäts-Abo im Postversand oder als pdf-Datei über meyer@asphalt-magazin.de oder per Telefon 0511 – 301269-27. Normalerweise finden Sie Asphalt nur auf der Straße. Weil es ein Augenhöheprojekt ist. Menschen der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen sollen sich begegnen, voneinander erfahren. In Corona-Zeiten aber ist alles anders. Manche VerkäuferInnen und manche KäuferInnen gehören zu Risikogruppen, sind selten außer Haus. Daher bietet Asphalt in dieser Zeit die Möglichkeit zum 24-Euro-Abo, Versandkosten inklusive. Die Einnahmen helfen, das Projekt zu retten und Lebensmittelgutscheine für unsere Asphalter zu finanzieren. MAC

Gesuch & Gruß Fred, »unser« Verkäufer der Asphalt-Zeitung beim Edekamarkt Wucherpfennig in Ricklingen, hat am 2. Mai Geburtstag. Wenn wir recht informiert sind, seinen 65sten. Wir wünschen ihm alles nur erdenklich Gute und dass sich sein Wunsch, einen Computerkurs zu belegen, erfüllen mag. Herzliche Grüße von Familie Knoll.

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: A. Bruhns, J. Kohler, O. Neumann, B. Pütter, T. Rosenbohm, W. Stelljes Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Heike Meyer

Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 26. April 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


ASPHALT 05/21

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Foto: U. Matthias

»Asphalt ist Wertschätzung«

Ausgezeichnet Eine besondere Ehre wurde Asphalt-Verkäuferin Katrin Müller zuteil: Als erste Preisträgerin der »Ronnenberger Blume« wurde sie für ihr nachbarschaftliches Engagement ausgezeichnet. »Katrin Müller macht sich täglich während ihres Zeitungsverkaufes verdient um die Ronnenberger, sie ist Kümmerin, Ansprechpartnerin, soziale Kontaktperson und Hilfe in jeder Lebenslage, besonders für unsere älteren Mitbürgerinnen und Mitbürger«, so Fynn Nuglisch, Ortsverbandsvorsitzender der CDU in Ronnenberg. Die Partei möchte den neuen Preis künftig zweimal im Jahr verleihen. Dieser ist mit einer stattlichen Hortensie dotiert, die dem Preis seinen Namen gab, sowie einer Porzellanschale mit Stadtwappen und einem kleinen Einkaufsgutschein. Asphalterin Katrin freute sich sichtlich über die Anerkennung. Seit zwei Jahren hat sie ihren Verkaufsplatz am Nettomarkt in Ronnenberg. Dort zeige sie sich nicht nur gegenüber ihren Kunden jederzeit freundlich und hilfsbereit, sondern auch deren Hunden, wie Bürgermeisterin Stefanie Harms betonte. »Gefühlt kennt inzwischen jeder zweite Ronnenberger und jede zweite Ronnenbergerin die Katrin Müller«. Nach dieser Preisverleihung dürften es wohl sogar noch ein paar mehr werden. Für die Asphalt-Verkäuferin ist die plötzliche Prominenz jedoch kein Grund, etwas an ihrem Engagement zu ändern: »Ich mache weiter wie gehabt«. UM

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover): Gelb

Doris Schröder Köpf, MdL und Landesbeauftragte für Migration und Teilhabe

»Die Hälfte des Verkaufspreises und mindestens ein freundliches Wort: Asphalt bietet nicht nur eine vergütete Arbeit – Asphalt schafft dazu Orte für Gespräche und bringt Menschen zusammen, Asphalt lässt Hürden überwinden und Vorurteile abbauen. Was entsteht, sind gegenseitiger Respekt und Wertschätzung. Schön sind die persönlichen Geschichten, die ich beim Kauf der Asphalt mitnehmen kann.«

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BRIEFE AN UNS

Zu Asphalt 04/21 Gespräch mit Sylvia Bruns 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

Blind gekauft?

Die roten Häuser stehen seit ca. zwei Jahren leer, die Häuser in der Kleefelder Straße nunMIT HOFFNUNG mehr auch fast zweieinhalb Jahre. Jede Wohnung, sofern man sie beheizen kann, es Sanitäreinrichtungen und eine Kochgelegenheit gibt, ist besser als Hauseingänge oder Brücken. Die Stadt lässt aber lieber leerstehen. Auf Seite 21 sagt Frau Bruns: »Die Vorplanungen für die Kleefelder Straße laufen«. Was ist eine Vorplanung? Ich muss doch vorher wissen, was ich mit der Immobilie machen will, welche Modernisierungen und Umbauten erforderlich sind und was das Ganze voraussichtlich kostet. Hat die Stadt blind gekauft? Bei ordnungsgemäßer Bearbeitung hätten die Wohnungen bis Oktober 2020 bezogen werden können. Aus Schlendrian und Unfähigkeit mussten ca. 100 Obdachlose den Winter auf der Straße oder in Notunterkünften überleben. Man sollte der Stadt die Häuser abkaufen. Zum Beispiel mit einer Stiftung »Ein Zuhause II«. Gefragt sind Sachverstand, Engagement und Geld. Wer macht mit? Asphalt-Unterstützer meldet euch! Der nächste Winter kommt! Albrecht Mayer, Hannover

04 21

Wir kommen aus Hannover „In meinem Viertel gibt es bunte Wände und eine bunte Gesellschaft. Ich komme aus Hannover“ lautet das Statement von Timo Hübers, der neben vielen weiteren Personen im Videobeitrag von 96plus zu den internationalen Wochen gegen Rassismus zu sehen ist. Das Motto „Wir kommen aus Hannover“ resultiert aus der Grundidee, dass die Spieler von Hannover 96 in der überregionalen Berichterstattung in erster Linie über ihre Zugehörigkeit zum Verein bzw. zur Stadt definiert werden, ihre Herkunft somit primär keine Rolle spielt. Somit sind in diesem Filmbeitrag Menschen zu sehen, die einer ehrenamtlichen oder beruflichen Funktion nachgehen, die das Leben in unserer Stadtgesellschaft ein wenig bunter und diverser gestaltet – unabhängig davon, ob sie oder ihre Eltern aus Hannover stammen oder nicht. Der Beitrag ist auf den 96plus-Kanälen auf Facebook, Instagram und der Hannover 96-Homepage einzusehen.

HÄUSER UND TORTEN

OLAF SCHOLZ

SOZIAL UND LIBERAL

Hilfe für die Roma-Kinder im alten Siebenbürgen.

Straßenzeitungen befragen den Kanzlerkandidaten der SPD.

Sylvia Bruns‘ Blick auf Armut und Obdach.

Zu Asphalt 03/21 »Dankbar nach Ostern« 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

03 21

Gesunde Lebensweise bestraft

In diesem lesenswerten Interview hat mich eine Aussage gestört, nämlich, dass (nur) STRASSE WIRD WEIBLICHER Geimpfte ihre Freiheitsrechte zurückerhalten sollen. Und die anderen sollen weiterhin mit Entzug von der Teilnahme am öffentlichen Leben bestraft werden? Gesunde Lebensweise, die das Immunsystem stärkt und damit Grippe und ähnliche Infekte überflüssig macht, wird bestraft. Hauptsache der Profit der Pharmaindustrie stimmt und es wird weiter Fleisch von psychisch und physisch gestörten Tieren aus der Massentierhaltung gegessen. Regina Witz, Hannover OBDACHLOS MIT BABY

ROBERT HABECK

ENDE DER HOFFNUNG

Patricia ist eine von 60.000 Frauen ohne Wohnung.

Straßenzeitungen befragen den Spitzenkandidaten der Grünen.

Wenn der Gerichtsvollzieher die Wohnung nimmt.

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben. Leserbriefe an: redaktion@ asphalt-magazin.de oder postalisch: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover. Zuletzt: Briefe, die Diffamierungen, Drohungen o.ä. enthalten, drucken wir nicht ab. Diese Qualitätskontrolle können wir uns im Print noch leisten.

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Foto: Olaf Heine

ARMUT GEHT UNS ALLE AN Sie ist eine der wenigen deutschen Bands, die auch international erfolgreich sind – Fury in the Slaughterhouse. Mit ihrem Comebackalbum bleiben die Hannoveraner den handgestrickten Melodien treu. Im Asphalt-Interview spricht Sänger Kai Wingenfelder über Hoffnung in chaotischen Zeiten, soziales Engagement und Rock’n’Roll als Lebensgefühl. Herr Wingenfelder, wo erwische ich Sie gerade? In der Stadionsporthalle in Hannover. Wir müssen hier für eine Fernsehaufzeichnung proben, und zwar mit den Originalabständen und den Originalaufbauten.

Sie haben in der Pandemie bereits zwei Alben aufgenommen. Gewöhnen Sie sich allmählich an die neue Situation? Die Platte zum zehnjährigen Wingenfelder-Jubiläum haben wir

bereits vor Corona aufgenommen, wir mussten sie jedoch verschieben. Es war trotzdem ein Desaster, weil man wegen Corona keine ordentliche Promotion machen kann. Sie ist einfach unten durchgefallen. Schade, weil es eigentlich ein schönes Album geworden ist. Wir haben uns trotzdem dazu entschlossen, die neue Fury-Platte »Now« jetzt herauszubringen. Wir möchten den Leuten Gelegenheit geben, in schwierigen Zeiten wenigstens zur richtigen Musik durch die Küche zu tanzen.


Ich habe die Hoffnung in die Menschheit ein bisschen verloren, aber ich gebe trotzdem nicht auf. Das Lied sinSolange Menge ich aus der Zukunft für meinen 13-jährigen Sohn. Ich entschulschen sich gedige mich dafür, wie wir ihm die genseitig auf Welt hinterlassen. Wenn wir jetzt die widerwärnichts tun, wird es sehr eng wertigsten Arten den. Aber Idioten wie Bolsonaro, abschlachten, Trump oder die Aluhüte in unserem Land haben die Einschläge wird es auch imnicht gehört. Gefährliches Halbmer Arme und wissen nennt man sowas. Ich Reiche geben. kann die Menschheit nicht verstehen. Wenn wir diese Welt nicht ein bisschen retten, kommt halt ganz Afrika zu uns rüber. Und ich kann sie verstehen, denn hier wird es noch Wasser geben.

dann ist das eine Ventilfunktion. Da beschwert sich jemand, und das Publikum beschwert sich mit. Das hat mehr Berechtigung als manch anderes Ding. Kunst und Kultur sind wichtig. Ein Land ohne Kultur und Bildung wäre gar keines. Bei uns wird leider Gottes genau in diese beiden Dinge nichts investiert.

Wären Sie damit einverstanden, wenn man das melancholische »Not The Time To Live A Lie« auch als einen Appell an die Politiker unserer Zeit lesen würde? Nein, das ist im Grunde genommen ein Liebeslied. Bei meiner ersten großen Liebe sind die Eltern der Kinder wegen zusammengeblieben. Das war für die Kids genauso fürchterlich wie für die Eltern. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Manchmal muss man einfach einen unbequemen Schritt gehen, auch wenn es weh tut.

Wie gehen Sie mit der Konzertzwangspause um? Kommt bei Ihnen langsam Frust auf? Ja, da kommt Frust auf, das ist jetzt das zweite Jahr. Wir haben 2020 in Hannover genau drei Autokonzerte gespielt. Riesige Rock’n’Roll-Shows mit großen Videowalls, zu denen wir

Künstler sind das Thermometer einer Gesellschaft. Nicht alle, aber wahnsinnig viele, weil sie einfach sensibler sind für das, was da passiert. Oder sie machen nur Entertainment wie die halbe Schlagerbranche. Bei mir ist das nicht so, ich gehe auch auf die Straße und demonstriere. Meine 17-jährige Tochter tut es auch. Insofern habe ich die Hoffnung nicht verloren. Meine große Tochter ist 30 und macht mich jetzt zum Opa. Ich freue mich, dass ich das noch erleben darf.

Foto: Martin Huch

Wird Kunst wichtiger in politisch turbulenten Zeiten?

Der Mythos geht davon aus, dass sich RockmusikerInnen gerne mit Sex, Drogen und Gitarren beschäftigen. Wollten Sie deshalb unbedingt Musiker werden? Rock’n’Roll ist für mich ein Lebensgefühl. Es hat mit Freiheit und Rebellion zu tun. Damals in Hannover waren wir eine Gang. So wollte ich leben. Ich bin ein Nachtmensch. Mit meinen über 60 Jahren hat sich das wilde Leben ein bisschen gelegt. Aber mein Lebensstil ist immer noch der gleiche.

Inwieweit beeinflusst die Rockmusik die bisherige Gesellschaft und den bisherigen Lebensstil noch?

Kai (li.) und Thorsten Wingenfelder sind nicht nur als Köpfe der Band

Wenn man auf ein Konzert einer coolen Band geht,

die Brüder gemeinsam auch als Duo »Wingenfelder« auf.

Fury in the Slaughterhouse bekannt. Seit mehr als zehn Jahren treten

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In dem Song »Sorry« heißt es, der Planet warte darauf zu sterben. Haben Sie die Hoffnung verloren, dass die Erde noch zu retten ist?

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Ein Land ohne Kultur und Bildung wäre gar keines. Bei uns wird leider Gottes genau in diese beiden Dinge nichts investiert.

systemrelevante Schwestern und Brüder eingeladen haben. Wir haben dafür extra Filme produziert. Die Besucher konnten sich gleichzeitig auf Videowalls einloggen und sich von Auto zu Auto zuwinken, damit sie das Gefühl haben, miteinander verbunden zu sein. Beim Einlass habe ich eine Stunde lang Windschutzscheiben geputzt und allen guten Tag gesagt. Ich wollte wissen, für wen wir spielen. Das war ein tolles Erlebnis, aber wir würden es nicht noch einmal machen.

Haben Sie Ideen für andere Konzepte? Die normale Tour mussten wir erneut verschieben, aber wir spielen jetzt coronakonforme Open-Air-Shows. Nicht mit 30.000 Leuten, sondern 3.000 Strandkörben. Es geht nicht anders. Wir hoffen, dass unsere wahnsinnige Impf-Task-Force, natürlich bestehend aus den richtigen Leuten, es hinkriegt, dass bald wenigstens ein bisschen mehr geimpft wird als jetzt. Das könnte dafür sorgen, dass wir wenigstens diese Shows spielen können.

Werden in naher Zukunft nur noch geimpfte Menschen Veranstaltungen besuchen dürfen?

Foto: Olaf Heine

Man sieht es an Israel, da kommt man nur mit einem Impfpass in ein Konzert rein. Das kann in Deutschland auch passieren. Ich finde das sehr bedenklich, weil ich nicht weiß, ob ich meine Kinder mit allen möglichen Dingen vollpumpen lassen muss. Ich traue den Pharmakonzernen nicht über den Weg. Über die gefährlichen Krankheiten kann man aber reden. Ich bin auf alle

Fälle kein Aluhut. Ich teste hier, was das Zeug hält und setze meine Maske auf. Ich verhalte mich so artig wie es geht und würde jetzt auch nicht nach Mallorca fliegen.

Fury In The Slaughterhouse engagieren sich als Künstler und Schirmherren für »DIE!!! Weihnachtsfeier« für Obdachlose und Bedürftige in Hannover. Was treibt Sie an? Armut geht uns alle an. Besonders im Winter, wenn es kalt wird. Es ist eine Kleinigkeit, dagegen etwas zu tun. Nichts ist schöner, als in Kinderaugen zu gucken. Da sind Familien, die alle Weihnachtsgeschenke bekommen. Wenn ich da rumlaufe und denen Gänsebraten mit Klößen und Rotkohl serviere, wissen die zum Teil gar nicht, wer wir sind. Das spielt auch keine Rolle. Hauptsache, ich weiß an dem Abend, was ich getan habe. Das ist wenigstens etwas. Wir haben auch jahrelang einen Kindergarten in der Glocksee komplett finanziert. Und in einem südafrikanischen Township spielt eine Mädchenfußballmannschaft mit Wingenfelder-Trikots. Mein Freund Matthias Graf Lambsdorff hat den Verein Schlitzohren gegründet, der bedürftigen Kindern auf der Welt hilft. Wir bringen gerade Computer nach Südafrika, damit Kids dort etwas lernen können.

Warum wollen Sie ausgerechnet etwas gegen Armut tun? Wir tun auch noch andere Dinge. Wir haben zum Beispiel das »Fuck Chirac«-T-Shirt erfunden, weil wir etwas gegen Atomtests unternehmen wollten. Wenn jemand auf der Straße herumhängt und dieser Person geht es nicht gut, dann kriegt die auch meinen Euro. Wem es gut geht, der muss etwas geben. Tut er es nicht, ist er ein Egoist. Die Armen sind nicht alle arm, weil sie faul sind. Sie werden in Situationen hineingepresst, für die sie teilweise nichts können. Unser System macht es nicht einfach, aus dieser Falle wieder rauszukommen. Wenn wir dazu einen kleinen Beitrag leisten können, dann tun wir das gerne.

Kai Wingenfelder Geboren am 26. November 1959 in Hamburg. Im Dezember 1986 gründet er mit seinem Bruder Thorsten, Rainer Schumann, Christof Stein-Schneider und Hannes Schäfer in Hannover die Rockband Fury In The Slaughterhouse (Aufruhr im Schlachthof). Seit 1989 hat sie 18 Alben und rund 30 Singles veröffentlicht, die sich bis heute vier Millionen Mal verkauft haben. 1995 tourt sie erfolgreich durch die USA. 2008 löst sich die Gruppe vorübergehend auf, und Kai gründet mit seinem Bruder Thorsten das deutschsprachige Projekt Wingenfelder. Zum Reunion-Konzert am 8. Juni 2013 auf der Expo-Plaza in Hannover kommen 25.000 Fury In The Slaughterhouse-Fans. Am 10., 11. und 12. März 2017 spielen Fury anlässlich ihres 30-jährigen Bandjubiläums erneut ausverkaufte Reunion-Konzerte; diesmal in der TUI-Arena in Hannover. Kai Wingenfelder initiiert regelmäßig Fundraising-Projekte, zum Beispiel für krebskranke Kinder oder Waisen in Thailand. Er lebt heute mit seiner Familie bei Eckernförde in Schleswig-Holstein. ON


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schlossen wir, Musik zu machen und haben das auch durchgezogen. Dabei mussten wir zeitweise durch tiefes Wasser hindurch.

Foto: Mark Eickhorst

Wie sind Sie damit umgegangen, keine Sicherheiten zu haben?

Seit vielen Jahren engagieren sich Kai und Thorsten Wingenfelder für

Ich kenne Phasen, in denen ich zwar Geld hatte, aber auch Angstzustände. Die Leute stellen sich das immer so easy vor mit dem Rock‘n‘Roll-Star, aber sobald du eine Familie hast, wird alles ein bisschen schwieriger. In Amerika zum Beispiel musste ich eine Therapie machen, was nicht leicht war. Ich saß in New York im Hotelzimmer nach sieben Tagen voller Interviews und wollte nicht mehr rausgehen. Unsere Tourmanagerin holte mich dann aus dem Loch heraus. Daraufhin begann ich eine Therapie. Mein Bruder hat mich dreimal ins Krankenhaus gefahren, weil ich dachte, ich sterbe an einem Herzinfarkt. Ich hatte aber nur Reflux. Zum Glück bin ich die Angstzustände wieder losgeworden. Manchmal schimmern die noch durch, dann weiß ich genau, heute Abend werde ich nichts trinken und früh schlafen gehen. Morgen wird es wieder okay sein. Und das ist dann auch so.

Obdachlose und Bedürftige, unter anderem mit einem Gastauftritt beim Protestsong-Contest von Asphalt im Mai 2016.

Glauben Sie, dass eine Welt ohne Armut möglich ist? Mit Menschen? Nein, das glaube ich nicht. Der Mensch ist nicht dafür geschaffen. Er ist ein gefährliches Tier. Tiere jagen und fressen ihre Beute. Und im Winter legen sie vielleicht Vorräte an. Aber der Mensch will einen Lamborghini, Nutten und Koks. Solange Menschen sich gegenseitig auf die widerwärtigsten Arten abschlachten, wird es auch immer Arme und Reiche geben.

Ist die daraus resultierende Wut Ihre Antriebskraft? Ich würde es nicht als Wut bezeichnen, es ist eher Enttäuschung. Ich will aber kein negativer Mensch sein, sondern ein Realist, der seinen Kindern etwas Schönes mitgeben will. Ich versuche, Dinge konstruktiv zu ändern. Das macht das Leben lebenswerter als z. B. Saufen.

Mussten Sie selbst schon einmal von der Hand in den Mund leben? Ja, ich hatte mehrere Phasen, die nicht so richtig schön waren. Vor Fury habe ich mit Christof Stein-Schneider in einer Autolackiererei gewohnt. Christof ist immer zu mir in die Küche gekommen, wenn lackiert wurde. Die Bude hat mich 100 Mark Miete gekostet, mehr hatte ich damals nicht. Irgendwann be-

Hatte die Arbeit am Fury-Album auf Sie einen therapeutischen Effekt? Wir hatten keine Therapie nötig. Wir haben uns getroffen und entschieden, mal zu gucken, ob es mit dem Produzenten Vincent Sorg funktioniert. Unser Manager meinte, wenn wir ein schönes Album hinkriegen würden, hätten wir noch zwei, drei Jahre miteinander Spaß. Das würde er an unserer Stelle mitnehmen. Anschließend könnten wir ja Pause oder Schluss machen.

Und nächstes Jahr sehen wir Fury dann wieder in Wacken als »Die beschissenen 6«? Wir hätten schon letztes Jahr dort spielen sollen. Aber ich glaube, es wird auch dieses Jahr nicht stattfinden. Sobald es wieder möglich ist, spielen »Die beschissenen 6« auf der Biergarten-Stage, bis es rumst und knallt. Diesmal wissen aber alle von Anfang, wer sich dahinter verbirgt. Insofern wird der Laden gleich voll sein und nicht erst am Ende. Wacken war tierisch! Zuerst standen nur besoffene Typen mit bayerischen Maßkrügen vor der Bühne, aber nachher waren es 12.000 Leute, und der Laden ist auseinandergebrochen. Alle sangen bei »Time To Wonder« mit und lagen sich in den Armen. Interview: Olaf Neumann

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BUCHTIPPS Peng! Peng! Peng! Wenn der Energiekonzern Vattenfall auf einer PK seine sofortige Umstellung auf erneuerbare Energien mitteilt, wenn ein CDU-Ortsverein an die Kanzlerin appelliert, im Namen des »C« Waffenexporte zu stoppen oder sich der Bundespräsident mit einem lockeren »Sorry« bei LeistungsempfängerInnen für die Hartz-Drangsalierungen entschuldigt, steckt das »Peng! Kollektiv« dahinter. Ja, und wenn die AfD-Lautsprecherin Beatrix von Storch eine Sahnetorte ins Gesicht bekommt auch. Nach kurzer Einleitung beginnt Jean Peters, der noch eine Reihe anderer Pseudonyme hat, mit der Beschreibung dieser »Tortung« – Schuld und Sahne – und sofort schwindet die Sorge, dass hier heroische Anekdoten »aus dem subversiven Widerstand« erzählt werden. Vielmehr wird greifbar, was auch die Aktionen des Kollektivs bestimmt: eine in ihrer Radikalität einzigartige Verbindung von Wärme, Haltung, Reflexion und Spaß. »Wenn die Hoffnung stirbt…« wird so paraxoderweise zu einer Ermutigung. BP Jean Peters | Wenn die Hoffnung stirbt, geht‘s trotzdem weiter. Geschichten aus dem subversiven Widerstand | S. Fischer | 256 S. | 21 Euro

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Dinner for one Manchmal ist der Anlass zum Lesen eine Irritation. Diana Kinnert irritiert mich. JournalistInnen begegnen vermeintlichen Abweichungen in der Regel, indem sie sie mit Labels überschütten. Also: Kinnert ist 30. Katholikin. Erfolgreiche Unternehmerin. Politikberaterin. Offen lesbisch. Migrationshintergrund. Und sie hat schon vor Jahren ein kluges Buch über die CDU geschrieben, in der sie keine ganz unbedeutende Rolle spielt. Mit dem Autor Marc Bielefeld hat Kinnert nun einen 450-Seiten-Wälzer geschrieben. Zunächst ist »Die neue Einsamkeit« gebaut auf einem ganzen Gebirge an Material. Studien, fachwissenschaftliche Abschweifungen, journalistische Recherchen, sehr persönliche Anekdoten machen das Buch unglaublich dicht. Kinnerts und Bielefelds Rundgang durch Stadt, Land und Internet, von der Generation Lost zu den Alten ist vor allem aber in der Klarheit seiner Aussagen überraschend: Wir haben uns mit der Ideologie des flexiblen Kapitalismus und der Auslieferung an digitale Strategien der Vereinzelung ein Problem gezüchtet, das für Gesellschaften bestandsgefährdend ist. Die Pandemie hat es eskaliert und damit auf die Agenda gesetzt. Zeit, daran zu arbeiten. BP Diana Kinnert, Marc Bielefeld | Die neue Einsamkeit und wie wir sie als Gesellschaft überwinden können | Hoffmann und Campe | 448 S. | 22 Euro

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SPIELETIPPS Scharade

Kugelgeister Dreidimensional und ansprechend gestaltet ragt die Burgruine aus dem Karton. Die Spieler machen sich als kleine Magier auf den Weg. Es geht im wahrsten Sinne des Wortes auf sicheren und unsicheren Wegen auf den Berg, je nach Anzahl des Würfels 1, 2 oder 3 Felder pro Wurf. Doch oh Schreck, es gibt auch Pfeile, und die lassen bis zu drei Kugelgeister frei. Wirft ein Kugelgeist einen Magier vom Berg hinunter, dann darf er an der nächsten sicheren Ecke den Weg wieder aufnehmen. Ein schnelles, von Glück und Taktik geprägtes Spiel, das mit einer Spielzeit von maximal 15 Minuten auch für kleinere Kinder geeignet ist. Unter Aufsicht können auch jüngere Spieler mitspielen und wenn mehr Spieler teilnehmen, wird es spannend, wer zuerst das Ziel, die Ruine, erreicht. Kugelgeister, Drei Magier Spiele, Kinderspiel für 2 bis 4 Spieler ab 5 Jahren, ab 28,99 Euro.

Getestet von Ute Kahle

In der Reihe After Dinner Games sind vier kleine aber feine Spiele im Kleinformat erschienen, die in jeder Hand-, Hosen- oder Reisetasche ihren Platz finden. Insbesondere »Scharade« hat es uns beim Test angetan und zu diversen Lachanfällen geführt. Zwei Teams stellen bis zu 50 Aufgaben in den Kategorien Tiere, Tätigkeiten, Berufe, bekannte Personen und Kunst & Kultur dar, was insbesondere für jüngere Mitspieler eine Herausforderung ist. Ein Ei legen konnten alle, aber wie stellt man eine Krabbe oder das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge dar? Versuchen Sie es selbst und beachten Sie das Zeitlimit, denn nach 30 Sekunden darf das gegnerische Team weiterraten. Scharade, moses-Verlag, Ratespiel für 4 bis 10 Spieler ab 14 Jahren, ab 5,49 Euro.

Anno 1800 Das Zeitalter der Indus­ trialisierung wird im Aufbau-Strategiespiel thematisiert. Jeder Spieler baut seine eigenen Inseln aus, indem neue Gebäude, Werften und Schiffe errichtet, Ressourcen gehandelt und die Bedürfnisse der Bevölkerung befriedigt werden. Alte Welten werden erschlossen, Expeditionen gestartet und neue Welten erkundet. Eine Auswertung am Ende einer jeden Runde, die gerne mal zwei Stunden und länger dauert, zeigt, wessen Strategie zum Erfolg geführt hat. Auf der Webseite von Kosmos kann kostenfrei eine zusätzliche Mini-Erweiterung und ein Wertungsblatt runtergeladen werden. Ein Spiel für Erwachsene, Strategiefans und Fans des PC-Spiels, das durch seine ausdrucksstarken Grafiken und sehr klaren Spielzüge besticht und für lange Spieleabende geeignet ist. Denn, egal wie oft man Anno spielt, es wird nicht langweilig, ganz im Gegenteil. Anno 1800, Kosmos, Aufbau-Strategiespiel für 2 bis 4 Spieler ab 12 Jahren, ab 44,99 Euro.

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KULTURTIPPS Lesung

Sonstiges

Wenn Haie leuchten

Liebe, Leine, Leidenschaft

Schwimmen bald tropische Fische in der Nordsee? Wie steht es um den marinen Plastikmüll? Und weshalb ist das Meer so wichtig für die Rettung des Klimas? Julia Schnetzer eröffnet in ihrem Buch eine erstaunliche Welt mit leuchtenden Haien, verwirrten Barschen und sprechenden Delphinen. Anlässlich der UNESCO Nations Decade of Ocean Science, die in diesem Jahr beginnt, widmet sich die Autorin und Meeresbiologin aus Bremen ausführlich der Verschmutzung der Weltmeere und zeigt, wie wir zur Erhaltung unseres größten Naturwunders beitragen können. In ihrem Buch verbindet Schnetzer aktuelle Forschungsergebnisse, eigene Erlebnisse und Erfahrungen sowie ein Gespür für das Kuriose zu einem aufregenden und informativen Tauchgang durch die Weltmeere. Montag, 31. Mai, ab 20 Uhr, als Live-Stream auf youtube. com/literarischersalon, als Audio-Stream auf Spotify, sollte Publikumspräsenz möglich sein, wird dieses auf der Website www.literarischer-salon.de rechtzeitig mit allen nötigen Informationen bekannt gegeben.

Berühmte Liebespaare, betörender Duft des Leinewassers und Herr Casanova, der unserer unwiderstehlichen Stadt die Ehre gab – auf diesem romantisch-musikalischen Spaziergang durch Hannover zeigt sich Niedersachsens Landeshauptstadt von seiner romantischen Seite. Eine Stadtführerin und ein Sänger entführen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf der hoffnungsvollen Suche nach Glückseligkeit in die Welt der Sinnlichkeit, der chemischen Botenstoffe und anderer Herzensangelegenheiten. Sonntag, 09. Mai, 17 Uhr, Treffpunkt Historisches Museum, Burgstraße Ecke Pferdestraße, Hannover, Anmeldung unter www.stattreisen-hannover. de, Kosten 15 Euro.

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BALD SWINGT ES WIEDER

Kreativ und nachhaltig Wäsche waschen und Geschirr spülen – allerdings nicht mit herkömmlichen, sondern mit natürlichen Mitteln. In diesem Workshop der Veranstaltungsreihe StadtteilKULTUR-NATURverbunden experimentieren die TeilnehmerInnen unter der Leitung von Sandra Lorenz mit Natron, Waschsoda und Co. und erstellen so einen kleinen Vorrat an Waschmitteln, Essigreinigern und Geschirrspül-Tabs für Zuhause. Wichtig: leere, saubere Gläser und Behälter mitbringen, gerne auch von alten Haushaltsreinigern mit Sprühkopf, für die Geschirrspül-Tabs feste Eiswürfelbehälter. Freitag, 28. Mai, 18 bis 21 Uhr, Kulturbüro Südstadt, Böhmerstraße 8, Hannover, Anmeldung erforderlich unter 0511 – 80 77 311 oder per E-Mail an kulturbuero.suedstadt@htp-tel.de, Teilnahmebeitrag 16 Euro (zzgl. 12 Euro Materialkosten).


Bühne Foto: LOOK//one

Fantasie trifft auf Wirklichkeit In seiner Kunst zeigt Hadi Safiri orientalische Märchen verbunden mit okzidentalen Objekten. So werden Auszüge aus persischen Märchen mit modernen Symbolen kombiniert und neue Bildwelten kreiert. Frauengesichter aus der heutigen Zeit sind gefüllt mit alten Symbolen und Figuren aus persischen Erzählungen. Nicht nur Themen verbinden sich in Safiris Werken, sondern auch verschiedene Techniken. Malerei trifft auf Kalligraphie, Zeichnungen und collagierte Elemente. Für Hadi Safiri ist seine Fantasie essentiell, ein Fundus an Ideen, um sich selbst kennenzulernen und auszudrücken. In der Ausstellung »Dazwischen« können die BesucherInnen mithilfe von Safiris Werken in die bildlichen Gedanken des Künstlers eintauchen. Ausstellungseröffnung mit Hadi Safiri und anschließender Ausstellungsbegehung ist am Sonntag, den 09. Mai, von 11 bis 16 Uhr im Café »Kawa the hut«, Stärkestraße 26, Ecke Elisenstraße. Montag, 10. Mai, bis Freitag, 18. Juni, montags bis freitags jeweils 11 bis 16 Uhr Ausstellung, kargah-Kultur-Kiosk, Stärkestraße 19 a, Hannover, Anmeldung im kargah-Stadtteilbüro oder per E-Mail an kultur@kargah.de, aktuelle Informationen unter www.kargah.de, Eintritt frei.

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»No Body Get a Head« Im Zentrum der Werke des US-amerikanischen Malers Pieter Schoolwerth steht nichts Geringeres als das Porträt des Menschen zwischen Stillstand und Bewegung in all seiner Vielschichtigkeit und Fragmentierung. In der Ausstellung »No Body Get a Head« sind durchgängig auftauchende Körperkonturen oder auch Schatten zu sehen, die quasi aus einem digitalen, diffus anmutenden Raum im Bild hervortreten. Die Ausstellung vollzieht die Entwicklung der Schoolwerthschen Bildwelten von zunächst psychedelisch entwickelter Kartografie bis hin zu Bildkompositionen, die schließlich in mehreren Arbeitsschritten – von der digitalen Konzeption bis zur analogen Bearbeitung – durch malerische Gesten finalisiert werden. Bis 13. Juni, jeweils mittwochs um 19 Uhr Dialogführungen (acht MalerInnen aus Hannover vermitteln jeweils andere Einblicke in das Werk des Künstlers), live über Zoom, Anmeldung unter veranstaltung@kunstverein-hannover.de, virtuelle Führung durch die Ausstellung jederzeit abrufbar unter https:// vimeo.com/kunstvereinhannover, zusätzliche Informationen oder kurzfristige Änderungen gibt’s auf www.kunstverein-hannover.de/aktuelles, Dialogführungen sind kostenfrei.

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Ausstellung

Monty Python’s Spamalot Unter freiem Himmel und vor der Kulisse des Hohnsensees – mit »Monty Python’s Spamalot« kann sich das Publikum in den Sommermonaten auf beste Unterhaltung freuen. Insgesamt sieben Wochen ist die tfn-Produktion live auf der großen Bühne auf der JoWiese in Hildesheim zu sehen. In einer Inszenierung von Geertje Boeden und unter der musikalischen Leitung von Achim Falkenhausen ist der schräge Musicalspaß für alle kleinen und großen Zuschauer ab zwölf Jahren ein wahrer Augenund Ohrenschmaus. Mit dabei ist neben der Musical Company auch der Opernchor sowie das Orchester des tfn (theater für niedersachsen). Für die Choreographien zeichnet Annika Dickel verantwortlich. Samstag, 29. Mai, 19 Uhr, Premiere, weitere Termine: 30. Mai, 06., 12., 13., 18., 19., 22., 25., 26. und 29. Juni, jeweils 19 Uhr, JoWiese am Hohnsensee, Lucienvörder Allee 1, Hildesheim, Tickets gibt’s telefonisch unter 05121 – 16 93 16 93, über die Website www.mein-theater.live oder per E-Mail über service@tfn-online.de, Eintritt ab 9 Euro bis 38 Euro.


SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 15 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Erich Kästner ergeben:

1. Lieblingsspeise

2. staatlicher Eingriff ins Eigentum bahn – che – chen – de – dies – edel – eig – ent – erd – ero – fen – gang – ge – ge – gra – hund – im – in – lei – leib – ler – me – me – mer – ne – nom – nör – nung – on – on – ra – richt – si – stu – tan – tan – te – tho – ti – ti – tro – über

3. Kreuzung zwischen Straße und Gleis

4. Erdabtragung

5. meist nicht notwendige Missbilligung

6. endlos

7. Teile der Treppe Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir viermal den Reiseführer »Nordseeküste & Inseln« von POLYGLOTT. Die Autorin Elke Frey führt auf abwechslungsreichen Touren zu spannenden und außergewöhnlichen Entdeckungen in der norddeutschen Region. Mit Faltkarte für die perfekte Orientierung vor Ort und QR-Code zum Navi-E-Book, das das Auffinden der Adressen vereinfacht. Ebenfalls viermal können Sie das Bilderbuch »Ein kleiner blauer Punkt« von Maren Hasenjäger gewinnen. Irgendwo im riesengroßen Universum schwebt ein kleiner blauer Punkt. Dieser blaue Punkt heißt Erde und ist umgeben von einer Menge beeindruckender Planeten. Ein astronomisches (Vor)leseerlebnis mit vielen spannenden Infos rund um unser Sonnensystem und seine Planeten. Insgesamt dreimal gibt es das Buch »Mein Leben in Balance. Pilates« von Soasick Delanoë zu gewinnen. Das Trainingsprogramm für zu Hause. Die besten Übungen für alle, die mit Pilates ihre Gelenkstabilität verbessern, die Körpermitte stärken, knackige Konturen bekommen und sich dauerhaft von Rückenschmerzen befreien wollen.

8. chemischer Grundstoff

9. Eingliederung

10. Art und Weise des Vorgehens

11. Taktzähler

12. beliebter Weihnachtsbaum

13. Rettichart Die Lösung des April-Rätsels lautet: Wenn alles still ist geschieht am meisten. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. Mai 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

14. trillernd singender Vogel

15. tierischer Gehilfe bei der Jagd


Foto: Tomas Rodriguez

Wenderedungen Ich saß des Samstags vor dem Glotzophon und schaute Bundesliga. Zur Halbzeit sagte der Reporter: »Wir können davon ausgehen, dass Oliver Glasner wohl in der Pause mit der Mannschaft Tinnitus redet.« Damit hat er mich, ohne es zu merken, völlig in die Irre geführt. Wie heißt es richtig? Kennen Sie das? Wenn Sie ein Sprichwort erst einmal verdreht haben, dann kann es passieren, dass Sie es nicht mehr hinbiegen können. Es ist so ein bisschen wie mit Namen, die einem im Mund liegen, aber man kommt nicht drauf. Heißt das überhaupt »im Mund liegen«? Egal. Es ist wie die Heunadel im Steckhaufen zu suchen und man ist total hinters Ohr geführt. Aber jetzt werden die Würfel neu gemischt, denn so kommen wir auf keinen grünen Nenner. Und ich will hier nicht den Teufel an die Wand werfen. Rollen wir das Pferd doch mal von hinten auf: Wir saßen vor geraumer Zeit – es muss weit vor Corona gewesen sein – mit Freunden zusammen und auf einmal fiel der Satz »Da waren die Hände näher am Hemd als an der Hose!« Nee, dachten wir alle. Das geht doch anders. Aber wie? Die Hände in der Hose? Das Hemd in der Hose? Da ist die Hose schöner als das Hemd? Das Hemd ist wichtiger als die Hose? Die Lage war total verfahren und wir haben uns das Hirn zerbrochen und den Kopf zermartert. Also fragten wir Prof. Dr. Google, der uns tatsächlich helfen konnte. Wenn man ausdrücken möchte, dass jemandem die eigenen Interessen wichtiger sind als die Interessen der anderen, sagt das Sprichwort »Jemandem ist das Hemd näher als der Rock« oder in der modernen Variante »Jemandem ist das Hemd näher als die Hose«. So ein verdrehtes Sprichwort kann einen wahnwitzig machen. Da wird der Hund in der Pfanne begraben und man ist zum nächsten verdrehten Sprichwort nur einen Katzenwurf entfernt. Obwohl man gleichzeitig denkt, es könne doch bleiben, wo der Pfeffer würzt. Haben Sie inzwischen auch Lunte geleckt? Oder grinsen Sie wie ein Süßstofftortenesel? Okay, ein Süßstofftortenesel ist kein verdrehtes Sprichwort, sondern vielmehr mein kalorienarmes Pendant zum Honigkuchenpferd. Das ist ja schließlich Teil meines Berufes, neue Wörter zu kreieren. Dieser Kelch bleibt immer an mir hängen. Aber ich bade gerne die Suppe aus und hole die Zitronen aus dem Feuer. Da reißt der Maus kein Faden ab. Um abschließend noch einmal auf Oliver Glasner zurückzukommen, der angeblich Tinnitus reden wolle: Tinnitus, Tacheles – egal. Hauptsache Italien! Wichtig ist, dass der Reporter jetzt nicht den Sand in den Kopf steckt, wir die Kirche im Wald lassen und einfach mal Nachtschicht üben, denn Besserwisserei ist definitiv ein zweigleisiges Schaf. Und das schlägt dem Fass die Krone weg. Vielleicht halten wir abschließend fest: Das Leben ist kein Ponyschlecken! So sehen wir betroffen den Fragen zu, der Vorhang offen. Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

ASPHALT 05/21

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Ausblick

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