2021 08 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

08 21 INTIMBEREICH SICHERE PLÄTZE

GUTE TAGE

BESTE FREUNDE

Auf der Straße leben Frauen gefährlich.

In der Obdachlosenszene sind Hygieneartikel selten gratis.

Bei den Straßenpunks findet jeder ein »Zuhause«.


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Notizblock

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Angespitzt

12 Maggiduft in der Luft Rainer nimmt Heroin. Er kam erst spät in die Szene und versucht nun sein Bestes, um seine Sucht zu besiegen. Ein Besuch an Hannovers Szene-Hotspot.

Kein Schutz vor Gewalt

Obdachlose Frauen sind Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Zwar gibt es Gewalt gegen Frauen in allen Schichten, allerdings überlagern sich auf der Straße Probleme und Gefahren.

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Gut zu wissen

21 Das muss mal gesagt werden 22

Aus der Szene

24 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Thomas

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Briefe an uns

28 Zoo-Rätsel 29 36

16 Tampons fürs Trottoir Blutige Unterwäsche, kein fließendes Wasser, wenig Raum für die allmonatliche intime Situation. Engagierte Vereine setzen sich für kostenfreie Hygieneartikel für obdachlose Frauen ein.

Rund um Asphalt/Impressum Zeit schenken Geburtstag – für viele Menschen ein Fest mit Freunden und Familie. Obdachlose hingegen bleiben oft einsam. »StrassenBLUES« will das ändern.

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Harmonie direkt Straßenmusik ist immer anders. Und lebt vom speziellen Moment. Matthias Nagel und Rocco Recycle kämpfen sich durch. Asphalt hat sie begleitet.

43 Kulturtipps 46 Silbenrätsel 47 Brodowys Ausblick

Titelbild: V. Macke

42 Buchtipps

Das Asphalt-Prinzip

32 Ziemlich gute Freunde

Punks – eine Subkultur mit eigenen Regeln, gemeinsamen Werten und eigenem Lebensstil. Freundschaft spielt bei ihnen eine wichtige Rolle. Auf eine ganz besondere Weise.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


manchmal ist eine öffentliche Toilette der letzte Intimbereich: Schutzraum, Druckraum, Hygieneraum, bisweilen sogar Schlaf­ raum. »Intimität der Straße« lautete der Arbeitstitel eines ganz besonderen Kooperationsprojekts, das wir gemeinsam mit zwei Fakultäten der Hochschule Hannover im vergangenen Som­ mersemester durchgeführt haben. Wenn für das Innerste kaum Raum ist, weil Straße ist, wenn das Leben also unter Beschuss und Beobachtung steht, dann wird die Würde des Menschen angetastet. Nichts weniger. Denn das ganz Private, das Intime, wird unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Es gehört zur freien Entfaltung der Persönlich­ keit, da sind Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht ganz eindeutig. Menschen auf der Straße sind öffentlicher. Sie essen öffentlich, trinken öffentlich, feiern und entgleisen öffent­ lich, menstruieren öffentlich, streiten und musizieren öffent­ lich, lieben manchmal öffentlich und so mancher schläft auch öffentlich. Manchmal voll Selbstbewusstsein und Freude. Oft unfrei, oft aus der Not heraus, oft voller Scham. Ohne die Selbst­ verständlichkeit von Privatsphäre, wie wir sie kennen. Manch­ mal wird das vergessen, wenn eilfertig ›Platten‹ und Treffpunkte geräumt und Toilettenhäuschen abgeschlossen werden. Im Seminar haben wir uns mit Studierenden dem Thema ge­ meinsam genähert. Auf vielfältige Weise. Aus einer ersten Mindmap sind später Texte entstanden. Ergebnisse von Ausein­ andersetzungen. Einen Teil davon lesen Sie in dieser Ausgabe.

Eine spannende Lektüre mit dieser Studierenden-Asphalt wünscht Ihnen

Volker Macke · Redaktionsleiter

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

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Foto: V. Macke

NOTIZBLOCK

Gedenken und Mahnen Hannover. 80 Menschen starben im Jahr 2020 in Niedersach­ sen an den Folgen ihrer Drogensucht. Bundesweit 1.581. Die, die noch da sind, und die die helfen, annehmen und unterstüt­ zen haben Ende Juli der Toten gedacht. Dezentral. In Hannover am Druckraum »Stellwerk«, bei der Frauenberatung La Strada, am Bauwagen unter der Raschplatzhochstraße, im Substituier­ ten-Wohnprojekt Warstraße sowie am Gedenkstein am Königs­ worther Platz (Foto). Die Einschränkungen des Betäubungs­ mittelgesetzes für die Substitutionsbehandlung führten zu einem stetigen Rückgang an substituierenden ÄrztInnen und zu Engpässen in der Versorgung, mahnten unisono Spreche­ rInnen der Beratungsstellen. Und forderten leise aber bestimmt die Entkriminalisierung von Drogenkonsumierenden bei Dro­ genbesitz, niedrigschwellige HIV- und Hepatitis-Testangebote sowie mehr Drogenkonsumräume. Darüber hinaus: Drogengü­ tetests, Spritzentauschprogramme und – eine bessere psycho­ soziale Versorgung. Mehrfach am Tag wurde innegehalten und gelegentlich auch gebetet. »Für viele unserer BesucherInnen ist der bundesweite Drogentotengedenktag eine besondere Möglichkeit, sich von verstorbenen WeggefährtInnen zu verab­ schieden«, sagte Corinna Heinemann, Leiterin des Stellwerks. »Denn mangels Informationen oder fehlendem Verwandt­ schaftsgrad können sie oft nicht an Beerdigungen teilnehmen.« Offizielle VertreterInnen von Stadt oder Region fehlten bei den Gedenkveranstaltungen. MAC

Arme Alleinerziehende Hannover. Fast jede zweite Ein-Eltern-Familie (43 Prozent) in Deutschland ist einkommensarm. »Ein Skandal« sagt die Landesarmutskonferenz Nie­ dersachsen (LAK) dazu. Laut einer aktuellen Ber­ telsmann-Studie leben viele Alleinerziehende und ihre Kinder in prekären Verhältnissen, jede dritte bezieht Hartz-IV-Leistungen. »Obwohl Alleiner­ ziehende in den meisten Fällen erwerbstätig sind, reicht ihr Lohn häufig trotzdem nicht, um für sich und ihre Kinder das Existenzminimum zu sichern«, so LAK-Geschäftsführer Klaus-Dieter Gleitze. »2020 bezogen rund 34 Prozent der alleinerziehenden Fa­ milien Hartz IV.« Ihr Anteil liege damit fast fünfmal höher als bei Paarfamilien. 88 Prozent sind alleiner­ ziehende Frauen. Die Armutsgrenze lag 2019 für eine Alleinerziehende mit einem Kind bei 1.396 Euro. Die LAK fordert nun eine eigenständige Kindergrund­ sicherung, bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze um 20 Prozent sowie mehr Regulierung prekärer Arbeits­ verhältnisse. MAC

713 Mal Humanität Hannover. Die Niedersächsische Härtefallkom­ mission hat in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt 336 Menschen eine Chance auf ein Bleiberecht in Deutschland ermöglicht. 2019 waren 713 Eingaben bei der Kommission eingegangen, 141 davon wurden beraten, 96 davon mit Erfolg für die Antragsteller: Die Kommission sprach sich aufgrund humanitärer und persönlicher Gründe für eine Aufenthaltser­ laubnis aus. Da diese zum Teil für Paare und für Fa­ milien galt, erhielten 217 Menschen ein Bleiberecht. 2020 gab es den Angaben zufolge 711 Eingaben. In 65 Fällen habe sich die Kommission für damit 119 Menschen für eine Aufenthaltserlaubnis ausgespro­ chen. »Die Entscheidungen, die die Kommission treffen muss, sind nicht immer leicht«, sagte Innen­ minister Boris Pistorius (SPD). »Sie haben enorme Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Perso­ nen.« Die Härtefallkommission sei ein wichtiges In­ strument der Migrations- und Flüchtlingspolitik in Niedersachsen, sagte der Minister. Der ehrenamtli­ chen Kommission gehören neun Mitglieder aus Kir­ chen, Kommunen und Verbänden an. EPD


Hannover. Die Zahl der Sozialwohnungen in Niedersachsen ist im vergangenen Jahr deutlich zurückgegangen. 2020 habe es im Land 7.070 Sozialwohnungen weniger gegeben als 2019, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Das ist der größte Rückgang unter den Bundesländern. Insgesamt ging die Zahl der Sozial­ wohnungen in Deutschland im vergangenen Jahr um 2,3 Pro­ zent zurück. Bundesweit habe es 2020 unter dem Strich insge­ samt 26.339 Wohnungen mit Sozialbindung weniger gegeben als 2019, heißt es in der Antwort. Damit fielen täglich rund 72 Wohnungen aus der Sozialbindung. Insgesamt wurden den Angaben zufolge im Jahr 2020 bundesweit knapp 1,13 Millio­ nen Sozialwohnungen verzeichnet. In Niedersachsen sank die Zahl den Angaben zufolge von 67.335 im Jahr 2019 auf 60.265. Im Jahr 2018 hatte sie noch bei 74.887 gelegen. Die Grünen im Landtag sprachen von einem »bundesweiten Negativrekord«. Das Land brauche so schnell wie möglich eine eigene Landes­ wohnungsgesellschaft, sagte der wohnungspolitische Sprecher der Fraktion, Christian Meyer. Wohnen dürfe »nicht weiter zur Armutsfalle für niedrige Einkommen werden«. EPD

Hannover. Windenergie soll in Niedersachsen aus­ gebaut werden. Einen entsprechenden Erlass hat die Landesregierung beschlossen. Demnach sollen mehr Flächen für Windräder zur Verfügung gestellt werden und alte Anlagen gegen neue ersetzt wer­ den. Zudem sollen künftig Windanlagen auch in Wäldern aufgestellt werden können. »Spätestens bis 2040 will Niedersachsen den Energiebedarf komplett aus erneuerbaren Energien erzeugen, das haben wir in der Landesverfassung festgelegt«, so Umwelt- und Klimaschutzminister Olaf Lies. »Da­ für brauchen wir rechnerisch 30 Gigawatt installier­ te Windenergie an Land – und deshalb jetzt einen deutlich schnelleren Zubau« so der Minister. Den Grünen im Landtag reicht das nicht: »Erst vor knapp drei Monaten hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem historischen Klima-Urteil klargestellt, dass wirksame Klimaschutzmaßnahmen nicht weiter zu Lasten der Freiheitsrechte künftiger Generationen aufgeschoben werden dürfen«, so die energiepoli­ tische Sprecherin der Grünen, Imke Byl. »Es fehlen verpflichtende Flächenziele für alle Landkreise. Nö­ tig wäre, mindestens 2,1 Prozent der Landesfläche für eine naturverträgliche Windenergienutzung zu reservieren – und das ab sofort.« MAC

Jede 2. Person in Deutschland ist heute älter als 45 und jede 5. Person älter als 66 Jahre. Die Anzahl der Personen im Alter ab 70

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Jahren ist zwischen 1990 und 2019 von 8 auf

13 Mio. gestiegen, so das Statistische Bundesamt. Im Jahr 2018 waren in Deutschland 51,8 Mio. Menschen erwerbsfähig, also zwischen 20 und 66 Jahre alt. Bis zum Jahr

2035 wird die erwerbsfähige Bevölkerung um rund 4 bis 6 Millionen auf 45,8 bis 47,4 Mio. schrumpfen. Die Zahl der ZuwanderInnen lag im Jahr

2019 bei rund 1,56 Mio.

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Mehr Windräder geplant

ZAHLENSPIEGEL »VIELE ALTE«

Täglich 72 Sozialwohnungen weniger

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ANGESPITZT – DIE GLOSSE

»Wer ohne gültiges Ticket in unseren Stadtbahnen unterwegs ist, begeht eine Straftat«, sagt die hannoversche Üstra. Und dabei bleibt es. Aber heißen soll das Ganze anders. Nicht mehr Schwarzfahren, weil das irgendwie rassistisch sei. Also der Begriff, nicht das Ahnden der Straftat. Das wäre allenfalls klassistisch. Aber das Wort Klasse kennen heute ja selbst Sozialdemokraten nur noch als Beschulungseinheit. Wir von Asphalt begrüßen die Begriffstilgung Schwarzfahren natürlich. Führte sie doch stets in die Irre, offenbar sogar AntirassistInnen. Bundesweit wandern jährlich rund 7.000 Menschen ins Gefängnis.

»PROBLEMBEWUSST«

Weil sie sich die 60 Euro Strafe für ihr Fahren ohne Ticket nicht leisten konnten. Das Ticket zuvor wohl auch nicht. Als Jiddisch bei uns noch lebendige Sprachkultur war, was wiederum aus eindeutig rassistischen Gründen beendet wurde, nannte man Fahren ohne Fahrschein Shvartsfahren. Jiddisch: shvarts = deutsch: arm. Sagen Sprachwissenschaftler. Noch ist nicht geklärt, wie die Verkehrsbetriebe künftig mit dem Umstand des Shvartsfahrens umgehen wollen. Armfahren soll es nicht heißen, munkelt man, das sei vielleicht dann doch zu nah an der Wahrheit. Volker Macke Anzeige


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Foto: Picture-Alliance

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KEIN SCHUTZ VOR GEWALT Obdachlose Frauen sind Übergriffen schutzlos ausgeliefert. Zwar gibt es Gewalt gegen Frauen in allen Schichten, allerdings überlagern sich auf der Straße Probleme und Gefahren. Dagegen braucht es besondere Schutz- und Hilfsangebote.


Soziale und individuelle Probleme verstärken sich hier gegenseitig. Frauen auf der Straße sind sowohl aufgrund ihres Geschlechts, als auch ihrer sozialen Lage verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt. Das »Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt«, die sogenannte Istanbul-Konvention, jährt sich gerade zum zehnten Mal. Die Unterzeichnung in 2011 war ein »Auf der Straße Meilenstein für den Schutz von muss man jeden Frauen. Die Konvention sieht Tag ums Überledie »Menschenwürde nachhal­ ben kämpfen.« tig verletzt, wenn elementare Bedürfnisse nach Wohnung, In­ Sonja timsphäre und Schutz für Leib und Leben nicht erfüllt werden. Für die betroffenen Frauen sei das alltägliche Erle­ ben, im öffentlichen Raum oder in prekären Wohn­ situationen Übergriffen ausgesetzt zu sein, eine latente Gewalterfahrung, berichtet die BAG W (Bun­ desarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) in ih­ ren Empfehlungen zur Umsetzung der Konvention in der Wohnungsnothilfe. Mit steigender Verletzlich­ keit erhöhe sich auch das Risiko, von Gewalt betrof­ fen zu sein. Forschungen belegten, dass eine anhal­

»Auf der Straße sind mir immer schreckliche Sachen pas­ siert«, erzählt die 41-jährige Sonja S. Ihren Nachnamen möchte Sie nicht nennen. »Ich saß zum Beispiel am Bahnhof, wo man mich dann zusammengetreten hat. Ich habe das angezeigt, aber wie immer verläuft so was ja im Sande, obwohl man die Täter sogar richtig bestimmen konnte. Die Polizei macht ganz wenig oder gar nichts für Obdachlose.« »80 Prozent der obdachlosen Frauen haben Übergriffe ent­ weder auf der Straße oder in Notunterkünften erlebt«, sagt Yvonne Brivio von der Selbsthilfe für Wohnungslose (SeWo), ei­ nem Hilfeverein, der mehrere Tagestreffs in Hannover unterhält. Brivio meint, dass Gewalt gegen obdachlose Frauen viele Ursa­ chen haben kann. In den meisten Fällen sind die Gründe in der Psyche des Gewalttäters zu finden. Wenn jemand schutzlos auf der Straße lebt, ist es einfacher, dieser Person Gewalt zuzufügen.

Gewalt hat viele Gesichter Gewalt gegen Frauen auf der Straße hat viele Gesichter. Auf der Straße sind Frauen am ungeschütztesten, sie sind gewalt­ tätigen Übergriffen, Stigmatisierungen und Diskriminierungen ausgesetzt. »Meine große Angst ist, dass mir mal was Dreckiges passiert, dass ich tot bin, wo man mich nicht findet«, sagt Son­ ja. Diese Angst begleite sie durch den Alltag. »Das ist normal, wenn man auf der Straße lebt«.

STRAFTATEN GEGEN OBDACHLOSE FRAUEN SEIT 2011 106

2011

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2012

120

2013 2014

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Seit 2011 hat sich

2015

202

die Zahl der (be-

2016

kannt gewordenen) Gewalttaten gegen obdachlose Frauen in Deutschland mehr als verdreifacht. Die Dunkelziffer gilt

249 280

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2018

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2020

als sehr hoch. Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik des BKA

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Foto: M. Abu Khalifeh

Die 41-jährige Sonja ist obdachlos und hat schon viel Schlimmes auf der Straße erlebt.

tend erlebte Schutzlosigkeit die Widerstandsfähigkeit enorm schwäche. Dies könne traumatisierend wirken, mit erheblichen Folgen für die physische und psychische Gesundheit. Die polizeiliche Kriminalstatistik weist eine starke Zunah­ me von Gewalt gegen obdachlose Frauen aus. Demnach haben sich die Fallzahlen von 2011 bis 2020 mehr als verdreifacht. Betrachtet man die Gewaltdelikte an Obdachlosen mit Todes­ folge, die in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren immer im zweistelligen Bereich lagen, fällt auf, dass rund die Hälfte der Opfer weiblich ist. Obwohl der Anteil der Frauen an den Obdachlosen nach den Statistiken deutlich geringer sein soll (auch wenn hier eine erhebliche Dunkelziffer vermutet wird).

Wohnungslosigkeit ist in Deutschland noch immer ein Mas­ senphänomen. Während des Jahres 2018 lag die Zahl der wohnungslosen Menschen (ohne wohnungslose anerkann­ te Geflüchtete) bei rund 237.000. Der Anteil der erwachsenen Männer liegt bei 73 Prozent (159.000); der Frauenanteil dem­ nach bei 27 Prozent (59.000). Während viele in Wohnheimen oder bei Freunden unterkommen, leben über 52.000 Menschen

Foto: V. Macke

Gewalt nimmt zu

Yvonne Brivio von der SeWo.

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Schutz vor Gewalt Forderungen der Wohnungsnothilfe zur Umsetzung der Istanbul-Konvention: 1. Frauen im Wohnungsnotfall müssen eine Option auf ein Hilfeangebot haben, welches ausreichend Schutz- und Unterstützungsstrukturen gegen geschlechtsspezifische Gewalt vorhält. 2. Diese müssen ergänzend zu bzw. in Kooperation mit Frauenhäusern geschaffen werden, da Frauen im Wohnungsnotfall mit ihren Multiproblemlagen bisher eher keinen Zugang zu »traditionellen« Frauenhäusern und -beratungsstellen erhalten. 3. Zu schaffende Angebote müssen den besonderen Bedarfen von Frauen und von Frauen mit Kindern gerecht werden. 4. Die Situation gewaltbetroffener wohnungsloser Frauen muss in politische Gesamtstrategien gegen geschlechtsspezifische Gewalt in Form von Aktionsplänen, gleichstellungspolitischen Rahmenprogramme etc. einbezogen werden. 5. AkteurInnen der frauenspezifischen Wohnungslosenhilfe müssen in die Vernetzungsstrukturen von Städten, Kommunen und Ländern eingebunden werden. 6. Die hohe Gewaltprävalenz im Leben wohnungsloser Frauen muss bei städtischen Bedarfsanalysen für den Ausbau des Hilfesystems berücksichtigt werden. 7. Medizinische und psychotherapeutische Angebote für Frauen im Wohnungsnotfall, die durch Gewalt, vor allem durch sexualisierte Gewalt geprägte Lebensumstände traumatisiert sind, müssen in ausreichendem Ausmaß bereitgestellt werden. (Quelle: BAG W (2019)/SeWo)

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Foto: ljubaphoto/iStock.com

»Wohnungslose Frauen nehmen oft lieber die Gewalt gegen sich in Kauf, als auf der Straße zu landen.« Yvonne Brivio, SeWo

ohne Obdach auf der Straße, schätzt die BAG W. Die Anzahl der Obdachlosen steigt kontinuierlich an. Gleichzeitig nimmt auch die Gewalt gegen sie zu. Brandanschläge, Körperverletzungen, Vergewalti­ gungen von Obdachlosen sind an der Tagesord­ nung. Und Jahr für Jahr werden es mehr Übergriffe, wie eine weitere Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) offenbart. Die Daten der letzten Jahre in Niedersachsen zei­ gen, dass Frauen vermehrt in den niedrigschwelli­ gen Hilfen Unterstützung suchten. So waren im Jahr 2018 nach Angaben der Zentralen Beratungsstelle (ZBS) Niedersachsen in den Tagesaufenthalten 28 Prozent der Hilfesuchenden und 24,9 Prozent im Basisangebot der Ambulanten Hilfe weiblich. In ab­ soluten Zahlen wurden demnach 2018 rund 5.000 Frauen in Niedersachsen in den Tagesaufenthalten und ca. 3.000 Frauen im Basisangebot registriert. Das Basisangebot fungiert dabei als eine Art Cle­ aringstelle, wo überhaupt erst einmal die Bedarfe festgestellt werden. Nicht alle Hilfesuchenden wer­ den schließlich als Wohnungsnotfälle eingestuft, aber die Zahlen vermitteln einen Eindruck von der Gefährdungslage. Insgesamt 1.767 Frauen waren demnach 2018 in Niedersachsen direkt von Wohnungslosigkeit betroffen. Das heißt, sie verfügten über keinen mietvertraglich abgesicherten Wohnraum, sind bei Bekannten oder Familie untergekommen, waren ordnungsrechtlich oder institutionell untergebracht oder lebten auf der Straße. Weitere 383 Frauen sind unmittelbar von Wohnungslosigkeit bedroht; ent­ weder durch Kündigung, Räumung oder aufgrund von eskalierenden sozialen Konflikten und/oder Ge­ walt geprägten Lebensumständen, so die ZBS Nie­ dersachsen. Gewalt gegen Frauen geht also auch oft einem Leben auf der Straße voraus. Sonja hat sieben Jahre als Krankenschwester gearbeitet und zwei Jahre als Friseurin. Sie war je­ doch drogenabhängig, wurde in der Folge obdach­ los. Drei Jahre lebte sie auf der Straße, bevor sie eine Wohnung fand. Vor anderthalb Monaten wurde sie allerdings erneut obdachlos. Stressbedingt, sagt sie, näher erklären möchte sie das nicht. Sonja ist wie viele Frauen auf der Straße von Ge­ walt betroffen. Sie hat viel erlebt und verurteilt das Verhalten der Polizei Obdachlosen gegenüber. »Auf der Straße hat man keine Chance, hier wird man als unglaubwürdig eingestuft. Man wird oft nicht res­ pektiert und das merkt man.« Vor kurzer Zeit wurde


Schutz vor Gewalt Das Bild von Obdachlosen ist oft geprägt von Stereo­ typen. »Die Wahrnehmung der meisten Personen ist dann, dass obdachlose Menschen nichts wert sind und dementsprechend auch so behandelt werden können. Deswegen kommt es immer wieder zu Ge­ walt gegen Obdachlose – nicht wegen des Verhal­ tens derjenigen, die auf der Straße leben müssen«, sagt Brivio. Obdach- und wohnungslose Frauen sollten auf der Straße eine bestimmte Strategie wählen, um zu überleben, so Brivio. Die meisten Frauen ohne Wohnung versuchen, die Schlaforte immer wieder zu wechseln, um nicht aufzufallen. Oder sie gehen Partnerschaften ein, um ein Dach über dem Kopf zu haben. »Frauen suchen, wenn sie allein oder gar mit Kind unterwegs sind, geschützte Schlafplätze wie in leer stehenden Kellerräumen, oder sie verbringen die Nächte im Bahnhof oder beispielweise in Cafés, die 24 Stunden geöffnet haben. Mitunter schließen sie sich auch gemischtgeschlechtlichen Gruppen von obdachlosen Menschen an, da die Gruppe scheinbar mehr Schutz bietet«, sagt die SeWo-So­ zialarbeiterin. Auf der Straße versuchen viele Frauen, ihre Ob­ dachlosigkeit zu verstecken. Viele von ihnen erstat­ ten deswegen auch selten bis nie Anzeige gegen Ge­ walt. »Wohnungslose Frauen haben in den meisten Fällen Angst, dann alleine da zustehen. Sie nehmen lieber die Gewalt gegen sich in Kauf, als auf der Stra­ ße zu landen«, meint Brivio. Daher fordert sie mehr Schutz­angebote für betroffene Frauen. Es gebe der­ zeit nur sehr wenig frauenspezifische Angebote in der Wohnungsnotfallhilfe in Deutschland: »Es sollte vielmehr darauf geachtet werden, mehr geschlech­ terspezifische Hilfsangebote insgesamt und speziell für Frauen anzubieten.« Sonja landet ab und zu in den Notunterkünften: »Dort kann man immer nur eine gewisse Zeit schla­

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Sonja immer wieder von drei Männer angegriffen, die wahrscheinlich Frust ablassen wollten. Sie saß am Bahnhof. Während einer der Angriffe wurden ihre Reisetasche und ihr Rucksack geklaut. »Es ist nicht gut, es ist nicht leicht, man muss jeden Tag ums Überleben kämpfen. Man muss auf alles auf­ passen, damit einem auch nichts passiert. Das ist schon heftig.«

fen«, sagte sie. Sonjas Traum ist es, eine Wohnung zu finden. Vor kurzem hat sie jemanden kennengelernt, der auch obdach­ los geworden ist. Sie übernachten derzeit am Alten Flughafen. Sonja hofft, mit ihm bei der Unterkunft für obdachlose Drogen­ abhängige (U.D.O.) in Lahe einen Platz zu finden. »Das ist ein Haus, wo man hinkommen kann, wo man wenigstens einen Ort findet, an dem man nicht mehr als obdachlos aussortiert wird und vielleicht auch arbeiten kann.«

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Mahmoud Abu Khalifeh/Jan Andres (mit redaktionellen Ergänzungen)

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Wahl des Regionspräsidenten oder der Regionspräsidentin, der Regionsversammlung, des Rates und der Stadtbezirksräte am 12. September 2021 sowie etwaige Stichwahl des Regionspräsidenten oder der Regionspräsidentin am 26. September 2021

Auch wohnungs- und obdachlose Bürger*innen sind wahlberechtigt. Wählen darf, wer am Wahltag • die deutsche oder eine EU Staatsbürgerschaft besitzt, • mindestens 16 Jahre alt und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, • seit drei Monaten in Hannover übernachtet hat. Bei Personen ohne Wohnung gilt der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Wohnung. Hannoveraner*innen, die sich hier ohne Meldeadresse gewöhnlich aufhalten, können sich in der Briefwahlstelle im Neuen Rathaus in das Wählerverzeichnis eintragen lassen und per Briefwahl wählen. Öffnungszeiten der Briefwahlstelle im Neuen Rathaus: Antragstellung für die Hauptwahl und etwaige Stichwahl • vom 23. August bis zum 10. September, für die etwaige Stichwahl bis 24. September 2021 • montags, dienstags, donnerstags und freitags 8 bis 18 Uhr, mittwochs 8 bis 15 Uhr • am 10. September, sowie für die etwaige Stichwahl am 24. September nur bis 13 Uhr

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Foto: Picture-Alliance/Boris Roessler

MAGGIDUFT IN DER LUFT Rainer nimmt Heroin. Er kam erst spät in die Szene und versucht nun sein Bestes, um seine Sucht zu besiegen – doch das ist alles andere als einfach. Ein Besuch an Hannovers Szene-Hotspot. Es ist heiß draußen, erdrückend heiß. In der offenen Drogensze­ ne hinter Hannovers Hauptbahnhof sammeln sich die Men­ schen, suchen einen schattigen Ort, an dem das Wetter auszu­ halten ist. Und an dem sie konsumieren können. Geschützt und geduldet. Rainer sitzt auf einer Bank vor dem Stellwerk, einer

Hilfseinrichtung in Hannover für drogenabhängige Menschen. Dort gibt es Wasser, warmes Essen, Beratungen, eine Dusche oder Toiletten. Er erzählt von seinem Leben. Es lief ganz gut, er habe Tankstellen besessen, es habe ein Unglück gegeben, dar­ auf folgte der finanzielle Ruin, erzählt Rainer. Erst mit 53 Jahren


Foto: Stella-Sophie Wojtzczak

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HIV oder Hepatitis vor. Bei einer sei er heroinabhängig geworden. Der Grund? »Hinter jeder Überdosis kann schnell erste Hilfe Seine Tochter sei abhängig gewesen, und um Person, die eine geleistet und der Mensch gerettet zu verstehen, warum sie Drogen nahm, tat er Abhängigkeit hat, werden. Die Drogen selbst werden es ihr nach – damit begann seine eigene Ab­ steckt ein Schickdort nicht angeboten – die Einrich­ hängigkeit. tung möchte den Konsum nicht salsschlag.« Während Rainer erzählt, fängt es an nach bestärken, sondern den Menschen Maggi-Gewürzmischung zu riechen. Das ist Rainer nur die Möglichkeit geben, ihn in Heroin, jemand in der Nähe kocht es ohne einer hygienischen Umgebung zu Wasser auf. Seit mehr als zehn Jahren ist Rainer schon in der Szene vollziehen. Und: Der Schuss ist ein teils sehr intimer unterwegs. Da er fast sein ganzes Leben arbeitete, hat er das Moment, nicht jeder und jede möchte dabei öffent­ Glück, eine Rente zu erhalten – das haben viele der Menschen lich sein. Draußen wird es immer wärmer und laut ist es hier nicht. Für die meisten Abhängigen aus der Szene ist das Geld-Beschaffen ein großer Teil des Alltags. Sie verkaufen ihre auch. Die einzelnen Stimmen der Menschen ver­ Wertgegenstände oder sind gezwungen, bei anderen Menschen schwimmen zu einem lauten Summen, Rainer ist oder in Läden zu klauen, um sich ihren Stoff zu beschaffen. Da­ schwer zu verstehen. Zwei Personen aus der Szene rum muss Rainer sich nicht ganz so große Sorgen machen wie streiten sich, es wird kurz lauter, danach hat sich der andere, die außer Kriminalität oder Sexarbeit keine Geldquel­ Konflikt schnell gelöst und der Alltag geht ganz nor­ mal weiter – so normal, wie die Menschen, die die len haben. Rainer ist ein gern gesehener Gast beim Stellwerk, die So­ meiste Zeit ihres Tages hier am Rand der einstigen zialarbeiterInnen kennen ihn, er kennt sie. Jeden Tag kommt Tivolistraße verbringen. Rainer erzählt weiter von seiner Substitution er her, nicht nur wegen der vielfältigen Hilfsangebote, sondern auch wegen der sozialen Kontakte – andere Menschen mit Ab­ – dem Wechsel von Heroin zu einem Ersatzmittel hängigkeit, die wissen, wie er sich fühlt, die so etwas wie Freun­ wie Methadon oder Subutex. Für viele abhängige de geworden sind. »Hinter jeder Person, die eine Abhängigkeit Menschen ist dies ein Schritt zu einem gesünderen hat, steckt ein Schicksalsschlag«, so der über 70-Jährige. Sein Leben und bei viel Glück und Willenskraft auch ein Schicksal war das Unverständnis gegenüber Drogen sowie die Weg aus der Abhängigkeit heraus. Wenn jemand Liebe zu seiner Tochter: »Ich habe Drogen gehasst früher, ich substituiert werden will, hilft das Stellwerk, berät die habe nie verstanden, warum man das tut. Als meine Tochter Person und vermittelt sie an ÄrztInnen, die Substi­ süchtig wurde, wollte ich tute anbieten. Was so einfach klingt, bringt jedoch es verstehen und habe es viele Hürden mit sich: Rainer muss täglich die Arzt­ praxis aufsuchen, für ihn stehen regelmäßige Kon­ dann selbst probiert.« Menschen in ähnlichen trollen an und einen Vorschuss an Substitutions­ Situationen können Hil­ medikamenten gibt es nicht, diese dürfen nur unter fe vom Stellwerk erhalten: Aufsicht eingenommen werden. »Ab und zu rauche Abhängige können ihre ich eine Pfeife Crack, wenn bei einer der Kontrollen Probleme mit Sozialarbei­ die Droge nachweisbar ist, dann bekomme ich das terInnen besprechen, wer­ Substitut nicht«, so der Rentner. Doch die Substitution allein ist kein Wundermit­ den zu Ärzten vermittelt, zum Jobcenter oder zu Ver­ tel. Eine Abhängigkeit ist eine Erkrankung, die das sicherungen. Außerdem gesamte soziale Leben stark beeinflusst. Auf dem können sie sauberes Be­ Weg zu einem gesünderen Leben stellt die Substi­ steck für ihren Drogenkon­ tution einen Baustein dar. Es bedarf weiterer Hil­ Corinna Heinemann vom Stellwerk. sum erhalten oder einfach fen wie zum Beispiel psychosoziale Beratung, eine nur einen kurzen Schutz sichere Wohnsituation oder professionelle Beglei­ vor der Witterung suchen. Im Stellwerk befindet sich auch tung. Um die Szene am Hauptbahnhof herum gibt der erste und einzige Druckraum in ganz Niedersachsen. Dort es für die Menschen eine Vielfalt an Hilfsangebo­ können die Menschen bei Bedarf einen ruhigen und sauberen ten. »Das Stellwerk wurde hierher gebaut, weil die Ort für ihren Konsum aufsuchen – damit und mit dem saube­ Szene hier ist. Nicht andersherum«, erklärt Corinna ren Besteck beugen sie vor allem Infektionskrankheiten wie Heinemann, Leiterin des Stellwerks. Nebenan sind

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Coronabedingt sind die Plätze im geschützten

Foto: A. Krasakov

Druckraum reduziert.

Arztpraxen, soziale Einrichtungen und auch die Po­ lizeistation am Raschplatz. Um die Station herum finden sich die Treffs der meist obdachlosen oder abhängigen Menschen. Es ist, als würden zwei verschiedene Welten aufeinan­ dertreffen: Auf der einen Seite die Menschen, deren Beruf es ist, für Recht und Ordnung zu »Viele alkoholisorgen – auf der anderen die sierte PartygäsMenschen, die oft keine ande­ te erzeugen viel re Möglichkeit zum Überleben mehr Unruhe als haben, als gegen diese Ordnung die Menschen zu verstoßen. Die Gesichter der Szenemitglieder sind den Po­ aus der Szene.« lizistInnen bekannt, wie auch Rüdiger Benecke, deren Gesichter den Menschen Polizeihauptkommissar auf der Straße nicht fremd sind. Es herrscht ein freundliches Verhältnis. Die PolizistInnen auf dem Revier wissen meist sehr gut, wie man respektvoll miteinander umgehen muss. Sie suchen das Gespräch mit den Menschen, versuchen Hilfsbedürftige an Hilfsstel­ len zu vermitteln und bemühen sich, ihre Pflicht so angenehm wie möglich für sich und auch die Per­ son ihnen gegenüber zu gestalten. Sagen sie. Das sei

nicht immer einfach, denn oft komme es vor, dass Menschen betrunken sind oder unter Drogen stehen, daher kaum noch ansprechbar sind. Dennoch: »Es ist ein ganz normales Mitein­ ander. Viele alkoholisierte Partygäste erzeugen viel mehr Unru­ he als die Menschen aus der Szene«, erklärt Rüdiger Benecke, der Hauptkommissar des Polizeireviers am Raschplatz. Ein weiteres großes Problem seien, so Benecke, PassantIn­ nen, die die Privatsphäre der betroffenen Menschen nicht ernst nehmen, die aber auch im öffentlichen Raum existiere. Men­ schen, die ungefragt Fotos und Videos machen oder sich krimi­ nell an den Menschen vergehen – sei es mit körperliche Gewalt, durch Diebstahl oder Beleidigungen. Rainer sieht das ähnlich. In einer Woche wurde er sogar gleich dreimal beklaut, ob von PassantInnen oder von Mitgliedern der Szene ist nicht klar. Für Rainer ist das mehr als nur Diebstahl – oft fühlt er sich auf der Straße nicht als Menschen wahrgenommen, so als habe er kei­ ne Rechte, keine Würde. In einer Sache sind sich die SozialarbeiterInnen und die PolizistInnen einig: Es gibt zu wenig Nacht- und Wohnunter­ künfte, zu wenig soziale Angebote für die betroffenen Perso­ nen. Corinna Heinemann vom Stellwerk geht noch weiter: »Wir brauchen Angebote, um den Menschen wieder einen guten und sinnvollen Tagesablauf zu schaffen.« Alicia Krasakov/Joe Möbius


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TAMPONS FÜRS TROTTOIR Foto: Pexels/Karolina Grabowska


Kampagne für Gratis-Binden Dem Kampf gegen das Dilemma – nicht nur auf der Straße – hat sich die Initiative Tampagne verschrie­ ben. Das Motto der in Leipzig ins Leben gerufenen bundesweiten Initiative lautet: »Menstruationsarti­ kel für alle«. »Die Tampagne ist eine gemeinnützi­ ge Initiative, die Menstruationsprodukte in jedem öffentlichen Raum kostenlos zugänglich machen möchte. Denn die Grundidee ist, Frauen im Ge­ sundheitssystem gleichzustellen«, erläutert die In­ itiatorin des Projekts, Kristina Lammert, ihre Pro­ jektidee. Die Initiative wolle nicht nur die Ausgabe von kostenlosen Periodenartikeln fördern, sondern auch sicherstellen, dass diese schnell gefunden wer­ den können. »Kostenlose Tampon- und Bindenbo­ xen sollen künftig auf einer Karte markiert werden«,

plant Lammert. »So kann man zumindest anschau­ lich den Ort, der bereits ausgestattet ist, erkennen. Ebenfalls befinden wir uns in Gesprächen mit der Politik. Denn am Ende entscheiden die Kommu­ nen, ob die medizinisch notwendigen Produkte an ihrem jeweiligen Ort zu finden sein werden.« Dieses Ziel ist in Schottland bereits erreicht. Seit November 2020 gibt es dort an allen Schulen und Universitäten kostenlose Binden und Tampons. Andere öffentliche Einrichtungen vor Ort, so heißt es, werden nachzie­ hen. »Leider ist immer noch zu beobachten, dass das Thema Periode auf Widerstand stößt, weil wir es als Gesellschaft selbst zu lange tabuisiert haben«, so Lammert. Das Thema sei nach wie vor mit Stigma­ tisierung und Scham verbunden. Durch einen Freund ist Maxi Bethge auf das Thema der Perio­ denarmut aufmerksam geworden. »Uns ist aufgefallen, dass wir das Problem der Periodenarmut auch in Deutschland haben, und woll­ ten das ändern. Ich habe mich dann in verschiedenen Unter­ künften für wohnungslose Men­ schen erkundigt und letztendlich einen Crowdfunding-Aufruf auf Betterplace gestartet.« Daraus entstand das ›periodensystem‹ ein ehrenamtlicher Verein mit Sitz in Berlin, der sich für mehr Gleich­ berechtigung einsetzt. Der Verein will aufklären. Über Menstruation »Am Ende entscheiund Periodenarmut. Bethge war den die Kommunen, anfangs überrascht: »Mir war gar ob die medizinisch nicht klar, wie politisch das Thema ist. Für Frauen und Männer. Das notwendigen Produkhat man nicht zuletzt am ›Pinky te an ihrem jeweiligen Glove‹-Skandal gesehen, bei dem Ort zu finden sein zwei Männer pinke Handschu­ werden.« he auf den Markt brachten, um ›Tampagne‹-Chefin die Entsorgung von Tampons für Kristina Lammert Frauen ›einfacher und weniger ekelerregend‹ zu gestalten. Dann Foto: Tampagne

Zugang zu Binden, Tampons und einem sicheren Ort ist für die allermeisten Frauen in Deutschland selbstverständlich. Für obdachlose Frauen sieht das anders aus. Vielen fehlt das Geld, um sich Hy­ gieneartikel zu kaufen, also basteln sich obdachlo­ se Frauen Ersatztampons und -binden. Die Gefahr: Infek­tionskrankheiten verschiedenster Arten. Eine der bekanntesten ist das toxische Schocksyndrom (TSS), bekannt als »Tamponkrankheit«. Hierbei pro­ duzieren Bakterien Gift, das im Extremfall Herz- und Organversagen auslösen kann. Rund ein Drittel aller Wohnungslosen in Deutschland sind Frauen. Das sind geschätzt rund 60.000 Menschen, die Zahl ist eine Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, einem Dachverband der großen Träger von Obdach­ loseneinrichtungen wie Awo, Caritas und Diakonie. Auch die allermeisten dieser 60.000 bluten einmal im Monat für mehrere Tage. Das ist ohne überall ver­ fügbare Hygieneräume nicht nur schwierig, sondern auch nicht billig. Und so stellt sich Monat für Monat für Frauen auf der Straße die Frage: Essen oder Bin­ den? Für dieses Dilemma hat sich inzwischen ein Begriff etabliert: Periodenarmut.

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Blutige Unterwäsche, kein fließendes Wasser, keine Binden, wenig Raum für die allmonatliche intime Situation. Vereine wie ›Tampagne‹ oder ›periodensystem‹ setzen sich für kostenfreie Menstruationsprodukte für obdachlose Frauen ein. Und Hannover – arbeitet dran.

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Wo waschen, wo Tampons wechseln? Auch obdachlose Frauen brauchen saubere intime Räume und verfügbare

Foto V. Macke

Foto: Picture-Alliance/Wolfram Steinberg/dpa

Hygieneartikel.

»Mir war gar nicht klar, wie politisch das Thema ist. Für Frauen und Männer.«

Foto: privat

›periodensystem‹-Gründerin Maxi Bethge

Bei Szenia, dem Tagestreff für obdachlose Frauen, gibt es Duschen und Hygieneartikel. Zu Pandemiezeiten allerdings auch nur eingeschränkt.


Scheu und Scham In Hannover gibt es Tampons und Binden in vielen Einrichtungen der Wohnungslosen- und Suchthilfe. »Kostenlos, wenn Hygienematerial zur Verfügung gestellt wird«, heißt es etwas irritierend seitens der zuständigen Regionsverwaltung. Es gibt sie also nicht grundsätzlich kostenlos immer und überall. Separate Toiletten gibt es in nahezu jeder Hilfsein­ richtung. Immerhin. Problematisch sei die Situation für die Frauen allerdings außerhalb der Öffnungs­ zeiten der Tagestreffs und für alle Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum Hil­ fesystem finden. Zum Beispiel weil sie als Eingereis­ te nichts davon wissen, weil sie sich schämen oder weil sie psychisch krank sind. »Fehlende Hygienear­ tikel können das Empfinden von Scham verstärken, weil die Angst davor, dass Blut an Kleidung oder auf Sitzmöbeln sichtbar wird, dann natürlich groß ist. Durch die Bereitstellung von Tampons und Binden kann das Risiko für Infektionen deutlich verringert werden«, sagt Katharina Pätzold, als städtische Stra­ ßensozialarbeiterin zuständig für obdachlose Frau­ en In Hannover. Denn Frauen bluten nun mal, ob sie wollen oder nicht. Ohne kostenlose Tampons oder Binden weichen manche auf Socken, Lappen oder Tempos aus. Weil eine staatliche Rundumfinanzie­ rung von solchem Hygienematerial in den unter­ schiedlichen Einrichtungen der Wohnungslosenund Suchthilfe überraschenderweise bisher fehlt, bitten einige Läden immer mal wieder bei örtlichen Drogeriemärkten um Spenden. Gut für die Frauen: Die Ketten spenden häufig gern. In Lockdownzeiten waren viele öffentliche To­ iletten geschlossen und auch die Zugänge zu den Tagestreffs der Obdachlosenszene waren teils stark

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kam zusätzlich die Nachhaltigkeitswelle mit dem Thema Menstruationstassen, da mussten wir auch viel Aufklärungsarbeit leisten.« Inzwischen hat der Verein auch eine Instagram-Seite, auf der verschie­ dene Themen rund um Feminismus und Periode zur Sprache kommen. Verengt werden dürfe das Thema nicht. Bethge ist wichtig, auch verwandte Themen wie Body Positivity und Selbstbewusstsein zur Spra­ che zu bringen. »Wir wollen nicht stereotypisch ›drei weiße Frauen‹ sein, die die Welt retten. Wir wollen die Sichtbarkeit für alle erhöhen, und mit dieser Vielfalt kommt auch die Vielfalt an Themen.«

reduziert. Zudem ist längst nicht jede öffentliche Toilette auch eine kostenlose Toilette. Um Periodenartikel richtig verwenden zu können, benötigt frau aber eben auch eine saubere Umge­ bung, Gebüsche sind da keine gute Option zum Säubern und Desinfizieren der Hände. »Trotz Corona gibt es bei uns einen täglichen Zugang zu Toiletten und Duschen, dieser ist jedoch nur eingeschränkt nutzbar«, betont deshalb Charlotte Nitzpon, Sozialarbeiterin beim einzigen speziellen Tagestreff für Frau­ en ›Szenia‹, unweit vom hannoverschen Amtsgericht. »Frau kommt einfach bei uns vorbei und hofft auf Kapazität. Es wäre wünschenswert, dass es bald mehr Frauentagesstätten gibt«, sagt sie noch. Auf der Agenda von Stadt und Region steht das allerdings bisher nicht. Statistiken darüber wie viele Fälle von Unterleibsinfektionen aufgrund von schlechten Hygienebedin­ gungen in Hannover oder Niedersachsen pro Jahr vorkommen, gibt es nicht. Das Robert Koch-Institut gibt 2015 geschätzt drei bis sechs Fälle von TSS pro 100.000 Frauen an, davon 92 Prozent im Zusammenhang mit der Menstruation.

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Marieke Meyer/Lauren Mattew

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GUT ZU WISSEN

Am 12. September 2021 sind alle BürgerInnen ab 16 Jahren zu den Kommunalwahlen in Niedersach­ sen aufgerufen. Aber wie genau geht das? Was pas­ siert im Wahllokal? Dürfen Häftlinge wählen? Darf ich ein Selfie in der Wahlkabine machen? Die neue Website www.kommunalwahl-nds.de beantwor­ tet ab sofort häufige Fragen rund um die Kommu­ nalwahlen in Niedersachsen. Dieses gemeinsame Angebot der Landeszentrale für politische Bildung und dem Niedersächsischen Städte- und Gemein­ debund richtet sich an alle Menschen, die Informa­ tionen zu den Kommunalwahlen suchen. Fachkräfte der politischen Bildung können die Website für die eigene Bildungsarbeit nutzen. MAC

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Foto: Picture-Alliance/dpa/ dpa-Zentralbild | Julian Stähle

Was passiert im Wahllokal?

Wahlentscheidung vorab testen Seit 2002 gibt es den Wahl-O-Mat der Bundeszentrale für politi­ sche Bildung. Er hat sich zu einer festen Informationsgröße im Vorfeld von Wahlen etabliert: Insgesamt wurde er im Vorfeld von Wahlen über 85 Millionen Mal genutzt. Zur kommenden Bundestagswahl am 26. September wird es auch wieder diese Hilfe zur persönlich richtigen Wahlentscheidung geben. Frei­ geschaltet wird der Wahl-O-Mat Ende August unter www.bpb. de/politik/wahlen/wahl-o-mat/ . MAC


»Jung gegen Alt«, titelt der Stern in seiner Ausgabe vom 10.6.21, und weiter »… Der Streit der Generationen prägt den Wahlsommer«. Das Wort »Streit« hat mich irritiert. Natürlich haben die Generationen unterschiedliche Sichtweisen, aber müssen sie deswegen wirklich streiten? Schließlich sind die »Jungen« die Kinder und Enkelkinder der »Alten«, und die »Alten« haben die »Jungen« geprägt. Ich finde, da können die »Jungen« mal zeigen, was sie von den »Alten« gelernt haben. Wenn die »Jungen« voller Elan und voller Idealismus ihre Zukunft gestalten wollen, ist das doch prima. Etwas Besseres kann dem Land doch wirklich nicht passieren. Und wenn die »Alten« mit ihren Erfahrungen bereit stehen, die »Jungen« mal zu bremsen, wenn sie über das Ziel hinausschießen sollten, dann ist auch das positiv. Im Norden Europas sind die Menschen scheinbar viel experimentierfreudiger. Immerhin ist die Premierministerin von Island 41, die in Finnland gerade mal 34 Jahre alt. Und auf der anderen Seite des Globus regiert in Neuseeland eine Premierministerin mit 37 Jahren. Wenn ich mir dagegen alte Männer wie Putin, Lukaschenko oder Orban betrachte, dann sind mir die »Jungen« in Deutschland herzlich willkommen!

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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Jobcenter muss Schuldnerberatung zahlen Kassel, Bremen. Jobcenter müssen bei der Vermittlung von Hartz-IV-Beziehern in den Arbeitsmarkt auch deren Verschul­ dungssituation im Blick haben. Stellen hohe Schulden ein Hin­ dernis für die Integration in den Arbeitsmarkt dar, kann die Be­ hörde zur Übernahme der Kosten für eine Schuldnerberatung verpflichtet sein, urteilte jetzt das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Sei dagegen zu erwarten, dass sich Arbeitslose Vermitt­ lungsbemühungen in den Arbeitsmarkt verweigern, müsse das Jobcenter die Schuldnerberatung nicht als Eingliederungsleis­ tung bezahlen. Im konkreten Fall ging es um einen Mann aus Bremen, der wegen aufgehäufter Schulden in Höhe von 60.000 Euro eine Schuldnerberatung in Anspruch nehmen wollte. (AZ: B 14 AS 18/20 R). EPD

Nasenspray für Junkies

Obdachlose verletzt und getötet Hannover. Anfang Juli wurde der Obdachlose Dirk erstochen in Hannovers Stadtwald Eilenriede auf­ gefunden. Der 54-Jährige war von Messerstichen übersät. Aus der Bevölkerung seien nach einem Zeugenaufruf mehrere Hinweise eingegangen, sagte eine Sprecherin der Polizei. Verschiedene Personen seien überprüft worden, doch bisher habe sich noch kein dringender Tatverdacht ergeben. Todesursache ist laut Obduktion ein starker Blutverlust durch die Stichverletzungen. Die Polizei ermittelt wegen Tot­ schlags und bittet Zeugen, die in der Nacht zum 6. Juli auffällige Beobachtungen gemacht haben, sich unter der Telefonnummer 0511/109-5555 zu mel­ den. Am selben Tag fanden Polizisten in der Nähe des Hauptbahnhofs noch einen weiteren Mann ohne festen Wohnsitz tot auf. In diesem Fall sei die Todesursache nach wie vor unklar, sagte die Polizei­ sprecherin. Der Mann war 43 Jahre alt. Fremdein­ wirkung konnte nicht festgestellt werden. Ein weite­ rer Obdachloser wurde in einer Unterkunft Ende Juli von einem anderen Obdachlosen lebensgefährlich verletzt. Ebenfalls durch Messerstiche. Der 30-jähri­ ge Täter konnte festgenommen werden. EPD/MAC

Hannover/Berlin. Jeder zweite Drogentote in Deutschland starb an einer nicht gewollten Überdo­ sierung. Naloxon ist ein Opioid-An­ tagonist, der die atemlähmende Wirkung von Opioiden wie Heroin, Fentanyl und Methadon innerhalb weniger Minuten aufhebt und Le­ ben rettet. Jetzt soll es als Nasen­ spray an DrogenkonsumentInnen und Angehörige abgegeben werden. Dafür geht jetzt das Projekt NALTrain bundesweit an den Start. »Durch die Einführung des Nasensprays im Jahr 2018 wurde die Grundlage geschaffen, dass das lebensrettende und einfach anwendbare Medikament ver­ stärkt auch durch geschulte Laien sowie MitarbeiterInnen der Drogen- und Aidshilfen eingesetzt werden kann, bis Rettungs­ kräfte vor Ort sind«, so Projektleiter Prof. Heino Stöver. Wenn Ärzte künftig das Medikament verordnen, MitarbeiterInnen der Hilfeeinrichtungen weitergebildet werden und möglichst viele Drogennutzer das Medikament mit sich führen und anwenden können, könnten Tode vermieden werden. Mit 1.581 Drogento­ desfällen verzeichnete Deutschland im Jahr 2020 den höchsten Stand seit 20 Jahren. Serdar Saris, Geschäftsführer der STEP Niedersachsen begrüßt den Start: »Im Stellwerk wurden in die­ sem Zusammenhang vor rund zwei Jahren bereits einmal Kurse dazu angeboten. Auch für eine Teilnahme an dem jetzt starten­ den Bundesmodellprojekt haben wir uns beworben.« MAC

Quelle: Deutsche Aidshilfe

Foto: V. Macke

AUS DER SZENE


Hannover. In der Hagenstraße in Hannover-Mitte sind 21 neue Sozialwohnungen für Menschen von der Straße entstanden. Ei­ gentümer sind die Brüder Carl-Anton und Thomas Payer, Chefs der alteingesessenen hannoverschen Hausverwaltungsfirma C.A. Möller. Vermieterin des Gebäudes ist die Soziale Wohn­ raumhilfe (SWH), ein Projekt der Diakonie und der Baufirmen Gundlach und Selge. Zuvor war die Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose ZBS lange Jahre in dem Gebäude. Zuletzt stand es leer. Jetzt wurde es umfassend umgebaut. Die Wohnungen sind barrierefrei, zwei von ihnen sogar rollstuhlgerecht. Der Grundpreis liegt bei 5,60 Euro pro Quadratmeter. Mit mehreren hunderttausend Euro haben sich Stadt und Region Hannover an der Finanzierung beteiligt. MAC

Keine extra Brunnen für Obdachlose Hannover. Mittels eines Dringlichkeitsantrags wollte Die Frak­ tion im Rat der Landeshauptstadt die Trinkwasserversorgung insbesondere für Obdachlose und Gestrandete in Hanno­ vers City sicherstellen. Die Stadt plant ohnehin mehrere neue Trinkwasserspender im Stadtgebiet aufzustellen, allerdings nur einen in der City, genauer: am Platz der Weltausstellung. Mindestens drei aber sollten, so Die Fraktion in ihrem Antrag, im Citybereich installiert werden. »Während einige BürgerIn­ nen um die Plätze im Schwimmbad rangeln oder um ihre pri­ vaten Pools fürchten, fehlt es obdach- und wohnungslosen Menschen in unserer Stadt oft an Trinkwasser. Die bisherigen Konzepte zur öffentlichen Trinkwasserversorgung konzentrie­ ren sich prioritär allerdings auf die Stadtbezirke und Menschen in anderen Lebenslagen«, so Fraktionschef Julian Klippert. Der Rat hat den Antrag in seiner Juli-Sitzung dennoch mehrheitlich abgelehnt. Der Brunnen am Platz der Weltausstellung soll im September Wasser spenden, so die Stadt. MAC

Hannover. Der Mecki-Laden am Ende des Raschplatz soll um­ ziehen. Bis sich eine neue dauerhafte Bleibe findet, planen Stadt, Region und Diakonie den eigentlichen Kontaktladen mit Kaffee, Essen und Sozialarbeit von der dort bisher ebenfalls an­ gebotenen medizinischen Versorgung obdachloser Menschen zu trennen. Der Kontaktladen soll demnächst nach oberirdisch in die Räume des alten »Kompass« schräg gegenüber vom Bus­ bahnhof ziehen. Die medizinische Versorgung soll dann vorerst in dem bisherigen Raum bleiben. »Da es sich hiermit formal um die Erweiterung eines Tagestreffs handelt, ist hier die Region Hannover zuständig und muss eine entsprechende Leistungs­ vereinbarung mit der Diakonie in Abstimmung mit dem Land Niedersachsen abschließen. Diese Gespräche laufen derzeit«, so die Stadtverwaltung in einer Antwort auf eine Rats-Anfrage der SPD-Fraktion. Langfristig soll ein dann erweiterter »Mecki 2.0« mit Duschen, Waschen, Medizin entstehen. Möglicherwei­ se in der Nähe des Amtsgerichts. MAC

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Wahl des deutschen Bundestages am 26. September 2021

Auch wohnungs- und obdachlose Bürger*innen sind wahlberechtigt. Wählen darf, wer am Wahltag • die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, • mindestens 18 Jahre alt und nicht vom Wahlrecht ausgeschlossen ist, • seit drei Monaten in Hannover übernachtet hat. Bei Personen ohne Wohnung gilt der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts als Wohnung. Hannoveraner*innen, die sich hier ohne Meldeadresse gewöhnlich aufhalten, können sich in der Briefwahlstelle im Neuen Rathaus in das Wählerverzeichnis eintragen lassen und per Briefwahl wählen. Öffnungszeiten der Briefwahlstelle im Neuen Rathaus: • vom 23. August bis zum 24. September 2021 • montags, dienstags, donnerstags und freitags 8 bis 18 Uhr, mittwochs 8 bis 15 Uhr

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Foto: V. Macke

21 neue Obdachlosen-Wohnungen

Mecki-Laden soll umziehen

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»HERZENSSACHE« Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Thomas (51). Hallo Thomas, toll siehst du wieder aus – weißes Hemd, Sommerhütchen. Aber, eigentlich bist du ja immer, wenn man dich sieht, akkurat gekleidet. Danke für die Blumen. Ja, das ist mir auch sehr wichtig. Nie­ mand soll mir meine Armut ansehen. Wenn ich bei meinen sozialen Asphalt-Stadtrundgängen zum Beispiel vor dem SOS-Bistro stehe und über die Kleiderkammer spreche, dann sage ich den Leuten immer: ›Auch wenn sie sich das nicht vor­ stellen können, aber, alles was ich an meinem Körper trage, ist aus der Kleiderkammer. Ausgenommen mein Schlüpfer, den kaufe ich mir immer selber.‹ Solche Lacher kommen immer sehr gut an.

Wäre es dir unangenehm, wenn man dir deine Armut ansehen würde? Das wäre mir sogar sehr unangenehm. Ich würde gerne meinen Lebensunterhalt mit meiner eigenen Hände Arbeit verdienen. Das ist so jetzt aber leider nicht mehr möglich. Ich bin froh, dass ich das mit Asphalt machen kann. So ist es wenigstens ein kleines Zubrot, ein kleiner Zuverdienst, mit dem ich neben dem Arbeitslosengeld-II-Satz einigermaßen überleben kann.

Warum ist es nicht mehr möglich, dass du deinen kompletten Lebensunterhalt selbst verdienst? Ich habe Silvester 2013 auf 2014 einen versuchten Mordan­ schlag überlebt. Bei dem wurde mein kompletter linker Arm und meine linke Gesichtshälfte zertrümmert.

Einen versuchten Mordanschlag? Ja. Bei mir im Heimatdorf gab es neue Gastronomen. Die ha­ ben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte. Ich habe ihnen dann mit Rat und Tat viel geholfen, so als Freundschaftsdienst. Als 2013 aber klar war, dass sie insol­ vent sind, habe ich, wahrscheinlich auf ein bisschen arrogante und überhebliche Art und Weise, zum Sohn gesagt: ›Pass mal auf, mein Freund, eines sage ich dir, wer mit so einer Gastrono­ mie pleitegeht, der ist selber schuld.‹ Das hat ausgereicht, um mir k.o.-Tropfen ins Getränk zu geben und mich auf dem Weg zu meinem pflegebedürftigen Lebensgefährten mit einer Ei­ senstange richtig übelst zusammenzugeschlagen. Danach wur­ de ich dann in einem Misthaufen entsorgt. Zum Glück hat mich dann nach zwei Stunden ein sechsjähriger Junge gefunden. Sei­ ne Eltern haben mich dann aus dem Misthaufen gefischt.

Das ist echt übel. Und deshalb kannst du jetzt nicht mehr arbeiten? Genau. Ich habe ja lange Jahre als Kellner und sogar als Ober­ kellner gearbeitet. Gastronomie war alles für mich. Durch den Unfall kann ich meinen Arm aber nicht mehr als zwei Kilo be­

lasten. Ich habe kontinuierlich Schmerzen. Nicht einmal Sup­ penteller kann ich mehr einsetzen, geschweige denn eine Fla­ sche Wein am Tisch dekantieren. Das sieht alles Scheiße aus. Aber ich dachte, wenn ich schon am Tisch nicht mehr servieren kann, so kann ich ja wenigstens noch ein paar Bierchen zapfen und Cocktails mixen. Und dann kam die Dame in der Altstadt mit dem Spruch, dass sie diesen hässlichen Arm ihren Gästen nicht zumuten könne. Puh.

Welche Dame aus der Altstadt? Und warum bringt sie so einen Spruch? Ich hatte damals einen Vorstellungstermin in so einer Alt­ stadt-Pinte. Beim Vorstellungsgespräch hatte die Dame dann zu mir gesagt: ›Ja Thomas, deine Referenzen und was du schon alles gemacht hast, das ist total schön. Aber, du hast ja so ei­ nen schlimm verletzten Arm. Wir arbeiten hier allerdings kon­ sequent kurzärmlig. Diesen hässlichen Arm kann ich meinen Gästen aber nicht zumuten.‹ Als ich aus diesem Vorstellungs­ gespräch raus bin, stand vor dem Laden ein Asphalt-Verkäufer. In meiner Panik, Not und was sonst noch alles, ich war so emo­ tional, da habe ich den Menschen gefragt, wie man Asphalt-Ver­ käufer wird. Ich brauchte ja unbedingt was zu tun. Hätte ich nichts getan, wäre ich wahrscheinlich in der Gosse gelandet.

So bist du dann also zu Asphalt gekommen? Kannst du dich noch an deinen ersten Tag erinnern? Oh, ja. Das war am 15.04.2015. Man hatte mich damals dann auf der Lister Meile abgestellt. Ich weiß noch, wir hatten Anne Frank auf dem Cover. Ein Ehepaar kam dann auf mich zu und die Frau zeigte wegen dem Bild der Anne Frank Interesse. Der Mann riss seine Frau dann aber weg sagt: ›So einen Scheiß kauft man hier nicht. Die sollen den Dreck aus der Gosse fres­ sen. Sowas unterstütze ich nicht.‹ Da dachte ich dann, das kannste nicht. Wenn dir nochmal sowas passiert, das kannste nicht. Gott sei Dank habe ich dann aber meinen Platz in Linden gekriegt. Das ist ja eine ganz andere Klientel. Da hat sich mein komplettes Leben geändert.

Inwiefern? Ich habe so viele tolle Menschen kennengelernt und ich habe viele neue Kontakte. Ich habe mein altes Leben zurückgelassen und bin froh, diesen Schritt gegangen zu sein und beim Asphalt anzufangen. Das hat mich wieder aus meinem Loch gezogen. Denn damals ging es mir richtig schlecht. Bei Asphalt bin ich sehr aktiv. Neben dem Zeitungsverkauf mache ich ja auch die sozialen Stadtführungen. Das ist so eine Herzenssache von mir geworden. Das macht mir wirklich Spaß. Interview und Foto: Grit Biele


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Thomas verkauft Asphalt vor Edeka auf der Limmer Straße in Linden und am Planetencenter Garbsen.


BRIEFE AN UNS

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Zu Asphalt 06/21 »Wahl und Vertrauen«

Was ist Wahrheit?

Die in dem Interview mit MarHERZENSSACHE got Käßmann angesprochene Frage von Pontius Pilatus (»Was ist Wahrheit?«) blieb, wie genannt, unbeantwortet. Wirklich schade, die Antwort würde uns auch heute interessieren. Vielleicht war es seitens Pilatus auch nur eine rhetorische Frage, vielleicht war für ihn eine weitergehende Antwort nicht relevant; für Pilatus war wohl aus der Befragung klar, dass Jesus keine Umsturzgedanken hegte und somit keine politische Gefahr für Rom darstellte. Deshalb sah er ja auch keine Schuld an ihm und keinen Grund, ihn zu verurteilen. Aber wir wissen es anhand der »offiziellen« Evangelien nicht wirklich. In dem apokryphen Nikodemus-Evangelium aus dem fünften Jahrhundert wird der Dialog deutlich ausgebaut, so dass Pilatus dann doch eine Antwort erhält: »Da erwiderte ihm Jesus: »Die Wahrheit stammt vom Himmel«. Und Pilatus: »Gibt es auf Erden keine Wahrheit?«. Darauf Jesus zu Pilatus: »Du siehst doch, wie die, welche die Wahrheit sagen, von den irdischen Machthabern gerichtet werden«. Norbert Wertheim, Hannover NEUSTART INS LEBEN

ARMIN LASCHET

NACH DER PANDEMIE

Insa und Milena nach der Organspende.

Straßenzeitungen befragen den Kanzlerkandidaten der CDU/CSU.

Margot Käßmann über Rechte und Menschenrechte.

Zu Asphalt 06/21 »Meine Worte«

Große Freude Für den Beitrag von Heinz-Dieter Grube, »Kein schöner Land – in dieser Zeit ...« möchte ich mich herzlich bedanken! In feiner, humorvoll-ironischer Art und Weise beschreibt er unsere derzeitigen Lebensumstände so, wie auch ich sie wahrnehme. Es hat mir große Freude bereitet, den Text zu lesen! Hatte ich in der Asphalt gar nicht so erwartet, ehrlich gesagt. Dafür noch einmal Dankeschön! Christiane Altmann, Hannover

Zu Asphalt 06/21 »Laschet will Aufsteiger«

Die schlimmsten Übeltäter Genauso wie Herrn Lindner (Asphalt 05/21) spreche ich Herrn Laschet ab, dass er soziale Ungerechtigkeit und Armut ernsthaft bekämpfen will. Dann hätte er längst damit beginnen können. Seit einer gefühlten Ewigkeit ist die CDU/CSU an der Regierung und Herr Laschet auch schon seit vier Jahren Ministerpräsident von NRW. In dieser Zeit ist die Schere zwischen Arm und Reich immer größer geworden. Die wirklich wichtigen Themen wurden bis heute nicht angegangen: Klimakrise, Bildung, Armutsbekämpfung (z. B. auch durch Schaffung gut bezahlter Arbeitsplätze für alle und einen Mindestlohn, mit dem ein würdiges Leben und eine Absicherung im Alter gewährleistet ist, bezahlbarer Wohnraum etc.) sowie Digitalisierung. Die Corona-Krise hat Vieles noch deutlicher ans Tageslicht gebracht und weiter verschärft. Die Kinder wurden auch diesmal entgegen aller Beteuerungen wieder hinten angestellt. Gab es schon vorher marode Schulen und zu wenig Lehrpersonal, wurden die Kinder jetzt auch noch ins Home-Schooling verbannt und gerade die ärmeren Kinder haben massiv unter dieser Situation zu leiden gehabt. Nicht einmal für Lüftungsgeräte in den Schulen wurde gesorgt, obwohl diese nur einen Bruchteil der Kosten für Hilfen an die Großkonzerne verursacht hätten. Ein Totschlagargument ist, dass alles ja auch bezahlbar sein muss. Es wäre genug Geld vorhanden, würden unsere hart erarbeiteten Steuergelder nicht auf allen politischen Ebenen verschwendet, veruntreut, Steuerhinterziehung oder -vermeidung zugelassen. Einige Beispiele: PKW-Maut, Beraterverträge, Cum­ Ex, Wirecard, Greensill, Maskenaffären, Entschädigungen für Atomstrom-Konzerne etc. Dazu kommen v. a. bei der CDU/CSU zahlreiche Korruptionsaffären (z. B. Aserbeidschan-, Maskenaffäre). Diese Partei sollte m. E. endlich das »C« aus dem Namen streichen. Denn gerade die, die die höchsten moralischen Ansprüche stellen, sind für mich die schlimmsten Übeltäter! Birgit Jansen, Delmenhorst


Hohes Niveau Jede Ausgabe des Magazins ist durch die Komplexität so interessant zu lesen. Man erfährt sowohl etwas über das Leben der Verkäufer, ihre Sorgen wie auch positive Entwicklungen als auch über das Geschehen in Hannover, und nicht zuletzt gerade aktuell: die Interviews mit den Spitzenpolitikern – auf journalistisch sehr hohem Niveau. Brigitte Heitkamp, Bad Oeynhausen

Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben. Leserbriefe an: redaktion@asphalt-magazin.de oder postalisch: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover. Zuletzt: Briefe, die Diffamierungen, Drohungen o. ä. enthalten, drucken wir nicht ab. Diese Qualitätskontrolle können wir uns im Print noch leisten.

Zu Asphalt 06/21 Göttingen/Kassel: Kulturtipps Ausgabe 06/21

TagesSatz 2,50 EUR

davon 1,25 EUR Verkäuferanteil

Empörend

In der o.g. Ausgabe ist ein Veranstaltungshinweis unter der Überschrift »Abtreibung ist ein MenHERZENSSACHE schenrecht« abgedruckt. Ich finde es schlicht empörend von einer Abtreibung – die letztlich nichts anderes als die Tötung eines menschlichen Lebens bedeutet – als einem Menschenrecht zu sprechen. Vielmehr wird mit einer Abtreibung ein Menschenrecht – nämlich das Recht auf Leben – verletzt. Übrigens sollte sich jeder, der eine solche Forderung aufstellt, darüber klar sein, dass er sein eigenes Leben dem Umstand verdankt, dass seine Mutter von diesem »Menschenrecht« keinen Gebrauch gemacht hat. Falls sich eine Schwangere durch die ungewollte Geburt eines Kindes und dessen Erziehung physisch, psychisch oder auch aus vermeintlichen wirtschaftlichen Gründen überfordert fühlt, besteht jederzeit die Möglichkeit das Kind zur Adoption freizugeben. Wenn Ihre Zeitung nicht einem guten Zweck dienen würde, wäre diese Ausgabe die letzte gewesen, die ich gekauft hätte. So werde ich sie aber weiter kaufen, hoffe dabei aber, dass sich die Autoren bei derartigen Formulierungen künftig bewusst machen, dass sich unter den Lesern möglicherweise nicht so wenige befinden, die zum Thema eine andere Auffassung haben und sich auch provoziert fühlen! Nachtrag: Ich finde Ihre Zeitschrift und die weitaus meisten Beiträge sonst sehr gut und interessant! Peter Wittmann, Göttingen NEUSTART INS LEBEN

ARMIN LASCHET

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Insa und Milena nach der Organspende.

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Zu Asphalt allgemein

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RUND UM ASPHALT

Foto: G. Biele

Losglück für Asphalt Seit vielen Jahren fördert und unterstützt die Concordia Stiftung in Hannover soziale Projekte. Das konnte jetzt auch Asphalt erfahren, denn: »Wir haben anonym eine größere Spende erhalten, die wir gerne an Vereine, Institutionen und Initiativen hier in Hannover und der Region weitergeben wollten«, verrät Annica Bergfeld vom Concordia-Stiftungsmanagement. An wen die Spende letztlich gehen sollte, dafür konnten die 38 MitarbeiterInnen Ideen einreichen. Über 40 Vorschläge gab es am Ende, aus denen dann per Losverfahren zehn glückliche Empfänger für eine 500 Euro-Spende gezogen wurden. Unter ihnen auch Asphalt. »Ich freue mich, dass so viele soziale Einrichtungen bedacht wurden. Vor allem aber freue ich mich, dass Asphalt wahrgenommen wird und offensichtlich im Fokus von Mitarbeitern der Concordia Stiftung steht«, bemerkt Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke bei der Spendenübergabe. Wir alle sagen herzlich Danke. GB

Asphalt verlost 10 x 2 Karten für den Zoo Hannover

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Feierabendstimmung im Zoo genießen – mit einem kühlen Getränk exklusiv auf der letzten Bootsfahrt des Tages. An ausgewählten Freitagen spannenden Geschichten lauschen und Einblicke in die tierische Zoo-Welt erhalten. Welche tierischen Abendroutinen gibt es? Wer darf die Nacht auf der Außenanlage verbringen? Verhalten sich die Tiere anders, wenn die Besucher eigentlich schon weg sind? Diese und andere Fragen beantwortet der Scout auf der anschließenden Runde durch den abendlichen Erlebnis-Zoo. Lust auf einen Perspektivwechsel? Bei ihrem Spaziergang können die Besucher auf einer leeren Tier-Anlage erleben, wie der Erlebnis-Zoo aus der Tierperspektive aussieht und welche Besonderheiten und Tricks die Innen­ einrichtung hier bereithält. Diese exklusiven Führungen finden nach der Zooschließung statt und sind online unter www. zoo-hannover.de/de/zoo-erleben/fuehrungen buchbar. Welche Regelungen für einen Zoo-Besuch sonst gelten, finden Besucher tagesaktuell unter www.erlebnis-zoo.de. Mit Asphalt können Sie zwei Tagestickets für den Zoo Hannover gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wann finden die Abendspaziergänge deluxe statt?

Foto: Zoo Hannover/Bettina Zeller

Abendspaziergang deluxe

Schicken Sie uns eine Postkarte oder eine E-Mail mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 31. August 2021 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder gewinne@asphalt-magazin.de. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »Donnerstag«.


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Fotos: V. Macke

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Foto:Fabian Wilking

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Es geht wieder los: Nach mehr als einem Jahr Zwangspause startet Asphalt wieder mit seinen Sozialen Stadtrundgängen. Das Original – nur mit echten Geschichten von Armut, Sucht, Straße und Schicksal. Und vom Wiederaufstehen. Authentisch erzählt von denen, die mal dort waren. Unseren Verkäufern. Um das Ganze noch ein bisschen besser zu gestalten, arbeiten wir aktuell an der Tour, an kleinen Neuerungen. Jüngst war Uwe da. Uwe ist Stadtführer in Berlin. Die machen das da etwas anders. Wie genau, darüber hat er sich mit unserem Vertriebsleiter Thomas Eichler und unserem Stadtführer Thomas ausgetauscht (Foto oben rechts). In vielen Städten gibt es mittlerweile solche sozialen Stadtrundgänge, zum Beispiel in Athen, Basel, Salzburg, Hamburg, Barcelona, Nürnberg oder Wien. Wie Straßenzeitungen selbst untereinander, kooperieren in Zukunft auch die – meist dort entwickelten – Sozialen Stadttouren. Bei einem gemeinsamen Austausch vieler StadtführerInnen und Vertriebsleute via Zoom hatten sich jüngst denn auch die Berliner und die Hannoveraner kennengelernt. Ein gemeinsamer Verbund

Foto:Fabia

Restart für den Rundgang

der So­zialen Stadtführungen in vielen Städten, dann buchbar über eine gemeinsame Internetseite, steht in den Startlöchern. Mehr dazu im Herbst. Die Ersten, die in diesem Jahr den Stadtrundgang getestet hatten, waren Mitglieder vom Unternehmerverband Wirtschaftsrat. Bed by night, Neues Land, Mecki, Szenia und Co: Thomas wusste viel zu berichten, was wer wo für ein soziales Hannover leistet. Und hatte viel anschauliche persönliche Vita mit im Gepäck, schöne und schlimme. »Wir waren sehr erstaunt, wie viele Menschen von Armut, von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind und wie unterschiedlich die Gründe dafür sind. Wir sind sehr dankbar für die Erfahrungen, die Thomas mit uns auf dem Rundgang geteilt hat«, so Teilnehmerin Jette Grimm. MAC Wer den Stadtrundgang buchen möchte, meldet sich unter Telefon 0511-301269-0.

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke, Katharina Sterzer (Stellv.) Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: M. Abu Khalifeh, J. Andres, B. Demirkiran, T. Gubert, F. Hubl, L. Jakobus, A. Krasakov, L. Mattew, M. Meyer, J. Möbius, J. Naeth, B. Pütter, W. Stelljes, H. Wagner

Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Heike Meyer Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 26. Juli 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


RUND UM ASPHALT

Kniffliges erInnen

Foto: G. Biele

es für Asphalt-L

Semesteraufgabe: Intimität der Straße Zwei Fakultäten und eine Zeitschrift: eine bisher einmalige Kooperation in Sachen Praxis und Lehre. Diese Asphalt im August ist etwas dicker, weil wir die Ergebnisse unserer Kooperation so überzeugend fanden. Sechs Texte von 12 jungen Menschen, sechs Studierende der Sozialarbeit und sechs Studierende der Journalistik, finden Sie in dieser Asphalt versammelt – eine Auswahl. Die angehenden SozialarbeiterInnen und RedakteurInnen recherchierten und schrieben in Zweierteams gemeinsam und eröffneten sich so gegenseitig Horizonte. Entkräfteten und bestätigten sich wechselweise Vorurteile über die jeweils andere Profession. Das allein schon ist Gewinn an sich. Auch an der Semesteraufgabe selbst mussten sie immer wieder diskutieren: Wie weit geht öffentliches Interesse, wie begegnet man den Menschen, über die man schreiben möchte, mit Respekt, was sind die Grundlagen sozialer Probleme, wie hilft soziale Arbeit, und wo sind wessen Grenzen? Im vorigen Jahr saßen Maike Wagenaar von der Fakultät V der Hochschule Hannover (im Bild re.) gemeinsam mit Hans-Peter Fischer von der Fakultät III (Bildmitte) sowie Asphalt-Redaktionschef Volker Macke erstmals zusammen. Auf dem Tisch ein handgekritzeltes Mindmap. Titel: Intimität der Straße. Daraus ist ein Seminar entstanden. Von Ende März bis Juli dieses Jahres immer donnerstags ging die Klasse mit den drei DozentInnen dann coronabedingt auf Zoomkonferenzschalte. Zum Ende dann ging es ums Recht am eigenen Bild, um Plausibilitätsprüfungen, nötige Gegenrecherche, Zeichenzahlen, Textaufbau, die Funktion des Konjunktivs und letztlich um gute Schreibe. Mit Engagement – Asphalt konnte in diesem Heft nicht alle Texte der Studierendenteams drucken. Das einzige Dreierteam unter den Studierenden übrigens hat nicht geschrieben, sondern ihre KommilitonInnen bei der Arbeit gefilmt. Einen kleinen Making-Off-Film finden Sie unter www.asphalt-magazin.de. RED

Gehirnjoggen ist genau das Richtige. Ob in den Ferien, auf Reisen oder doch wieder in einem Lockdown: Rätseln macht Freude und hält nachweislich jung. Wer täglich ein Kreuzworträtsel löst, hat ein zehn Jahre jüngeres Gehirn als Menschen ohne Rätsellust. Haben Forscher in einer großen Studie herausgefunden. Grund genug zuzugreifen! Das »Asphalt-Rätsel« mit Kreuzwörtern, Futoshiki und Sudoku, großem Verkäufer-Bilderschütteln und vielen lustigen Rätseln für Kinder zum Denken und Malen. 44 Seiten stark. Für 3 Euro. Ab dem 16. Juli bei allen Asphaltern.

Gesuch & Gruß Verkäufer Michael und Verkäuferin Simone: Wir möchten uns auf diesem Wege bei all unseren Kunden und Kundinnen, Freunden und Bekannten, dem Stamme 96-Team, dem Schuhgeschäft Neumann, dem Herrenausstatter und speziell bei Asphalt für die vielen Glückwünsche, Geschenke und die große Unterstützung zu unserer Hochzeit bedanken. Herzlichst, Michael und Simone. [V-Nr. 2309/2334/Hannover] Verkäufer Olaf: Wer verschenkt ein Smart-Phone? [V-Nr. 1612/ Hannover] Kontakt: 0178 – 8464872.


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Solidarität ist ein Wert

Foto G. Biele

Im Mai wurde er 67, anstelle von Geschenken hatte Michael Hans Höntsch zu Spenden zugunsten von Asphalt aufgerufen. Via Facebook. 60 seiner Freunde folgten dem Aufruf und warfen mit ihm stolze 1.300 Euro zusammen. Jetzt hat der umtriebige ehemalige Lehrer und Landtagsabgeordnete das Geld mit einem symbolischen Scheck an Asphalt-Redaktionsleiter Volker Macke übergeben. Der »linke Soze«, wie er sich oft selbst bezeichnet, wolle »damit etwas zurückgeben«, insbesondere denen, denen es gerade nicht so gut geht: Asphalt-VerkäuferInnen. »Trotz einer ernsten Erkrankung geht es mir verhältnismäßig gut. Ich bin medizinisch ausgezeichnet versorgt, ich lebe mit meiner Frau in einer schönen Wohnung. Kinder und Enkel sind gesund. Ich löse aktuell Rezepte für Medikamente im Wert von 8000 Euro ein, das ist die solidarische Gesellschaft. Und ich weiß: Gerade jetzt in der Pandemie brauchen die Asphalt-VerkäuferInnen und die dahinter stehenden Strukturen auch Unterstützung, unsere Solidarität.« Großes Dankeschön. RED

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover und Göttingen/Kassel): Rosa

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Gutes an jeder Ecke im Social-Kiosk von Hannover 96 Das neue Social-Kiosk-Projekt von 96plus soll allen Menschen der Region Hannover einen unkomplizierten Zugang zu sozialem Engagement ermöglichen – typisch hannöversch im Kiosk um die Ecke. Hier können sich Menschen in Notlage an den Kiosken mit kostenlosen Hygieneartikeln, Wasser und anderen Produkten versorgen. Die dafür benötigten Gutscheine werden an soziale Träger in der Region verteilt und weitergegeben. Gleichzeitig können Sach-Spenden wie z.B. Schul-Materialien für wirtschaftlich benachteilige Einschul-Kinder abgegeben werden. Die dazugehörige „Schulsachen-Sammelaktion“ von 96plus startete Mitte Juli. Teilnehmende Kioske sind an den schwarz-weiß-grünen Social-Kiosk-Fahnen erkennbar, welche mit dem Schriftzug „Gutes an jeder Ecke“ sowie dem 96plus-Logo versehen sind. Mit dabei sind unter anderem Onkel Olli’s Kiosk (Nordstadt), Onel’s Kiosk (Ricklingen), Gül’s Kiosk (Linden/Limmerstraße) sowie der so,so&so Kiosk (Südstadt).



Punks – eine Subkultur mit eigenen Regeln, gemeinsamen Werten und eigenem Lebensstil. Auch wenn Punks komplett anders leben als die Mehrheit, Freundschaft spielt auch bei ihnen eine wichtige Rolle. Auf eine ganz besondere Weise. Eine Feuerstelle befindet sich inmitten einer Sammlung aus geplatzten Ledersesseln, einer morschen Bank und einem Sofa mit fadenscheinigem Bezug. Darum herum zwei Wohnwagen. Ein Brunnen, eine Solardusche und ein Plumpsklo stehen ne­ ben einer Hütte. In einem Schuppen parken Einkaufswagen, befüllt mit leeren Pfandflaschen und Bierdosen. Dieser Schrebergarten im Süden der Stadt ist das Zuhause von Sven, Jojo und Sarah. Die Drei haben es sich in ihren Ses­ seln gemütlich gemacht. Sarah reißt sich eine Packung Würst­ chen auf und trinkt dazu eine Dose Bier. Die anderen unterhal­ ten sich. Sarahs Hund Spacken liegt mit ausgestrecktem Körper auf dem Sofa. Der andere Hund, Momo, beschnuppert ausgie­ big sämtliche Ecken des Schrebergartens. Sven, Jojo und Sarah sind Punks. Seit etwa einem Jahr wohnt Sven schon hier; die anderen sind nach und nach da­ zugekommen. Jetzt leben sie in einer Art Wohngemeinschaft. Aber Freunde sind sie auch. Sie bekommen oft Besuch in ihrem Garten. Manchmal von Menschen, die sie nicht oder kaum ken­ nen und die einen Schlafplatz brauchen. Kai ist schon öfter vor­ beigekommen. Eigentlich lebt er in einem Männerwohnheim, aber hier gefällt es ihm besser. Warum? Die Gesellschaft sei an­ genehmer, meint er. »Hier kann ich eigentlich sein, wer ich bin, und das stört keinen.« Er lacht. Punks sind sehr offen im Umgang mit fremden Menschen, das weiß auch Nils Volkmer. Er ist Sozialarbeiter im Fachbe­ reich Jugend und Familie der Landeshauptstadt Hannover und arbeitet im Sachgebiet Straßensozialarbeit. Er befasst sich schwerpunktmäßig mit der Punk- und Bauwagenszene. Für ihn ist die Freundschaft zwischen Punks etwas Besonde­ res: »Ich habe noch nie eine so hilfsbereite, freundschaftliche und empathische Subkultur kennengelernt wie die Punks«, er­ zählt er. »In der Punk-Szene gibt es Teilgruppierungen, die oft kaum miteinander zu tun haben. Es findet sich aber immer eine

Gruppe, die dich aufnimmt und akzeptiert, wie du bist.« Dabei sei egal, ob du Punk bist oder Banker: »Punks helfen auch einem wildfremden Menschen. Der muss nicht aussehen wie ein Punk. Wenn ich zu ihnen hinginge und sagte, dass ich Hilfe bräuchte, dann würden sie sich um mich kümmern, mir ein Getränk anbieten oder sogar einen Schlafplatz. Das ist, finde ich, ein Alleinstellungsmerkmal dieser Sze­ ne«, überlegt Volkmer. »In Notsituationen hilft man Leuten, die man nicht kennt«, findet Sven. »Vor Kurzem hatten wir je­ manden zu Besuch, der eine paranoide Schizophre­ nie hat. Das wusste zuerst keiner von uns. Er wollte eigentlich ein paar Tage bei uns chillen und mit uns feiern. An einem Abend kam er zu uns, nachdem er Drogen genommen hat­ te, und hat uns erzählt, dass er Probleme hat und Hilfe »Punks helfen auch braucht«, erzählt Sven. Zu­ einem wildfremden nächst haben die Punks ihn Menschen. Der aufgenommen, mussten spä­ muss nicht ausseter aber noch einen Kranken­ wagen rufen. hen wie ein Punk.« Ob mit oder ohne Besuch; Nils Volkmer, Sozialarbeiter die Punks verbringen viel Zeit miteinander. Sie kochen zusammen, sitzen am Lagerfeuer und fahren in den Urlaub. Gerade besprechen sie die nächste Reise zu einem Wohnwagenplatz an der Nordsee. »Wir fah­ ren nach Cuxhaven, ans schöne Meer«, erzählt Sa­ rah aufgeregt. »Lasst uns schwimmen gehen, Leute, das wird bestimmt schön.« Dann fällt den Punks der Mann mit der Schizophrenie wieder ein. »Den hab

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ZIEMLICH GUTE FREUNDE

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ich völlig vergessen bei der Urlaubsplanung«, fällt Sven auf. Er lacht. »Ich glaube, ich sage ihm mal Bescheid.« Sarah nickt. »Die Tage kommt er zu uns zurück. Er hat uns angefleht, dass er zu uns zurück­ kann«, erinnert sie sich. »Der kommt auf jeden Fall mit in den Urlaub, der bleibt hier jetzt nicht allein«, bekräftigt Jojo. Nils Volkmer bewundert diese Offenheit: »Ich glaube nicht, dass ich bereit wäre, einen wildfrem­ den Menschen bei mir schlafen und essen zu lassen. Das würde ich nicht hinkriegen«. Die Punks leben alle von Hartz IV. In der Stadt treffen sie sich mit anderen Punks, um PassantIn­ nen um Geld zu bitten. »Man muss nicht befreundet sein, um schnorren zu gehen, aber man sollte sich schon gut verstehen, man hängt ja viel zusammen rum«, erklärt Jojo. »Hier kann Das gemeinsame »Schnorren« ver­ ich eigentlich binde. »So muss man das alles hier nicht alleine durchstehen«, erklärt sein, wer ich Sarah. Das Geld, das sie verdienen, bin, und das teilen sie untereinander auf. Das stört keinen.« würden sie nicht mit jedem ma­ Kai chen, aber untereinander vertrauen sie sich. »Egal, wer was hat: Es wird einfach untereinander geteilt. Weil wir eh alle keine Kohle haben, ist es total egal. Hier stellt keiner große Besitzansprüche, abgesehen von ein paar privaten Dingen, die jeder für sich aufbewahrt«, erklärt Sven. Oft gehen sie nach dem »Schnorren« gemeinsam einkaufen und kochen dann. Trotzdem hat jeder von ihnen auch eine eigene Kasse: »Wir haben na­ türlich auch unsere eigenen Ausgaben, die wir pri­

vat tätigen, wie zum Beispiel Tabak. Den würde auch nicht die gesamte Gruppe für jeden finanzieren«, erklärt Sarah lachend. Den Punks ist es wichtig, sich ihre Eigenständigkeit zu be­ wahren. »Manchmal ist auch einfach mal einer von uns drei Tage weg. Da sprechen wir aber auch keine klaren Termine ab, wann wir uns wo wiedersehen, das ist relativ egal«, findet Sa­ rah. »Jeder hat sein eigenes Leben.« Sven ergänzt: »Es gibt zwar viele Freundschaften innerhalb dieser Gruppen, aber nicht je­ der ist mit jedem befreundet«. »Beziehungen zwischen Punks sind nicht anders als zwi­ schen anderen Menschen auch«, erklärt Nils Volkmer. »Es gibt Freunde, die sich gegenseitig unterstützen und helfen, aber es gibt auch Notgemeinschaften.« Das sei aber bei allen Men­ schen der Fall. »Wenn man ehrlich zu sich selbst ist, hat man Freunde, die man nutzt oder von denen man genutzt wird,

Die Subkultur der Punks hat ihren Ursprung in der Mitte der 70er Jahre in London und den USA. Ihre Hochzeit in Deutschland erlebte die Szene in den 80er und 90er Jahren. Es gibt verschiedene Punks. Man unterscheidet zum Beispiel zwischen Modepunks, politischen Punks und Wochenendpunks. Hannover hatte bundesweit eine besondere Stellung in der Punk-Szene. Seit den 80er-Jahren veranstalteten Punks hier ihre »Chaos-Tage«, bei denen sie, meist friedlich, gegen die Polizei protestieren. Der Grund: Die Polizei plante, Jugendliche mit auffälligem Aussehen in einer Punker-Datei zu registrieren. Die Situation eskalierte im August 1995; es kam zu Übergriffen und Gewaltaktionen. Heute ist die Punkerszene längst nicht mehr so präsent wie damals.


gar nicht anders funktioniert, haut man dem anderen halt mal eine rein«, ergänzt Jojo. »Dann hat sich die Sache erledigt.« Nils Volkmer kennt dieses Verhalten von Punks, allerdings als letzte Lösung zur Konfliktregelung. »Ja, Gewalt ist für sie eine Lösung. Nicht die vorrangigste, aber wenn sich das Pro­ blem nicht anders lösen lässt, dann passiert so etwas.« Das sei allerdings stark personenabhängig und bei jeder Gruppierung anders, erklärt er. »Wenn sich die Punks tatsächlich körperlich auseinandersetzen, dann hat sich die Sache damit geklärt und das Problem wird nicht nochmal zum Thema.« Die Punks sind froh, einander zu haben. »In manchen Si­ tuationen achte ich eher auf mein eigenes Gefühl«, erklärt Jojo. »Aber wenn es mir nicht gut geht und ich mal wieder am Durchdrehen bin, dann kann ich darauf vertrauen, dass die an­ deren da sind, um mir zu helfen und mir zu sagen, dass alles okay ist.« Sie schaut Sven in die Augen. »Dann weiß ich, dass sie mir nichts Böses wollen, sondern eigentlich nur das Beste für mich.« Text: Franziska Hubl/Thomas Gubert Fotos: Marilyn-Luise Utke Anzeige

Mobilität fängt in deinem Kopf an. Hier losflitzen. Dort stehenlassen.

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und man hat Freunde, mit denen man aus Sympathie befreun­ det ist.« Welche Art von Beziehung Punks führten, hänge von der Situation ab, in der sie sich befinden, erklärt Volkmer. Er unterscheidet dabei zwischen Freundschaften unter Punks, die meistens nicht obdachlos sind, und Freundschaften zwi­ schen obdachlosen Menschen. Ein Punk sei Teil einer Szene, die sich von anderen Gruppen abgrenzt. »Punk zu sein, ist eine bewusste Entscheidung. Ganz anders ist das bei obdachlosen Menschen. Punks haben sich quasi als Gegenkultur ein eigenes Selbstbild geschaffen und besitzen ein Selbstwertgefühl. Die­ ses Selbstwertgefühl wirkt sich auf die Freundschaft zu anderen Menschen aus, weil man sich nicht in eine Opferrolle begibt. Ich glaube, dass ist eine Voraussetzung von Freundschaft«, er­ klärt Volkmer. »Ich finde nicht, dass wir eine Zweckgemeinschaft sind«, sagt Jojo. »Wir sind eher eine Mischung aus Wohngemeinschaft und Freunden.« Sarah überlegt. »Wir sind noch in der Ausar­ beitung«, meint sie schließlich. »Wir können noch nicht wirk­ lich sagen, was wir für ein Grundkonzept haben, weil gerade ständig Leute kommen und gehen.« Trotzdem ist Freundschaft sehr wichtig für sie. »Freunde sind ein Familienersatz«, erklärt Sven. Die gesamte Gruppe hat keinen bis kaum noch Kontakt zur eigenen Familie. In ihrer Freundesgruppe suchen sie Nähe und Gespräche; insbesondere in Momenten, in denen es ihnen nicht gut geht. »Wir alle vier haben psychische Probleme«, er­ zählt Sarah. »Wir kommen auch gut miteinander aus, weil wir verstehen, was der jeweils andere durchmacht. In Momenten, in denen man kurz durchdreht, verstehen die anderen, dass es gerade nicht anders geht, und das ist okay.« Jojo sieht das ge­ nauso: »Man braucht sich nicht dafür zu schämen«. Für Sven bedeutet Freundschaft genau das: »Man ist füreinander da, auch in schlechten Zeiten. Die anderen stehen zu einem, auch wenn man sich gerade komplett danebenbenimmt. Wir sind für Leute da, von denen andere vielleicht denken würden, dass sie total irre sind«. Sarah grinst in die Runde: »Je schlimmer das Problem, desto besser sind die Leute. Das ist mein Motto!«. Die anderen lachen und nicken. »Man darf nicht vergessen, wie hoch der Anteil von Men­ schen mit körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen in der Punkszene ist«, ergänzt Volkmer. »Diese Menschen wer­ den von dem Rest der Szene einfach mitgenommen. Das muss man sich mal zwischen ›Normalbürgern‹ vorstellen. Niemand nimmt jemanden mit, der psychische Probleme hat. Für die Punks ist das selbstverständlich.« Gerade gibt es ein paar Unstimmigkeiten innerhalb der gro­ ßen Gruppen, mit denen sich die Punks häufig treffen. Wie sie Konflikte lösen? »In der Regel, indem man miteinander spricht. Egal, ob es unbequem ist oder nicht«, findet Sven. »Wenn sich das Problem nicht löst, sollte man einfach zu einem anderen Zeitpunkt nochmal miteinander reden«, denkt Sarah. »Falls es

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Foto: Halszka Nazarczuk – StrassenBLUES e. V.

ZEIT SCHENKEN Geburtstag – für viele Menschen ein Fest mit Freunden und Familie. Obdachlose hingegen bleiben oft einsam. »StrassenBLUES« will das ändern. Mit dem »StrassenGEBURTSTAG«. Im Asphalt-Interview spricht StrassenBLUES-Gründer Nikolas Migut über die Ursprünge, die Besonderheiten und seinen Wunsch für den Umgang mit Obdachlosen. Herr Migut, Sie sind zusammen mit ihrer Frau die Gründer von »StrassenBLUES«. Wer sind Sie? Ich habe 2008/2009 ein Volontariat beim Norddeutschen Rund­ funk gemacht. Dort habe ich Filme gedreht, in der Regel über soziale oder gesellschaftspolitische Themen. 2011 habe ich dann einen Film über obdachlose Menschen in der Berliner Bahnhofsmission am Zoo gedreht. Dafür war ich sieben Tage

und sechs Nächte am Stück unterwegs. Es war sehr bewegend zu sehen, welche Menschen da mitten in der Nacht in der Bahnhofsmission ankommen. Unter diesen Menschen war ei­ ner dabei, der hieß Alex. Er lebte seit acht Jahren auf der Stra­ ße und hat mich mit seiner Ausstrahlung sehr beeindruckt. Für meinen Film bot er mir an, ihn eine Nacht lang zu begleiten. Diese Nacht war so bewegend, dass ich die Einstellung zu mei­


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Alex 2012 als Obdachloser Foto: Nikolas Migut

und 2015 in seiner Sozialwohnung.

nem Beruf verändern wollte. Ich wollte als Journa­ list nicht mehr bloß Zustände und Situationen be­ obachten oder kritisieren, sondern aktiv verändern.

Was ist aus Alex geworden? Meine Frau und ich haben circa zweieinhalb Jahre später zusammen nach Alex gesucht. Gefunden ha­ ben wir ihn nicht in Berlin, sondern in Neumünster. Über eine Obdachloseneinrichtung habe ich die Ad­ resse zu seiner Sozialwohnung bekommen. Es kam zu einem erneuten Treffen, aus dem 2015 der Film »Straßenblues« entstand. Die Erfahrungen aus die­ sem Film haben mich zu dem Entschluss gebracht, FreundInnen und KollegInnen zusammenzutrom­ meln und einen Verein zu gründen, um selbst Lö­ sungen für die Probleme auf der Straße zu finden. Seit dieser emotionalen Zeit bin ich mit Alex fest verbunden, wir telefonieren immer mal wieder und er ist das Gesicht des Vereins.

Worum geht es bei »StrassenBLUES« genau? Unser Ziel ist es, den sozialen Austausch, die Inte­ gration und die Selbstverwirklichung von Obdach­ losen zu fördern. Wir wollen den Fokus weniger auf die Ebene der Essensausgabe oder der Schlafmög­ lichkeiten legen, sondern mehr auf die menschliche, die soziale Ebene.

Seit 2019 veranstalten Sie den »StrassenGEBURTSTAG«. Was feiern Sie denn da? Das Event soll drei Mal im Jahr stattfin­ den. Es werden immer die Obdachlo­ sen eingeladen, die in den vier Monaten vor dem Event Geburtstag hatten. Wir porträtieren die Menschen, die einen Wunsch haben, und veröffentlichen dies auf Social Media. Daraufhin können sich Interessierte melden und den Wunsch bei einem persönlichen Treffen auf ei­ nem »StrassenGEBURTSTAG« erfüllen. Es sind nur um die 16 Menschen, die in ruhiger, lockerer Atmosphäre mitein­ ander in Kontakt treten. Dabei ist unser Ziel nicht, dass Obdachlose einfach be­ schenkt werden. Der soziale Austausch auf Augenhöhe steht ganz klar im Vor­ dergrund. Interessierte, die einfach ein Geschenk abgeben wollen, aber nicht in den Dialog mit einem Obdachlosen treten wollen, weisen wir freundlich ab. Denn wir wollen für Integration sorgen. Die Menschen sollen sich nicht mehr ausgegrenzt fühlen, sondern dazugehö­ rig. Nach den Events stellen wir immer

Der soziale Austausch auf Augenhöhe steht ganz klar im Vordergrund. Die Menschen sollen sich nicht mehr ausgegrenzt fühlen, sondern dazugehörig.


wieder fest, dass es die Gespräche sind, die den Ob­ dachlosen am meisten bedeuten.

Wie erleben Sie sowohl die Interessierten als auch die Obdachlosen während und nach solchen Events? Auf beiden Seiten sind die, die noch nie an unseren Events teilgenommen haben, meistens eher vorsich­ tig und tasten sich heran. Emotional wird es häufig das erste Mal bei der Übergabe der Geschenke, da sind viele Obdachlose den Tränen nahe. Es gibt re­ gelmäßig emotionale Ausbrüche. Es ist schön zu se­ hen, dass sich die Menschen auch über so einfache Dinge wie die Gespräche freuen. Wenn du auf der Straße um Geld bettelst, hast du Glück, wenn da je­ mand anhält und sich mal fünf Minuten mit dir un­ terhält. Dann ist das sicher das Highlight des Tages. Das hat man drei Stunden bei unserem Event. Ich lese dann in E-Mails, oder höre bei Anrufen, aber auch während der Events, dass sie angenehm be­ rührt sind. Das sind schon sehr positive Geschich­ ten, die haften bleiben. Bei allen Events verzichten wir auch auf Security, da es immer einen familiären Charakter hat.

Menschen auf Social Media und auf unserer Website ist Teil unseres Konzeptes. Wir wollen diesen Menschen eine Stimme geben, Sprachrohr sein. Das geht am besten über die Medien. Wir sind keine SozialarbeiterInnen, wir sind Storyteller. Es ist wichtig, für dieses Thema Öffentlichkeit zu schaffen und die letzten Monate haben uns gezeigt, dass die PolitikerInnen ohne diese Medien gar nicht auf uns aufmerksam geworden wären.

Lassen sich Projekte wie der »StrassenGEBURTSTAG« auf andere Städte, beispielsweise Hannover, übertragen? Ich glaube, einige Projekte, die wir machen, sind auf Hanno­ ver übertragbar. Der »StrassenGEBURTSTAG« gehört definitiv dazu. Wir sind sehr offen, unsere Erfahrungen zu teilen. Die große Vision ist, dass wir uns selbst abschaffen, dass wir Ob­ dachlosigkeit und dadurch den Verein abschaffen. Um das in Deutschland zu schaffen, braucht man natürlich auch Bünd­ nisse mit anderen Städten und anderen Organisationen.

Was nehmen Sie aus ihrer Arbeit für »StrassenBLUES« für ihr Privatleben mit?

Ohne Social Media würde es den Verein in der Form nicht geben. Das Portraitieren von obdachlosen

Interview: Hannes Wagner/Lucas Jakobus

Foto: Katharina Messmann/StrassenBLUES e.V.

Auf Instagram und Facebook kommen regelmäßig neue Beiträge für tausende Follower. Was erhoffen Sie sich von dem Auftritt in den sozialen Medien?

Was ich seit meiner Arbeit im Verein mache, ist, dass ich Zeit schenke. Das heißt, wenn ich durch die Straßen Hamburgs lau­ fe, Obdachlose sehe und zehn Minuten Zeit habe, dann werfe ich nicht ein paar Cent oder ein Euro in einen Becher. Sondern ich nehme mir Zeit und bleibe stehen oder setze mich und un­ terhalte mich mit diesem Menschen auf Augenhöhe. Ich würde mir wünschen, dass viel mehr Menschen auch einfach mal an­ halten und das Gespräch suchen. Es tut einem selbst gut, es tut dem Gegenüber gut und es kostet nicht viel.

Nikolas und Milena Migut.

»StrassenBLUES e. V.« Der Verein wurde 2015 initiiert und 2016 von Nikolas Migut, seiner Frau Milena Migut und sieben weiteren Mitgliedern in Hamburg gegründet. Zu ihren größten Aktionen gehören der »StrassenWEIHNACHTSWUNSCH« und der »StrassenGEBURTSTAG«. Dazu kommen viele kleinere Hilfsaktionen und kreative Angebote für Obdachlose. In der Corona-Zeit haben sie kurzfristig die »StrassenSUPPE« eingeführt, um Obdachlosen eine warme Mahlzeit bieten zu können, wenn deren Einrichtungen geschlossen waren. Durch die Aktion »hotels für homeless« konnte der Verein knapp 70 obdachlose Menschen in zwei Hotels unterbringen, und sie so vor Corona und der Winterkälte schützen. Hauptsächlich steht bei ihren Aktionen aber die soziale Komponente im Vordergrund. Über ihre Webseite und ihre mehr als 8.000 Follower auf Facebook erreichen sie Interessierte für ihre Events. Dort werden auch regelmäßig die Schicksale von Obdachlosen veröffentlicht, um dem Thema eine Bühne zu geben. Mehr Informationen über »StrassenBLUES« gibt es unter https://strassenblues.de/.


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Foto: (c)MAGNUSBASTIANFilm

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HARMONIE DIREKT Straßenmusik ist immer anders. Und lebt vom speziellen Moment. Ob virtuoser Gesang, schräge Geigenklänge oder eine laute Rockband. Matthias Nagel und Rocco Recycle kämpfen sich durch, jeder auf seinem eigenen Weg. Asphalt hat sie begleitet. Es ist ein sonniger Sommertag. Sonnenstrahlen fallen auf die Straßen der Altstadt. Sanfte Gitarrenklänge hallen durch die engen Gassen. Eine klare und gefühlvolle Stimme singt über die Akkorde. »And once upon a time mama told me, when I pass away, son, don’t forget to pray.« Es ist die Stimme von Matthi­ as Nagel. Vor seinen Füßen liegt ein beigefarbener Hut mit ein paar Münzen auf dem Asphalt. Bereits seit 2014 spielt er auf der Straße. Musikalisch war er schon immer – mit Straßenmu­ sik hat er jedoch aus Geldnot begonnen. Seitdem spielte er vor

der Corona-Pandemie tagtäglich auf der Straße. »Auf der Straße zu singen hat mich viel Überwindung gekostet«, erinnert sich der 46-Jährige. Matthias spielt auf der Straße nur noch seine eigenen Lieder. Er schreibt viele sozialkritische Texte, teilwei­ se über Selbsterlebtes oder Geschichten von Bekanntschaften, die er auf der Straße gemacht hat. Songs, die ihm zu intim sind, spielt er jedoch nicht in der Fußgängerzone, da fühle er sich nicht wohl, was nur »Quälerei« sei. »Man gibt immer etwas von sich preis und man verliert immer einen Teil von sich selbst


tritte bevorzugt. »Wenn ich nur noch richtige Auf­ tritte habe, vermisse ich die Straße. Das hatte ich schon mal. Das ist wie Heimweh.«

Foto: © Rocco Recycle

»Play and Run«

Rocco Recycle, Straßenmusiker.

»I wanna be a star.« Rocco Recycle, Straßenmusiker in Köln

ans Publikum.« Einige Stammhörer holen sich einen Kaffee, setzen sich hin und hören dem Gitarristen zu – an manchen Tagen sei es schon fast wie auf einem Konzert. Einige seiner Fans buchen ihn manchmal für ein Fest und auch seine Auftritte in Bars, Kneipen oder kleinen Festivals hat Matthias der Straßenmu­ sik zu verdanken. Doch auch die Schattenseiten der Straße kennt Matthias: Auf der Straße werden die Künstler oft beleidigt, teilweise sogar angegriffen. »In der Fuß­ gängerzone bist du quasi Freiwild.« Matthias wur­ de ebenfalls schon oft von Passanten angepöbelt, jedoch sei er »bisher gut davongekommen«. Einige seiner Kollegen wurden sogar angegriffen und ha­ ben teilweise deshalb mit der Straßenmusik auf­ gehört. Vor allem, wenn abends der Alkohol- und Drogenpegel steigt und die Leute aggressiv werden, passieren Übergriffe, erklärt der Sänger. »Da kriegt man dickes Fell.« Trotzdem werde Matthias immer ein Straßensänger bleiben, obwohl er richtige Auf­

Das Rheinufer der Kölner Altstadt dröhnt: Eine Gitarre scheppert, eine Männerstimme röhrt ge­ gen die Akkordwand an. Was lärmt wie eine ganze Rockband, ist nur ein Musiker: Silber gekleidet und silbern angemalt. Sitzend auf einem silbernen Mo­ torrad mit integriertem Schlagzeug. Der laute, sil­ berne Mann ist Rocco Recycle. Hinter der silbernen Figur verbirgt sich Bernd Wisser, der bereits seit 22 Jahren auf der Straße spielt. Wie sein Name bereits verrät, baut der Musiker seine Instrumente aus al­ tem Metallschrott. Der Korpus seiner Gitarre ist ein ausgedienter Chemiekanister. Für Sattel, Hals und Tonabnehmer hat er eine defekte E-Gitarre ausge­ schlachtet. Eine alte Tonne aus dem Sperrmüll dient nun als sein Schlagzeug, das er an den Seitenwagen seines Motorrads montiert hat. Dieses bedient er sit­ zend mit seinen Füßen. Die silberne Kunstfigur ist Programm und Schutz zugleich: »Musiker haben auf der Straße keine Pri­ vatsphäre«, erklärt Rocco. Doch der Kölner fällt nicht nur durch sein Aussehen auf, sondern auch durch seine laute Musik. Er benutzt nämlich Ver­ stärker, die allerdings beim Musizieren auf der Stra­ ße in Köln, Hannover und vielen anderen Städten verboten sind. Das macht dem Musiker aber nichts: Er spielt frei nach dem Motto »Play and run«. Aus diesem Grund finden seine Shows immer auf einem Fahrzeug statt. »So bin ich schneller als das Ord­ nungsamt«, witzelt er. Denn Rocco wurde schon oft ausgebremst, bevor er überhaupt anfangen konnte zu spielen. So hat er seine heutige Methode entwi­ ckelt. Mit seinen Straßenshows möchte Rocco die Men­ schen zum Stehenbleiben bewegen und ihnen eine schöne Zeit bereiten. Trotz der jahrelangen Erfah­ rung ist der 51-jährige Kölner heute noch vor seinen Auftritten auf der Straße aufgeregt. Wohingegen er auf einer richtigen Bühne jederzeit ohne Probleme sofort spielen könne. Während auf einem Konzert die Leute selbst zum Künstler kommen, müsse der Künstler die Menschen auf der Straße zum Zuhören bringen, erklärt er. Das Musikgeschäft auf der Straße sei knallhart. »Ich bewundere jeden meiner Kolle­


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gen, der auf die Straße geht und sich dem aus­ »Man gibt setzt.« Auch Rocco kennt die schlechten Seiten immer der Straßenmusik. Er wurde bereits beschimpft, etwas von bespuckt und beklaut, »Straße ist Ellenbogen sich preis.« – ganz klar.« Auf der Straße herrscht unter den Künstlern ein großer Konkurrenzkampf, wo­ Matthias Nagel, Straßenmusiker durch nur die wenigsten wirklich miteinander in Bielefeld befreundet sind. Was allerdings Rocco betrifft, heißt es wohl auf der Straße: »Don’t mess with Rocco.« Seiner Konkurrenz gegenüber ist er knallhart und stiehlt ihnen auch mal die Show, wenn es sein muss. »Es geht um meine Existenz«, erklärt der Solo-Künstler. Auch Rocco hat bereits Bühnenerfahrungen gemacht und bevorzugt ganz klar die Bühne. »I wanna be a star«, offenbart der Musiker. Doch trotzdem würde auch Rocco Recycle immer wieder auf die Stra­ ße zurückkehren, weil es das sei, was einen wieder auf den Bo­ den bringt.

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Foto: MajaMitrovic/iStock.com

Brigita Demirkiran/Juliane Naeth

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Straßenmusik in Hannover Die Stadt Hannover gibt klare Regeln zum Musizieren auf der Straße vor. Diese sind folgende: • Musiker dürfen maximal eine halbe Stunde am Stück zwischen 12 und 19.30 Uhr spielen. • Dafür sind spezielle Orte in der Innenstadt und Lister Meile vorgesehen. • Ein Ort darf innerhalb von zwei Stunden nur einmal bespielt werden. • Musikgruppen dürfen aus maximal vier Personen bestehen. • Es dürfen keine Verstärker eingesetzt werden. Auch CD-Player, Radiogeräte oder andere Abspiel­ geräte sind verboten. • Strombetriebene Instrumente sind untersagt. • Es darf nur ein eigener Tonträger, wie z. B. ein Album verkauft werden. • Im Bereich von Veranstaltungen, Märkten, Demon­ strationen oder Kundgebungen ist das Musizieren verboten. • Das Musizieren außerhalb der vorgeschriebenen Plätze oder Zeiten muss mindestens zehn Werktage vorher bei der Stadt beantragt werden.


BUCHTIPPS Die Väter Alem, ein »Gastarbeiterkind«, das so heißt wie der Autor des Romans, aus dem Land, das noch Jugoslawien ist. Die Mutter Smilja schuftet bei einem Frankfurter Autozulieferer, der Vater, ein Ganove, stirbt auf der berüchtigten Gefängnisinsel Goli Otok. Smilja verliert Alem an eine deutsche Pflegefamilie, er wird deren achtes Kind, reibt sich an seinem Altnazi-Pflegevater und hält den Kontakt zur Mutter. Inklusive der Sommerferien im kroatischen Bergdorf der Großeltern, wo alles auf einen Krieg zusteuert, der nicht Alems ist. Der dritte Vater schließlich, der neue Mann der Mutter, ist ein gewalttätiger Trinker. Mit und gegen diese drei Väter wächst Alem auf und über sie hinaus. Das könnte greller, unglaubwürdiger Kitsch sein oder ein einziges Lamento. Stattdessen schreibt der Berliner Autor und Journalist Alem Grabovac einen erstaunlich leisen autobiografischen Roman, der den geradezu überbordenden Unwahrscheinlichkeiten, Identitätswirren und Konflikten mit einer Zurückhaltung und einer Subtilität begegnet, die den Blick auf das Aufwachsen eines Jungen in Deutschland lenken. BP Alem Grabovac | Das achte Kind | hanserblau | 256 S. | 22 Euro

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Die Nazijäger Es beginnt mit der Ohrfeige. Als Beate Klarsfeld 1968 Georg Kiesinger – Bundeskanzler und ehemaliges NSDAP-Mitglied – schlägt, ist das vielleicht die symbolisch wirkmächtigste Zurückweisung einer »Stunde Null«. Dem Kampf gegen das Vergessen der Opfer der Shoah und gegen das Verdrängen von Verstrickung und Täterschaft haben Beate und ihr Mann Serge Klarsfeld ihr Leben gewidmet. 1971 versuchte das Paar, den unbehelligt in Köln lebenden Gestapo-Kommandierenden für Frankreich, Kurt Lischka zu entführen. Er war 1950 in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilt worden, Adenauer verweigerte jedoch die Auslieferung. Als die Entführung scheiterte, machten die beiden ihre Straftat öffentlich, Lischka wurde später doch der Prozess gemacht. Wie einen Krimi schildert der Comic die Jagd auf den »Schlächter von Lyon«, Klaus Barbie in Südamerika. Helmut Kohl verhindert die Auslieferung an Deutschland, aber in Frankreich kommt es zum Prozess. In Rückblenden und geradezu filmisch erzählt Pascal Bressons und Sylvain Doranges opulentes Comicbuch das Leben des Paars. Eine mitreißende Geschichte, eine Erinnerung an den westdeutschen Normalzustand und eine Verneigung vor der Lebensleistung der Klarsfelds. BP Pascal Bresson, Sylvain Dorange | Beate und Serge Klarsfeld. Die Nazijäger | Carlsen | 208 S. | 28 Euro

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KULTURTIPPS Musik

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Foto: Waldemar Brzezinski

Sonniger Sound, satte Rhythmen und das aufregende Gefühl, der Karibik ganz nahe zu sein – die Tin Pan Alley Steelband erzeugt mit ihren unverkennbaren Klängen aus gestimmten Ölfässern beste Urlaubsstimmung. Kraftvoll mitreißend, sanft oder jazzig – diese Musik verbreitet gute Laune und geht direkt in die Beine. Das ungewöhnliche Instrumentarium der Band hat seinen Ursprung in Trinidad. In den 1940er Jahren nahm man ausgediente Ölfässer zur Hand, um lautstark auf die Straße zu gehen. Aus dem Lärm wurde Musik und aus den Ölfässern klangvoll gestimmte Instrumente. Tin Pan Alley Steelband präsentiert dem Publikum eine feine Mischung aus Calypso, Soca, Bossa, Reggae, Samba, Jazz und Pop. Samstag, 07. August, 19.30 Uhr, Rathausplatz 1, Seelze, Karten gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen, die an das Reservix-System angeschlossen sind, und im Internet unter www.reservix.de, Eintritt 15 Euro zzgl. VVK.

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Asphalt verlost 3 x 2 Karten für Jessica Gall

Lieblingssongs Dead Bronco Weil er von der Musikszene in seinem Heimatstaat so frustriert war, machte sich der Musiker Matt Horan aus Davie in Florida auf, nach einem besseren Leben in europäischen Ländern zu suchen. Im spanischen Baskenland angekommen, gründete er 2012 Dead Bronco. Die Band begann zunächst als CountryCow-Punk-Band, doch Horans starker Metal-Einfluss sickerte immer weiter durch und ließ jedes Album dunkler und schwerer werden. Mit ihrem neuen Album »The Annunciation« entstand ein ganz neuer Sound: Black Folk. Die Mischung aus American Gothic, Punk, Folk und Black Metal erzeugt eine erdige und gleichzeitig elektrische Stimmung. Freitag, 20. August, Einlass 20 Uhr, Beginn 20.30 Uhr, KUFA Kulturfabrik Löseke, Halle, Langer Garten 1, Hildesheim, Eintritt 19 Euro, erm. 14 Euro, VVK 15 Euro, VVK erm. 10 Euro.

Verlosung

Sie ist eine der wenigen deutschen Jazz-Singer-­Songwriterinnen von internationalem Niveau – Jessica Gall. Schon mit ihrem Debütalbum »Just Like You« und ihrer unverwechselbar sanften und tiefen Stimme sorgte die gebürtige Berlinerin für Furore, mit ihrem zweiten Album »Little Big Soul« steigt die Künstlerin dann direkt in die Top Ten der deutschen Jazz-Charts ein. Bereits während ihres Musikstudiums, das sich Gall als Backgroundsängerin für Phil Collins und Sarah Connor finanzierte, gestattete sich die Jazzsängerin Freiheiten auf der Suche nach ihrem eigenen Stil und ließ sich ungern in Genre-Schubladen einsortieren. Heute bewegen sich ihre tiefgehenden Songs mit den ausgeprägten Melodien scheinbar grenzenlos zwischen Jazz, Folk und Pop. Gemeinsam mit ihrer Band präsentiert Jessica Gall dem Publikum eine persönliche Lieblingsauswahl ihrer Songs. Für dieses tolle Jazz-Erlebnis können Sie mit Asphalt 3 x 2 Karten gewinnen. Rufen Sie uns dafür am 18. August zwischen 12 und 13 Uhr unter der Telefonnummer 0511 – 30 12 69-18 an, die ersten drei Anrufer dürfen sich über die Ticktes freuen. Samstag, 21. August, 19 Uhr, Amtsgarten Schloss Landes­ trost, Schlossstraße 1, Neustadt am Rübenberge, Eintritt 21 Euro.


Ausstellung

Für Kinder

Faszination Damp

»Das ist kein Krach, Mama«

Ob als stationäre Kraftquelle für die erblühende Industrie, im mobilen Einsatz auf dem Feld, im Bauch eines Schiffes oder als treibende Kraft für die Massenmobilität auf der Schiene – die Dampfkraft hat die Welt entscheidend verändert. Dabei hat eine Wiege der Dampftechnologie am Rande der heutigen niedersächsischen Landeshauptstadt gestanden. In seiner Ausstellung »Faszination Dampf« geht der Verein Mobile Welten der Entwicklung der Dampfkraft in Hannover, aber natürlich auch darüber hinaus, nach. Der regionale Bezug und die Bedeutung Hannovers als Mobilitätsdrehscheibe im Norden ist für die Macher hinter den Mobilen Welten Antrieb und Ansporn zugleich, diesem Meilenstein der Industriegeschichte nachzuspüren und für die BesucherInnen erleb- und erfahrbar zu machen. Bis 31. Oktober, jeweils an Sonn- und Feiertagen von 11 bis 17 Uhr, Hannoversches Straßenbahn-Museum (HSM), Am Straßenbahnmuseum 2, Sehnde, Eintritt 7,50 Euro, erm. 6,50 Euro, Kinder von 6 bis 15 Jahre 4 Euro.

Eine Schatzkiste voller neuer Songs, das bietet die Kinderrockband Randale mit ihrem Album »Kinderkrachkiste« zum 15-jährigen Jubiläum. Spaß, Toben und Mitgrölen für alle Kinder, die mal so richtig abgehen wollen. Und Mama und Papa dürfen gerne mitrocken. Denn Randale machen Rockmusik für die ganze Familie: mit Themen, die Kinder interessieren, lustigen Texten und Musik, die mit der der Großen aber locker mithalten kann. Eine fröhliche Mischung aus Rock, Metal, Punk, Reggae, Ska, Rap, Country und Pop, die in die Gehörgänge und die Beine geht. Krach vom Feinsten für Kinder und Große. Samstag, 14. August, Einlass 13 Uhr, Beginn 13.30 bis 15 Uhr, Kulturwiese im Ricklinger Bad, Kneippweg 25, Hannover, Anmeldung erforderlich unter www.kommraus-hannover.de/kulturwiese/, Eintritt frei.

Sonstiges Anzeige

Sommerliche GPS-Rallye

SO WHAT I F W E H AV E TO PART, WE’LL BE TOGET HER AGAIN! LOUIS ARMSTRONG

Ausgerüstet mit einem GPS-Gerät und den Spielregeln können Familien und kleine private Gruppen bis maximal acht Personen in der Eilenriede auf Schatzsuche gehen. Je nach Vorlieben können sich die TeilnehmerInnen die passende Rallye-Tour vorab aussuchen – sie haben die Möglichkeit, zwischen der Abenteuer-, der Rätsel- und der Krimi-Variante zu wählen. Mit Hilfe des GPS-Gerätes folgen die SchatzsucherInnen dann versteckten Hinweise, bis sie letztendlich beim ersehnten Schatz angekommen sind. Kurze Touren dauern etwa 1 bis 2 Stunden, die langen 2 bis 3 Stunden. Samstag, 28. August, ab 12 Uhr, und Sonntag, 29. August, ab 11 Uhr, Treffpunkt ist der Infostand im Biergarten am Lister Turm, Walderseestraße 100, Hannover, Anmeldung unter www.natourwissen. de, Startpreis ab 10 Euro (je nach Tour und Anzahl der Mitspieler kommen Aufschläge dazu).


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Bühne Liebe in Zeiten von LGBTQ+

Siegfried & Joy Sie lassen Gegenstände schweben, vollführen mystische Teleportationen und lesen die Gedanken ihres Publikums. Mit Herz, Spontanität und einer großen Portion Selbstironie holen Siegfried & Joy selbst ZauberskeptikerInnen ab und zeigen, dass Zauberei alles andere als antiquiert und eingestaubt sein kann. Ob dabei ein Kind zum Zauberstar gekürt wird, das Publikum gemeinsam einen Trick vollführt oder ob sie ihre Kunststücke in sagenhafter Slo-Mo erklären: Faszinierend, abwechslungsreich und dabei immer in Kontakt mit dem Publikum nehmen die Disco-Magier jede und jeden mit auf ihre magisch-glitzernde Reise. 90 Minuten kreative Explosionen, visuelle Geniestreiche und eine ungezügelt-amüsante Präsentation, die niemanden mit Zweifel an der Magie von Siegfried & Joy zurücklassen. Sonntag, 29. August, 14 Uhr, auf der Wiese im Ricklinger Bad, Kneippweg 25, Hannover, Eintritt VVK 17,75 Euro, erm. 12,50 Euro.

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Foto: Matthias Stehr

»Cats«, »Wicked«, »Tanz der Vampire« und »Tina« waren gestern – »Eine Liebesgeschichte« ist heute. In diesem kleinen Musical-Konzert der Musical Factory Hannover wird die Liebesgeschichte eines Paares – LGBTQ+, die Konstellation ist eigentlich egal – erzählt. In diesem Fall, die Geschichte eines liebenden Paares aus der Sicht zumindest einer Frau. Julia Goehrmann liefert den Gesang, begleitet wird sie dabei auf der Orgel von Markus Matschkowski und Axel LaDeur. Bei gutem Wetter Open Air, bei schlechtem Wetter drinnen. Premiere: Samstag, 14. August, 18.30 Uhr, weitere Termine: Dienstag, 17., Freitag, 20., und Dienstag, 31. August, jeweils 19.30 Uhr, Möbelrampe des SofaLOFT, Jordanstraße 26, Hannover, Tickets gibt’s per E-Mail unter info@musical-factory-hannover.de, Eintritt 5 Euro.

Asphalt verlost 4 x 2 Karten für Team-Slam

Poetry-Slam in den Gärten

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Gewinnsp

Bei der siebten Ausgabe der Slam-Tage im Gartentheater präsentiert sich mit dem Team-Slam die absolute Königsdisziplin im Poetry Slam. Statt den üblichen Einzelkämpferinnen und -kämpfern stehen nun gestandene Teams auf der Bühne und schmettern ihre Dichtungen ins Gartentheater. Von Dichter-Koryphäen und Lyrik-Bündnissen über Beatbox-und-Rap-Combos bis hin zur Comedy-Kapelle und wieder zurück. Die Bandbreite des Live-Poesie-Vortrages addiert sich dabei nicht nur. Nein, sie multipliziert sich um ein Vielfaches. Denn die Teams können die Vielfalt der Vielstimmigkeit virtuos nutzen. Von choral bis kanonesk, von staccato bis chaotisch – hier zählt nicht nur das gesprochene Wort, sondern die Kohärenz der Text-Komposi­ tion. In den Gartentheater-Vortragsring steigen die amtierenden deutschen Meister im Team-Slam »Unterricht mit Psychos«, »Kirmes Hanoi«, »Es kann nur beide geben« und »DaM & daM – Der alte Mann und das Mehr«. Für dieses besondere Slam-Erlebnis können Sie mit Asphalt 4 x 2 Karten gewinnen. Rufen Sie uns dafür am 17. August zwischen 12 und 13 Uhr unter der Telefonnummer 0511 – 30 12 69-18 an und beantworten folgende Frage: Wie viele Teams stehen beim Team-Slam im Gartentheater auf der Bühne? Die ersten vier Anrufer mit der richtigen Antwort dürfen sich über die begehrten Ticktes freuen. Sonntag, 22. August, 17 Uhr, Gartentheater Herrenhausen, Herrenhäuser Straße 4, Hannover, Tickets gibt’s über die Vorverkaufskasse im Künstlerhaus oder über www.eventim. de, Eintritt 20 Euro, erm. 17 Euro.


SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 17 Wörter zu bilden, deren erste und dritte Buchstaben – von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Ernst von Feuchtersleben ergeben:

1. Unterbrechung einer Tätigkeit

2. Aufklärung eines Falles ab – an – atem – berg – bo – cle – de – den – der – drig – dun – eid – el – er – ge – gen – gung – he – in – is – ju – kam – kel – ko – ler – lun – me – men – mer – mitt – na – ne – ne – nie – noe – nor – nos – nuern – on – pau – ra – rie – ro – sa – schaft – se – se – sen – sen – stand – ta – ter – ti – ti – ti

3. Mensch in der Eiszeit

4. Raum für fotografische Arbeiten

5. historische Bezeichnung für die Schweiz

6. Maschinenmensch

7. jemanden zu einer Handlung zwingen Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir viermal den »C.H. Beck Gedichtekalender 2022«. Er enthält 24 Gedichte aus der deutschen Literatur vom Mittelalter bis heute. Jedes Gedicht ist mit einer eigenen, stimmigen Graphik verbunden. 14 Tage für jedes Gedicht, das lässt Zeit zum wiederholten Betrachten und Lesen. Und es soll etwas bewirken: Trost, Aufheiterung oder kritische Wachheit, Lachen oder Weinen. Dreimal gibt es den Krimi »Schwarzer August« von Gil Ribeiro zu gewinnen. Der islamistische Terror scheint auch in Portugal angekommen zu sein. Im Hinterland explodiert eine Autobombe und eine Filiale der Crédito Agrícola wird in die Luft gejagt. Doch warum explodieren kurz darauf drei Thunfisch-Trawler im Hafen von Olhão? Leander Lost, der Austauschkommissar aus Deutschland, steht mit seinen Kollegen vor einem Rätsel ... Ebenfalls dreimal können Sie die CD »Kopfsalat« von Matthias Brodowy gewinnen. Brodowy ist ein hoffnungsloser Chaot. Aber ist das nicht in unseren durchgestylten und vercloudeten Zeiten fast schon wieder eine Tugend? Schließlich bringt nur das Chaos im Kopf tanzende Sterne hervor. Und ganz am Anfang war nun einmal das Chaos, die Ursuppe, aus der wir alle herausgefischt wurden und die wir nun gemeinsam auslöffeln müssen. Die Lösung des Juli-Rätsels lautet: Nur wer im Wohlstand lebt, schimpft auf ihn. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. August 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

8. zärtliche Anrede

9. Entfernung zwischen zwei Personen

10. von geringer Höhe

11. eine Himmelsrichtung

12. Aufsehen erregendes Ereignis

13. Beleidigung

14. ähnlich der Mandarine

15. Abfall bei der Hanfgewinnung

16. Stadt, in der Albrecht Dürer gelebt hat

17. Staat in Nahost


Ausblick

Foto: Tomas Rodriguez

Buchinseln Ich weiß gar nicht, ob es diese Fragebögen noch gibt. Früher war es jedenfalls ein beliebtes Spiel in Illustrierten, dass Prominente aus dem Bereich der Schauspiel- oder Sangeskunst oder aber auch aus der Politik gefragt wurden, welche drei Bücher sie auf eine einsame Insel mitnehmen würden. Ich fänd es ja auch reizvoll, zu überlegen, welche drei Prominente ich gerne auf eine einsame Insel schickte. Nun weiß ich gar nicht, wo es einsame Inseln gibt. Und wie man da hinkommt. Ich sag mal so: Wenn die eine gute Verkehrsanbindung haben, ist es wohl mit der Einsamkeit so `ne Sache. Aber die damalige Illustriertenfrage nach besagten drei Büchern hatte natürlich einen psychologischen Hintergrund. Einige Prominente fühlten sich bemüßigt, auf Platz eins natürlich die Bibel zu setzen. Da konnte man sich sicher sein, dass sie vorher noch nie darin geblättert hatten und es erst einer einsamen Insel bedürfte, damit sie sich da ran wagten. Wer sich selbst als schillernden Demokraten darstellen wollte, nannte darüber hinaus noch das Grundgesetz. Das ist auch nicht verkehrt, wenn man allein auf einer einsamen Insel das Zusammenleben mit sich selbst konstituieren wollte. Buch drei war dann bei denen meist eine Biographie über Karl den Großen oder Ludwig Erhard. Wenn ich drei Bücher für eine einsame Insel einpacken sollte, dann wären es die Bücher »Wie überlebe ich auf einer einsamen Insel«, »Wie komme ich von einer einsamen Insel weg« und »Wie lerne ich doch noch Leute auf einer einsamen Insel kennen, wenn ich nicht von dort weg komme«. Am besten schickt man übrigens Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf einsame Inseln. Die müssten sich nicht auf drei Bücher festlegen, sondern könnten dort zahl­ reiche neue schreiben, die dann wiederum andere mitnehmen könnten. Vorausgesetzt, die Flaschenpost mit den Manuskripten kommt in den Verlagshäusern an. Inzwischen gibt es wahrscheinlich sowieso Tourismusanbieter, die Exkursionen zu ein­ samen Inseln anbieten. Extrem-Selbstfindungs-Tourismus für ausgelaugte Großstädter. Und wahrscheinlich ist die Auflage, statt drei Bücher nur ein einziges mitzunehmen. Und das muss dann irgendwas mit Selbstoptimierung zu tun haben. Wahrscheinlich hat es tausend­ undeine Seite und auf jeder steht der Satz: »Finde Dein wahres Ich!« Und dann muss man den ganzen Tag darüber sinnieren, bis man nach drei Wochen und kurz bevor man wieder abgeholt wird, in einem Anfall von Selbstfindung das Buch in Stücke reißt und Seite für Seite auffrisst. Dann kann man später sagen: »Also, dieser Aufenthalt auf der einsamen Insel hat mich tatsächlich zu meinem wahren Ich geführt. Deshalb habe ich meinen Job in der Un­ ternehmensberatung aufgegeben und hacke jetzt Bäume in Kanada. Ach und das Buch! Das Buch, das habe ich verschlungen!« Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber

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tock.com studio/iS Foto: by-

Brodowys

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