2021 10 Asphalt

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Ausgabe 10/21

JUNE

18

2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

SEPTEMBER

25,

2022

DOCUMENTA FIFTEEN Kassel

DIE LISTE DER HIER ZUERST: DIE KÜNSTLER*INNEN KÜNSTLERiNNEN VORAB! DER AUSSTELLUNG


Setzen Sie auf das richtige Blatt und unterstützen Sie mit Ihrer Spende.

Online-Spenden unter www.asphalt-magazin.de Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30 · BIC: GENODEF1EK1 Weitere Informationen auch unter 0511 – 30 12 69-0


2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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WISSEN UND WÜNSCHE ERFRAGT

ERINNERT

ERÖFFNET

Bürger und Obdachlose: getrennte Welten?

Die letzte Überlebende der Aktion Lauterbacher.

KünstlerInnen der documenta über lumbung und Netzwerke.


Hannover hat Bürger zum Thema Wohnungslosigkeit befragt. Und Obdachlose nach ihren Wünschen. Eine kritische Würdigung.

Notizblock

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documenta fifteen

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Briefe an uns

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Aus der Szene

Was ist lumbung? majelis des Künstlerischen Teams Vorstellung von lumbung inter-lokal und ruruHaus 18 Wo wir jetzt sind 19 Die KünstlerInnen der Ausstellung

27 Das muss mal gesagt werden 28 Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Martin

30 Zoo-Rätsel/Impressum 31 32

Rund um Asphalt Auf Hell folgt Dunkel die ärzte über Konzerte, schwarzen Humor, peinliche Texte und die Bestie Mensch.

11 Horizontal Kunst Die documenta in Kassel hat Asphalt als ihren offiziellen Medienpartner eingeladen. Bei jeder documenta mit Spannung erwartet: die Namen der KünstlerInnen. Heute hier exklusiv. Morgen geteilt.

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Piquardts Genuss des Einfachen Der bekannte hannoversche Gastronom kocht für Asphalt.

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Wald wird Kriegsopfer Wie der Krieg im Jemen das Land zur Wüste macht.

41 Buchtipps 42 Spieletipps 43 Kulturtipps 46 Silbenrätsel 47 Brodowys Ausblick

Titelbild: © documenta fifteen, Kassel 2021 | Titelbild S. 3: Picture-Alliance/Sodapix AG | Diemer Steffen

8 Wissen und Wünsche

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Das Asphalt-Prinzip

23 Die letzte Überlebende

80 Jahre danach steht Ruth Gröne wieder vor dem »Judenhaus« von damals. Zu Zeiten des NS ist es Grönes Zwangsunterkunft gewesen. Ein Bericht.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


Foto: Markus Lampe

das heutige Heft schlägt einen weiten Bogen. Auf einigen Seiten finden sich Ergebnisse einer Befragung zur Wohnungslosigkeit: »Was braucht es? Was fehlt?«. Im Auftrag der Stadt. Von medizinischer Versorgung ist die Rede, von der immer noch fast hoffnungslosen Suche nach Wohnungen, von dringend nötiger Unterstützung durch soziale Arbeit. Es ist gut, Betroffene direkt zu fragen. Besser ist es, die Erkenntnisse in Maßnahmen umzusetzen. Und am besten ist es, ein Zusammenleben hinzubekommen, das Überschuss auf der einen Seite dort ankommen lässt, wo Lebensnotwendiges fehlt. Und damit sind wir bei der documenta. Ja, der documenta fifteen, die 2022 in Kassel stattfinden wird. Kunst steht dort im Mittelpunkt, manchmal auch kaum verdauliche, schwer verständliche Kunst. Mit einem Millionenbudget. Asphalt, erscheint auch in Kassel, wagt den Brückenschlag. Zu einer Kunstszene, die bei genauerem Hinsehen versucht, vieles anders zu machen. Die versucht, ein anderes Zusammenleben hinzubekommen. Einen Ausgleich zu schaffen zwischen arm und reich. Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt haben sich zusammengesetzt und überlegt: »Was braucht die Welt? Was braucht der Mensch? Was fehlt?«. Eine Kunstszene, die damit auf einmal gar nicht mehr so weit ist von den Grundsätzen und Themen von Asphalt. Wir wurden deshalb vom Kuratorium der documenta als offizieller Medien­partner geworben. Diese Wertschätzung ehrt uns. Fast urchristliche Ideen werden wiederentdeckt – in den weltweit verteilten Vorbereitungsgruppen für die documenta fifteen will man teilen, abgeben, wenn jemand zu wenig hat, für einander da sein und – das finde ich gut – den Humor nicht zu kurz kommen lassen. Eine Lebenseinstellung, die künstlerisch umzusetzen sei. Ich bin gespannt. Und erinnere mich noch gut an meinen ersten Besuch als Jugendlicher bei einer documenta: Unverständnis, Fragen und ein Stachel ist bei diesem ersten Besuch geblieben, der nicht der Letzte war. Seien wir gespannt auf diesen besonderen Brückenschlag, der bis zur Ausstellung im kommenden Jahr nicht der letzte gewesen sein wird.

Viel Freude beim Lesen, Ihr

Rainer Müller-Brandes · Stadtsuperintendent und Asphalt-Mitherausgeber

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Liebe Leserin, lieber Leser,

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Foto: Picture-Alliance/Fotostand | Fotostand/Matthey

NOTIZBLOCK

25.000 demonstrieren für Zukunft Hannover/Göttingen/Oldenburg. In rund 60 Orten in Niedersachsen haben Schülerinnen und Schüler für mehr Klimaschutz demonstriert. Bundesweit in 428 Kommunen. Unter dem Motto »Another world is possible – eine bessere Welt ist möglich!« nahmen allein in Hannover rund 10.000 Menschen teil. In Göttingen 7.000, in Oldenburg 4.000. »Wenn wir die Kontrolle über die Klimakrise nicht verlieren wollen, sondern stattdessen die Chance einer nachhaltigen Zukunft wahrnehmen wollen, dann muss die nächste Regierung handeln«, sagte Eni Sasstedt von »Fridays for Future« in Hannover. Das bedeute, den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv zu beschleunigen und spätestens 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen »Das Land Niedersachsen handelt in der Klimafrage nicht entschlossen genug«, sagte im Vorfeld der stellvertretende Landesvorsitzende des Umweltverbandes BUND, Axel Ebeler. Die Ziele im niedersächsischen Klimaschutzgesetz seien zu halbherzig und seien trotz des aktuellen Urteils des Bundesverfassungsgerichts noch nicht nachgebessert worden. Dass die Landespolitik nach wie vor Milliarden in Straßenneubauprojekte wie die Autobahnen A 20 und A 39 investieren wolle anstatt den öffentlichen Nahverkehr und Radwege massiv auszubauen, sei unverantwortlich. Auch Landesbischof Ralf Meister hat sich hinter die DemonstrantInnen gestellt: »Die Demonstrationen sind ein wichtiger Pulsschlag unserer Gesellschaft.« MAC/EPD

Aufnahme von Afghanen gefordet Hannover. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat die Landesregierung zur Aufnahme weiterer Menschen aus Afghanistan aufgefordert. Seit die Taliban die Macht in dem Land ergriffen hätten, habe sich die Gefahrenlage für viele weiter verschärft. Der Verband verlangte eine verlässliche Bleibeperspektive für in Niedersachsen lebende AfghanInnen. Für viele sei eine Rückkehr nach Afghanistan auf absehbare Zeit ausgeschlossen. Niedersachsen solle deshalb »ausnahmslos davon absehen, Menschen nach Afghanistan abzuschieben«. Auch sämtliche Sanktionen gegen Afghaninnen und Afghanen wie Arbeitsverbote und Leistungskürzungen sollten »aufgehoben und ausgesetzt« werden. »Die Landesregierung muss den etwa 2.000 Afghanen, die lediglich geduldet und dadurch in vielen Lebensbereichen diskriminiert werden, endlich eine gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen«, sagte Annika Hasselmann vom Flüchtlingsrat. Das Land müsse unabhängig vom Bund ein eigenes Aufnahmeprogramm auflegen. EPD

Mehr misogyne Gewalt Hannover. 21.509 Fälle häuslicher Gewalt wurden im vergangenen Jahr in Niedersachsen registriert, rund 1.350 Fälle mehr als ein Jahr zuvor. Das hat Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) jetzt anlässlich der Haushaltsberatungen im Landtag mitgeteilt. 29 Personen kamen durch häusliche Gewalt ums Leben, darunter 24 Frauen. »Der Schutz von Frauen vor Gewalt ist wichtig. In diesem Jahr konnte mit der Förderung des Landes in den Frauenhäusern die Zahl der Belegplätze für Frauen weiter erhöht werden, auf nunmehr 399 Plätze«, so Behrens im Landessozialausschuss. Weitere Platzzahlerhöhungen und zwei neue Frauenhäuser seien für 2022 und 2023 in Planung. »Hierfür konnten die Mittel im Haushaltsplanentwurf nochmals um jährlich 230.000 Euro auf nunmehr 9,43 Millionen Euro erhöht werden.« Den Grünen reicht das nicht. »Der Finanzplan der Ministerin wird bei den Frauenhäusern den steigenden Bedarfen nicht gerecht«, kritisierte der sozialpolitische Sprecher der Fraktion Volker Bajus. MAC


Hannover. Haben kleine Parteien in Räten und Landkreisen bald nix mehr zu melden? Eine geplante Änderung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes soll nach dem Willen der Regierungskoalition aus SPD und CDU die Verteilung stimmberechtigter Mitglieder in den Ratsausschüssen ändern. Offenbar zu Ungunsten der Kleinen. Für kleinere Fraktionen drohe der komplette Verlust von Stimmrechten in den Ausschüssen, wo die eigentliche Arbeit der ehrenamtlichen PolitikerInnen geleistet wird. »Kurz nach der Kommunalwahl möchten SPD und CDU die Zusammensetzung und die Stimmberechtigungen in den kommunalen Ausschüssen neu regeln. Dabei gingen in der zurückliegenden Kommunalwahl mehr Stimmen an kleinere Parteien, wie auch die FDP«, kritisierte der kommunalpolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Marco Genthe. »Diese Stimmen sind nun in Gefahr, entwertet zu werden. Es ist nicht hinnehmbar und offenbart ein fragwürdiges Demokratieverständnis, dass SPD und CDU an diesen Plänen festhalten wollen und es wirkt, als wollte man sich trotz des schwindenden Zuspruchs weiterhin die Macht auf der kommunalen Ebene sichern.« Von den Grünen kam ähnlich lautende Kritik. MAC

Göttingen/Hannover. Durch steigende Mieten, einen Mangel an Wohnungsangeboten und ein geringeres Einkommen hat sich während der Corona-Pandemie die Lage für Studierende auf dem Wohnungsmarkt verschärft. Mit hypothetischen Warmmieten von 802 Euro, errechnet für eine Musterwohnung, zahlen Studierende in München deutschlandweit am meisten, gefolgt von Stuttgart und Köln, heißt es im Studentenwohnreport des Finanzbetriebs MLP und des Instituts der deutschen Wirtschaft. Göttingen liegt mit 524 Euro knapp über dem Bundesdurchschnitt von 515 Euro. Hannover und Bremen rangieren mit Preisen von 472 und 471 Euro für Wohnungen fast gleichauf. Ein WG-Zimmer kostet dort 284 und 286 Euro. Zusätzlich habe sich die Einkommenssituation von rund 37 Prozent der Studierenden durch die Auswirkungen der Pandemie verschlechtert. »Die Arbeitszeit beispielsweise in der Gastronomie- oder Tourismusbranche wurde reduziert, und somit haben viele Studierende weniger verdient«, sagte Uwe Schroeder-Wildberg, Vorstandsvorsitzender von MLP. »Zehn Prozent haben ihren Job während der Pandemie ganz verloren.« EPD

Auch Tiere bekamen die Pandemie zu spüren – und ein neues Zuhause: 2019 gab es 10,1

Mio.

Hunde in den privaten Haushalten Deutschlands, 2020 waren es schon 10,7 Mio. Höher liegen die Zahlen für Katzen: 2020 gab es 15,7 Mio. davon in privaten Haushalten, 1 Mio. mehr als

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im Vorjahr. Kommunen freut´s – sie nahmen im Pandemiejahr 380

Mio. Euro aus der Hundesteuer ein, 2,8 % mehr als 2019 und 47 % mehr als 2010. Eine Rückgabewelle an Tierheime blieb bis-

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her aus, doch ExpertInnen fürchten, sie könnte im

Herbst 2021 kommen. Die Welpen aus 2020 sind dann in der Flegelphase.

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Finanzstress für Studierende

ZAHLENSPIEGEL »HUND & KATZ‘«

Ungerechte Demokratie?

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Jede Menge ungenutzter Raum. Am Rand – gedrängt – einige Dauernutzer, die von manchen als störend empfunden werden.

WISSEN UND WÜNSCHE Obdachlose hätten mehrheitlich gern eine Wohnung. Und Arbeit, aber schon danach fragt ja keiner. Hannover hat BürgerInnen zum Thema Wohnungslosigkeit interviewt. Und Obdachlose nach ihren Wünschen befragt. Zwei Umfragen mit Schwächen. Aber: Immerhin, einige Erkenntnisse für eine Versachlichung von Debatten. Jenseits vom Platzproblem-Populismus. In einer – nicht repräsentativen – Erhebung hat die Stadt Menschen ohne festen Wohnsitz befragt. Anonym und online. 331 Antworten gab es. Das sind weniger als zehn Prozent der geschätzten Anzahl der in Hannover Betroffenen. Zählungen gibt es bisher nicht. Aber die Verbände, die täglich mit Wohnungslosen zu tun haben nennen meist die Zahl 4.000. Die Stadt wollte wissen, wo Menschen ohne eigene Wohnung schlafen, wo sie

sich tagsüber aufhalten, welche Tagestreffs und Hilfeeinrichtungen viel und welche eher wenig genutzt werden, und auch: Was fehlt noch? Menschen ohne eigene Wohnung halten sich häufig draußen auf, nach eigenem Bekunden mehrheitlich rund um den Bahnhof, in der City oder in der Nähe von Tagestreffs oder Unterkünften. Das überrascht wenig. Und auch nachts sind


Nutzen 27 Einrichtungen listet die Stadt in ihrer Umfrage auf, vom Kontaktladen Mecki bis zur Schlafstelle für Jugendliche Bed by Night. Und fragt: »Nutzen Sie folgende Einrichtungen für wohnungslose Menschen?« Heraus kommt ein Ranking, welches, sollte es irgendwann ums Verteilen von Fördergeldern gehen, zu Rate gezogen werden dürfte. Auch, wenn die Umfrage nicht repräsentativ ist und die Häufigkeit von Nennungen auch damit zu tun haben könnte, wie intensiv MitarbeiterInnen der einzelnen Einrichtungen für das Ausfüllen der Umfrage vor Ort geworben haben. Die mit weitem Abstand meist genutzte Einrichtung ist demnach der Kontaktladen Mecki am Raschplatz. Jeder Zweite hat hier sein Kreuz gemacht. Es folgen mit je rund 25 Prozent Zuspruch gleichauf das Stellwerk für Drogensüchtige, der einstige Trinkraum Kompass und der Tagestreffs DÜK an der Berliner Allee. Danach kommen der Tagestreff Nordbahnhof, das SOS Bistro sowie der Bauwagen unter der Raschplatzhochstraße. Alle genannten Notschlafstellen

Was der Bürger denkt Unter 1.621 HannoveranerInnen ab 16 Jahren hat die Landeshauptstadt eine repräsentative Umfrage durchführen lassen. Sie findet sie gut und hilfreich. Doch schon die erste Frage dieses Bürgerpanels irritiert: »Nehmen Sie wahr, dass es wohnungslose Menschen in Hannover gibt?« Traut hier die Verwaltung ihren eigenen Augen nicht, wenn sie durch die Stadt geht? Entsprechend wenig überraschend die Antwort auf die Frage: 0,7 Prozent der Befragten gaben an, von Wohnungslosigkeit bisher nichts mitbekommen zu haben. Auch die zweite Frage überrascht nach jahrelanger Beschäftigung stadteigener und zusätzlich outgesourcter StraßensozialarbeiterInnen. Sie fragt nach bestimmten Stadtteilen. Wenig verwunderlich auch hier die Antworten der repräsentativ Befragten: Die meisten Menschen nehmen Obdachlosigkeit in der City wahr, gefolgt von den stark verdichteten Stadtteilen Oststadt/List, Linden und Nordstadt. Teilhabe ist für viele citynah besser zu verwirklichen. Wer obdachlos in den Randbezirken lebt, will häufig bewusst nicht gesehen werden. Sozialarbeitende wissen das, sie kennen Plätze, Platten, Fluchtpunkte. Und sei es tief in der Masch. Für Sozialdezernentin Sylvia Bruns sind die Antworten dennoch ein Gewinn: »Die Angaben zur Wohnungslosigkeit in den Stadtteilen sind von besonderer Bedeutung. Wir prüfen hier eine Verstärkung der Straßensozialarbeit über den Stadtteil Mitte hinaus.« Brauchte es dafür nach all den Jahren tatsächlich einer Wahrnehmungsumfrage? Es folgen Fragen zur Häufigkeit, zur Dauer, zur Tageszeit von wahrgenommener Obdachlosigkeit. Die Antworten – wenig überraschend – zusammengefasst: Obdachlosigkeit ist quasi immer. Eine einzige Frage in dem Zusammenhang stützt eine bisherige Vermutung. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, ein Dachverband der großen bundesweiten Träger, hatte zuletzt darauf hingewiesen, dass es einen Trend auf der Straße gibt. Der lautet: Obdachlosigkeit wird weiblicher und jünger (Asphalt berichtete). Das wird offenbar auch in Hannover so wahrgenommen, denn das Ergebnis der Onlineumfrage bietet diese Zahlen: 30 Prozent der beobachteten Wohnungslosen waren Frauen, rund zwölf Prozent offenbar Jugendliche. Und als SeniorInnen werden knapp acht Prozent der beobachteten Obdachlosen eingeschätzt. Die Antworten auf einen weiteren Fragenkomplex zeigt eindrücklich, wie Gesellschaft Obdachlosigkeit wahrnimmt: Als ein Problem von anderen. Die Frage lautete: Wüssten Sie, an wen Sie sich bei Mietschulden oder drohendem Wohnungsverlust wenden? Knapp 70 Prozent der Befragten antworteten mit »Nein, ich kenne keine AnsprechpartnerInnen«. Bei Jugendlichen sind es gar fast 90 Prozent, bei Menschen bis 35 Jahren knapp 80 Prozent Unwissenheit. Oder Unbekümmertheit, falsches Sicherheitsgefühl? Für Sylvia Bruns, Sozialdezernentin der Stadt, jedenfalls ergeben die Antworten einen Auftrag: »Hier müssen wir mit Informationsangeboten nachbessern, denn die Landeshauptstadt Hannover bietet umfangreiche soziale Hilfen an«, sagte sie bei der Vorstellung der Ergebnisse. Der Vollständigkeit halber noch drei paar Fragen, die den BürgerInnen in der Befragung nicht gestellt wurden: Sollte jeder und jede frei über sein Leben entscheiden dürfen? Sollte jeder Mensch eine Wohnung bekommen, wenn er sie braucht? Wären Sie bereit, einen Solidaritätszuschlag von monatlich einem Euro für den Bau von Housing-First-Wohnungen für Obdachlose zu bezahlen? Volker Macke

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es immerhin noch 25 Prozent, die draußen leben. Die anderen verteilen sich auf Notschlafstellen (27 Prozent), feste Unterkünfte (23 Prozent), Freunde und Frauenhaus und Wohnheime. Und 15 Prozent wollen explizit darüber keine Auskunft geben. Unter denjenigen, die angaben, auch nachts draußen zu bleiben, nannten einige ganz unterschiedliche Areale, teils sehr konkrete Orte in der Innenstadt und angrenzenden Stadtteilen. Für die Stadt bedeutet das: »Die Mehrfachnennungen und der Antwortmix lassen vermuten, dass wohnungslose Menschen ihre Schlaforte häufig wechseln.« Bemerkenswert: Sieben Prozent der Menschen, die an der Umfrage teilgenommen haben, gehen tagsüber zur Arbeit oder zur Schule.

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und Notunterkünfte wurden nur von sehr wenigen angekreuzt. Die meisten Angebote zwischen 0.3 und drei Prozent. Alle zusammengerechnet kommen auf gerade mal 20 Prozent. In ihrer Auswertung bleibt die Stadt einen Erklärungsansatz, wie es zu solch wenig plausiblen Antworten kommen konnte, leider schuldig.

Wünsche Und was wünschen sich Menschen ohne Wohnung? Erwartungsgemäß setzten unter den ganzen Antwortvorgaben 73 Prozent ihr Kreuz bei »eigene Wohnung«. Aber eben 27 Prozent nicht. Es wird in Folge rauszufinden sein, warum. Weiter wünschen sich Menschen ohne Wohnung zu 53 Prozent Soziale Arbeit, medizinische Versorgung (44 Prozent), Unterkünfte mit Einzelzimmer (42 Prozent) sowie Information und Beratung (32 Prozent), Essensausgaben/Tafeln (32 Prozent), Therapieplätze – etwa für Sucht- oder Psychotherapie (31 Prozent). Mehrfachnennungen waren möglich. Nicht unter den möglichen Antwortvorgaben stand das Wort »Arbeit«. Entsprechend trugen nicht wenige in der Rubrik Sonstiges eben dies ein. Es wäre eine Frage wert, warum die Stadt bei der Konzeption an dieses doch eigentlich wesentliche Bedürfnis des Menschen nicht gedacht hat. Und das angesichts der Tendenz, dass immer mehr gestrandete Wanderarbeiter auf den Straßen bundesdeutscher Großstädte enden. Die Studie soll in der Oktober-Sitzung des Sozialausschusses öffentlich seitens der Politik debattiert werden.

Lebensraum unten am Fluss. Eine Zeit lang geduldet.

Unschön und vermeidbar: Die Umfrage hätte von derselben Person mehrfach ausgefüllt werden können, eine Sperre der IP-Adresse war von der Stadt nicht in die Umfrage-App eingebaut worden. Ob Menschen also mehrfach teilgenommen und die Ergebnisse dadurch verfälscht haben, ist unklar, alle Ergebnisse stehen entsprechend unter dem Vorbehalt dieser Unsicherheit. Text und Fotos: Volker Macke

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Die documenta in Kassel hat Asphalt als ihren offiziellen Medienpartner eingeladen. Auf und vor allem wegen der Augenhöhe. Bei jeder documenta mit Spannung erwartet: die Namen der KünstlerInnen. Heute hier exklusiv. Morgen geteilt. Die documenta, die Kunstausstellung in Kassel, ist eine Institution. Deutschlandweit vorbildlich, weltweit geschätzt. Die nächste documenta wird stattfinden, das war längere Zeit aufgrund der pandemischen Lage unklar. Jetzt ist sicher: Im Juni 2022 öffnet sich die Kunstausstellung wieder der Welt. Und sie wird anders. Sie kommt von unten, wächst, kommt von der Seite, sammelt und vereint. Im Prozess. Kollektivistisch. Längst sind die beteiligten KünstlerInnen weltweit netzartig und auf Augenhöhe miteinander kreativ. Humor und Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration sowie das bedürfnisgerechte Verteilen, das sind die Themen des indonesischen KünstlerInnenkollektivs ruangrupa, welches vom Aufsichtsrat des Mega-Events mit der künstlerischen Leitung der documenta betraut wurde. Ein bisschen wie wir Straßenzeitungen. Eine natürliche Verbindung – quasi. Im Sommer dann kam der Anruf in der Asphalt-Redaktion: »Wir sind daran interessiert, die Ergebnisse unserer zweijährigen Arbeit bis zum aktuellen Stand – der Veröffentlichung der ersten beteiligten KünstlerInnen und Kollektive – in einem

Magazin zu veröffentlichen, das lokal verortet und zugleich überregional vernetzt ist. Das Straßenmagazin Asphalt erfüllt dies und ist zudem Teil des Netzwerkes International Network of Street Papers (INSP): Das vernetzte Handeln und Arbeiten, Weitergeben und Teilen von Wissen und Ressourcen entsprechen wesentlichen Werten von lumbung, die für die Arbeitspraxis der documenta fifteen wichtig sind«, so das Künstlerische Team der documenta fifteen. Eine Medienpartnerschaft also, für die kommenden Monate bis zur Eröffnung. Mit Beiträgen von uns auf der documenta und mit exklusiven Beiträgen der KünstlerInnen in jeder der kommenden Asphalt-Ausgaben. Das freut uns von Asphalt sehr. Und natürlich teilen wir das alles in unserem Netzwerk der Straßenzeitungen. Um auch andernorts LeserInnen und VerkäuferInnen teilhaben zu lassen. Documenta fifteen: Wie es kam, was wird und wer im Sommer 2022 auf der documenta ausstellen wird, das lesen Sie auf den nächsten acht besonderen Seiten. Volker Macke

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HORIZONTAL KUNST – WIE ASPHALT

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KAPITEL 1

WAS IST LUM BUNG?

„lumbung“ ist das indonesische Wort für eine gemeinschaftlich genutzte Reisscheune, in der überschüssige Ernte zum Wohl der Gemeinschaft gelagert wird. Die damit verbundenen Prinzipien und Werte bilden das Grundgerüst für die documenta fifteen: Als gemeinsame Lebens- und Arbeitsweise steht lumbung im Zentrum der Vorbereitungen auf die Ausstellung und soll über diese hinaus fortbestehen.

Vom 23. bis 25. August 2019 trafen wir – ruangrupa und das Künstlerische Team der documenta fifteen – uns zum ersten Mal. Das Treffen fand am Fuß des Bergs Gede Pangrango in Westjava statt. Drei Tage und zwei Nächte lang arbeiteten wir intensiv zusammen und praktizierten „nongkrong“ – indonesisch für „gemeinsames Abhängen“. Wir sprachen über die Idee und Praxis von „lumbung“ als Ausgangspunkt für die documenta fifteen.

Das Künstlerische Team in Tanakita, Sukabumi, Indonesien, 2019, Foto Indra Ameng

RUANGRUPA

Das Kollektiv ruangrupa – wörtlich “visueller Raum” – entstand Mitte der 1990er Jahre in Jakarta und Yogyakarta aus Diskussionen und Brainstormings in den Wohnzimmern befreundeter Kunststudierender. Durch zahlreiche Projekte und FundraisingBemühungen konnten sie 2000 ein kleines Haus mieten, das ihnen von da an als offizieller Treffpunkt und Arbeitsplatz diente.

Platzmangel war einer der Hauptgründe für die Gründung ruangrupas. ruangrupa war nicht allein. In den Jahren nach dem Fall des Suharto-Regimes 1998, das das Land mehr als drei Jahrzehnte lang autoritär regiert hatte, entstanden in Indonesien zahlreiche Initiativen und Kollektive, die versuchten, Kunst zu schaffen und gleichzeitig andere Künstler*innen zu unterstützen – was sie von vorangegangenen Künstler*innen-Generationen Indonesiens unterschied. Gespräche spielten dabei eine zentrale Rolle und private Räume wurden öffentlich.

Fehlende Unterstützung durch die Regierung – sowohl in finanzieller als auch in infrastruktureller Hinsicht – versetzt kulturelle Initiativen in Indonesien heute in eine prekäre Lage. Langfristig Projekte zu planen wird immer schwieriger. Umso wichtiger ist es daher, eine Plattform für nachhaltige künstlerische Arbeit aufzubauen, die dem immer schnelleren gesellschaftlichen Wandel gerecht wird. Indem Kunst gemeinschaftlich produziert wird, versucht ruangrupa ein neues Modell zu schaffen, das die Wirtschaft, gesellschaftliche Probleme, Kultur, Politik, unterschiedliche Arbeitseinstellungen und Zusammenarbeit im Blick hat. Nur so kann die Trennung von Kunst und Leben überwunden werden – nicht durch das bloße Ausstellen von Kunst, sondern durch die tägliche Arbeit inmitten der Gesellschaft. Das Modell, das ruangrupa in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt hat, versteht sich als Ecosystem – als kollaboratives Netzwerk – einer gemeinschaftlichen Lebens- und Arbeitskultur, die auf Zusammenarbeit, Gegenseitigkeit und Freundschaft basiert. Dies schließt auch ein organisches Teilen von Ressourcen mit ein: Menschen, Zeit, Energie, Wissen sowie Geld und Materialien. Der wertvollste gemeinsame Besitz sind jedoch die unterschiedlichen Sichtweisen aller Beteiligten. Vor fünf Jahren gründete ruangrupa mit den Kollektiven Serrum und Grafis Huru Hara die gemeinschaftlich betriebene Bildungsplattform Gudskul, die man als Kollektiv aus Kollektiven bezeichnen könnte. In diesem Rahmen setzten sie zum ersten Mal das lumbung-Modell in die Praxis um.


lumbung ist ein Vorschlag für unabhängig gegründete, interdisziplinäre Räume, in denen Kunst auf Aktivismus, Selbstverwaltung und verschiedene lokale Netzwerke trifft. Zum einen geht es darum, zu verstehen, was um einen herum geschieht und darauf reagieren zu können. Zum anderen darum, im eigenen Umfeld gemeinsam Dinge anzustoßen. Es ist der Versuch, eine Antwort auf eine Frage zu finden: Wie können wir einen Ort schaffen, an dem Kunst lebendig wird und einen Beitrag für die Menschen um sie herum leistet? Um diesen Ort nachhaltig zu gestalten, müssen gemeinsame Strategien entwickelt werden – inspiriert vom Prinzip des lumbung.

LUMBUNG WERTE

Als Ausgangspunkt für ihre Zusammenarbeit haben ruangrupa und die weiteren Mitglieder des Künstlerischen Teams eine Reihe von gemeinsamen Werten für alle lumbung member erarbeitet: HUMOR Humor spielt eine wichtige Rolle beim Abbau von Spannungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Er erlaubt es auch, zu improvisieren und mit neuen Ideen zu experimentieren. GROSSZÜGIGKEIT lumbung kann nur funktionieren, wenn sich alle Mitglieder großzügig zeigen. lumbung lebt, wenn alle miteinander teilen und auf das gemeinschaftliche Wohl hinarbeiten. NEUGIER Neugier bedeutet ein ehrliches Interesse an anderen und an Unterschieden. Sie bedeutet Freude an der Arbeit mit dem Unbekannten. GENÜGSAMKEIT lumbung member können groß oder klein, jung oder alt sein. Wichtig ist, dass sie immer das Gefühl haben, zu genügen.

Die lumbung-Praxis – das Teilen von Ressourcen zum Wohle aller – steht im Mittelpunkt der Zusammenarbeit zwischen ruangrupa und der documenta. Andere Kollektive, Organisationen und Individuen sind mittlerweile zu diesem lumbung gestoßen, der ihren Bedürfnissen entsprechend weiterwachsen wird, auch über die documenta fifteen und das Jahr 2022 hinaus. Durch Ressourcenteilung, Zusammenarbeit und daraus entstehende Freundschaften bildet sich mit der Zeit ein Kunstbetrieb, der auf Gemeinschaftlichkeit und gegenseitiger Fürsorge basiert.

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IM GRUNDSATZ

Ein Raum, um sich zu treffen und Lärm zu machen – und um diesen Lärm dann in eine Stimme zu verwandeln. Durch das Teilen von Ressourcen können wir dieser Stimme viele unterschiedliche Bühnen, Rampenlichter und Klänge verleihen.

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DER LUMBUNG PROZESS 1

UNABHÄNGIGKEIT Agenden entstehen unabhängig von externem Druck, sei er kommerzieller, finanzieller, politischer oder sozialer Natur – auch wenn wir uns bewusst sind, dass komplette Unabhängigkeit ein Mythos ist. LOKALE VERANKERUNG Die Organisation der documenta fifteen gründet auf den Bedürfnissen und Arbeitsweisen an bestimmten Orten und auf der ständigen Zusammenarbeit mit den verschiedenen Menschen und Gemeinschaften dort. Aus dieser Verankerung entstehen wiederum spezifische Erfahrungen und Wissen. TRANSPARENZ Gegenseitiges Vertrauen ist das wichtigste Prinzip von lumbung. Vertrauen kann nicht ohne Transparenz aufgebaut werden. REGENERATION Die Organisation der documenta fifteen befindet sich in einem fortwährenden Prozess der Reflexion und des Austausches mit ihrer Umgebung. Sie sucht nach Wegen der Anpassung, der Neuerfindung und der Regeneration. Dies betrifft nicht nur die beteiligten Menschen, sondern auch ihre nichtmenschlichen Bestandteile.

In Zusammenarbeit mit einer Reihe von Organisationen und Kollektiven – den lumbung member – hat das Künstlerische Team der documenta fifteen einen gemeinsamen Pool von Ressourcen geschaffen. Jedes Mitglied bringt seine überschüssigen Ressourcen in den Pool ein: Arbeitskraft, Zeit, Raum, Essen, Geld, Wissen, Fähigkeiten, Fürsorge und Kunst.

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Um Vertrauen aufzubauen, begannen die verschiedenen Kollektive und Organisationen bereits vor Monaten gemeinsam nongkrong zu praktizieren – online und vor Ort in Kassel.

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Dabei entwickelten sie Mechanismen zur Nutzung und zum Teilen von Ressourcen: Bei Treffen – den sogenannten „majelis“ – sowie in Arbeitsgruppen zu Ökonomie und Wohlergehen des lumbung.

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In ihren majelis und Arbeitsgruppen schaffen die lumbung member einen Mehrwert, der dann mit anderen geteilt wird. Die im Rahmen von lumbung inter-lokal – dem internationalen Netzwerk der einzelnen lumbung member – entwickelten Mechanismen und Infrastrukturen werden von ihnen sowohl innerhalb ihres eigenen Ecosystems als auch mit den restlichen lumbung member geteilt.

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KAPITEL 2

M AJELIS DES KÜNSTLERISCHEN TEAMS Zweite Zusammenkunft (majelis) des Künstlerischen Teams, Kassel, November 2019, Foto Indra Ameng

Bei der zweiten majelis ging es um Formen und Wege des Gesprächs innerhalb des lumbung. Kosmologie wurde zu einem wichtigen Aspekt, den wir immer wieder aufgreifen würden. Das Weitererzählen von Geschichten involviert viele Autor*innen und Bedeutungsschichten und transportiert immer Kontexte, Theorien und Erfahrungen, ohne jedoch einzelne Vorherrschaften und Disziplin zu erzeugen – es zirkuliert und verändert sich.

Bilder vom „Harvest“ – der Dokumentation von Versammlungen in Form von Texten, Übersichten, Skizzen oder Zeichnungen – während des Treffens des Künstlerischen Teams in Kassel, November 2019, Fotos Verena Bornmann und Bellina Erby

Die zweite majelis des Künstlerischen Teams fand im November 2019 in Kassel statt. Damals konnten wir noch nicht ahnen, dass es unser letztes Treffen für die nächsten eineinhalb Jahre sein würde. Eigentlich wollten wir alle drei Monate in der Heimat eines lumbung member zusammenkommen.

In Bezug auf die documenta fifteen sprachen wir verstärkt darüber, die lumbung-Praxis zu zelebrieren, statt konkrete Veranstaltungen zu planen. Wir glauben, dass so alle lumbung member ihre Erfahrungen und Arbeitsweisen auf organische Art und Weise einbringen können.


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Zum Abschluss unseres majelis in Kassel sprachen wir darüber, wie wir in den kommenden Monaten zusammenarbeiten würden. Wir einigten uns darauf, einige grundlegende Regeln zu befolgen: Alle dürfen handeln, wir vertrauen einander und Schweigen bedeutet Einverständnis. Dann teilten wir uns in verschiedene Arbeitsgruppen auf und vereinbarten monatliche Online-Treffen. Zum Abschied aßen wir im Clubhaus des Fußballvereins FC Bosporus im Norden Kassels gemeinsam zu Abend.

14 15 Erstes digitales Treffen, Juni 2020, Screenshot Frederikke Hansen

Im März 2020 sollte das dritte majelis in Kassel stattfinden. Doch da die Corona-Pandemie gerade begonnen hatte, mussten wir uns stattdessen über Zoom treffen. Einige von uns waren bis dahin zu Forschungszwecken intensiv gereist und sahen die Situation als unverhoffte Chance, diese Gewohnheit zu überdenken – sowohl zugunsten ihres ökologischen Fußabdrucks als auch im Sinne der Selbstfürsorge. Was wir nicht wussten: Bis Juni 2021 würden wir uns physisch nicht wiedersehen.

Mitglieder von ruangrupa und dem Künstlerischen Team beim Abendessen in Kassel, 2019, Foto Frederikke Hansen

Harvest des digitalen Treffens vom Künstlerischen Team im März 2020, Zeichnung von Abdul Dube, Courtesy documenta fifteen und Abdul Dube

Wir dachten viel darüber nach, wie der Wechsel vom physischen in den digitalen Raum nicht nur unseren eigenen Arbeitsprozess beeinflussen würde, sondern auch den Aufbau des lumbung – mit Menschen, die sich, anders als wir, noch nie zuvor getroffen hatten und nun ums Überleben und die Fortsetzung ihrer Projekte kämpften. Bei lumbung geht es darum, sich für Krisen einen Überschuss aufzubewahren. Nun war eine solche Krise früher eingetreten als gedacht und das Teilen von Ressourcen erhielt eine neue Dringlichkeit. Daher verschob sich unser Fokus auf die lumbung member und ihre akuten Bedürfnisse.


KAPITEL 3

VORSTELLUNG VON LUMBUNG INTERLOKAL UND RURUHAUS Digitales lumbung-Treffen, Oktober 2020, Foto Frederikke Hansen

Der Aufbau eines lumbung-Netzwerks aus unterschiedlichen Gruppen und Gemeinschaften, das sogenannte lumbung inter-lokal, begann mit vierzehn lumbung member: Fondation Festival sur le Niger (Ségou, Mali), Gudskul (Jakarta, Indonesien), INLAND (verschiedene Orte, Spanien), Jatiwangi art Factory (Jatiwangi, Indonesien), Question of Funding (Ramallah, Palästina), Más Arte Más Acción (Nuqui, Chocó, Kolumbien), OFF-Biennale (Budapest, Ungarn), Trampoline House (Kopenhagen, Dänemark), ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik (Berlin, Deutschland), Britto Arts Trust (Dhaka, Bangladesch), Instituto de Artivismo Hannah Arendt (INSTAR, Havanna, Kuba), Wajukuu Art Project (Nairobi, Kenia), Project Art Works (Hastings, UK) und FAFSWAG (Auckland, Aotearoa). ruangrupa und das Künstlerische Team haben diese Initiativen zur Zusammenarbeit eingeladen, weil ihre inspirierenden Arbeitsweisen, ihr lokal verwurzeltes künstlerisches Schaffen sowie ihre organisatorische und ökonomische Experimentierfreude Hand in Hand mit den lumbung-Werten gehen. Seit 2020 treffen sie sich regelmäßig in verschiedenen Formaten, um über die gemeinsame Arbeit für die documenta fifteen und darüber hinaus zu sprechen. Der folgende Text ist die Kurzfassung eines „Harvest“ des ersten lumbung-Treffens, das vergangenes Jahr online stattfand. Bei einem Harvest handelt es sich um die Dokumentation eines Meetings als Protokoll, Zeichnung oder anderem Überblick. Hier teilt Putra Hidayatullah, Autor und Forscher aus Aceh in Indonesien, seine Erfahrungen aus dem Treffen. Sein vollständiger Harvest des ersten lumbung-Treffens ist online auf documenta-fifteen.de/harvestputra-lumbung-assembly nachzulesen.

ERSTES LUM BUNG TREFFEN IM OKTOBER

2020

Ehe wir uns versahen, war es Oktober. Im Rahmen der Vorbereitungen auf die documenta fifteen kamen alle lumbung member zu einem virtuellen Treffen zusammen, um sich vorzustellen, ihre Geschichten und Ideen zu teilen und auf die kommenden beiden Jahre – oder weiter – vorauszublicken. Viele gut gelaunte Gesichter waren auf den Bildschirmen zu sehen. In einem der Quadrate erschien ein Paar, dessen Haare im Wind wehten, als wären sie an einem Strand. Tayeba und Mahbubur stellten uns den Britto Arts Trust aus Dhaka, Bangladesch vor. Das 2002 gegründete Kollektiv organisiert Workshops, Residenzen, Gemeinschaftsprojekte, Ausstellungen, Forschung und Archivarbeit in verschiedenen Ländern. Sechstausend Kilometer weiter hörten wir vom Wajukuu Art Project, einem Künstler*innenkollektiv, das mit den Bewohner*innen eines Slums in Nairobi arbeitet. „Wir haben auch eine Bibliothek aufgebaut, die es aber leider inzwischen nicht mehr gibt, da uns geeignete Räumen fehlten. In der Zukunft wollen wir ein Stück Land außerhalb Nairobis erwerben und dort Landwirtschaft betreiben“, berichtete Ngugi von Wajukuu.


In Budapest trafen wir Mitglieder der OFF-Biennale (OFF), einem neugegründeten Kunstfestival, dessen dritte Ausgabe aufgrund der Corona-Pandemie auf das kommende Frühjahr verschoben werden musste. Als kuratorisches Kollektiv beschäftigt sich OFF mit Kunstvermittlung und ländlichem Wissen und rief ROMAMoMA ins Leben, ein Kunstprojekt, das Rom*nja, Ungarns größter ethnischer Minderheit, zu mehr Sichtbarkeit verhelfen möchte. Für die documenta versucht OFF, lumbung mit kalaka zu verbinden, ihrem eigenen Konzept, das ebenfalls auf kollektiver Verwaltung basiert. Fünf Tage später setzten wir unser Treffen fort. „Wir freuen uns, hier zu sein und möchten unsere Geschichte mit euch teilen“, verkündeten Fondation Festival sur le Niger aus Ségou in Mali. Das jährlich stattfindende Festival hat sich in den vergangenen sechzehn Jahren zu einer treibenden wirtschaftlichen Kraft der Kulturszene Ségous entwickelt. Seit 2012 leidet Mali unter politischen, wirtschaftlichen und Sicherheitsproblemen. „Das treibt uns dazu an, dieses Event weiterhin zu organisieren“, sagte Attaher Maiga, der das Kollektiv vertrat. „Wir wollen Maaya teilen, unser Wertesystem, bei dem es um Menschen geht, um Ressourcenteilung und Solidarität.“ Zum Abschluss ging es um einen der Veranstaltungsorte der documenta fifteen, das ruruHaus. „Wir haben von Anfang an versucht, diesen Ort zu aktivieren“, berichtete Reza Afisina, eines der Mitglieder von ruangrupa. Gemeinsam mit Studierenden der Universität Kassel wurde das Projekt „Art and Urban Development“ initiiert, auf deutsch Kunst und Stadtentwicklung. Als Zusammenstellung historischer Prozesse zeichnet das Projekt die Entwicklung Kassels seit der ersten documenta nach. Außerdem denkt das ruruHaus über Möglichkeiten nach, die Idee einer gemeinschaftlichen Nutzung von Gegenständen und Flächen in Form eines kooperativen Systems in der Nachbarschaft zu verankern. „Wir bemühen uns, Vertrauen und Freundschaften aufzubauen. Wir wollen nicht einfach nur ein Projekt verwirklichen, sondern machen uns auch Gedanken darüber, es nachhaltig zu gestalten“, so Reza. Wie heißt es so schön? Die Zeit vergeht am schnellsten, wenn man Spaß hat. Vier Tage lang führten wir lohnende Gespräche zu kollektivem Arbeiten und schmiedeten Pläne für die weitere Vorbereitung der documenta fifteen.

Zeichnung von Frederikke Hansen, entstanden während des ersten lumbungTreffens, Oktober 2020

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Als nächstes bekamen wir eine Gruppe junger Menschen zu sehen, die in der Ecke eines Raumes zusammensaßen – die Jatiwangi art Factory aus der indonesischen Provinz Westjava. Einige von ihnen spielten Musik, um das Eis zu brechen. „Gemeinsam mit lumbung wollen wir ein neues Modell für zukünftige Kollaborationen entwickeln. Wir träumen von gemeinschaftlich bewirtschaftetem Land, kollektiv betriebenen Fabriken und einem „bulog“ (Speicher) – wie lumbung, nur „institutioneller“, erzählten sie. Von Jatiwangi ging es weiter nach Deutschland, zu einem Gespräch mit dem ZK/U – Zentrum für Kunst und Urbanistik aus Berlin. Matze, eines der Mitglieder des ZK/U, sprach über die Zukunftspläne des Zentrums. „Das ZK/U sucht nach Wegen, um Netzwerke und Ressourcen jenseits monetärer Logik zu teilen. Wie können wir zusammenleben und arbeiten, ohne ständig produktiv sein zu müssen? Wir denken an guten Schlaf, gemeinsames Abhängen und daran, verschiedene Wirtschaftssysteme in das lumbung-System zu integrieren.“ Am zweiten Tag des Treffens war die Stimmung unverändert gut. Auf den Bildschirmen fröhliche Gesichter aus aller Welt. „Wir haben einen Vorschlag – eine Zoom-Performance,“ rief Yazan von Question of Funding (QoF) aus Palästina. „Wir singen ein Lied und ihr singt uns einfach nach. Los geht’s!“ QoF arbeiten seit mehreren Jahren zu Fragen finanzieller Förderung. „Wir wollen ein Fördersystem aufbauen, das es uns erlaubt, Dinge anders zu machen, als internationale Hilfsorganisation es von uns verlangen“, sagte Fayrouz von QoF. „Wir wollen dauerhaft genügend Einnahmen generieren, um nicht mehr auf Spenden angewiesen zu sein.“ Weiter ging die virtuelle Reise nach Dänemark, zum Trampoline House, einer von Künstler*innen und Asylsuchenden selbstverwalteten Institution in Kopenhagen. „Für Migrant*innen wird Europa zu einem immer gefährlicheren Ort. Wir haben eine große Zahl von Asylsuchenden, die vor Krieg, politischen Konflikten und ähnlichem aus ihren Heimatländern fliehen mussten. Hier jedoch dürfen sie weder arbeiten noch an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehmen.“ Durch Ausbildungsprogramme, Beratung, Kreativ-Workshops und Kunstausstellungen bietet das Trampoline House ihnen bessere Chancen. Langfristiges Ziel ist es, ein alternatives Asylsystem zu schaffen. Die nächste Reise führte uns nach Kolumbien zu Más Arte Más Acción, einer Non-Profit-Kulturstiftung, die durch Kunst kritisches Denken anstoßen möchte. „Um zu einer Bewegung zu werden, müssen wir kreativ und gesellschaftlich organisiert sein, wir müssen zusammenkommen und gemeinsam arbeiten. Im Moment bauen wir eine Art Gedächtnis unserer bisherigen Arbeit auf, um unseren pädagogischen Prozess teilen und in vielen verschiedenen Sprachen zugänglich machen zu können. Auf diese Weise wollen wir eine Verbindung zwischen unserem Kampf und jenen anderer herstellen.“ „Seid ihr bereit?“ Ein Songtext erschien auf dem Bildschirm, Musik dröhnte aus den Lautsprechern und alle sangen I Will Survive. So begann unser drittes Treffen am 23. Oktober. Die von den drei Kollektiven ruangrupa, Serrum und Grafis Huru Hara gegründete Bildungsplattform Gudskul aus Jakarta machte den Anfang. Gudskul möchte eine von Kollektiven organisierte „koperasi“ (indonesisch für Kooperation) aufbauen, um die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Relevanz kollektiver, kreativer Arbeit deutlich zu machen. Mit ein wenig Tanz und Lachen führte uns das Lied nach Spanien, zu Fernando und seinen Freunden von Inland, die in Landwirtschaftsbetrieben und Molkereien arbeiten. „Unser Plan ist es, selbstverwaltete Infrastrukturen aufzubauen, die kollektive Projekte tragen können“, erzählte Fernando. Darüber hinaus entwickelt Inland nomadische Infrastrukturen, die Stadt und Land miteinander verbinden.

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KAPITEL 4

WO WIR JETZT SIND documenta fifteen im Verhältnis zu lumbung, Zeichnung von Daniella Fitria Praptono

ZEITZONEN

AEST: Australian Eastern Standard Time (Ostaustralische Zeit) ART: Argentinian Time (Argentinische Zeit) AST: Atlantic Standard Time (Atlantische Zeit) BRT: Brasília Time (Brasília-Zeit) BT: Baghdad Time (Baghdad-Zeit) CAT: Central African Time (Zentralafrikanische Zeit) CET: Central European Time (Mitteleuropäische Zeit) CST: China Standard Time (Chinesische Zeit) EAT: East African Time (Ostafrikanische Zeit) EET: Eastern European Time (Osteuropäische Zeit) EST: Eastern Standard Time (Ostküstenzeit) HKT: Hong Kong Time (Hongkong-Zeit)

In diesem Sommer konnten wir vom Künstlerischen Team uns nach eineinhalb Jahren des digitalen Austauschs zum ersten Mal in Kassel wiedersehen. Zur gleichen Zeit reisten viele lumbung member und lumbung-Künstler*innen, die wir inzwischen zur Teilnahme an der documenta fifteen eingeladen hatten, nach Kassel, um einander zu treffen und zahlreiche örtliche Kollektive kennenzulernen. Gleichzeitig entschieden die Geschäftsführung der documenta gGmbH, der Aufsichtsrat und das Künstlerische Team, die documenta fifteen trotz der Pandemie nicht zu verschieben. Einer von vielen Gründen für diese Entscheidung war unser Wunsch, die Ausstellung unter den gegebenen Bedingungen stattfinden zu lassen und nicht auf bessere Zeiten zu warten, ohne zu wissen, wann und für wen diese kommen würden. Vor der Pandemie hatten wir geplant, zur Vorbereitung der documenta fifteen regelmäßige majelis abzuhalten, bei denen wir uns in kleineren und größeren Gruppen treffen würden. Nun entschieden wir uns, diese durch mini-majelis für die lumbung-Künstler*innen und regelmäßige digitale Treffen mit den vierzehn lumbung member zu ersetzen. Die Zusammensetzung der mini-majelis ist maßgeblich durch die unterschiedlichen Zeitzonen, in denen die Künstler*innen und Kollektive leben, geprägt. Innerhalb dieser mini-majelis lernten die Beteiligten einander durch Projekte, Ressourcenteilung und gemeinsame Entscheidungsfindung besser kennen. Die Zusammenarbeit in Kollektiven, die wiederum aus Kollektiven bestehen, wurde in der Praxis erprobt. Zur Unterstützung dieses Prozesses hielten wir uns an die Ökonomie des lumbung: Produktionsbudgets und Fördergelder wurden gleichmäßig unter den Künstler*innen verteilt. Darüber hinaus bekam jede majelis-Gruppe ein Budget, über dessen Verwendung gemeinsam entschieden wird. Angeordnet in der Struktur ihrer mini-majelises zählen zu den ausstellenden lumbung-Künstler*innen der documenta fifteen:

ICT: Indochina Time (Indochinesische Zeit) IST: India Standard Time (Indische Zeit) JST: Japan Standard Time (Japanische Zeit) KST: Korea Standard Time (Koreanische Zeit) PHT: Philippine Time (Philippinische Zeit) SAST: South African Standard Time (Südafrikanische Zeit) TST: Taiwan Standard Time (Taiwanesische Zeit) UZT: Uzbekistan Time (Usbekische Zeit) WAT: West African Time (Westafrikanische Zeit) WET: Western European Time (Westeuropäische Zeit) WIB: Waktu Indonesia Barat (Westindonesische Zeit) WITA: Waktu Indonesia Tengah (Zentralindonesische Zeit) WT: Western Sahara Standard Time (Westsahara-Zeit)


LUMBUNG INTER-LOKAL

ikkibawiKrrr KST ook_reinaart vanhoe Richard Bell AEST Taring Padi WIB Wakaliwood EAT

LUMBUNG ARTISTS

CET

MINI -MAJELIS

Arts Collaboratory diverse Zeitzonen Black Quantum Futurism EST Chimurenga SAST Jumana Emil Abboud EET Nino Bulling CET Agus Nur Amal PMTOH WIB Subversive Film CET,EET

Cinema Caravan und Takashi Kuribayashi Kiri Dalena PHT Nguyen Trinh Thi ICT Safdar Ahmed AEST Sakuliu TST

LUMBUNG KASSEL

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LUMBUNG INDONESIEN

18 19 Another Roadmap Africa Cluster (ARAC) WAT, CAT,EAT Archives des luttes des femmes en Algérie WAT Asia Art Archive HKT Centre d'art Waza CAT El Warcha WAT Graziela Kunsch BRT Keleketla! Library SAST Komîna Fîlm a Rojava EET Sada [regroup] AST Siwa plateforme - L'Economat at Redeyef WAT The Black Archives CET

Baan Noorg Collaborative Arts and Culture Dan Perjovschi Fehras Publishing Practices Nhà Sàn Collective The Nest Collective

ICT EET CET ICT EAT

JST

Hamja Ahsan WET Jimmie Durham CET La Intermundial Holobiente Pınar Öğrenci CET Saodat Ismailova UZT

WET, ART, EST

Amol K Patil BOLOHO Cao Minghao & Chen Jianjun CHANG En-man Sa Sa Art Projects

Atis Rezistans | Ghetto Biennale Marwa Arsanios CET Sourabh Phadke WET,IST yasmine eid-sabbagh BT,WT *foundationClass*collective CET

EST,WET

Alice Yard AST Erick Beltrán CET LE 18 WAT MADEYOULOOK SAST Party Office b2b Fadescha Serigrafistas queer ART

IST, EST

IST CST CST TST ICT


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Zu Asphalt 08/21 »Tampons fürs Trottoir«

Armes Deutschland 08 21

Da werden Frauenquoten für INTIMBEREICH Dax-Vorstände gefordert, Wahllisten nach Mann und Frau geteilt, und es gibt jede Menge spezielle Zeitschriften und Lifestyle-Produkte für Frauen. Aber auf die Idee gekommen, dass der Alltag von obdachlosen und armen Frauen monatlich anders ist als der von Männern kam bisher noch niemand? Gratis Tampons für Mittellose sind keine Selbstverständlichkeit? Armes Deutschland. Jadwiga Kemper, Hannover SICHERE PLÄTZE

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Auf der Straße leben Frauen gefährlich.

In der Obdachlosenszene sind Hygieneartikel selten gratis.

Bei den Straßenpunks findet jeder ein »Zuhause«.

Zu Asphalt 08/21 »Angespitzt – Die Glosse«

Auf den Punkt So viele gute Beiträge. Tolle Ausgabe! Allein schon die Glosse von Volker Macke gefällt mir sehr, bringt es auf den Punkt! Und dem »Das muss mal gesagt werden …« von Karin Powser kann ich nur voll und ganz zustimmen. Caroline Notzke, Rehburg-Loccum

Verhältnismäßig? Die Glosse ist grandios. Diese Arroganz der Üs­ tra ärgert mich auch schon seit Jahren. Knast für »Schwarzfahren« ist absolut daneben – die Leute, die mehrfach erwischt werden, machen das ja meist aus der Not heraus. Ein halbes Jahr Knast dafür ... auf Rückfrage hieß es mal, cirka 70 Personen wären zu diesem Zeitpunkt in Hannover auf Staatskosten wegen fehlender Fahrkarten untergebracht. Kosten für Steuerzahler: um die 300 Euro – je Person pro Tag. Wo ist da das Verhältnis? Gil Leichtle, Hannover

Zu Asphalt 08/21 Zahlenspiegel »Viele Alte«

Tolle Qualität Weiterhin finde ich, dass Asphalt ein wirklich gutes Magazin ist, das ich gerne lese. In der August-Ausgabe ist mir nun der Zahlenspiegel »Viele Alte« auf die Laune geschlagen. Da wird mit richtigen Zahlen durch Auslassen des notwendigen Kontextes Angst gemacht, ganz im Sinne der privaten Versicherungswirtschaft, und dafür völlig zusammenhanglos die Zahl von Zuwanderern daneben gestellt. Hier haben Sie Ihre Verantwortung für eine sachliche Information nicht wahrgenommen. Die Zahlen über die Verschiebung der Altersverteilung suggeriert, und da höre ich die Freude der Versicherungslobby, dass es ein Problem gäbe, wenn immer weniger Menschen erwerbstätig sind und immer mehr von einer Rente, also ohne eigene Erwerbstätigkeit, leben. Hier muss doch auch gesagt werden, dass die weiter steigende Produktivität die Produktion und Bereitstellung der real benötigten und brauchbaren Güter (Brot, Kartoffeln, Kleidung, Energie, Wohnraum) weiterhin sichert. In diesem Zusammenhang ist auch die Zahl des tatsächlichen Umfangs an geleisteter Arbeit der tatsächlich erwerbstätigen Leute wichtig, denn die zeigt, dass von den statistisch als »erwerbsfähig« bezeichneten sehr viele in der derzeitigen Wirtschaftsorganisation gar nicht gebraucht werden. Und dann sollte meiner Meinung nach in diesem Zusammenhang auch verdeutlich werden, dass bei einer so hohen Produktivität es ganz logisch ist, dass nur ein hoher Anteil der produzierten Güter an Leute geht, die, so wie die wirtschaftliche Leistung aktuell gemessen wird, scheinbar oder tatsächlich nichts beigetragen haben. Dafür hat mir der Beitrag von Volker Macke zum Shvarts-Fahren sehr gut gefallen. Er trifft den Nagel auf den Kopf: Symbolverdrehung statt Problembehebung. Da soll also vor lauter Besserseinwollen ein Begriff entfernt werden, dessen sprachliche Träger man vor 80 Jahren versucht hat, restlos zu entfernen. Den Zusammenhang kannte ich nicht, aber es hat mich getroffen. Gut so. Thomas Teichmann, Hannover.


Zu Asphalt 09/2021 »Das Asphalt-Barometer« 2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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Gegen eigene Interessen

Sechszehn Prozent für die AfD von den Asphalt-Verkäufern? Das ist schon ein trauriges WAS ZUR WAHL STEHT Bild. Wissen sie denn nicht, dass die AfD in ihrem Programm Punkte zu Arbeit, Arbeitslosigkeit und vor allem Steuerpolitik hat, die ihren eigentlich ja vermutbaren Interessen zuwiderlaufen? Aber nun ist es zu Recht Jedermann selbst überlassen, was er oder sie wählt. Aber vielleicht täte vor der nächsten Abstimmung ein Blick in den Wahl-O-Mat oder den Sozial-O-Mat gut. Ohne Ansehen der Person bleibt mir aber weiterhin erstmal jeder und jede Verkäuferin von Asphalt sympathisch. Katrin Weise, Hannover GEPRÜFT

GEFRAGT

GEDACHT

Unser Parteien-Check zur Kommunalwahl.

Wen Asphalt-VerkäuferInnen diesmal wählen würden.

Margot Käßmann über Kirche, Vertrauen und Wahlmüdigkeit.

Zu Asphalt allgemein

Wir engagieren uns für mehr Gerechtigkeit in Betrieb und Gesellschaft, für faire Entgelte und gute Arbeitsbedingungen, für Tarifverträge und Mitbestimmung sowie gute Leistungen aus den Sozialversicherungen. Eines unserer Ziele ist seit über 125 Jahren die Arbeitszeitverkürzung. Sie soll Arbeit gerechter verteilen und ist eine Chance auf neue Arbeit für Erwerbslose.

DIE IG METALL – EINE STARKE GEWERKSCHAFT IM DACHVERBAND DGB. IG METALL Hannover

Tolle Qualität Seit langem ist es mir ein Bedürfnis, Ihnen meinen hohen Respekt für Ihre Kompetenz bei der Themenauswahl und der orthographischen und grammatikalischen Umsetzung Ihrer Beiträge auszusprechen. Sie heben sich damit wohltuend von vielen Zeitungen (und sogar den öffentlichen Medien) ab. Einem Vertreter der »alten« Generation (Jahrgang 1940) und ehemaligen Beamten ist Ihre handwerkliche Präzision ein Genuss. Darüber hinaus würde es mich für »meinen« Asphalt-Verkäufer Fred am Ricklinger Edeka Center Wucherpfennig freuen, wenn sich die tolle Qualität Ihrer Zeitung in einer höheren Nachfrage bei ihm niederschlagen würde. Herbert Holze, Hannover

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Vielen Dank für Ihre Meinung! Die Redaktion behält sich vor, Briefe zur Veröffentlichung zu kürzen. Bitte vergessen Sie nicht, Ihre Absenderadresse anzugeben. Leserbriefe an: redaktion@ asphalt-magazin.de oder postalisch: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover. Zuletzt: Briefe, die Diffamierungen, Drohungen o. ä. enthalten, drucken wir nicht ab. Diese Qualitätskontrolle können wir uns im Print noch leisten.

Das Fahrgastfernsehen. · Goethestraße 13 A · 30169 Hannover · (0511) 366 99 99 · redaktion@fahrgastfernsehen.de

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Foto: G. Biele

AUS DER SZENE

Stadt fördert Bollerwagen-Café Hannover. Mit 25.000 Euro wird die Stadt Hannover den Verein Bollerwagen-Café unterstützen. Das hat der Sozialausschuss in seinem September-Plenum beschlossen. Der Verein versorgt mittellose Menschen mit gespendeten Lebensmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern unter anderem am Rasch­platz hinter dem Hauptbahnhof. »Um den Verein auf sichere Füße zu stellen«, brauche es jetzt eine Person im Hauptamt, heißt es in der Antragsbegründung. Zu den Tätigkeiten der Vollzeitkraft sollen das Abholen, Sortieren und Verteilen der Spenden gehören. Die Stelle ist barrierefrei. »Wenn jemand zum Beispiel einen Rollator benötigt, aber trotzdem noch gerne arbeiten möchte, dann ist das möglich«, so Sandra Lüke, Gründerin des Bollerwagen-Cafés (Foto). Bewerben könnten sich, so Lüke, Personen, die nach §16i vom Arbeitsamt gefördert werden können, auch Szeneangehörige. LD

Obdachlose wahlbeteiligt Hannover. Wählen ist ein Recht für Jedermann, kommunal sogar auch für EU-Bürger, die sich in Deutschland aufhalten. Um nicht stimmlos zu bleiben, hatten sich auch Obdachlose ins Wählerverzeichnis eintragen lassen und per Briefwahl in Einrichtungen der Obdachlosenhilfe wie dem Mecki-Laden mit abgestimmt. 41 Menschen waren laut Stadtsprecher Dennis Dix für die Kommunalwahl eingetragen, für die Bundestagswahl 38. Bei den Kommunalwahlen 2016 waren es noch weniger als die Hälfte. Möglicherweise hat eine Kooperation unterschiedlicher Verbände der Wohnungslosenhilfe gefruchtet, die im Vorfeld der Wahlen explizit Obdachlose auf der Straße auf ihr Recht angesprochen hatten. Bereits im August hatte die Stadt auch entsprechende Info-Anzeigen in Asphalt geschaltet. »Die UnterstützerInnen der Obdachlosen sind sehr zufrieden damit, wie gut es gelungen ist, den wohnungslosen Menschen das Wählen möglich zu machen. Es gab zahlreiche sehr positive Rückmeldungen, dass sich die Zielgruppe wertgeschätzt und ernstgenommen fühlte«, so der Stadtsprecher. MAC

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Zweckentfremdung darf bleiben Hannover. Die Landeshauptstadt leidet unter akuter Wohnungsknappheit, die Mieten steigen, bezahlbare Bauareale sind Mangelware. Die Stadt kann den Bedarf an bezahlbaren Wohnungen aus eigener Kraft nicht decken. Gleichzeitig wird Wohnraum von seinen EigentümerInnen gelegentlich zweckentfremdet, langjährige MieterInnen aus ihren Wohnungen gedrängt. Während obdachlose Menschen weiterhin auf der Straße leben müssen – kurz vor Wintereinbruch. Trotz alledem lehnte der Rat der Landeshauptstadt im September ab, eine Zweckentfremdungssatzung einzuführen. Einen entsprechenden Antrag hatte die Rats-Gruppe Linke/Piraten eingebracht. Diese Satzung hätte Leerstände reduziert, Airbnb erschwert. Gleichzeitig hätte die Satzung möglicherweise Wohnraum sichern und den Wohnungsmarkt entspannen können. Der Antrag fand keine Mehrheit. LD

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DIE LETZTE ÜBERLEBENDE Ruth Gröne steht vor dem Eingang eines Hauses. Sie hält ein Foto vor sich, auf dem sie als junges Mädchen zu sehen ist, vor dem Eingang desselben Hauses stehend. Bei dem Haus handelt es sich um ein ehemaliges »Judenhaus«. Zu Zeiten des NS ist es Grönes Zwangsunterkunft gewesen. Ruth Gröne ist acht, als die Nazis kommen. Sie zwingen ihre und sämtliche andere (teil-)jüdische Familien Hannovers, ihre Wohnungen zu verlassen und in sogenannte Judenhäuser zu ziehen. Die Nazis bringen so den ersten Schritt auf den Weg,

um die JüdInnen in die Konzentrations- und Arbeitslager zu deportieren. Sie nennen es die Aktion Lauterbacher. Gröne (geb. Kleeberg) benennt diesen Tag vor fast genau 80 Jahren, den 03. September 1941, als den Tag, an dem ihre Kindheit vorbei war.


Gröne vor der Gedenkwand der Gedenkstätte Ahlem. Auf ihr befinden sich unter unzähligen anderen die Namen Grönes Vaters und ihrer Großeltern.

Frau Gröne, wie haben Sie die Aktion Lauterbacher erlebt? »Wir mussten innerhalb von 24 Stunden aus unserer Wohnung raus. Großeltern, Eltern und ich. Wir hatten dann einen Zwischenstopp in der Sedanstraße 42. Da waren wir kaum so ein bisschen eingerichtet – was heißt eingerichtet? Wir konnten ja kaum etwas mitnehmen, da mussten wir da schon raus und sind dann in die Ohestraße. Und das war echt der Horror. Es war in der Sedanstraße schon schrecklich, aber in der Ohestraße … Das war so ein Sammellager, Ohestraße 8 und 9. In dem hinteren Haus waren wir dann unter dem Dach. Wir hatten dann mit einer fremden Familie ein Zimmer. Wir fanden unsere Situation noch so einigermaßen in Ordnung, denn es gab da auch große Räume, in denen Familien waren, die sich ihre Ecken mit Decken abgeteilt haben. Die haben Leinen gezogen, damit sie ein bisschen separat waren. Wir waren also in diesem Zimmer, in dem standen zwei Ehebetten für Familie Bein und meine Großeltern. Meine Mutter und ich schliefen auf einem kleinen Chaiselongue und mein Vater auf den Brettern eines abgeschlagenen Kleiderschranks. Er hatte da Matratzen draufgelegt. Und da hat er dann geschlafen.« Mitnehmen dürfen sie pro Person ein Bett, eine Kommode und einen Stuhl, etwas Wäsche, einige Kleidungsstücke und Geschirr – eben das, was auf den erlaubten drei Quadratmetern Platz hat. Was sie an Eigentum in ihren Wohnungen zurücklas-

sen, wird somit von der Gestapo gesichert und in städtische Sammellager gebracht.

Wie war Ihr Leben in der Ohestraße?

In der Herschelstraße ist die Gestapo nachts gekommen und hat die Männer geschlagen und wir mussten alle zugucken. Auch die Kinder.

»Wir haben da neun Wochen gelebt und es gab kaum Möglichkeit unsere Sachen oder uns selbst richtig zu waschen. Wir konnten uns nichts kochen. Wir bekamen Verpflegung aus so einer großen Küche, die haben da in großen Kesseln Essen gekocht und das hat so schrecklich gerochen, dass ich das heut noch in der Nase habe, wenn ich daran denke. Ich konnte das einfach nicht essen.« Während die BewohnerInnen der Judenhäuser tagsüber Zwangsarbeit in Betrieben Hannovers leisten müssen, herrscht in der Nacht ein strenges Ausgangsverbot. Deshalb dringen Gestapo-Beamte regelmäßig nachts zu Zählappellen und Razzien in die Häuser ein, es kommt zu Prügelorgien und sexuellen Übergriffen der häufig betrunkenen Männer. Auch Familie Kleeberg bezeugt diese Ausschreitungen, nachdem sie aufgrund ihres Status als »Mischehe« aus der Ohestraße in die Herschelstraße verfrachtet wird.


»In der Herschelstraße ist die Gestapo nachts gekommen und hat die Männer geschlagen und wir mussten alle zugucken. Auch die Kinder.« Für die jüdische Bevölkerung werden die »Judenhäuser« zu Sammelstellen, von denen staatliche Stellen den Abtransport in Konzentrationslager organisieren. Bereits am 15. Dezember 1941 werden von Ahlem aus die ersten 1.001 JüdInnen aus Hannover und Umgebung nach Riga deportiert. Insgesamt werden in Hannover zwischen 1941 und 1945 in acht Transporten etwa 2.400 JüdInnen aus der Stadt und Umgebung in Ghettos und Vernichtungslager deportiert. Nur wenige überleben das Unrechtsregime. Um 1930 leben 6.000 jüdische Menschen in der Stadt. 15 Jahre später, am Ende des Zweiten Weltkriegs und der nationalsozialistischen Verfolgung, sind es gerade noch 100.

Wie haben Sie die Deportationen erlebt? »Am 15. Dezember 1941 hat man die Juden in Gewächshäuser eingepfercht, für den ersten großen Transport nach Riga ins Ghetto. Aber im Dezember ist es ja kalt. Früher waren die Winter ja noch härter. Da waren die in den Gewächshäusern und es hat geregnet und geschneit. Da waren meine Großeltern auch dabei. Sie wurden in Personenwaggons dritter Klasse, der Holzklasse, zwei, drei Tage gefahren. Sie wussten nicht, wo sie hinkommen. Mein Vater hatte noch bei der Gestapo gefragt, ob er beim Verladen helfen darf. Das war am Fischerbahnhof. Da hat er mitgeholfen, seine eigenen Eltern auf Transport zu geben. Da kann ich mich noch dran erinnern, dass er nach Hause kam, sich auf das Bett geworfen und so geweint hat. Ich habe meine Mutter gefragt: »Was hat er denn? Ist er krank? Hat er Schmerzen?« Meine Mutter hat mich dann zur Nachbarsfamilie geschickt. »Geh mal zu den Mannes. Papa wird sich wieder erholen.« Nach vielen Jahren habe ich meine Mutter gefragt: »Warum hat Papa damals eigentlich so geweint als er sich so auf das Bett geworfen hat?« Da hat meine Mutter gesagt: »Das war der Tag, an dem Oma und Opa deportiert wurden. Da hat er zuhause einen Nervenzusammenbruch gehabt.« An sowas erinnert man sich auch als Kind. Die Namen auf dem Mahnmal vor der Oper – meine Großeltern stehen da auch drauf: Hermann und Frieda Kleeberg.« Vater, Mutter und Tochter retten sich während des großen Bombenangriffs vom Oktober 1943 in eine nahe Eisenbahnunterführung. Nach ihrer Ret-

Judenhäuser Mit dem Begriff Judenhaus bezeichneten die Nationalsozialisten Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum, in die ausschließlich jüdische MieterInnen eingewiesen wurden. Hier die Standorte. Vahrenheide Stöcken

Sahlkamp

Ledeburg Burg Leinhausen

Vahrenwald

Herrenhausen

List

Nordstadt

Zoo

Oststadt LindenNord

Limmer Davenstedt

Linden-Mitte Linden-Süd

Mitte Calenberger Neustadt

Mühlenberg

Bult

Südstadt

Badenstedt Bornum

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Hainholz

Ahlem

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Haben Sie so etwas auch erfahren?

Ricklingen Oberricklingen

Wettbergen

Waldheim

Waldhausen Döhren

Wülfel

Dies ist das »Judenhaus«, in dem Familie Kleeberg ab 1943 wohnte. Es befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule und heutigen Gedenkstätte Ahlem.


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tung aus dem brennenden Haus flüchtet Familie Kleeberg auf das Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem, inzwischen Judenhaus und Gestapo-Gefängnis. Mutter und Tochter bleiben hier noch bis zehn Jahre nach dem Krieg. Der jüdische Vater wird im Spätherbst 1944 wegen »Kriegswirtschaftsverbrechen« verhaftet: Er hatte Körner vom Hof aufgefegt, um sie seinen (von der Gestapo genehmigten) Hauskaninchen als Futter zu geben. »Aber das war doch kein Diebstahl! Mein Vater ist neun Wochen im Polizeiersatzgefängnis geblieben. Er ist von dort aus ins Konzentrationslager nach Neuengamme bei Hamburg deportiert worden. Dann ist er nach Sandbostel gekommen und das hat er nicht überlebt.« Gröne ist eine der letzten lebenden ZeitzeugInnen des Nationalsozialismus auf Opferseite und hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, über die dunklen Jahre der zunehmenden Diskriminierung und Ausgrenzung der jüdischen Menschen in Deutschland bis zur Deportation und ihrer Ermordung aufzuklären. Das tut sie an Gedenkstätten, Schulen und in den Medien, um dem Vergessen und Verdrängen entgegenzuwirken. Am 15. Oktober 2021 erscheint ihre Biographie, an der sie vier Jahre lang gearbeitet hat. Bis zur Gründung der Gedenkstätte Ahlem 1987 konnte sie allerdings mit niemandem über ihre Erfahrungen sprechen.

Wie erging es Ihnen nach 1945? »Meine Mutter und ich haben noch zwanzig Jahre zusammengewohnt. Meine Mutter hatte ein Foto von meinem Vater im Wohnzimmer stehen und immer, wenn Festtage waren oder sein Geburtstag, habe ich stillschweigend einen Strauß Blumen neben das Bild gestellt. Geredet haben wir darüber trotzdem nie.« Interview und Text: Laureen Dreesch/Uli Matthias Fotos: Thomas Deutschmann

Gedenkstätte Ahlem Heimatforscher Friedel Homeyer baute 1987 das Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule und späteren Gestapo-Anstalt zur Gedenkstätte Ahlem aus. Seitdem ist auch Gröne in die Gedenkstätte involviert. Doch inzwischen gibt es hier für die 88-Jährige etwas zu bemängeln: »Ich habe da sehr drauf gedrungen, dass man hier was von dem ehemaligen Judenhaus dokumentiert.« Es gibt zwar eine Tafel, die das Gebäude als ehemalige Zwangsunterkunft für Juden bezeichnet, diese Tafel befindet sich allerdings relativ weit abseits des Hauses. »Damit bin ich überhaupt nicht einverstanden«, sagt Gröne. Auch die am anderen Ende des Gartens gelegene Gedenkwand sei so weit ausgelagert, dass kaum jemand dahinkomme, um die Namen der Opfer zu lesen. »Und wenn mal Menschen dahinkommen, haben sie Gelegenheit, Brombeeren und Himbeeren zu naschen. Das finde ich derart absurd«, so Gröne. LD

96plus-Grillfest begeistert 400 Gäste Bereits zum achten Mal in Folge fand das beliebte 96plus-Grillfest für Menschen in besonderen sozialen Schwierigkeiten statt. 400 Personen wurden im Vorfeld der Veranstaltung, die wie im Vorjahr unter Einhaltung eines strikten Hygienekonzepts durchgeführt wurde, über verschiedene soziale Einrichtungen in Hannover eingeladen. An mehreren Stationen vor sowie auf der Südtribüne der HDI Arena wurden die Gäste mit frisch gegrillten Speisen, Getränken sowie Speiseeis versorgt. Neben zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Hannover 96 und 96plus-Hauptpartner Clarios halfen auch die 96-Geschäftsführer Martin Kind und Robert Schäfer sowie Sportdirektor Marcus Mann und Torwarttrainer Michael Ratajczak bei der Speisenausgabe mit. Von Anfang bis Ende der Veranstaltung herrschte dabei eine ausgelassene Stimmung. 96plus dankt dem Charcoal Street BBQ e.V., Zahnmobil Hannover, ASB, Apostel Spezialitäten GmbH, Café Engelke, Gramann Landschlachterei, Hannoversche Kaffeemanufaktur, HCC sowie Hauptpartner Clarios für die Unterstützung des 96plus-Grillfestes.


Ja ist es denn zu fassen, da trifft es einige Regionen in Deutschland durch Überflutungen besonders hart, sie verlieren alles was sie besitzen, ihre gesamte Habe, ihre Existenz. Und viele Menschen verlieren sogar ihr Leben. Und dann gibt es da eine Firma, die nimmt diese schreckliche Katastrophe zum Anlass, ihren Mietern zu kündigen. Da ist wohl die Frist abgelaufen, wo diese Wohnungen als Sozialwohnungen vermietet werden müssen, was bietet sich da an, als hier einen Neuanfang zu starten? Also alte Mieterinnen und Mieter raus, die Häuser aufwendig und modern sanieren – natürlich mit dem Geld vom Bund – und dann die Wohnungen teuer vermieten. Eine günstigere Gelegenheit wird ganz sicher nicht kommen, den Bund zu schröpfen. Und was kümmern die Menschen, die auf der Straße stehen, die alles verloren haben, sollen sie doch zusehen, wo sie bleiben! Wie abgebrüht, wie schamlos, wie herzlos und wie gierig muss solch ein Vermieter sein? Egal wie alt ich werde, ich lerne immer wieder etwas dazu, leider nichts Schönes!

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»IMMER UNTERWEGS« Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Martin (66). Hallo Martin, in Niedersachsen waren im September ja Kommunalwahlen. Und auch du hattest dich dafür für die CDU aufstellen lassen. Ja, genau. Vor fünf Jahren hatte ich den Versuch schon mal gestartet. Da hatte es aber nicht geklappt. Damals hatte ich noch nicht genug Stimmen. Jetzt bin ich Auf der Bult und in der Südstadt politisch aktiv. Deshalb habe ich mir gesagt, ich versuche es einfach nochmal. Naja, und so bin ich für Südstadt/Bult Kandidat auf Listenplatz 16 geworden.

Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass du dich politisch engagierst? Die ganze Sache hat seinen Ursprung in Garbsen Osterwald. Und zwar 1996, wo Helmut Kohl noch an der Regierung war. Damals war ich arbeitslos, aber beim Arbeitsamt ging irgendwie nichts. Wirklich gar nichts. Ich hatte Vorschläge für Weiterbildungskurse gemacht. Noch und nöcher. Allerdings bin damit immer nur mit dem Kopf gegen die Wand gerannt. Da hatte ich dann die Faxen dicke, und weil die CDU gerade an der Regierung war, dachte ich, dann trete ich da eben einfach mal ein, um den Leuten mal so richtig auf die Füße zu treten. Das war die eigentliche Idee dahinter. Nicht, weil ich die Partei so toll fand. Ich hatte einfach wirklich so die Nase voll.

War es so schwer, in deinem Beruf einen Job zu finden? Ich habe ja Dokumentationswesen an der Fachhochschule studiert und 1995 mein Diplom geschrieben. Natürlich wollte ich dann auch gerne als Diplom-Dokumentar Fuß fassen. Aber es lief leider nicht so, wie ich es wollte. Ich weiß nicht, woran es letztlich gelegen hatte, aber es hatte irgendwie nie geklappt. Ich glaube, es ist einfach ein Job, den kaum jemand bezahlen will.

Und ein anderer Job kam nicht in Frage? Doch, eine Weile habe ich dann ja im Archivwesen gearbeitet. Da habe ich zum Beispiel das Archiv in Niedersachsen mit aufgebaut. Allerdings auch nur auf ABM-Basis. So lange das Geld vom Job-Center kam, war alles bestens. Als der Arbeitgeber aber selber zahlen sollte, war ich sofort wieder raus. Dafür war dann kein Geld mehr da. Das hat mich dann auch ziemlich verärgert, dass alles immer nur auf dieser Billiglohn-Basis lief.

Das heißt, du hast die meiste Zeit von Hartz IV gelebt?

tioniert. Ich habe dann kurzer Hand meine Sachen geschnappt, meinen Hartz IV Bescheid genommen, meinen Personalausweis und bin zum Vertrieb von Asphalt gegangen. Damals war der ja noch in der Knochenhauer-Straße. Naja, so hat es dann seinen Anfang genommen.

Das heißt, du bist jetzt schon 13 Jahre bei Asphalt? Genau. Damals hatte ich eigentlich gedacht, dass ich das so ein Jahr lang mache. Noch ein bisschen Geld zu meinem Hartz IV dazu verdienen, und spätestens nach anderthalb Jahren dann aber sollte Schluss damit sein. Ich hatte mich ja die ganze Zeit weiterhin um einen Job in meinem Beruf beworben. Aber wie gesagt, dass hatte irgendwie nie geklappt und so bin ich auch nach 13 Jahren noch bei Asphalt.

Du bist nicht nur Verkäufer, sondern sogar auch Verkäufer­Innen-Sprecher. Was gefällt dir daran? Ich finde es gut, dass ich viele Dinge organisieren kann. Dass ich mich im Namen der VerkäuferInnen auch mal mit Blumen bei den Asphalt-Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen für ihre Arbeit bedanken kann, so wie zum Beispiel bei der letzten Verkäufer-Versammlung, als ich allen ein kleines Sträußchen Gerbera mitgebracht hatte. Was mir allerdings so ein bisschen fehlt, ist die Kommunikation mit dem Vertrieb. Da würde ich mir wünschen, dass man mir zum Beispiel sagt, wenn ein Verkäufer seinen Verkäufer-Ausweis abgeben musste. Als Verkäufer-Sprecher würde ich gerne auch ein Statement dazu abgeben. Dass ich die Entscheidung nicht treffen kann, das ist mir schon klar. Aber ich würde trotzdem gerne etwas mehr in solche Prozesse mit eingebunden werden und als Schnittstelle zwischen Vertrieb und VerkäuferInnen dienen. Das fehlt mir so ein bisschen.

Was machst du in deiner Freizeit, wenn du also nicht mit Asphalt beschäftigt bist? Da habe ich auch Etliches an Terminen. Zum Beispiel in der Männergemeinschaft der Katholischen Pfarrgemeinde St. Oliver Laatzen. Mit der Gemeinschaft helfen wir zum Beispiel beim Aufbau mit, wenn Festivitäten stattfinden, wir halten Vorträge oder unternehmen gemeinsame Fahrten. Da bin ich immer gut eingebunden. Und seit 19. September läuft ja nun auch wieder die Vesperkirche. Da bin ich aktiv mit dabei und helfe, wo ich kann. Ja, da ist immer viel los. Da bin ich viel unterwegs.

Ja. Und später dann auch von Asphalt.

Hast du dann überhaupt noch Zeit für die Familie? Wie bist du zu Asphalt gekommen? (lacht) Durch Zufall. Das war 2008. Da habe ich den guten HaDe (Asphalt-Verkäufer) am Steintor getroffen. Da am Schiller-Denkmal. Der hatte mir dann erzählt, wie der Verkauf funk-

Also, Bruder und Schwägerin und so habe ich zwar, aber eine eigene Familie nicht. Ich bin ja schon lange geschieden. Bin also auf dem Heiratsmarkt noch zu haben. (lacht) Interview und Fotos: Grit Biele


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Martin verkauft Asphalt von Dienstag bis Freitag im Hauptbahnhof an der Rolltreppe vor Rossmann und am Samstag auf dem Wochenmarkt Südstadt/Bult in der Rimpaustraße.

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RUND UM ASPHALT

Asphalt verlost 10 x 2 Karten für den Zoo Hannover

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Gewinnsp

Leuchtend rotes Fell, dunkle Knopfaugen und ein schneeweißes Gesicht – in den Erlebnis-Zoo Hannover ist ein Rotes Panda-Weibchen eingezogen. Voller Neugier hat Fine ihre Nase in jeden Winkel ihres neuen Zuhauses gesteckt. Ihren Partner Flin, mit dem sie sich die Anlage teilt, konnte Fine bereits ausgiebig kennenlernen und beschnuppern. Sie verstehen sich bestens und schlafen sogar schon gemeinsam auf einem Baum, jeder auf seiner eigenen Astgabel. Rote Pandas stehen als »stark gefährdet« auf der Roten Liste für Tier- und Pflanzenarten der Weltnaturschutzunion IUCN. Ihr Lebensraum im Himalaya und der chinesischen Provinz Sechuan wird zunehmend zerstört. Außerdem machen WilderInnen Jagd auf die Tiere. Fine ist aus einem ungarischen Zoo nach Hannover gezogen und soll hier nun mit ihrem dreijährigen Partner Flin zum Erhalt ihrer Art beitragen. Für einen Besuch im Zoo Hannover können Sie mit Asphalt zwei Tagestickets gewinnen! Beantworten Sie uns einfach folgende Frage: Wie heißt das neue Rote Panda-Weibchen im Erlebnis-Zoo Hannover?

Wir trauern um unseren langjährigen Verkäufer und Stadtführer

Foto: Erlebnis-Zoo Hannover

Neue Bewohnerin im Erlebnis-Zoo

Schicken Sie uns eine Postkarte oder eine E-Mail mit Ihrer Antwort und dem Stichwort »Zoo« bis zum 31. Oktober 2021 an: Asphalt-Redaktion, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder gewinne@asphalt-magazin.de. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Die Lösung unseres letzten Zoo-Rätsels lautet: »an ausgewählten Freitagen nach Zooschließung«.

Wir trauern um unseren langjährigen Verkäufer aus Aurich

Hartmut Schulz

Jürgen Flick

Er wurde 63 Jahre alt.

Er wurde 62 Jahre alt.

Das gesamte Asphalt-Team mit allen MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen.

Das gesamte Asphalt-Team mit allen MitarbeiterInnen und VerkäuferInnen.

Impressum Herausgeber: Matthias Brodowy, Dr. Margot Käßmann, Rainer Müller-Brandes Gründungsherausgeber: Walter Lampe Geschäftsführung: Georg Rinke, Katharina Sterzer (Stellv.) Redaktion: Volker Macke (Leitung), Grit Biele, Ute Kahle, Ulrich Matthias Gestaltung: Maren Tewes Kolumnistin: Karin Powser Freie Autoren in dieser Ausgabe: L. Dreesch, O. Neumann, J. Piquardt, B. Pütter, T. Rosenbohm, W. Stelljes Anzeigen: Heike Meyer Verwaltung: Heike Meyer

Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 27. September 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


Einladung

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Foto: privat

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zur ordentlichen Generalversammlung

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Statt Geschenken ... Zu ihrem sechzigsten Geburtstag ließ sich Uda Kupzog etwas Besonderes einfallen: Sie wünschte sich keine Geschenke, forderte dafür ihre Gäste auf, an Asphalt zu spenden. »Mir ging es gut mit Corona, ich hatte nichts zu beanstanden. Ich finde nach wie vor, dass die Wohnungslosen auch in der Corona-Krise mit am meisten durch den Rost fallen«, begründet die Sozialarbeiterin die Aktion. »Ich lese außerdem gerne Asphalt, weil sie viele gute Reportagen haben und ich finde, das Projekt ist eine super Sache.« Stolze 940 Euro sind auf diese Weise zusammengekommen. »Man sieht an der Spendensumme, dass meine Gäste das auch gut fanden«, erzählt Kupzog. Ungefähr 80 Menschen waren der Einladung mit den sonnenbrillentragenden Füßen gefolgt. »Ich hätte nicht gedacht, dass so viel Geld zusammenkommt. Und ich habe trotzdem noch nette Geschenke bekommen«, lacht sie. Frau Kupzog, wir wünschen Ihnen alles Gute nachträglich und bedanken uns ganz herzlich bei Ihnen und Ihren Geburtstagsgästen! LD

Gesuch & Gruß Verkäufer Heinz B.: Ich suche ein gebrauchtes einfaches Handy zum Telefonieren, in das ich meine Prepaid Karte einlegen kann. Da ich aktuell kein funktionsfähiges Telefon besitze, bitte ich um Angebote an das Büro Göttingen/Kassel goettingen@ asphalt-magazin.de. Dankeschön. [V-Nr. K-068/Göttingen].

Tagesordnung

hr , 17 U .2021 Joseph 0 1 . 8 2 M St. r. 63 FORU agener St r h e Isern Hannov 30163

1. Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit 2. Ernennung von Funktionsträgern für den Lauf der Mitgliederversammlung (Schriftführer:in, Stimmzähler:in) 3. Vorlage des Jahresabschlusses 2020 - Bericht des Vorstandes über das Geschäftsjahr 2020 - Bericht des Aufsichtsrates 4. Bericht über das Ergebnis der gesetzlichen Prüfung - Verlesen des zusammengefassten Prüfungsberichtes (zur Beratung und ggf. Beschlussfassung) - Stellungnahme des Aufsichtsrates 5. Beschlussvorlage zur Verwendung des Jahresüberschusses (§ 35 Satzung) Beschlussfassung über die Verwendung des Jahresüberschusses 6. Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstandes 7. Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrates 8. Ersatzwahl von Aufsichtsratsmitgliedern (§ 19 Satzung)

Verkäuferausweise Bitte kaufen Sie Asphalt nur bei Verkäufer­Innen mit gültigem Ausweis! Zurzeit gültige Ausweisfarbe (Region Hannover und Göttingen/Kassel): Rosa

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Foto: Jörg Steinmetz

AUF HELL FOLGT DUNKEL Jan Vetter alias Farin Urlaub, Dirk Felsenheimer alias Bela B und Rodrigo González alias Rod sind mittlerweile alle über 50 – doch jugendlich sind die ärzte immer geblieben. Das hört man auch auf ihrer neuen Platte »Dunkel«. Drei gut gelaunte Alt-Punks sprechen über Konzerte, schwarzen Humor, peinliche Texte und die Bestie Mensch. Das neue Album »Dunkel« beginnt mit einem »Sound­ track für die Bundesrepublik: Karnickelfickmusik«. Was ist denn das? Farin Urlaub: Wir haben früher gern schnellen Punk gespielt. Da hieß es immer: »Hört jetzt mal auf mit dieser Karnickelfickmusik!« Das bezieht sich allerdings nur auf das erste Lied, danach wird es deutlich behäbiger. Aber »Anastasia« ist auch noch mal ein Feger.

Sie beschweren sich, dass sich alles wiederhole und keiner mehr eine Idee habe. Leben wir in uninspirierten Zeiten? Bela B: Das Rummosern im Lied »Kerngeschäft« ist nicht sehr ernst gemeint. Musik ist immer noch eine der größten Sachen seit dem geschnittenen Brot. Man muss so etwas wie Mumble Rap positiv sehen. Autotune etwa ist eine Art zeitgenössische Version der Punkidee: Du musst nichts können, mach einfach! Die Refrainzeile ist ein Zitat meiner Lieblingsplattenverkäufe-


Ist Perfektion Ihr Ziel bei allem, was Sie musikalisch tun? Rod: Immer! Was wäre das sonst auch für ein Anspruch? Farin Urlaub: Perfektion ist eine Illusion, gerade in der Musik. Aber tatsächlich ist unser Anspruch, das Bisherige auf irgendeine Art zu übertrumpfen. Sei es durch einen noch weiter hergeholten Reim, eine sehr ungewöhnliche Struktur oder eine absurde Instrumentierung. Wir Autotune versuchen, weitestgehend zu vermeiden, eine Formelband zu werden. etwa ist eine Bela B: Keine Band ist weiter weg von einer Art zeitgenösFormel, als die ärzte. Jemand hat ein Foto anasische Version lysiert, mit dem wir die neue Platte angekünder Punkidee: digt haben: »Sie sehen darauf sehr seltsam aus. Du musst Komisch angezogen, sehr unerwartbar. Seien wir doch mal ehrlich: Das ist doch aber genau nichts können, das, was wir von den Ärzten erwarten«. Also mach einfach! doch Formel?

Ist das Album in dunklen Kellerstudios entstanden? Farin Urlaub: Die Demos zum Teil schon. Die Idee zu »Dunkel« wurde schon zu Zeiten des Vorgängers »Hell« geboren. Wir haben nach einem Titel gesucht, der sich erst dann erklärt, wenn das zweite Ding draußen ist. Bela B: Für »Hell« hatte ich bereits über 40 Lieder eingetrommelt, so dass wir zwei Platten gleichzeitig hätten rausbringen können. Aber dann kam Corona und wir stellten erstmal eine fertig. Eine sehr komfortable Situation, konnten wir doch jeden Song durch drei andere, genauso gute Stücke ersetzen. Wir haben ein dreiviertel Jahr später noch einmal 14 Songs geschrieben. Acht davon haben wir für »Dunkel« verwendet.

In einem besonders düsteren Lied beschäftigen Sie sich mit tödlicher Gewalt. Wie kam es dazu? Bela B: Einen Song namens »Ein Schlag nur« habe ich bereits mit der Gypsy Swingband Danube Banks aufgenommen. Darin geht es um die junge Türkin Tuğçe, die 2014 von einem Typen erschlagen wurde, nachdem sie sich für zwei durch ihn belästigte Mädchen eingesetzt hatte. Zu dem Text habe ich jetzt einen Punkrocksong gemacht. Eigentlich ist es komisch, als Mann über diese Situation zu schreiben, fast überheblich, aber da die ärzte eine große Reichweite haben, macht es für mich Sinn.

Wenn Sie singen, Menschen seien für Menschen nicht gemacht, klingt das sehr sarkastisch. Sind Sie desillusioniert?

»Dunkel« ist ein ziemlich wütendes Werk geworden, dafür stehen Songs wie »Schrei«. Rod: Ich hatte beim Schreiben u. a. »10 Cloverfield Lane« der »Cloverfield« Filmreihe vor Augen, die mich sehr fasziniert hat. Aber auch Wutbürger und Heavy Metal. Farin Urlaub: Mein erster Kommentar war: Wie will denn Rod das durchhalten? Nach zwei Konzerten ist er doch heiser! Rod: Ich probe das Lied bereits zuhause mit Sauerstoffgerät und FFP2-Maske!

Die Open-Air-Tour 2022 ist mit »Buffalo Bill in Rom« überschrieben. Buffalo Bill gastierte mit seiner Wild-West-Show tatsächlich in Rom, wo ihn 1890 der Papst empfing. Arbeiten Sie darauf hin? Farin Urlaub: Im Prinzip ja. Es folgt dann noch ein Stück, in dem ich das Alte Testament einmal so richtig beleuchte. Bela B: Wie bringen wir denn den weißen Büffel nach Rom?

Konzertfoto: Nach achtjähriger Bandpause zog es die ärzte 2018 wieder auf die Bühnen der Republik.

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Bela B: Die größte Gefahr geht tatsächlich von uns Menschen aus. Ein Wolf greift von alleine nicht an. Menschen sind die schlimmsten Feinde der Menschen und der Tiere. Farin Urlaub: Wir drei sind natürlich anders! Diese Altersweisheit zieht sich wie ein roter Faden durch die Bandgeschichte. Unser Comeback haben wir quasi eingeleitet mit den Worten: Los komm, wir sterben endlich aus!

Foto: Paul Gärtner

rin. Als ich sie fragte, wie es ihr in Zeiten von Downloads und Streaming so geht, sagte sie: »Ach, weißt du Bela, Musik ist älter als Kapitalismus«. Das habe ich mir dann sofort zuhause an die Wand gemalt und diesen Song geschrieben.

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Zum Beispiel wie Buffalo Bill mit 30 Eisenbahnwaggons und Hunderten amerikanischen UreinwohnerInnen, Cowboys, Pferden, Büffeln. Bela B: Wir arbeiten lieber daran, eines Tages Konzerte ohne Müll spielen zu können. Das Ziel ist, so wenig wie möglich CO2 zu produzieren inklusive der Parkplätze vor der Halle.

Hat sich Ihre wiedergewonnene Kreativität auf die Chemie in der Band ausgewirkt? Farin Urlaub: Es ist heute für uns einfacher als früher, als noch mehr Ego mit drin war. Das einzelne Lied war wichtiger, und man musste viel mehr kämpfen. Jetzt ist es so: Wenn euch diese Fünf nicht gefallen, habe ich hier noch acht andere! Bela B: Mit acht Mediatoren und acht Anwälten läuft alles wie geschmiert. Das war ein Witz! Mir sind aber inzwischen wirklich viele Bands bekannt, die mit Mediatoren arbeiten.

Foto: Jörg Steinmetz

Ist der Erfolg daran schuld?

die ärzte Farin Urlaub (Gitarrist und Sänger) und Bela B (Drummer) lernten sich 1980 in der Rock-Disco Ballhaus Spandau in Westberlin kennen. Damals war Bela B Mitglied einer bis 1982 bestehenden Punkband, der sich auch Farin Urlaub anschloss. Anschließend taten die beiden sich mit dem Bassisten Hans Runge zusammen, der die Band aber 1986 verließ. Von 1988 bis 1993 gingen auch Bela B und Farin Urlaub getrennte Wege, doch dann kam es zur Neugründung der ärzte, zusammen mit Bassist Rod. Die Alben der Rock-Band wurden und werden regelmäßig indiziert, enthalten linkspolitische und (selbst-)ironische Texte, sowie deutliche Punk-Einflüsse. Bekannt wurde die Band vor allem durch »Männer sind Schweine« und die Antifaschismushymne »Schrei nach Liebe«, die sie in Reaktion auf den aufkeimenden Rechtsextremismus in Deutschland veröffentlichte. Die Band legte von 2013 bis 2017 eine Pause ein und bringt nun mit »Dunkel« ihr zweites Album seit dem Comeback 2018 heraus. Die ärzte kündigten Ende September an, ihre wegen Corona auf 2021 verlegte Tour »In The Ä Tonight« müsse nun doch ganz ausfallen – ebenfalls aufgrund der Pandemie. Der Preis der Tickets wird zurückerstattet. LD

Bela B: Irgendwann fängt die Außenwahrnehmung an, das Schicksal einer Band zu beeinflussen. Dann stellt sich heraus, dass einer in der Gruppe vielleicht talentierter ist als die anderen. Ein anderer ist vielleicht schöner, beliebter oder schlauer. Es gibt Unterschiede, die nicht als Stärke, sondern als konträr wahrgenommen werden. Es gab auch bei uns Ups und Downs, nach dem Album »auch« war Es geht schon die Situation schon einmal schwer. Aber wir sind da immer wieder rausgekommen und aufwärts, haben großartige Platten gemacht. Schwierige nur nicht Situationen haben uns oft genutzt. schnell genug. Rod: Im Gegensatz zu anderen Bands haben wir voneinander Pausen gemacht. Viele Gruppen hängen in einem Kreislauf drin, bei dem sie alle zwei Jahre ein Album rausbringen und auf Tour gehen müssen. Farin Urlaub: Wir haben jetzt zwei Alben ziemlich aus dem Ärmel geschüttelt. Ein gutes Gefühl. Auch beim Zweiten konnten wir aus dem Vollen schöpfen.

Was macht Ihnen in diesen dunklen Zeiten gute Laune? Bela B: Als Trump im Januar als Präsident der USA abtreten musste, hat mir das einen Launeschub gegeben. Es passiert auch viel Positives, die Nachrichten leben aber von der negativen Sensation. Die Süddeutsche Zeitung hat zum Beispiel einen Onlinedienst eingeführt, bei dem man nur positive Nachrichten lesen kann. Farin Urlaub: Es wird immer alles schlechtgeredet, die Menschheit führt aber weniger Kriege als noch vor 200 Jahren. Es geht schon aufwärts, nur nicht schnell genug. Man kann trotzdem immer etwas zum Lachen finden. Bela B: Das Positive an der Fluzeugentführung durch den weißrussischen Diktatur Lukaschenko ist: Seitdem verzeichnet die


Brandenburg hat 226 AbiturientInnen mit der Bestnote 1,0 speziell geehrt. Auf der Urkunde ein Zitat von Farin Urlaub: »Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es wäre nur deine Schuld, wenn sie so bleibt«. Farin Urlaub: Die haben sich wahrscheinlich gefragt: Was soll denn das? Ist doch schön, wenn der kategorische Imperativ auf den Zeugnissen landet. Auch wenn er von mir vereinfacht und umformuliert wurde. Alles richtig gemacht, ja. Bela B: Wir leben im Land von Goethe, Schiller, den Ärzten und Farin Urlaub!

Wie sah Ihr eigenes Abitur aus? Bela B: Ich habe als einziger in der Band kein Abitur. Ich war in einem Versuchsding namens Gesamtschule. Unsere Stufe ging nur bis zur zehnten Klasse. Das Projekt war so ausgedacht, dass die schwächeren Schüler von den besseren mitgezogen werden. Erwartungsgemäß war es umgekehrt! Du musstest dich gut stellen mit den Schlägern. Auf der Schule habe ich meinen ersten Neonazi kennengelernt.

gen. In Weißrussland riskieren Menschen ihre Gesundheit und Freiheit, indem sie einen Diktator abzusetzen versuchen, der behauptet, die letzte Wahl gewonnen zu haben. Unter anderem äußern sie sich mit Demonstrationen gegen ihn. Und bei uns gehen Leute unter Polizeischutz auf die Straße und skandieren: »Wir leben in der Merkel-Diktatur!« Die wissen gar nicht, was sie als Deutsche geschenkt kriegen. Bela B: Vor 15 Jahren hätte ich dir für solch einen Text eins in die Fresse gehauen! Ich dachte aber, dieser unerwartete Ausreißer wird der letzte Song auf dem neuen Album. Schon »Hell« klingt aus mit einem Lied, in dem Farin singt, dass er schwul wird, um die AfD zu bekämpfen. Ein No-Go für eine Band, die sich immer gegen Homophobie ausgesprochen hat. Nur Schülerbands texten so. Farin Urlaub: Damit hätten wir den Kreis geschlossen: Das ist meine Verbindung zur Jugend – ich habe mich nicht einen Meter weiterentwickelt! Interview: Olaf Neumann

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Und den haben Sie dann vermöbelt? Bela B: Nee, der war nicht besonders stark. Ich habe mit ihm eher diskutieren wollen. Er hat mir mit »Rotfront verrecke!« geantwortet. Meine Worte waren verschenkt.

Können Sie sich mit 18-Jährigen von heute identifizieren? Farin Urlaub: Modisch gibt es da viele Berührungspunkte! Bela B: Ich sehe Parallelen, wenn Kids auf einer Parkbank sitzen, Musik über ihr Handy hören und mit geballter Faust Zeilen mitsingen. Deren Musik tangiert mich zwar relativ selten, aber wie gesagt: Autotune ist eine Erfindung im Sinne des Punks. Damals hat man aus drei Akkorden seinen eigenen Sound gemacht. Autotune ist ja noch einfacher, da musst du nicht mal einen Ton treffen.

Das Album klingt aus mit einem Loblied auf die Demokratie. Müssen Sie die Macht des Volkes verteidigen? Farin Urlaub: Der Titel dieses Stücks – »Our Bassplayer hates this Song« – ist kein Witz. Rod, erklär doch mal, warum du ihn nicht willst! Rod: Für mich entzaubert der Text die ärzte. Ton Steine Scherben hätten es anders gemacht. Da wir demokratisch abgestimmt haben, habe ich dem Lied leider einen halben Punkt zu viel gegeben. Die Musik ist aber super. Farin Urlaub: Ob die Demokratie es braucht, dass wir versuchen, sie zu erklären, weiß ich nicht. Zugegeben, der Text ist nicht sehr Punk-kompatibel, er war mir allerdings ein Anlie-

Schütze die Menschenrechte mit deiner Unterschrift, deiner Spende, deinem Einsatz.

So erreichen Sie uns: https://amnesty-hannover.de Gruppe Oststadt-List Amnesty International Bezirk Hannover Fraunhoferstr. 15 · 30163 Hannover E: info@amnesty-hannover.de T: 0511-66 72 63 · F: 0511-39 29 09 Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft DE23 3702 0500 0008 0901 00 Stichwort 1475

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Abzockerfirma Ryan Air, die ein Stachel für den Klimawandel ist, rückgehende Buchungen.

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JÜRGEN PIQUARDTS GENUSS DES EINFACHEN

»harmonisch« Foto: pidjoe/iStock.com

»Eben geht mit einem Teller Witwe Bolte in den Keller, dass sie von dem Sauerkohle eine Portion sich hole, wofür sie besonders schwärmt, wenn es wieder aufgewärmt.« (Wilhelm Busch) »Sei mir gegrüßt mein Sauerkraut. Holdselig sind deine Gerüche.« (Heinrich Heine) Globale Mode und regionale Tradition. Lust auf Neues und Achtung vor dem Alten. Kimchi und Sauerkraut. Am liebsten beides, vor allem dann, wenn das Regionale dadurch wiederbelebt werden könnte. Und, es ist überraschend wunderbar: Das Kimchi-»Ausgangsprodukt«, China- und Japankohl, wächst auch bei uns, auf unseren Böden, bei unserem Klima. Es gibt keine Gründe, das uns bereichernd Interessante, anderswo Traditionelle aus der Ferne zu holen, was oft unbedacht geschieht: Die Lebensverhältnisse in den »Erzeugerländern« werden überwiegend durch unser Kaufverhalten erschwert. Trotz dieser so wichtigen Anmerkung geht‘s sachlich-heiter weiter: der benötigte Ingwer wächst bei uns nicht. Der Trost dabei: das asiatische milchsaure Volksessen braucht nicht viel davon. Das Vereinende von Kimchi und Sauerkraut?! Beides ist aus Kohl und beides hat einen sehr ähnlichen Herstellungsprozess. Milchsaure Gärung heißt das Zauberwort, welches diese sowieso schon gesunden, natürlichen Lebensmittel noch gesünder, sehr schmackhaft (s.o. Busch und Heine), sehr lange haltbar macht. Lebensmittel zum Bevorraten. Das macht sich auch die Nahrungsmittelindustrie zunutze: Als Lebensmittelzusatzstoff E270, der in vielen, oft auch gerade unnatürlichen Nahrungsmitteln als Konservierungsmittel enthalten ist. Auf den Etiketten steht das. Das wäre notwendigerweise ein Unterrichtsfach für die ganz Jungen unter uns: Etikettenlesen & Kaufmündigwerden. Früher hat die milchsaure Gärung den Winter und andere Langnotzeiten erträglicher und oft lebensfroher gemacht. Heute

olfgang Foto: W

Der bekannte hannoversche Gastronom lebt in der Provence, ist Autor, Olivenbauer und Kochanimator. Seine Gerichte: regional und saisonal. Jetzt kocht er für Asphalt. Ein Gericht zu jeder Jahreszeit.

Becker

MILCHSAURER HERBSTGENUSS

kann sie dabei helfen, uns gesünder zu ernähren. Deshalb der nebenstehende Verführungsversuch zur eigenen Sauerkraut­ erzeugung. Oder zumindest dazu: Verzehr von viel Sauerkraut, von deutlich weniger, aber auch, Sauerkrautsaft (vielleicht als Kur), viel »deutschem« Kohl (die »Crowds«, so die wohl abwertend gemeinte Auszeichnung der »Flammeries«, den Bewohner­ Innen des letzten europäischen Königreichs). Was für eine lange, spannende Geschichte vom einfachen, natürlichen Tun zur Erkenntnis: Jahrtausende ernährten wir uns mit Hilfe der Milchsäurebakterien. Wir wussten nicht, was da wirklich geschah. Aber das muss ja nicht immer das Schlechteste sein. Letztendlich hat erst Justus von Liebig 1856 diese Kleinst­ lebewesen, deren Verhältnis untereinander oft über Gesundheit oder Krankheit viel, viel größerer Lebewesen entscheidet, entdeckt, nachdem ihm die Wissenschaft schon einige Jahrhunderte zugearbeitet hatte. Bleiben wir bescheiden: Was ist Wahrheit? Was war Wahrheit? Ist die Beantwortung dieser Frage überhaupt wichtig, im Zusammenleben miteinander? Geht es nicht mehr um Verständnis füreinander und um solche Eigenschaften wie ehrlich und wahrhaftig, wie mutig und liebevoll. Oder auch: Wie gehen wir mit dem vielen, unsere Gewohnheiten nicht beflügelnd ändernden »Wissen« um? Was machen wir aus der Gewissheit, dass unsere Darmflora und das »harmonische Verhalten« der Bakterien untereinander und das Säure-Basen-Gleichgewicht in den Verdauungsorganen weitgehend über unsere Gesundheit entscheidet? Können wir eigenständiger, bodenständiger, natürlicher, regionaler und weltoffener zugleich werden? Können wir unseren gerade jetzt so ganz eng gewordenen Erkenntniskreis erweitern? Fragen sind oft die besseren Antworten. Einen natürlichen, guten Hunger!


ALEN ZUTA

AUS REGION

Zutaten Kimchi: 1 Chinakohl 2 kleine Möhren ½ schwarzer Rettich 1 Japanrettich 4 cm Ingwer 2 Knoblauchzehen 1 Zwiebel 1 Chilischote oder 1 TL Sambal Olek

Zutaten Sauerkraut und Sauerkrautauflauf: 1 kg Weißkohl 20 g grobes Salz einige Wacholderbeeren 2 Lorbeerblätter

Küchenutensilien Kimchi:

Prozedere Sauerkraut:

Blender (= Mixer/aber auch »handstampfen« geht), 2 Einweckgläser jeweils 0,5 l, »Beschwerer«

Kohl in feine Streifen schneiden oder hobeln | mit dem Salz und den Gewürzen in der Schale vermischen | kräftig stampfen – bis der Saft deutlich austritt | das Kraut in die Gläser drücken – jetzt Achtung: Der Saft muss das Kraut immer bedecken | mit dem Beschwerer (Stein?, gefüllte Wasserflasche?) ca. 3 Wochen gären lassen

Prozedere Kimchi: Kohl, Möhren und Rettiche in Streifen schneiden | die anderen Zutaten im Blender pürieren | alles vermengen | dann stampfen und in die Gläser füllen

Prozedere Sauerkrautauflauf: Küchenutensilien Sauerkraut: Schale, Gläser, Stampfer (Mörser oder Faust), »Dauerbeschwerer«

Buchweizen 10 Minuten kochen und dann ca. 15 Minuten ausquellen lassen | Zwiebelwürfel im Öl dünsten | Sauerkraut, Apfel- und Zwiebelwürfel, Gemüsebrüh­

Zutaten zum Auflauf (für ca. 4 Personen): 1 mittelgroße Tasse Buchweizen 500 g Sauerkraut 150 g geraspelter Gouda (vielleicht zur Hälfte oder mehr oder ganz durch Hefeflocken ersetzt) 1 Zwiebel gewürfelt 1 Apfel (möglichst säuerlich) gewürfelt 1 Gemüsebrühwürfel etwas Kümmel Olivenöl (oder Rapsöl)

würfel und Kümmel ca. 5 Minuten köcheln | Buchweizenbrei und Sauerkrautvariation gemischt in eine Auflaufform füllen | mit Käse und/oder Hefeflocken bestreuen | Und nun: 20 Minuten im Backofen bei ca. 200 Grad Celsius überbacken.

Tipp: Am besten gelingen Kimchi und Sauerkraut mit regionalem Biogemüse. Das ist eine fast ideologische, aber auch heiter gemeinte Anregung. Oh, wem das nicht schmecken sollte? Das kann nicht sein, sagt Witwe Bolte.

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Foto: 4kodiak/iStock.com

ut a r k r e u a S & i h c m Ki ISON TEN DER SA

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WALD WIRD KRIEGSOPFER


in der zunehmend entwaldeten Provinz al-Mahweet.

In dem vom Krieg gezeichneten Jemen ist die Nachfrage nach Brennholz in die Höhe geschossen. Nicht nur WissenschaftlerInnen haben bereits Sorge, dass die humanitäre Krise des Landes, in dem Millionen Menschen von Hunger bedroht sind, das Risiko der Wüstenbildung deutlich erhöht.

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Eine junge Hirtin an einem Quellsee bei Khamis Banisaad

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Fotos (3): REUTERS/Khaled Abdullah

Der jemenitische Landarbeiter Ali al-Emadi verbringt Stunden damit, einen Akazienbaum mit einer Axt zu fällen, während sein 12-jähriger Neffe beim Spalten der Stämme hilft. In einem vom Krieg gezeichneten Land muss Emadi in der nördlichen Region al-Mahweet Holz fällen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Der wirtschaftliche Zusammenbruch hat die Landwirtschafts- und Bauarbeiten, für die er früher durch das Land reiste, zunichte »Jährlich werden gemacht. In dem zerfallenden Staat, in 886.000 Bäume gedem seit 2014 ein Stellvertreterkrieg von Iran gegen Saudi-Arabien befeuert wird, fällt, um Bäckereien ist Brennholz mittlerweile vielerorts die und Restaurants einzige Energiequelle für ZivilistInnen. zu versorgen.« Die Preise für Benzin und Gas sind heute Abdullah Abul-Futuh, doppelt so hoch wie noch vor einem Jahr. Umweltschutzbehörde Jemen. Mehr als 40 Prozent der rund 30 Millionen JemenitInnen haben nicht genug zu essen. Laut Welternährungsprogramm gelten rund 2,5 Millionen Kinder unter fünf Jahren unterernährt. Die Lebensmittelpreise sind trotz einiger Hilfsprogramme der Vereinten Nationen durch die Decke geschossen. In dieser humanitären Krise steigt das Risiko der unwiederbringlichen Waldzerstörung enorm – eine Bedrohung sowohl für die Umwelt im Jemen als auch für jede Hoffnung auf eine langfristige Lebensgrundlage für Männer wie Emadi. »Die Besitzer von Bäckereien verwenden Holz und Stein, um ihre Öfen zu heizen. Früher haben sie Gas verwendet, aber jetzt gibt es nur noch Holz«, so Emadi. »Wenn es genügend Holz gibt, können wir davon leben, Gott sei Dank. Aber heutzutage gibt es kaum noch Bäume«, so der siebenfache Vater. »Wenn ich etwas bekomme, essen wir. Zumindest leben oder sterben wir gemeinsam.« In dem seit mehr als sechs Jahren andauernden Krieg zwischen der von einer saudi-geführten Koalition unterstützten anerkannten Regierung und der mit dem Iran verbündeten Houthi-Bewegung sind Zehntausende von Menschen ums Leben gekommen. 80 Prozent der jemenitischen Bevölkerung sind auf Hilfe angewiesen. Die Treibstoffknappheit infolge der Blockade der von den Houthi gehaltenen Gebiete durch die Koalition, die auch den Zugang zum Haupthafen von Hodeidah Ali al-Emadi, der als Holzfäller arbeitet, und sein Neffe spalten einschränkt, hat dazu geführt, dass Unternehmen und Familien Brennholz mit Äxten in ihrem Dorf in der Provinz al-Mahweet.


Ein Verkäufer wartet auf Kunden auf einem Brennholzmarkt in Jemens Hauptstadt Sanaa.

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Diesel und Gas gegen Brennholz eintauschen. Die Allianz behauptet, die Blockade sei notwendig, um den Waffenschmuggel zu unterbinden. Allein in der Hauptstadt Sanaa würden jährlich rund 886.000 Bäume gefällt, um Bäckereien und Restaurants zu versorgen, so Abdullah Abul-Futuh, Leiter der Abteilung für biologische Vielfalt und Naturschutzgebiete bei der jemenitischen Umweltschutzbehörde in der Stadt, die wie der größte Teil des Nordjemen von den Houthi-Behörden verwaltet wird. In den letzten drei Jahren seien im gesamten Norden des Landes etwa 5 Millionen Bäume gefällt worden. »Das entspricht einer Waldfläche von 213 Quadratkilometern. Und nur 3,3 Prozent der Gesamtfläche des Jemen sind als Wald klassifiziert«, so Abul-Futuh. Die Behörde konnte keine Vergleichszahlen nennen, da es sich um ein neues Phänomen handelt. Nachdem in den 1980er Jahren in der Region Marib Gas entdeckt wurde, beschränkte sich der Holzeinschlag auf abgelegene Gebiete, aber der Krieg hat die Energieproduktion des Jemen abgewürgt, sodass man zunächst auf Importe und jetzt auf Holz von Bäumen angewiesen ist, die normalerweise für den Hausbau verwendet werden. Im Jemen gibt es nur wenige Wälder, dafür aber eine relativ reiche Pflanzenwelt in der ölproduzierenden Wüstenregion der Arabischen Halbinsel. In al-Mahweet, das für seine dichten Baumkronen bekannt ist, verschwinden mehrere Arten von Akazien, Zedern und Fichten. HolzfällerInnen, die über die nötigen Mittel verfügen, kaufen einen Akazienbaum von LandbesitzerInnen für umgerechnet etwa 100 Dollar und verkaufen die Stämme dann »Wir haben Angst, an HändlerInnen, die sie in dass das Land zu die Städte schicken. Ein mit Holzstämmen beladener einer Wüste wird.« 5-Tonnen-Lkw bringt in SaSulaiman Jubran, Holzfäller naa umgerechnet 300 bis 700 Dollar ein, je nach Holzart und Transportentfernung. »Die Nachfrage hängt von der Anzahl der Treibstoffschiffe ab, die den Hafen von Hodeidah anlaufen. In diesen Tagen ist sie (die Nachfrage) sehr hoch«, sagt der Holzfäller Sulaiman Jubran, der seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Brennholz an ausländische HändlerInnen verdient. »Wir haben Angst, dass das ganze Land zu einer Wüste wird. Das ist mancherorts bereits der Fall, einst bewaldete Berghänge sind heute schon kahl«, sagt er. Die Wälder des Jemen befinden sich größtenteils in Privatbesitz, und arme Familien durften traditionell kostenlos Holz schlagen, solange sie nur Äste abschnitten und die Stämme für die Regeneration verschonten. »Jetzt entwurzeln wir sie mit Mattocks (Spitzhacken), nichts bleibt übrig«, sagt Emadi. Khaled Abdullah und Ghaida Ghantou | Mit freundlicher Genehmigung von Reuters | INSP.ngo


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BUCHTIPPS Waldfakten, tipptopp Der Katapult-Verlag ist selbst ein Buch wert. »Die Redaktion« heißt der Roman des Gründers Benjamin Fredrich, der erzählt, wie man mit 20.000 Euro Schulden ausgerechnet in Greifswald einen Verlag gründet, der dann die gesamte Branche auf den Kopf stellt. Auf sein Karten-Magazin »Katapult« und Buchveröffentlichungen folgten Verblüffung, Plagiate und rasant steigende Abozahlen. Auf der Welle des Erfolgs sorgte der Verlag dann für eine weitere kleine Sensation, als er dem regionalen rechtslastigen Nordkurier den Kampf ansagte und eine digitale Tageszeitung für Mecklenburg-Vorpommern startete, mit »ordentlicher politischer Berichterstattung« und »Tipptopp Statistikjournalismus«. Katapult meint es auch mit der Weltrettung ernst und hat folglich ein eigenes Waldstück. Weil das Waldwissen mit der Katapult-Karten-Zahlen-Grafik-Kreativität harmoniert, gibt es dieses großartige Buch. BP Katapult (Hg.) | Wie man illegal einen Wald pflanzt | Katapult | 176 S. | 18 Euro.

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Sprachlos, wortlos Ipek kehrt für ein Wochenende in die Kleinstadt zurück, in die ihre Eltern als »Gastarbeiter« aus der Türkei nach Deutschland kamen. Die Mutter ist ein paar Tage verreist und der Familienbesuch wird zu einem Z w e i - F i g u re n - K a m m e r s p i e l um die verlorene gemeinsame Sprache: Vater und ich. Trotz einer liebevollen Beziehung ist Ipek herausgewachsen aus der Welt ihrer Eltern, die hart arbeiteten, um irgendwann zurückzukehren in die Türkei. Ipek erlebt zwar Ausgrenzung und Rassismus und ist doch »von hier«. Als Journalistin lebt sie in der deutschen Sprache; dass sie »richtig« Türkisch gelernt hat und keinen Dialekt spricht, vergrößert den Graben nur. Tastend nähert sich die Ich-Erzählerin Dilek den Bruchstellen an, den erinnerten peinlichen Situationen, den Kränkungen. Der Riss, den sie beschreibt, ist ein doppelter: Einer im Verhältnis zu »Heimat« und einer von »Klasse« zwischen Gastarbeiter und deutschtürkischer Akademikerin. Eine prototypische Geschichte, klug, einfühlsam und formbewusst erzählt. BP Dilek Güngör | Vater und ich | Verbrecher | 112 S. | 19 Euro.

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SPIELETIPPS Albtraum im Spiegel Albtraum im Spiegel, aus der Reihe Decktective, ist ein kooperatives Krimispiel, das ein oder mehrere SpielerInnen herausfordert. Es kann dabei solo oder in einer Gruppe gespielt werden. Die Protagonistin Danielle Dove wurde entführt und hat dabei genug Spuren hinterlassen, um Hilfe auf den Plan zu rufen. Aufgabe der SpielerInnen ist es, Hinweise wie Zeitungsausschnitte, Fotos und Zeugenaussagen zu sammeln und zu ordnen. Dabei bauen sie einen dreidimensionalen Tatort mittels Karten und Box auf und begeben sich auf die Schnitzeljagd. Kombinationsgabe und Lösungsansätze sind gefragt, um Danielle Dove am Ende aus den Händen der Entführer zu retten. Albtraum im Spiegel, Abacus-Spiele, kooperatives Krimispiel für 1 bis 6 Spieler ab 12 Jahren, ab 7,99 Euro.

So Kleever! Dieses Spiel ist besonders für Personen geeignet, die farbenblind sind oder deren Sehkraft eingeschränkt ist. So Kleever! enthält 220 Karten mit 880 Stichwörtern und sechs Kleeblätter, auf denen sie platziert werden. Vier Karten davon werden von jedem Spieler verdeckt gezogen und platziert. Ein Spieler schreibt zu jeweils zwei Stichworten einen Hinweis auf sein Kleeblatt, entfernt die Hinweiskarten und überlässt seinen Mitspielern nun das Raten. Diese müssen als Gruppe erraten, welche Stichwortkarten benutzt wurden. Je mehr desto besser und nach einer vergnüglichen Runde kann mit immer neuen Kombinationen neu gestartet werden. Sollten einmal die Punktezettel ausgehen, können diese auf der Herstellerseite kostenlos geladen und ausgedruckt werden. So Kleever!, Repos Production, kooperatives Wortassoziationsspiel für 3 bis 6 Spieler ab 10 Jahren, ab 17,99 Euro.

Getestet von Ute Kahle

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Musik Junger Jazz aus Hannover

Gerade noch im Aspekte-Studio, stellt Lùisa auf der kleinen Feinkostbühne jetzt ihr drittes Album »New Woman« vor. Ihre Titelhymne zentriert deutlich das Konzept ihrer neuen Songs: kämpferische, klare Betrachtungen einer Frau, die in einer noch immer von Männern dominierten Musikwelt als Singer/Songwriterin ihren Platz und ihre Identität gefunden hat. Und die ebenso sensibel und offen schwierige und melancholische Teile ihres Weges reflektiert. Getragen werden diese zu perlenden

Ihre Kompositionen sind Ausgangspunkt für ausgedehnte Klangexpeditionen. Ihr Fokus liegt weniger auf dem, was aufgeschrieben ist, sondern eher auf dem, was im Moment entsteht. Improvisation, Kommunikation und Interaktion dienen als Fundamt ihrer Musik. Dabei gehen Maischa Perdelwitz, Max Hobohm, Johannes Keller und Matthias Meyer – gemeinsam sind sie MØA – keinem Risiko aus dem Weg, selbst wenn es bedeuten könnte, dass das Ergebnis enttäuscht. Mit Energie und Leidenschaft nimmt die Musik der vierköpfigen Band ihre ZuhörerInnen auf eine Reise mit überraschendem Ausgang. Hingabe und Mut zum Risiko sind das Leitmotiv von MØA‘s musikalischen Einzelstücken. Freitag, 29. Oktober, 20 Uhr, Schloss Landestrost, Schlossstraße 1, Neustadt a. Rbge, Karten gibt’s online unter www.kultur-rh.reservix.de/events, telefonisch unter 0511 – 616-25200 oder per E-Mail an kultur@region-hannover.de, Eintritt 19 Euro, erm. 13 Euro.

Foto: Nikolai Dobreff

SynthiePop und warme Stimme

Lesung Der Genuss des Einfachen

Gitarrenmelodien verdichteten Erinnerungen von groovigem Bass und Schlagzeug und der schillernden Eleganz eines Eighties-Synths. Und natürlich und vor allem von dieser timbrestarken Stimme, die voller Wärme, mal dunkel und kantig, mal jubilierend und schwebend, die eindrucksvolle Persönlichkeit ihrer Musik ausmacht. Donnerstag, 14. Oktober, 20 Uhr Einlass, 21 Uhr Beginn, Feinkost Lampe, Eleonorenstraße 18, Hannover, nähere Infos zu den geltenden Corona-Regeln gibt’s ab 05. Oktober unter www.feinkostlampe.de, Eintritt 10 Euro.

Jahrzehntelang hat er gemeinsam mit seiner Frau das Bio-Erlebnis-Restaurant »La Provence« im hannoverschen Stadtteil Ricklingen betrieben. Jetzt kommt Jürgen Piquardt aus der geografischen Provence in seine frühere Arbeitswelt und Heimat zurück. Mit seinen ganzheitlichen Ernährungsvorstellungen für Körper, Seele und Geist versucht er heiter und trotzdem leidenschaftlich zum Ändern der Gewohnheiten anzuregen. Für alle Interessierten hat der Gastronom und Olivenbauer ein paar Bücher mitgebracht. Und sollten die Pandemieauflagen es zulassen, dann gibt’s zur Freude eines jeden Feinschmeckers auch einige Kost-Proben. Freitag, 08. Oktober, 19 Uhr, Bürgersaal, Rathaus Hemmingen, Rathausplatz 1, Hemmingen, Anmeldung unter der Telefonnummer 0511 – 4103-280 oder per E-Mail an buecherei@ stadthemmingen.de erforderlich, Eintritt 5 Euro.

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KULTURTIPPS

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Foto: tfn – Theater für Niedersachsen

Ausflug Bunter Herbstspaziergang Wenn in der Natur die Farben langsam aus Grün in Gelb-, Orange-, Rot- und Brauntöne übergehen, dann ist der Herbst da. Neben einer Fülle an Farben, bring diese Jahreszeit auch viele verschiedene Formen und Materialien hervor, die sich bestens zum Basteln eignen. Gemeinsam mit Umweltpädagogin Elke Bohn sammeln Familien mit Kindern zunächst Blätter, Zweige und Früchte, die sich anschließend in tolle Herbstdekorationen verwandeln lassen. Samstag, 09. Oktober, 11 bis 12.30 Uhr, Naturparkhaus, Uferweg 118, Neustadt-Mardorf, um Anmeldung unter der Telefonnummer 05033 – 939-134 wird gebeten, Teilnahme Erwachsene 3 Euro, Kinder 1,50 Euro.

Für Kinder

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Gewinnsp Asphalt verlost 1 x 2 Karten für Pumuckl – das Musical

Dummheit und Vorurteile

Pumuckl

Gunnar und Emma sind dümmer als die Feuerwehr erlaubt. Erst braten die beiden Gänse ihre eigenen Eier auf offenem Feuer und setzen dabei ihre Hütte in Brand. Und dann sind die auch noch wählerisch. Kein Tier ist gut genug, um sie zu retten. Der Elefant ist zu groß. Der Bär ist dick. Der Spatz zu klein. Der Maulwurf zu blind. Die beiden schnattern so lange um die Wette, bis das Dach über ihnen zusammenfällt. Da kommt wohl jede Hilfe zu spät, oder? Diese moderne Fabel über Dummheit und Vorurteile nach dem Bilderbuch von Martin Baltscheit ist gespickt mit temporeichen Dialogen und absurder Situationskomik. Das Theaterstück ist für Kinder ab 4 Jahren geeignet. Donnerstag, 14. Oktober, 9 Uhr und 10.30 Uhr, Aula Schulzentrum I, Planetenring 7, Garbsen, Tickets gibt’s im Kulturbüro Garbsen unter der Telefonnummer 05131 – 70 76 50 oder per E-Mail an kultur@garbsen.de, Eintritt Erwachsene 6 Euro, Kinder 5 Euro.

Der Münchner Schreinermeister Eder wundert sich sehr: Ständig verschwinden Dinge aus seiner Werkstatt, Gegenstände fliegen durch die Luft und dauernd zwickt es ihn. Was steckt wohl dahinter? Als ein kleines, rothaariges, bisher unsichtbar gewesenes Geschöpf an seinem Leimtopf kleben bleibt, bekommt er die Antwort: der Kobold Pumuckl. Weil ein altes Klabautergesetz besagt, dass der Pumuckl bei der Person leben muss, die ihn entdeckt hat, beginnt der anarchische Kobold den Alltag des alten Junggesellen und der gesamten Nachbarschaft gehörig auf den Kopf zu stellen. Für das Familienmusical nach den Pumuckl-Geschichten von Ellis Kaut können Sie mit Asphalt 1 x 2 Karten gewinnen. Beantworten Sie einfach folgende Frage: Bei wem lebt der Kobold Pumuckl? Schicken Sie uns eine Postkarte oder eine E-Mail mit der richtigen Antwort und dem Kennwort »Familienmusical« an: Asphalt-Magazin, Hallerstr. 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover oder gewinne@asphalt-magazin.de und gewinnen Sie mit etwas Glück die begehrten Tickets. Einsendeschluss ist der 25. Oktober 2021. Bitte Absender-Adresse und Telefonnummer zwecks Gewinnbenachrichtigung nicht vergessen! Samstag, 30. Oktober, 19 Uhr, Premiere, theater für niedersachsen, Theaterstraße 6, Hildesheim, Eintritt ab 14 Euro.


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Bühne Nordlicht Leinen los und Segel setzen! Mit nordischen Sensationen und rasanten Showeinlagen holt Till Frömmel seine Zuschauer wortwörtlich mit ins Boot und lässt sie in verrückten Improspielen sogar selbst ans Steuerrad. Gemeinsam mit ihnen erweckt der schlagfertige Entertainer eine alte skandinavische Sage zum Leben – immer augenzwinkernd und mit grandios improvisiertem Seemannsgarn. Der Fischflüsterer in Glitsch- und Gleitzeit geht mit dem kompletten Publikum auf Reisen und lotst es zielsicher durch die Show. Comedy, Impro und Magie mit lautem Schmunzeln, offenen Mündern und Tränchen in den Augen. Ein Kurzurlaub vom Alltag – noch authentischer wird’s nur mit Socken und Sandalen. Freitag, 08. Oktober, 20 Uhr, Vorpremiere, die hinterbuehne, Hildesheimer Straße 39a, Hannover, Eintritt 17 Euro, erm. 12 Euro.

OKTOBER 2021

»Extrawurst« Eigentlich ist es nur eine Formsache: Im Tennisclub soll über die Anschaffung eines neuen Grills für die Vereinsfeiern abgestimmt werden. Normalerweise kein Problem, gäbe es da nicht den Vorschlag, auch einen eigenen Grill für das einzige türkische Mitglied des Clubs zu finanzieren. Denn gläubige Muslime dürfen ihre Grillwürste ja bekanntlich nicht auf einen Rost mit Schweinefleisch legen. Eine gut gemeinte Idee, die aber immense Diskussionen auslöst. Tiefer und tiefer schraubt sich der kleine Konflikt in die Beziehungen der Mitglieder. In dieser schnellen, hochpointierten und sehr aktuellen Theaterkomödie von Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob erlebt das Publikum, wie sich eine Gesellschaft komplett zerlegen kann. Freitag, 15. Oktober, 20 Uhr, Premiere, weitere Termine gibt’s unter www.theaterinderlist.jimdo.com/extrawurst/, Theater in der List, Spichernstraße 13, Hannover, Eintritt 18 Euro, erm. 13 Euro.

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Dienstag | 05.10. | 20:30 Uhr Jazz Musiker Initiative Hannover e. V. präsentiert

TINO DERADO TRIO Eintritt: 22 Euro/erm. 12 Euro Samstag | 09.10. | 19:30 u. 21:45 Uhr

CÉCILE VERNY QUARTET Of Moons and Dreams Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Montag | 11.10. | 20:30 Uhr

JONATAN MORGENSTERN Abschlusskonzert Eintritt: 10 Euro zzgl. Gebühren Freitag | 15.10. | 19:30 u. 21:45 Uhr

JOO KRAUS

in b ra u c h t e H a n n ov e r – nenradio Bürger*in

UKW 106.5

z.fm

www.leibni

We`re doing well Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Freitag | 22.10. | 19:30 u. 21:45 Uhr

SANDRO ROY UNITY BAND Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren

Leibniz.fm leibniz.fm

Am Lindener Berge 38 30449 Hannover www.jazz-club.de

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SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 19 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – (Achtung: ch = 1 Buchstabe) einen Spruch ergeben: anek – ar – bin – bo – bu – cher – de – de – den – di – di – do – el – ent – er – er – ero – gen – gra – gri – hong – kong – len – ma – mal – nat – ner – on – ord – pel – reich – reu – see – see – ser – si – te – te – tek – ter – tiv – tung – uhr – vi – wann – we – weg – wei – ze

1. Fluss zur Nordsee 2. Büromaterial 3. Gewinn auf eine Aktie 4. Abtragung der Erdoberfläche 5. Ober-/Regierender Bürgermeister von Berlin 6. Fürstenhaus von Monaco 7. Degeneration 8. Ausdehnung

Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir dreimal das Kinderbuch »Der Löwe auf dem Dachboden« von Ute Krause. Karla und ihre Familie können eines besonders gut: Krach machen. Auf dem Dachboden findet Karla ein Cello, und hinter einer verrosteten Tür wacht ein steinerner Löwe. Er will Karla beibringen, Cello zu spielen und statt Lärm Musik zu machen – davor muss sie aber erst einmal zuhören lernen. Viermal können Sie das Buch »ÜberLeben in Deutschland« gewinnen. Seit zwei Jahrzehnten beobachtet Imre Grimm in seinen Texten den deutschen Alltag – sprühend vor Witz und voller Liebe zur Sprache. Wie funk­ tioniert die Yogafigur »Der schwankende Kugelfisch«? Hat die NASA vegetarischen Brotaufstrich erfunden, um Risse im Hitzeschild abzudichten? Stimmt es, dass ZwölftonmusikerInnen uns alle veräppeln? Insgesamt dreimal gibt es das Sachbuch zum Trendthema Überforderung und Konzentrations-Verlust »Kopf frei!« von Volker Busch zu gewinnen. Der Neurologe und Psychiater präsentiert ein erprobtes Konzept zur Steigerung von Konzentration, Kreativität und Aufmerksamkeit und gibt wirksame Impulse, wie wir gegen dauernde Reizüberflutung, Multitasking und den digitalen Stress vorgehen können. Die Lösung des September-Rätsels lautet: Sich des Lebens zu erfreuen ist die beste Kosmetik. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 31. Oktober 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

9. kurze Erzählung 10. Ermittler 11. Nachlassempfängerin 12. Gewässer in Berlin und in einem Song von Conny Froboes 13. männliche Ente 14. Mineralgruppe 15. Rind in Indien und Afrika 16. Spezialist für Zeitgeräte 17. Reiseroute per Schiff 18. Teil des Armes 19. ehem. britische Kolonie


Ausblick

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tock.com icki58/iS Foto: W

Brodowys

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Foto: Tomas Rodriguez

Rücksichtslos Wie eine Gesellschaft tickt, lässt sich oftmals am Alltag ablesen. An den kleinen Dingen, den kleinen Rücksichtslosigkeiten. Eine Beobachtung: Da fährt ein Auto (ich sage mal nichts über die Größe des Wagens, es sei jedem Lesenden selbst überlassen, sich vorzustellen, um was für eines es sich handeln könnte) vor einer Bäckerei vor. In etwa 20 Metern Entfernung ist ein Parkplatz mit vielen freien Buchten, direkt vor der Bäckerei jedoch ein absolutes Halteverbot. Nicht unbegründet, da hier wegen der U-Bahn-Endhaltestelle sehr viele Schulkinder unterwegs sind und die relativ enge Zufahrt zum Parkplatz durch haltende Autos unübersichtlich würde. Die Person in unserem Fall interessiert das nicht: »Warum soll ich 20 Meter oder mehr laufen? Ich zahle so viel Steuern!« Also wird das absolute Halteverbot ignoriert. Hohe Herrschaften dürfen das! Die Person (ich überlasse auch hier der Leserschaft, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt) stürmt in das Geschäft, sichtlich genervt, dass sich vier weitere Menschen erdreisten, vor ihr auch einkaufen zu wollen. »Wo ist denn ihre Kollegin?« blökt sie vom Ende der kleinen Schlange. Und: »Es gibt nämlich auch Menschen, die arbeiten müssen und nicht endlos Zeit haben!« Da die Kollegin gerade keine Zeit hat, weil sie arbeitet, nämlich Brötchen schmiert, weil es auch Menschen gibt, die gerne ein belegtes Brötchen vom Bäcker zur Arbeit mitnehmen, muss unsere ungeduldige Person – wie wir alle auch – mit einer einzigen Verkäuferin Vorlieb nehmen. Laute Einundausatmegeräusche gefolgt von einem Unmutsschmatzer entfahren ihr in regelmäßigen Abständen, um der Missbilligung des Wartens eine kontinuierliche Note zu verleihen. Jetzt bin ich dran. Zum Glück will ich nur ein Brot. Allerdings geschnitten. Ich sehe es nicht, fühle aber ein showreifes Augenrollen hinter mir. In diesem Augenblick kommt die Kollegin. »Fünf normale, zwei Mohn, ein Käse, drei Schoko!« Ich persönlich finde, dass ein solcher Bestellvorgang mit einem freundlichen »Guten Morgen!«, einem »Ich hätte gerne…« und einem »bitte!« vollständiger klingt. Die Ungeduld legt einen 50-Euro-Schein auf den Tresen. Schriebe ich nicht eine Beobachtung auf, sondern erfände diesen Text, hielte ich spätestens den Geldschein für eine Übertreibung und ein Klischee. Ich verlasse das Geschäft, weiß also leider nicht, ob sie grußlos rausgegangen ist, was ich vermute, oder ob ihr vielleicht sogar ein scharfes »Tschüss!« entfahren sein könnte. Sie hüpft in ihr Auto, an dem bedauerlicherweise kein Knöllchen klebt, fährt an und hupt wie verrückt. Weil ein Radfahrer von der falschen Seite kam. Immer diese Radfahrer! Und dann war das auch noch ein Kind, was von der Bahn kam und zur Fußgängerampel wollte, um auf der richtigen Seite weiterzufahren. Und die Moral von der Geschicht’: Am Käsebrötchen liegt es nicht! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber


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