2021 11 Asphalt

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2,20 EUR davon 1,10 EUR Verkäuferanteil

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IM NETZ DER DROGEN GELIEFERT

GEFEIERT

GESCHEITERT

Substanzen, Tipps und Überdosis via Internet.

Dreißig Jahre ein »Dach überm Kopf«.

Der »Krieg gegen Drogen« in den Vereinigten Staaten.


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Im Netz der Drogen

»Bis einer stirbt – Drogenszene Internet« heißt das kürzlich erschienene Buch von Isabell Beer. Im Interview erklärt sie, warum wir aufhören sollten, suchtkranke Menschen zu stigmatisieren.

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Notizblock

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Marktplatz

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Thesen-Anschlag

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Aus der Szene

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Das muss mal gesagt werden

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Aus dem Leben von Asphalt-Verkäufer Olaf

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documenta fifteen

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Rund um Asphalt/Impressum

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Buchtipps

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Spieletipps

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12 Drug-Bay Kalifornien kämpft mit einer Überdosis-Krise. Covid 19 hat sie verschärft. Und viele Betroffene sind obdachlos. Kleine Organisationen kämpfen für eine Praxis der Schadensbegrenzung.

»Keinen kümmert es« Was passiert, wenn obdachlose Personen sterben, die weder familiäre Bezüge noch ein großes Vermögen haben? Ein Einblick.

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Silbenrätsel

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Brodowys Ausblick

Titelbild: Liukov/shutterstock.com

Über das Treffen in der majelis akbar und das Dokumentieren in Harvests.

Das Asphalt-Prinzip

19 Dreißig Jahre DüK

Er ist ein Ankerplatz für wohnungslose Menschen in Hannover. Der Tagestreff DüK in der Berliner Allee feiert sein 30-jäh­riges Jubiläum. Und sucht mehr Platz für Obdachlose.

Asphalt-Verkäuferinnen und -Verkäufer sind Menschen mit brüchigen Biographien. Irgendwann sind sie in ihrem Leben durch schwere Schicksale, Krankheiten oder traumatische Erlebnisse aus der Bahn geworfen worden. Heute versuchen sie, durch den Verkauf des Asphalt-Magazins ihrem Leben wieder Struktur und Sinn zu verleihen. Viele sind oder waren wohnungslos, alle sind von Armut betroffen. Sie kaufen das Asphalt-Magazin für 1,10 Euro und verkaufen es für 2,20 Euro. Asphalt ist eine gemeinnützige Hilfe-zur-Selbsthilfe-Einrichtung und erhält keinerlei regelmäßige staatliche oder kirchliche Zuwendung. Spenden Sie bitte an: Asphalt gGmbH bei der Evangelische Bank eG, IBAN: DE35 5206 0410 0000 6022 30, BIC: GENODEF1EK1.


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Liebe Leserinnen, liebe Leser, das Internet bietet alles: Crack, Chrystal, Cannabis, Stoff jeg­ licher Art ist dort zu haben. Dazu Research Chemicals, Rat­ schläge, Tipps und digitale Peergroups. Schnelle Hilfe bietet es im Falle einer Überdosis nicht, im Jugendzimmer bleiben die DrogennutzerInnen dann allein. Wir haben mit Investigativ­ journalistin Isabell Beer über ihre Recherchen gesprochen. Und auch über die Möglichkeiten einer umfassenden Legalisierung. Das Interview ist unbedingt lesenswert.

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Auch Fentanyl ist längst in der Szene, in Hannover, Göttingen oder Oldenburg. Vierzig Mal so stark wie Heroin ist das Opiod, das in der Medizin als Superschmerz- und Betäubungsmittel Anwendung findet. Sein Derivat Carfentanyl wird zur Betäu­ bung von Elefanten und Eisbären benutzt. Auf dem Schwarz­ markt sind diese Stoffe billig und beliebt. Und gefährlich: Sie können zu sehr plötzlichen Atemstillständen führen. Wer süch­ tig ist, durchwühlt bisweilen die Mülleimer von Krankenhäu­ sern und Altenheimen, um aus gebrauchten Schmerzpflastern den Rest Stoff auszukochen und sich reinzuziehen. Dosierung? Kaum beherrschbar. Was auf Deutschland da bald in großer Welle zukommen könnte, ist in den USA längst zu besichtigen. Unsere Autorin Ariel Boone hat monatelang Süchtige und Helfende begleitet. Auch diesen Beitrag lege ich Ihnen zur inte­ ressierten Lektüre ans Herz. Und klug ist Politik, wenn sie frühzeitig und vor allem wissen­ schaftsbasiert reagiert. Annehmen was ist, unterstützende Hilfe statt Repression – sagen manche – stehe an. Immerhin: Mehr Beratung hat gerade die Region Hannover genau dazu auf den Weg gebracht.

Eine spannende Lektüre wünscht

Volker Macke · Redaktionsleiter

JUNE

ASPHALT IST OFFIZIELLER MEDIENPARTNER DER

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SEPTEMBER

25,

2022

DOCUMENTA FIFTEEN Kassel

DIE LISTE KÜNSTLER VORAB!


NOTIZBLOCK

Hannover. Mit einer »Sparschwein«-Aktion hat die Landesarmutskonferenz (LAK) Niedersachsen auf die zunehmende Armut in der Gesellschaft auf­ merksam gemacht. Mitglieder der Konferenz hät­ ten dazu in Hannover bunte Sparschweine mit je drei Euro Inhalt unter anderem vor Jobcentern, der niedersächsischen Börse, der Deutschen Bank und dem Landtag aufgestellt, sagte LAK-Geschäftsführer Klaus-Dieter Gleitze. Der Betrag von drei Euro ent­ spricht der Summe, um die der Hartz-IV-Regelsatz zum 1. Januar erhöht werden soll. »Diese Erhöhung deckt noch nicht einmal die Inflation ab«, sagte Gleitze. Allein die Lebensmittelpreise seien wäh­ Foto: LAK

Foto: Diakonie Nds.

Mit Sparschweinen gegen Armut

Protest mit Netz für Migranten Hannover. Den Migrationsberatungsstellen in Niedersachsen droht der Rotstift der Landesregierung. Bis zum Jahr 2023 sind drastische Kürzungen geplant. Als Protest haben Vertreter der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (LAG FW) vor dem Landtag ein Netz gespannt. Symbolhaft für das Netzwerk der rund 200 Migrationsberatungsstellen. »Migra­ tion und Flucht gehören weiterhin zu den vier großen gesell­ schaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre neben Klimawandel, Digitalisierung und Demographie,« so AWO-Be­ zirkschef Marco Brunotte »Die geplanten Kürzungen sind mit den Entwicklungen und Bedürfnissen nicht vereinbar«. Laut Haushaltsplanentwurf sind Kürzungen im Bereich der Migra­ tionsberatung um bis zu 70 Prozent bis 2024 geplant, von aktu­ ell zehn auf drei Mio. Euro. »In den Migrationsberatungsstellen haben wir Fachleute, die sich sowohl in den Rechtsvorschrif­ ten auskennen als auch durch die Betreuung der zugewander­ ten Menschen die sozialen Regeldienste und ehrenamtlichen Strukturen unterstützen«, so Diakonie-Niedersachsen-Chef Hans-Joachim Lenke. Das fördere gelungen die Integration. So­ zialministerin Daniela Behrens (SPD) sagte im Landtags-Ple­ num, sie bedaure, dass es im aktuellen Haushaltsplan für die Jahre 2022 und 2023 nicht gelungen sei, den Wegfall von Bun­ desmitteln für die Migrationsberatung durch Landesmittel zu kompensieren. Das Land habe versucht, wichtige Knotenpunk­ te der Beratungsarbeit abzusichern, aber in der Fläche werde es schwierig, wenn der Haushalt so bleibe. EPD/MAC

rend der Corona-Pandemie um etwa zehn Prozent gestiegen. Hartz-IV-Beziehern stünden für Nah­ rungsmittel nur fünf Euro am Tag zur Verfügung. Das reiche nicht für eine gesunde Ernährung. »Die Energiepreise steigen, die Inflation nimmt immer mehr Fahrt auf«, fügte Gleitze hinzu. Die Landesar­ mutskonferenz fordere eine sofortige Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze um 100 Euro. EPD


Remlingen, Kr. Wolfenbüttel. Der Streit um den Standort ei­ nes Zwischenlagers für die radioaktiven Abfälle, die aus dem maroden Bergwerk Asse II herausgeholt werden sollen, ist noch nicht befriedet. Ein neuer Expertenbericht enthalte »kei­ ne schnellen Antworten«, so Jochen Flasbarth vom Bundesum­ weltministerium. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), die das Atomlager betreibt, hatte 2020 einen Asse-na­ hen Zwischenlager-Standort für die radioaktiven Abfälle aus der Asse ausgewählt. Die Entscheidung stieß bei Anwohnern und Bürgerinitiativen auf massive Kritik. Das Gutachten von externen Fachleuten sollte dann rechtlich und fachlich prüfen und den Streit befrieden. »Ich habe große Hoffnung, dass der Beleuchtungsprozess dazu führt, verloren gegangenes Vertrau­ en wiederzugewinnen und den derzeit ruhenden Beteiligungs­ prozess wiederaufleben zu lassen«, erklärte Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD). In das frühere Salzbergwerk Asse II waren zwischen 1967 und 1978 rund 126.000 Fässer mit schwach und mittelradioaktivem Atommüll sowie chemischen Abfällen eingelagert worden. Nach Einschätzung der BGE sind mehrere Behälter inzwischen zerstört und die Abfälle daraus ausgetreten. EPD

Oldenburg. Der Vorsitzende des Sozialverbands VdK Nieder­ sachsen-Bremen, Friedrich Stubbe, hat einen armutsfesten Mindestlohn von 13 Euro pro Stunde gefordert. »Wir haben ein massives Armutsproblem in unserer angeblichen Wohlstands­ gesellschaft und die Politik schaut tatenlos zu«, sagte er. Stubbe verwies auf Zahlen des statistischen Landesamtes: Danach wa­ ren 2019 rund 16 Prozent der Niedersachsen, das sind etwa 1,26 Millionen Menschen, von Armut bedroht. Bremen belege den traurigen Spitzenreiter-Platz. Dort zählte jeder vierte Einwoh­ ner zu den Armen. Besonders von Armut betroffen sind laut dem VdK-Chef die Kinder. In Niedersachsen gelten 23 Prozent der Kinder als arm, in Bremen sogar rund 42,3 Prozent. Noch immer arbeiteten zu viele Menschen im schlecht bezahlten Niedriglohnsektor, sagte Stubbe. Davon eine Familie zu versor­ gen oder für die spätere Rente etwas zurückzulegen, sei »ein Ding der Unmöglichkeit«. Langfristig müsse die Einkommens­ situation verbessert werden. Hinzu komme eine steigende Zahl von Grundsicherungsempfängern im Alter oder bei Krankheit. Im Jahr 2020 seien mehr als 56.000 Rentnerinnen und Rentner in Niedersachsen und fast 10.000 in Bremen auf staatliche Un­ terstützung angewiesen gewesen. EPD

Durchschnittlich 1.310

Euro geben Eltern in Deutschland für die Betreuung von Kindern unter 14 Jahren aus. Das hat das Statistische BunAnzeige

desamt aus der Einkommensteuerstatistik errechnet:

»Anlage Kind« von 3,2 Mio. Kindern insge-

WOLLNY

Personal GmbH

samt. Bei den unter 3-Jährigen gaben Eltern für 29 % der Kinder Betreuungskosten an. Für 3- bis 5-Jährige

68 % – trotz teilweise beitragsfreier Kindergartenjahre. Im Grundschulalter wurden 44 % und von 11 bis 13 Jahren 10 % der Kinder beitragspflichtig betreut. Betreuung von Krippenkindern betrug im Schnitt 1.710 Euro jährlich. Kindergartenkinder kosteten 1.630

Euro und Hortkinder 940 Euro,

die 11- bis 13-Jährigen 760 Euro im Jahr.

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Mindestlohn von 13 Euro gefordert

ZAHLENSPIEGEL »KRIPPE, KITA & CO«

Weiter Streit um Atomabfälle

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Foto: L. Dreesch

Isabell Beer ist 27 Jahre jung und eigentlich Investigativjournalistin sowie Expertin für Onlinerecherchen.

IM NETZ DER DROGEN »Bis einer stirbt – Drogenszene Internet. Die Geschichte von Leyla und Josh« heißt das kürzlich erschienene Buch von Isabell Beer. Im Asphalt-Interview spricht die Autorin über die beiden Jugendlichen, kritisiert die Drogenpolitik und erklärt, warum wir aufhören sollten, suchtkranke Menschen zu stigmatisieren. Isabell, wieso hast du dieses Buch geschrieben? Ich habe zuerst diese Recherche gemacht über die Drogensze­ ne im Internet und in der Zeit Joshs Leben rekonstruiert, die letzten zwei Jahre über seine Facebookeinträge. Da habe ich alles gesammelt, was er in der Zeit gepostet hat. Es sind über zehn Aktenordner voll. Damals wurde daraus erst einmal ein

Artikel für die Zeit, aber ich dachte da schon, dass man damit eigentlich ein ganzes Buch füllen könnte.

Wie war es für dich, dich inhaltlich in die Drogenszene einzuarbeiten? Zuerst habe ich zum Teil nicht verstanden, um was es ging.


Für alle möglichen Drogen gibt es Extra-Begriffe. Gibt es etwas Positives an der Verlagerung der OfflineIch brauchte dieses Wissen, um mit den Leuten in zur Online-Szene? Kontakt zu kommen. Sonst denken sie ja: »Das ist ja Auf der einen Seite hat man keinen direkten Kontakt zu den voll lächerlich. Warum sollte ich mit der sprechen, Leuten aus der Szene. Wenn man sich die Drogen einfach nach wenn sie noch nicht einmal die Begriffe kennt?« Hause bestellt, fällt dieser Kontaktpunkt weg. Das kann vor al­ Dann wurde es langsam einfa­ lem für Frauen für ein gewisser Schutz sein. cher, weil ich dann eine Person Auf der anderen Seite macht es das aber Kein Mensch postet hatte, die mit mir gesprochen auch gefährlich, denn viele konsumieren und den anderen zu verstehen dann allein zu Hause und es ist niemand sich, wie er gerade gegeben hat: »Die ist korrekt.« dabei, der den Notarzt rufen kann, sollte auf Entzug kotzt. Trotzdem gab es auch einige, die was schiefgehen. Was noch hinzukommt: gar nicht mit mir sprechen woll­ Wenn ich mich in der »klassischen« Dro­ ten. Ich habe es respektiert, wenn sie nicht darüber genszene bewege und tagtäglich mit den Leuten zu tun habe, oder über Josh reden wollten. Für manche war es dann sehe ich die Verfallserscheinungen, die negativen Seiten auch ziemlich schmerzhaft, weil sie mit Josh einen der Sucht. Und die sehe ich Online eben nicht. Kein Mensch Freund verloren haben. Es war auch ein sehr großes postet sich, wie er gerade kotzt auf Entzugserscheinungen, Misstrauen da, was ich verstehen konnte, weil durch man teilt nur die positiven Sachen. Da fehlt die Darstellung der unsere Drogenpolitik die KonsumentInnen krimi­ negativen Seite. nalisiert werden. Da hatten manche einfach Angst vor der Polizei. Es liest sich heraus, dass dein Anspruch war, möglichst

Wie konntest du den Leuten, die anfangs skeptisch waren, die Angst nehmen? Ich habe allen gesagt: »Mich interessiert nicht, was du gemacht hast. Ich möchte was über die Szene wissen, ich will was über Josh wissen.« Ich habe den Leuten auch versichert, dass ich nichts an die Polizei weitergebe.

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nüchtern und objektiv zu schreiben. Stimmt das? Wie konntest du dem gerecht werden? Ja, das stimmt. Mir war es wichtig, die wahre Geschichte zu er­ zählen. Viele Leute, unter anderem Leyla, haben mir gesagt, dass sie das alles magisch und anziehend fanden, was sie in Drogenberichten gesehen haben. Dann hatte ich einfach nur Angst, dass Leute mein Buch als Anlass nehmen, selbst irgend­ was auszuprobieren. Das kann trotzdem noch passieren, das ist mir inzwischen auch bewusst, nur am Anfang war das ziemlich lähmend, weil ich dachte: »Fuck, was mache ich jetzt?« Dann ist mir aber klar geworden: Es gibt Sachen, die ich tun kann. Ich kann erklären und neutrale Informationen bereitstellen. Es bringt nichts, wenn ich alles total furchtbar darstelle. Ich wollte es so darstellen, wie es ist. Ich hoffe, dass sich die Leute mit dem Thema auseinandersetzen und ihre eigene Meinung bilden.

Was würde Aufklärung über sichereren Drogenkonsum (Safer Use) verhindern?

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Vor allem Unwissenheit. Online fragen viele: »Wieviel kann ich davon nehmen?« Aber sie bekommen darauf keine guten Antworten. So entsteht dann eine riesige Gefahr, die es nicht bräuchte, wenn die Leute wüssten, wie sie sicherer konsumie­ ren können. In den Gruppen kursierten sehr viele Falschinfos. Wirkungen wurden unterschätzt, Leute haben Sachen mitein­ ander kombiniert, die gefährlich sind und wussten nicht, dass das Wechselwirkungen haben kann. Genau diesen Sachen könnte man vorbeugen, indem man Leute gut informiert und ihnen sagt: »Das sind die Dinge, die du beachten musst, wenn du dich für den Konsum entscheidest.« Es gibt ein paar kleine Regeln, die schon viel bewirken können.


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8 Foto: Impact Photography/shutterstock.com

Konsumraum Internet In den letzten Jahren hat sich die Drogenszene immer weiter ins Internet verlagert. Schon längst braucht man keinen Zugang zum Darknet mehr, um online Drogen zu kaufen. Das funktioniert inzwischen ganz einfach auch über Instagram, Facebook und Telegram. Ob Crack, Heroin, Chrystal Meth oder doch »nur« Cannabis, online kann jede und jeder alles bekommen – auf Volljährigkeit der KonsumentInnen wird dabei so gut wie nie geachtet. Der Rat der Europäischen Union stellte schon 2017 fest, dass Drogenkäufe über das Surface Web (öffentlich zugängliche Webseiten), Soziale Medien und auch das Darknet zunehmen. Europol meldete 2019 ebenfalls einen wachsenden Onlinehandel mit Cannabis und hochpotenten, synthetischen Opioiden. »Ein Weg ist, mit den Auslieferern zu sprechen und Pakete und Briefe zu kontrollieren, das ist allerdings sehr aufwändig«, so Landesdrogenbeauftragte Bärbel Lörcher-Straßburg. »Man muss die Stoffe durch eine Laboranalyse überprüfen und dazu braucht man einen begründeten Verdacht. Andernfalls können die Kontrollen nur mithilfe der Freiwilligkeit der Versender erfolgen.« Ein großer Teil des Online-Drogenhandels erscheint zunächst nicht einmal illegal: Sogenannte »Legal Highs« werden getarnt als Badezusätze oder Räuchermischungen und an die KonsumentInnen verschickt. Legal sind sie allerdings nicht. »Anfangs wurden einzelne chemische Verbindungen verboten, dann wurden die Verbindungen leicht verändert und die neuen waren wieder legal«, berichtet Lörcher-Straßburg. »Mittlerweile ist das Neue-psychoaktive-Substanzen-Gesetz (NpSG) so ausgerichtet, dass ganze Stoffgruppen verboten sind.« Unter das NpSG fallen auch sogenannte »Research Chemicals« (RCs). Dabei handelt es sich um angebliche Reinstoffe, die noch »erforscht« werden: Das bedeutet, dass kaum jemand weiß, wie sie wirken, welchen Schaden sie anrichten können oder wann eine potentiell tödliche Dosis erreicht ist. KonsumentInnen können also nicht abschätzen, welche Wirkung noch »normal« bzw. gewollt ist und wissen nicht, wann es Zeit ist, den Notruf zu wählen. Und selbst wenn sie wegen einer Überdosis RCs im Krankenhaus landen, wissen die behandelnden ÄrztInnen meist nicht, mit was für einer Substanz sie es zu tun haben und können häufig kaum etwas für die PatientInnen tun. LD

Protagonistin Leyla war lange heroinabhängig, ist nun aber nach eigener Aussage clean.

Einen Teil dieser Nachfrage wolltest du mit dem SaferUse-Part am Ende des Buchs decken? Ich wollte etwas anderes bieten als das, was den Drogenkon­ sum so gefährlich macht. Im Moment ist es so, dass zu Drogen­ aufklärung an einigen Schulen – das habe ich dann auch in den Drogengruppen gelesen – die Polizei kommt. Das sind nicht die Leute, denen man sich anvertraut. Das führt dann auch nicht dazu, dass Jugendliche wissen, wie sie verantwortungsbewuss­ te Entscheidungen in dem Bereich treffen können. Jugendliche werden heutzutage einfach mit dem Thema konfrontiert, es wird ihnen irgendwann angeboten werden. Dann ist es doch wichtig, dass ich vorher die Informationen habe, damit ich mich ganz bewusst dafür oder dagegen entscheiden kann. Und wenn ich mich dafür entscheide, weiß ich zumindest, wie ich das so machen kann, dass ich mich nicht direkt damit umbringe.

Hattest du während der Recherche selbst mal den Wunsch, die Drogen, über die du schreibst, auszuprobieren? Dadurch, dass ich selbst mal ein (Alkohol-)Problem hatte, war für mich schon vor der Recherche klar: Ich möchte das nicht. Es hat mir geholfen, viele Informationen zu dem Thema zu ha­ ben, sodass ich wusste, welche Streckmittel worin enthalten sind. Das waren Informationen, auf deren Grundlage ich eine Risiko-Nutzen-Abwägung machen und sagen konnte: Ne, das ist es mir nicht wert. Aber es gab eine Situation, als ich das ers­ te Interview mit Leyla hatte. Sie hat mich dann mitgenommen

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Menschen wenig Geltung.

Foto: Picture-Alliance/imageBROKER | Rudolf

Auf der Platte haben optisch oder seelisch zarte

Durch Stigmatisierung wird es für KonsumentInnen nur viel schwieriger, da wieder herauszukommen.

zur Toilette, weil sie Heroin kon­ sumieren wollte. Sie saß dann vor mir und hat das ausgepackt. Da dachte ich: Es ist echt heftig, wie harmlos das auf einen wirken kann. Damit habe ich einfach nicht gerechnet. Da ist mir bewusst geworden: Wenn ich ein Teenager wäre und wir befreundet, könnte das auch ganz anders ausgehen. Da habe ich das erste Mal verstanden, warum Menschen das machen.

Wie hat sich die Sicht auf dein eigenes Alkoholproblem in deiner Schulzeit verändert? Nachdem ich damals (auf Klassenfahrt) fast gestor­ ben war und ich einfach nur Glück gehabt hatte, in der Nacht nicht an meiner Kotze erstickt zu sein, habe ich zwar eine Weile auf Alkohol verzichtet, aber keiner hat von mir erwartet, das dauerhaft zu tun. Das finde ich schon krass. Damals gab es zwar Diskussionen über Strafen und Konsequenzen, aber hätte ich dort Heroin konsumiert, wäre das wahr­ scheinlich nochmal anders ausgegangen. Im Nach­ hinein ist mir bewusst geworden, dass ich genau das gemacht habe, was ich bei vielen Jugendlichen in der Szene beobachtet habe. Wenn man sie fragt, warum sie angefangen haben, Drogen zu nehmen, antworten sie mit »Schmerz«, »ich hatte Probleme

in der Familie« und »es gab Sachen, über die ich nicht reden konnte«. Und gerade Letzteres war bei mir auch der Auslöser.

Welchen Rat würdest du Schulen geben, um angemessener mit sowas umzugehen? Ich glaube, es ist wichtig, auf Jugendliche zuzugehen. Es war bei mir sehr offensichtlich, dass ich nicht konsumiert habe, weil ich Spaß haben wollte. Ich habe alleine getrunken. Dann sollte man sagen: »Hey, ich sehe, du hast Probleme und ich möchte, dass es dir besser geht. Was kann ich tun?« Es sollte eher Hilfsangebote geben. Ich finde es sehr sinnvoll, dass es an einigen Schulen auch SozialarbeiterInnen gibt, denen man sich anvertrauen kann.

Hat sich während deiner Recherche deine Meinung zur Drogenpolitik geändert? Ganz am Anfang hatte ich noch eine ganz andere Einstellung zur Drogenpolitik in Deutschland und fand es gut, dass Sachen verboten sind. Da habe ich mit einem Toxikologen gesprochen, der mir gesagt hat: »Eigentlich sollte man alles legalisieren.« Und ich dachte so: »What the fuck, was soll denn das?« Dann, nach ein paar Jahren Recherche, habe ich diesen Gedanken verstanden, weil ich gemerkt habe, welche Auswirkungen die Kriminalisierung hat. Dass sie den Leuten nicht hilft, dass sie nicht verhindert, dass Menschen sterben. Ich glaube, selten hat eine Recherche dazu geführt, dass ich meine Meinung zu etwas so sehr geändert habe.


Wie sollte mit suchtkranken Menschen umgegangen werden?

Man muss sich fragen: Worum geht es uns? Geht es uns darum, zu verhindern, dass Menschen Drogen nehmen? Das schafft man nicht. Geht es darum, dass Menschen geschützt sind und weniger Menschen sterben? Da kann man Ansätze finden. Man sollte sich angucken, was andere Länder machen: 2001 hat Portugal KonsumentInnen entkriminalisiert. In Deutschland kamen letztes Jahr 19 Drogentote auf eine Million Einwohne­ rInnen und in Portugal waren es mit den letzten Daten, die ich nachvollziehen konnte, sechs (5,35 in 2018). Da sieht man, dass die Entkriminalisierung dazu geführt hat, dass die Zahl gesun­ ken ist. Kriminalisierung bedeutet, man bringt Leute in den Un­ tergrund, sodass sie sich nicht trauen, offen zu sprechen und länger brauchen, sich Hilfe zu suchen. Dann muss man sich fragen: Sind denn Menschen, die Drogen konsumieren, direkt Kriminelle? Alkohol ist auch eine Droge und wenn sie nicht le­ gal wäre, wäre fast jeder von uns kriminell. Ob das so sinnvoll wäre? Dann gibt es zum Beispiel in der Schweiz und in Öster­ reich bereits Drug Checking Stellen, wo KonsumentInnen ihre Sub­stanzen auf Inhalts- und Streckstoffe testen lassen können. Auch das halte ich für einen sehr guten Ansatz. Legalisierungen werden auch von einigen ExpertInnen gefordert. Es gibt auch Erkenntnisse aus anderen Ländern, anhand derer man schauen kann: Was funktioniert gut, was funktioniert nicht so gut? Was wäre dann sinnvoll für Deutschland?

Wenn man Leute dafür verurteilt, dass sie konsumieren, versu­ chen sie, das geheim zu halten und bringen sich so noch mehr in Gefahr. Ich fand es krass zu sehen, wie andere Menschen auf suchtkranke Menschen reagieren. Einmal, als ich mit Leyla un­ terwegs war, wurde eine Frau, die offenbar suchtkrank war, aus einem Drogeriemarkt geworfen. Man hat die Frau nicht mehr behandelt wie einen Menschen, sondern als wäre sie Ungezie­ fer. Das fand ich heftig. Ein anderes Mal kam, nachdem ich den Zeit-Artikel über Josh geschrieben hatte, eine Ärztin auf mich zu und meinte, man solle Menschen wie Josh ihrem Schicksal überlassen und dass es doch nur verschwendete Zeit sei. Durch Stigmatisierung wird es für KonsumentInnen nur viel schwieri­ ger, da wieder herauszukommen. Wenn man Leute dafür ver­ urteilt, was sie machen, versuchen diese, das dann geheim zu halten und bringen sich so noch mehr in Gefahr. Laureen Dreesch

Weblinks und Telefon Informationen zu Safer Use unter: https://www.safepartypeople.de/home/ Drogenkonsum-Selbsttests: https://www.drugcom.de/tests/selbsttests/ Hilfsangebote: https://mindzone.info/beratung/ Telefonseelsorge: 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222

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Was würdest du dir nach deiner Recherche von der Drogenpolitik der Bundesregierung wünschen?

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Foto: REUTERS/Brian Snyder

DRUG-BAY Kalifornien kämpft mit einer Überdosis-Krise. Covid 19 hat sie verschärft. Und viele Betroffene sind obdachlos. Kleine Organisationen kämpfen für eine Politik und Praxis der Schadensbegrenzung. Und stoßen auf Skepsis des Establishments. Ein Blick in die Zukunft. Und aufs »Ende der Straße« – von San Francisco. Als Thad das Bewusstsein wiedererlangte, sah das Licht anders aus und sein Körper schmerzte. Er erinnert sich, dass er auf­ stand und in seinem Lager herumlief, wo ihn ein Freund an­ sprach und ihm sagte, er sehe ziemlich krank aus. Ihn überkam Übelkeit und er erbrach sich in einer Toilette, dann versuchte er sich hinzulegen. Er hatte gerade seine erste Opioid-Überdosis nach dem Rauchen von Fentanyl überlebt. Die Frau, mit der er geraucht hatte, verabreichte ihm das Medikament Narcan, um ihn wiederzubeleben und seine Atmung wieder in Gang zu set­ zen. Jetzt war er auf Entzug. »Im Nachhinein war es irgendwie beängstigend, daran zu denken, weil ich gesehen hatte, wie es anderen Menschen erging«, sagt Thad.

Thad ist einer von Tausenden von Obdachlosen, die in Ala­ meda County an der San Francisco Bay in Kalifornien mit den folgen ihres Drogenkonsums zu kämpfen haben. Das Land ist aktuell mit einer dreifachen Krise konfrontiert: Obdach­ losigkeit, Pandemie und jetzt auch noch eine Drogenkrise, die historische Ausmaße erreicht hat. Im Jahr 2019 starben in den Vereinigten Staaten etwa 50.000 Menschen an einer Opi­ oid-Überdosis, bevor die USA in den Covid-Lockdown eintra­ ten. Nach vorläufigen Schätzungen der CDC, einer Behörde des US-amerikanischen Gesundheitsministeriums, stieg diese Zahl im Jahr 2020 auf 69.000 Menschen. In Kalifornien wuchs die Zahl der Todesfälle durch Opioidüberdosierungen im 12-Mo­


Verschärfung der Krisen Als die Bay Area im März 2020 in den Pandemiezustand ver­ setzt wurde, war Thad 34 Jahre alt, lebte ohne Obdach in Oak­ land und nahm Opioide. »Sie sagten uns, wir sollten so weit wie möglich in unserer isolierten Gruppe bleiben und nicht mit an­ deren Lagern interagieren, was irgendwie unmöglich ist, wenn man versucht, Geld zu haben, und als Drogenabhängiger«, sagt Thad. »Ich fühlte mich irgendwie allein, oder als würden wir einfach zurückgelassen werden.« Es dauerte zwei Monate, in denen sich die BewohnerInnen und Sozialarbeiter aufregten und Druck ausübten, bis die Stadt dort, wo er wohnte, Hand­ waschstationen aufstellte. Die Wohnsituation ist untrennbar mit der Überdosis-Krise verbunden. Bei der letzten Zählung in Alameda County im Jahr 2019 gaben 30 Prozent der befragten Wohnungslosen an, dass sie mit Drogen- oder Alkoholkonsum zu tun haben. Nicht alle wohnungslosen Menschen nehmen Drogen. Aber für diejenigen, die es tun, ist das Leben ohne Ob­ dach oft ein Katalysator. »Die Menschen können sich in Alkohol, Drogen und allem Möglichen verlieren, denn das ist keine menschliche Lebens­ weise«, sagt Ana, eine Obdachlose aus Berkeley, deren Freund im Juni an einer vermuteten Überdosis gestorben ist. »Wir müs­ sen berauscht sein, um das zu ertragen, was wir ertragen.« Die nationalen Raten von Opioid-Überdosierungen waren noch nie so hoch wie heute, und während der Pandemie hat sich die Krise messbar verschärft. In den gesamten Vereinigten Staaten schienen sich die Todesraten durch Opioide zu stabilisieren und von 2017 bis 2018 sogar leicht zu sinken. Im Herbst 2019 begannen sie dann zu steigen. Und ab März 2020 schossen sie in die Höhe. In Alameda County zeigen die Daten das Gleiche: Todesfälle und Besuche in der Notaufnahme aufgrund von Opi­ oid-Überdosierungen sind weiter angestiegen, wobei sie in den Monaten, in denen die COVID-Abriegelungen begannen, in die Höhe schnellten.

Das ist kein Zufall Savannah O‘Neill hat ihren Finger am Puls der Überdosis-Prä­ vention in den Vereinigten Staaten. Und Anfang 2020 war sie nervös, weil die Zahl der Überdosen und Todesfälle zunahm. Bei der National Harm Reduction Coalition setzt sich O‘Neill für die Ausweitung kostenloser Spritzenprogramme und Dienstleistungen für DrogenkonsumentInnen in ganz Kalifor­ nien ein. Sie befürchtete, dass die Anforderungen an die soziale

Distanzierung und die Angst vor COVID die Men­ schen dazu bringen könnten, Drogen allein statt mit Freunden oder in Gruppen zu konsumieren. Allein zu konsumieren bedeutet, dass niemand anwesend ist, um jemanden nach einer Überdosis mit dem Medikament Narcan wiederzubeleben. Corona hat gefährdeten Gemeinschaften den Boden unter den Füßen weggezogen. Menschen ohne festen Wohnsitz, die zuvor bei Freunden oder Verwandten auf der Couch übernachtet hatten, wur­ den möglicherweise aufgefordert, zu gehen, als das Virus ausbrach. Bibliotheken wurden geschlossen, und mit ihnen verschwanden auch Toiletten und Ladestationen, ebenso wie Orte, an denen die Men­ schen duschen und ihre Wäsche waschen konnten. »Alle Menschen, wir alle, unabhängig von Dro­ genkonsum, sind auf Routinen angewiesen, um uns zu stabilisieren. Wenn diese Routine unterbrochen wird, besteht die Gefahr einer Überdosis, eines er­ höhten Drogenkonsums, verschiedener Arten des Drogenkonsums und eines riskanteren Verhaltens«, erklärt O‘Neill. Wie könne ein Obdachloser ohne drahtloses Internet und einen Ort zum Aufladen an einem 12-Schritte-Treffen zur Suchtbekämpfung teilnehmen, das jetzt online stattfindet? Außerdem sei die Pandemie eine kollektiv traumatisierende Erfahrung, sagt sie. »Und was wir über Trauma und Drogenkonsum wissen, ist, dass sie wirklich mitei­ nander verbunden sind. Traumatische Ereignisse, Isolation, Verlust des Arbeitsplatzes, der Tod eines geliebten Menschen – all das kann den Drogenkon­ sum auslösen, und zwar sowohl bei Menschen, die Drogen nehmen, als auch bei solchen, die seit Jah­ ren nüchtern sind.« Aber es geht nicht nur um die Pandemie. Auch die Drogen, die auf der Straße an­ geboten werden, verändern sich.

Teufelszeug Fentanyl Fentanyl ist ein 1959 entwickeltes Schmerzmittel, das heute in Krankenhäusern bei starken Schmer­ zen und nach Operationen verschrieben wird. Aber fast der gesamte Straßenhandel wird in illegalen Labors hergestellt. Fentanyl, das etwa 40 Mal stär­ ker als Heroin und bis zu 100 Mal stärker als Mor­ phium ist, kann mittlerweile überall in der Bay Area gekauft werden, ist im Straßenhandel zunehmend in gepressten Pillen und Stimulanzien wie Meth und Kokain versteckt. »Fentanyl ist billiger als eine

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nats-Zeitraum zwischen Februar 2020 und Januar 2021 im Ver­ gleich zum Vorjahr um 72 Prozent.

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Heroin bringt nix mehr »Der Grund, warum ich Fentanyl nehme, ist, dass ich es leid war, Nadeln zu benutzen«, sagt Kory, ein an­ derer wohnungsloser Bewohner von West Oakland, der manchmal als Werbeblattverteiler arbeitet. Mit der Zeit wurde es für Korys Körper immer schwieri­ ger, Heroin zu injizieren. »Wenn ich versuchen wür­ de, Heroin zu rauchen, wäre das überhaupt nicht be­ friedigend. Aber wenn ich Fentanyl rauche, spüre ich es«, sagt er, »und die Sache mit den Nadeln ist einfach ein Albtraum, wenn man keine tauglichen Venen mehr hat.« Obwohl er selbst Fentanyl konsumiert, möchte er andere davor warnen, damit anzufangen, denn es sei sehr gefährlich für jeden, der nicht schon lange dabei ist. »Habt immer etwas Narcan bei euch«, rät Kory. »Ihr könntet ein Leben retten.« Thad sagt, dass er hofft, den Konsum von Fen­ tanyl einstellen und eine medikamentengestützte Behandlung ausprobieren zu können. Er beschreibt

den Konsum von Fentanyl als »eine Art Grätsche vor dem Tod. Es ist das Ende der Straße«, sagt er. Synthetische Opioide wie Fentanyl haben in den letzten Jahren die Zahl der Todesfälle in die Höhe getrieben und wa­ ren in den 12 Monaten bis Januar 2021 für 83 Prozent der töd­ lichen Opioidüberdosierungen in den USA verantwortlich. Im Vergleich dazu sind die Todesfälle durch Heroin seit 2015 rela­ tiv konstant geblieben oder sogar zurückgegangen. In Alame­ da County sehen die Zahlen ähnlich aus. Nach den neuesten verfügbaren Daten steigt die Rate der tödlichen Überdosierun­ gen durch synthetische Opioide immer weiter an. Anfang 2020 veröffentlichte das Alameda County Public Health Department einen Gesundheitshinweis zu Fentanyl-Überdosierungen, in dem von einer »zunehmenden Zahl mut­ maßlicher Fentanyl-Überdosierungen bei Personen ohne Opioid-Konsum in der Ver­ Vor fünf Jahren gangenheit, wie Kokain- und Methampheta­ starb »Prince« min-Konsumenten« berichtet wurde. an FentanylZurzeit könnten alle auf der Straße gekauf­ Missbrauch. ten Drogen Fentanyl enthalten. Das bedeutet, dass viele Menschen Fentanyl unbeabsichtigt konsumieren, was häufig zu einer Überdosis führt. Seth Gomez, leitender Apotheker bei Alameda County Healthcare for the Homeless, sagt, zu den Risikofaktoren für eine Überdosis gehöre jetzt auch der Konsum von »jeder Dro­ ge, die auf der Straße erworben wurde.« »Viele Leute sagen, es sei einfach mehr gestreckt worden, es sei nicht mehr so gut«, sagt Alejandra Del Pinal von den West Oakland Punks With Lunch, einer ehrenamtlichen Gruppe für Harm Reduction, die an Obdachlose wie Thad und Kory Hilfsmittel für einen sichere­ ren Drogenkonsum verteilt: Hygieneartikel, Lebensmittel und

Foto: REUTERS/Shannon Stapleton

Heroinsucht«, sagt Thad. Und spekuliert, dass sich angesichts der weit verbreiteten und zunehmenden Armut während der Pandemie mehr Menschen da­ für entscheiden, es zu nehmen. Mit anderen Worten: Je mehr Fentanyl und andere synthetische Drogen in das Drogenangebot eindringen, desto mehr Men­ schen beginnen, diese regelmäßig zu konsumieren. Thad begann Anfang 2020 mit dem Konsum von Fentanyl. Beim zweiten oder dritten Mal Rauchen habe er erstmals eine Überdosis genommen. Zu ei­ ner Überdosis kommt es, wenn die physiologischen Wirkungen einer Droge die Toleranzgrenze des Körpers überschreiten und die Fähigkeit des Kör­ pers, sich selbst am Leben zu erhalten, überfordern. Bei einer Opioid-Überdosis wird die Atmung einer Person flach und langsam. Der Sauerstoffgehalt sinkt in gefährlicher Weise. Eine Überdosis endet jedoch nicht immer tödlich – es gibt ein Zeitfens­ ter nach der Einnahme einer tödlichen Dosis Opi­ oide, in dem das Medikament Naloxon eine Person wiederbeleben kann. Dieses Medikament mit dem US-Handelsnamen Narcan versetzt die betreffende Person sofort in einen Entzug, indem es die Opioi­ de von den Rezeptoren im Gehirn verdrängt und für 30 bis 90 Minuten deren Platz einnimmt. »Ich hatte im letzten Jahr dreimal eine Überdosis, so dass ich mit Narcan wieder ins Leben zurückgeholt werden musste«, erzählt Thad.

Eine halbe Million Menschen leben derzeit in den USA auf der Straße. Wie hier in San Francisco.


fahrzeug. HEPPAC ist eines der wenigen Spritzen-

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mobilen HEPPAC-Einsatz-

Foto: Ariel Boone

Michaella Jones verteilt sterile Spritzen aus dem

austauschprogramme in Alameda County für

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Obdachlose, die Drogen konsumieren.

Punks mit Pfeifen und Balsam Harm-Reduction-Gruppen bieten einen wichtigen Dienst an – Gesundheitsversorgung, ohne zu urteilen, in den Vierteln, die sie am meisten brauchen. »Ich finde, sie leisten großartige Ar­ beit«, sagt LG aus Oakland, der von Punks With Lunch beliefert wird. »Sie haben die Einstellung eines proletarischen Arbeiters. Sie nehmen dich an, wie du bist.« Eine Frau fährt in einem Auto vor. »Hey, Opa!«, ruft sie. Ein älterer Mann, der eine braune Pa­ piertüte mit Vorräten in der Hand hält, winkt ihr zu, steigt ins Auto und sie fahren gemeinsam los. Eine andere Frau steht in der Schlange, um Kondome für ihre Enkeltöchter zu besorgen. Einige kommen auf Fahrrädern, andere zu Fuß oder in Autos mit Freunden. Die Schlange bewegt sich schnell, als die Sonne untergeht. Innerhalb von zwei Stunden kommen mehr als fünf Dutzend Menschen an der mobilen Versorgungsstation vorbei und erhalten Spritzen, Narcan, Pfeifen und Wellness-Zubehör, darunter Tinkturen und Balsam für Hautwunden, die durch in­ jizierenden Drogenkonsum entstanden sind. COVID-19 wird durch Speichel übertragen, weshalb die Befürworter darauf hinweisen, dass man beim Rauchen keine Pfeifen mit anderen teilen sollte. »Es ist Pfeifenwoche«, verkündet ein Schild.

Foto: Ariel Boone

Narcan. »Da wurden Zusätze oder unerwünschte Substanzen hineingemischt. Die Leute nehmen eine Überdosis, und das ist einfach eine Schande, weil es quasi aus Versehen geschieht.«

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Michaella Jones sitzt in einem Wohnmobil, mit zwei Masken und sterilen Handschuhen. Mit einem sauberen Behälter für gebrauchte Spritzen in der Hand ist sie bereit für ihren nächs­ ten Besucher. Eine Schlange von neun Personen steht von dem Wohnmobil, das in einer Sackgasse in Fruitvale geparkt ist, bis zu einem Autoreparatur-Parkplatz auf der anderen Straßensei­ te. Jones ist die Koordinatorin für Überdosisprävention, Auf­ klärung und Naloxon-Verteilung bei beim Präventionsprojekt HEPPAC, ebenfalls eine so genannte akzeptierende Drogenar­ beits-Organisation. Die ganze Woche über entsendet HEPPAC


Foto: Amir Aziz/The Oaklandside

»Die Leute nehmen eine Überdosis quasi aus Versehen«, sagt Alejandra Del Pinal von den West Oakland Punks With Lunch.

MitarbeiterInnen in die Städte und Landstriche, um Hilfsmittel zu verteilen. Mit dem erklärten Ziel, die Übertragung von HIV und Hepatitis C unter DrogenkonsumentInnen in der East Bay einzudämmen. Sie gehören zu einer kleinen Gruppe von Sprit­ zenaustauschprogrammen in Alameda County, die auf die Stra­ ße gehen, um ihre Dienste in historisch ausgeschlossenen und entrechteten Stadtvierteln anzubieten.

20 Rettungen pro Woche Punks With Lunch hat einen starken Anstieg der Nachfrage nach den von ihnen angebotenen Dienstleistungen festge­ stellt. Del Pinal erzählt, dass die Freiwilligen in einer Woche zu Beginn der Pandemie 16.000 Spritzen verteilten, also etwa doppelt so viele wie zu diesem Zeitpunkt üblich, und viel mehr Schachteln mit Narcan. »Eine Zeit lang verzeichneten wir ei­ nen enormen Anstieg der gemeldeten Überdosis-Rettungen. Es waren teils mehr als 20 in einer Woche, das war wirklich ver­ rückt«, sagt Del Pinal. Ein anonym produziertes Heft mit dem Titel »Harm Reduction for People Who Use Drugs and Don‘t Wanna Get Sick With Covid-19« gibt praktische Ratschläge: Le­ gen Sie einen Vorrat an Medikamenten an, wenn Sie befürch­ ten, dass die Versorgung unterbrochen wird; besorgen Sie sich Gesundheitsvorräte, um mit den Entzugserscheinungen fertig zu werden; bitten Sie Ihren Arzt um zusätzliche Monatsrezepte für Medikamente, die Sie mitnehmen können. Sie schlug auch

vor, die Lieferanten zu bitten, keine Drogenbeutel im Mund zu tragen, und riet davon ab, Pfeifen und Bongs gemeinsam zu benutzen. »Selbst wenn man sich in der chaotischsten Pha­ se des Drogenkonsums befindet und es nur darum geht, high zu werden oder die Droge zu bekommen, zeigt die Tatsache, dass man zum Spritzentausch kommt, dass man auf sich selbst achtet«, sagt Braunz E. Courtney. Er ist der geschäftsführende Direktor von HEPPAC. »Das zeigt sehr gut, dass die Leute sich um ihre Gesundheit kümmern wollen, auch wenn sie von anderen als Abhängige stigmatisiert werden.« Die so genannte akzeptierende Drogen­ arbeit von HEPPAC und den Punks wird allerdings häufig von staatlichen Entscheidungen behindert. Konsum und Herstellung von Drogen werden in den Untergrund gedrängt, wo Drogen verändert oder mit anderen Substanzen gestreckt werden können. Und Drogengesetze bestrafen Menschen, die Dro­ gen konsumieren, und Obdachlose werden so stän­ dig Zielscheibe von Verhaftungen. »Der Krieg gegen die Drogen hat schwerwiegende Auswirkungen auf unsere Leute«, sagt Del Pinal. »Sie sind am meisten davon betroffen. Sie sind diejenigen, die unter Infek­ tionen leiden. Alles, was das Stigma aufrechterhält, die ganze Kriminalisierung von Menschen, das ist die Wurzel des Problems.«

Kalifornien zuckt … Als sich die Überdosis-Krise während der Pandemie zuspitzte, lockerten Regierungsbeamte auf loka­ ler und bundesstaatlicher Ebene einige Beschrän­ kungen für den Zugang zu sterilem Material, zum Spritzentausch und zur Drogenbehandlung. Der Bundesstaat Kalifornien entschied sich dazu, nicht vorzuschreiben, dass die COVID-Notunterkünfte »trocken« sein müssen: In den Motels der Notunter­ künfte war es den Bewohnern gestattet, zu trinken und Drogen zu konsumieren. Die Substance Abuse and Mental Health Services Administration, ein Teil der Bundesregierung, lockerte die Zulassungs­ beschränkungen für Ärzte, die das Medikament Buprenorphin zur Behandlung von Opioidabhän­ gigkeit verschreiben wollen, und erlaubte zum ers­ ten Mal die Verschreibung via Telemedizin. Die sogar zurückgehenden Daten zur Verschrei­ bungspraxis von Buprenorphin an der Bay seit Ende 2019 indes zeigen: Menschen mit Opioidkonsum


… und Biden wartet Und bundesweit? Die Trump-Regierung hatte immer damit gedroht, alle Städte, die solche Einrichtungen eröffnen, straf­ rechtlich zu verfolgen und verklagte eine gemeinnützige Orga­ nisation in Philadelphia, die die Eröffnung einer Einrichtung plante. Es ist noch nicht klar, was Präsident Biden tun wird. Die neue Regierung hatte dem Kongress im März eine Liste ihrer Prioritäten im Bereich der Drogenbekämpfung vorgelegt, die unter anderem die »Verstärkung evidenzbasierter Maßnahmen zur Schadensbegrenzung« vorsieht. Aber Biden verlängerte auch eine wenig bekannte Politik, die Menschen, die syntheti­ sche Opioide, die mit Fentanyl verwandt sind, besitzen, herstel­ len oder verkaufen, präventiv kriminalisiert. BefürworterInnen sagen, dies sei eine Fortsetzung der gescheiterten Politik des Krieges gegen die Drogen. Und die bisherigen Verhaftungsda­ ten der Bundesbehörden zeigen, dass die Personen, die wegen Fentanyl verurteilt werden, überproportional häufig schwarz

sind. Es ist nicht nur eine Frage der Drogenbekämpfungspolitik. Um die Zahl der Überdosen in den USA wirksam zu reduzieren, müssten sich die Gesetzgeber auf Bundes- und Landesebene auch mit dem Problem des bezahlbaren Wohnraums befassen. Geschätzt 8.000 Menschen sind allein in Alameda County ohne eigene Wohnung. Savannah O‘Neill von der Harm Reduction Coalition sagt, Wohnraum sei »wahrscheinlich das, wonach die TeilnehmerInnen an Programmen zur Schadensminimierung am meisten fragen.« Eigener Wohnraum »würde das Leben der Menschen am meisten verändern«. Doch im Kongress ist der­ zeit keine groß angelegte Hilfe für die rund halbe Million Men­ schen ohne Wohnung in den USA in Sicht.

Alejandras Traum Hätten die USA nicht eine so enorme Krise der Obdachlosig­ keit, die Hunderttausende dem Stress der Obdachlosigkeit aussetzt, sähe auch die Überdosis-Krise ganz anders aus, sind sich die Hilfsorganisationen sicher. Staatliche Maßnahmen zur sofortigen und dauerhaften Unterbringung von Menschen, die Beendigung des Krieges gegen Drogen und die Aufstockung der Mittel für aufsuchende Straßenprogramme würden die Tür zu Maßnahmen öffnen, die Überdosierungen wirksam verhin­ dern könnten. »Wenn Drogen legalisiert würden – wenn ich groß träume – und die Menschen absolut sicher versorgt wer­ den könnten, wäre das eine wunderbare Sache. Es würde so viele Leben retten und auch die Lebensqualität der Menschen so sehr, so drastisch verbessern«, sagt Alejandra Del Pinal von Punks With Lunch. Ariel Boone/Street Spirit Mit freundlicher Genehmigung von INSP.ngo

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haben immer noch erhebliche Hindernisse beim Zugang zu einer Behandlung. Die Lockerung der Vorschriften kratzte nur an der Oberfläche der Art von ganzheitlichen Maßnahmen. In die ehrenamtlichen Gruppen zur Schadensminimierung (Harm Reduction) wie etwa die Punks With Lunch oder HEP­ PAC wurde nicht investiert. Selbst angesichts der schwers­ ten Überdosis-Krise der jüngeren Geschichte kämpfen diese Hilfsorganisationen um Gelder und politischen Boden. Und Spritzenaustauschprogramme sind in elf Bundesstaaten sogar schlichtweg illegal, ein Erbe der Reagan-Ära und der in den 1980er Jahren verabschiedeten Strafgesetze. Noch im Jahr 2018 hatte Kaliforniens Gouverneur Jerry Brown sein Veto gegen einen Gesetzentwurf eingelegt, der es San Francisco ermöglicht hätte, die erste staatlich genehmig­ te überwachte Drogenkonsumstelle des Landes zu eröffnen, in der medizinisches Personal für die Behandlung von Überdosen bereitstehen würde. Browns Veto gegen das Gesetz über die Drogenkonsumzentren war vernichtend. Er schrieb, dass »die Ermöglichung von illegalem und destruktivem Drogenkonsum niemals funktionieren wird« und befürwortete Strafmaßnah­ men, um Menschen, die Drogen konsumieren, in Behandlungs­ programme zu zwingen. Er nannte die Idee der sicheren Orte »nur Zuckerbrot und keine Peitsche«, eine entmenschlichende Sprache, die an die Politik des Drogenkriegs zu erinnern schien. Ein parlamentarischer Versuch, der die Einrichtung von über­ wachten Drogenkonsumorten in San Francisco, Oakland und Los Angeles ermöglicht hätte, liegt trotz der Pandemie quasi auf Eis. Der Gesundheitsausschuss der Versammlung verschob im Juli die Anhörung zum Gesetzentwurf auf 2022 und verzögerte damit den Prozess um ein ganzes Jahr.

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THESEN-ANSCHLAG 14 Thesen wurden zum Reformationstag an die Türen von Landtag, Rathaus und Ministerien »angeschlagen«. Das Bündnis »Wohnen ist Recht« will damit den Diskurs ums sozial- und ordnungspolitische Thema Nummer 1 in Hannover und Niedersachsen beleben. Denn Debatten sind dringend. Lösungen auch. Wohnen ist Recht. ie Wohnform bleibt jedem selbst überlassen, die Menschenwürde D verwirklicht sich im freien Willen. Wohnen ist mehr als ein Dach überm Kopf. Jeder Mensch braucht einen sicheren (Rückzugs-) Ort. Massenunterkünfte, sowie die derzeitigen Standards der Unterbringung sind nicht mit der Würde des Menschen vereinbar. Wohnungslosigkeit zu verhindern ist günstiger, als Wohnungslosigkeit zu verwalten. Eigener Wohnraum rettet Leben. Wohnen entlastet das Gesundheitssystem. Wohnraum für alle ist eine Form der Gleichberechtigung. Die Unverletzlichkeit der Wohnung (gemäß Art. 13 GG) kann nur durch Wohnraum realisiert werden. Wohnraum darf kein Spekulationsobjekt sein. Wohnen im Quartier stärkt das Gemeinwohl – Armut kann nicht Umsiedeln bedeuten. Zwangsräumung berührt unmittelbar die Würde des Menschen. Zwangsräumung aufgrund von Armut oder finanzieller Not ist zu verhindern. Jeder Mensch, unabhängig von dem Stand seiner Bildung, seiner beruflichen Qualifikation, seiner Arbeit oder Profession und unabhängig von seiner finanziellen Lage, kann von Wohnungsnot betroffen sein.

Die WiR-Thesen haben die Organisationen armutstinkt, Landesarmutskonferenz (LAK-NDS), Selbsthilfe für Wohnungslose (Sewo e.V.), ZBS/Diakonisches Werk Hannover, Stimme der Ungehörten (StiDU e.V.) sowie Asphalt unterzeichnet.


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Foto: Sabine Dörfel

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30 JAHRE DÜK Er ist ein Ankerplatz für wohnungslose Menschen in Hannover. Der Tagestreff DüK feiert sein 30-jähriges Jubiläum. In der Lavesallee gestartet ist er seit einiger Zeit in der Berliner Allee untergebracht. Und sucht mehr Platz für Obdachlose. Für mehr ›einfach sein‹. Noch ein paar Handtücher falten und in der großen Sportta­ sche verstauen, dann ist Helmut P. mit der Wäsche fertig. Jetzt rüber in den Aufenthaltsraum, wo es einen Kaffee gibt und eine angefangene Partie Backgammon wartet. Helmut P. gehört zum Urgestein des DüK, dem Tagestreff für Wohnungslose an der Berliner Allee. »Ich kenne das DüK seit knapp 30 Jahren«, er­ zählt der 57-Jährige. »Für mich und viele, die hierherkommen, ist das wie ein Anker in unserem Leben.« DüK ist die Abkürzung

für »Dach über‘m Kopf«, eine Einrichtung des Diakonischen Werkes Hannover (DW), die jetzt ihr 30-jähriges Jubiläum feiert. »Menschen, die keine Wohnung haben, sollen hier tagsüber Schutz finden und etwas häuslichen Alltag leben können«, er­ läutert Sozialarbeiter Nils Feuerbach. So wie Else, die gerade den Wäschetrockner mit Jacken und Hosen belädt, Norbert, der auf dem Weg zur Dusche ist oder Manuel, der seine Lebens­ mitteltüten in der Küche auspackt. »Das DüK ist wie eine große


Archivfoto: K. Powser

Archivfoto: K. Powser

DüK-Gründer Walter Lampe im Gespräch mit den damaligen Obdach­

Räume in der Lavesstraße gekündigt.

losen Hartmut und Kurt bei der Eröffnungsfeier im Dezember 1991.

Foto: V. Macke

Vergangenheit: 2016 wurden dem DÜK die

»Wir bekommen hier die aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu spüren«, sagt Sozialarbeiter Nils Feuerbach.

Wohngemeinschaft«, sagt Feuerbach, der gemeinsam mit dem rund zehnköpfigen Team seit drei von den 30 Jahren für die Männer und Frauen von der Straße da ist. Von Montag bis Freitag, halb neun bis 14 Uhr, in der Corona-Zeit bis 17 Uhr, ist der Tagestreff geöffnet. Rund 80 bis 90 Gäste, überwiegend Männer, besuchen ihn täglich, zurzeit finden wegen der Co­ rona-Vorschriften aber nur 20 Menschen Einlass. »Die meisten sind wohnungslos, es kommen aber auch Menschen, die zwar eine Unterkunft haben, aber an der Ar­ mutsgrenze leben«, erzählt Feuerbach.

Waschmaschinen, Duschen, Telefon und Computer, Schließfächer, ein Auf­ enthaltsraum und eine Küche stehen im DüK zur Verfügung. Die Sozialarbeite­ rinnen und Sozialarbeiter unterstützen Ratsuchende individuell bei akuten Pro­ blemlagen. Einmal in der Woche wird gemeinsam gekocht, ab und zu stehen Ausflüge in den Zoo oder ins Museum auf dem Programm. Wie in jeder Wohn­ gemeinschaft gibt es auch im DüK, das zur Zentralen Beratungsstelle des DW ge­ hört, soziale Regeln: kein Alkohol- oder Drogenkonsum, kein Glücksspiel und re­ spektvoller Umgang miteinander.


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»Das DüK bedeutet eine Auszeit von der Härte und Aggres­ sivität der Straße«, sagt Helmut P. Heute wie damals. »Wir sind früher gleich im Anschluss, wenn der Mecki zugemacht hat, rü­ ber ins DüK gewechselt«, erinnert sich auch Karin Powser, spä­ tere Asphalt-Mitgründerin und seinerzeit fest in der Obdachlo­ senszene verankert. »Da war das DüK noch an der Lavesstraße am Rande des Warmbüchenviertels. Jeden zweiten Tag war ich bestimmt da, denn hier konnte man einfach sein«, erinnert sie sich. Auch an die Einweihung, damals im Dezember 1991, die mit einiger Hoffnung auf eine Lösung der enormen sozialen Schieflagen in Hannover begleitet worden war. 204 Quadrat­ meter in einer ehemaligen Werkstatt boten umfassende Hilfe für die, die nachts draußen schliefen, realisiert von anfangs drei Sozialarbeitern auf zweieinhalb Stellen. Und finanziert zu je einem Fünftel von Stadt und Land, Kirche, Arbeitsamt und Glücksspirale. »Der damalige Sozialdezernent Deufel fand das wohl überfällig und Superintendent Dannowski schwang ne Rede«, erinnert sich Powser. Und Diakoniepastor Walter Lam­ pe prognostizierte schon damals gegen über der Neuen Pres­ se: »Wohnungsnot wird in den nächsten Jahren der soziale Sprengstoff Nummer 1 sein. Schon heute findet auf den Straßen der Kampf ums Überleben statt.« Tatsächlich wuchs die Zahl der Obdachlosen seitdem, und die Probleme auf den Straßen wurden diverser, psychisch auf­ fälliger und weit internationaler. Zudem: Der Stress für Woh­ nungslose habe sich in der Corona-Zeit nochmal weiter ver­ stärkt, sagt Sozialarbeiter Feuerbach. Viele Einrichtungen und Ämter seien geschlossen gewesen, »für Wohnungslose gab es keinen Rückzug in die eigenen vier Wände«. Bis auf zwei Mo­ nate konnte das Team das DüK in der Corona-Zeit offenhalten, wenn auch mit extrem reduzierten erlaubten Personenzahlen in den Räumen. Blickt der Sozialarbeiter auf die vergangenen Jahre zurück, »fällt auf, dass die Quote der Besucherinnen und Besucher mit einer psychischen Erkrankung höher geworden ist«. Zunehmend werde das DüK auch von Geflüchteten auf­ gesucht, die in Armut und Wohnungslosigkeit abgerutscht seien. »Wir bekommen hier die aktuellen Probleme auf dem Wohnungsmarkt zu spüren«, sagt Feuerbach. »Gäbe es ge­ nügend bezahlbaren Wohnraum für GeringverdienerInnen oder Hartz-IV-Beziehende, wäre unsere Arbeit entschieden einfacher.« Entlastend sei, dass es ein gutes Hilfenetzwerk für Wohnungslose gebe, ergänzt er und verweist auf Einrichtun­ gen wie gleich ums Eck der Tagestreff für Frauen Szenia oder den Mecki-Laden in der Passerelle sowie die Krankenwohnung »KuRVE«. 2017 musste das DüK umziehen. Die Räume in der Laves­ straße wurden mit der Aufwertung des gesamten Viertels im Jahr 2016 gekündigt. Mehr als Übergang verstehen die Mitar­ beiterInnen des DüK ihr neues Domizil im ZBS-Haus an der Berliner Allee seitdem. »Das DüK ist quasi der Durchgangs­

bereich zu allen anderen Einrichtungen des DW im Haus, das ist nicht so günstig«, sagt Feuerbachs Kol­ lege Jona Riegelmann. Außerdem fehle ein eigener Außenbereich, die Szene steht deshalb oft vor dem Haus auf dem Geh- und Radrad. »Entsprechend wird das DüK von der Nachbarschaft auch nicht so gut angenommen.« Gern hätte man jetzt das Jubi­ läum groß gefeiert, mit langjährigen Unterstütze­ rInnen, ehemaligen KollegInnen und vor allem mit den Klienten, sagt Riegelmann. Doch Corona habe das leider verhindert. Und gern würde man in nicht allzu ferner Zukunft in eine noch bessere Bleibe zie­ hen. Unbedingt aber weiterhin im Viertel. Denn von der in der Politik viel beschworenen Dezentralisie­ rung der Hilfeeinrichtungen hält man in DüK-Krei­ sen wenig. »Zukunftswünsche halt.« Wie auch mehr Einzelunterbringung, Sozialwohnungen sowie In­ vestitionen in den Ausbau von Unterkünften.

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Sabine Dörfel/Volker Macke

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Drei Millionen für Suchtberatung Hannover. Bereits seit 2013 fördert die Region Hannover sie­ ben Fachstellen für Sucht und Suchtprävention mit jeweils dreijähriger Laufzeit zur besseren Planungssicherheit. Vier weitere durch das Land Niedersachsen anerkannte Suchtstel­ len wurden jetzt hinzugefügt. Und zwar erstmals Beratungs­ einrichtungen für illegale Süchte. »Das gab es so noch nicht, bisher haben Beratungsstellen für illegale Süchte zwar Zuwen­ dungen erhalten, aber keine langfristige Förderung. Das ist aber längst nicht mehr bedarfsgerecht«, so Andrea Hanke, De­ zernentin für Soziale Infrastruktur der Region Hannover. Da­ mit werden künftig insgesamt zwölf Fachstellen von insgesamt sieben Trägern bis 2024 gefördert: Diakonie Hannover-Land, DroBeL e. V., Neues Land e. V., prisma gGmbH, Caritas Hanno­ ver, die STEP sowie das DW Hannover. Jede Fachstelle erhält jeweils rund 94.300 Euro pro Jahr. MAC

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Foto: L. Dreesch

AUS DER SZENE

Protest mit Ballons Hannover. Mit bunten Ballons machten Angehörige des Spiel­ frei leben e. V., sowie MitarbeiterInnen des Diakonischen Werks und der STEP auf Glücksspielsucht – mit Fokus auf Sportwetten – aufmerksam. Sie machten unter anderem Halt vor Wettbüros: »Sportwetten haben ja was Soziales. Man wird begrüßt, man wird gesehen. Da wird viel bedient an menschlichen Grundbe­ dürfnissen«, sagt Silke Quast von der Diakonie. Anlass war die jüngst beschlossene Legalisierung des Online-Glücksspiels. »Sportwetten sind inzwischen relativ hip geworden. Influence­ rInnen spielen eine wichtige Rolle: Da gibt es ein paar Größen, die sich auch öffentlich beim Spielen gezeigt haben. Das sind ja Idole für viele junge Menschen.« Online-Glücksspiel habe ein hohes Suchtpotential und könne schnell zu Kontrollverlusten führen, so die OrganisatorInnen. LD

Zuwanderung schwächer, Probleme bleiben

Wohnglück + 14.6OO Wohnungen + Durchschnittskaltmiete von 5,84€ pro m2 + über 7O% geförderter Wohnraum + nachhaltige Entwicklung der Stadt + ein Herz für unsere Mieterinnen & Mieter

hanova.de

Hannover. Die Zuwanderung aus Osteuropa hat sich abge­ schwächt, insgesamt leben 7.629 Rumänen und Bulgaren in der Landeshauptstadt. Nahezu unverändert sind dagegen die Prob­ leme dieser Gruppe. Das zeigt ein Bericht der »Koordinierungs­ stelle Zuwanderung Osteuropa«, der jetzt vorgestellt wurde. Die Stelle nahm 2014 ihre Arbeit auf, als die Freizügigkeit in der EU auf die beiden Beitrittsländer ausgedehnt, Sozialleistungen je­ doch restriktiv gehandhabt wurden. Dementsprechend schwie­ rig ist es für diese Menschen, geeigneten Wohnraum zu fin­ den, nicht selten müssen sie »unter extremen Bedingungen auf kleinstem Wohnraum zu überhöhten Preisen zusammenleben«, heißt es im Bericht. Mietverträge gebe es häufig nicht, daher sei die Gefahr von Wohnungslosigkeit hoch. Die Koordinierungs­ stelle ist mit sechs MitarbeiterInnen besetzt, die muttersprach­ lich rumänisch und bulgarisch beherrschen und bis Ende 2020 mehr als 1.400 Beratungsgespräche führen konnten. Dabei geht es um Alltagsfragen von Begleitung zu Arztbesuchen und Klärung des Krankenversicherungsschutzes über Wohnung, Arbeitssuche, Schulbesuch der Kinder bis zu Sterbefällen. UM


Ich freue mich, ich freue mich riesig, dass Asphalt vom Kuratorium der documenta in Kassel als Medienpartner geworben wurde. Ich freue mich wirklich sehr über die Aufmerksamkeit, die Asphalt dadurch bekommt. Ich war ja von Anfang an dabei, ich erlebe seit vielen Jahren, wie selbstlos und unermüdlich sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die Menschen auf der Straße einsetzen; für Menschen, die sonst kaum Beachtung finden. Auch die Entwicklung von Asphalt habe ich miterleben dürfen. Ich finde, dass Asphalt eine interessante, lesenswerte Zeitung ist, auf deren Erscheinen sich sicherlich viele Leserinnen und Leser freuen. Und ich bin auch sicher, dass dank der Kooperation mit der documenta das Interesse an Asphalt noch steigen wird, was wiederum denjenigen zugutekommt, die durch den Verkauf von Asphalt das wenige Geld, das ihnen zur Verfügung steht, ein bisschen aufbessern können. Ich nehme meine blaue Seite heute einmal zum Anlass, dem Team von Asphalt ganz herzlich zu gratulieren. Diese Kooperation ist auch eine Anerkennung für das, was Ihr täglich leistet.

Karin Powser

Karin Powser lebte jahrelang auf der Straße, bevor ihr eine Fotokamera den Weg in ein würdevolleres Leben ermöglichte. Ihre Fotografien sind mittlerweile preisgekrönt. Durch ihre Fotos und mit ihrer Kolumne zeigt sie ihre ganz spezielle Sicht auf diese Welt.

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Das muss mal gesagt werden …

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»ICH BIN GENÜGSAM GEWORDEN« Aus dem Leben: im Gespräch mit Asphalt-Verkäufer Olaf (54). Guten Morgen, Olaf. Ich habe gehört, dass du das Asphalt-Magazin schon ganz schön lange verkaufst. (Lacht) Das kann man wohl sagen. Seit mittlerweile gut 23 Jah­ ren bin ich dabei. Und es macht mir immer noch großen Spaß. Außerdem gibt es meinem Tag eine feste Struktur, das ist für mich sehr wichtig.

Was ist das Besondere hier an deinem Verkaufsplatz bei der Oldenburger Hirsch-Apotheke? Praktisch ist beispielsweise, dass ich mich hier zwischendurch auf einen Stromkasten setzen kann. Da ich gerne mehrere Stun­ den am Stück verkaufe, ist das auch mal notwendig. Ich habe hier außerdem die Möglichkeit, in der Nähe auf die Toilette zu gehen.

Du warst nicht immer in Oldenburg. Das stimmt. Geboren und aufgewachsen bin ich in Bremerha­ ven. Dann habe ich eine Ausbildung zum Einzelhandelskauf­ mann gemacht und bin erstmals von zuhause fort.

Eine abgeschlossene Ausbildung hätte der Einstieg in ein geregeltes, manche sagen auch: stinknormales, Leben sein können. Wenn da nicht schon zuvor die latenten Spielsuchtprobleme gewesen wären. Und die haben mich immer wieder zurück­ geworfen. Nachdem ich am Ende der Ausbildung leider nicht übernommen worden bin, habe ich mich bei der Bundeswehr verpflichtet. Für acht Jahre. In dieser Zeit hatte ich die Spiel­ sucht weitgehend im Griff, die klar geregelten Abläufe beim Bund waren sehr wertvoll. Ich habe damals viel gelernt.

Das Ende der Spielsucht war aber nicht das Ende der Probleme. Leider. Als ich das vor gut 15 Jahren endlich in den Griff be­ kommen habe, schlug die gut bekannte Suchtverlagerung zu. Ich begann mehr und mehr zu trinken. Gerade die Zeit nach der Bundeswehr war sehr problematisch, in dieser Phase bin ich in ein tiefes Loch gefallen. Die Alkoholsucht hatte dramati­ sche Folgen. Ich stand eines Tages vor einem Arzt im Kranken­ haus, verblüffenderweise kerzengerade – und hatte 4,2 Promille im Blut. Im Grunde heißt das bei vielen: klinisch tot. Was aber noch viel schlimmer war: Ich hatte eine schwere Leberzirrho­ se. Da war klar, dass es so nicht weitergeht. Heute kann ich mit Stolz sagen: Ich bin seit über zehn Jahren trocken.

Wann verschlug es dich zum ersten Mal nach Oldenburg? Ein Jahr nach der Geburt meiner Tochter bin ich nach Olden­ burg gekommen. Ich landete in der Unterkunft am Sandweg, tagsüber ging es in den Tagesaufenthalt in der Ehnernstraße. Das war auch die Zeit, als ich von der Möglichkeit erfuhr, das Asphalt-Magazin zu verkaufen.

Wie waren deine ersten Erfahrungen? Was damals nicht anders war als heute: Als neuer Verkäufer wird man erst einmal beäugt. Es braucht eine Weile, bis man akzeptiert wird. Aber dann läuft es gut, das zeigt sich auch heu­ te noch.

Was macht Oldenburg und die Menschen hier für dich aus? Oldenburg hat genau die richtige Größe. Ich war ja zwischen­ durch auch woanders, mal in Osnabrück, mal in Münster, mal in Bremen. Ich bin aber immer wieder zurückgekehrt. Die Men­ schen sind auf den ersten Blick durchaus ein wenig stur, aber wenn man sich besser kennenlernt, dann sind sie sehr offen und interessiert. Ich führe als Verkäufer viele und vor allem gute Gespräche.

Wie ist die Stadt bei der Unterstützung von Obdach- und Wohnungslosen aufgestellt? Was sich aus meiner Sicht wirklich verbessern muss, ist die Si­ tuation in der Unterkunft am Sandweg. Da ist in den letzten 23 Jahren einfach zu wenig passiert. Und im Bereich des sozialen Wohnungsbaus geschieht zu wenig. Schau dir die vielen neuen Wohnungen am Hafen an: ganz schnieke, aber unbezahlbar. Es ist unglaublich schwer, bezahlbaren Wohnraum zu finden, ge­ rade als Wohnungs- oder Obdachloser.

Was ist dein größter Wunsch? Einer ist gerade in Erfüllung gegangen: Ich bekomme eine klei­ ne, eigene Wohnung. Ich möchte gerne in Oldenburg richtig festmachen, das ist mein größter Wunsch. Und so gerne ich das Asphalt-Magazin verkaufe: Ein klassischer Job, von 9 bis 17 Uhr, ein Otto-Normalverbraucher-Leben: Das wäre toll. Luxus brau­ che ich nicht, ich bin sehr genügsam geworden.

Interview und Foto: Torben Rosenbohm


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Olaf verkauft in Oldenburg auf der Ecke Staustraße/Achternstraße.


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MAJELIS AKB AR DAS

TREFFEN

UND

DAS

IN

DER

DOKUMENTIEREN

IN

HARVESTS

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ÜBER

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Zu den Plänen auf dem Weg zur documenta fifteen gehörte es von Anfang an, die kollektiven, selbstorganisierten Prozesse der lumbung-Praxis durch regelmäßige majelis (Versammlungen) zu begleiten. Alle Beteiligten treffen sich in kleineren und größeren Konstellationen in regelmäßigen Abständen persönlich oder über das Internet. Es gibt zum Beispiel mini-majelis, in denen sich jeweils fünf oder sechs lumbung-Künstler*innen zum Austausch treffen, oder Arbeitsgruppen von lumbung inter-lokal, dem Netzwerk der 14 lumbung member, mit verschiedenen Themenschwerpunkten. Im September trafen sich alle Mitglieder des lumbung inter-lokal-Netzwerks und die lumbung-Künstler*innen zu einer viertägigen großen majelis, der majelis akbar. Während dieser majelis tauschten sie sich über ihre Pläne für die documenta fifteen aus und darüber, wie die Gruppen ihre kollektiven Ressourcen verwalten. Es gab viele Gespräche über Gemeinsamkeiten und ähnliche Erfahrungen und darüber, wie man die gemeinsamen Ressourcen besser nutzen kann. Täglich waren etwa einhundertdreißig Teilnehmende miteinander im Gespräch. Für diese majelis akbar hatte das Künstlerische Team Künstler*innen und Schriftsteller*innen eingeladen, die Ereignisse und Erkenntnisse der Gespräche festzuhalten und zu reflektieren. Die Mitglieder des lumbung bezeichnen eine solche künstlerische

Dokumentation von Prozessen oder Versammlungen als Harvest. Der Harvest kann anschließend mit den abwesenden Mitgliedern und der Öffentlichkeit geteilt werden, um alle an den Erkenntnissen der Gespräche teilhaben zu lassen. Im Entstehungsprozess von lumbung im Vorfeld der documenta fifteen entsteht so eine Vielzahl aufgezeichneter Materialien. Die Harvester hören zu, reflektieren und stellen den Prozess aus ihren eigenen Perspektiven und mit ihren Formen und künstlerischen Praktiken dar. Die Harvester Putra Hidayatullah und Abdul Dube haben bereits seit vielen Monaten verschiedene Gespräche aufgezeichnet. Für die majelis akbar im September wurden auch die folgenden Harvester eingeladen: Arts Collaboratory, Cem Hamlacıbaşı, Melani Budianta, Radio Alhara (Rayya Badran und Urok Shirhan), Studierende des Disarming Design Department, Sandberg Instituut (Siwar Kraitem, Ayman Hassan, Naira Nigrelli), Sebastián Díaz Morales, Sheree Domingo und The Refugee Art Project (Safdar Ahmed, Zeina Laali und Zeinab Mir). Die folgende Doppelseite zeigt einen Harvest von Sheree Domingo, entstanden bei der majelis akbar.


In Jakarta ist es Abend

Das Künstlerische Team erzählt Geschichten Begrüßung

Wer nimmt an der documenta fifteen teil? Worin besteht die Bedeutung für uns zuhause?

Hallo zusammen!

Was wird bewirkt?

Schön, euch zu sehen! documenta Kassel

zuhause in Jakarta

Während der ersten Interviews Wovor habt ihr am meisten Angst?

Haha, wenn das ein analoges Treffen wäre, wäre es ein Superspreader-Event!

Wels mit Chilli

Was esst ihr nachher?

Ein einfaches Nudelgericht Wasser!

Suppe

Suppe & Reis

Brathähnchen

Dass wir ausgenutzt werden

Mmmh – ich bekomme Hunger

Quiche Mein Sohn wird kochen

Dass wir uns als Kollektiv auflösen

Gemeinsamkeit / Kollektivität

Reste!

anti-koloniale Bewegung

Eis!

dam dam dum dum dadadum, ich trinke Eistee mit ruangrupa dam dam dum dididuu … ich gebe das Mikro weiter aaaan ...

Dies ist eine lange Reise


Es ist mehr als eine Ausstellung! Es geht um Freundschaft & Veränderung.

Was können wir gemeinsam tun?

Langfristige Investitionen?

Die nächste Stufe erreichen?

Es geht immer um Dinge über unseren Horizont hinaus!

Geld

Kollektive als Alternative zu Institutionen Es ist organisch

lumbung ist ein Mechanismus

Wir müssen einander vertrauen

Wie wollen wir die majelis gestalten?

Kompensation?

mehr

Superhelden

Arbeit

Ressourcenteilung?

Bei lumbung geht es um Nachhaltigkeit

Zeit Wissen

Es sollte nicht prekär sein!

Man kann Kunst und Leben nicht trennen Es braucht Reflexion

Über verschiedene Kontinente hinweg ... ... mit dem Geld auskommen

Geld als Chance, nicht als Ketten!

Das Was ist klar

Aber wie?

Wie weitere Ausbeutung vermeiden? Okay ... lasst uns atmen und uns bewegen!

Arbeitsgruppe Wirtschaft

Beispiele für die lumbung-Praxis

Für die Kinder

mündliche Überlieferung

Workshops

Pragmatisch

Künstlerisch

Wirtschaftliche Herangehensweise

Wir brauchen mehr Zeit zum Diskutieren


RUND UM ASPHALT

Foto: Picture-Alliance/dpa | Daniel Reinhardt

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Vertrieb & Soziale Arbeit: Thomas Eichler (Leitung), Romana Bienert, Sophia Erfkämper, Ute Kahle, Kai Niemann Asphalt gemeinnützige Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH Hallerstraße 3 (Hofgebäude) 30161 Hannover Telefon 0511 – 30 12 69-0 Vertrieb Göttingen: Telefon 0551 – 531 14 62 Spendenkonto: Evangelische Bank eG IBAN: DE 35 5206 0410 0000 6022 30 BIC: GENODEF1EK1

redaktion@asphalt-magazin.de vertrieb@asphalt-magazin.de goettingen@asphalt-magazin.de herausgeber@asphalt-magazin.de Online: www.asphalt-magazin.de www.facebook.com/AsphaltMagazin/ www.instagram.com/asphaltmagazin/ Druck: v. Stern’sche Druckerei, Lüneburg Druckauflage: Ø 26.500 Asphalt erscheint monatlich. Redaktionsschluss dieser Ausgabe: 22. Oktober 2021 Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte, Bilder und Bücher übernehmen wir keine Gewähr. Rücksendung

nur, wenn Porto beigelegt wurde. Adressen werden nur intern verwendet und nicht an Dritte weitergegeben. Unsere vollständige Datenschutzerklärung finden Sie auf www.asphalt-magazin.de/impressum. Alternativ liegt diese zur Ansicht oder Mitnahme in unserer Geschäftsstelle aus. Gesellschafter:

H.I.o.B. e.V. Hannoversche Initiative obdachloser Bürger


»Ich heiße ganz einfach Wolfgang. Sagt nicht ,Sie‘ zu mir«, bittet der Asphalt-Verkäufer die rund zwanzig Jugendlichen, die in einem Stuhlkreis vor ihm sitzen. Es ist die erste von zwei Gruppen an diesem Tag. Vor einem Jahr war der gelernte Tischler schon einmal in der Petrusgemeinde Barsinghausen, um im Konfirmationsunterricht von seinem Leben zu erzählen. »Wie kann man obdachlos werden?«, fragt Wolfgang in die Runde. Nach einem etwas betretenen Schweigen beantwortet er die Frage selbst: »Das geht ganz einfach. Man verliert den Job, hat Stress mit dem Partner oder den Eltern und schon landet man auf der Straße. Bei mir war das anders. Ich habe 2012 meine Frau geheiratet und sie zwei Monate später beerdigt. Das hat mich so sehr runtergezogen, dass ich viermal versucht habe, mir das Leben zu nehmen.« Das schockiert die Jugendlichen sichtlich. Einem Mädchen kommen die Tränen.

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ASPHALT 11/21

Foto L. Dreesch

Perspektivenwechsel

Der Konfirmationsunterricht an diesem Oktobersamstag steht unter dem Thema »Das Netz, das mich trägt«. Die Konfis beschäftigten sich im Vorfeld damit, was es heißt, ein solches Netz zu haben und von diesem getragen zu werden. Dann wechselten sie die Perspektive und fragten sich, was es heißt, obdachlos zu sein und kein Netz zu haben, das einen trägt. Wolfgang wurde durch den Tod seiner Frau zwar nicht obdachlos, doch trug sein Netz ihn nicht mehr. »Das tut heute noch weh, da kommen immer noch Tränen. So kann man Perspektive verlieren.« Gebannt hören die Konfis weiter zu. Wolfgang erzählt, dass er nach seinen Suizidversuchen in eine psychiatrische Klinik kam und später von einem Motorrad angefahren wurde, wobei er lebensgefährlich verletzt wurde. »Dann dachte ich: Jetzt willst du leben. Meine Frau, mein Engelchen, wollte noch nicht, dass ich schon zu ihr komme.« Die Konfis stellen Fragen über Wolfgangs Arbeit als Asphalt-Verkäufer, seine Suizidversuche und den Unfall mit dem Motorrad. Sie finden heraus, dass Wolfgang schon seit 2004 Asphalt verkauft. Aktuell möchte er sich zu seiner Rente etwas dazuzuverdienen. Ein Konfi fragt Wolfgang, ob er schon einmal obdachlos gewesen sei. Wolfgang erzählt, er habe als 15-Jähriger ein halbes Jahr auf der Straße gelebt, nachdem er von seinem Vater rausgeschmissen worden war. Erst auf dem Sterbebett habe sein Vater Wolfgang um Verzeihung für seine Fehler gebeten. Die Konfis wollen wissen, ob er seinem Vater verziehen hat. »Ja«, antwortet Wolfgang. »Man muss immer wieder zueinander finden«, sagt er den Teenagern. Am Ende des Gesprächs meldet sich eine der Jugendlichen: »Ich danke dir, dass du das alles erzählt hast und uns neue Perspektiven mit auf den Weg gegeben hast.« Laureen Dreesch

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RUND UM ASPHALT Anzeige

Gesuch & Gruß

Fotos: Selim Korycki

Verkäufer Thomas: Ich suche eine 1-Zimmer-Wohnung/Apartment, bis 50 m2, Warmmiete 400 Euro in Hannover oder Region. Ich bin gepflegt, vertrauenswürdig und freundlich. Keine Mietschulden, positive Vermieter-Bewertung. Bitte mit guter ÖPNV-Anbindung und hundefreundlich. [V-Nr. 2214/Hannover] Kontakt: 01590 – 5111783 (9 – 14 Uhr).

Kaffeefreunde Einen röstfrisch aromatischen Spendenscheck über 3.000 Euro hat Andreas Berndt, Inhaber der Hannoverschen Kaffeemanufaktur an Asphalt-Geschäftsführer Georg Rinke, den Geschäftsführer überreicht. Das Geld ist der Erlös einer Spendenaktion der Manufaktur. Von jeder verkauften Packung Asphalt-Kaffee gingen drei Euro der Einnahmen an Asphalt. Ein Herzensprojekt für Andreas Berndt. Den hilfebedürfigen Menschen zur Seite zu stehen sei ihm Ehrensache, sagt er. »Wir freuen uns sehr, dass wir mit diesem Projektkaffee über die letzten Jahre schon viel gemeinsam erreichen konnten! Der Asphalt Blend ist bei unseren Kundinnen und Kunden mittlerweile echt begehrt.« Seit November 2019 ist der Kaffee fester Bestandteil des Sortiments und seitdem nicht mehr wegzudenken. Andreas Berndt: »Wir freuen uns sehr darüber, auch in diesem Jahr wieder eine nennenswerte Spende überreichen zu können. Als regionales Unternehmen sehen wir uns einfach in der Pflicht, soziale Verantwortung auch mitzutragen.« 2019 verkaufte die Hannoversche Kaffeemanufaktur 552 Tüten (1.656 Euro) und 2020 waren es 428 Tüten (1.284 Euro). Insgesamt also 254 Kg. »Besonders in dieser Jahreszeit freuen wir uns über die warmherzige Unterstützung«, dankte Rinke im Namen von Asphalt. MAC

96plus eröffnet Kinderschutzinseln! Anlässlich des diesjährigen Weltkindertages hat Hannover 96 im September eine Woche lang besondere Aktionen mit und für Kinder geplant und unter anderem den „WeltkinderSPIELtag“ initiiert. Vor dem Heimspiel gegen den SV Sandhausen erklärte 96plus den 96-Fanshop an der HDI Arena sowie den Fanshop-Container vor der Süd­ tribüne zu „Kinderschutzinseln“. Den Startschuss dafür gaben 96-Geschäftsführer Robert Schäfer, 96-Sportdirektor Marcus Mann, 96-Cheftrainer Jan Zimmermann und Moritz Meyer von der Kinderschutzallianz, indem sie die Fanshops mit den typischen „Kinderschutzinsel“-Aufklebern kennzeichneten. Die gekennzeichneten Fanshops sollen jungen Menschen an Heimspielen sowie zu den gängigen Shop-Öffnungszeiten Schutzräume bieten, die sie in Gefahrensituationen aufsuchen können. Initiiert wurde das „Kinderschutzinsel“-Programm durch die Kinderschutzallianz – ein niedersächsisches Bündnis zum Schutz von Kindern im digitalen und nicht digitalen Leben vor sexualisierter Gewalt, bei dem sich unterschiedliche Akteure aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft engagieren.


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BUCHTIPPS Paradoxien Der Soziologe Aladin El-Mafaalani hat im Oktober sein zehntes (!) Buch vorgelegt. Und wie bei den vorigen gelingt es ihm auch in »Wozu Rassismus?« ein hitzig diskutiertes Thema sprachlich klar neu zu sortieren. »Wozu Rassismus?« ist eine Einführung ins Thema, die keine Kenntnis der aktuellen, verästelten Debatten bedingt. Jedoch sind El-Mafaalanis Bücher auch Interventionen, die ungewohnte Denkfiguren in den Diskurs einspeisen. Im »Integrationsparadox« die Einsicht, dass die zunehmende Heftigkeit der Debatten kein Krisensymptom, sondern ein Erfolgsmerkmal sind: Es wird lauter, weil zuvor ausgeschlossene Menschen mitreden. In »Wozu Rassismus?« finden sich diese Paradoxien wieder: Rassismus ist nicht mehr Herrschaftsprinzip der Gesellschaft, gleichzeitig ist er strukturell in dieser verankert – und damit allgegenwärtig. Differenziertheit, Sensibilität und Gelassenheit sind El-Mafaalanis Rezepte. BP Aladin El-Mafaalani | Wozu Rassismus? Von der Erfindung der Menschenrassen bis zum rassismuskritischen Widerstand | Kiepenheuer & Witsch | 192 S. | 12 Euro

NOVEMBER 2021 Freitag | 05.11. | 19:30 u. 21:45 Uhr

MARY HALVORSON Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Samstag | 06.11. | 20 Uhr Music for Friends im Sportzentrum TuS Vinnhorst

LUTZ KRAJENSKI'S SUPER SOUL JAM Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Freitag | 12.11. | 19:30 u. 21:45 Uhr

NILS WÜLKER Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Samstag | 13.11. | 19:30 u. 21:45 Uhr

HOTEL BOSSA NOVA Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren

Kontrollräume »Die Grenze als Sortiermaschine ist ein Ungleichheitsgenerator wie es vermutlich keinen zweiten gibt«, schreibt Steffen Mau in seinem pointierten wie lesenswerten Impuls. Mit der Globalisierung verbindet sich die Vorstellung der Entgrenzung, der Durchlässigkeit. Freier Welthandel und globale Produktionsketten haben Grenzen für den reichen Westen sichtbar geöffnet. Gleichzeitig treibt die Sorge um Sicherheit und die Angst vor unkontrollierter Migration Gegenbewegungen an: »Mauern sind Kollateralbauwerke der Öffnungsglobalisierung«, schreibt Mau. Tatsächlich war das vergangene Jahrzehnt eins des globalen Mauerbaus. Vor allem aber: »Grenzen rüsten um«, sagt Mau. »Die Grenze des 21. Jahrhunderts ist sichtbar und unsichtbar, örtlich fixiert und flexibel, physisch und virtuell, permanent und punktuell, national und international, regional und global.« BP Steffen Mau | Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert | C.H.Beck | 189 S. | 14,95 Euro.

Donnerstag | 18.11. | 20:30 Uhr Seitwärts Avantgarde Jazz Festival präsentiert

TIM BERNE´S SNAKEOIL Eintritt: 25 Euro Sonntag | 21.11. | 19:30 u. 21:45 Uhr

MARRIAGE MATERIAL Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Freitag | 26.11. | 19:30 u. 21:45 Uhr

LISBETH QUARTETT Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Samstag | 27.11. | 20 Uhr Music for Friends im Sportzentrum TuS Vinnhorst

JOST NICKEL BAND Eintritt: 20 Euro zzgl. Gebühren Am Lindener Berge 38 30449 Hannover www.jazz-club.de

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SPIELETIPPS

Dodo

Die verlorenen Ruinen von Arnak

Der Vogel Dodo legt im Inselreich Mangalopanesia sein Ei ganz oben auf den Berggipfel, doch oh weh, es rollt hinunter, oder nicht? Hier ist es an den SpielerInnen gemeinsam und mit einem guten Augenmaß und viel Geschick zu verhindern, dass es über die Felskante rollt. Es gilt zu würfeln, dadurch Baumaterial für Brücken zu erhalten, Brücken zu bauen und das kostbare Dodo-Ei sicher vom Berg herunter und in das rettende Boot und damit in Sicherheit zu bringen. Die SpielerInnen müssen zusammenarbeiten, Teamwork, Schnelligkeit und kontrolliertes Risiko führen zum Ziel und selbst wenn die SpielerInnen es in einer Runde nicht schaffen und die Schwerkraft gewinnt, so versuchen sie es sicher mit dem nächsten Dodo-Ei wieder. Ein kooperatives Spiel das durch sein innovatives Design insbesondere junge SpielerInnen begeistert. Dodo, Kosmos.Verlag, kooperatives Kinderspiel für 2 bis 4 Spieler ab 6 Jahren, ab 24,95 Euro.

Arnak, das steht für vergessene Ruinen, die in einer einzigartigen Kombination aus Deckbau, Workerplacement und Ressourcenverwaltung von den SpielerInnen und ihren Expeditionsteams auf der Suche nach den Schätzen der Insel erforscht werden müssen. In jeder Spielrunde werden Karten hinzugefügt, Forschungen und Reisen absolviert und mit den Erfolgen und den eigenen Fortschritten steigen auch die Erfolgsaussichten des eigenen Expeditionsteams. Doch Vorsicht, nach nur fünf Runden ist das Spiel unweigerlich aus, der Kartenstapel nicht immer durchgespielt und mancher hätte noch die ein oder andere Forschungsreise machen wollen. Vielleicht in einer der nächsten Spielrunden. Die ansprechenden Grafiken und der übersichtliche Spielplan machen jede Runde zu einem wahren Vergnügen und die neue Erweiterung und diverse Promokarten lassen keine Langeweile aufkommen. Daher auch die verdiente Auszeichnung mit dem Deutschen Spielepreis 2021. Die verlorenen Ruinen von Arnak, Czech Games Edition/HeidelBÄR Games, für 1 bis 4 Spieler ab 12 Jahren, ab 49,99 Euro.

Topwords Nebeneinander, über Kreuz und in die Höhe, so lauten die Vorgaben des neuen Klassikers der Wortspiele. Jeder Mitspieler erhält sieben Buchstaben und bildet damit auf dem drehbaren Spielbrett Wörter. Aber nicht nur wie ein Kreuzworträtsel zweidimensional, sondern auch in die Höhe. Denn die Buchstaben sollen nicht nur angelegt, sondern auch aufgelegt und damit dreidimensional gestapelt werden. Je mehr Ebenen in der Höhe entstehen, desto mehr Punkte können erzielt werden, denn am Ende des Spiels gewinnt der Spieler mit den meisten Punkten. Topwords trainiert dabei nicht nur das Sprachgefühl, auch Wortfindung, schnelle Auffassungsgabe und kluges Kombinieren sind gefragt. Für Solo-SpielerInnen gibt es auch einen spannenden Einzelmodus, der zum Gedächtnistraining geeignet ist. Topwords, Spin Master Games, Familienspiel für 1 bis 4 Spieler ab 8 Jahren, ab 18,99 Euro. Getestet von Ute Kahle


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Foto: Eierund/Heber

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»KEINEN KÜMMERT ES« Was passiert, wenn obdachlose Personen sterben, die weder familiäre Bezüge noch ein großes Vermögen haben? Ein Einblick in den letzten Gang von Menschen, die vor ihrem Tod meist übersehen wurden. »Abschiede haben in Hinblick auf den Tod einen hohen Stel­ lenwert. Sie sind ein Ritual, das Struktur und Sicherheit gibt«, betont Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes die Be­ deutung von Beerdigungen und Trauerfeiern. Dieser Abschied bleibt obdachlosen Personen in der Regel verwehrt – vielmehr

kann er ein Luxus sein. Sterben obdachlose Personen, setzt das Ordnungsamt eine anonyme Bestattung an. Dazu ist die Kom­ mune durch das Bundesseuchengesetz verpflichtet. »Die Beer­ digung einer obdachlosen Person unterscheidet sich stark von der eines Menschen mit Angehörigen. Sie findet nicht statt«, so


»Viele Leute geben auf«, sagt Peter Neumann, der selbst

Foto: Eierund/Heber

wohnungslos ist.

Müller-Brandes. Verstorbene obdachlose Menschen werden in Krematorien verbrannt und in Urnen bei­ gesetzt. Konkret bedeute das: »Wenn eine gewisse Anzahl Urnen voll ist, dann werden sie anonym be­ stattet, ohne öffentlich bekanntgegebenen Namen oder Ort. Die städtischen Friedhöfe sind so arran­ giert, dass es ein Feld für anony­ me Urnen gibt, wie zum Beispiel Obdachlose in Hannover-Lahe.« sterben mit Bereits vor der eigentlichen Beisetzung gibt es bei obdachlo­ durchschnittlich sen Personen Besonderheiten im 49 Jahren. Bestattungsprozess. Milena Rach kennt diese genau. Die gelern­ te Bestatterin ist seit vier Jahren in der Branche tä­ tig: »Obdachlose haben, wie alle Verstorbenen, das Recht, würdevoll bestattet zu werden. Das sind Pie­ tätsrechte, die der Würde eines Lebens zugeordnet sind.« Allerdings verändere sich ihr Arbeitsaufwand: »Bei einer obdachlosen Person läuft alles schneller

und im Hintergrund ab, da es kein Trauergespräch gibt und die Abläufe sind einfach gestrickt. Bei Obdachlosen geschehen nur Kremation, Beantragung der Sterbeurkunde, Beisetzung und Rechnungsstellung an das Ordnungsamt.« Die Beisetzung ei­ ner obdachlosen Person wird nicht von BestatterInnen betreut: »Wenn wir die Urne am Friedhof abgeben, ist es schon ein an­ deres Gefühl. Ich nehme diese Einsamkeit wahr, in der die Per­ son beigesetzt wird. Die Person verlässt ganz still diese Welt, was schade ist.« Rach sagt, dass obdachlose Personen unter dem klassi­ schen Altersdurchschnitt sterben: »Ich sage aus meiner Erfah­ rung, meist zwischen 40 und 60 Jahren. Natürlich durch die Lebensumstände, die in keinem Fall gesund sind.« Diese Tat­ sache wirkt sich auf die Bestattung aus: »Wir betrachten diese Person immer als infektiös. Niemand weiß, welche Krankhei­ ten der Mensch hatte und Tests werden nach dem Versterben nicht mehr durchgeführt. Somit können wir uns nur durch hohe Sicherheitsmaßnahmen schützen, auch, wenn wir da­ mit vielleicht jemandem unrecht tun.« Die Todesursachen sei­ en oft eine Unterkühlung oder ein Unfall im Straßenverkehr:


Foto. V. Macke

Heiko Özsimsir ist Sozialarbeiter und kümmert sich seit 2011 im Tagesaufenthalt Nordbahnhof um bedürftige und mittellose Menschen.

»Seit es das neue Datenschutzgesetz gibt, können wir nicht herausfinden, wer wann wo gestorben ist. Die Menschen verschwinden und das finde ich wirklich traurig.«

Foto: privat

Christiane Muirhead, Sozialarbeiterin

»Obdachlose haben, wie alle Verstorbenen, das Recht, würdevoll bestattet zu werden«, sagt Bestatterin Milena Rach.

auch Neumann mit dem Tod in Kontakt gekommen: »Viele Leute geben auf. Du gehst zu den Ämtern und wirst fast über­ all abgewiesen. Viele greifen dann zum Alkohol und landen auf der Straße oder ziehen sich in Keller alter Häuser zurück und siechen da richtig vor sich hin.« Als im Winter der Besucher des Tagestreffs starb, von dem Sozialarbeiter Heiko Öz­ simsir berichtete, hörte auch Peter da­ von: »Das tut mir auch leid. Es hat keiner damit gerechnet, auf einmal hörst du nur ›er ist erfroren‹. Er war sehr beliebt, ihn kannte jeder, das konnte ich gar nicht glauben. Naja … Erledigt, stirbste halt.« Peter Neumann erklärt: »Es gibt Leute, die schmeißen sich hier vor die Straßen­ bahn als letzte Lösung.« Solche Gedan­ ken schiebt er beiseite: »Dafür lebe ich zu gerne.« Dass sich Neumann im Alltag nicht gerne mit dem Tod beschäftigt, ist kein Einzelfall. Sozialarbeiter Heiko Özsimsir möchte dem Thema mehr Aufmerksam­ keit schenken: »Es ist ein gesellschaftli­ ches Tabu. Aber wie enttabuisiert man etwas?« Er versucht, dem Tod eine höhe­ re Selbstverständlichkeit zu geben: »Wir veranstalten Gedenktage. Da verlesen wir die Namen der jüngst verstorbenen Obdachlosen – zumindest von denen, von denen wir wissen. Dann erinnern wir alle uns an die Toten.« Schon lange gibt es einmal im Jahr eine große öffentliche Andacht in der Marktkirche Hannover. »Wir wollen da­ mit den Finger in die Wunde legen. Wir machen das für die Ungehörten unserer Stadt, um deutlich zu machen: Wir haben euch nicht vergessen«, sagt Müller-Bran­ des. Ihm sei wichtig zu betonen, dass ein angemessener Abschied kein Luxus sein sollte: »Es ist Glückssache, ein gutes familiäres Umfeld zu haben. Die Start­ voraussetzungen der Menschen sind so unterschiedlich und deshalb finde ich, es geht uns alle an und es ist unser aller Auf­ gabe, mal die Perspektive zu wechseln.« Marie Ellen Eierund & Tim Heber

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»Obwohl ich das Vorurteil über den Dro­ gen- und Alkoholkonsum gerne besei­ tigen würde, sind auch Überdosen und täglicher Missbrauch von Alkohol eine Auswirkung, die zu Krampfanfällen oder Krankheiten führt. Ohne ein geschütztes Umfeld ist die Rehabilitation schwierig. Manche Personen sterben dann auch an ihrem Schlafplatz.« Sozialarbeiter Heiko Özsimsir ist bei der Selbsthilfe für Woh­ nungslose (SeWo) in Hannover tätig. Er weiß, dass der Tod durch Erkrankungen auf der Straße bittere Realität ist: »Viele Menschen sind lange obdachlos, cam­ pieren am Kanal oder nur im Schlafsack. Sie sterben dann oft allein.« Der Sozialarbeiter berät im Tagesauf­ enthalt Nordbahnhof Menschen in Woh­ nungsnot und Armut. Sein Ziel besteht darin, für obdachlose Personen ein so­ ziales Zentrum zu errichten: »Für viele ist dieser Aufenthalt der Tagesmittel­ punkt. So ist es, wenn man keine Fami­ lie hat.« Özsimsir erklärt, dass sich viele BesucherInnen seit Jahren kennen: »Wir hatten mal einen, der war ganz belesen, hatte eine psychische Erkrankung und ist aus dem Arbeitsleben raus. Das war ein ganz kluger Mann, mit ihm haben wir uns gerne unterhalten. Aber er ist gestorben. Es fällt auf, wenn jemand ver­ storben ist, aber es gibt ein paar, die sind verschwunden.« Seine Kollegin Christi­ ane Muirhead ergänzt: »Seit es das neue Datenschutzgesetz gibt, können wir nicht herausfinden, wer wann wo gestorben ist. Die Menschen verschwinden und das finde ich wirklich traurig. Auch für die, die zurückbleiben. Die haben unter Um­ ständen zehn Jahre gemeinsam verbracht und dann ist ein Freund einfach weg und keinen kümmert es. Das ist Datenschutz auf Kosten der Menschlichkeit.« Auch Peter Neumann kennt die Her­ ausforderungen im Tagesaufenthalt: »Ich arbeite hier ehrenamtlich und schäme mich manchmal zu sagen, ich bin auch obdachlos.« Im Oktober 2020 verlor er seine Wohnung nach 30 Jahren. Durch das soziale Umfeld im Tagesaufenthalt ist

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SILBENRÄTSEL Aus den nachfolgenden Silben sind 16 Wörter zu bilden, deren erste und vierte Buchstaben – jeweils von oben nach unten gelesen – ein Zitat von Gottfried Keller ergeben: be – bel – de – dol – dor – eb – eis – ent – er – erd – fi – ge – gen – hei – her – in – in – in – li – me – mer – na – nah – ne – neh – nen – nen – nie – nist – no – no – nor – rauch – rei – rei – ren – risch – run – sche – sze – ter – ter – to – tur – un

1. eine Form des Blütenstands 2. Arzt für innere Krankheiten 3. etwas aus einem Vorrat holen 4. allgemein bekannt 5. bestimmte Tage im Mai 6. Abzweige an Pflanzenstängeln 7. eine der Gezeiten 8. Theaterstücke zur Aufführung bereiten

Unter den EinsenderInnen der richtigen Lösung verlosen wir dreimal das Buch »1913, Der Sommer des Jahrhunderts« von Florian Illies. 1913: In Literatur, Kunst und Musik werden die Extreme ausgereizt, als gäbe es kein Morgen. Wir begegnen zahllosen Künstlern, deren Schaffen unsere Welt auf Dauer prägte. Es ist ein Jahr, in dem alles möglich scheint. Und doch wohnt dem gleißenden Anfang das Ahnen des Verfalls inne. Ebenfalls dreimal können Sie das Buch »Sorge dich nicht, Seele« von Margot Käßmann gewinnen. Viele Menschen haben angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen Zukunftsangst und fragen sich besorgt: ›Wo wird das alles enden?‹ Oder: ›Kann ich persönlich noch einmal neu anfangen?‹. In ihrem Buch versucht Margot Käßmann, Antworten zu formulieren. Offen, ganz persönlich, warmherzig, voller Liebe zum Menschen. Den Clever & Smart-Comic »Frohe Feiertaaaage!« von Francisco Ibáñez gibt es auch dreimal zu gewinnen. Der erste Weihnachtsband der Serie in deutscher Erstveröffentlichung.

9. ursprünglicher Zustand 10. Ackerunkraut 11. Schwedischer Chemiker im 19. Jahrhundert 12. Fang nutzbarer Tiere 13. storchartige Vögel 14. Memoiren 15. Leiter eines Betriebes 16. Schicksalsgöttinnen

Die Lösung des Oktober-Rätsels lautet: Wo der gerade Weg zu sehen ist, mach keinen Umweg. Das Silbenrätsel schrieb für Sie Ursula Gensch. Die Lösung (ggf. mit Angabe Ihres Wunschgewinnes) bitte an: Asphalt-Magazin, Hallerstraße 3 (Hofgebäude), 30161 Hannover; E-Mail: gewinne@asphalt-magazin.de. Einsendeschluss: 30. November 2021. Bitte vergessen Sie Ihre Absenderadresse nicht! Viel Glück!

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Ausblick

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Brodowys

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Foto: Tomas Rodriguez

Grabsteine Ich würde ja gerne auf der Bühne sterben! Also nicht unbedingt demnächst – später! Aber ge­ nerell würde mir das gefallen. Wie so ziemlich jedem Bühnenkünstler oder jeder Künstlerin. Die Bühne ist die große Leidenschaft, es könnte somit keinen geeigneteren Ort geben, sei­ nen Odem auszuhauchen. Wenn ich mich allerdings in das Publikum hineinversetze, gebe ich zu, dass es nicht unbedingt so angenehm wäre. Der sterbende Schwan im Ballett, okay. Aber das sterbende Nilpferd (ich denke, das kommt gewichtstechnisch hin) im Kabarett, das muss nicht unbedingt sein. Insbesondere, wenn es in den ersten Minuten passiert. Das ist doch eher ärgerlich. Für den ganzen Abend bezahlt und dann ist nach ein paar Minuten der Komiker über die Wupper gegangen. Und das Geld würde man wohl nicht zurückverlangen. Nach der Zugabe wäre es passender. Noch was: Ich möchte später mal einen anständigen Grabstein haben. Mit ordentlich was drauf. Diese Kolumne hier hat 2845 Zeichen, das wäre vielleicht ein bisschen viel. Aber ein klein wenig von meiner Lebensgeschichte dürfte dort eingemeißelt werden. Das finde ich immer so schön an den alten Kapitänsgrabsteinen auf den Inseln. Auf der Vorder- und Rückseite kann ich da über einen Menschen lesen, der vor langer, langer Zeit von uns gegan­ gen ist. Ich muss auch immer an diesen berühmten Grabstein auf einem österreichischen Bergfriedhof denken, auf dem der schöne Satz steht: »Wanderer, bleib steh’n und weine! Hier liegen meine Gebeine! Ich wollte, es wären Deine!« Diese Art schwarzen Humors gefällt mir sehr. Sir Peter Ustinov hat sich gewünscht, auf seinem Grabstein möge eingemeißelt sein: »Bitte den Rasen nicht betreten!« Vielleicht könnte ich noch einen draufsetzen und später einen Grabstein bekommen, in den ein LED-Laufband integriert ist, auf dem meine Lieblingswitze zu lesen sind. Auf einem Friedhof wird viel geweint, am Grab eines Komikers möge man lachen! Das LED-Laufband wäre natürlich solarbetrieben, also klimaneutral. Außerdem würde mit dem Untergang der Sonne eine nächtliche Pietät einsetzen. Die Witze dort dürften auch deftig sein. Sachen, die ich nie im Leben auf der Bühne sagen würde. Aber da man über Tote nicht schlecht reden soll, könnte ich mir dann alles erlauben. Der November ist der Trauermonat. Und es ist auch gut so, dass wir unserer Toten geden­ ken. Letztlich vermissen wir sie das ganze Jahr. Aber in diesem Monat stellen wir fest, dass wir mit unserer Trauer nicht alleine sind. Besonders gut ist es, wenn wir trotz aller Traurig­ keit über den Verlust lieber Menschen, auch lächeln, schmunzeln können, wenn wir an sie denken. An die lustigen Momente und die Schrulligkeiten, die doch jedem Menschen eigen sind. Lächeln und Schmunzeln auch angesichts des Todes – das ist eine ganz wunderbare Form der Liebe und Verbundenheit! Vielleicht ungewohnt, aber hilfreich und schön! Matthias Brodowy/Kabarettist und Asphalt-Mitherausgeber


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