02 2022 Asphalt Mittelteil Ersatz-pdf

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ASPHALT 02/22 Foto: Picture-Alliance/Hans Lucas | Robin Tutenges

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NEUE SZENE Am Raschplatz, am Steintor und hinterm Amtsgericht kreisen die Pfeifen. Die Droge Crack macht die Runde. Immer mehr. Das ist amtlich. Die Stadt plant Hilfe. Und braucht Unterstützung. Sex nicht so zu spüren. Die Stadt will jetzt »Kennst du den Film IceAge? Kennst du die»Crack ist sowas helfen. Weil die Szene so wächst. Am Rases komische Vieh, was immer hinter der wie der Paternoster schplatz, am Steintor, am Fernroder Tunnel Nuss herrennt und wenn’s mal hat, dann zwischen Himmel oder auch am Spielplatz Gartenstraße. Sie fällt’s ihr aus der Hand? So sieht mein Alltag und Hölle.« will kontrollieren und strukturieren. Ein ersaus«, erzählt Nilhan. Nilhan ist auf Crack. ter Fachtag, zu dem auch Werse eingeladen Der 48-Jährige ist Teil einer Studie von Bernd Jasmin (33) war, sollte Klärung bringen. Werse. Werse ist Wissenschaftler in FrankDie Zahlen der Kriminalitätsstatistik sind eindeutig: Jenfurt, Experte in Sachen Drogenkonsum. »24 Stunden rund um die Uhr, immer hinter dem Stein her«, sagt Nilhan noch. Steine seits von Cannabis dominieren Kokain und sein Derivat Crack werden die kokainstämmigen Drogenklumpen genannt, die in das Feld »bekanntgewordener Drogendelikte« der PolizeidirekPfeifen geraucht werden. In Hannover machen das immer mehr tion Hannover (PD) mit 1.564 Fällen im Jahr 2020, die meisten Menschen, die Zahl der Crackkonsumenten steigt. Crack macht im Stadtbezirk Mitte. Vier Jahre zuvor waren es noch rund halb binnen Sekunden euphorisch, klar und bewusst. Und nach dem so viele: 824. Bekannt gewordene Delikte, nicht Nutzer! HeroinKick fahrig, wirr, reizbar, müde. Crackkonsumenten werden fix delikte haben sich im selben Zeitraum auf deutlich niedrigerem süchtig. Und Prostituierte nutzen es, um den Schmerz beim Niveau nochmal von 219 auf 112 halbiert. Delikte im Zusam-

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Foto: Twilight_Art_Pictures/Shotshop/Picture-Alliance

Foto: Uwe Dettmar, Goethe-Universität Frankfurt

Pfeife und Crack-Steine.

Bernd Werse, Mitbegründer des Centre for Drug Research, hat mit Hannover seine Erkenntnisse geteilt.

menhang mit Ecstasy wurden rund 200 aktenkundig, Vergehen im Zusammenhang mit Christal Meth und andere Drogen wurden im niedrigen zweistelligen Bereich gelistet. Die aus der Polizeistatistik lesbare neue Dominanz von Crack in der Drogenszene wird auch von einer wissenschaftlichen Studie namens »Trendspotter Crack« des Münchner Instituts für Therapieforschung gestützt. Demnach verzeichnet im Norden »Du wirst immer nernach Bremen und Kiel die Region vöser, Schmerzen hast Hannover einen eindeutigen Andu nicht, aber es ist stieg bei der Crack-Nutzung. Und so ein Stechen in der auch die SozialarbeiterInnen auf der Straße bestätigen das: »Wir Seele. Und wenn du beobachten, dass der Konsum von rauchst, kommt das Crack in der offenen Drogenszene wie Ritalin für den in den letzten Jahren stark zugeADHS-Kranken.« nommen hat«, sagt Diana Fiedler, Giovanni (45) Leiterin der STEP Beratungsstelle Drobs in Hannover. Rund 600 suchtmittelabhängige Menschen seien allein im »Stellwerk«, dem Konsumraum der STEP hinter dem Amtsgericht, bekannt, die zumindest teilweise im öffentlichen Raum und vorrangig im »Stellwerk« illegalisierte Substanzen konsumieren. Das »Stellwerk« aber ist bisher ausgerichtet auf den Schuss Heroin. Heroinkonsum aber ist ganz anders als Kokain- bzw. Crackkonsum. »Die einen nehmen sich eine halbe Stunde Zeit für ihren Druck, beim Crack geht es viel schneller; zwei, drei Züge

und schon beginnt der Rausch«, sagt Frank Woike, der Drogenbeauftragte der Landeshauptstadt Hannover. »Da geht die Pfeife in der Gruppe rum und ein Zug kostet dann fünf Euro.« Woike hatte eingeladen zum Fachtag »Crackkonsum im öffentlichen Raum – Herausforderung für die Stadtgesellschaf«: SozialarbeiterInnen, ForscherInnen, auch Recht und Ordnung. Der städtische Drogenexperte würde die Szenen gern voneinander trennen. Irgendwie. Erfahrungswissen kommt aus Frankfurt. Dort gibt es seit zwei Jahren zusätzlich zum Druckraum – a la »Stellwerk« in Hannover – einen Rauchraum für die Crackszene. Jedoch: Auch wenn dort sauber, geschützt und trocken konsumiert werden kann, angenommen wird der Raum noch nicht umfänglich: Von hundert Konsumvorgängen, so hat Wissenschaftler Werse festgestellt, werden bisher nur acht im Rauchraum, aber 82 auf der Straße durchgeführt. Weil es einfach ist und weil es schnell geht. Drogennutzer via Venenspritze hingegen ziehen den Druckraum zu zwei Dritteln der Straße vor. Und: »Die Dominanz des Crackkonsums mit extrem kurzer Wirkdauer führt zum Daueraufenthalt von Drogenkonsumierenden im Viertel und geht einher mit offenem Konsum, Campieren im Viertel sowie vor den Einrichtungen«, so Werse. Verwahrlosung der KonsumentInnen aufgrund des extremen Beschaffungsdrucks inklusive. Auch in Hannover ist das nicht mehr zu übersehen. Frank Woike will jetzt ebenfalls einen Rauchraum in Hannover einrichten. Als Teil eines Gesamtkon-


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Nilhan (48)

Tagsüber geht es vor dem »Stellwerk« manchmal zu wie im Taubenschlag. Abends verlagert sich die Szene Richtung Steintor.

zepts für den neuen Umgang mit DrogennutzerInnen. Der soll möglichst an anderer Stelle sein als der bisherige Druckraum. Mit Glück finde sich aber auch ein ganz neues Zentrum mit geschütztem Außengelände, denn das »Stellwerk« samt Vorplatz an der Fernroder Straße muss ohnehin bald dem Ausbau der Gleisanlagen des Bahnhofs weichen. »Wir suchen mit Hochdruck, natürlich irgendwo in der weiteren Bahnhofsnähe.« Neben so einem Konsumraum »möglichst mit Tagesbetten«, sehe das Konzept neben einem Kontaktcafé, intensivierter aufsuchender Sozialarbeit und medizinischer Pflege auch eine verbesserte Zusammenarbeit mit psychiatrischer Hilfe vor. »Drogenkonsum ist immer auch so etwas wie Selbstmedikation«, sagt eine Sozialarbeiterin. Auf Woikes Plan steht noch das Wort Substitution. Doch er weiß natürlich wie alle ExpertInnen, dass es für Crack keine Substitutionsmittel wie Methadon oder Subutex als Ersatz für Heroin gibt. Man denke deshalb über die beaufsichtigte Abgabe des Originalstoffs Kokain an sehr Abhängige nach. Das aber wäre absolutes Neuland. Doch für Heroin gibt es das in Hannover bereits. Mit Erfolg. Warum also nicht mittelfristig auch für die anderen aus dem Suchtmillieu? Damit das was werden kann, sind jetzt Gespräche nötig. Mit Polizei, mit Staatsanwaltschaft, mit dem Land. Und die Crackkonsumenten selbst? Die, so Wissenschaftler Werse aus Frankfurt in seinem Vortrag, »fordern neben besseren Angeboten der Sozialen Arbeit vor allem ihre Entstigmatisierung, Entkriminalisierung und einen legalen Zugang zu Drogen.« Volker Macke

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Foto: Selim Korycki

»Ich denk, warum, ey Mann, du hast Abitur gemacht, hast so ein tolles Leben gehabt und jetzt sitzt du hier mit solchen Kakerlaken und rauchst ne Pfeife.«

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