Journal 1-2023

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FÜR PHARMAKOLOGIE UND THERAPIE

JOURNAL OF PHARMACOLOGY AND THERAPY

Linderung von Pharyngitis-Symptomen durch die Behandlung mit GeloTonsil® Gurgelgel

Sodbrennen und gastroösophageale Refluxkrankheit: Einblicke in die neue Leitlinie und Stellenwert von Hydrotalcit in der Refluxtherapie

Erenumab eröffnet neue Versorgungsperspektiven in der Migräneprophylaxe

Empfehlungen zu gastroösophagealem Reflux und eosinophiler Ösophagitis

Bei Patienten mit Lungenkarzinom ist eine osteoprotektive Therapie unerlässlich

Neue Erkenntnisse zur intrathekalen Behandlung von starken chronischen Schmerzen

Roctavian® – die erste Gentherapie für Erwachsene mit schwerer Hämophilie A

CodeBreaK-Studie zeigt Überlegenheit von Sotorasib gegenüber Docetaxel beim

C KRAS G12C-mutierten NSCLC

Maribavir – das erste Virostatikum zur Behandlung einer refraktären

CMV-Infektion nach Transplantation

Monoklonaler Antikörper Sutimlimab wirkt zielgerichtet bei der Kälteagglutinin-Krankheit

Pluvicto® – die erste Radioligandentherapie für das PSMA-positive, metastasierte, kastrationsresistente Prostatakarzinom

32 HEFT 1 Februar 2023 ISSN 1432-4334
JAHRGANG
VERL AG PERFUSION

BAVENCIO BEIM UROTHELKARZINOM

LOS LEGEN, LÄNGER LEBEN!1–3

Erhalten und verstärken Sie die Erfolge der Chemotherapie mit BAVENCIO – die ERSTE und EINZIGE Erstlinien-Erhaltungstherapie mit statistisch signifikantem mOS-Vorteil beim lokal fortgeschrittenen oder metastasierten Urothelkarzinom.*,1–4

Setzen Sie auf das längste mOS mit BAVENCIO – mit der Chance auf Langzeitüberleben#,2,3,5

BSC: Best Supportive Care; HR: Hazard Ratio; KI: Konfidenzintervall; mOS: medianes Gesamtüberleben * 23,8 Monate mOS BAVENCIO + BSC, 15,0 Monate mOS BSC allein (HR: 0,76, 95-%-KI: 0,63, 0,92, p = 0,0036, zweiseitig).2 # Überlebensschätzung in klinischen Studien, ausgehend vom Start der Erstlinien-Therapie von in Deutschland zugelassenen immunonkologischen Therapien für Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom. 1. Fachinformation BAVENCIO, aktueller Stand., 2. Powles T, et al. Presented on ASCO Genitourinary Cancers Symposium 2022, Abstract No. 487., 3. Grivas P, et al. Cancer Treat Rev 2021; 97: 102187., 4. Powles T, et al. N Engl J Med 2020; 383(13): 1218–1230., 5. Plimack ER, et al. Presented on ASCO 2020.

BAVENCIO Pflichttext

Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Bezeichnung: Bavencio® 20 mg/ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. Wirkstoff: Avelumab. Pharm. Unternehmer: Merck Europe B.V., Gustav Mahlerplein 102, 1082 MA Amsterdam, Niederlande. Vertrieb in Deutschland: Merck Healthcare Germany GmbH, Waldstraße 3, 64331 Weiterstadt. Zusammensetzung: Jeder Milliliter Konzentrat enthält 20 mg Avelumab. Eine Durchstechflasche zu 10 ml enthält 200 mg Avelumab. Sonstige Bestandteile: Mannitol, Essigsäure 99%, Polysorbat 20, Natriumhydroxid, Wasser für Injektionszwecke. Anwendungsgebiete: Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit metastasiertem Merkelzellkarzinom (MCC) und in der Erstlinien-Erhaltungstherapie mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom (UC), die nach einer platinbasierten Chemotherapie progressionsfrei sind. Kombination mit Axitinib als Erstlinientherapie bei erwachsenen Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom (RCC). Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile. Nebenwirkungen: Nebenwirkungen nach Häufigkeit (sehr häufig: ≥ 1/10; häufig: ≥ 1/100 bis < 1/10; gelegentlich: ≥ 1/1.000 bis < 1/100; selten: ≥ 1/10.000 bis < 1/1.000; sehr selten: < 1/10.000, nicht bekannt (Häufigkeit auf Grundlage der verfügbaren Daten nicht abschätzbar): MCC und UC: Nebenwirkungen bei Avelumab in der Monotherapie: Sehr häufig: Anämie, Verminderter Appetit, Husten, Dyspnoe, Übelkeit, Diarrhö, Obstipation, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Rückenschmerzen, Arthralgie, Ermüdung, Fieber, peripheres Ödem, Gewicht erniedrigt, Infusionsbedingte Reaktion. Häufig: Lymphopenie, Thrombozytopenie, Hypothyreose, Hyperthyreose, Hyponatriämie, Kopfschmerzen, Schwindel, periphere Neuropathie, Hypertonie, Pneumonitis, Mundtrockenheit, Pruritus, Ausschlag, trockene Haut, makulo-papulöser Ausschlag, Myalgie, Asthenie, Schüttelfrost, Influenza-ähnliche Erkrankung, Kreatinin im Blut erhöht, alkalische Phosphatase im Blut erhöht, Lipase erhöht, GammaGlutamyltransferase erhöht, Amylase erhöht. Gelegentlich: Eosinophilie, Überempfindlichkeit, Arzneimittelüberempfindlichkeit, Nebenniereninsuffizienz, Autoimmunthyreoiditis, Thyreoiditis, Autoimmunhypothyreose, Hyperglykämie, Myasthenia gravis, Myasthenie-Syndrom, Hypotonie, Flush, Ileus, Kolitis, Autoimmunhepatitis, Ekzem, Dermatitis, Ausschlag mit Juckreiz, Psoriasis, Erythem, erythematöser Ausschlag, generalisierter Ausschlag, makulöser Ausschlag, papulöser Ausschlag, Myositis, rheumatoide Arthritis, Nierenversagen, Nephritis, Alaninaminotransferase (ALT) erhöht, Aspartataminotransferase (AST) erhöht, Kreatinphosphokinase im Blut erhöht. Selten: Anaphylaktische Reaktion, Typ-1-Überempfindlichkeit, Akute Nebennierenrindeninsuffizienz, Hypopituitarismus, Diabetes mellitus, Diabetes mellitus Typ 1 (einschließlich diabetischer Ketoazidose), Guillain-Barré-Syndrom, Miller-Fisher-Syndrom, Uveitis, Myokarditis, Interstitielle Lungenerkrankung, Pankreatitis, Autoimmunkolitis, Enterokolitis, Autoimmunpankreatitis, Enteritis, Proktitis, akutes Leberversagen, Leberversagen, Hepatitis, Hepatoxizität, Erythema multiforme, Purpura, Vitiligo, generalisierter Pruritus, exfoliative Dermatitis, Pemphigoid, psoriasiforme Dermatitis, Arzneimittelausschlag, Lichen planus, Arthritis, Polyarthritis, Oligoarthritis, Tubulointerstitielle Nephritis, nicht-infektiöse Zystitis, Systemisches inflammatorisches Response-Syndrom, Transaminasen erhöht, Thyroxin frei erniedrigt, Thyreotropin im Blut erhöht. RCC: Nebenwirkungen bei Avelumab in Kombination mit Axitinib: Sehr häufig: Hypothyreose, Verminderter Appetit, Kopfschmerzen, Schwindel, Hypertonie, Dysphonie, Husten, Dyspnoe, Diarrhö, Übelkeit, Obstipation, Erbrechen, Abdominalschmerzen, Ausschlag, Pruritus, Arthralgie, Rückenschmerzen, Myalgie, Ermüdung, Schüttelfrost, Asthenie, Fieber, Gewicht erniedrigt, Alaninaminotransferase (ALT) erhöht, Aspartataminotransferase (AST) erhöht, Infusionsbedingte Reaktion. Häufig: Anämie, Thrombozytopenie, Überempfindlichkeit, Hyperthyreose, Nebenniereninsuffizienz, Thyreoiditis, Hyperglykämie, Periphere Neuropathie, Hypotonie, Flush, Pneumonitis, Mundtrockenheit, Kolitis, Anomale Leberfunktion, Ausschlag mit Juckreiz, makulo-papulöser Ausschlag, generalisierter Pruritus, akneiforme Dermatitis, Erythem, makulöser Ausschlag, papulöser Ausschlag, erythematöser Ausschlag, Dermatitis, Ekzem, generalisierter Ausschlag, Akute Nierenschädigung, Peripheres Ödem, Influenza-ähnliche Erkrankung, Kreatinin im Blut erhöht, Amylase erhöht, Lipase erhöht, Gamma-Glutamyltransferase erhöht, alkalische Phosphatase im Blut erhöht, Kreatinphosphokinase im Blut erhöht, Thyreotropin im Blut erniedrigt, Transaminasen erhöht. Gelegentlich: Pustulöser Ausschlag, Lymphopenie, Eosinophilie, Autoimmunthyreoiditis, Hypophysitis, Diabetes mellitus, Diabetes mellitus Typ 1 (einschließlich diabetischer Ketoazidose), Myasthenia gravis, Myasthenie-Syndrom, Myokarditis, Autoimmunkolitis, Autoimmunpankreatitis, Enterokolitis, Ileus, nekrotisierende Pankreatitis, Hepatitis, Lebertoxizität, immunvermittelte Hepatitis, Lebererkrankung, Medikamentenausschlag, Erythema multiforme, Psoriasis, Leberfunktionstest erhöht. Weitere Informationen entnehmen Sie bitte der Fachinformation. Warnhinweis: Arzneimittel für Kinder unzugänglich aufbewahren. Verschreibungspflichtig. Version 07

2022-04 DE-AVEBL-00533 www.bavencio.de

Wenn der Betreiber eines Kiosks die Situation falsch einschätzt, weil er sich nicht an der Lebenswirklichkeit orientiert, wenn er sich vielmehr ganz und nur auf sein Bauchgefühl verlässt, dann ist das Risiko groß, dass der Kiosk nicht lange überlebt. Er kann den Laden aber nicht einfach zusperren und sich vom Ort des Geschehens entfernen, er muss geradestehen für den Schaden, den er verursacht hat. So logisch das ist, so wenig lässt sich dies auf unser Gesundheitssystem übertragen. Ein Grund mag daran liegen, dass man zwar eine mehrjährige Ausbildung (mit erfolgreich bestandener Prüfung) braucht, um einem Patienten ein neues Pflaster auf seine Wunde kleben zu dürfen, dass es aber ausreicht, sich berufen zu fühlen, um ein ganzes Gesundheitssystem (um-) zugestalten.

Im Übrigen lässt sich an diesem Szenario wieder einmal trefflich die sprachliche Verwirrung demonstrieren, in die uns der aktuelle GenderHype treibt. Da werden umfassend ausgebildete Fachkräfte als „Pflegende“ diskreditiert, während niemand das grammatikalische Konstrukt der Verlaufsform, das eine gerade stattfindende (spontane) Aktivität beschreibt, dort verwendet, wo es den tatsächlichen Sachverhalt korrekt beschreiben würde, nämlich in der Politik. „Politikende“ müsste es richtig heißen, weil es dafür weder eine Ausbildung noch eine Prüfung noch einen irgendwie gearteten Qualifikationsnachweis braucht, und natürlich „Pfleger und Pflegerinnen“. Doch zurück zum Gesundheitssystem. Da wurde um die Jahrtausendwende das System der Fallpauschalen (DRGs) eingeführt „nach australischem Muster“. Die damaligen Politikenden verhielten sich allerdings ziemlich so wie der oben beschriebene Kioskbetreiber. Während die Australier schon damals nur etwa ein Siebtel der „Fälle“ im DRG-System abbildeten, wurde das DRG-System in Deutschland flächendeckend über so gut wie alle „Fälle“ gestülpt. Gleichzeitig wurde immer lauter das Lied der Qualität gesungen: Hauptsache Qualitätsmanagement (auch wenn keiner kapiert, wie das funktioniert und wozu es gut sein soll) und vor allem Wettbewerb. Dabei wiederum, das stellte

Krankenhausreform:

sich schnell heraus, ging es nur um einen Preiskampf, nicht aber um einen Qualitätswettbewerb. Heute droht nicht nur das, was einem ignoranten Kioskbetreiber droht, die Insolvenz (s.o.), sondern, was noch viel schlimmer ist, das System hat sich in die Unfähigkeit manövriert, grundlegende Aufgaben ordentlich zu erfüllen. Beispiel Medikamente: Ende Januar 2023 stehen über 400 Medikamente, darunter auch überlebenswichtige, auf einer Liste mit der Überschrift „nicht verfügbar“. Das jetzt beschlossene Aussetzen der Festbetragsregelung für 3 Monate löst dieses Strukturproblem wie ein Übernachtungsgutschein die Wohnungsnot! DRGs haben, in Tateinheit mit der Privatisierung von Krankenhäusern, aus einer tragenden Säule der Daseinsvorsorge einen Selbstbedienungsladen für clevere Geschäftemacher und Hedgefonds gemacht. Dabei zeigten schon vor über 20 Jahren einschlägige Erfahrungen aus den USA klar und deutlich, dass Privatisierung kein Geld spart, sondern zusätzliches Geld kostet. Im Krankenhausbereich mindestens in der Größenordnung von 15 % (das sind ca. 50 Milliarden Euro im Jahr!), die üblicherweise von den Konzernzentralen den leitenden Ärzten als Renditevorgabe zur Vorgabe gemacht wird. Bis vor Kurzem lief die Entwicklung prächtig, noch bis kurz vor Beginn der Pandemie stand eine Verringerung der Akutkliniken von 1400 auf nur noch 600 im Raum –allesamt dann hochprofessionelle Profitcenter. Bis an die Zähne bewaffnet für den „unlikely event“, aber völlig untauglich für den tatsächlichen Bedarf (vgl. [1]). Nun ist (Gottseidank!) diese Schnapsidee vom Tisch. Jetzt zählt nur noch Qualität. Wie üblich dominieren den Beraterstab der „verantwortlichen Politiker“ (deren Verantwortung aber de facto niemals

einklagbar ist, siehe z.B. das Mautdebakel) Spezialisten: Universitätsprofessoren, deren tägliche Erfahrung mit den etwa 2 % aller „Fälle“, die in ihren Zentren aufschlagen, Qualität vor allem als Strukturqualität (Ausstattung) und Prozessqualität (höchste Qualifikation der behandelnden Ärzte) wahrnimmt, für die Qualität auf der Ebene der Daseinsvorsorge aber kein relevantes (da schwer hochrangig publizierbares) Gut ist.

Dazu erlaube ich mir, aus meinem oben schon angeführten Editorial [1] zu zitieren: Hätten die Herren nur mal kurz (wie ich für diese Überlegungen) die allgemein zugänglichen Statistiken über die Krankenhausaufenthalte zu Rate gezogen [2]! Von den insgesamt 20,1 Millionen „vollstationären Patienten“ in 2016 waren fast die Hälfte, nämlich 44,7 % „Stundenfälle“ bzw. „Kurzlieger“ (mit einer Verweildauer von 1 – 3 Tagen), insgesamt 2,1 % aller eingewiesenen Patienten starben während ihres Krankenhausaufenthalts. Dies impliziert, dass fast alle Stundenfälle und Kurzlieger entlassen worden

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH EDITORIAL
Prof. Dr. med. Karl-Ludwig Resch
1
Finger weg von der „FeldWald-und-Wiesen-Klinik“!

sein müssen, medizinisch betrachtet mit großer Wahrscheinlichkeit, weil es sich im Wesentlichen um „überschaubare“ und ggf. schnell erfolgreich behandelbare Probleme gehandelt haben dürfte.

Auch heute gilt: Für mindestens die Hälfte der gesamten Bettenkapazität sind (kurzzeit-)pflegerische Qualitäten das Entscheidende, nicht universitäre Struktur- oder Prozessqualität. Was wir weiterhin als Rückgrat der gesundheitlichen Daseinsvorsorge brauchen, sind (kleinere?) Krankenhäuser, die auch in der Fläche gut erreichbar sind. Der Opa braucht nur selten geballte medizinische Leistung, immer aber Kontakt und Unterstützung seiner Angehörigen, seines Lebensumfelds. Die Oma genauso. Und Kinder erst recht. Und wir alle sowieso.

Damit ich richtig verstanden werde: Ich bin für qualitative Exzellenzzentren, für große Schwerpunktkliniken. Aber ich bin auch dafür, dass Entbindungen nicht dort stattfinden müssen, dass eine leichte Exsikkose nicht dort behandelt werden muss, dass all das nicht dort behandelt werden muss, was in einer FeldWald-und-Wiesenklinik gut aufgehoben ist.

Warum sollte nicht ein Teil unserer Krankenhäuser als Bindeglied zwischen ambulanter Versorgung und „Maximalversorgung“ einen wichtigen und wohl von den Bürgern hochgeschätzten Teil der gesundheitlichen Daseinsvorsorge leisten können – und das so (lebens)nah wie irgend möglich? Dazu müsste „die Politik“ sich allerdings von der wohlfeilen Einschätzung verabschieden, dass nur Experten Ahnung haben vom richtigen Leben.

ORIGINALARBEIT

Quellen

1 Resch KL. Zu viele Krankenhäuser? Zu viele Experten! JPT 2019;4:101-102

2 https://www.destatis.de/DE/Themen/ Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/DownloadsKrankenhaeuser/diagnosedaten-krankenhaus-2120621167004.html

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 2 INHALT RUBRIKEN Wissenswertes 12, 13, 17 Kongresse 28 Roctavian® – die erste Gentherapie für Erwachsene mit schwerer Hämophilie A 19 CodeBreaK-Studie zeigt Überlegenheit von Sotorasib gegenüber Docetaxel beim C KRAS G12C-mutierten NSCLC 21 Maribavir – das erste Virostatikum zur Behandlung einer refraktären CMV-Infektion nach Transplantation 22 Monoklonaler Antikörper Sutimlimab wirkt zielgerichtet bei der Kälteagglutinin-Krankheit 24 Pluvicto® – die erste Radioligandentherapie für das PSMA-positive, metastasierte, kastrationsresistente Prostatakarzinom 27 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
Linderung von Pharyngitis-Symptomen durch die Behandlung mit GeloTonsil® Gurgelgel 4 Hans Behrbohm
Erenumab eröffnet neue Versorgungsperspektiven in der Migräneprophylaxe 10 Empfehlungen zu gastroösophagealem Reflux und eosinophiler Ösophagitis 15 Bei Patienten mit Lungenkarzinom ist eine osteoprotektive Therapie unerlässlich 16 Neue Erkenntnisse zur intrathekalen Behandlung von starken chronischen Schmerzen 18 AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Sodbrennen und gastroösophageale Refluxkrankheit: Einblicke in die neue Leitlinie und Stellenwert von Hydrotalcit in der Refluxtherapie –Interview mit Professor Joachim Labenz 7
INTERVIEW

* Bezogen auf die langanhaltende, konstante Reduktion monatlicher Migränetage (MMT) von Aimovig® in Studien-Follow-ups bis zu 5 Jahre.1

** Bezogen auf die signifikant bessere Wirksamkeit und Verträglichkeit von Aimovig® im direkten Vergleich mit Topiramat (p < 0,001 für alle Endpunkte).2

Aimovig® ist angezeigt zur Migräne-Prophylaxe bei Erwachsenen mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat.

1 Ashina M et al. Long-term efficacy and safety of erenumab in migraine prevention: results from a 5-year, open-label treatment phase of a randomized clinical trial. Eur J Neurol, 2021.

2 Reuter U et al. Erenumab versus topiramate for the prevention of migraine – a randomised, double-blind, active-controlled phase 4 trial. Cephalalgia, 2021.

Aimovig® 70 mg/ -140 mg Injektionslösung im Fertigpen

▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Wirkstoff: Erenumab (vollständig humaner monoklonaler IgG2-Antikörper, der in Ovarialzellen chinesischer Hamster (CHO) mit Hilfe rekombinanter DNA-Technologie hergestellt wird). Zus.-setz.: Arzneil. wirks. Bestandt.: 1 Fertigpen enthält 70 mg/ -140 mg Erenumab. Sonst. Bestandt.: Sucrose, Polysorbat 80, Natriumhydroxid (zur Einstellung des pH-Wertes), Essigsäure 99 %, Wasser f. Injektionszwecke. Anwend.: Migräne-Prophylaxe bei Erwachsenen mit mind. 4 Migränetagen pro Monat. Gegenanz.: Überempfindlichkeit gegen d. Wirkstoff od. einen d. sonst. Bestandt. Nebenw.: Häufig: Überempfindlichkeitsreakt. wie Anaphylaxie, Angioödem, Ausschlag, Schwellung/Ödem u. Urtikaria. Obstipation. Pruritus. Muskelspasmen. Reakt. an d. Injektionsstelle. Häufigkeit nicht bekannt: Läsionen im Mundbereich. Alopezie, Ausschlag. Warnhinw.: Verschlusskappe enthält Latex. Verschreibungspflichtig. Weit. Hinw.: Siehe Fachinformation. Stand: Dezember 2021 (MS 01/22.08). Novartis Pharma GmbH, Roonstr. 25, 90429 Nürnberg. Tel.: (0911) 273-0, Fax: (0911) 273-12 653. www.novartis.de

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ZUSAMMENFASSUNG

Die Pharyngitis ist eine schmerzhafte Entzündung der Rachenschleimhaut, die häufig durch eine virale Infektion ausgelöst wird. Da die Erkrankung nach einigen Tagen normalweise von selbst abklingt, zielt die Therapie primär auf die Linderung der akut auftretenden Symptome. In einer Anwendungsbeobachtung mit 51 Betroffenen mittleren Alters führte die Anwendung von GeloTonsil® Gurgelgel unmittelbar zu einer mehrere Stunden anhaltenden Linderung typischer Pharyngitis-Symptome wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden und Rachenschwellung und nach etwa 4 Tagen zur Beschwerdefreiheit – etwa einen Tag schneller als aus epidemiologischen Studien zu erwarten wäre. Dies bestätigt in der Praxis, dass GeloTonsil® Gurgelgel eine effektive und gut verträgliche Option für die Behandlung der akuten Pharyngitis darstellt.

Schlüsselwörter: Pharyngitis, virale Infektion, Halsschmerzen, GeloTonsil® Gurgelgel, Symptomlinderung

Linderung von PharyngitisSymptomen durch die Behandlung mit GeloTonsil® Gurgelgel

Ursachen und Diagnose einer Pharyngitis

Halsschmerzen und Schluckbeschwerden sind häufige Leitsymptome einer Pharyngitis, die mit ca. 2 – 6 % aller Konsultationen einer der häufigsten Anlässe für Besuche beim Haus- oder Kinderarzt sind [1]. Dabei treten akute Pharyngitiden in allen Altersgruppen und zu allen Jahreszeiten mit einem saisonalen Höhepunkt im Frühjahr und Herbst auf [2]. Die überwiegende Zahl akuter Rachenentzündungen ist viral bedingt. Häufig kommen Adeno-, Rhino-, Influenza- und Parainfluenzaviren oder auch Coronaviren wie etwa SARS-CoV-2 als Erreger in Betracht, die die Schleimhäute des Nasenrachens und des oberen Rachenraums zur Replikation nutzen [3]. Eine feuchte, entzündungsfreie Rachenschleimhaut stellt eine wirksame Maßnahme in der Prävention von viralen Infektionen dar.

In lediglich etwa 20 % der Fälle bestehen bakterielle Infektionen, vor allem durch die β-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A (GAS). Eine wichtige pathogenetische Rolle spielen irritative Reizungen durch Nikotin, Alkohol, scharfe,

zu heiße oder kalte Speisen, Essgewohnheiten (z.B. Fast Food), trockene Luft oder andere, nicht infektiöse Ursachen.

Außerdem gibt es kombinierte Formen wie eine Rhinopharyngitis, Tonsillitis, Tonsillopharyngitis und Pharyngolaryngitis, die unter der Diagnose Pharyngitis zusammengefasst werden. Wichtige Differenzialdiagnosen sind Epiglottitis, bakterielle Tonsillitiden, Diphtherie, infektiöse Mononukleose, Peritonsillarabszesse oder ein laryngopharyngealer Reflux.

Behandlungsmöglichkeiten

Die Symptome einer einfachen Pharyngitis können sehr unangenehm sein, sodass der Fokus einer symptombezogenen Therapie auf der Schmerzlinderung liegt [4]. Herkömmliche schmerzstillende Lutschtabletten wirken nur kurzzeitig, ehe die Schmerzen wieder zurückkehren. Zudem bieten sie keine Erleichterung bei störenden Symptomen wie Hustenreiz oder Räusperzwang aufgrund eines trockenen Rachens, während die gesunde Rachenschleimhaut durch einen Sekretfilm dauerhaft befeuchtet wird. Diesem

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Sekretfilm kommt eine wichtige, sowohl mechanische als auch immunologische Funktion beim Schutz vor Infektionen zu. Eine behinderte Nasenatmung trocknet den Sekretfilm jedoch aus und begünstigt so eine Infektion der Rachenschleimhaut. Daher stellt die suffiziente Befeuchtung der gereizten Schleimhaut den besten Behandlungsansatz dar und bietet Schutz vor einer Pharyngitis und ihren Symptomen. Ein verbreitetes Hausmittel bei Halsschmerzen ist das Gurgeln mit möglichst isotonischer Kochsalzlösung, dessen Wirksamkeit allerdings häufig hinter den Erwartungen zurückbleibt [5].

GeloTonsil® Gurgelgel

Das neu entwickelte GeloTonsil® Gurgelgel nutzt die bewährte Anwendungsmethode des Gurgelns und setzt somit gezielt dort an, wo die Beschwerden lokalisiert sind: im Rachen. Dabei entfaltet es seine Wirkung auf zweierlei Weise: Zunächst erfolgt ein Spüleffekt der Rachenschleimhaut zur Ver-

ringerung der lokalen Viruslast. Zugleich legt sich ein wohltuender Gelfilm über die entzündeten Areale der Rachenschleimhaut und sorgt für eine schnelle Linderung der Symptome. Das enthaltene Xanthan bewirkt, dass GeloTonsil® Gurgelgel optimal an der Rachenschleimhaut anhaftet und einen lang anhaltenden befeuchtenden Gelfilm hinterlässt. Dadurch unterstützen die Bestandteile Hyaluronsäure und Dexpanthenol die Regeneration der Schleimhaut optimal und GeloTonsil® Gurgelgel kann so einen wichtigen Beitrag zum Abklingen der Symptome leisten.

Linderung der PharyngitisSymptome

Eine aktuelle Studie an der Parkklinik Weißensee untersuchte bei 51 erwachsenen Patienten, die an akuter Pharyngitis litten, über 5 Tage den Einfluss von GeloTonsil® Gurgelgel auf den Krankheitsverlauf. Typische Krankheitssymptome wie Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Halskrat-

SUMMARY

Viral infections of the pharyngeal mucosa often result in a painful inflammation termed pharyngitis. As the disease is self-limiting and subsides within a few days, treatment mainly aims to alleviate acute symptomatic burden. In an application study with 51 middle-aged people affected, the treatment with GeloTonsil® Gurgelgel resulted in a rapid relief of typical pharyngitis symptoms, such as sore throat, difficulty swallowing and pharyngeal swelling, lasting several hours and to freedom from symptoms after about 4 days – about one day faster than would be expected from epidemiological studies. In practice, this confirms that GeloTonsil® Gurgelgel is an effective and well-tolerated option for the treatment of acute pharyngitis.

Keywords: pharyngitis, viral infection, throat pain, GeloTonsil® Gurgelgel, symptom relief

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Abbildung 1: Bei 62 % der Patienten führte GeloTonsil® Gurgelgel zu einer Linderung der Symptome von mehr als 2 Stunden.

Abbildung 3: Bereits am ersten Tag nach Behandlungsbeginn berichteten die Patienten von einer Abnahme der Symptome um 23 %. Bis zum vierten Tag der Studie halbierte sich die durchschnittliche Symptomschwere.

zen, Husten, geröteter, geschwollener und trockener Rachen wurden dabei vor und nach der Behandlung durch den Arzt bewertet. Die Patienten wendeten das Produkt gemäß Packungsbeilage bis zu dreimal täglich an und dokumentierten unter anderem die Schwere ihrer Symptome und die Eigenschaften des durch GeloTonsil® Gurgelgel gebildeten Schutz-

films. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 51,7 Jahren. Bei der Behandlung von Halsschmerzen ist die schnelle und anhaltende Linderung des Schmerzes besonders bedeutend. Bei 65 % der Patienten setzte diese bereits innerhalb von 10 Minuten nach der Anwendung ein. Weitere 23 % beobachteten eine Verbesserung nach 10 – 20 Minuten. Im Durchschnitt

hielt die Wirkung beinahe 3 Stunden an, ehe die Symptome wieder einsetzten, wobei große individuelle Unterschiede bestanden: Bei 13 % der Patienten kehrten die Symptome bereits innerhalb einer Stunde zurück, bei 25 % nach 1 – 2 Stunden. In 62 % der Fälle hielt die Wirkung sogar 2 – 6 Stunden oder darüber hinaus an (Abb. 1).

Im Zuge der Behandlung mit GeloTonsil® Gurgelgel trat bei allen Patienten eine deutliche Verbesserung der Beschwerden ein. Vom Beginn bis zum Ende der Studie nahm die Symptomschwere im Durchschnitt um 73 % ab. Besonders ausgeprägt war die Verbesserung bei Symptomen wie Halsschmerz (–78 %), geröteter (–83 %) und geschwollener (–89 %) Rachen (Abb. 2). Die überwiegende Zahl (93 %) der Studienteilnehmer wies daher bei Abschluss der Studie am Tag 5 keinerlei oder lediglich noch sehr schwache Symptome auf. Unter dem Vorbehalt, dass die Studie ohne eine Kontrollgruppe durchgeführt wurde, legen die Ergebnisse nahe, dass die Behandlung zu einer Verkürzung der Krankheitsbeschwerden um einen vollen Tag im Vergleich zu einem unbehandelten Krankheitsverlauf geführt hat [6].

Die Verbesserungen waren jedoch nicht erst zum Ende der Studie zu beobachten, sondern die täglichen Angaben der Patienten belegen eine signifikante, klinisch relevante Abnahme der Schwere von Halsschmerzen und trockenem Rachen vom ersten Tag der Behandlung an (Abb. 3).

In Übereinstimmung mit der Verbesserung der Beschwerden bei gleichzeitiger guter Verträglichkeit fiel die Bewertung der Wirksamkeit mit 84 % sehr guter/guter Bewertung entsprechend positiv aus.

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Abbildung 2: Die Symptomschwere wurde vom Beginn bis zum Ende der Behandlung mit GeloTonsil® Gurgelgel um durchschnittlich 73 % gelindert.

Fazit für die Praxis

Die Anwendung von GeloTonsil® Gurgelgel mit seinen spezifisch aufeinander abgestimmten Inhaltsstoffen zeigte eine sehr gute Wirkung sowie Verträglichkeit bei der Behandlung von Patienten, die an akuter Pharyngitis litten. Die Wirkung beruht auf dem Gelfilm, der sich beim Gurgeln über die entzündeten Areale der Rachenschleimhaut legt und zu einem schnellen Wirkeintritt führt. Die Krankheitssymptome konnten so über einen Zeitraum von mehreren Stunden signifikant gelindert werden. Die Kombination aus guter Wirksamkeit und Verträglichkeit macht GeloTonsil® Gurgelgel zu einer effektiven Option für die Behandlung der Symptome einer akuten Pharyngitis.

Sodbrennen und gastroösophageale Refluxkrankheit:

Einblicke in die neue Leitlinie und Stellenwert von Hydrotalcit in der Refluxtherapie

Literatur

1 Behrbohm H. Therapieoptionen bei Pharyngitiden – ein Update. Oralchirurgie, ZWP online 2018

2 Vincent MT, Celestin N, Hussain AN. Pharyngitis. American Family Physician 2004;69:1465-1470

3 Behrbohm H, Thiele T. Prospektive Studie zu Schnelltests bei COVID-19-Patienten, Wissenschaft und Forschung. ZWP online 2021

4 Krüger K, Töpfner N, Berner R et al. Sore throat. Dtsch Ärztebl Int 2021;118: 188-194

5 Wittig T. GeloRevoice versus Isländisch Moos und Kochsalz. Pharmazeutische Zeitung 2015;14

6 Lindbaek M, Francis N, Cannings-John R et al. Clinical course of suspected viral sore throat in young adults: Cohort study. Scand J Prim Health Care 2006;24:93-97

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans Behrbohm Senior Chefarzt & Ärztlicher Direktor

Park-Klinik Weißensee GmbH

Schönstraße 80

13086 Berlin

E-Mail: behrbohm@park-klinik.com

Vor Kurzem ist die neue S2kLeitlinie zur Diagnostik und Therapie der gastroösophagealen Refluxkrankheit (GERD) erschienen. Wir sprachen mit dem Leitlinienautor Professor Joachim Labenz über die wesentlichen Neuerungen und aktualisierten Empfehlungen sowie den Stellenwert von PPI und Antazida, wie z.B. Hydrotalcit (Talcid®), in der Behandlung von Sodbrennen und GERD.

Es hatte sich bereits abgezeichnet, dass Protonenpumpeninhibitoren, kurz PPI, auch in der neuen Leitlinie zwar Goldstandard bleiben, doch in ihrer Wichtigkeit etwas herabgestuft werden. Was sind die wichtigsten neuen Empfehlungen rund um die Säureblocker?

Prof. Labenz: PPI spielen weiterhin eine wesentliche Rolle in der Therapie von Refluxbeschwerden und GERD. Die neue Leitlinie erteilt unreflektierter PPI-Gabe jedoch eine klare Absage. Bei typischen Refluxbeschwerden ohne Alarmsymptome können versuchsweise andere Antirefluxpräparate, wie

z.B. ein Antazidum, zum Einsatz kommen – sofern so eine ausreichende Symptomkontrolle erreicht wird. Bei komplizierter GERD sind jedoch nach wie vor eine PPIDauergabe sowie in Einzelfällen operative Maßnahmen angezeigt.

Laut Leitlinie wird zwischen der Therapie von Refluxbeschwerden – ohne diagnostisch gesicherte GERD – und der einer gesicherten GERD unterschieden. Können Sie dieses Statement für uns einordnen?

Prof. Labenz: Nicht alle Patienten und Patientinnen mit GERD haben typische Refluxsymptome und nicht jeder mit Refluxsymptomen hat eine GERD. Als typische Refluxbeschwerden gelten Sodbrennen, saures Aufstoßen und der Rückfluss von Speisebrei in die Speiseröhre. Es besteht jedoch keine Korrelation zwischen den Symptomen und den Läsionen des Ösophagus. So ist auch bei schweren Beschwerden ein endoskopischer Normalbefund möglich und umgekehrt. Bei einfachen Refluxbeschwerden ohne Alarmsymptome, wie Dysphagie, unbeabsichtigter

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 7 INTERVIEW
Interview mit Professor Joachim Labenz, Siegen

Gewichtsverlust oder Blutungen, und ohne Risikofaktoren für Komplikationen kann gegebenenfalls auf PPI verzichtet werden. Stattdessen kann versucht werden, eine Symptomkontrolle durch den Einsatz von beispielsweise Antazida zu erreichen.

Für eine effektive Therapie von GERD und Refluxbeschwerden sollten sich pharmakologische und nicht medikamentöse Interventionen sinnvoll ergänzen. Welche Empfehlungen trifft die neue Leitlinie in Bezug auf Allgemeinmaßnahmen?

Prof. Labenz: Patienten und Patientinnen mit Refluxbeschwerden und solche mit gesicherter GERD sollen über den Stellenwert von Allgemeinmaßnahmen im Therapiekonzept beraten werden. Zu den empfohlenen Maßnahmen zählen Zwerchfelltraining, Gewichtsreduktion bei Übergewicht, Lifestyle-Modifikationen wie etwa der Verzicht auf mögliche Trigger wie bestimmte Speisen, Alkohol oder Rauchen. Bei verstärkten nächtlichen Beschwerden ist zudem Schlafen in Linksseitenlage oder mit erhöhtem Oberkörper zu empfehlen. PTA und Apotheker sind bei der Selbstmedikation unkomplizierter Refluxbeschwerden oftmals die ersten Ansprechpartner und können diese Empfehlungen mit ins Beratungsgespräch einfließen lassen.

Wie stehen Sie zum Einsatz des modernen Schichtgitterantazi-

dums Talcid® zur Therapie von unkomplizierten Refluxsymptomen?

Prof. Labenz: Gemäß Leitlinie sollte eine PPI-Übertherapie, insbesondere bei nicht erosivem Krankheitsbild, kurz NERD, und unkomplizierten Refluxsymptomen vermieden werden. Hydrotalcit kann hier als gut wirksame und verträgliche Alternative zum Einsatz kommen. Dieses Antazidum hat in einer kontrollierten Studie gezeigt, dass es bei mehr als 90 % der Patienten und Patientinnen innerhalb kurzer Zeit die Symptome effektiv behandelt. Der Effekt hielt über Stunden an*. Das ist genau das, was Patienten und Patientinnen wollen. Alle systemisch auf die Säureproduktion wirkenden Medikamente (PPI, H2-Blocker) benötigen aufgrund ihres Wirk-

mechanismus an den säureproduzierenden Zellen hingegen mindestens 30 – 60 Minuten bis zum Wirkungseintritt.

Für welche Patientinnen und Patienten kann zusätzlich zur Behandlung mit PPI eine ergänzende Therapie mit Hydrotalcit hilfreich sein?

Prof. Labenz: Der Einsatz von Hydrotalcit als Add-on ist bei unzureichendem PPI-Effekt denkbar. Gleiches gilt im Rahmen eines Absetzversuches von PPI für die Behandlung möglicher Durchbruchsymptome, die sonst häufig zur Wiederaufnahme der PPI-Therapie führen.

Welche Vorteile hat eine Refluxbehandlung mit Hydrotalcit?

Prof. Labenz: Hydrotalcit zeichnet sich neben dem schnellen Wirkeintritt durch einen besonderen Wirkmechanismus aus und bietet eine Art „doppelten Magenschutz“: Neben der kontrollierten Säureneutralisation mit hoher Neutralisationskapazität werden körpereigene Schutzmechanismen aktiviert, wie beispielsweise die Aktivierung des COX-2-Enzyms und eine gesteigerte Prostaglandin-E2-Synthese. Außerdem werden Stoffe wie Pepsin, Gallensäuren und Lysolecithin gebunden. Dies kann insbesondere bei Personen, bei denen zusätzlich oder auch allein ein Magenproblem als Ursache der Symptome vorliegt, vorteilhaft sein.

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 8 INTERVIEW
Fabian Sandner, Nürnberg Prof. Dr. med. Joachim Labenz, Direktor der Medizinischen Klinik I, Diakonie Klinikum Jung-Stilling, Siegen * Quelle: Konturek et al. Med Sci Monit 2007:13;CR44-CR49

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CV: kardiovaskulär, EF: Ejektionsfraktion; HFrEF: Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion; NYHA: New York Heart Association.

1. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung e.V. (2022) ESC Pocket Guidelines. Herzinsuffizienz, Version 2021. Börm Bruckmeier Verlag GmbH, Grünwald; Kurzfassung der „2021 ESC Pocket Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure“ (European Heart Journal; 2021 – doi: 10.1093/eurheartj/ehab368).

2. Januzzi JL et al. Association of Change in N-Terminal Pro-B-Type Natriuretic Peptide Following Initiation of Sacubitril-Valsartan Treatment With Cardiac Structure and Function in Patients With Heart Failure With Reduced Ejection Fraction. JAMA. 322(11): 1085 – 1095 (2019). 3. McMurray JJV et al. Angiotensin-Neprilysin Inhibition versus Enalapril in Heart Failure. N Engl J Med. 371(11): 993 – 1004 (2014). 4. Dereli S et al. Impact of sacubitril/valsartan treatment on depression and anxiety in heart failure with reduced ejection fraction. Acta Cardiol. 75(8): 774 – 782 (2020).

5. Polito MV et al. Clinical and echocardiographic benefit of Sacubitril/Valsartan in a real-world population with HF with reduced ejection fraction. Sci Rep. 10(1): 6665 (2020). 6. Chandra A et al. Effects of Sacubitril-Valsartan on physical and social activity limitations in patients with heart failure – A secondary analysis of the PARADIGM-HF Trial. JAMA Cardiol. 3(6): 498 – 505 (2018). Entresto® 24 mg/26 mg Filmtabletten, Entresto® 49 mg/51 mg Filmtabletten, Entresto® 97 mg/103 mg Filmtabletten

Wirkstoffe: Sacubitril u. Valsartan. Zus.-setz.: Arzneil. wirks. Bestandt.: 1 Filmtabl. enth.: 24,3 mg bzw. 48,6 mg bzw. 97,2 mg Sacubitril und 25,7 mg bzw. 51,4 mg bzw. 102,8 mg Valsartan (als Sacubitril-Natrium–Valsartan-Dinatrium (1:1) 2,5 H2O). Sonst. Bestandt.: Tabl.-kern: Mikrokrist. Cellulose, niedrig substituierte Hydroxypropylcellulose, Crospovidon (Typ A), Magnesiumstearat, Talkum, hochdisp. Siliciumdioxid. Filmüberzug: Hypromellose, Substitutionstyp 2910 (3 mPa·s), Titandioxid (E171), Macrogol (4000), Talkum, Eisen(III)-oxid (E172). -24 mg/26 mg Filmtabl. u. -97 mg/103 mg Filmtabl. zusätzl.: Eisen(II,III)-oxid (E172). -49 mg/51 mg Filmtabl. zusätzl.: Eisen(III)-hydroxid-oxid x H2O (E172). Anwend.-gebiete: Bei erwachsenen Patienten zur Behandl. einer symptomatischen, chronischen Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion. Gegenanz.: Überempfindlichk. gegen die Wirkstoffe od. einen der sonst. Bestandt. Gleichzeit. Anwend. von ACE-Hemmern. Entresto darf erst 36 Stunden nach Absetzen einer Therapie mit ACE-Hemmern gegeben werden. Anamnestisch bekanntes Angioödem im Zus.-hang mit e. früheren ACE-Hemmer- od. ARB-Therapie. Hereditäres od. idiopathisches Angioödem. Bei Auftreten e. Angioödems muss Entresto sofort abgesetzt werden. Gleichzeit. Anwend. mit Aliskiren-haltigen AM bei Patienten mit Diabetes mellitus od. bei Patienten mit Nierenfunktionsstörung (eGFR < 60 ml/min/1,73 m2). Schwere Leberinsuffizienz, biliäre Zirrhose od. Cholestase. Zweites u. drittes Schwangerschafts-Trimester. Stillzeit. Nebenw.: Sehr häufig: Hyperkaliämie. Hypotonie. Nierenfunktionsstör. Häufig: Anämie. Hypokaliämie, Hypoglykämie. Schwindel, Kopfschmerzen, Synkope. Vertigo. Orthostat. Hypotonie. Husten. Diarrhö, Übelkeit, Gastritis. Nierenversagen (einschl. akutes Nierenversagen). Ermüdung, Asthenie. Gelegentl.: Überempfindlichkeit. Posturaler Schwindel. Pruritus, Hautausschlag, Angioödem. Selten: Halluzinationen (einschl. akust. Und opt. Halluzinationen); Schlafstörungen. Sehr selten: Paranoia. Verschreibungspflichtig.

Hinweise: S. Fachinformation. Stand: Mai 2021 (MS 06/21.11). Novartis Pharma GmbH, Roonstr. 25, 90429 Nürnberg. Tel.: (0911) 273-0, Fax: (0911) 273-12 653. www.novartis.de
Weit.

In der Versorgung von Menschen mit Migräne, die eine Prophylaxe benötigen, bestehen nach wie vor große Lücken. Konventionelle Standard-of-Care-Migräneprophylaktika adressieren die Bedürfnisse vieler Patienten nicht optimal: Rund die Hälfte der Betroffenen bricht eine Therapie innerhalb eines halben Jahres ab [1, 2]. Aktuell publizierte Daten der Studie EPISCOPE10 zeigen, dass viele Patienten, für die eine Prophylaxe infrage käme, diese nicht oder nicht mehr erhalten, weil die konventionellen Präparate nicht effektiv genug waren, sie diese nicht vertrugen oder weil Kontraindikationen bestanden [3].

Diese therapeutische Lücke lässt sich mit dem CGRP-Rezeptorblocker Erenumab (Aimovig®) schließen, der in aktuellen Studien hinsichtlich Verträglichkeit und Wirksamkeit eine signifikante Überlegenheit gegenüber Standard-of-Care-Migräneprophylaktika zeigte [4, 5]. Erenumab ist ein vollständig humaner monoklonaler Antikörper, der spezifisch für die Prophylaxe der Migräne durch Blockade des Rezeptors des Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) entwickelt wurde [6].

Studien belegen die Vorteile der spezifischen Prophylaxe

Dass eine spezifische Prophylaxe Vorteile bieten kann, zeig-

Erenumab eröffnet neue Versorgungsperspektiven in der Migräneprophylaxe

ten für Erenumab die Daten der randomisierten, doppelblinden, 24-wöchigen HER-MES-Studie [4]. Eingeschlossen waren 777 erwachsenen Migränepatienten mit ≥4 Migränetagen pro Monat (MMD), die zuvor 0 – 3 prophylaktische Behandlungen erhalten hatten. In dieser Phase-IV-Studie wurden der Antikörper Erenumab und das häufig eingesetzte Migräneprophylaktikum Topiramat sowohl hinsichtlich der Verträglichkeit (Abbruch der Behandlung wegen unerwünschter Arzneimittelwirkungen, UAW) als auch der Wirksamkeit (50%ige Reduktion der Migränetage im Vergleich zur Baseline) direkt verglichen. Erenumab war in beiden Endpunkten signifikant überlegen: 10,6 % (Erenumab) bzw. 38,9 % (Topiramat) der Patienten brachen die Behandlung wegen UAW innerhalb von 6 Monaten ab und 55,4 % (Erenumab) bzw. 31,2 % (Topiramat) erreichten in Woche 24 eine Reduktion ihrer MMD um ≥50 % (je p < 0,001).

Ähnliche überzeugende Ergebnisse lieferte die Phase-IV-Studie APPRAISE, die die Überlegenheit von Erenumab gegenüber mehreren konventionellen Migräneprophylaktika belegte [5]. Die daran teilnehmende 621 Patienten, die unter episodischer Migräne litten (≥4 und <15 MMD), hatten 1 – 2 vorangegangene Therapien zur Migräneprophylaxe aufgrund mangelnder Wirksamkeit und/oder

Verträglichkeit abgebrochen. Sie wurden entweder mit Erenumab oder einer oralen, unspezifischen Migräneprophylaxe nach Wahl des jeweiligen Zentrums und in Absprache mit den Patienten behandelt. Den kombinierten primären Endpunkt, bestehend aus dem Verbleib auf ihrer initial verordneten Therapie und einer Reduktion der MMD um ≥50 % während der 12-monatigen Studiendauer, erreichten 56,2 % der ErenumabPatienten und 16,8 % der Patienten mit der Standardprophylaxe (p < 0,0001). Wegen unerwünschter Nebenwirkungen beendeten lediglich 2,9 % der Erenumab-Patienten, jedoch 23,3 % unter Standardprophylaxe die Behandlung vorzeitig [5].

Neue Erstattungssituation für Erenumab und bundesweite Praxisbesonderheit

Auf Basis der Ergebnisse der HERMES-Studie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bereits am 21. Oktober 2021 für Erenumab (Aimovig®) einen beträchtlichen Zusatznutzen gegenüber der Vergleichstherapie bei Erwachsenen mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat festgestellt, für die eine konventionelle Migräneprophylaxe infrage kommt [7]. Daraufhin wurde die Erstattung für Erenumab neu verhandelt [8]: Seit dem 1. Oktober 2022 greift für die spe-

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DIE
FÜR
PRAXIS

Soziökonomische Folgen der Migräne und der Einfluss einer Prophylaxe

Deutschlandweit leiden laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft 8 Millionen Menschen an Migräne. In der Akutphase einer Migräneattacke sind etwa 100.000 Menschen aufgrund ihrer schwer belastenden Migräne täglich bettlägerig [9]. Im Berufsleben macht sich ein migränebedingter Leistungsverlust weniger durch Absenzen (Absentismus) bemerkbar als vielmehr durch den so genannten Präsentismus. Das bedeutet, dass Mitarbeiter trotz Migräneattacke zur Arbeit gehen, jedoch zwangsläufig weniger leistungsfähig sind. Aus einer internationalen Befragung von mehr als 6.600 berufstätigen Betroffenen mit mehr als 4 monatlichen Migränetagen ging hervor, dass im Durchschnitt während einer Migräneattacke 13 % ihrer Arbeitszeit durch Absentismus und 48 % ihrer Zeit durch Präsentismus verloren gehen [10]. Daraus resultiert eine hohe Belastung sowohl für die Betroffenen selbst und ihr Arbeitsumfeld als auch für die Gesamtgesellschaft. Die sozioökonomischen Folgen, die durch die Krankheitslast der Migräne für Deutschland entstehen, wurden in einer Studie des WifOR-Instituts, Darmstadt, berechnet. Die Ergebnisse wurden 2020 in der Fachzeitschrift Cephalalgia publiziert [11]. Eine Folgestudie aus 2021 hat nun anhand eines Kosten-Nutzen-Modells die Vorteile einer Migräneprophylaxe mit dem CGRP-Rezeptor-Antikörper Erenumab für die Gesellschaft und das Gesundheitssystem ermittelt [12].

Studienergebnisse [12]:

• 60 % der Migränepatienten in Deutschland haben 3 oder weniger Kopfschmerztage pro Monat.

• 5,4 % der Betroffenen leiden an chronischer Migräne (mehr als 15 Kopfschmerztage pro Monat).

• 65 % der 836 Millionen jährlichen Kopfschmerztage entfallen auf Frauen.

• 1,22 Milliarden Arbeitsstunden, davon 544,2 Millionen bezahlt und 675,8 Millionen unbezahlt, gehen aufgrund von Migräne verloren.

• Das sozioökonomische Potenzial, das durch eine bessere Versorgung von Menschen mit Migräne entstehen kann, beläuft sich auf jährlich 100,4 Milliarden Euro (durchschnittlich 6.493 Euro pro Patient).

• Die Kosten einer Migräneprophylaxe mit Erenumab werden mindestens um den Faktor 3 ausgeglichen, zusätzlich zur deutlichen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten.

Schlussfolgerungen: Insgesamt liefern die sozioökonomischen Auswirkungen der Migräne ein starkes Argument dafür, dass innovative Migränetherapien für die Gesellschaft von hohem Wert sein können. Eine Migräneprophylaxe wie z.B. mit Erenumab kann somit zu einem deutlichen Gewinn für die Gesellschaft und für das Gesundheitssystem führen.

zifische Migräneprophylaxe mit dem CGRP-Rezeptor-Inhibitor Erenumab eine neue Erstattungssituation, die rückwirkend zum 1. April 2022 gilt. Erenumab ist nun gemäß Indikation, das heißt unabhängig von Art und Zahl der Vortherapien, bei erwachsenen Patienten mit ≥4 MMD erstattungsfähig. Zusätzlich gilt eine bundesweite Praxisbesonderheit, die gemäß den Voraussetzungen budgetneutral für die Behandler ist. Sie gilt nur für Erwachsene mit mindestens 4 Migräne-Tagen pro Monat, bei denen mindestens eine andere Migräne-Prophylaxe (Metoprolol, Propranolol, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin oder Clostridium-botulinum-Toxin Typ A) wirkungslos war oder diese Prophylaxe nicht vertragen wurde. Weiterhin gilt die Praxisbesonderheit für Patienten, bei denen keiner der vorgenannten Wirkstoffe zur Prophylaxe der Migräne-Attacken eingesetzt werden kann. Diese Nichteignung ist entsprechend zu dokumentieren.

Fazit für die Praxis

Der CGRP-Rezeptorblocker Erenumab zeigte in aktuellen Studien [4, 5] gegenüber Standardof-Care-Migräneprophylaktika hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit eine signifikante Überlegenheit. Dass der Wirkstoff laut G-BA-Beschluss nun unabhängig von Art und Zahl der Vortherapien bei erwachsenen Patienten mit mindestens 4 MMD erstattungsfähig ist, bedeutet eine deutliche Verbesserung in der Versorgung von Menschen mit Migräne, die eine prophylaktische Therapie benötigen und oft einen hohen Leidensdruck aufweisen. Die Verschreibungsfähigkeit ist nicht auf

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FÜR DIE PRAXIS

Fachärzte beschränkt, sondern richtet sich an alle Behandler mit Erfahrung in der Diagnose und Therapie von Migräne.

Fehlversorgung bei Schmerzen vermeiden: Deutsche Schmerzgesellschaft setzt ambulantes Versorgungsangebot auf

Literatur

1 Berger A et al. Pain Pract 2012;12:541549

2 Hepp Z et al. J Manag Care Pharm 2014; 20:322-328

3 Groth M et al. Sci Rep 2022;12:4589

4 Reuter U et al. Cephalalgia 2022; 42:108118

5 Gil-Gouveia R et al. Sustained benefit of monthly erenumab versus daily oral preventives in episodic migraine patients from the APPRAISE study. E-presentation (EPR018) at the annual meeting of European Academy of Neurology (EAN), June 25–28, 2022

6 Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA): Nutzenbewertungsverfahren zum Wirkstoff Erenumab (Neue wissenschaftliche Erkenntnisse (§ 14): Migräne-Prophylaxe). https://www.g-ba.de/bewertungsverfahren/nutzenbewertung/679/#dossierhtt ps://www.gkv-spitzenverband.de/media/ dokumente/krankenversicherung_1/arzneimittel/amnog_praxisbesonderheiten/1 8083pb20220401.pdf

7 Göbel H et al. Schmerz 2019;33:147-155

8 Martelletti P et al. J Headache Pain 2018;9:115

9 Seddik A et al. Cephalalgia 2020;40: 1551-1560

10 Seddik A et al. Value in Health 2021;24: 1446-1453

Bis zu 27 % der Menschen in Deutschland leiden an chronischen Schmerzen. Nach Daten der BARMER Krankenkasse hat fast die Hälfte aller Versicherten (46,2 %) zumindest eine Diagnose mit direktem Schmerzbezug. Am häufigsten klagen die Betroffenen über Rückenschmerzen, Bauch- und Beckenschmerzen, Gelenkschmerzen, Kopfschmerzen und Migräne. „Das persönliche Leiden bei Patienten mit chronischen Schmerzen steigt vor allem mit zunehmendem Alter erheblich, häufig kommen psychische Beeinträchtigungen hinzu“, sagt Professor Winfried Meißner, Präsident der Deutschen Schmerzgesellschaft e.V. Diese Entwicklung ist mit großen Herausforderungen und explodierenden Kosten für das Gesundheitssystem verbunden.

„Die Therapie chronischer Schmerzen ist sowohl von Über-, Unter- als auch einer Fehlversorgung gekennzeichnet“, so Meißner. Psychosoziale und funktionelle Risikofaktoren für eine Chronifizierung werden noch immer häufig zu spät erkannt und im Verlauf zu wenig beachtet. Es gibt große Unterschiede zwischen der empfohlenen leitliniengerechten Behandlung und der tatsächlich angewendeten Therapie, sodass es häufig zu einer ineffektiven Therapieeskalation bis hin zu Mehrfachoperationen und Frühverrentung kommt. Vor diesem Hintergrund hat die Deutsche Schmerzgesellschaft mit der BARMER Krankenkasse

und 28 Partnerkliniken das Projekt PAIN 2020 entwickelt – eine gezielte Verbesserung der Schmerzversorgung, gerade für noch nicht chronifizierte Patienten. Das Projekt wurde durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) in den vergangenen 4 Jahren mit rund 7 Millionen Euro gefördert. Diese neue Versorgungsform besteht im Kern in einer frühzeitigen, umfassenden interdisziplinären Untersuchung der Betroffenen durch ein Team aus erfahrenen ärztlichen, psychologischen und physiotherapeutischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Diese 3 Berufsgruppen stellen nach einem ausführlichen persönlichen Kontakt mit dem Betroffenen gemeinsam eine Diagnose und erarbeiten individuell angepasste Therapiestrategien.

A-IMA: ambulantes interdisziplinäres multimodales Assessment

„Die hohe Akzeptanz sowohl bei Betroffenen als auch Zuweisern hat uns und die BARMER sehr beeindruckt. Als ein Ergebnis ist es uns gemeinsam gelungen, diese neue gesundheitliche Versorgungsleistung als ambulantes interdisziplinäres multimodales Assessment (A-IMA) im Gesundheitswesen zu verankern“, so Meißner. In kurzer Zeit wurde ein entsprechendes Partnerzentren-Netzwerk aufgebaut: BARMER-Versicherte können an mehr als 20 Standorten an A-IMA teilnehmen*, der Beitritt weiterer Kassen ist eingeplant. Monatlich kommen neue Zentren hinzu.

* Teilnehmende Einrichtungen: https://www. schmerzgesellschaft.de/wissenschaft/ima-selektivvertrag/info-patientinnen

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AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Alzheimer­Krankheit in frühen Stadien

Typisch für die Alzheimer-Erkrankung sind Amyloid-Ablagerungen, die sich im Gehirn zwischen den Nervenzellen absetzen und die Zellen schädigen und daher als geeigneter Angriffspunkt für mögliche Antikörper-Therapien gelten. Jedoch konnten die gegen aggregiertes Amyloid gerichteten Antikörper Aducanumab und Gantenerumab in Studien nicht überzeugen. Auf dem Alzheimer-Kongress in San Francisco wurde eine Phase-III-Studie vorgestellt, die einen Meilenstein für die Behandlung der Alzheimer-Erkrankung darstellen könnte [1]. Denn mit dem Antikörper Lecanemab wurde offensichtlich ein Durchbruch erzielt. Lecanemab richtet sich gegen Protofibrillen, ein toxisches Zwischenprodukt von Amyloid-Fibrillen, hat also einen spezifischeren Ansatzpunkt als die bisherigen Antikörper, die enttäuschten. „Die Studiendaten zu Lecanemab sind überzeugend und konsistent. Möglicherweise haben wir nun einen Angriffspunkt gefunden, der einen Unterschied im klinischen Verlauf macht“, erklärt Professor Jörg B. Schulz, Sprecher der Kommission Demenz der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).

Signifikante Verlangsamung der Krankheitsprogression

In der von van Dyck et al. durchgeführte Studie [1] wurden 1.795 Patienten mit einer Alzheimer-Erkrankung im Frühstadium randomisiert: 898 erhielten Lecanemab (10 mg/kg KG i.v. alle 2 Wochen), 897 ein Placebo. Nach 18 Monaten

wurde der Effekt auf den CDR-SBScore (Clinical Dementia RatingSum of Boxes) erhoben. Dabei handelt es sich um einen etablierten Score zur Einschätzung der Schwere der Demenz, der Faktoren wie Gedächtnis, Orientierung, Urteilsund Problemlösungsvermögen, Geschäftsfähigkeit, häusliches Leben und Hobbys sowie die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, einbezieht. Bei Studieneinschluss lag der mittlere CDR-SB-Score bei etwa 3,2 in beiden Gruppen. Der Unterschied zwischen den Gruppen war nach 1,5 Jahren beträchtlich: Der Score hatte sich um 1,21 in der Verumgruppe und um 1,66 in der Placebogruppe verändert (p < 0,001). Die Effekte der Behandlung mit Lecanemab waren in allen untersuchten primären und sekundären Endpunkten signifikant positiv. Gemessen mit der CDR-SB wurde die Erkrankungsprogression um 27 % verlangsamt, bei den Aktivitäten des täglichen Lebens machte der Unterschied 37 % aus. Die Unterschiede zwischen den mit Lecanemab und Placebo behandelten Patienten waren bereits nach 6 Monaten signifikant und nahmen mit weiterer Behandlungsdauer zu. Die PET-Amyloid-Last wurde sehr deutlich und signifikant reduziert. Im Hinblick auf mögliche schwere Nebenwirkungen gab es in der Studie keine Überraschungen. Wie bei der Therapie mit gegen Amyloid gerichteten Antikörpern traten zwar auch unter Behandlung mit Lecanemab Nebenwirkungen auf, darunter Ödeme und Mikrohämorrhagien (Amyloidrelated Imaging Abnormality, ARIA). Diese blieben allerdings meist klinisch stumm. So betrug die ARIA-H-Rate (ARIA-H: zerebrale Mikroblutungen und oberflächliche Siderose) 17,0 % in der Lecanemab-Gruppe und 8,7 % in

der Placebogruppe, das Auftreten von symptomatischen ARIA-H lag hingegen nur bei 0,7 % in der Lecanemab-Gruppe und bei 0,2 % in der Placebogruppe. „In der Studie sind keine Sicherheitssignale zu erkennen, das Nutzen-Risiko-Profil lässt sich als positiv bewerten“, schlussfolgert Schulz.

Allerdings gibt es in den USA Berichte [2] über 2 Todesfälle, die nach der eigentlichen Studie in der Open-Label-Extensionsphase auftraten. Eine Frau starb infolge einer Hirnblutung nach rtPA-Therapie bei Verschluss der Arteria cerebri media, ein weiterer Patient entwickelte eine Gehirnblutung unter Antikoagulation und im Anschluss einen tödlichen Herzinfarkt. „Diesen Berichten muss nun nachgegangen werden, auch muss untersucht werden, ob die Alzheimer-Medikation das Risiko für solche Ereignisse erhöhen könnte. Die Zulassungsbehörden arbeiten hier sehr sorgfältig. Werden diese Zweifel an der Sicherheit ausgeräumt, hätten wir endlich ein wirksames Medikament gegen Alzheimer.“ Wichtig zu erwähnen ist, dass der Antikörper nur in den Frühphasen der Alzheimer-Erkrankung mit nur milden kognitiven Einschränkungen erfolgreich ist. Lecanemab verlangsamt das Fortschreiten der Erkrankung, macht sie aber nicht rückgängig. Patienten mit ausgeprägtem Krankheitsbild und schwerer Demenz profitieren also nicht von der Therapie.

Quellen

1 van Dyck CH et al. Lecanemab in early Alzheimer’s disease. N Engl J Med 2023;388:9-21

2 https://www.science.org/content/article/ second-death-linked-potential-antibodytreatment-alzheimer-s-disease

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DGN

Spondyloarthritiden: Secukinumab hemmt strukturelle Progression

Kommt es bei Patienten mit axialer Spondyloarthritis (axSpA) oder Psoriasis-Arthritis (PsA) im fortschreitenden Krankheitsverlauf zu bleibenden knöchernen Veränderungen an den Gelenken und der Wirbelsäule, ist dies mit einer hohen Krankheitslast verbunden: Die Betroffenen leiden unter starken Schmerzen und den Versteifungen mit einem erheblichen negativen Einfluss auf ihre Lebensqualität. Um irreversible Schäden an den Gelenken und der Wirbelsäule zu verhindern, ist es wichtig, frühzeitig und adäquat zu behandeln. Der Interleukin (IL)-17A-Inhibitor Secukinumab (Cosentyx®) ist seit mehr als 7 Jahren eine Therapieoption für Patienten mit röntgenologischer axSpA (r-axSpA) und PsA.

Langzeitdaten belegen

deutliche Verbesserungen bei r-axSpA

Die Wirksamkeit und Sicherheit von Secukinumab bei Patienten mit röntgenologischer axSpA untersuchte die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte Phase-III-Studie MEASURE 1*, die auf 2 Jahre angelegt war, mit einer Extensionsphase über weitere 3 Jahre.

Die 5-Jahres-Analyse zeigte unter Secukinumab 150 mg (subkutan alle 4 Wochen in der Erhaltungsphase) deutliche Verbesserungen: 78,6 % der Patienten erreichten eine 20%-ige Verbesserung nach den Responsekriterien der As-

sessment of SpondyloArthritis International Society (ASAS) – ein ASAS20-Ansprechen und 65,2 % ein ASAS40-Ansprechen. Bei der Auswertung nach 4 Jahren waren immer noch 78,9 % der Patienten unter Secukinumab 150 mg frei von einer röntgenologischen Progression an der Wirbelsäule. Dies war als eine Abweichung von der Baseline um <2 Punkte gemäß dem modified Stoke Ankylosing Spondylitis Spinal Score (mSASSS <2) definiert.

Verhinderung knöcherner Gelenkveränderungen bei PsA

Die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierten Phase-IIIStudie FUTURE 5** bei Patienten mit Psoriasis-Arthritis belegte die aus den Zulassungsstudien bekannte Gelenkwirksamkeit von Secukinumab und dessen positiven Effekt auf den Gelenkerhalt: Bei einem Großteil der Behandelten wurde durch die Therapie mit dem IL-17A-Inhibitor die strukturelle Progression der Erkrankung langfristig verhindert. So betrug der Anteil der Patienten ohne strukturelle Progression unter Secukinumab nach 104 Wochen 89,5 % (300 mg) und 82,3 % (150 mg, mit loading dose, LD), gemessen anhand der Veränderung des van der Heijde-modified total Sharp Scores (vdHmtSS) von ≤0,5 gegenüber dem Ausgangswert. Der Anteil der Betroffenen mit einer Veränderung des mtSS ≤0,0 gegenüber dem Ausgangswert lag bei 81,2 % (300 mg) und 69,1 % (150 mg, mit LD).

Wenn Patienten mit gastroösophagealen Refluxsymptomen ungenügend auf die Behandlung mit Protonenpumpeninhibitoren (PPI) ansprechen, kommen verschiedene Ursachen infrage. Eine Möglichkeit: Die Beschwerden sind gar nicht refluxbedingt (Non-GERD), sondern lassen sich z.B. auf Motilitätsstörungen, Aerophagie oder funktionelle Ursachen zurückführen. Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen der Non-GERD-Erkrankung zählt jedoch die eosinophile Ösophagitis (EoE) [1]. Diese Tatsache wird als so bedeutsam erachtet, dass Empfehlungen zur EoE jetzt in die Konsultationsfassung der aktualisierten S2k-Leitlinie zur gastroösophagealen Refluxkrankheit aufgenommen wurden [2].

Zielgerichtete Therapie mit der Budesonid-Schmelztablette

Die EoE ist eine chronische, immunvermittelte und multifaktorielle Erkrankung der Speiseröhre, gekennzeichnet durch Symptome einer ösophagealen Dysfunktion, wie vor allem Schluckbeschwerden mitunter mit Schmerzen beim Schlucken, Bolusobstruktion bzw. -impaktion mit einhergehendem Würgereiz sowie Brustschmerzen. Histologisch findet sich eine von eosinophilen Granulozyten dominierte Entzündung (Abb. 1). Andere systemische oder lokale Ursachen für die ösophageale Eosinophilie sollten ausgeschlossen werden.

Bei den meisten EoE-Patienten ist eine Behandlung mit einem topischen Kortikosteroid wie z.B. der orodispersiblen BudesonidSchmelztablette mit Brauseeigenschaften (Jorveza®) erfolgreich. Im Durchschnitt kann bei

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FÜR DIE PRAXIS
S. M. * Braun J et al. Rheumatology 2019;58: 859-868 ** Mease PJ et al. RMD Open 2021;7: e001600

Empfehlungen zu gastroösophagealem Reflux und eosinophiler Ösophagitis

einem topischen Kortikosteroid erfolgt. Inzwischen liegen Daten einer open-label Langzeitstudie mit 166 Patienten vor, die über 96 Wochen mit der Budesonid-Schmelztablette behandelt wurden. In dieser Zeit erlitten lediglich 2 Patienten (1,2 %) ein klinisches Rezidiv. Von 146 Patienten, die sich optional endoskopieren ließen, befanden sich 78,8 % in tiefer histologischer Remission (0 Eosinophile/Hellfeld). Die Behandlung hat sich auch über den Zeitraum von bis zu 3 Jahren als sicher erwiesen. Als häufigste Nebenwirkung traten meist mild ausgeprägte Candida-Infektionen auf, die jedoch in ihrer Häufigkeit im Vergleich zur Induktionstherapie nicht zunahmen [7].

Fazit für die Praxis

ca. 60 % der Patienten mit EoE bereits nach einer sechswöchigen Induktionstherapie mit der Budesonid-Schmelztablette mit einer klinisch-histologischen Remission gerechnet werden, nach 12 Wochen bei 85 % [3, 4]. Diese Daten konnten in einer open-label Studie mit 181 Erwachsenen mit einer histologischen Remissionsrate von 90,1 % und einer klinischen Remissionsrate von 75,1 % bestätigt werden [5]. Daher ist ein topisches Kortikosteroid laut der neuen Leitlinie bei Erwachsenen mit aktiver EoE die erste Wahl zur Remissionsinduktion. Alternativen

sind eine Behandlung mit PPI oder eine 6-Food-Eliminationsdiät. Im Vergleich zur Budesonid-Schmelztablette sind diese jedoch weniger wirksam und haben eine schlechtere Evidenz [2].

Langfristig effektiv und sicher therapieren

Da nach Beendigung der Induktionstherapie zu etwa 90 % mit einem histologischen Rezidiv innerhalb eines Jahres gerechnet werden muss [6], wird eine Erhaltungstherapie empfohlen, die ebenfalls mit

Mit einer konsequenten antientzündlichen Therapie können stabile Langzeitremissionen erreicht und Komplikationen der EoE wie Fibrose, Strikturen und Stenosen der Speiseröhre verhindert werden. Therapie der ersten Wahl für die Induktions- und Erhaltungstherapie bei erwachsenen Patienten sind topische Kortikosteroide wie die Budesonid-Schmelztablette mit Brauseeigenschaften (Jorveza®). Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

1 Spechler SJ et al. N Engl J Med 2019; 381:1513-1523

2 S2k-Leitlinie Gastroösophageale Refluxkrankheit und eosinophile Ösophagitis, Konsultationsfassung. AWMF-Registernr. 021-013 (Stand August 2022)

3 Lucendo A et al., Gastroenterology 2019; 157:74-86

4 Fachinformation Jorveza® 0,5 mg/1 mg Schmelztabletten; Stand: November 2021

5 Miehlke S et al. United European Gastroenterology J 2022;10:330-343

6 Straumann A et al. Gastroenterology 2020; 159:1672-1685

7 Schlag C et al. Gastroenterology 2022; 162 (Suppl): #881

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 15 AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Abbildung 1: a) Intakter Ösophagus, b) Bolusimpaktion durch eosinophile Ösophagitis (© Dr. Falk Pharma GmbH).

Der Knochen ist der häufigste Manifestationsort von Metastasen beim Lungenkarzinom. Abhängig von der Histologie liegt die Prävalenz von ossären Metastasen bei Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) bei etwa 13 % (Plattenepithelkarzinom) bzw. 30 % (Adenokarzinom) [1].

Im deutschen Lungenkarzinomregister CRISP wurden bei insgesamt 28 % der gelisteten Patienten ossäre Metastasen angegeben und bei 7 % waren die Knochen der einzige Metastasierungsort [2].

Am häufigsten war die Wirbelsäule von Knochenmetastasen betroffen, gefolgt von Beckengürtel, proximalem Femur und Humerus. Skelettale Ereignisse traten im Median nach 5,2 Monaten und somit früh im Krankheitsverlauf auf.

Bei Vorliegen eines molekularen Treibers bildeten sich ossäre Metastasen in unterschiedlicher Häufigkeit: Lag laut CRISP-Register eine EGFR-Mutation vor, war der Krebs in 42,4 % der Fälle in die Knochen metastasiert, bei ALKpositiven Tumoren in 30,2 %, bei ROS-positiven Tumoren in 34,9 %, bei BRAF-positiven Tumoren in 32,0 %, bei PD-L1-positiven Tumoren in 29,3 % und bei KRAS G12C-mutierten Tumoren in 34,4 % der Fälle [2].

Skelettale Ereignisse verkürzen das Überleben

Wie eine retrospektive Analyse der Daten von 259 Patienten ergab, entwickelten 30,4 % der NSCLCBetroffenen im Laufe ihrer Erkrankung Knochenmetastasen und von diesen erlitt die Hälfte skelettale Ereignisse [3]. Diese waren mit einem verkürzten Überleben assoziiert, während die Überlebenszeit

bei Vorliegen von ossären Metastasen ohne skelettale Ereignisse vergleichbar war mit der Überlebenszeit von Patienten ohne Knochenmetastasierung. Das Fazit der Analyse lautete: Die Vermeidung von skelettalen Ereignissen ist von Bedeutung für das Überleben [3].

Nicht alle Patienten erhalten einen Knochenschutz

In den letzten Jahren hat sich dank der Entwicklung neuer Wirkstoffe, molekular gezielter Substanzen und von ImmuncheckpointInhibitoren die Chance der an einem Lungenkarzinom leidenden Patienten auf ein längeres Überleben zwar deutlich verbessert, aber noch immer erhalten viele Betroffene keinen ausreichenden

Denosumab

Knochenschutz. Laut Auswertungen des CRISP-Registers bekommen lediglich 43 % der Patienten mit Lungenkarzinom und ossären Metastasen eine medikamentöse osteoprotektive Therapie. Mit Bestrahlung und Operation als weitere osteoprotektive Maßnahmen steigt die Zahl auf 59 %. Bei weiteren 17 % wurde eine osteoprotektive Therapie zumindest geplant, aber nicht ausgeführt. Und bei einem Viertel der Patienten wurde eine osteoprotektive Behandlung weder appliziert noch in Erwägung gezogen [2].

Denosumab eröffnet die Chance auf ein längeres Überleben

Die o.g. Daten aus der Versorgungsforschung sind insofern

Denosumab (Xgeva®) ist ein humaner monoklonaler IgG2-Antikörper, der mit hoher Affinität und Spezifität an RANKL bindet, ein Protein, das essenziell für die Bildung, die Funktion und das Überleben von Osteoklasten ist. Eine durch RANKL stimulierte erhöhte Osteoklastenaktivität ist ein Schlüsselmediator des Knochenabbaus bei Knochenmetastasen. Indem Denosumab an RANKL bindet, werden die Anzahl sowie die Funktion der Osteoklasten und damit die Knochenresorption und die tumorinduzierte Knochenzerstörung vermindert.

Die empfohlene Dosis beträgt 120 mg. Diese wird einmal alle 4 Wochen als einzelne subkutane Injektion in den Oberschenkel, die Bauchregion oder den Oberarm verabreicht [4].

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 16 AKTUELLE
THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS
Bei Patienten mit Lungenkarzinom ist eine osteoprotektive Therapie unerlässlich

verwunderlich, als seit vielen Jahren ein mittlerweile in der Praxis bewährtes Osteoprotektivum zur Verfügung steht: Der monoklonale IG2-Antikörper Denosumab (Xgeva®) wurde bereits 2011 in der EU zur Prävention skelettbezogener Komplikationen (pathologische Fraktur, Bestrahlung des Knochens, Rückenmarkkompression oder operative Eingriffe am Knochen) bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen und Knochenbefall zugelassen [4]. Die Europäische ArzneimittelAgentur gelangte zu dem Schluss, dass Xgeva® bei der Vorbeugung knochenbezogener Ereignisse wirksam, weniger schädlich für die Nieren und einfacher zu verabreichen ist als bereits bestehende Behandlungsmöglichkeiten [5]. Die Wirkung von Denosumab auf das Fortschreiten der Erkrankung und das Überleben bei Patienten mit Knochenmetastasen bei fortgeschrittenen Krebserkrankungen ist – auch im Vergleich mit Zoledronsäure – durch etliche Studien belegt [4]. Neben seiner guten Nierenverträglichkeit erweist sich auch die einfache subkutane Anwendung von Vorteil, weil sie auch eine Gabe im Pflegeheim oder in der hausärztlichen Praxis ermöglicht.

Brigitte Söllner, Erlangen

Neu: Maralixibat zur Behandlung des cholestatischen Pruritus beim Alagille­Syndrom

Das Alagille-Syndrom (ALGS) ist eine seltene autosomal-dominant vererbte Erkrankung, bei der die Gallengänge ungewöhnlich eng, fehlgebildet und in ihrer Anzahl reduziert sind, was zu einer Ansammlung von Gallenflüssigkeit in der Leber und schließlich zu einer progressiven Lebererkrankung führt.

Die geschätzte Inzidenz von ALGS beträgt 1 von 30.000 Personen. Bei Patienten mit ALGS können mehrere Organsysteme von der Mutation betroffen sein, einschließlich Leber, Herz, Nieren und ZNS. Aktuellen Berichten zufolge benötigen 60 – 75 % der ALGS-Patienten eine Lebertransplantation, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen.

Zu den infolge einer Leberschädigung bei ALGS auftretenden Symptomen zählen u.a. Gelbsucht, Xanthome und Pruritus. Dieser Juckreiz gehört zu den schwersten bei chronischen Lebererkrankungen beobachteten Formen und tritt bei den meisten betroffenen Kindern vor dem dritten Lebensjahr auf. Für diesen quälenden Pruritus gab es bislang keine wirksame Therapie.

tischen Pruritus bei Patienten mit Alagille-Syndrom im Alter von 2 Monaten und älter erteilt. Dabei handelt es sich um einen Hemmer des ilealen Gallensäuretransporters (Ileal Bile Acid Transporter, IBAT), der als Lösung einmal täglich oral verabreicht wird.

Maralixibat senkt die Gallensäurekonzentration im Serum, indem es die Wiederaufnahme von Gallensäuren aus dem Darm in die Leber verringert und deren Ausscheidung über das Kolon verstärkt. Dadurch wird die Ansammlung von Gallensäure reduziert und der cholestatische Juckreiz gelindert.

In der für die Zulassung relevanten ICONIC-Studie kam es unter der Behandlung mit Maralixibat zu einer statistisch signifikanten und klinisch relevanten Reduktion des Pruritus im Vergleich zu Placebo mit einer mittleren Differenz von –1,4 Punkten zwischen den Gruppen. Auch die Serum-Gallensäuren gingen signifikant zurück. Beide Effekte hielten über mehrere Behandlungsjahre an.

Wie die über einen Zeitraum von 6 Jahren erhobenen klinischen Daten zeigen, führte die Therapie mit Maralixibat darüber hinaus zu einer Abnahme des Xanthom-Schweregrades sowie zu einer Senkung des Cholesterinspiegels. Im Vergleich zu einer Kohorte mit natürlichem Krankheitsverlauf verbesserten sich auch das ereignisfreie Überleben und die Lebensqualität der mit dem IBAT-Hemmer behandelten Kinder.

Literatur

1 dos Reis Oliveira MB et al. Rev Brasil Orthop 2019;54:524-530

2 CRISP-Register, Auswertung 06/2021

3 Tsuya A et al. Lung Cancer 2007;57:229232

4 Fachinformation Xgeva®; Stand: 2022.

Datum der Erstzulassung: 13. Juli 2011

5 https://www.ema.europa.eu/en/documents/overview/xgeva-epar-medicineoverview_de.pdf

Anhaltende Symptomlinderung durch Maralixibat

Im Dezember 2022 hat die Europäische Kommission dem innovativen Wirkstoff Maralixibat (Livmarli®) die Marktzulassung für die Behandlung des cholesta-

In Deutschland soll die Markteinführung von Livmarli® am 15. Januar 2023 erfolgen.

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 17 AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE
FÜR DIE PRAXIS

Für Patienten mit starken chronischen Schmerzen ist eine intrathekale Therapie oft die letzte verbleibende Möglichkeit, um gegen die Schmerzen vorzugehen. Eine seit vielen Jahren bewährte Therapieoption ist Ziconotid 100 Mikrogramm/ml Infusionslösung (Prialt®) [1]. Dabei handelt es sich um ein synthetisches Analogon eines Peptids, das im Gift einer marinen Kegelschnecke vorkommt. Ziconotid bindet an Kalziumkanäle vom N-Typ in afferenten Nerven und hemmt so den Einstrom von Kalzium. Dadurch wird die Freisetzung von Neurotransmittern wie Substanz P gehemmt und damit die Signalleitung von Schmerzen im Rückenmark blockiert. Ziconotid wird als Dauerinfusion über einen intrathekalen Katheter unter Verwendung einer mechanischen Infusionspumpe verabreicht.

Im Gegensatz zu den USA wird das Medikament hierzulande nur noch selten eingesetzt. Gesammelte Anwendungserfahrungen zu dem NTyp-Kalziumantagonisten führten jetzt zu einer Überarbeitung der deutschen Fachinformation, in der die Startdosis und Titration an die Erfahrungen aus der Praxis angepasst wurden [1].

Niedrige Startdosis als zentrales Element für den Behandlungserfolg

Wurde in der Vergangenheit in Europa noch mit 2,4 µg/Tag gestartet und danach schnell aufdosiert, was bei einigen Patienten zu schweren Nebenwirkungen führte [2], wird nun eine geringe Startdosis und ein langsames Titrationsintervall empfohlen [1]. Dabei kann die Anfangsdosierung individuell gewählt werden (bis zu 2,4 µg/Tag).

Neue Erkenntnisse zur intrathekalen Behandlung von starken chronischen Schmerzen

Wird diese Empfehlung umgesetzt, ist Ziconotid eine effektive und auch gut verträgliche Behandlungsoption [3, 4, 5]*.

Frühzeitige und multimodale Therapie bei chronifizierten starken Schmerzen

Für die passende Schmerztherapie ist vorab immer eine genaue Schmerzanalyse notwendig, da nozizeptive Schmerzen einer anderen Medikation bedürfen als neuropathische Schmerzen. Oft liegen auch beide Schmerztypen zusammen vor, sodass multimodal behandelt werden muss. Das dreistufige Schema der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Schmerzbehandlung führt trotz des Einsatzes von Opioiden nur bei etwa 90 % der Patienten zu einer ausreichenden Schmerzlinderung. In diesen Fällen müssen Alternativen bzw. Ergänzungen in Form minimalinvasiver Verfahren oder der multimodalen Schmerztherapie erwogen werden. Letztere ist bei einer Chronifizierung mit soma-

* Warnhinweis: Bei der Anwendung von Ziconotid ist insbesondere auf das mögliche Auftreten von kognitiven und neuropsychiatrischen Veränderungen zu achten. Weitere Warnhinweise behandeln Depression des zentralen Nervensystems, Erhöhung der Kreatininkinase, allergische Reaktionen, Infektionsrisiko und unzureichende Daten zur Langzeitanwendung [1].

tischen wie auch psychosozialen Faktoren angezeigt. Dieser liegen oft sich auf der somatischen Ebene verselbstständigende Hypersensitivierungsmechanismen zu Grunde. Diesen kann möglicherweise durch den konsequenten Einsatz minimalinvasiver Verfahren frühzeitiger entgegengewirkt werden, etwa durch den Einsatz moderner intrathekaler Pumpen oder die Anwendung neuroablativer Techniken, die auf eine Blockade der Schmerzafferenzen abzielen.

Konservative Dosisstrategie für ein effektives Nebenwirkungsmanagement

Für die intrathekale Schmerztherapie wurde die Einführung einer zusätzlichen vierten Stufe des Schmerzschemas der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diskutiert. Sind die ersten 3 Stufen nicht mehr ausreichend, um den Schmerz effektiv zu unterdrücken, sollte frühzeitig die intrathekale Therapie zum Einsatz kommen. Hier hat der Einsatz von Ziconotid im Vergleich zu den Opioiden einige Vorteile: Ziconotid führt nicht zur Toleranz bzw. Abhängigkeit, sodass in die Therapieüberlegungen kein Entzug mit einbezogen werden muss. Außerdem kommt es unter der Therapie mit Ziconotid nicht zu den opioidtypischen

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 18
AKTUELLE THERAPIEKONZEPTE FÜR DIE PRAXIS

Nebenwirkungen Atemdepression, Osteoporose, Müdigkeit und Verstopfung.

Wichtig beim Einsatz von Ziconotid als Firstline First-in-PumpMonotherapie, ist jedoch eine konservative Dosisstrategie, die auf einem niedrigen Niveau startet und langsam und patientenindividuell gesteigert wird. Wie eine aktuelle Publikation zeigt, ist bei Beachtung dieses Dosierungsschemas die Toxizität von Ziconotid in der Regel gering und kann durch Herunterdosieren oder Absetzen sogar reversibel sein [5].

Roctavian® – die erste Gentherapie für Erwachsene mit schwerer Hämophilie A

Die Hämophilie A ist eine seltene X-chromosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die meist bei Männern auftritt. Da bei den Betroffenen das Gen mutiert ist, das den Blutgerinnungsfaktor VIII (FVIII) kodiert, kann kein funktionsfähiges oder nicht genügend Faktor-VIII-Protein gebildet werden, was das Blutungsrisiko erhöht und eine lebenslange Substitution des fehlenden Faktors erforderlich macht [1].

gewendet werden kann, die keine Faktor-VIII-Inhibitoren in der Vorgeschichte hatten und bei denen keine Antikörper gegen das Adeno-assoziierte Virus vom Serotyp 5 (AAV5) nachweisbar sind [5].

Gentherapie ermöglicht körpereigene FVIII-Produktion

Literatur

1 Fachinformation Prialt® 100 Mikrogramm/ml Infusionslösung; Stand: 08/2022

2 Matis G et al. Low-dose Ziconotid as first-line intrathecal therapy for pain relief: a case series of six patients. Poster präsentiert auf dem 15. International Neuromodulation Society Congress (INS) in Barcelona, 21.–26. Mai 2022

3 Matis G. et al. Brain and Behavior 2021;11(Suppl. 1):e02055

4 Bennett MI et al. Eur J Pain 2019;23:660668

4 Brogan SE et al. Reg Anesth Pain Med 2022;rapm-2022-103770. doi: 10.1136/ rapm-2022-103770. Online ahead of print

Patienten mit schwerer Hämophilie (Faktor VIII-Aktivität <1 IE/dl) erhalten mehrmals wöchentlich ein intravenös verabreichtes Faktorkonzentrat, um sie vor spontanen Einblutungen ins Gewebe und in die Gelenke zu schützen [2]. Trotz dieser regelmäßigen Behandlungen lässt sich das Blutungsrisiko jedoch nicht vollständig beseitigen [3] und die Patienten entwickeln früher oder später Gelenkarthropathien [4]. Weitere Folgen sind chronische Schmerzen und eine eingeschränkte Mobilität [2]. Außerdem beeinträchtigen die regelmäßigen Infusionen die Lebensqualität und führen zu einer suboptimalen Therapie-Adhärenz – und damit zu einem noch weiter erhöhten Blutungsrisiko [4].

Eine bahnbrechende neue Option zur Behandlung der schweren Hämophilie A ist die Gentherapie mit Roctavian® (Valoctocogen Roxaparvovec), die bei Erwachsene an-

Da die Hämophilie durch Mutationen in einem einzelnen Gen verursacht und außerdem rezessiv vererbt wird, ist sie ein idealer Kandidat für eine Gentherapie, bei der mithilfe von viralen Vektoren ein therapeutisches Transgen in die Körperzellen eingeschleust wird, das die Funktion des defekten Gens übernehmen kann [6]. Bei Roctavian® wird für den Transport des Transgens ein natürlich vorkommendes apathogenes Virus, das Adeno-assoziierte Virus vom Serotyp 5 (AAV5) verwendet, das sich besonders für den Einsatz bei Leberzellen eignet [7].

Auf Basis des AAV5 wird ein rekombinanter, nicht pathogener und replikationsdefekter AAV-Vektor entwickelt. Dazu wird das virale Genom nahezu vollständig entfernt und stattdessen in das Viruskapsid ein voll funktionsfähiges Gen für den humanen Blutgerinnungsfaktor VIII eingefügt. Dieses Transgen ist eine komplementäre einzelsträngige DNA des Faktors

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 19 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

VIII, der die B-Domäne fehlt. Ihm wird ein leberselektiver Promotor vorgeschaltet, der die Translation des Gens in Endothelzellen und sinusoidale Zellen der Leber anregt, wo der Faktor VIII normalerweise synthetisiert wird. Die AAV-Vektoren mit den Transgenen werden über eine einmalige intravenöse Injektion dem Lebergewebe zugeführt. Im Körper des Patienten binden die Kapside an der Oberfläche der Leberzellen und werden durch Endozytose internalisiert. Nach der Aufnahme in den Zellkern wird das Transgen aus dem Vektor freigesetzt und formt ein stabiles Episom. Dieses wird nicht in die Chromosomen integriert und bei der Zellteilung im menschlichen Körper nicht verdoppelt. Die DNA wird transkribiert und im Zytosol wird anhand der m-RNA der funktionsfähige Gerinnungsfaktor VIII gebildet [8].

Überzeugende Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit

Die Wirksamkeit einer einzelnen intravenösen Infusion von 6 × 1013 Vektorgenomen Valoctocogen Roxaparvovec pro Kilogramm Körpergewicht wurde in der offenen, einarmigen der Phase-III-Studie GENEr8 untersucht [2]. Eingeschlossen waren 134 männliche Erwachsene (ab 18 Jahre) mit schwerer Hämophilie A (FaktorVIII-Restaktivität ≤1 IE/dl), die mindestens 12 Monate lang vor Aufnahme in die Studie mit einer prophylaktischen Faktor-VIIISubstitutionstherapie behandelt worden waren und eine Exposition gegenüber Faktor-VIII-Konzentraten hatten. Primärer Endpunkt war

die Veränderung der Faktor-VIIIAktivität gegenüber dem Ausgangswert in den Wochen 49 bis 52 nach der Infusion. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Änderung der jährlichen Anwendung von Faktor-VIII-Konzentrat und Blutungsraten. Ein Jahr nach erfolgter Behandlung war die durchschnittliche FVIIIAktivität signifikant um 41,9 IE/ dl gestiegen (95%-KI: 34,1 – 49,7; p < 0,001). Bereits ab der 4. Woche war der durchschnittliche annualisierte Bedarf an FVIII-Konzentrat signifikant (p < 0,001) um 98,6 % gesunken. Auch die Rate jährlicher Blutungsereignisse hatte signifikant (p < 0,001) um 83,8 % abgenommen, womit das Überlegenheitskriterium gegenüber der FVIII-Prophylaxe erfüllt wurde [2]. Bei 74 % der Teilnehmer traten nach der Behandlung gar keine Blutungen mehr auf [5].

In der Subgruppe der Patienten, die ihre Infusion mindestens 2 Jahre vor Datenauswertung erhalten hatten, war die FVIII-Aktivität nach einem Jahr um durchschnittlich 42,2 IE/dl erhöht, nach 2 Jahren noch um durchschnittlich 24,4 IE/ dl [2].

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit Roctavian® umfassten vorübergehende Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion und einen Anstieg der Alanin-Aminotransferase-Spiegel (bei 85,8 %), der mit Immunsuppressiva behandelt wurde. Weitere Nebenwirkungen waren eine Erhöhung der AspartatAminotransferase (AST) (67 %), Übelkeit (37 %), Kopfschmerzen (35 %) und Müdigkeit (30 %). Keiner der Studienteilnehmer entwickelte Inhibitoren gegen Faktor VIII, thromboembolische Ereig-

nisse oder bösartige Erkrankungen im Zusammenhang mit Roctavian® [2].

Zulassung eröffnet neue Perspektiven

Angesichts der hohen Wirksamkeit sowie der Sicherheitsdaten, die über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren für alle Patienten vorliegen [5], erteilte die Europäische Kommission am 24.08.2022 BioMarin die europaweite Zulassung für Roctavian®. Da die Gentherapie die Aufrechterhaltung einer stabilen endogenen Faktor-VIIIAktivität ohne regelmäßige Prophylaxe ermöglichen kann, was zu einer erheblichen und anhaltenden Verringerung der Blutungen führt und auch die klinischen sowie patientenorientierten Ergebnisse einschließlich der Lebensqualität verbessert, ist davon auszugehen, dass sie einen Paradigmenwechsel in der Behandlung der Hämophilie A einleiten wird.

Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

1 Srivastava A et al. Haemophilia 2020;26 (Suppl 6):1-158

2 Ozelo MC et al. N Engl J Med 2022; 386:1013-1025

3 Leebeek FWG et al. Blood 2021;138: 923-931

4 Oldenburg J. Blood 2015;125:2038-2044

5 Roctavian® (Valoctocogene Roxaparvovec). Summary of Product Characteristics. BioMarin International Limited 2022

6 Doshi BS et al. Ther Adv Hematol 2018;9:273-293

7 Pipe S et al. Mol Ther Methods Clin Dev 2019;15:170-178

8 Wang T et al. Nat Rev Drug Discov 2019; 18:358-378

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 20 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Sotorasib (Lumykras®) ist der erste KRAS G12C-Inhibitor, der die klinische Prüfung erreichte. Er wurde im Januar 2022 zugelassen für die Monotherapie von Erwa chsenen mit fortgeschrittenem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (non-small cell lung cancer, NSCLC) mit KRAS G12C-Mutation, bei denen nach mindestens einer vorherigen systemischen Therapie eine Progression festgestellt wurde [1]. Basis für die Zulassung waren die Ergebnisse der Studie CodeBreaK 100, in der die 1 × tägliche orale Einnahme von Sotorasib bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem NSCLC mit KRAS G12C-Mutation und Krankheitsprogress nach vorheriger Behandlung ein positives Nutzen-Risiko-Profil mit schneller, tiefgreifender und dauerhafter Antikrebswirkung gezeigt hat [2]. In der randomisierten, aktiv kontrollierten Phase-III-Studie CodeBreaK 200 [3] wurden nun die Wirksamkeit und Sicherheit von Sotorasib mit der von Docetaxel verglichen.

Signifikant besseres progressionsfreies Überleben und höhere Ansprechraten

Eingeschlossen in CodeBreaK 200 wurden Patienten, die an einem zuvor behandelten, lokal fortgeschrittenen NSCLC mit KRAS G12C-Mutation erkrankt waren. Die 345 für die Studie rekrutierten Patienten wurden 1:1 entweder auf 960 mg Sotorasib 1 × täglich oder auf die intravenöse Chemotherapie mit Docetaxel randomisiert. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS).

Wichtige sekundäre Endpunkte umfassten das Gesamtüberleben, die objektive Ansprechrate und die von den Patienten berichteten Ergebnisse [3].

CodeBreaK-Studie zeigt Überlegenheit von Sotorasib gegenüber Docetaxel beim

KRAS G12C-mutierten

NSCLC

Im Vergleich zu Docetaxel verbesserte die Therapie mit Sotorasib bei den stark vorbehandelten Patienten signifikant das PFS (HR: 0,66; 95%-KI: 0,51 – 0,86; p = 0,002). So betrug der Anteil der Patienten mit PFS nach einem Jahr 25 % unter Sotorasib-Therapie gegenüber 10 % unter Docetaxel. Außerdem wurde mit Sotorasib ein signifikant höheres objektives Ansprechen erreicht als mit Docetaxel, mit doppelt so hohen Ansprechraten im Sotorasib-Arm (28 % vs. 13 %; p < 0,001). Auch bei weiteren sekundären Wirksamkeitsendpunkten zeigte der KRAS G12C-Inhibitor einen konsistenten Nutzen, einschließlich einer verbesserten Krankheitskontrollrate (DCR; 83 % vs. 60 %) [4]. Das Gesamtüberleben (OS; ein sekundärer Endpunkt) unterschied sich zwischen den Behandlungsarmen nicht signifikant. Die Studie war nicht darauf ausgelegt, einen statistischen Unterschied im OS nachzuweisen, und ein Wechsel von Docetaxel auf Sotorasib war laut Studienprotokoll nach Krankheitsprogression erlaubt [4].

Weniger unerwünschte Ereignisse

Unter Sotorasib wurden im Vergleich zu Docetaxel weniger behandlungsbedingte unerwünschte Ereignisse (treatment-related adverse events, TRAEs) beobachtet. TRAEs vom Grad ≥3 traten zu

33 % unter Sotorasib und zu 40 % unter Docetaxel auf. 11 % der Patienten unter Sotorasib gegenüber 23 % unter Docetaxel erlitten schwerwiegende TRAEs. Die häufigsten TRAEs, die von mindestens 15 % der Patienten in einer der beiden Behandlungsgruppen berichtet wurden, waren Durchfall (34 % vs. 19 %), Müdigkeit (7 % vs. 25 %), Alopezie (1 % vs. 21 %), Übelkeit (14 % vs. 20 %) und Anämie (3 % vs. 18 %) [4].

Fazit

Die Ergebnisse der CodeBreaK 200-Studie, der ersten randomisierten klinischen Phase-III-Studie zu einem KRAS G12C-Inhibitor, bestätigen den hohen Stellenwert, den die Therapie mit Sotorasib für Patienten mit nicht kleinzelligem Lungenkrebs mit KRAS G12C-Mutation haben kann, denen ansonsten nur begrenzte Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen.

Literatur

1 Fachinformation Lumykras®; Stand: Januar 2022

2 Skoulidis F et al. N Engl J Med 2021; 384:2371-2381

3 ClinicalTrials.gov. CodebreaK 200. https:// clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT04303780

4 Johnson ML et al. Annals of Oncology 2022;33 (Suppl 7):S808-S869. 10.1016/ annonc/annonc1089

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 21 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

Die Infektion mit dem Cytomegalievirus (CMV) ist die bedeutendste Infektion in der Transplantationsmedizin und kann zu schweren Endorganschäden (wie Nephritis, Hepatitis, Karditis), zu opportunistischen Infektionen sowie zu einer Graftversus-Host-Erkrankung nach einer hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSZT) und zum Transplantatverlust nach einer soliden Organtransplantation (SOT) führen [1]. Die Inzidenz einer CMV-Infektion wird mit 16 – 56 % bei SOT-Empfängern und 30 – 80 % bei seropositiven HSZT-Empfängern beziffert [1]. Zur Therapie und Prophylaxe einer CMV-Infektion sind nur wenige Virostatika zugelassen, die die DNA-Polymerase im viralen Replikationszyklus hemmen. Die Anwendung dieser Substanzen wird allerdings durch renale und hämatologische Toxizitäten sowie das Risiko der Entwicklung von Resistenzen und Kreuzresistenzen eingeschränkt [2, 3]. Eine besondere Herausforderung ist dabei die Behandlung von Transplantatempfängern mit refraktärer oder resistenter CMV-Infektion/CMVErkrankung, für die es bislang keine zugelassene Therapieoption gab [2, 4].

Mit der Zulassung von Maribavir (Livtencity®), das die CMV-spezifische Proteinkinase UL97 hemmt und damit den Austritt viraler Kapside aus dem Zellkern blockiert [5], lässt sich diese therapeutische Lücke nun schließen. Das Virostatikum ist seit dem 9. November 2022 auf dem deutschen Markt zugelassen und kann zur Behandlung von erwachsenen Transplantatempfängern nach HSZT oder einer SOT mit einer CMV-Infektion und/oder CMV-Erkrankung, die refraktär ist (mit oder ohne Re-

Maribavir – das erste Virostatikum zur Behandlung einer refraktären CMVInfektion nach Transplantation

sistenz; r/r) gegenüber einer oder mehrerer Vorbehandlungen – einschließlich einer Vorbehandlung mit Ganciclovir, Valganciclovir, Cidofovir oder Foscarnet – eingesetzt werden [5].

Überzeugende Ergebnisse der SOLSTICE-Studie

Die Zulassung von Maribavir beruht auf Daten der klinischen Phase-III-Studie SOLSTICE [2]. Die

Maribavir

multizentrische, aktiv kontrollierte, Open-label-Studie untersuchte die Wirksamkeit und Sicherheit von Maribavir bei 352 HSZT- und SOT-Empfängern mit einer r/r CMV-Infektion. Die Studienteilnehmer wurden 2 : 1 auf Maribavir (2 × täglich 400 mg; n = 235) oder auf eine vom Studienarzt zugewiesene konventionelle Virostatikatherapie (Ganciclovir, Valganciclovir, Foscarnet, Cidofovir als Monotherapie oder in Kombination, n = 117) randomisiert, für

Maribavir (Livtencity®) ist ein Benzimidazolribosid und hemmt kompetitiv die CMV-spezifische Proteinkinase UL97, die an der viralen DNA-Replikation und der Verpackung sowie Ausschleusung der viralen Kapside aus dem Zellkern beteiligt ist. Dadurch blockiert Maribavir die virale DNA-Synthese und den Austritt der Virionen aus dem Zellkern. Maribavir ist oral gut bioverfügbar und zeigt eine spezifische antivirale Aktivität gegen CMV, inklusive Ganciclovir-, Foscarnet- und Cidofovir-resistente Stämme [1, 2, 6].

Aufgrund seiner inhibitorischen Wirkung auf die UL97-Kinase, die Ganciclovir zu seinem aktiven Metaboliten phosphoryliert, antagonisiert Maribavir die Anti-CMV-Wirkung von Ganciclovir und Valganciclovir. Daher ist die gleichzeitige Anwendung von Maribavir mit Valganciclovir/Ganciclovir kontraindiziert. Die Anti-CMV-Wirkung von Foscarnet oder Cidofovir wird dagegen nicht beeinflusst, da diese Substanzen für ihre Wirkung keine UL97-vermittelte Phosphorylierung erfordern.

Die empfohlene Dosis beträgt 400 mg Maribavir (2 Tabletten mit je 200 mg) zweimal täglich, d.h. eine Tagesdosis von 800 mg, für 8 Wochen. Je nach der klinischen Situation des einzelnen Patienten kann eine Individualisierung der Behandlungsdauer erforderlich werden [5].

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 22 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

vollständiges Abheilen der CMV-Virämie in Woche 8

Wichtigster sekundärer Endpunkt: vollständiges Abheilen der CMV-Virämie und Symptomkontrolle der CMV-Infektion in Woche 8 mit Anhalten des Effekts bis Woche 16

Tabelle 1: Ergebnisse der SOLSTICE-Studie für den primären und den wichtigsten sekundären Wirksamkeitsendpunkt [2, 5].

Tabelle 2: Ergebnisse der SOLSTICE-Studie: Responder in den verschiedenen Subpopulationen (SOT = Transplantation solider Organe, HSCT = hämatopoetische Stammzelltransplantation) [2, 5].

8 Wochen behandelt und weitere 12 Wochen nachbeobachtet.

Primärer Studienendpunkt war eine bestätigte CMV-VirämieClearance in Woche 8 (CMVDNA im Plasma <137 IU/ml in 2 aufeinanderfolgenden Tests (COBAS® AmpliPrep/COBAS® TaqMan® CMV Test) im Abstand von ≥5 Tagen). Der wichtigste sekundäre Endpunkt war eine bestätigte CMV-Virämie-Clearance und eine Symptomkontrolle der

CMV-Infektion in Woche 8 mit anhaltendem Behandlungseffekt bis Studienwoche 16. Die Symptomkontrolle der CMV-Infektion war definiert als Abheilung oder Verbesserung der gewebeinvasiven Erkrankung oder des CMV-Syndroms bei Patienten mit bestehender Symptomatik bei Studienbeginn bzw. als Ausbleiben von CMV-Infektionssymptomen bei Patienten, die bei Studienbeginn asymptomatisch waren [2].

Am Ende der Behandlungsphase in Woche 8 erreichte unter Maribavir ein signifikant höherer Anteil der Patienten den primären Endpunkt einer CMV-Virämie-Clearance als unter einer konventionellen Virostatikatherapie (56 % vs. 24 %, p < 0,001, Tab. 1). Außerdem konnte ein höherer Anteil der mit Maribavir behandelten Patienten den wichtigsten sekundären Endpunkt – eine CMV-VirämieClearance und Symptomkontrolle

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 23 NEUE UND BEWÄHRTE
Endpunkt Konventionelle Virostatikatherapie (n = 117) Maribavir (n = 235)
Responder 28 (24 %) 131 (56 %) 95%-KI 32,8 (22,8
42,7) p-Wert <0,001
ARZNEIMITTEL
Primärer Endpunkt:
Responder 12 (10 %) 44 (19 %) 95%-KI 9,45 (2,0 – 16,9) p-Wert 0,013
Subpopulation Konventionelle Virostatikatherapie (n = 117) Maribavir (n = 235) n/N n/N Art der Transplantation SOT 18/69 (26 %) 79/142 (56 %) HSCT 10/48 (21 %) 52/93 (56 %) CMV-DNA-Viruslast bei Studienbeginn Niedrig 21/85 (25 %) 95/153 (62 %) Intermediär/hoch 7/32 (22 %) 36/82 (44 %) Genotypische Resistenz gegenüber anderen CMV-Therapien Ja 14/69 (20 %) 76/121 (63 %) Nein 11/34 (32 %) 42/96 (44 %) CMV-Syndrom/-Erkrankung bei Studienbeginn Ja 1/8 (13 %) 10/21 (48 %) Nein 27/109 (25 %) 121/214 (57 %) Altersgruppe 18 – 44 Jahre 8/32 (25 %) 28/55 (51 %) 45 – Jahre 19/69 (28 %) 71/126 (56 %) ≥65 Jahre 1/16 (6 %) 32/54 (59 %)

in Woche 8 und Aufrechterhaltung bis Woche 16 – erreichen (19 % vs.10 %, p = 0,01; Tab. 1) [2]. Der Behandlungseffekt war je nach Art der Transplantation, Altersgruppe und Vorliegen eines CMVSyndroms/einer CMV-Erkrankung bei Studienbeginn gleichbleibend. Maribavir war jedoch bei Patienten mit erhöhter CMV-DNA-Konzentration (≥50.000 I.E./ml) und Patienten mit fehlender genotypischer Resistenz weniger wirksam (Tab. 2) [2].

Als häufigste Nebenwirkung in der Maribavir-Gruppe wurden meist leichte und vorübergehende Geschmacksstörungen beobachtet (37 % vs. 3 %). Behandlungsbedingte Toxizitäten traten unter Maribavir seltener auf als in der Kontrollgruppe: Neutropenie 9 % vs. 34 % unter Ganciclovir/Valganciclovir und Nephrotoxizität 9 % vs. 21 % unter Foscarnet [2].

Brigitte Söllner, Erlangen

Monoklonaler Antikörper Sutimlimab wirkt zielgerichtet bei

der KälteagglutininKrankheit

Die Kälteagglutinin-Krankheit (Cold Agglutinin Dease, CAD) ist eine seltene Form der autoimmunen hämolytischen Anämie, bei der ein Teil des körpereigenen Immunsystems fälschlicherweise gesunde rote Blutkörperchen attackiert. Dies verursacht eine Agglutination und Hämolyse der Erythrozyten, was zu niedrigen Hämoglobinwerten führt. Die chronische Anämie geht mit einer ausgeprägten Fatigue, die die Lebensqualität stark beeinträchtigt, einem erhöhten Risiko für thromboembolische Ereignisse und einer erhöhten Mortalität einher. Geschätzt leiden 12.000 Menschen in den USA, Europa und Japan an CAD.

Bisher waren Patienten mit CAD in Europa auf die Vermeidung von Kälteexposition, Bluttransfusionen oder Off-Label-Behandlungen angewiesen. Mit der Zulassung von

Sutimlimab

Sutimlimab (Enjaymo®) im November 2022 haben sie erstmalig Zugang zu einer Therapie, die einen bedeutenden Unterschied in der Behandlung machen und das Leben der Patienten mit CAD verändern kann.

Sutimlimab ist ein monoklonaler IgG4-Antikörper, der selektiv auf C1 im klassischen Komplementweg abzielt und diesen hemmt. Es ist die erste für CAD zugelassene Therapie und ab Januar 2023 in Deutschland als 5 mg/ml-Lösung zur Infusion verfügbar.

Signifikante Erhöhung des Hämoglobinspiegels in den zulassungsrelevanten Studien

Die Zulassung in der EU stützt sich auf die Ergebnisse der beiden klinischen Phase-III-Studien CADENZA und CARDINAL.

Literatur

1 Stern A et al. Curr Infect Dis Rep 2019;2 1:45

2 Avery RK et al. Clin Infect Dis 2022; 75:690-701

3 Gugliesi F et al. Microorganisms 2020;8: 685

4 Gerna G et al. Expert Opin Pharmacother 2019;20:1429-1438

5 Fachinformation Livtencity®; Stand: November 2022

6 Avram S et al. Nat Rev Drug Discov 2022;21:328

Sutimlimab (Enjaymo®) ist ein monoklonaler IgG4-Antikörper, der selektiv auf C1 im klassischen Komplementweg, einem Teil des angeborenen Immunsystems, abzielt und diesen hemmt, sodass die Zerstörung gesunder Erythrozyten blockiert wird. Es hemmt nicht die wichtigen Immunüberwachungsfunktionen des Lektin- und des alternativen Signalwegs.

Die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat Sutimlimab den Orphan-Drug-Status gewährt und das Medikament im November 2022 zugelassen zur Behandlung der hämolytischen Anämie bei erwachsenen Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit (Cold Agglutinin Disease, CAD). Sutimlimab wird intravenös verabreicht.

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 24 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

18 für Placebo,

= 17 für Sutim-

Tabelle 1: Ergebnisse der CADENZA-Studie, Teil A: Daten zur Wirksamkeit von Sutimlimab (Enjaymo®) bei Patienten mit KälteagglutininKrankheit [1, 3]; n.b. = nicht berechnet.

CADENZA-Studie [1]: In die doppelblinde, placebokontrollierte Studie wurden 42 erwachsene Patienten mit KälteagglutininErkrankung eingeschlossen, die in den letzten 6 Monaten keine Bluttransfusionen erhalten hatten. In Teil A der CADENZA-Studie, der die Wirksamkeit untersuchte, wurden die Studienteilnehmer im Verhältnis 1 : 1 randomisiert (Sutimlimab n = 22; Placebo n = 20) und erhielten je nach Gewicht entweder 6,5 g oder 7,5 g Sutimlimab oder Placebo i.v. an Tag 0, Tag 7 und dann alle 2 Wochen bis zur 26. Woche. Den kombinierten primären Endpunkt (Hämoglobinanstieg ≥1,5 g/dl zum Zeitpunkt der Be-

handlungsbewertung [Mittelwert der Wochen 23, 25 und 26], keine Transfusionen und andere CADTherapien zwischen Woche 5 und 26) erreichten 6 Patienten unter Sutimlimab (73 %) und 3 Patienten (15 %) unter Placebo. Außerdem kam es zu einer klinisch bedeutsamen Verbesserung des FACITScores (Functional Assessment of Chronic Illness Therapy) (Tab. 1). Der offene Arm der Studie (Teil B) untersuchte die langfristige Sicherheit sowie das dauerhafte Ansprechen auf Sutimlimab. Sutimlimab wies ein akzeptables Sicherheitsprofil auf und war im Allgemeinen gut verträglich. 96 % der Patienten in der Sutimlimab-Gruppe und

100 % der Patienten in der Placebo-Gruppe berichteten über mindestens ein behandlungsbedingtes unerwünschtes Ereignis. Kopfschmerzen (22,7 % vs. 10,0 %), Bluthochdruck (22,7 % vs. 0 %), Rhinitis (18,2 % vs. 0 %), Raynaud-Phänomen (18,2 % vs. 0 %) und Akrozyanose (13,6 % vs. 0%) wurden bei den mit Sutimlimab behandelten Patienten häufiger berichtet als in der Placebo-Gruppe.

CARDINAL-Studie [2]:

In der 26-wöchigen offenen, einarmigen Studie erhielten die 24 eingeschlossenen CAD-Patienten eine festgelegte gewichtsbasierte Dosis Sutimlimab (6,5 g oder 7,5 g) als

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 25 NEUE UND BEWÄHRTE
Parameter Kenngröße Placebo (n = 20) Sutimlimab (n = 22) Behandlungseffekt Responder Anzahl (95%-KI) 3 (15,0 %) (3,2 – 37,9) 16 (72,7 %) (49,8 – 89,3) Odds Ratio (95%-KI) 15,94 (2,88 – 88,04) p-Wert p < 0,001 Hämoglobin Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 0,09 g/dl 2,66 g/dl 2,56 g/dl 95%-KI (–0,5 – 0,68) (2,09 – 3,22) (1,75 – 3,38) p-Wert p < 0,001 Mittlere Anzahl Transfusionen (Woche 5 bis Woche 26) Anzahl 0,5 (1,1 %) 0,05 (0,2 %) n.b. FACIT-Fatigue-Skala Mittelwert 33,66 43,15 Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 1,91 10,83 8,93 95%-KI (–1,65 – 5,46) (7,45 – 14,22) (4 – 13,85) p-Wert p < 0,001 Gesamtbilirubin (n
n
limab) Mittelwert 33,95 µmol/l 12,12 µmol/l Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert –1,83 –22,13 n.b. Anzahl der normalisierten Patienten 4 (22,2 %) 15 (88,2 %)
ARZNEIMITTEL
=

Tabelle 2: Ergebnisse der CARDINAL-Studie, Teil A: Daten zur Wirksamkeit von Sutimlimab (Enjaymo®) bei Patienten mit Kälteagglutinin-Krankheit [2, 3]; n.b. = nicht berechnet.

i.v. Infusion an Tag 0, Tag 7 und dann einmal alle 2 Wochen bis Woche 26. In Teil A der CARDINALStudie wurde die Wirksamkeit untersucht. Der primäre kombinierte Endpunkt setzte sich zusammen aus einem Hb-Wert ≥12 g/dl oder einem Anstieg des Hb-Werts um mindestens 2 g/dl gegenüber dem Ausgangswert sowie keine Bluttransfusion oder zusätzliche Medikamente von Woche 5 bis 26. Die sekundären Endpunkte umfassten eine Verbesserung des Hämoglobinwertes, Normalisierung des

Bilirubins und Verbesserung des FACIT-Fatigue-Scores.

13 Patienten (54 %) erfüllten die Kriterien für den kombinierten primären Endpunkt. Der Hb-Wert verbesserte sich nach der ersten Sutimlimab-Dosis rasch mit einem Anstieg um 1,2 g/dl und 2,3 g/dl in Woche 1 bzw. 3. Die mittlere Zunahme des Hämoglobinspiegels betrug zum Zeitpunkt der Behandlungsbewertung (Wochen 23, 25 und 26) 2,6 g/dl. Von Woche 3 bis zum Ende des Studienzeitraums wurde ein

von >11 g/dl aufrechterhalten. Das mittlere Gesamtbilirubin normalisierte sich bis Woche 3. 17 (70,8 %) Patienten benötigten von Woche 5 – 26 keine Transfusionen und der FACIT-Fatigue-Score erhöhte sich um 10,9, was mit einem klinisch bedeutsamen Ansprechen korreliert (Tab. 2).

Teil B der Studie untersuchte die langfristige Sicherheit sowie das dauerhafte Ansprechen auf Sutimlimab über einen Zeitraum von 2 Jahren. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse, die bei ≥10 % der Patienten auftraten, waren Atemwegsinfektionen, Virusinfektionen, Durchfall, Dyspepsie, Husten, Arthralgie, Arthritis und periphere Ödeme. Bei 13 % (3/24) der Patienten kam es zu schwerwiegenden unerwünschten Reaktionen: Streptokokken-Sepsis und Staphylokokken-Wundinfektion (n = 1), Arthralgie (n = 1) und Atemwegserkrankungen (n = 1).

Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

1 Röth A, Berentsen S, Barcellini W et al. Sutimlimab in patients with cold agglutinin disease: results of the randomized placebo-controlled phase 3 CADENZA trial. Blood 2022;140:980-991

2 Röth A, Barcellini W, D’Sa S et al. Sutimlimab in cold agglutinin disease. N Engl J Med 2021;384:1323-1334

3 Fachinformation Enjaymo®; Stand: November 2022

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 26 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL
mittlerer Hb-Spiegel Parameter Kenngröße Sutimlimab (n = 24) Responder Anzahl 13 (54 %) Hämoglobin Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 2,60 g/dl 95%-KI (0,74 – 4,46) Mittlere Anzahl Transfusionen (Woche 5 bis Woche 26) Anzahl 0,9 Gesamtbilirubin (n = 21) Mittelwert 15,48 µmol/l (0,75 × ULN) Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert –38,18 Anzahl der normalisierten Patienten 13 (54,2 %) FACIT-Fatigue-Skala Mittelwert 44,26 Mittlere Veränderung gegenüber dem Ausgangswert 10,85 95%-KI (8,0 – 13,7)

Trotz der Fortschritte in der Prostatakrebsbehandlung besteht ein hoher ungedeckter Bedarf an neuen zielgerichteten Behandlungsoptionen, um die Ergebnisse für Patienten mit einem metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakarzinom (mCRPC) zu verbessern. Mehr als 80 % der Patienten mit Prostatakrebs exprimieren in hohem Maße das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA) [1–4], einen phänotypischen Biomarker [4], was ihn zu einem vielversprechenden diagnostischen (durch PositronenEmissions-Tomographie, PET) und therapeutischen Ziel macht [5].

Präzisionskrebsbehandlung mit Pluvicto® und Locametz®

Mit (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan (Pluvicto®) wurde im Dezember 2022 ein Radiopharmakon von der Europäischen Kommission zugelassen, das mit hoher Affinität an das von Prostatakrebszellen stark exprimierte Transmembranprotein PSMA bindet. Die dort von dem radioaktiven Lutetium-Isotop emittierte Beta-Minus-Strahlung führt zu DNA-Strangbrüchen in den Ziel- und umliegenden Zellen und damit zu einer verminderten Zellteilung oder zum Zelltod [6].

Pluvicto® – die erste

Radioligandentherapie für das

PSMA-positive, metastasierte, kastrationsresistente Prostatakarzinom

Indiziert ist (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan in Kombination mit der Androgendeprivationstherapie (ADT) mit oder ohne Inhibition des Androgenrezeptor-(AR-) Signalwegs zur Therapie erwachsener Patienten mit progredientem PSMA-positivem mCRPC, die zuvor mittels Inhibition des AR-Signalwegs und taxanbasierter Chemotherapie behandelt wurden [6]. Damit steht die Radioligandentherapie erstmals als zugelassene Therapieoption für Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom zur Verfügung.

Neben (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan wurde auch für Gallium-

(68Ga-)Gozetotid (Locametz®), einem Tracer für die PET zum Nachweis PSMA-positiver Zellen, die Zulassung erteilt. Das Diagnostikum Gallium-(68Ga-)Gozetotid ist nach Radiomarkierung mit Gallium-68 angezeigt für die Detektion von PSMA-positiven Läsionen durch PET bei Erwachsenen mit Prostatakrebs (PCa) in den folgenden klinischen Situationen [7]:

• Primäres Staging von Patienten mit Hochrisiko-PCa vor der initialen kurativen Therapie

• Verdacht auf ein PCa-Rezidiv bei Patienten mit steigendem Spiegel des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Se-

Das „theragnostische“ Wirkstoffpaar Pluvicto® und Locametz®

Bei (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan (Pluvicto®) handelt es sich um eine Präzisionskrebsbehandlung, bei der ein zielgerichteter Wirkstoff (Ligand) mit einem therapeutischen Radioisotop (177LU) kombiniert wird. Nach der Verabreichung in die Blutbahn bindet der Ligand an die Zielzellen, einschließlich Prostatakrebszellen, die das Prostata-spezifische Membranantigen (PSMA), ein Transmembranprotein, exprimieren. Die vom Radioisotop bei dessen Zerfall emittierte Beta-Minus-Strahlung führt an den Zielzellen sowie an umliegenden Zellen zu DNA-Schäden, die zum Zelltod führen können [6].

Gallium-(68Ga-)Gozetotid (Locametz®) ist ein Diagnostik-Kit für radiopharmazeutische Injektionspräparate. Es besteht aus einem Liganden sowie einem Tracer für die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zum Nachweis PSMA-positiver Zellen [7].

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 27 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL

rum nach einer initialen kurativen Therapie

• Identifizierung von Patienten mit einem PSMA-positiven, progredienten mCRPC, bei denen eine auf PSMA abzielende Therapie angezeigt ist

Vergleich mit bestmöglicher Standardversorgung

Die EU-Zulassung von Pluvicto® basiert vor allem auf den Ergebnissen der prospektiven, randomisierten, offenen Phase-III-Studie VISION [8], die die Wirksamkeit und Sicherheit von (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan untersuchte. Eingeschlossen wurden 831 Patienten mit PSMA-positivem mCRPC, die mindestens einen Inhibitor des Androgenrezeptor-Signalwegs und 1 oder 2 Taxan-basierte Chemotherapien erhalten hatten. Die Studienteilnehmer wurden im Verhältnis 2 : 1 randomisiert und erhielten entweder Pluvicto® (7,4 GBq, verabreicht als intravenöse Infusion alle 6 Wochen über maximal 6 Zyklen) plus eine vom Prüfarzt gewählte bestmögliche Standardversorgung (BSoC) (Prüfgruppe, n = 551) oder BSoC alleine (Kontrollgruppe, n = 280). Zur Aufrechterhaltung des Kastrationsstatus bekamen alle Patienten weiterhin ein GnRH-Analogon oder hatten sich zuvor einer bilateralen Orchiektomie unterzogen. Als primäre Wirksamkeitsendpunkte wurden das Gesamtüberleben (overall survival, OS) und das radiographische progressionsfreie Überleben (radiographic progressionfree survival, rPFS) definiert. Die finalen Analysen von OS und rPFS waren ereignisgesteuert und wurden durchgeführt, nachdem 530 Todesfälle bzw. 347 Ereignisse aufgetreten waren [8].

Signifikante Verbesserung des Gesamt- und des progressionsfreien Überlebens

Die Daten zeigen, dass die PSMApositiven mCRPC-Patienten, die mit Pluvicto® plus bestmöglicher Standardversorgung (BSoC) behandelt wurden, ein besseres Gesamtüberleben hatten als unter BSoC allein (p<0,001) [8]. Bei den Patienten in der Prüfgruppe sank das Sterberisiko um 38 % und das Risiko einer radiografischen Krankheitsprogression oder des Todes (rPFS) war statistisch signifikant geringer als bei den Kontrollen mit BSoC allein (p<0,001) [8]. Darüber hinaus zeigte etwa ein Drittel (30 %) der Patienten mit auswertbarer Erkrankung bei Studienbeginn ein Gesamtansprechen (gemäß RECIST 1.1) auf Pluvicto® plus BSoC, verglichen mit 2 % in der Kontrollgruppe mit BSoC-Alleinbehandlung [8].

Angesichts der positiven Studienergebnisse wurden weitere PhaseIII-Studien zur Untersuchung von Pluvicto® für die Behandlung früherer Stadien von metastasiertem Prostatakrebs initiiert.

Brigitte Söllner, Erlangen

Deutscher Krebskongress 2022: Merck unterstreicht mit umfangreichem Portfolio

Therapie onkologischer Erkrankungen

Vom 13. bis 16. November 2022 fand der 35. Deutsche Krebskongress (DKK) in Berlin statt. Auf dem Kongress wurden in 2 Symposien von Merck und einem Symposium der Merck-Pfizer-Allianz aktuelle Forschungsergebnisse aus dem innovativen Onkologie-Portfolio vorgestellt.

Fortgeschrittenes

Urothelkarzinom:

Erstlinien-Erhaltungstherapie mit Avelumab

Literatur

1 Hupe MC et al. Front Oncol 2018;8:623

2 Bostwick DG et al. 1998;82:2256-2261

3 Minner S et al. Prostate 2011;71:281-288

4 Hope TA et al. J Nucl Med 2017;58: 1956-1961

5 Hofman MS et al. Lancet Oncol 2018;19: 825-833

6 Fachinformation Pluvicto®; Stand: Dezember 2022

7 Fachinformation Locametz®; Stand: Dezember 2022

8 Sartor Oet al. N Engl J Med 2021;385: 1091-1103

Auf einem Symposium der MerckPfizer-Allianz diskutierte unter anderem Professor Thomas Powles, London, die aktuelle Studienlage und Entwicklungen zur Behandlung des fortgeschrittenen Urothelkarzinoms (UC). „Um die aggressive Erkrankung zu kontrollieren, ist für betroffene Patienten die Erstlinien-Erhaltungstherapie mit dem PD-L1-Inhibitor Avelumab (Bavenico®) als leitliniengerechter Therapiestandard, zusammen mit einer platinbasierten Chemotherapie, die angemessene Wahl“, so Powles. Eine Immuntherapie ist in der Erstlinie in der Regel nicht wirksam und für eine Zweitlinie, bei der eine Immuntherapie zum Einsatz kommen könnte, ist es für Betroffene normalerweise zu spät. Nur etwa ein Drittel der Patienten erhält eine Zweitlinienbehandlung. Die Induktion mit einer Chemothe-

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 28 NEUE UND BEWÄHRTE ARZNEIMITTEL / KONGRESSE
sein Engagement in der zielgerichteten

rapie ist bei Patienten ohne Krankheitsprogression der Standard. Insgesamt kommen ca. 90 % der Patienten für eine platinbasierte Chemotherapie infrage. Langzeitdaten der randomisierten, offenen Phase-III-Multizenterstudie JAVELIN Bladder 100 zeigen in einem medianen Follow-up von ≥38 Monaten (Datenschnitt 04.06.2021) ein verbessertes Gesamtüberleben (median 23,8 versus 15,0 Monate; HR: 0,76; p = 0,0036) unter der ErstlinienErhaltungstherapie mit Avelumab (plus Best Supportive Care, BSC) im Vergleich zur alleinigen BSC. Dies war unabhängig von Art und Dauer der Erstlinien-Chemotherapie. Der Einfluss auf die Lebensqualität in beiden Behandlungsarmen war dabei vergleichbar.

NSCLC mit METex14Skipping-Mutationen: Zielgerichtete Therapie mit Tepotinib

Der Stratifizierung von Patientengruppen kommt auch in der Behandlung des fortgeschrittenen NSCLC eine hohe Bedeutung zu. Neben Biomarkern wie PD-L1 ist die Identifikation onkogener Treiber-Mutationen sehr relevant – etwa Mutationen im MET-Gen, die zum Verlust eines Genabschnitts – des Exons 14 – führen, sog. METex14-Skipping-Mutationen. Diese Mutationen im METGen können über RNA- und/oder DNA-basierte Assays an Gewebeoder Flüssigbiopsien nachgewiesen werden. „Die RNA-basierte Testung ist speziell für den Nachweis der METex14-SkippingMutationen sensitiver als DNAbasierte Testverfahren“, erläuterte Dr. Florian Länger, Hannover. Die Ergebnisse der VISION-

Studie untermauern die klinische Wirksamkeit einer zielgerichteten Therapie mit dem oralen METInhibitor Tepotinib (Tepmetko®) bei vorbehandelten Patienten mit METex14-Skipping-Mutation: So zeigten 49,5 % (95%-KI: 39,2 – 59,8) der vorbehandelten Patienten mit Gewebebiopsie ein objektives Ansprechen. Das mediane progressionsfreie Überleben lag bei 11,5 Monaten (95%KI: 8,2 – 16,8), das mediane OS bei 20,4 Monaten (95%-KI: 17,0 – 26,8).

„Ich möchte noch einmal motivieren, breit zu testen“, appellierte Professor Michael Thomas, Heidelberg, in seinem Vortrag und betonte, dass es im Anschluss vor allem auch darum gehe, gutes Therapiemanagement zu betreiben und Nebenwirkungen zu minimieren. Bei ihrer Schilderung von praktischen Erfahrungen mit MET-Inhibitoren betonte Anna Eisert, Köln, dass es wichtig sei, Patienten im Vorfeld bereits über möglicherweise zu erwartende Nebenwirkungen zu informieren und geeignete Maßnahmen, etwa eine Lymphdrainage zur Ödem-Behandlung, frühzeitig in Betracht zu ziehen.

Kopf-Hals-Tumoren: Bessere Verträglichkeit mit dem TPEx-Schema

Patienten mit rezidivierten/metastasierten Plattenepithelkarzinomen im Kopf-Hals-Bereich (r/m SCCHN) können in der palliativen Behandlungssituation durch ein adaptiertes Schema mit Cetuximab (Erbitux®) hinsichtlich Verträglichkeit profitieren. In Kombination mit einer platinbasierten Erstlinientherapie zeigte Cetuximab sowohl im EXTREME-Schema* als auch im TPEx**, ***-Schema

hohe Ansprechraten und ein langes progressionsfreies Überleben. „Mit weniger Toxizität erreichen wir nominal das Gleiche“, berichtete PD Dr. Philipp Ivanyi, Hannover, im Zusammenhang mit dem TPEx***-Schema. Die Sequenz von TPEx in der Erstlinie, gefolgt von einer Immuntherapie in der Zweitlinie führte in der multinationalen Phase-II-Studie TPExtreme zu einem medianen Gesamtüberleben von 21,9 Monaten (95%-KI: 15,9 – 35,0).

Die Möglichkeiten zur Deeskalierung der Therapie bei lokal fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren werden weiter untersucht. Neben Daten zu Untersuchungen aus Immuntherapie und regionaler Strahlentherapie, die bislang laut Professor Rainer Fietkau, Erlangen, enttäuschen, wurde auch eine Reduktion des Bestrahlungsvolumens im Lymphabflussgebiet angesprochen.

Aktuell laufen Studien, um mit neuen Wirkungsmechanismen die Situation der Patienten zu verbessern.

* EXTREME = 6 Zyklen Carbo-/Cisplatin, 5-Fluorouracil, Cetuximab

** TPEx = 4 Zyklen Docetaxel, Cisplatin, Cetuximab

*** Cetuximab ist indiziert für eine Behandlung von r/m SCCHN mit einer platinbasierten Chemotherapie.

JOURNAL PHARMAKOL. U. THER. 1/2023 · 32. JAHRGANG © VERLAG PERFUSION GMBH 29 KONGRESSE
Elisabeth Wilhelmi, München

Nichttuberkulöse Mykobakterien (NTM)

Therapie von NTMLungenerkrankungen auf dem Prüfstand:

Die Versorgung von Lungenerkrankungen, die durch nichttuberkulöse Mykobakterien hervorgerufen werden (NTM-LD), erfolgt am besten interdisziplinär und gut vernetzt. So lautete das Fazit eines Symposiums von Insmed anlässlich des DGP-Kongresses in Leipzig. „Lungenerkrankungen aufgrund von NTM müssen immer ernst genommen werden, denn die Mortalität ist hoch“, betonte Professor Claus F. Vogelmeier, Marburg. Allerdings ist die Versorgung in Deutschland nicht ausreichend, wie Professor Roland Diel, Großhansdorf, anmahnte. Denn nur ein Fünftel der Patienten erhält aktuell eine leitliniengerechte Behandlung. Dringend geboten ist außerdem die enge Zusammenarbeit aller an Diagnose und Therapie beteiligten Ärzte. Daher haben Experten ein sektorenübergreifendes Versorgungskonzept verfasst, das Professor Christian Taube aus Essen vorstellte.

Zahlreiche Risikofaktoren

erhöhen die Mortalität

Die Risikofaktoren für die Erkrankung sind vielseitig: Mit einer Risikosteigerung um den Faktor 44,0 – 187,5 stehen Bronchiektasen weit an erster Stelle, für COPD betragen die Werte 2,0 – 10,0. Auch ein höheres Lebensalter begünstigt eine NTM-LD. Die durchschnittliche 5-Jahres-Gesamtmortalität beträgt 27 % wobei es prognostisch einen engen Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Lungenerkrankung gibt.

KONGRESSE

Das höchste Sterberisiko besteht bei den Kombinationen aus COPD + NTM-LD (41,5 %) und MAC + Emphysem (36 %). MAC steht für die Erreger aus dem Mycobacterium-avium-Komplex, die in Deutschland bei NTM-LD am häufigsten isoliert werden.

„Der Weg bis zur Diagnose NTMLD ist meist lang“, berichtete Vogelmeier. „Symptome wie anhaltender Husten sind unspezifisch und die Ärzte müssten überhaupt erst einmal an eine mögliche NTM-LD denken.“

Inhalatives liposomales Amikacin bei ausbleibender Sputumkonversion

Die aktuellen internationalen NTM-Leitlinien empfehlen, die antibiotische Therapie frühzeitig zu beginnen. Jedoch führt die initiale Antibiotika-Kombination nicht immer zum Erfolg. Als refraktär gelten Patienten, wenn nach 6 Monaten initialer Therapie eine Sputumkonversion ausbleibt. Die Leitlinie empfiehlt dann, zusätzlich liposomales Amikacin zur Inhalation (ALIS, Arikayce® liposomal) einzusetzen.

Arikayce® liposomal ist zugelassen zur Behandlung von Lungeninfektionen aufgrund von MAC, bei Erwachsenen mit begrenzten Behandlungsoptionen, die keine zystische Fibrose haben.

Die Wirksamkeit und Sicherheit von ALIS wurden in der CONVERT-Studie nachgewiesen: Bei 29 % der zuvor therapierefraktären Patienten kam es mit Arikayce® liposomal plus leitliniengerechter Therapie bis Monat 6 zu einer Sputumkonversion. In der Vergleichsgruppe mit initialer Therapie allein waren es 9 %.

Arikayce® liposomal

Arikayce® liposomal ist eine inhalative liposomale Formulierung von Amikacin, einem etablierten antimykobakteriellen Therapeutikum, das bislang intravenös verabreicht wurde. Liposomales Amikacin ist im Gegensatz zu i.v. appliziertem Amikacin in der Lage, in MAC-Biofilme und pulmonale Makrophagen einzudringen. Arikayce® liposomal wird einmal täglich mittels des Lamira® Inhalationssystems inhaliert.

Die Versorgungssituation bei NTM-LD in Deutschland

Die Fallzahlen von NTM-LD haben sich nach Schätzung von Dr. Harald Hoffmann, München, in den letzten Jahren in Deutschland etwa auf dem Niveau der Tuberkulose von 2020 eingependelt. „Voraussetzung für eine leitliniengerechte und wirksame Antibiose ist eine Empfindlichkeitstestung der Erreger“, betonte Hoffmann und ergänzte: „Dieses Verfahren ist in Deutschland aktuell jedoch stark unterrepräsentiert.“ Weitere Daten zur aktuellen NTM-LD-Versorgung in Deutschland berichtete Diel: „50 % der NTM-LD-Patienten werden überhaupt nicht behandelt, nur 8 % werden länger als 18 Monate therapiert.“ In der Praxis wäre dies aber in weit mehr Fällen nötig. Bei Hausärzten – häufig „die Türöffner der Therapie“ – liegt die durchschnittliche Behandlungsdauer bei 4 Monaten, doch auch bei Pneumologen sind es lediglich 8 Monate. Der Anteil an Patienten mit einer leitliniengerechten Therapie nimmt gegen Behandlungsende weiter ab und liegt bei

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Pneumologen unter 20 % und bei Hausärzten im Bereich von 2 %. Mikrobiologische Nachuntersuchungen gibt es laut Diel ebenfalls zu selten. Daher besteht dringender Handlungsbedarf. Nötig ist zuallererst ein besserer Informationsfluss.

Die Versorgung neu aufstellen: Zentren wo nötig, so viel Facharzt wie möglich

Den Weg in eine bessere Versorgung weisen möchte ein Expertengremium mit einem neuen Konzept. Mitautor Taube erläuterte die wesentlichen Ansätze. Das Versorgungskonzept ist interdisziplinär und transsektoral. Es gelte, klare Fallidentifikationskriterien und Überweisungsstrukturen sowie NTM-Kompetenzzentren zu etablieren. „Wir brauchen eine bessere Diagnosequalität sowie eine frühere leitliniengerechte Einleitung, Überwachung und Steuerung der Therapie“, sagte der Pneumologe. Hausärzte müssten wissen, wann sie „hellhörig“ werden und bei unspezifischen Symptomen einen Verdacht auf NTM-LD hegen sollten. „Chronisch persistierender Husten plus Atemnot, Bluthusten oder begleitende Lungenerkrankungen rechtfertigen eine Überweisung zum Pneumologen. Dieser hat die zentrale Rolle und muss entscheiden, ob er den Patienten allein versorgt oder zur Rücksprache ein NTM-Kompetenzzentrum einbindet“, erläuterte Taube. Die Zentren sollen Hilfestellung geben und ihr gebündeltes Expertenwissen in die regelhafte ambulante Versorgung transferieren. „Zentren wo nötig, so viel Facharzt wie möglich“ ist für Taube ein zentraler Punkt. Die Organisation eines Zentrums ist dabei egal, es kann

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auch eine Hochschulambulanz sein. Wichtig sind eine enge Vernetzung mit anderen Zentren und eine Versorgung strikt gemäß den geltenden Leitlinien. Auch sollte eine Thoraxchirurgie vorhanden sein und das Kompetenzzentrum sollte mit regionalen Rehazentren und Patientenorganisationen zusammenarbeiten. „Künftig muss eine wohnortnahe, bestmögliche Versorgung von Patienten mit NTM-Lungenerkrankung gewährleistet sein“, betonte Taube abschließend.

Hoher Leidensdruck bei besonderen Lokalisationen

Management von PsoriasisPatienten mit besonderen Manifestationen

Über die Hälfte <der PsoriasisPatienten mit Hautläsionen an besonderen Lokalisationen wie Gesicht, Kopfhaut, Handflächen und/ oder Fußsohlen, Nägeln oder Genitalien stufen ihre Erkrankung als moderat oder schwer ein. Zudem fühlen sie sich stärker in ihrer Lebensqualität beeinträchtigt als Betroffene ohne diese Manifestationen. Dies legt nahe, dass Patienten mit besonderen Manifestationen eine intensivere Beobachtung und möglicherweise auch eine Intensivierung ihrer Therapie benötigen.

Führt eine erste systemische Therapie dann nicht zum gewünschten Erfolg, kann eine frühzeitige Umstellung auf den oralen Phosphodiesterase 4 (PDE 4)-Inhibitor Apremilast (Otezla®) zielführend sein, wie auf dem von Amgen veranstalteten Symposium „Individualisierte Psoriasis-Therapie in der Praxis“ anlässlich der FOBI 2022 dargelegt wurde.

Dass der Befall besonderer Lokalisationen die Lebensqualität der Patienten enorm beeinträchtigt, verdeutlichte PD Dr. Dr. Felix Lauffer, München, anhand aktueller Umfrage-Ergebnisse aus der UPLIFT-Studie zur Versorgungssituation und Wahrnehmung von Patienten mit Psoriasis (PsO) oder Psoriasis-Arthritis (PsA) in Nordamerika, Europa und Japan. Die Teilnehmer der Online-Umfrage (2.3.2020 bis 3.6.2020) wurden nach dem Zufallsprinzip rekrutiert. Bei der Auswertung wurden die Antworten von 3.806 Patienten berücksichtigt, bei denen zu 67 % eine PsO, zu 28 % sowohl eine PsO als auch eine PsA und zu 5 % ausschließlich eine PsA diagnostiziert wurde. Bei 78 % der Patienten war die Hautbeteiligung auf eine Fläche begrenzt, die ≤3 Handflächen entspricht. Etwa 90 % der Befragten berichteten von typischen Symptomen der Haut wie Juckreiz, Rötung und Schuppenbildung. Auch wenn keine PsA diagnostiziert worden war, gaben 63 % muskuloskelettale Symptom an, die auf eine PsA hindeuteten.

„In der PsO-Kohorte hatten 53,5 % der befragten Teilnehmer Läsionen an der Kopfhaut, gefolgt von Gesicht (28,2%), Handflächen (17,2 %), Nägeln (16,7 %), Fußsohlen (13,2 %) und Genitalbereich (12,3 %), berichtete Lauffer. Von diesen Patienten mit mindestens einer besonderen Manifestation und ansonsten begrenzter Hautbeteiligung stuften 60 % ihre aktuelle Erkrankungssituation als moderat oder schwer ein. So war beispielsweise der Anteil von Patienten mit mindestens moderater Auswirkung auf die Lebensqualität (DLQI ≥6)

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Elisabeth Wilhelmi, München

bei mindestens einer besonderen Lokalisation größer als ohne. Bei Patienten mit Gesichtsbeteiligung war der Leidensdruck am größten. „Diese Ergebnisse unterstreichen den starken Einfluss besonderer Lokalisationen auf die Lebensqualität und die hohe Krankheitslast“, schlussfolgerte Lauffer.

Ein weiteres Ergebnis der UPLIFTBefragung war, dass topische Therapieoptionen besonders bei Anwendung im Bereich der behaarten Kopfhaut und im Gesicht von den PsO-Patienten als belastend empfunden werden. Außerdem führen topische Therapien an besonderen Lokalisationen nach der Erfahrung von Lauffer oft zu keiner zufriedenstellenden Krankheitskontrolle.

Upgrade-Kriterien gut dokumentieren

Zur Optimierung dieser Behandlungssituationen empfahl der Experte, in der dermatologischen Sprechstunde ein Augenmerk auf Patienten mit besonderen Lokalisationen zu richten und regelmäßig zu prüfen, inwiefern das Ansetzen von Upgrade-Kriterien gerechtfertigt ist.

„Diese Kriterien ermöglichen den Einsatz von Systemtherapien bei Befall besonderer Lokalisationen und stark eingeschränkter Lebensqualität (DLQI >10) unabhängig vom absoluten PASI“, erläuterte Lauffer. Die jeweiligen UpgradeKriterien sollten immer gut dokumentiert werden. So kann die dokumentierte Erfassung des DLQI z.B. mit einer Fotodokumentation des Befundes zu Baseline und im weiteren Therapieverlauf (z.B. bei Nagelbeteiligung) sinnvoll ergänzt werden.

Apremilast bei belastenden Psoriasis-Symptomen und -Lokalisationen

Bei der Wahl einer geeigneten systemischen Therapieoption sollten immer die Patientenwünsche, die Komorbiditäten und das jeweilige Nebenwirkungsprofil berücksichtigt werden, riet Lauffer. Als eine Therapieoption bei besonderen Psoriasis-Manifestationen und einem PASI unter 10 empfahl der Experte Apremilast (Otezla® , 30 mg, 2 × tgl.), insbesondere auch dann, wenn Methotrexat oder Fumarsäureester zuvor nicht vertragen wurden.

Dass Apremilast eine gute Option ist, belegen Daten aus dem deutschen Versorgungsalltag: In der LAPIS-PSO-Studie erreichten 35,6 % (n = 42/118) der Patienten mit Nagelbeteiligung zu Studienbeginn nach etwa 13 Monaten Behandlung mit Apremilast einen tNAPSI-Score von 0 (Nail Psoriasis Severity Index in the target [worst] nail). Von den Patienten mit Kopfhautbeteiligung erreichten 54,7 % (n = 111/203) unter Apremilast einen scalp PGA (Physician’s Global Assessment) von 0 und von den Patienten mit palmoplantarer Beteiligung erreichten 71,6 % (n = 48/67) einen PPPGA-Score (PPPGA, Palmoplantar Psoriasis Physician’s Global Assessment) von 1 bei der letzten dokumentierten Visite in Monat 13.

Frühe antiinflammatorische Interventionen zeigen höchste Effektivität

Professor Lars E. French, München, erinnerte daran, dass Psoriasis vulgaris eine komplexe System-

erkrankung ist, die bei schweren Verlaufsformen mit einer erhöhten kardiovaskulären Mortalität (z.B. 4-fach erhöhtes Risiko für Herzinfarkte) und Komorbidität assoziiert ist.

Zu den häufigen Begleiterkrankungen zählen z.B. das metabolische Syndrom, Fettstoffwechselstörungen, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, psychologische Erkrankungen sowie PsA. Eine zunehmende Evidenz deutet darauf hin, dass frühe therapeutische Strategien zur Verringerung systemischer Entzündungen bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Psoriasis Vorteile gegenüber späteren Interventionen bieten können.

In frühen Krankheitsphasen sollte das Zeitfenster genutzt werden, um den Krankheitsverlauf langfristig zu modifizieren und weiteren Organschäden vorzubeugen. Ein Beispiel dafür ist laut French der frühe Einsatz von systemischen Therapieoptionen wie Apremilast bei PsO-Patienten mit oligoartikulären oder leichteren Formen der Polyarthritis und moderater Krankheitsaktivität.

Apremilast ist ein intrazellulärer Immunmodulator, der die systemischen Spiegel mehrerer pathogener Zytokine wie beispielsweise TNFalpha, Interleukin (IL)-17 und IL23 reduziert.

„Der PDE 4-Inhibitor ist eine wirksame orale Therapieoption auch bei Komorbidität. Vor allem PsA-Patienten sprechen schnell und effektiv auf eine Therapie mit Apremilast an“, so die Erfahrung von French.

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Fabian Sandner, München

Tofacitinib bei RA, JIA und AS:

Aktuelle Daten und Therapieerfahrungen

Nach 10 Jahren weltweiter Marktpräsenz – die Zulassung für die Indikation rheumatoide Arthritis (RA) erfolgte 2012 in den USA –liegen für den Januskinase-Inhibitor (JAKi) Tofacitinib (Xeljanz®) umfangreiche Erfahrungen vor. Mittlerweile ist Tofacitinib in 5 Indikationen zugelassen. Im Rahmen von 2 Symposien anlässlich des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) diskutierten Experten aktuelle Themen zu Tofacitinib bei RA.

Neue Daten aus dem RABBIT-Register bei RA

Daten zu Sicherheitsaspekten haben für die Therapieentscheidung einen hohen Stellenwert. In diesem Kontext bieten RealWorld-Daten (RWD) eine wichtige Ergänzung zu randomisierten klinischen Studien, da sie aufgrund des breiten Patientenklientels den Praxisalltag besser abbilden, erläuterte Frau Professor Anja Strangfeld, Berlin, auf dem Symposium „Patientenorientierte Therapieentscheidung“. Im deutschen RABBIT (Rheumatoide Arthritis: Beobachtung der Biologika-Therapie)-Register werden seit Zulassung auch zielgerichtete krankheitsmodifizierende Antirheumatika (tsDMARDs; zur Nomenklatur der DMARDs siehe Insert) – die JAKi – erfasst. In der Studie ORAL Surveillance war bei einer Hochrisikopopulation mit RA ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) unter Tofacitinib versus

Klassifizierung der krankheitsmodifizierenden Antirheumatika (DMARDs)

• synthetische DMARDs (sDMARDs)

 konventionelle synthetische und zielgerichtete synthetische DMARDs (csDMARDs bzw. tsDMARDs)

– csDMARDs sind die traditionellen Medikamente (wie Methotrexat, Sulfasalazin, Leflunomid, Hydroxychloroquin, Goldsalze)

– tsDMARDs sind Medikamente, die entwickelt wurden, um auf eine bestimmte molekulare Struktur abzuzielen

• biologische DMARDs (bDMARDs), die weiter unterteilt werden in Original- und Biosimilar-DMARDs (boDMARDs und bsDMARDs)

 bsDMARDs haben die gleiche Primär-, Sekundär- und Tertiärstruktur wie ein Original (boDMARD) und besitzen eine ähnliche Wirksamkeit und Sicherheit wie das Originalprotein

Tumornekrosefaktor-alpha-Inhibitoren (TNFi) beobachtet worden. Die Daten aus dem RABBIT-Register zu kardiovaskulären (CV) Ereignissen unter JAKi wurden daher mit Spannung erwartet – und sie zeigten keine Hinweise auf ein erhöhtes MACE-Risiko.

Betrachtet wurden Patienten, die zwischen 1/2017 und 4/2021 eine Therapie mit einem JAKi (n = 2.030), einem TNFi (n = 2.338) und einem csDMARD (n = 871) begonnen hatten. Zusätzlich wurden –ähnlich wie in ORAL Surveillance – Patienten mit einem erhöhten CVRisiko definiert. In der Gesamtkohorte zeigte sich kein Unterschied zwischen den 3 Therapiegruppen. Auch bei der Gruppe mit erhöhtem CV-Risiko ergab sich kein signifikanter Unterschied.

„Venöse Thromboembolien (VTE) kommen bei Patienten mit RA weitaus häufiger vor als in der Allgemeinbevölkerung“, berichtete Strangfeld. Daten des US-amerikanischen CorEvitas-Registers zeigten keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich VTE bei Tofacitinib versus biologische (b) DMARDs – sowohl bei Patienten mit CV-Risikofaktoren als auch

ohne. Anhand der RABBIT-Daten konnte gezeigt werden, dass höheres Alter, höhere Krankheitsaktivität sowie VTE in der Vorgeschichte das Risiko für eine VTE erhöhen. Hinsichtlich des Risikos für schwerwiegende Infektionen (SIE) wurde speziell die Gruppe der 2.274 älteren RA-Patienten (>70 Jahre) aus RABBIT betrachtet. Unter der JAKi-Therapie wiesen 70 % der Patienten ≥3 Komorbiditäten auf, unter TNFi-Therapie waren es 63 %. Trotzdem gab es keinen Unterschied bei den Inzidenzraten (IR) für SIE unter JAKi oder bDMARDs und beide Therapien waren im Vergleich zu konventionellen (cs)DMARDs nicht mit einem erhöhten SIE-Risiko assoziiert. Im Vergleich zu allen im RABBIT-Register erfassten Patienten gibt es bei den älteren (>70 Jahre) an RA Erkrankten jedoch ein deutlich erhöhtes SIE-Risiko: Bei 425 Patienten >70 Jahre traten 626 SIE auf.

Im RABBIT-Register wurden 559 Herpes-zoster (HZ)-Ereignisse (61 davon schwerwiegend) bei 533 Patienten dokumentiert. Im Vergleich zu anderen RA-Therapien zeigen die Daten mit einer IR von

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21,5/1000 Patientenjahren ein erhöhtes HZ-Risiko unter JAKi. „Vor allem bei älteren Patienten sollte vor Beginn einer JAKi-Therapie daher eine HZ-Impfung in Betracht gezogen werden“, betonte Strangfeld.

Therapieentscheidung am individuellen Patienten ausrichten

„Bei der Therapieentscheidung spielen neben klinischen Erfahrungen und Studiendaten auch etwaige Risikofaktoren der Patienten eine wichtige Rolle“, konstatierte PD Dr. Philipp Sewerin, Herne. Angesichts der großen Zahl von bDMARDs und mittlerweile auch verschiedenen tsDMARDs stellt sich die Frage, welche Substanzen am besten bei den jeweiligen Patienten einzusetzen sind. Dies muss speziell vor dem Hintergrund, dass trotz der zahlreichen verschiedenen Therapieoptionen in vielen Fällen keine Remission erreicht wird, betrachtet werden. Hier besteht laut Sewerin deutlicher Optimierungsbedarf. Im Hinblick auf eine individualisierte Therapieentscheidung verwies er auf die von der EULAR herausgegebenen Leitlinie zur RA, für die beim EULAR-Kongress ein Update vorgestellt wurde. Nach der aktualisierten Guideline werden bDMARDs und JAKi in der Zweitlinie weiterhin auf einer Stufe empfohlen. JAKi können in Betracht gezogen werden, doch müssen die bei den Patienten vorliegenden Risikofaktoren für CV-Ereignisse und Malignome berücksichtigt werden. Dies ist im Kontext der Studie ORAL Surveillance zu sehen. „Die Daten der ORAL Surveillance sind wichtig, wir berücksichtigen sie und beziehen sie in unsere Entscheidungsfindung ein. Es gibt aber auch in dieser Studie – ebenso

wie in der täglichen Praxis – zahlreiche Patienten, auf die diese Risiken nicht zutreffen. Dann kann und sollte unsere Therapieentscheidung auf einen JAKi fallen, da es sich hierbei um eine hocheffektive und schnell wirksame Substanzgruppe handelt”, so das Fazit von Sewerin.

Tofacitinib bei JIA: hohe Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit

Im August 2021 wurde das therapeutische Spektrum in der Kinderrheumatologie um eine wichtige Option erweitert: Tofacitinib wurde als erster JAKi bei aktiver polyartikulärer juveniler idiopathischer Arthritis (pJIA, Rheumafaktor-positive [RF+] oder -negative [RF-] Polyarthritis und erweiterte Oligoarthritis [eOA]) und der juvenilen Psoriasis-Arthritis (PsA) bei Kindern ab 2 Jahren zugelassen. Ein Jahr danach zog Professor Gerd Horneff, St. Augustin, auf dem Symposium „Neue Indikationen für Xeljanz®“, eine positive Bilanz: „Aus der klinischen Praxis haben wir zu Tofacitinib bislang limitierte Daten mit kleinen Kohorten, die aber hinsichtlich Wirksamkeit und Verträglichkeit die überzeugenden Ergebnisse der klinischen Zulassungsstudie bestätigen. Es kam auch in den aktuellen Untersuchungen bei der Mehrheit der Patienten zu einem klinischen Ansprechen bei guter Verträglichkeit. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse wurden nicht beobachtet.“

Mit Stand vom 30. Juni 2022 wurden im Register für Biologika in der Kinderrheumatologie (BiKeR) 27 Behandlungen mit Tofacitinib bei mit mehreren bDMARDs vorbehandelten JIA-Patienten do-

kumentiert. Die Patienten hatten mehrheitlich eine mittelschwere Erkrankung (n = 18, 67 %, Juvenile Arthritis Disease Activity Score 10 [JADAS-10] zwischen 6,1 und 17); eine hohe Krankheitsaktivität wiesen 4 Patienten auf (15 %, JADAS-10 bei ≥17). In der Nachbeobachtung zeigten sich deutliche Verbesserungen: Der JADAS-10 nahm um 71 % ab, 44 % erreichten einen JADAS-10 <2,7, was einer Remission entspricht. Die Anzahl der betroffenen Gelenke nahm um 78 % ab. Positive Veränderungen zeigten sich auch im globalen Arzt- und Patientenurteil, ebenso verbesserten sich die Werte gemäß des Childhood Health Assessment Questionnaire (CHAQ).

Eine prospektive Beobachtungsstudie untersuchte 27 therapierefraktäre Patienten mit pJIA, die mit Tofacitinib und begleitender Methotrexat-(MTX)-Therapie behandelt wurden. Weitere Medikamente wie Steroide und NSAR und andere DMARDs waren erlaubt. Außer bei der eOA kam es bei allen JIA-Subtypen zu einer signifikanten Verbesserung im JADAS-27 (p < 0,001; für eOA p < 0,067). Nach 24-wöchiger Studiendauer war die Erkrankung bei 70,4 % der Patienten inaktiv. Die Steroiddosis konnte deutlich reduziert werden. Die Verträglichkeit von Tofacitinib war gut. Zu Woche 6 wurden in wenigen Fällen Kopfschmerzen und Erbrechen, ein Anstieg der Alanin-Aminotransferase sowie Anämie beobachtet. In einer weiteren Studie, die Horneff vorstellte, wurde Tofacitinib u.a. bei 15 Patienten mit mittelschwerer bis schwerer pJIA, die auf verschiedene bDMARDs (Etanercept, Adalimumab, Abatacept, Tocilizumab, Canakinumab) unzureichend angesprochen hatten, untersucht. Knapp die Hälfte (47 %,

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n = 7) erreichte ein vollständiges Ansprechen, 6 Patienten erreichten ein partielles Ansprechen (complete response bzw. partial response nach Wallace-Kriterien). Lediglich 2 der 15 Patienten sprachen auf die Tofacitinib-Therapie nicht an. Bei 4 Patienten kam es zu Nebenwirkungen – Erhöhung der Leberenzyme (n = 2), Hypercholesterinämie (n = 1), Lymphadenitis (n = 1) –, die aber nicht zu einem Abbruch der Therapie führten. Schwere Infektionen und Varicella-zoster-Virusinfektionen traten nicht auf.

Tofacitinib in die neuen ASASTherapieempfehlungen zur axSpA aufgenommen

Das Update der ASAS (Assessment of SpondyloArthritis)-Therapieempfehlungen zur axialen Spondyloarthritis (axSpA) stellte PD Dr.Uta Kiltz, Herne, vor. Bei symptomatischen Patienten sollte wie bisher mit einer Therapie mit NSAR sowie nicht pharmakologischen Maßnahmen wie Bewegung begonnen werden. Bei Nicht-Ansprechen nach 2 Wochen kann auf ein zweites NSAR gewechselt werden. Wenn auch nach dem zweiten NSAR, also innerhalb von 4 Wochen, kein Therapieeffekt festgestellt wird, kann auf eine Therapie mit einem bDMARD (TNFi oder IL-17-Blocker) oder aber mit einem JAKi gewechselt werden. Tofacitinib, das seit November 2021 für die Therapie der röntgenologischen axSpA (r-axSPA oder AS) indiziert ist, wurde damit – neben weiteren JAKi – in die aktuellen Therapieempfehlungen aufgenommen. Da mit bDMARDs mehr Erfahrungen vorliegen, werden diese gegenüber den JAKi bevorzugt empfohlen. Neben der phar-

makologischen Therapie verwies Kiltz auf die Notwendigkeit regelmäßiger Bewegungsübungen, wobei eine hochintensive Bewegungstherapie vielversprechende Resultate erbracht hat.

Deutliche Verbesserung der Schmerzrate unter Tofacitinib versus Placebo

Schmerz ist bei Patienten mit AS ein häufiges Symptom, wobei das Schmerzmuster individuell sehr unterschiedlich ist. Auch gibt es geschlechterspezifische Unterschiede: Frauen geben ein größeres Schmerzareal an als Männer. Stärkere Schmerzen gehen zudem mit einem erhöhten Depressionsrisiko und eingeschränkter Funktionsfähigkeit einher. „Bei der Auswahl der Therapie ist daher die Schmerzreduktion ein wichtiger Aspekt“, betonte Kiltz. Hier verfügt Tofacitinib über eine gute Wirksamkeit, wie eine Phase-III-Studie zeigte, in der u.a. speziell der Einfluss von Tofacitinib auf die Schmerzrate untersucht wurde. Die erwachsenen Patienten bekamen 16 Wochen lang Tofacitinib 2 × 5 mg täglich oder Placebo. Anschließend erhielten alle Patienten das Verum für weitere 32 Wochen. Unter Tofacitinib erreichten signifikant mehr Patienten eine Verbesserung beim nächtlichen Rückenschmerz bis Woche 16 als unter Placebo (Least square mean improvements –2,67vs. –0,84; p < 0,001). Nach der Umstellung auf Tofacitinib besserten sich ab Woche 16 im Verlauf auch die Schmerzen der vormaligen Placebo-Patienten. Die Schmerzreduktion wurde über die gesamte Studiendauer von 48 Wochen aufrechterhalten.

Multiple Sklerose: Neue Therapiestrategien mit BTK­Inhibitoren in Sicht

Die Therapiemöglichkeiten bei Multipler Sklerose (MS) haben sich in den letzten Jahrzehnten enorm entwickelt: „Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir heute die MS immer besser behandeln können, aber es bleibt noch vieles zu tun, wenn es in die Progression geht“, sagte Professor Ralf Gold, Bochum, bei einem Symposium anlässlich der „neurowoche 2022“ in Berlin. Ziel muss es sein, nicht nur akute Krankheitsschübe zu verhindern, sondern auch Neurodegeneration und Hirnatrophie zu verlangsamen.

Teriflunomid zur Basistherapie

Gut belegt ist eine neuroprotektive Wirkung für den Immunmodulator Teriflunomid (Aubagio®), ein etabliertes Basistherapeutikum bei MS. „Ein Großteil der MS-Patienten benötigt eine Basistherapie, nur etwa 3 – 10 % der Erkrankten brauchen hochaktive Therapien“, erklärte Gold und ergänzte: „Teriflunomid ist ein bewährtes Präparat in der MS-Therapie – deshalb wird es auch oft als Vergleichspräparat in Studien eingesetzt.“ In einem Head-to-Head-Vergleich mit dem Anti-CD20 Antikörper Ofatumumab (Studien ASCLEPIOS I, II) zeigten sich nach 12 und 24 Monaten vergleichbare Effekte bei der Verbesserung von Behinderung und beim Hirnvolumenverlust. Ein Vergleich mit dem S1P-Agonist Ponesimod (OPTIMUM-Studie) ergab keine statistisch signifikanten Unterschiede bei der über 12 und 24 Wochen bestätigten Behinderungsprogression.

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Effekte der BTK-Inhibition auf das adaptive und angeborene Immunsystem

MS wird traditionell als eine Störung der adaptiven Immunzellen (inkl. T- und B-Zellen) angesehen. Neuere Erkenntnisse deuteten auf eine Beteiligung der angeborenen Immunität hin, einschließlich der Makrophagen, Mikroglia und Astrozyten im ZNS, berichtete Professor Sven Meuth, Düsseldorf, und verdeutlichte: „Bisherige Therapien greifen meist in der Peripherie an, es besteht ein großer Bedarf an innovativen Therapien, die sich gegen die Entzündungsreaktionen im ZNS richten und so die Progression aufhalten.“ Besonders wichtig ist es, die sog. Smoldering MS, also die pathologischen Prozesse der MS, die überwiegend zu Behinderungsprogression führten, in den Griff zu bekommen.

„Bei der PIRA (Progression Independent of Relapse Activity) wird die Progression betrachtet, die unabhängig von den Krankheitsschüben auftritt und insbesondere unter hochaktiven Therapien beobachtet wird, obwohl diese die Schubrate wirkungsvoll senken. Man findet keine kontrastmittelanreichernden T1-Läsionen und auch keine neuen oder sich vergrößernden T2-Läsionen.

Inzwischen wird diskutiert, ob die Smoldering MS sogar die „richtige“ MS ist, die primär im ZNS beginnt und sekundär als Antwort zu entzündlichen Prozessen führt“, erklärte Frau Professor Stefanie Kürten, Bonn. Bei der Entstehung der Smoldering MS kommt den BZellen und der Mikroglia im ZNS eine besondere Bedeutung zu, und mit den aktuellen DMTs sind diese schwelenden Prozesse noch nicht ausreichend zu beeinflussen.

Hier setzen die sogenannten Bruton-Tyrosinkinase (BTK)-Inhibitoren wie Tolebrutinib, Evobrutinib und Fenebrutinib an, die derzeit in klinischen Studien untersucht werden. „BTK ist an Schlüsselprozessen der MS beteiligt, denn das Enzym spielt eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von BZellen, Mikroglia und Makrophagen. Die Idee ist, dass man durch die BTK-Inhibition im ZNS über die Modulation von Makrophagen und Mikroglia die Erkrankungsprogression, die Smoldering Inflammation, bekämpfen kann. Zudem kann die BTK-Hemmung die Funktion von B-Zellen in der Peripherie und im ZNS modulieren“, erläuterte Meuth.

Umfassendes Studienprogramm zu Tolebrutinib zeigt vielversprechende Ergebnisse

Tolebrutinib ist ein in der Prüfung befindlicher, oral einzunehmender gehirngängiger BTK-Inhibitor, der in In-vitro-Studien im Liquor die erforderlichen Konzentrationen erreicht, um auf B-Lymphozyten und Mikroglia einzuwirken.

BTK-Inhibitoren (BTKi) werden derzeit in unterschiedlichen klinischen Studien zur Behandlung der MS getestet. Das Tolebrutinib-Studienprogramm untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit des BTK-Inhibitors im gesamten MS-Krankheitsspektrum: Er wird in klinischen Studien der Phase III für die Behandlung schubförmig verlaufender Formen der MS (RMS; GEMINI-I & II) sowie der nicht schubförmig verlaufenden sekundär progredienten MS (nrSPMS; HERCULES-Studie) und der primär progredienten MS (PPMS; PERSEUS-Studie) untersucht.

In einer Phase-II-Studie zur Dosisfindung kam es mit Tolebrutinib zu einer raschen Reduktion der fokalen Entzündung: „Nach 12 Wochen 60 mg Tolebrutinib 1 × täglich wurde die Zahl der neuen Gd-anreichernden Läsionen um 85 % im Vergleich zu Placebo gesenkt“, berichtete Meuth. Diese Ergebnisse konnten auch in einer aktuellen Auswertung einer Phase-IIb-Verlängerungsstudie über 96 Wochen bestätigt werden: Im Tolebrutinib-Arm blieb die Zahl der Gd+-Läsionen gering. Ebenso konnte die Schubrate durch den BTKi langfristig signifikant verringert werden: Nach 96 Wochen Behandlung mit Tolebrutinib zeigte sich bei Patienten mit aktiver MS und einer jährlichen Schubrate von 1,23 im Vorjahr eine relevante Schubratenreduktion auf 0,17. 80,6 % der Patienten waren schubfrei, 12,9 % hatten noch einen, 5,6 % zwei und 0,8 % drei Schübe und mehr.

„Was man bisher über eine etwas längere Beobachtungszeit sieht, sind sehr ermutigende Ergebnisse. Die Sicherheitsdaten der PhaseIIb-Studie über 96 Wochen zeigten zudem eine insgesamt gute Verträglichkeit von Tolebrutinib“, resümierte Meuth.

Die Referenten waren sich einig: Die BTK-Inhibition ist ein äußerst interessantes therapeutisches Ziel und man erwartet mit Spannung die Ergebnisse der Phase-III-Studien des Tolebrutinib-Studienprogramms. „Sieht man positive Effekte in den Studien zu den progredienten MS-Formen, bedeutet dies, dass der BTK-Inhibitor im ZNS tatsächlich die schwelenden Prozesse modulieren kann“, so Kürten.

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REPUBLIK MOLDAU: Raisa Pavlova flieht vor den Kämpfen in der Ukraine, unsere Mitarbeiterin Svetlana Bujac bietet ihr Hilfe an. © Peter Bräunig

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Satz:

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