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Roctavian® – die erste Gentherapie für Erwachsene mit schwerer Hämophilie A

Die Hämophilie A ist eine seltene X-chromosomal-rezessiv vererbte Erkrankung, die meist bei Männern auftritt. Da bei den Betroffenen das Gen mutiert ist, das den Blutgerinnungsfaktor VIII (FVIII) kodiert, kann kein funktionsfähiges oder nicht genügend Faktor-VIII-Protein gebildet werden, was das Blutungsrisiko erhöht und eine lebenslange Substitution des fehlenden Faktors erforderlich macht [1].

gewendet werden kann, die keine Faktor-VIII-Inhibitoren in der Vorgeschichte hatten und bei denen keine Antikörper gegen das Adeno-assoziierte Virus vom Serotyp 5 (AAV5) nachweisbar sind [5].

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Gentherapie ermöglicht körpereigene FVIII-Produktion

Literatur

1 Fachinformation Prialt® 100 Mikrogramm/ml Infusionslösung; Stand: 08/2022

2 Matis G et al. Low-dose Ziconotid as first-line intrathecal therapy for pain relief: a case series of six patients. Poster präsentiert auf dem 15. International Neuromodulation Society Congress (INS) in Barcelona, 21.–26. Mai 2022

3 Matis G. et al. Brain and Behavior 2021;11(Suppl. 1):e02055

4 Bennett MI et al. Eur J Pain 2019;23:660668

4 Brogan SE et al. Reg Anesth Pain Med 2022;rapm-2022-103770. doi: 10.1136/ rapm-2022-103770. Online ahead of print

Patienten mit schwerer Hämophilie (Faktor VIII-Aktivität <1 IE/dl) erhalten mehrmals wöchentlich ein intravenös verabreichtes Faktorkonzentrat, um sie vor spontanen Einblutungen ins Gewebe und in die Gelenke zu schützen [2]. Trotz dieser regelmäßigen Behandlungen lässt sich das Blutungsrisiko jedoch nicht vollständig beseitigen [3] und die Patienten entwickeln früher oder später Gelenkarthropathien [4]. Weitere Folgen sind chronische Schmerzen und eine eingeschränkte Mobilität [2]. Außerdem beeinträchtigen die regelmäßigen Infusionen die Lebensqualität und führen zu einer suboptimalen Therapie-Adhärenz – und damit zu einem noch weiter erhöhten Blutungsrisiko [4].

Eine bahnbrechende neue Option zur Behandlung der schweren Hämophilie A ist die Gentherapie mit Roctavian® (Valoctocogen Roxaparvovec), die bei Erwachsene an-

Da die Hämophilie durch Mutationen in einem einzelnen Gen verursacht und außerdem rezessiv vererbt wird, ist sie ein idealer Kandidat für eine Gentherapie, bei der mithilfe von viralen Vektoren ein therapeutisches Transgen in die Körperzellen eingeschleust wird, das die Funktion des defekten Gens übernehmen kann [6]. Bei Roctavian® wird für den Transport des Transgens ein natürlich vorkommendes apathogenes Virus, das Adeno-assoziierte Virus vom Serotyp 5 (AAV5) verwendet, das sich besonders für den Einsatz bei Leberzellen eignet [7].

Auf Basis des AAV5 wird ein rekombinanter, nicht pathogener und replikationsdefekter AAV-Vektor entwickelt. Dazu wird das virale Genom nahezu vollständig entfernt und stattdessen in das Viruskapsid ein voll funktionsfähiges Gen für den humanen Blutgerinnungsfaktor VIII eingefügt. Dieses Transgen ist eine komplementäre einzelsträngige DNA des Faktors

VIII, der die B-Domäne fehlt. Ihm wird ein leberselektiver Promotor vorgeschaltet, der die Translation des Gens in Endothelzellen und sinusoidale Zellen der Leber anregt, wo der Faktor VIII normalerweise synthetisiert wird. Die AAV-Vektoren mit den Transgenen werden über eine einmalige intravenöse Injektion dem Lebergewebe zugeführt. Im Körper des Patienten binden die Kapside an der Oberfläche der Leberzellen und werden durch Endozytose internalisiert. Nach der Aufnahme in den Zellkern wird das Transgen aus dem Vektor freigesetzt und formt ein stabiles Episom. Dieses wird nicht in die Chromosomen integriert und bei der Zellteilung im menschlichen Körper nicht verdoppelt. Die DNA wird transkribiert und im Zytosol wird anhand der m-RNA der funktionsfähige Gerinnungsfaktor VIII gebildet [8].

Überzeugende Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit

Die Wirksamkeit einer einzelnen intravenösen Infusion von 6 × 1013 Vektorgenomen Valoctocogen Roxaparvovec pro Kilogramm Körpergewicht wurde in der offenen, einarmigen der Phase-III-Studie GENEr8 untersucht [2]. Eingeschlossen waren 134 männliche Erwachsene (ab 18 Jahre) mit schwerer Hämophilie A (FaktorVIII-Restaktivität ≤1 IE/dl), die mindestens 12 Monate lang vor Aufnahme in die Studie mit einer prophylaktischen Faktor-VIIISubstitutionstherapie behandelt worden waren und eine Exposition gegenüber Faktor-VIII-Konzentraten hatten. Primärer Endpunkt war die Veränderung der Faktor-VIIIAktivität gegenüber dem Ausgangswert in den Wochen 49 bis 52 nach der Infusion. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Änderung der jährlichen Anwendung von Faktor-VIII-Konzentrat und Blutungsraten. Ein Jahr nach erfolgter Behandlung war die durchschnittliche FVIIIAktivität signifikant um 41,9 IE/ dl gestiegen (95%-KI: 34,1 – 49,7; p < 0,001). Bereits ab der 4. Woche war der durchschnittliche annualisierte Bedarf an FVIII-Konzentrat signifikant (p < 0,001) um 98,6 % gesunken. Auch die Rate jährlicher Blutungsereignisse hatte signifikant (p < 0,001) um 83,8 % abgenommen, womit das Überlegenheitskriterium gegenüber der FVIII-Prophylaxe erfüllt wurde [2]. Bei 74 % der Teilnehmer traten nach der Behandlung gar keine Blutungen mehr auf [5].

In der Subgruppe der Patienten, die ihre Infusion mindestens 2 Jahre vor Datenauswertung erhalten hatten, war die FVIII-Aktivität nach einem Jahr um durchschnittlich 42,2 IE/dl erhöht, nach 2 Jahren noch um durchschnittlich 24,4 IE/ dl [2].

Die häufigsten unerwünschten Ereignisse im Zusammenhang mit Roctavian® umfassten vorübergehende Reaktionen im Zusammenhang mit der Infusion und einen Anstieg der Alanin-Aminotransferase-Spiegel (bei 85,8 %), der mit Immunsuppressiva behandelt wurde. Weitere Nebenwirkungen waren eine Erhöhung der AspartatAminotransferase (AST) (67 %), Übelkeit (37 %), Kopfschmerzen (35 %) und Müdigkeit (30 %). Keiner der Studienteilnehmer entwickelte Inhibitoren gegen Faktor VIII, thromboembolische Ereig- nisse oder bösartige Erkrankungen im Zusammenhang mit Roctavian® [2].

Zulassung eröffnet neue Perspektiven

Angesichts der hohen Wirksamkeit sowie der Sicherheitsdaten, die über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren für alle Patienten vorliegen [5], erteilte die Europäische Kommission am 24.08.2022 BioMarin die europaweite Zulassung für Roctavian®. Da die Gentherapie die Aufrechterhaltung einer stabilen endogenen Faktor-VIIIAktivität ohne regelmäßige Prophylaxe ermöglichen kann, was zu einer erheblichen und anhaltenden Verringerung der Blutungen führt und auch die klinischen sowie patientenorientierten Ergebnisse einschließlich der Lebensqualität verbessert, ist davon auszugehen, dass sie einen Paradigmenwechsel in der Behandlung der Hämophilie A einleiten wird.

Brigitte Söllner, Erlangen

Literatur

1 Srivastava A et al. Haemophilia 2020;26 (Suppl 6):1-158

2 Ozelo MC et al. N Engl J Med 2022; 386:1013-1025

3 Leebeek FWG et al. Blood 2021;138: 923-931

4 Oldenburg J. Blood 2015;125:2038-2044

5 Roctavian® (Valoctocogene Roxaparvovec). Summary of Product Characteristics. BioMarin International Limited 2022

6 Doshi BS et al. Ther Adv Hematol 2018;9:273-293

7 Pipe S et al. Mol Ther Methods Clin Dev 2019;15:170-178

8 Wang T et al. Nat Rev Drug Discov 2019; 18:358-378

Sotorasib (Lumykras®) ist der erste KRAS G12C-Inhibitor, der die klinische Prüfung erreichte. Er wurde im Januar 2022 zugelassen für die Monotherapie von Erwa chsenen mit fortgeschrittenem nicht kleinzelligem Lungenkarzinom (non-small cell lung cancer, NSCLC) mit KRAS G12C-Mutation, bei denen nach mindestens einer vorherigen systemischen Therapie eine Progression festgestellt wurde [1]. Basis für die Zulassung waren die Ergebnisse der Studie CodeBreaK 100, in der die 1 × tägliche orale Einnahme von Sotorasib bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem NSCLC mit KRAS G12C-Mutation und Krankheitsprogress nach vorheriger Behandlung ein positives Nutzen-Risiko-Profil mit schneller, tiefgreifender und dauerhafter Antikrebswirkung gezeigt hat [2]. In der randomisierten, aktiv kontrollierten Phase-III-Studie CodeBreaK 200 [3] wurden nun die Wirksamkeit und Sicherheit von Sotorasib mit der von Docetaxel verglichen.

Signifikant besseres progressionsfreies Überleben und höhere Ansprechraten

Eingeschlossen in CodeBreaK 200 wurden Patienten, die an einem zuvor behandelten, lokal fortgeschrittenen NSCLC mit KRAS G12C-Mutation erkrankt waren. Die 345 für die Studie rekrutierten Patienten wurden 1:1 entweder auf 960 mg Sotorasib 1 × täglich oder auf die intravenöse Chemotherapie mit Docetaxel randomisiert. Primärer Endpunkt war das progressionsfreie Überleben (PFS).

Wichtige sekundäre Endpunkte umfassten das Gesamtüberleben, die objektive Ansprechrate und die von den Patienten berichteten Ergebnisse [3].

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