marie 74/ September 2022

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Körperkünstler

Patrick Nägele machte sich mit 26 Jahren als Tätowierer selbstständig. Nach einem Seelenkollaps vor drei Jahren kämpft sich der heute 43-Jährige zurück ins Leben. Mit der marie sprach er über sein erstes Tattoo, seinen Drogenkonsum und schmerzvolle Erfahrungen. Seiten 18 bis 21

2,80 Euro davon 1,40 Euro für die Verkäuferin/ den Verkäufer #74 / September 2022
Foto: Petra Rainer
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Inhalt

4-7 „Der Hass ist nicht befriedbar“

Interview mit Schriftsteller Michael Köhlmeier über das Morden, Rächen und Zürnen

8 Spielfilm-Reihe Demenz

Filmabende rund um den Weltalzheimertag

9 Rechenrätsel, Schachecke

10-11 Versöhnung mit der Politik

Bürger:innenrat beschäftigt sich mit dem Thema „Faire Wahlen“

11 Rätsellösungen

12-13 Ohne Parteien geht es nicht?

Willbald Feinig über die hellsichtigen Gedanken der französischen Philosophin Simone Weil

14 Günstig einkaufen

Tipps der Redaktion, wo man seinen Geldbeutel in Zeiten der Teuerung noch schonen kann

16-17 Laut, bunt und mit Schwung

Verein feiert sein zehnjähriges Bestehen mit Zirkusfestival

17 Sudoku

18-21 „Der Schmerz gehört dazu“ Tätowierer Patrick Nägele im großen marie-Interview

23 Rezept aus Dans Probelokal Sonnengereifte Äpfel und Birnen gegen drohende Kälte

24-26 Die Dinge neu, anders denken Philosophin Natalie Knapp spricht über die „Kraft des Wir“

26 Repaircafés

27 Demokratie auf der Insel Theatergruppe Café Fuerte feiert ihr Jubiläum mit Produktion zum Thema „Demokratie“

28-31 Freiraum füs Wesentliche Verein locart startet den Versuch eines Bedingungslosen Grundeinkommens für Künstler:innen

32-34 Sprachrohr für die Fotokunst Porträt des Vorarlberger Fotografen Lukas Birk 35 Impressum

36-37 Pleiten, Pech und Pannen Einblick in die Erklärungsversuche verzweifelter Versicherungsnehmer

38-39 Veranstaltungskalender

marie ist Mitglied im Weltverband der Straßenzeitungen. www.insp.ngo

Editorial

Liebe Leserin, lieber Leser!

Es gelte heute schon Antworten zu finden auf Fragen, die wir noch gar nicht haben. So die Worte des Genetikers Markus Hengstschläger, die mir von einem seiner Vorträ ge vor Jahren geblieben sind. Jederzeit bereit sein, etwas zu finden, was ich gar nicht suche? Serendipität nennt man das, wenn man Indien sucht und Amerika entdeckt. Aber auch das Post-It, Teflon, die Röntgenstrahlen oder Penicillin: in diesem Fall alles Dinge, die per Zufall erfun den wurden. Natürlich nicht vom Plüschsofa aus. Immer waren da Menschen bereits am Tun, Menschen, die ihre Sinne geschärft und all ihren Mut zusammengenommen hatten, sich aufgemacht hatten, sich dem Unbekanntem zu stellen. Selbst, wenn sie dabei ganz anderes im Visier hatten, haben sie Innovatives in die Welt gebracht. Die Philosophin Natalie Knapp – auch Teil dieser Ausgabe – meint zudem, manch große Idee würde Jahrzehnte im Verborgenen gären, bevor ihre Zeit gekommen ist. Nicht zuletzt durch eine Krise, weil uns erst deren Leidensdruck veränderungswillig macht. An Krisen würde es uns ja ak tuell nicht mangeln ... Natürlich ist für uns Redakteur:innen das Fragen der Motor unseres Tuns. Es lässt uns Zusammenhänge bes ser verstehen, führt uns in andere Lebenswelten und auch immer wieder dorthin, wo das Denkbare am Utopischen streift. Oder umgekehrt. Und manchmal finden dabei auch wir, was wir gar nicht gesucht haben. Die Antwor ten sind jedenfalls der Stoff, aus dem wir schöpfen dürfen. Auch diesmal wieder aus dem Vollen, denn wir haben gleich zu drei großen Interviews geladen. Einen Schrift steller, eine Philosophin, einen Tätowierer. Gastautor Willibald Feinig denkt zudem über die spannende Frage nach, ob eine Demokratie ohne Parteien funktionieren könnte. Darüber hinaus lassen wir wissen, wo man noch günstig einkaufen kann, wie Wahlen fairer zu gestalten wären und wie ein kleiner, lokaler Verein Wirtschaftstrei bende für Kulturinvestments mobilisieren konnte.

Nützen auch Sie die Chance zu finden, was Ihnen auf dem Weg begegnet. Bleiben Sie wach, beherzt und wa gemutig. Und uns als Leser:innen wohlgesonnen – wie schön, dass Sie diese marie gefunden hat.

Simone Fürnschuß-Hofer, Redakteurin

Kontaktieren Sie uns

Sie haben Anregungen, Wünsche oder Beschwerden? Dann schreiben Sie uns doch einfach. marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems. E-Mail: redaktion@mariestrassenzeitung.at oder Sie rufen uns an unter 0677/61538640. Internet: www.marie-strassenzeitung.at. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften!

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Die nächste marie erscheint am 30. September.

Der Hass ist nicht befriedbar“ Ein

Interview mit Michael Köhlmeier (72) kann ausarten. Im allerbesten Sinne. Wer in den Bann seiner Erzählkunst ge zogen wird, vergisst mitunter seine Fragen. Aber irgendwie haben wir den Bogen dann doch noch hinbekommen. Denn nicht ganz zufällig treffe ich den Schriftsteller, um mit ihm ein Gefühl zu reflektieren, das schwer zu fassen ist: Den Hass. Dieser ist die inhaltliche Klammer des diesjährigen Philosophicums in Lech, zu dem Michael Köhlmeier vor 25 Jahren angestoßen hat und das er seit dem hinter und vor den Kulissen mitprägt. Das Gespräch beginnt bei den griechischen Göttern, fördert morbid Kurioses zutage und spürt den Gestalten dunkler Gefühlswelten nach. Eine kurze Geschichte des Hasses – von Homer bis Heath Ledgers.

marie: Der Hass als literarisches Motiv: Wäre nicht unsere Welt um zig Geschichten ärmer, wenn es das Hassgefühl nicht gäbe?

Michael Köhlmeier: Man muss unterscheiden. In der modernen Lite ratur bzw. ab der Renaissance differenziert sich das. Diese starken Hass geschichten, in denen der Hass als reines, blankes Gefühl auftritt, das sich loslöst vom Anlass, die gibt es vor allem in der antiken Kultur. Die archaische Gesellschaft, wenn ich beispielsweise Homer hernehme, war gegenüber ihren Gefühlen ideologiefrei, religionsfrei. Die biblische Seite hingegen hat einen moralisierenden Gott: Wenn du das Gebot gebrochen hast, hast du gewusst, du durftest es nicht. In der griechischen Antike haben die Götter genauso gehasst wie die Menschen, und es wäre kein Mensch auf die Idee gekommen zu sagen, die Götter geben mir was vor. Das heißt also, was die Moral betrifft, lebten die Griechen in der Antike in einer agnostischen Gesellschaft und damit in einer ähnlichen Situation wie wir heute. Auch wir leben heute in einer agnostischen Gesellschaft und müssen uns die Moral selbst ausmachen.

Der Hass ist es dieses Jahr, der das Philosophicum in Lech the matisch bestimmen wird. Über das Hassen und Morden, das Rächen und Zürnen, die Mo ral und deren Geschichte haben wir mit dem Schriftsteller und Philosophicum-Mitbegründer Michael Köhlmeier gesprochen.
Interview: Simone Fürnschuß-Hofer
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Gleichzeitig gibt es den Hass auf die Moral, wie auch ein Referat im Rahmen des Philosophicums titelt.

Moral ist Beengung der Freiheit. Der Autor, der das wie kein anderer begriffen und beschrie ben hat, war der Marquis de Sade, von dem der Begriff Sadismus kommt. (Anm: französischer Adeliger, 18. Jhd., bekannt für seine gewaltpor nografischen Romane). All seine Bücher sind getragen vom Hass auf die Moral. Schreckliche Bücher. 27 Jahre ist er im Gefängnis gesessen –zu einer Zeit der Obermoral: Französische Re volution, Aufklärung, der Begriff der Tugend, Robespierre. Alles berief sich auf die Tugend. Gleichzeitig herrschte ein derart blutiges Regi me in Paris, dass gar der Henker vor Erschöp fung zusammenbrach. Die Moral in Form der Robespierre‘schen Tugend meint: Wenn du nicht tugendhaft bist, müssen wir dir den Kopf abhacken. Alle Ideologien, vor allem die des 20. Jahrhunderts, haben sich auf die Tugend beru fen. Siehe Nationalsozialismus. Kommunismus. Sie alle waren der Meinung, dass sie moralisch korrekt handeln. Millionen von Menschen sind dabei ums Leben gekommen.

Aber Moral bedeutet auch Sicherheit. Wenn nun der moralisierende Gott wegfällt, falsche Tugendvorstellungen ganze Gesellschaften vergiften, auf welche moralische Basis dürfen wir uns eigentlich verlassen, um uns das Zusammenleben auszumachen?

In Wirklichkeit ist es ein langsamer, unfass bar langweiliger Prozess und beruht auf dem Bürgerlichen Gesetzbuch. Es hat niemals ein besseres Zusammenleben gegeben als dort, wo sich dieses durchgesetzt hat. Selbst, wenn es Lügen und Korruption nicht ganz ausschalten kann und Recht und Gerechtigkeit nicht un bedingt immer miteinander korrespondieren. Ich halte mich da an Goethe: ‚Es ist besser, dir geschieht einmal ein Unrecht, als es gibt kein Recht.‘

Kommen wir zum Hass zurück: Ist dieses Gefühl überhaupt „zu fassen“?

Wenn jemand gekränkt wird, und es baut sich in ihm ein negatives Gefühl auf, kann das Hass sein, muss es aber nicht. Kränkungen können sich auch wieder auflösen, beispielsweise, wenn

DER HASS IST EIN REINES GEFÜHL, DAS SICH LOSLÖST VON ALLEM.

AUCH VON DEM JENIGEN, DER ES AUSGELÖST HAT.

ES BETRIFFT NUR DEN HASSENDEN

SELBST.

sich jemand entschuldigt. Kränkung ist immer an einem Anlass festgebunden. Und Rache ist die böse Form der Gerechtigkeit, aber sie hängt eben mit der Gerechtigkeit zusammen. Wenn jemand meiner Familie etwas antut, dann habe ich Rachegedanken und wenn der Staat mir das abnimmt und ihn einsperrt, kann es sein, dass meine Rachegedanken befriedigt sind. Der Hass hingegen ist ein reines Gefühl, das sich loslöst von allem. Auch von demjenigen, der es ausge löst hat. Es betrifft nur den Hassenden selbst. Der Hass ist nicht befriedbar und sucht sich als ein lauerndes Gefühl immer wieder Gelegen heiten – wohingegen Kränkung und Rache aus Gelegenheit entstehen. Man könnte also sagen: Die Menschheit teilt sich in zwei Kategorien: In potenziell Hassende und jene Menschen, die sich vielleicht wahnsinnig über andere ärgern können, aber nicht hassen. So, wie manche lie ben können und andere nicht. Hass zielt schlussendlich immer auf Vernichtung.

Der Hass ist also aus philosophischer Sicht gren zenlos, nicht besiegbar? Genau. Der Sieger wäre dann der Hass in dir selbst. Wenn du von jemandem gehasst wirst, kannst du den Hass im anderen nicht besiegen, du kannst ihm nur aus dem Weg gehen. Ich weiß nicht, was in wirklich Hassenden vorgeht. Es gibt einen interessanten Eintrag in den Tage büchern von Andy Warhol über den Mord: Es wird nicht jemand zum Mörder, er ist es. Und wenn du Glück hast, bekommst du als gebore ner, potenzieller Mörder nie die Gelegenheit, einen Mord zu begehen. Das brachte mich auf den Gedanken, dass es sich mit dem Hass ähn lich verhält: Entweder du bist ein potenziell Hassender oder nicht.

Ich fasse zusammen: Es braucht erstens keinen Grund für Hass und zweitens nicht zwingend den Hass als Grund für den Mord?

Nein, gar nicht. Es gibt diese vollkommen be unruhigende Überlegung des Verbrechens ohne Motiv. Wie Johnny Cash singt, ‚Ich erschoss einen Mann in Reno, nur um zu sehen, wie er stirbt‘. Das ist für einen Mord ein schwaches Motiv. Deshalb ist der Hass so ein beunruhi gendes Gefühl, weil wir nicht wissen, wo genau er herkommt. Es gibt Leute, deren Hass für uns nicht erklärbar ist. Und es gibt Leute, denen so viel Unrecht zugefügt worden ist und die trotz dem nicht hassen.

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Mittendrin

Wir tun uns sogesehen leichter mit dem Hass, wenn wir zumindest einen Grund dafür erkennen. Ja, die Vorstellung, dass etwas ohne Grund passiert, ist unerträglich für einen aufgeklärten Menschen. Da gerät die Welt aus den Fugen. Sobald der Hass kein Motiv hat, sind wir schnell beim personifizierten Hass, also beim Teufel. Was dabei passieren kann, beschreibt Michel Foucault sehr treffend, dass einen nämlich plötzlich die Opfer gar nicht mehr so sehr interessieren. Oder kennen Sie noch einen Namen der von Jack Unterweger ermordeten Frauen? Über ihn hingegen hat man Theaterstücke geschrieben, ein Film wurde gemacht, Frauen schickten ihm Liebes briefe. Das ist eine fatale Umkehrung. Als ich ihm damals als freier Mitarbeiter beim ORF begegnete ...

Sie sind Jack Unterweger begegnet? Ja, das erklärt sich ganz einfach, er war eingeladen, für ein Hörspiel beim ORF Vorarlberg Regie zu füh ren. In der Nacht bevor die Produktion begann, hatte er, wie wir inzwischen wissen, im Lustenauer Ried eine Prosituierte erdrosselt. Am nächsten Tag fuhr er um 9 Uhr mit seinem Ford Mustang mit der Num mer ‚W JACK 1‘ im Landesstudio vor, geschniegelt mit Rollkragenpullover und Goldkette, und der Re dakteur machte uns bekannt. Im Nachhinein lässt sich vielleicht leicht sagen, ich hatte damals schon ein komisches Gefühl. Jedenfalls hatte er eine eigen artige Ausstrahlung, eine lauernde. Und er hatte ei nen ganz schlaffen Händedruck. Als dann die ersten Morde in der damaligen Tschechoslowakei verübt

wurden, sagte der ORF, jemand sollte darüber ein Feature (Anm.: Rundfunkbeitrag) fürs Journal-Panorama machen. Und dann pas sierte etwas wohl weltweit Einmaliges: Der Auftrag ging an ihn, Jack Unterweger, den gefeierten Autor der Linken – mit der Begründung, dass er sich doch gut in der Szene auskenne. (Anm.: Jack Unterweger saß zuvor schon 16 Jahren für einen Frauenmord im Gefängnis und kam dank Petitionen namhafter Intellektueller frei). Das ist, glaube ich, der einmalige Fall, dass der Mörder selbst ein Feature über seine Morde gemacht hat.

Und das Motiv für die Morde war?

Ich habe einmal Reinhard Haller, der ja sein Gerichtsgutachter war, gefragt, ob sein unterprivilegiertes Aufwachsen mit ein Grund sein könnte. Dieser meinte, viel eher sei es ein Hass auf Frauen. Oder nicht einmal das, sondern die reine Lust am Morden.

Ich glaube, der Hass ist ein Gefühl, dass unsere aufgeklärte Welt ordnung in ziemlichen Stress bringt. Dieses Modell, jede Tat, jedes Gefühl hat eine Ursache, das kann man dort nicht ohne weiteres an wenden. Da kommt der aufgeklärte Geist ins Schwimmen. Auch die Liebe ist so eine Sonderinsel des Gefühls und nicht ohne jede Gefahr, weil sie ähnlich wie der Hass bedingungslos fordernd ist, schwer kom promissbereit.

Als jemand, der im politischen Diskurs immer wieder klare Worte fin det: Waren Sie auch schon von Hass im Netz – oder auch von Mensch zu Mensch – konfrontiert?

Ja, natürlich. Beides. Das betrifft mich aber insofern nicht so sehr, als dass ich weder bei Facebook noch auf anderen sozialen Plattformen bin. Aber auf vol.at gibt es schon unglaublich böse Postings. Ich weiß HASS IST DESHALB SO EIN BEUNRUHIGENDES GEFÜHL, WEIL WIR NICHT WO GIBT DEREN HASS FÜR UNS UND GIBT WORDEN UND DIE

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TROTZDEM NICHT HASSEN. „ “

natürlich, dass nach meiner Rede in der Hofburg (Anm.: zum Gedenktag gegen Gewalt und Rassismus, 2018) viel ge schrieben worden ist, von dem ich allerdings das meiste nicht mitbekommen habe. Manchmal werde ich auf der Straße, vor allem in Vorarlberg, nicht in Wien, beschimpft. Einmal fuhr ich im Zug von Bregenz nach Hohenems. Hinter mir saß ein Mann, der gleich, nachdem ich zustieg, lauthals zu seiner Sitznachbarin sagte: „Das war der Köhlmeier, nicht wahr? Der ist auch ganz schön arrogant, kommt einfach rein und grüßt niemanden.“ Kein Mensch hat im Großraumab teil irgendjemanden gegrüßt. Aber es ging noch weiter: „Der müsste ein bisschen Demut lernen, kassiert das ganze Geld von uns ...“ usw. Ich wusste nicht, ob ich aufstehen und etwas sagen sollte. Die ganze Zeit lästerte er, bis kurz vor Dornbirn eine Frau im Abteil aufstand und meinte: „Jetzt halten Sie endlich Ihren dummen Mund.“ Woraufhin er still war.

Halten Sie das gut aus? Es verletzt mich natürlich. Zu sagen, da stehe ich drüber, wäre gelogen. Aber, dass sich die Frau eingesetzt hat, war gleichzei tig ein schönes Erlebnis.

Abschlussfrage: Welche zeitgenössische Figur, die den Hass und das Böse verkörpert, kommt Ihnen als erstes in den Sinn? Der von Heath Ledgers grandios gespielte Joker und Bat man-Kontrahent in „Der dunkle Ritter“. Angelehnt an Goethes Faustzitat: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ müsste für ihn gel ten: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Böse schafft.“ Ich frage mich, ob diese Figur nicht das Potenzial hätte, auch in der literarischen Welt Fuß zu fassen.

Wir bitten darum – führen und schreiben Sie ihn in die Litera tur ein. Danke für das Gespräch.

PHILOSOPHICUM LECH

Das Philosophicum Lech hat sich als ein internationales Zentrum für philosophische, kultur- und sozialwissenschaft liche Reflexion, Diskussion und Begegnung etabliert und stellt sich den brennenden Fragen unserer Zeit. Als Ideen geber für das Philosophicum gilt Michael Köhlmeier, für die wissenschaftliche Leitung zeichnet seit 25 Jahren Univ. Prof. i. R. Dr. Konrad Paul Liessmann, Autor und Professor für Philosophie, verantwortlich.

Vom 20. - 25. September spürt das diesjährige Philosophi cum mit renommierten Vortragenden aus den unterschied lichsten Bereichen dem Thema „Der Hass. Anatomie eines elementaren Gefühls.“ nach. Eröffnung am Mi, 21.09., 18:00 Uhr: philosophisch-litera rische Einstimmung ins Thema mit Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann Verleihung des „Tractatus“, hochdotierter Essay-Preis des Philosophicums, am Fr, 23.09., 21:00 Uhr Das komplette Programm: www.philosophicum.com, An meldung online oder: T +43 5583 2213-217, info@philoso phicum.com

Im Vorfeld der Vorträge finden die Philosophicum Dialoge statt und greifen abseits des eigentlichen Themas brisante Entwicklungen auf, dieses Jahr unter dem Titel „Zeitenwen de – Wendezeit. Europa im Umbruch“.

ICH GLAUBE, DER HASS IST EIN GEFÜHL, DAS UNSERE AUFGEKLÄRTE WELTORDNUNG IN ZIEMLICHEN STRESS BRINGT. DIESES MODELL, JEDE TAT, JEDES GEFÜHL HAT EINE URSACHE, DAS KANN MAN DORT NICHT OHNE WEITERES ANWENDEN.
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Spielfilm-Reihe Demenz

Rund um den Weltalzheimertag am 21. September zeigen fünf Gemeinden der Aktion Demenz ausgewählte Spiel filme, die sich mit dem Thema auseinandersetzen oder bei denen die Demenz eine wichtige Rolle spielt. Begleitet werden diese Filmabende von Experten, die im Anschluss für ein Gespräch und Fragen zur Verfügung stehen.

DasThema ist längst in Hollywood angekom men und erhält dadurch weit mehr Aufmerksam keit als Vorträge und Informationsbroschüren es vermögen. Allerdings wird häufig ein dramati sches und vor allem sehr einseitiges Bild der Erkrankung gezeichnet, oft mit einem fatalen Ende. Das Leben mit ei ner Demenz hat aber unterschiedliche Phasen und die Lebensqualität hängt sehr stark von der individuellen Ent wicklung ab. Manchen Filmen gelingt es, neben all den Verlusten und Ängs ten, die eine demenzielle Entwicklung mit sich bringen, auch ein realistisches Bild der verbleibenden Fähigkeiten und Möglichkeiten zu zeigen. Beispielswei se, wie weit die Reise mit einem Wohn mobil noch gehen kann wie im Film „Das Leuchten der Erinnerung“.

Film wird in Kooperation mit den Hans Bach Lichtspielen vorgeführt.

Amerika. Und als Abschluss dieser Rei he zeigt das Vereinshaus Wolfurt „Am goldenen See“, einen Film aus dem Jahr 1981 mit Jane Fonda, Katherine Hep burn und Peter Fonda.

Die Filmreihe wirft einen liebevol len Blick auf das Älterwerden, mögli che Erkrankungen und die Freude am Leben – auch im letzten Viertel der Lebensphasen. Und wenn sich Schau spieler*innen wie beispielsweise Helen Mirren, Julianne Moore oder Donald Sutherland auf das Thema einlassen, dann ist ein spannender Kinoabend ei gentlich garantiert.

Den Auftakt zur Filmreihe macht die Region Bregenzerwald am 21. Sep tember mit „Still Alice“. In der Aula der Bezauer Wirtschaftsschulen erzählt der Spielfilm die Geschichte einer amerika nischen Dozentin, die durch die begin nenden Symptome der Alzheimer-Er krankung aus dem Berufsleben gerissen wird. Der Autor und Validationsexperte Wilfried Feurstein führt im Anschluss das Gespräch mit Interessierten, der

Am selben Abend zeigt das Kino Bludenz, unterstützt von Prim. Dr. Reinhard Bacher, den Film „Romys Salon“, der am folgenden Tag, am 22. September, auch im Kino Lustenau zu sehen sein wird.

Dort führt Dr. Albert Lingg im An schluss ins Thema Demenz ein und stellt sich den Fragen des Publikums. Ein Roadmovie ist am 28. September im Metro Kino Bregenz zu sehen, „Das Leuchten der Erinnerung“ begleitet ein Paar auf seiner letzten Reise durch

21.09., 19 Uhr Kino Bludenz

ROMYS SALON

Referent Prim. Dr. Reinhard Bacher

21.09., 19 Uhr Bezauer Wirtschaftsschulen

STILL ALICE

Referent Wilfried Feurstein, Kooperation mit Hans Bach Lichtspiele 22.09., 19 Uhr Kino Lustenau

ROMYS SALON

Referent Dr. Albert Lingg

28.09., 20 Uhr Metro Kino Bregenz

DAS LEUCHTEN DER ERINNERUNG

29.09., 19 Uhr Vereinshaus Wolfurt

AM GOLDENEN SEE

Referent Dr. Albert Lingg, Kooperation mit Hans Bach Lichtspiele

Text: Daniela Egger
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Beginnen Zahl ganz Rechnen Sie von nach rechts – Kästchen Kästchen rechts eintragen. Jede Rechnung unabhängig von der Schwierigkeit sollte in we niger Sekunden Taschenrechner

Zum 50-jährigen Vereinsjubiläum veranstaltete der Schachklub Husek Wien die Österreichische Staatsmeis terschaft 2022. Das „Haus des Schachsports“ im zweiten Be zirk der Bundeshauptstadt stellte vom 12. bis 19. August die Räumlichkeiten für dieses Turnier zur Verfügung. 67 Teilneh merInnen spielten in neun Runden um den begehrten Titel in der Allgemeinen Klasse und für die Frauen ging es in diesem Bewerb auch noch zusätzlich um den Titel Österreichische Staatsmeisterin 2022

5 Großmeister, 7 Internationale Meister und 13 FI DE-Meister waren am Start. Somit war die Österreichische Staatsmeisterschaft mit insgesamt 25 internationalen Titel trägern außergewöhnlich stark besetzt. Der Turnierverlauf ließ an Spannung nichts zu wünschen übrig und gleich vier Spieler kamen auf jeweils 6,5 Punkte. Erst durch eine spezielle

Benjamin Kienböck (Hohenems) Nino Kordzadze (Ottakring)

Österr. Staatsmeisterschaft, Wien 2022

Wie nützt Weiß am Zug die unsichere schwarze Königsstellung aus?

Feinwertung setzte sich schlussendlich der Favorit GM Felix Blohberger (Wien) hauchdünn vor GM Andreas Diermair (Kärnten) und IM Dominik Horvath (Steiermark) durch.

Der einzige Vertreter aus Vorarlberg war der regierende Landesmeister Benjamin Kienböck aus Hohenems. Bei star ker Gegnerschaft erspielte der erst 15-Jährige mit 4,0 Punkte den 38. Rang im Endklassement. Zwei unglückliche Nieder lagen in den beiden Schlussrunden verhinderten eine bedeu tend bessere Platzierung. Österreichische Staatsmeisterin 2022 wurde erfreulicherweise die gebürtige Lustenauerin WFM Annika Fröwis. Da sie allerdings seit etlichen Jahren für Donaustadt spielt, zählt dieser Titel statistisch für Wien.

Nachstehend bringen wir drei Kombinationen aus diesem Turnier und wünschen Ihnen viel Spaß beim Lösen dieser Schachaufgaben.

IM Florian Schwabeneder (Grieskirchen)

FWFM Annika Fröwis (Donaustadt) Österr. Staatsmeisterschaft, Wien 2022

Wie erreicht Schwarz am Zug entscheidenden Materialvorteil?

Benjamin Kienböck (Hohenems) Nico Marakovits (Fürstenfeld) Österr. Staatsmeisterschaft, Wien 2022

Wie muss Weiß am Zug das Schachgebot abwehren, um dann im Königsangriff zu gewinnen?

#74 | September 2022 | 9 Lösungen auf Seite 11
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Versöhnung mit der Politik

Vorarlberg ist ein Vorreiter-Bundesland, wenn es um Bürger:innenbeteiligung geht. Auch wenn der Verfassungs gerichtshof das Recht auf eine Volksabstimmung auf Initiative aus der Bevölkerung gekippt hat, so gibt es mit den „Bürger:innenräten“ nach wie vor die Möglichkeit, sich als Bürgerin und Bürger aktiv in die Politik einzubringen – und auch einzumischen. Die marie hat sich angesehen, welche Ergebnisse beim jüngsten Bürger:innenrat im Juli diesen Jahres zum Thema „Faire Wahlen“ erarbeitet wurden.

Faire

Wahlen“. So das Thema des jüngsten aus der Bevölkerung initiierten Bürger:innen rats. 1300 Unterschriften konnte die Initiativgruppe rund um Sozialarbeiter und Die Faehre-Geschäftsführer Konrad Steurer dafür gewinnen. „Eine Wahlrechtsreform für die kommenden Landtagswahlen im Jahr 2024 zu bewirken“, so Steurer zu seinen Beweg gründen, denn „es stellt sich die Frage, wie demokratisch ein Land ist, wenn neue poli tische Bewegungen und Parteien keine gleichen Chancen haben.“ Kleine Parteien und solche, die zum ersten Mal bei Wahlen antreten, würden weder über das Budget noch über die gleiche Öffent lichkeit verfügen wie etablierte Parteien, deren Wahlkampfkosten zum großen Teil über die öffent liche Hand respektive Parteiförderungen abgegolten werden. Steurer spricht aus eigener Erfahrung, trat er doch bei den Landtagswahlen 2019 als Listenerster der in Vorarlberg bisher nicht vertretenen Partei „Der Wandel“ an. „Wenn wir schon ein Verhältniswahlrecht haben, dann sollen auch alle Verhältnisse abgebildet werden“, sagt Steurer, und dazu brauche es gleiche Bedingungen und „Faire Wahlen“, damit sich auch „alle beteiligen können, die neue Inhalte in die Politik einbringen wollen.“

Die Ergebnisse

„Wie können ein fairer Wahlprozess und eine hohe Wahlbeteiligung gelingen?“ lautete dement sprechend die Ausgangsfrage für den Anfang Juli abgehaltenen Bürger:innenrat. Hier eine kurze Zusammenfassung der Ergebnisse:

1. Zu viele Skandale, zu viele Vertuschungsmanöver, nicht nachvollziehbare politische Entscheidungen führten dazu, dass Bürger:innen das Vertrauen in die Politik verloren haben und deshalb auch oft nicht mehr wählen gehen. Man wünsche sich mehr „Ehrlichkeit, Wertschät zung, Transparenz“ in Form von direkter Begegnung und Dialog mit Politiker:innen, konkret durch Sprechstun den, Stammtische oder digitale Foren. Es brauche einen Versöhnungsprozess zwischen Politik und Bevölkerung.

2. „Politische Bildung und Politik vermitteln“: Weil poli tische Bildung in Schulen zu kurz komme, hätten viele junge Menschen nur ein geringes politisches Wissen und auch wenig Interesse, sich aktiv an Politik oder an Wah len zu beteiligen. Diesem Desinteresse könne mit einem Pflichtfach Politik in allen Schulen entgegengewirkt wer den, vorausgesetzt, es werde alltagsnah und lebensbezo gen gestaltet. Auch ein sogenanntes Wahl-Wiki, eine Art Wikipedia-Plattform zum Thema Politik und Wahlen, parteipolitisch unabhängig, neutral, in einfacher Sprache und mehrsprachig, wurden als wertvolle Werkzeuge für einen niederschwelligen Zugang genannt.

3. Als neue Methoden, um die Wahlbeteiligung zu steigern wurde die Idee einer Wahl-App präsentiert, „die ermög licht, digital, schnell, einfach und ortsunabhängig zu wählen“ – als Ergänzung zu den bestehenden Wahlmög lichkeiten.

4. Zum Thema „Wahlberechtigung“ wurde eine klare For derung formuliert: Wir wollen das Wahlrecht für Nicht

staatsbürger:innen nach zehn Jahren Wohnsitz und Le bensmittelpunkt in Vorarlberg.“ Hintergrund: Jeder 5. Mensch kann in Vorarlberg nicht wählen, weil knapp 66.000 Menschen keinen österreichischen Pass besitzen. (Österreichweit sind es zirka 1,4 Millionen, eine Zahl, die gerade angesichts der kommenden Bundespräsidenten wahl in den Medien kursiert.) Betroffen sind davon auch Menschen, die hier geboren wurden oder seit vielen Jah ren im Land leben.

5. Um das Recht auf „Gleichstellung wahlwerbender Grup pen“ zu gewährleisten, sollten neue wahlwerbende Grup pierungen ein finanzielles Startpaket bekommen sowie Gleichstellung in der Medienpräsenz. Damit künftige Wahlen von „Fairness, Vielfalt und Transparenz“ inklu sive einem „verbindlichen Verhaltenskodex für Politi ker:innen und Medien“ gekennzeichnet wären.

6. Ebenso zentral wird die Notwendigkeit gesehen, die direkte Demokratie und die Mitbestimmungsmöglich keiten im Land zu stärken. Mehr Forderung denn Lö sungsvorschlag: „Jede Stimme zählt. Politikerinnen und Politiker müssen sich bewusst sein, dass sie die Interes sensvertreter:innen des Volkes sind!“ und weiter: „Ein regelmäßiges Bürgerforum sowie das Recht auf verbind liche Volksabstimmungen wird eingeführt.“ Abschlie ßend noch ein Appell an eine ganze Berufsgruppe: „Po litiker:innen sollen sachlicher, glaubwürdiger, effizienter und menschlicher werden.“

Text: Brigitta Soraperra Fotos: Land Vorarlberg, FEB
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14 Menschen aus ganz Vorarlberg erarbeiten am 1./2. Juli in St. Abogast Ideen zum Thema „Faire Wahlen“. Am 5. Juli wurden sie im vorarlberg museum präsentiert.

Und wie geht’s nun weiter? In einem nächsten Schritt werden die ge sammelten Ergebnisse an eine Resonanzgruppe übergeben. Diese setzt sich aus Vertreter:innen aus Politik, Verwaltung und zwei der Initiator:innen zusammen. Die Vorschläge werden auf ihre konkre te Umsetzung geprüft und weiterführende Maßnahmen inklusive Berichterstattung an den Landtag vorgelegt. Die Teilnehmenden des Bürger:innenrats erhalten im Anschluss eine schriftliche Rückmel dung, wie die Ergebnisse verwertet werden. „Ich hätte mir nicht ge dacht, dass ich jemals mit so viel Lust und Begeisterung über Politik diskutieren könnte“, berichtete ein Teilnehmer aus dem Montafon. Er freue sich, dass er der Einladung des Landes gefolgt sei, obwohl er sich zunächst nichts unter einem Bürger:innenrat habe vorstellen können und der Einladungsbrief des Landeshauptmanns beinahe in seinem Mülleimer gelandet wäre.

Infobox

Bürger:innenrat: Das Vorarlberger Modell

Einen Bürger:innenrat – wie er in der Landesverfassung verankert ist – kann eine Gemeinde, eine Region, der Vorarlberger Landtag oder die Vorarlberger Landesregierung einberufen. Österreichweit ist diese Situation einzigartig: Bürgerinnen und Bürger werden ein bis zweimal pro Jahr nach dem Zufallsprinzip aus dem Melderegister ausgewählt und dazu eingeladen, sich in einer Gruppe von zirka 15 bis 20 Personen mit brennenden Fragen der Politik auseinanderzu setzen. Gemeinsam mit einem Moderationsteam werden Lösungen und Handlungsanweisungen erarbeitet, die in den politischen Alltag der Landesregierung einfließen sollen.

Diverse Gruppen Um möglichst unterschiedliche Perspektiven, Alltagserfahrungen und Ideen der Teilnehmenden zu erhalten, wird auf eine gute Durch mischung nach Alter, Geschlecht und Wohnort Wert gelegt. Ziel eines Bürger:innenrats ist die aktive Beteiligung der Bevölkerung als Ele ment einer gelebten Demokratie. Bevor die Ergebnisse an die Politik übergeben werden, findet außerdem ein sogenanntes Bürger:innen café statt, bei dem die erarbeiteten Themenfelder und Lösungsvor schläge mit der interessierten Öffentlichkeit diskutiert und allenfalls ergänzt werden. Organisiert und begleitet werden die Vorarlberger Bürger:innenräte vom „Büro für freiwilliges Engagement und Ehren amt“ (FEB).

„Von unten“ initiiert

Im Jahr 2017 hat klerstmals eine kleine Gruppe engagierter Bürgerin nen und Bürger vom Recht Gebrauch gemacht, einen Bürger:innen rat „von unten“ zu initiieren. Bei 1000 gesammelten Unterschriften zu einem gewünschten Thema muss das Land Vorarlberg dieses in ei nem Bürger:innenrat aufgreifen. Mittlerweile bereits viermal gesche hen: 2017 zum Thema „Umgang mit Grund und Boden“, 2019 zum Thema „Zukunft Landwirtschaft“, 2021 zu den „Herausforderungen der Klimakrise“ und im Jahr 2022 zum Thema „Faire Wahlen“.

LÖSUNGEN

Schachecke

1.Txe6+! Kf7 [In der Vorausberechnung übersah Schwarz, dass er nach 1...Txe6 2.Dxe6+ Kg7 3.Dxa6 eine Figur verliert.] 2.Te7+ Kf8 [2...Kf6 3.De5#] 3.Te8+ Kf7 4.De7+ Schwarz gab sich geschlagen, da Weiß nach 4...Dxe7 5.T1xe7+ Kf6 mit 6.Txh7 einen Turm gewinnt.

1...Dd6! Nach diesem Zug kann Weiß Materialverlust nicht mehr vermeiden. 2.Se5 [2.Txc7 Sxc7 Durch die Doppeldrohung 3...Dxc6 und 3...Sxa6 gewinnt Schwarz im nächsten Zug eine Figur.] 2...Sxg7 3.hxg7 Txg7 Weiß steht materiell völlig hoff nungslos und gab nach einigen belanglosen Zügen auf.

1.Kf2! Erstaunlicherweise der einzige, allerdings auch na heliegendste Zug, der gewinnt. Auf alle anderen Züge von Weiß berechnen die Schachprogramme geradezu „unmenschliche“ Varianten, die entweder zu Dauerschach oder unklaren Stel lungen führen. 1...Kg7 [1...Dd3 2.Dxh6 Dd2+ 3.Kf3 Weiß hat verschiedene Mattdrohungen, welche Schwarz nicht abwehren kann.] 2.Dxh6+ Kf6 3.Dg5+ Kg7 4.Sf5+ Kg8 5.Dxg6# Weiß beendete mit einem hübschen Matt die Partie.

Rechenrätsel

Für Anfänger = 7, Für Fortgeschrittene = 27, Für Genies = 18 Sudoku 2 3 1

#74 | September 2022 | 11
8 5 1 7 1 6 4 6 7 6 7 2 2 4 5 5 2 9 3 9 4 9 3 8 1 8 3 9 6 3 3 2 4 1 8 9 8 4 5 7 9 8 4 3 7 2 7 1 5 1 6 6 5 2 7 2 4 8 9 5 2 5 3 1 3 9 3 1 6 6 8 1 5 6 8 4 7 2 9 4 7

Ohne Parteien geht es nicht?

Eswar ein langes Telefonat. Auf Empfehlung hatte ich Erwin Mohr, den Wolfurter Ex-Bürgermeister und Delegierten zu europäischen Räten, einge laden, an einer Buchpräsentation am Spielboden teilzunehmen. Titel des Büchleins: „Notizen zur Abschaffung der politischen Parteien“. Autorin: Die franzö sische, nirgendwo einzuordnende Denkerin Simone Weil, 1909-1943. Der provokante Text entstand im Untergrund: Die Philosophielehrerin aus bürgerlichem Haus – sie hatte, um das Leben von Arbeiter:innen kennenzulernen, ein Jahr in einer Fabrik gearbeitet – war erschrocken über die Hilf losigkeit der Demokratie, über die Kapitulation Frankreichs gegenüber dem Nationalsozialismus.

Der Traktat läuft darauf hin aus, dass man die Bildung politi scher Parteien und jede Art von blindem Gehorsam und emotionaler Parteilichkeit in der Poli tik und im öffentlichen Leben gesetzlich verbieten soll. Gedan ken, so herausfordernd für mich, dass ich sie neu übersetzt habe.

Auch der erfahrene und nach wie vor aktive Politiker i. R. hatte den Text verschlungen. Aber, bei allem Verständnis für die Kritik an Parteien – nach Ibiza, dem Sturm aufs Washingtoner Kapi tol, angesichts von Personenkult, Propaganda und Korruption, für die er sich schäme – er habe schwere Bedenken: Wie soll das gehen, eine Demokratie ohne Parteien? Schon auf der nied rigsten, der Gemeinde-Ebene, und bei den einfachsten Fragen, sobald verschiedene Interessen im Spiel sind: Auch wenn man Fall um Fall abstimmt, wenn man Personen wählt statt Parteien – sofort würden die Mächtigeren, Redegewandten, Reichen die anderen auf ihre Seite ziehen, Clans würden an die Macht kommen, das wäre noch schlimmer als Parteien, die sich wenigstens ungefähr an ihr Programm halten müss ten ....

genommen alle anderen.“ Oder durch Nicht-Wählen: Auf den gegenwärtigen französischen Staatspräsidenten entfiel etwa ein Drittel der Stimmen der Wahlberechtigten. Sind Parteien wirklich unumgänglich? Simone Weil sagt: Nein. Sie ist jung (im englischen Exil) gestorben, auch aus Enttäuschung, weil ihre konkreten Ideen und Gedanken zum Neuanfang Frankreichs und Europas nach dem NS-Grauen kein Gehör fanden. Nein – gegen jeden Augenschein, denn auch achtzig Jahre später bestimmen Parteien die Politik, und die Gesinnung der Parteilichkeit prägt die Gesellschaft inklusive Kunst und Religion bis hinein in die Schulaufsätze, ja sie feiert gerade in den Untiefen des Internet wenig fröhli che Urständ.

Unsere Parteien gibt es noch gar nicht so lange, sie haben unter dem Druck der französischen Revolution Gestalt angenommen. Die aufwändige, meist vergessene Prozedur der Befragung und des Austausches, der Sammlung der Be schwerden noch der ärmsten Gemeinde des Landes, die von ihren Abgeordneten 1789 nach Versailles und Paris gebracht wurde, sie ist es, die Frankreich – und die Welt – nachhaltig verändert hat.

Ihre Argumente: Unsere Parteien gibt es noch gar nicht so lange, sie haben unter dem Druck der Französischen Revo lution Gestalt angenommen. Was diese Revolution an grundlegend Neuem gebracht hat, verdanken wir nicht Parteien, im Gegenteil. Die aufwändige, meist vergessene Prozedur der Befragung und des Austausches, der Sammlung der Beschwerden noch der ärmsten Gemeinde des Landes, die von ihren Abgeordneten 1789 nach Versailles und Paris gebracht wurde, sie ist es, die Frankreich – und die Welt – nachhaltig ver ändert hat. Und der berühmte „Contrat social“ Rousseaus, auf den sich schon die Revolutionäre bezogen, ist keine Glorifizierung der Demokratie, wie sie die Or bans, Trumps, Kaczynskis, Erdo gans oder Bolsonaros heute weltweit in Zweifel ziehen – von den Diktatoren zu schweigen. Vielmehr klärt die Schrift die Bedingungen, unter denen die republikanische Staatsform am ehesten für Wahrheit und Gerechtigkeit aller sorgen kann.

Solche und viele ähnliche Einwände liegen nahe. Schließ lich ist es ein wichtiges und hart erkämpftes Recht, sich zu sammenzuschließen mit anderen, die gleiche oder ähnliche Probleme oder Ziele haben. Und über die für jedermann sichtbaren Schäden, die das demokratische Parteiwesen an richten, tröstet man sich mit dem Churchill-Wort hinweg: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, aus

Damit gemeinsame Entscheide zum Wohl der Allgemein heit in Wort und Tat zustande kommen können, so Weil, müssen nämlich die Emotionen zurückgedrängt werden (statt angestachelt wie in den Wahlkämpfen)

Sachen zur Debatte stehen – nicht Personen; Personalisie rung in der Politik (und überhaupt) ist Flucht vor Verant wortung und Nachdenken Ideen und Fähigkeiten Einzelner, die der Allgemeinheit nützen, müssen auf eine neue Art gefördert werden. (Je

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mand mit politischer Begabung darf nicht darauf an gewiesen sein, sich einer Partei anzuschließen, mit de ren Programm er höchstens zum Teil übereinstimmt.) Ohne Zirkel und Kreise, ohne Medien, in denen die se Ideen ausgeprochen und diskutiert werden, kann es keine nützliche Politik geben. (Zeitungsprojekte wie die marie hätten Simone Weil sehr entsprochen, denke ich; die Verwüstung der Medienlandschaft trotz oder wegen leicht zugänglichem und (noch) bil ligem Internet hätte sie alarmiert.) Dass aus solchen losen poltischen Zirkeln „Bewegungen“, geschlossene Gruppen, letztlich Parteien mit Abstimmungszwang werden, gehöre gesetzlich verboten.

„Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ (Inge borg Bachmann) – und sie ist ein und dieselbe für alle, wenn auch oft nicht oder nur zum Teil klar oder von „Leidenschaften verdeckt“ (Weil). Einzig der Wahr heit und Gerechtigkeit darf ein:e politisch Tätige:r verpflichtet sein – nicht der Parteiräson, das heißt, dem Machterhalt und der Machtvermehrung.

Hellsichtige Gedanken, aus der Sorge um die Demo kratie entsprungen. Simone Weil hat sie vor ihrem Tod 1943 im Hauptwerk „Die Einwurzelung“(L'enracine ment) und auch in anderen Appellen wiederholt und ergänzt. Zum Beispiel pocht sie auf die Trennung von Gesetzgebung, Regierung und Justiz, die beide überprüft – ein Unterschied, der auch in Europa weitgehend zur Farce, zur Partei-Sache geworden ist. Es ist hoch an der Zeit, sich den Gedanken dieser Prophetin zu stellen.

Von Willibald Feinig, der Simone Weils Büchlein über die „Abschaffung der politischen Parteien“ neu übersetzt hat

Simone Weil Notizen zur Abschaffung der politischen Parteien Dt.-frz., übersetzt und herausgegeben von Willi bald Feinig.

Verlag Bibliothek der Provinz, 2022, 64 S. ISBN 9 78 399126113 1

Simone Weil, geboren 1909 in Paris. Studiert Philosophie in Paris, Lehrerin, Fabriksarbeiterin, nimmt am spanischen Bürgerkrieg teil, ab 1936 intensive Auseinandersetzung mit Christentum und Kirche; ab 1941 in der Résistance, als Jüdin 1942 im Exil zuerst in den USA, dann in England, wo sie 1943 an Unterernährung und Tuberkulose stirbt. Schriften (Auswahl, alle posthum veröffentlicht): L'enracinement (dt. Die Einwurzelung), La condition ouvrière (dt. Fabriktagebuch), Pensées sans ordre concernant l'amour de Dieu (unübers.), Ecrits de Londres et dernières lettres (unübers.), La pesanteur et la grâce (Aus wahl, dt. Schwerkraft und Gnade). Eine kritische Gesamtausgabe er scheint seit 1988 bei Gallimard.

Buchpräsentation am Spielboden mit der Soziologin und Denkerin Marianne Gronemeyer, dem Weil-Kenner Walter Buder, dem Leiter des F. M. Felder-Archivs Jürgen Thaler, dem Landtagsabgeordneten und Musiker Bernie Weber (an gefragt) und dem Innsbrucker Theologen Wolfgang Palaver. Abschlie ßend geht der Herausgeber auf ihre Stellungnahmen ein.

Die Parteien, die Demokratie und das Gemeinwohl Spielboden, Dornbirn, Mittwoch, 21. September, 19:30 Uhr

WÜRDE / DIGNITY

Ausstellung und Performance von Conni Holzer

6. Oktober 2022, Performance 18:30 Uhr Kantine Kaplan Bonetti

Kunst in der Kantine

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Ein Zirkus-Festival zum Mitmachen

Laut, bunt und mit Schwung

Im Februar 2018 eröffnete nach langer Suche und einigen Hindernissen die Zirkushalle des Vereins Zack & Poing in Dornbirn. Ihr zehnjähriges Ver einsjubiläum feiern die Artistinnen und Artisten vom 9. bis 11. September mit einem Festival der Zirkuskünste. Internationale Gastspiele und viele Möglichkeiten, sich selbst zu beteiligen bieten ein abwechslungsreiches Programm.

Comeas a guest, leave as a friend“ – so lautet das Motto des Vereins Zack & Poing und die Geschichte zeigt, dass sich das Motto bewahrheitet. Das engagierte Team ist gut aufgestellt, das Miteinander steht im Vor dergrund. „In den vergangenen zehn Jahren haben wir es mit unserem Verein tatsächlich geschafft, einige tau send Menschen in und um Vorarlberg mit Zirkuskunst in Berührung zu bringen. Die Zirkushalle Dornbirn gibt es nun seit vier Jahren. Hier hat sich unsere Begeisterung für diese vielfältige Kunstform materialisiert. Auf all das sind wir stolz und das möchten wir gerne mit möglichst vielen Menschen teilen und feiern“, sagt Raffaela Rudi gier-Gerer, die den Verein Zack & Poing gemeinsam mit ihrem Ehemann Sebastian Gerer gegründet hat. 2013 starteten die beiden im ProKontra Café in Hohenems mit einem interkulturellen Workshopangebot für Kinder und Jugendliche, gefördert von der Stadt Hohenems. Dieses Angebot ist nach wie vor ein Magnet in Hohenems und die ständig steigenden Anmeldezahlen lassen vermuten, dass die lange Pandemie das Bedürfnis nach Bewegung und Spaß noch gesteigert hat. Außerdem fand auch das beliebte Vollmondvarieté im ProKontra Café statt – eine offene Bühne für Laien und Profis. Immer zu Vollmond entstehen so zauberhafte Abende, die motivierend wir

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Freitag, 09.09., 18 Uhr Grand Opening

Pop-Up-Performance von Janine Ebnöther (Ch), Live-Musik, Apéro und Snacks

20 Uhr: Colette Gomette „Prézidente“, Clownstück ab 12 Jahren

Samstag, 10.09.

Ale Risorio, Streetperformance 11-12 Uhr

Rosa Dreher, Luft-Akrobatik 12:15-12:30 Uhr

AcroYoga von DreiPunkt 12:30-13 Uhr

Franziska Hauser, Streetperformance 13 - 13:45 Uhr

Tamara Kaufmann, Vertical Dance Performance 13:45 - 14 Uhr

Fort Willy „Terra Mini“, Clownshow ab 5 Jahren, 14- 5 Uhr (Halle)

Ale Risorio, Streetperformance 15:15-16 Uhr

Finn Jagd Andersen „Upside Inside“, Physical Per formance, 16-17 Uhr (Halle)

Rosa Dreher, Luft-Akrobatik 17:15-17:30 Uhr

Tamara Kaufmann, Vertical Dance Performance 17:30 - 17:45 Uhr

Compagnie Nie „Anschauen!“, Jongliertheaterstück ab 5 Jahren, 18-19 Uhr (Halle)

Bauernfänger, Swing Band 19-21 Uhr Vollmond Varieté Spezial mit allen Acts des Festi vals 21 Uhr (Halle)

Bauernfänger, Swing Band / DJ 23-24 Uhr (Halle)

Sonntag, 11.09., 10:30-13:30 Uhr

Zirkus-Brunch mit Streetperformance, Mitmach-Zir kus, Drop-In-Clown-Workshop Café & Croissants

Eintritt frei für fast alle Veranstaltungen, bei jeder Witterung.

Zirkushalle by Zack&Poing Dr.Anton-Schneider-Str. 28b, Eingang F 0699 1744 87 07 info@zirkushalle.at

ken und schlicht glücklich machen. Mit der Öffnung der Zirkushalle ist das Varieté mit umgezogen und wird auch während des Festivals über die Bühne gehen – zu fällig ist an diesem Wochenende eine Vollmondnacht. Schon ganz zu Beginn stand die Vision über ihren Pro jekten, eine Zirkushalle zu eröffnen, in dem auch Luftakrobatik möglich ist, berichtet Sebastian Gerer, der das Projekt hauptberuflich betreibt und mit Zirkuspä dagogik auch an Schulen aktiv ist. Der Weg zur Halle brachte eine fünfjährige Suche sowie knifflige Fragen rund um Finanzierbarkeit, Sicherheit und Organisation mit sich, aber gute Ideen lassen sich nicht aufhalten –sie wollen realisiert sein. Seit 2018 stehen die Türen in Dornbirn für Profis, Laien, Interessierte und Schulklas sen offen, hoch genug für Luftakrobatik und groß ge nug für ein lebendiges Nebeneinander. Das Programm bietet für Anfänger*innen wie auch für Profis Heraus forderung und Freude. „Letztes Jahr kam noch ein Zir

kuszelt dazu, weil wir den Außen bereich besser nutzen wollten. Es erweitert unseren Platz für Training und ist ein schöner Aufführungsort für jede Art von Show. Wir nehmen das teilweise auch mit, für Som mercamps beispielsweise“, berichtet Sebastian und auf die Frage nach dem nächsten Meilenstein sagt er: „Ein großes Thema war das Team – wir wollen keine Solo-Show, das Team darf noch weiterwachsen. Im Sommer waren wir zwölf Trainer*innen, das ist cool. So habe ich mir das gewünscht. Der nächste Schritt wäre natürlich, dass unser Ehrenamt reduziert werden kann, da sind wir alle schon ziemlich an der Grenze. Also eine Teilzeitstelle wäre schon eine große Entlastung. Außerdem würden wir gerne ‚Artists in Residence‘ (Stipendien für Künst ler*innen außerhalb der Region) anbieten, damit der internationale Austausch noch mehr gestärkt werden kann.“ Zunächst wird aber gefeiert – zehn Jahre Vereinsgründung, sehr viele kleine und große Erfolge und wunderbare Wegbegleiter*innen werden ganztägig mit Streetperformances, Walk-Acts, Mitmach-Zirkus, Luft-Acts, Verti cal-Dance Performance, einem Food-Truck und Mitmachstationen unterhalten – neben all den hochkarätigen Show-Einlagen in der Halle. Raffaela Rudigier-Gerer ergänzt: „Wir freuen uns sehr dar auf, dieses zehnjährige Vereinsjubiläum mit einem Zirkus-Festival und vielen Wegbegleiter*innen und Freund*innen feiern zu kön nen. Die meisten Programmpunkte sind mit freiem Eintritt, weil wir diese Freude mit so vielen Menschen wie möglich teilen möch ten.“

So geht‘s: Füllen Sie die leeren Felder so aus, dass in jeder Reihe, in jeder Spalte und in jedem Block (= 3×3-Unterquadrate) die Ziffern 1 bis 9 genau einmal vorkommen. Viel Spaß!

#74 | September 2022 | 17
Lösung auf Seite 11 6 6 6 7 2 4 9 8 3 3 1 59 7 9 7 2 1 6 6 5 2 8 5 1 8 1 4 2 9
Sudoku

Der Schmerz gehört dazu“

Mit zwölf Jahren ließ er sich sein erstes Tattoo stechen. Mit 26 Jahren machte sich Patrick Nägele als Tätowierer selbst ständig. Und jetzt mit 43 Jahren kämpft sich der Vater von drei Söhnen nach einem Burnout und Zeiten übermäßigen Alkohol- und Dro genkonsums zurück ins Leben.

18 | Mittendrin in V

Erist eine auffällige Erscheinung. Seine Hände und Füße sind großflächig tätowiert. Am augen fälligsten sind aber seine Tattoos im Gesicht und am Kopf. Er schaut streng, ernst. Man hat ir gendwie das Gefühl, er will in Ruhe gelassen werden. Auf keinen Fall will er wohl von einem Unbekannten von der Seite angequatscht werden. Ich finde den Menschen, dem ich in Dornbirn in der Nähe des Bahnhofs begegne, aber irgendwie interessant. Meine journalistische Neugierde ist geweckt. Und ich mache das, was von Berufs wegen meine Aufgabe ist. Ich spreche den Mann an. „Hallo, ich bin von der Straßenzeitung marie. Ich bin ganz fasziniert von deinen Tätowierungen. Hast du Lust mit mir darüber zu sprechen?“ Seine prompte und kurze Antwort: „Ja, gerne.“ Wir vereinbaren für Montag einen Gesprächstermin. Patrick Nägele nimmt mich mit auf seine spannende Reise durch sein Leben.

Kannst du dich noch an dein erstes Tattoo erinnern?

Das habe ich mir mit zwölf Jahren stechen lassen. Es gab dafür keinen richtigen Anlass. Ich war zu Besuch bei einer Freundin meiner Mutter. Die hatte einen Sohn, der war damals Punk. Er hat sich mit selbstgebauten Tattoo-Maschinen selbst tätowiert. Während meine Mutter sich mit ihrer Freundin unterhalten hat, bin ich zu ihm ins Zimmer. Da hat mich das Tattoo-Fie ber gepackt. Ich ließ mir den Kopf einer Bulldogge auf den lin ken Oberarm tätowieren. Das Motiv hatte ich zuvor auf einem Flight eines Dart-Pfeiles gesehen.

Wie hat die Mutter darauf reagiert?

Die hat es erst gesehen, als ich 16 Jahre alt war. Da bin ich nach dem Duschen mit nacktem Oberkörper durch die Wohnung gelaufen. Und sie fragte mich: „Was hast du da am Arm?“ Es war ihr aber zu diesem Zeitpunkt schon egal.

Wann kamen die weiteren Tattoos dazu?

Mit 17,18 Jahren, nach dem Abschluss meiner Malerlehre, habe ich begonnen, meinen Arm tätowieren zu lassen. Mit 20, 21 Jahren ließ ich mir einen blauen, japanischen Drachen auf die Brust stechen. Ich liebe die Symbolik japanischer Tätowierun gen. Da gibt es keinen Strich ohne Bedeutung.

Waren diese körperlichen Verzierungen alle geplant?

Nein. Es wurde einfach sukzessive mehr und mehr. Das hat sich über die Jahre ergeben.

Wie kam es dazu, dass du dein eigenes Tattoo-Studio in Feld kirch eröffnet hast?

Ich habe nach der Lehre Airbrush gemacht. Bei dieser Technik werden mit einer Art Spritzpistole Autos, Motorräder, Helme und Handys lackiert. Ich wollte mir eigentlich in diese Richtung eine Existenz aufbauen. Da entdeckte ich aber das Tätowieren für mich. Das Fieber hat mich gepackt. Damals war ich 24 Jahre alt. Mit 26 Jahren habe ich zusammen mit einem Kollegen, der Piercings gestochen hat, das True-Pain in Feldkirch eröffnet.

„Früher war ich verpeilt, weil ich mich immer mit Drogen zugedröhnt habe. Das ist vorbei. Jetzt freue ich mich auf mein neues Leben.“

Wer hat dir das Tätowieren beigebracht?

Wie das Tätowieren funktioniert, hat dir damals niemand ge zeigt. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Ich habe die Nadeln zum Beispiel selbst gelötet und machte die ersten Tattoo-Ver suche bei meinen Verwandten. Chinesische Schriftzeichen bei meinem Cousin, ein Katzenkopf bei meinem Bruder. Ich war damals schon ein bisschen nervös. Diese Nervosität ist mir bis heute geblieben.

Außergewöhnlich sind bei dir vor allem die Tätowierungen am Kopf und im Gesicht. Wie kam es dazu?

Diese entstanden aus Liebe zu meinem Beruf. Ich wollte meine Leidenschaft nicht mehr verstecken. Für mich sind diese Tattoos ein klares und sichtbares Statement gegen Ungerechtigkeiten gegenüber schwächeren Menschen. Ein unmissverständliches Zeichen, dass man andere nicht nach ihrem Äußeren beurteilen soll. Viele nehmen sich nicht die Zeit, andere Menschen wirk lich kennenzulernen. Du wirst einfach abgestempelt, diskrimi niert. Ich habe Kraft genug, diesen Menschen zu widerstehen und zu sagen, dass es mir egal ist, was sie von mir denken.

Wie war die Anfangszeit als Tätowierer?

Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich war mit der Situa tion überfordert. Anstatt meine Leidenschaft auszuleben, habe ich zu Drogen gegriffen. Wie ich mich damals aufgeführt habe, war nicht okay. Ich habe zwar meinen Job gemacht, aber ließ niemanden an mich ran. Ich habe total blockiert. Plötzlich hatte ich täglich mit so vielen, unterschiedlichen Menschen zu tun. Ich war bis dahin eigentlich immer ein Einzelgänger. Ich brauchte meine Ruhe. Ich war überfordert.

Ich habe ein Talent, das ich ausleben will. Das ist mein Se gen. Aber mein Fluch ist es zugleich, dass ich für meine berufli che Leidenschaft andere Menschen brauche. Ich bin überzeugt, dass der psychische Ballast anderer Menschen die Energie aus meinem Körper gesaugt hat. Ich musste lernen, dass diese nega tive Energie bei ihnen bleibt. Mit Reinigungsritualen wie dem Räuchern oder Laufen in der Natur. Ich schaue heute mehr auf mich selbst, um mich zu schützen.

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#74 | September 2022 | 19

Mittendrin

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in V

Das hat aber am Ende nicht ganz funktioniert. Du hast vor drei Jahren dein Geschäft geschlossen. Was ist passiert?

2019 hatte ich einen Seelenkollaps. Das kam nicht von heute auf morgen, sondern entwickelte sich über die Jahre. Ich habe mich nach zehn Jahren von meiner Freundin getrennt. Ich wollte ihr nicht mehr wehtun. Ich war nicht mehr ich selbst. War permanent unter Drogen. Berauscht von Alkohol. Konn te nicht mehr richtig kommunizieren. Ich hatte keinen Ort für mich, um Ruhe zu finden. Ich bin dann zu meiner Mutter, habe noch ein paar Tattoos gemacht und den Laden schließlich ge schlossen.

Wer hat dir in dieser schwierigen Zeit geholfen?

Ich habe mir professionelle Hilfe gesucht. Ich bin auf die Maria Ebene, habe dort einen Alkoholentzug gemacht. Ich bin aber auch immer wieder mal rückfällig geworden. Ich war später auch im Landeskrankenhaus Rankweil. Jetzt habe ich meinen dritten Entzug, ohne Medikamente, hinter mir. Das wird mein letzter gewesen sein. Ich habe mir geschworen: Mein nächstes Bier trinke ich mit Odin in Walhalla.

Wie kam es, dass du regelmäßig zu Drogen gegriffen hast? Ich bin mit 26 Jahren zum ersten Mal mit Kokain in Berüh rung gekommen. Davor hatte ich nie Drogen konsumiert. Nur Zigaretten geraucht, ein, zwei Bier getrunken. Und ab und zu hatte ich auch einen Rausch. Aber wer hat das als Jugendlicher nicht? Ich habe Drogen bis zu meinem 30er exzessiv konsu miert. Dann habe ich mit Kokain aufgehört und bin auf Canna bis umgestiegen. Ich wollte mich nicht mehr hochpushen, son dern lieber meine Ruhe haben. Mittlerweile trinke ich nichts mehr. Ich habe durch meinen Entzug meinen Körper noch einmal kennengelernt. Nüchtern zu leben, ist für mich Freiheit pur. Ich muss heute noch jeden Tag daran arbeiten, dass es so bleibt. Das mache ich durch Sport, ich habe auch drei Kinder und zwei Hunde. Ich hole meine Energie auf gesunde Art und Weise. Und wenn ich einmal einen Schub brauche, dann trinke ich einen Zitronen-Shot mit Ingwer. Natürlich und körperbe wusst. Ohne mich wegzudröhnen.

„Ich habe ein Talent, das ich ausleben will. Das ist mein Segen. Aber mein Fluch ist es zugleich, dass ich für meine berufliche Leidenschaft andere Menschen brauche.“

„Viele nehmen sich nicht die Zeit, andere Menschen wirklich kennenzulernen. Du wirst einfach abgestempelt, diskriminiert. Ich habe Kraft genug, diesen Menschen zu widerstehen und zu sagen, dass es mir egal ist, was sie von mir denken.“

Wie soll Deine Zukunft ausschauen? Ich will mein Sein leben. Aber nicht mehr in dem Tempo, das ich früher hatte. Nicht mehr jeden Tag bis am Abend arbeiten und Geld verdienen. Ich will schon wieder selbstständig wer den. Bis nächstes Jahr Ende März bekomme ich noch RehaGeld, um mich von meinem Burnout zu erholen. Bis zu diesem Zeitpunkt baue ich mir einen Plan auf, damit ich wieder arbei ten kann. Jetzt bereite ich mich auf mein neues Leben vor. Ich hatte früher immer das Gefühl permanent auf der Überholspur zu sein. Und ich habe gewusst, dass das auf Dauer nicht funk tionieren kann. Ich will wieder tätowieren, aber nicht mehr im Hauptverdienst. Ich will wieder Motorräder und Fahrräder airbrushen. Da kann ich alleine in meinem Atelier zusammen mit meinen beiden Hunden arbeiten. Ich habe gelernt, mit mir im Einklang zu sein. Ich habe keine Angst mehr vor schlechter Energie, die andere Menschen ausstrahlen. Früher war ich ver peilt, weil ich mich immer mit Drogen zugedröhnt habe. Das ist vorbei. Jetzt freue ich auf mein neues Leben.

Eine laienhafte Frage, von jemandem, der sich noch kein Tattoo hat stechen lassen. Tut das weh?

Bei Tattoos gehört der Schmerz dazu. Wenn man sich tätowie ren lässt, sollte man sich vorher bewusst darauf vorbereiten. Nicht einfach mit zwei, drei Bier intus ins Tattoo-Studio ge hen. Am besten früh schlafen gehen und danach ein ausgie biges Frühstück. Ich meditiere zum Beispiel vor, während und nachdem ich mir ein Tattoo habe stechen lassen. Das ist mein Ritual.

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Mit freundlicher Unterstützung von

© Edi Haberl Schreibtalente gesucht!

Der Literaturpreis Ohrenschmaus ist wieder ausgeschrieben. Mitmachen können alle Menschen mit Lernbehinderung ab 16 Jahren.

Es gibt drei Hauptpreise in der Höhe von jeweils 1000 Euro zu gewinnen. Eine Jury mit berühmten Persönlichkeiten sucht die besten Texte aus.

Die Teilnahme am Schreib-Wettbewerb ist bis 30. November möglich. Einreichungen online oder per Post.

Infos: http://ohrenschmaus.net/

Die Gewinner:innen werden auf der Preisverleihung am 21. März 2023 geehrt.

© Ingrid Ionian

Trauer um Ionel

Unser marie-Verkäufer Ionel Carolea ist am 24. August in der Wohnung seiner Toch ter Daniela in Pantelimon (Rumänien) an einem Herzinfarkt verstorben. Im Kranken haus wurde noch versucht, ihn zu reanimie ren, doch es bestand keine Chance mehr.

Ionel wurde nur 48 Jahre alt. Er wird in Rankweil fehlen, er war dort ein über aus beliebter marie-Vekäufer und in der ganzen Gemeinde bekannt und wegen seiner freundlichen und liebenswerten Art geschätzt.

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Vom Wellenreiten und Krone richten

Was Familien stark macht

Tommy & Annika: „Der Sturm wird immer stärker.“ „Macht nichts. Ich auch.“ Pippi Langstrumpf

In diesem Seminar findet jede:r die Möglichkeit, mehr rund um das Thema „Resilienz“ zu erfahren und konkrete Ideen für mehr Selbstwirksamkeit und Stärkung der Widerstandskraft auszuprobieren und mitzunehmen.

Leitung: Tamara Testor-Schwärzler So 16.10.2022, 9:00 - 17:00 Uhr Kapuzinerkloster in Feldkirch

€ 32,- pro Teilnehmer:in / € 16,- für Alleinerziehende Kinderbetreuung kostenlos, bitte Kind(er) anmelden.

Anmeldung: 05522/74139 oder info@efz.at

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Wärme speichern

Sonnengereifte Äpfel und Birnen gegen drohende Kälte

Zutaten:

Bratapfel-Mus:

• gut 1,5 kg Äpfel

• 2 Zitronen

• 50 g Zucker (etwas mehr, falls sie saure Äpfel erwischen – Sie können einen Teil des Zuckers auch durch Honig oder Ahornsirup ersetzen)

• 1 kräftige Prise Zimtpulver

• 1 Sternanis

• 2 Nelken

• evtl. ein Schuss Apfelbrand

Zubereitung:

Bratapfel-Mus:

Birnen-Kompott mit Verjus:

• Gut 1,5 kg Birnen

• 1 Zitrone

• 300 ml Verjus

• 300 ml Wasser

• 150 g Zucker

• 2 Nelken

• 1 Zimtstange

• 1 Vanilleschote

• 1 Sternanis

Backofen auf 180° Umluft vorheizen. Faule Stellen herausschneiden und Apfelstücke ungeschält in ei ner Schüssel mit 1 EL Zucker, Zimt und Saft einer Zitrone durchrühren, auf einem Blech mit Back papier eine halbe Stunde backen. Wie das duftet! Inzwischen in einem Topf restlichen Zucker, Zitro nensaft und Gewürze vorbereiten, gebackene Äpfel in den Topf drücken (mit der „Flotten Lotte“ oder mit dem Kartoffelstampfer), mit etwas Apfelbrand einige Minuten köcheln lassen und in Gläser füllen.

Birnen-Kompott mit Verjus: Vanilleschote aufschneiden und Mark auskratzen. Gemeinsam mit Zucker, Gewürzen, Verjus und Wasser einige Minuten in einem großen Topf kö cheln lassen. Birnen schälen, Gehäuse und Getier entfernen und in Schnitze schneiden, in die hei ße Flüssigkeit geben, vorsichtig durchrühren und gleich in Gläser füllen.

Von Daniel Mutschlechner, probelokal.com

Es könnte bald kalt werden, heißt es. Nicht nur wegen der Energie, die knapper und teurer wird. Wenn der Wohlstand schrumpft, die Pan demie nochmals anzieht und sich eine Armada populistischer Herausforderer im Präsident schafts-Wahlkampf aufmacht, die Stimmung zu verschärfen, dann könnte das gesellschaftli che Klima weiter abkühlen.

Umso wichtiger ist es, die Wärme dieses Som mers zu konservieren. Das geht am besten mit Äpfeln oder Birnen, die mit feinen Gewürzen in Gläser gepackt werden. Heuer habe ich entdeckt, dass das Mus äußerst aromatisch schmeckt, wenn es aus Bratäpfeln gerührt wird. Und dass Verjus, der Saft unreifer Trauben, dem Birnen-Kompott eine angenehme Säure verleiht.

Es wird eine Freude sein, an einem nasskalten Novembertag ein Glas aufzuschrauben und diesen bodenständigen Luxus zu genießen. Vielleicht zu Kaiserschmarren oder Riebel. Dann wird mir auch an kalten Abenden be wusst werden, dass der nächste Frühling nicht mehr so weit ist. Gut zu wissen, dass auf zähe Phasen immer wieder lichte Momente folgen.

Musiktipp:

Die Punch Brothers sind Virtuosen auf akustischen Instrumenten. In klassischer Bluegrass-Besetzung pendeln die fünf Musiker zwischen den Genre-Grenzen. Kürzlich ist das sechste Album namens „Hell on Church Street“ erschienen. Es passt besonders gut, wenn es ans Eingemachte geht. Dabei landen nämlich jede Menge „good vibes“ in Mus und Kompott!

#74 | September 2022 | 23

DIE DINGE NEU, ANDERS DENKEN

Im Mittelpunkt der diesjährigen Pädagogischen Fachtagung in Batschuns steht die Frage, welche neue Fähigkeiten es braucht, um gemeinsam eine tragfähige Zukunft zu gestalten. Die Philosophin und Autorin Natalie Knapp (52) referiert dabei über die „Kraft des Wir“ und hat sich mit der marie vorweg darüber ausgetauscht, wohin wir uns verwandeln müssen – oder vielmehr dürfen.

Interview: Simone Fürnschuß-Hofer

Foto: Gaby Bohle

marie: Ihr Buch „Der unendliche Augenblick“ trägt den Untertitel: „Warum Zeiten der Unsicherheit so wertvoll sind.“ Diese Zeile hat fast schon etwas Tröstliches in einer Zeit, die so viel Bedrohliches in sich trägt und immenses Unbehagen auslöst. Wo liegt aus Ihrer Sicht das Wertvolle, das Hoffnungsgebende angesichts der Weltereignisse?

Natalie Knapp: Die Hoffnung kommt eigentlich immer von innen und für mich persönlich ist es im Moment eine Frage der Entscheidung. Konzentriere ich mich auf den Krieg und den Klimawandel oder auf die Freundlichkeit, die mir auch jeden Tag irgendwo begegnet? Konzentriere ich mich auf die nahe Zukunft, die wirklich nicht gut aussieht oder betrachte ich mich als Teil der Menschheit, die schon so vieles geschafft und so viel Schönes ins Leben gebracht hat? Betrachte ich mich als Teil der Ka tastrophe oder als Teil der Lösung? Denn je nachdem wofür ich mich entscheide, erscheinen dieselben Erfahrungen in einem anderen Licht. Und obwohl ich in der Gegenwart lebe, kann ich auch jetzt schon ein Teil der Zukunft sein.

Aber könnte das nicht als Appell zum Wegschauen, Verdrän gen missverstanden werden? Sind wir nicht moralisch gerade zu verpflichtet, dorthin zu schauen, wo es brennt?

Wir stecken als Menschheit in ungeheuren Schwierigkei ten und wegschauen ist gar keine Option. Als ich neulich auf einem Podium sagte, die Zeit der großen Krisen werde während meiner Lebenszeit nicht mehr enden, wurde ich an schließend gefragt: „Warum sehen Sie die Zukunft so nega tiv?“ Ich habe geantwortet: Wenn man Menschen in großen Krisen begleitet, ist man darauf angewiesen die Umstände der Krise realistisch einzuschätzen. Weil man sonst nicht an gemessen helfen kann. Aber man ist auch darauf angewiesen, den Menschen Entwicklung zuzutrauen und das Gute und Schöne zu stärken, das wachsen soll.

Eine Gratwanderung.

Ja, das ist es wirklich. Man muss die Krise und die Entwick lungsmöglichkeiten gleichzeitig im Bewusstsein halten. Aber die meiste Lebensenergie sollte dorthin fließen, wo etwas Gu tes wachsen kann, weil sie dort am meisten gebraucht wird. Wenn zu viel Lebensenergie in die Betrachtung der Krise führt, bleibt nichts mehr übrig, um zu helfen. Dasselbe gilt auch für globale Krisen. Ich verstehe meine Lebenszeit als Begleitung eines Planeten im Krisenmodus. Und da die Re generationszeiten von Planeten nicht in Jahren, sondern in Jahrtausenden gemessen werden, werden wir den Stab derje nigen, die sich um den Planeten oder die Gesellschaft sorgen, einige Generationen weitergeben. So wie er auch schon an uns weitergegeben wurde. Ich empfinde das nicht als etwas Negatives, sondern als eine Lebensaufgabe.

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Apropos Generationen: Große Ideen, so sagen Sie, würden oft Jahrzehnte im Verborgenen gären, bevor ihre Zeit gekommen ist –was oft der Fall ist, wenn alles rundum ins Wanken gerät, Stichwort Krisenzeit. Wieso ist das so und können Sie uns ein Beispiel einer solchen Idee nennen, die jetzt gerade an die Oberfläche gespült wird?

Was mir spontan in den Sinn kommt, ist die Idee des Kreislaufdesigns. Der Chemiker Michael Braungart und der Architekt und Designer William McDonough entwickelten in den 1990er Jahren die Idee der Kreislaufwirtschaft als Designprinzip. Sie nann ten es „cradle to cradle“ (Anm. d. Red.: sinngemäß „vom Ursprung zum Ursprung“). Dabei sollte jedes Produkt so erschaffen werden, dass es nach Ablauf seiner Nutzungsdauer wieder komplett in den Rohstoffkreislauf der Erde zurückgeführt wird. Das war wirklich genial. Schon 1994 wurde in Deutschland dann das Gesetz zur Förderung der Kreislaufwirtschaft verabschiedet. Darin steht schwarz auf weiß: „Abfälle sind in erster Linie zu vermeiden.“ Ein richtig kluger Schachzug der damaligen Regie rung, um allen zukünftigen Generationen die gleichen Chancen zu geben. Aber leider haben wir dann Anfang der 2000er Jahre noch die „coffee to go“-Idee aus Amerika importiert und dadurch so viel Müll produziert wie nie zuvor. Dennoch ist inzwi schen die Idee einer modernen Kreislaufwirtschaft doch schon bei etwas mehr Leuten angekommen.

Das sind dann schon etwa 30 Jahre Zeitverzögerung von der Idee bis zur Umsetzung. Warum dauert das so lange? Längst ist doch offensichtlich, dass sich das alles nicht mehr ausgeht. Zeitgleich versuchen wir eben immer noch, mit dem Konsum von Wegwerfprodukten die Wirtschaft anzukurbeln. Vielleicht brauchen wir den Druck von Rohstoffmangel und Klimakrise, um zu begreifen, dass uns dieser Planet nicht gehört. Langfristig kann ja niemand wissen, was aus der jetzigen Katastrophe wachsen wird. Vielleicht hilft sie uns auf lange Sicht auch dabei, das Spannungsverhältnis von individuellen Bedürfnissen und kollektiver Verantwortung besser zu verstehen. Das ist übrigens eine der Ideen, die ganz aktuell öffentlich sichtbarer werden – obwohl sie natürlich auch schon lange existiert. Mein Kollege Ulrich Schnabel hat ein Buch dazu geschrieben, das jetzt im September erscheint. Es hat den Titel: „Zusammen: Wie wir mit Gemein sinn globale Krisen bewältigen.“ Darin beschreibt er den Gemeinsinn als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts.

Ist das auch etwas, worin wir unsere Kinder bestärken sollten? Oder anders gefragt: Können wir uns in dieser Hinsicht von den Kindern und Jugendlichen gar etwas abschauen? Beides. Viele Kinder und Jugendliche haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und auch für den Wert von Gemein schaft. Auch die Liebe zu den Tieren und das tiefe Wissen, dass sich alle Lebewesen ähnlich sind, gehört zu ihren ganz großen Stärken. Daran erinnern sie uns permanent.

Mir gefällt Ihr Gedanke, Pubertät als Kreativlabor zu betrachten – und als wichtigen Prozess, das Neue in die Welt zu bringen, die Welt lebendig zu halten. Angesichts der Negativseite von Social Media und Handykonsum: Inwieweit sind wir als Erwachsene aber auch angefragt, dagegen zu halten, Korrektiv zu sein? Oder zeigt die Frage allein schon, dass man in konservativen Denkmustern gefangen ist?

Ich glaube nicht, dass Social Media, Mobiltelefone oder Digitalisierung das Problem sind. Problematisch ist lediglich, dass wir uns von diesen Techniken und Plattformen benutzen lassen anstatt sie aktiv zu nutzen. Nur deshalb haben sie Suchtcharakter. Während wir glauben, die Nutzer:innen zu sein, sind wir in Wirklichkeit das Produkt, mit dem dort gehandelt wird. Während wir glauben, ein Handy zu kaufen, sind unsere Daten die Ware. Das funktioniert nur, solange die Benutzeroberfläche süchtig macht. Aber dieses Problem haben wir selbst geschaffen und nicht die Kinder. Weil sich kaum jemand die Mühe macht, hinter die Benutzeroberfläche zu schauen und die digita len Techniken kreativ zu nutzen, sind wir alle damit zufrieden, ein träges Produkt zu sein, mit dem andere Geld verdienen. Was wir unseren Kindern beibringen sollten, ist daher genau das, was wir selbst nicht können. Das ist ein echtes Dilemma. Was wir ihnen wirklich mitgeben können, ist die Liebe zur Natur. Wenn sie die haben, werden sie ihren Weg finden.

„DIE MEISTE LEBENSENERGIE SOLLTE DORTHIN FLIESSEN, WO ETWAS GUTES WACHSEN
KANN, WEIL SIE DORT AM MEISTEN GEBRAUCHT WIRD. WENN ZU VIEL LEBENSENERGIE
IN DIE BETRACHTUNG DER KRISE FÜHRT, BLEIBT NICHTS MEHR ÜBRIG, UM ZU HELFEN.
DASSELBE GILT AUCH FÜR GLOBALE KRISEN.“
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Wenn wir „von der Welt, in der wir aufgewachsen sind, Ab schied nehmen müssen“ – ich zitiere wieder aus Ihrem Buch –, wenn die Antworten von früher nicht mehr funktionieren und wir „anders denken lernen“ müssen: Wohin dürfen wir uns verwandeln? Und welche essenziellen Fragen gilt es aktuell zu stellen?

Vielleicht sollten wir uns im Moment auf die konstruktiven Fragen konzentrieren: Für welche drei Kleinigkeiten bin ich heute dankbar? Und was war heute mein Beitrag, um diese Welt ein bisschen besser zu machen? Die Antworten auf die se Fragen bekommen mehr Gewicht, wenn wir sie zwei oder dreimal wöchentlich mit einem anderen Menschen teilen. Nur fünf Minuten am Telefon ganz konzentriert. Am besten mit jemandem, den wir nicht so gut kennen und von dem wir nichts anderes erwarten als seine Antworten auf diese Fra gen. Durch diese winzige Übung kommen wir nämlich der Antwort auf die Frage näher, was es bedeutet, ein Mensch zu sein.

Wir sind dankbar, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben, Frau Knapp. Dankeschön.

Mehr über Natalie Knapp: http://anders-denken-lernen.de

Infobox

Pädagogische Fachtagung im Bildungshaus Batschuns, Freitag, 7. Oktober, 14-21 Uhr

WIR – Gemeinsam Zukunft gestalten | Neue Fähigkei ten für eine komplexe Welt Wir leben in einer Zeit globaler Veränderungen. Vieles ist im Umbruch und kann die bislang gewohnte Sicherheit nicht mehr bieten. Sichtbar gewordene Spaltung in der Gesellschaft fordert uns auf zu Offenheit und Toleranz, zu Denken im größeren Kontext, zur Entwicklung von neuen Fähigkeiten, um gemeinsam unsere Zukunft zu gestalten. Vortragende: Dr. Matthias Strolz, Wien, Dipl. Ing.in Syl via Kéré Wellensiek, Riegsee, Dr.in Natalie Knapp, Berlin, Dr.in Gudrun Quenzel, Feldkirch; zudem Projektpräsenta tionen von Vorarlberger Schüler:innen und Lehrer:innen Kosten: EUR 115,- inkl. Verpflegung und Unterlagen Infos und Anmeldung: bildungshaus@bhba.at, T 055 22 / 44 2 90-0

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Jeden 1. Samstag im Monat von 8.30 bis 12 Uhr

„VIELE KINDER UND JUGENDLICHE HABEN EINEN AUSGEPRÄGTEN SINN FÜR GERECHTIGKEIT UND FÜR DEN WERT VON GEMEINSCHAFT.“
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Demokratie auf der Insel

Café Fuerte, eine der interessantesten Theatergruppen des Landes, feiert Mitte September in Hittisau ihr zehnjähriges Bestehen. In ihrer Jubilä umsproduktion „Tintenfischen“ dreht sich alles um das Thema Demokra tie. „Eine Politsatire mit Fischgeruch“ nennen Regisseurin Danielle FendStrahm und Autor/Schauspieler Tobias Fend ihr Stück im Untertitel und beschreiben es als „eine Inselkomödie mit einem Hauch von Apokalypse“.

Esbegann während der Pandemie, alle wollten ständig die Demokratie retten, sowohl die politischen Parteien als auch die Bevölkerung – und dies auf beiden Seiten mit durchaus fragwürdigen Methoden“, erzählt Tobias Fend. Das habe ihn hellhörig gemacht. Zugleich beobachtete er, dass demokratische Bewegungen wie die Volksabstimmung in Lu desch aufgehoben wurden. Zudem waren Korruptionsgeschichten mit der ÖVP-Inseratenaffäre auch in Vorarlberg angekommen. Das alles sind in seinen Augen demokratiepolitisch höchst fragwürdige Vorgänge. „Wenn ein Thema von mehreren Seiten auf mich zukommt, bewegt mich das und dann möchte ich darüber schreiben“, so Tobias Fend, der im neuen Stück wie in allen Café Fuerte-Produktio nen auch als Schauspieler auf der Bühne stehen wird.

Café Fuerte: „Tintenfischen. Politsatire mit Fischgeruch“ von Tobias Fend Premiere: 16. September, Ortszentrum Hittisau, 20 Uhr Weitere Vorstellungen bis 2. Oktober in Hit tisau, Riezlern, Feldkirch und Trogen (CH) Infos und Karten unter www.cafefuerte.at

Andererseits steht das Zirkuszelt aber auch „für Unterhaltung, Spaß und das Eintauchen in eine andere Welt“, wie die Theatermacher betonen. Bei des passe wunderbar zum Stück. Für die Darsteller:innen sei es herausfordernd, „eine Ma nege zu bespielen, bei der das Publikum auf allen Sei ten sitzt“, erklärt Regisseurin Danielle Fend-Strahm. Ihre Theatergruppe ist zwar für den sehr körperlichen Einsatz und choreographischen Spielstil bekannt, in diesem Zelt-Umfeld müssen aber neue szenische Lö sungen gefunden werden.

Für das Publikum wird spannend sein, wie die Bewohner:innen der Inselgemeinde Tintenberg re agieren, wenn das Wahrzeichen der Insel, der beson ders bei den Jugendlichen beliebte Krakenstein, der Erweiterung einer Ketchup-Fabrik weichen soll. Die Fabrik ist für die Insel wirtschaftlich sehr bedeutend, wie die Bürgermeisterin betont, die das Projekt un bedingt umsetzen will. Und natürlich sind auch alle Verantwortlichen der Industrie ihrer Meinung. Wird es den Bewohner:innen gelingen, neue Formen de mokratiepolitischen Handelns zu finden, die für alle passen?

„Für mich ist die Kommunalpolitik, die Dorfstruktur, ein Hebel, um das Thema in einer theatralischen Realität zu verankern“, sagt der Theatermacher zu seiner Herangehensweise. Eine reine Politsatire wäre ihm aber zu wenig gewesen, „und eine Dorfkomödie wollte ich nicht schreiben, also ist es eine Inselkomödie geworden“, lacht Tobias Fend, der mit seiner Lebens- und Arbeitspartnerin Danielle FendStrahm in der kleinen Bregen zerwälder Gemeinde Hittisau lebt. Die Insel als Grundlage und szenische Versuchsanord nung sehen beide inhaltlich als Gewinn. „Oft verhalten sich Kommunen, Länder, Kantone oder Staaten wie Inseln. Sie wol len Proble me alleine oder iso liert lösen. Das funk tioniert in vielen Fällen nicht“, sagen sie. Außerdem könne die Vor stellung, eine Insel der Seligen zu sein, auch ein trügerisches Selbst bild sein.

Café Fuerte ist dafür bekannt, im Freien oder an besonderen Or ten zu spielen. „Tintenfischen“ wird in einem Zelt aufgeführt und da mit in einem Ambiente von Volksfesten und Volksversammlungen.

„Ich fände es toll, wenn sich im Publikum mög lichst viele Menschen in ihrem politischen Verständ nis ertappt fühlen“, sagt Tobias Fend. Es gehe nicht nur um Kritik an den Entscheidungstragenden, sondern auch um das Bewusstsein für die Eigenverantwortung, denn „weder die Politik noch die Bevölkerung werden die Krisen dieser Zeit alleine lösen können“.

Text: Brigitta Soraperra, Fotos: Laurenz Feinig (rechts), Ronja Svaneborg (unten)
„Ich fände es toll, wenn sich im Publikum möglichst viele Menschen in ihrem politischen Verständnis ertappt fühlen.“
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Freiraum fürs Wesentliche

Der Verein locart hat es sich zum Ziel gesetzt, Vorarlberger Unternehmen da für zu gewinnen, in Kunst und Kultur zu investieren. Gegründet wurde er von Vorarlberger Kulturakteur:innen mitten im ersten Corona Lockdown. In den schwierigsten Phasen der Pandemie schaffte es der Verein, zusätzlich zu den eher mageren staatlichen Förderungen Gelder an Kulturschaffende zu vertei len. Nun wartet locart mit einem kleinen Paukenschlag auf: Als Abschlussprojekt wird der erste, wissenschaftlich beglei tete Versuch eines Bedingungslosen Grundeinkommens für Künstler:innen in Vorarlberg durchgeführt.

Ineiner Zeit, die von weltweiten Krisen, Inflation, Teuerung und damit einhergehender zunehmender Verarmung größerer Be völkerungsgruppen gekennzeichnet ist, sind wir als Gesellschaft gefordert, über neue Wirtschaftssysteme und alternative Finan zierungsmodelle nachzudenken. Seit vielen Jahren ist in diesem Zusammenhang das Bedingungslose Grundeinkommen immer wieder Thema. Volkswirtschaftliche Berechnungen prognostizieren, dass dieses Modell – entgegen aller Kritik – durchaus finanzierbar wäre und einen Staat langfristig nicht teurer kommen würde als herkömmliche staatliche Haushaltspläne. Namhafte Stimmen wie Zukunftsdenker Richard David Precht sehen dieses Modell auch als adäquate Antwort auf die aktuellen Herausforderungen am globalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung dafür ist natürlich die Bereitschaft, „unsere Welt neu zu denken“ – also außerhalb einer auf Gewinnmaximierung ausgerichteten, kapitalistischen Wirt schaftslogik, wozu auch die deutsche Politökonomin und Nachhaltigkeits forscherin Maja Göpel in ihrem gleichnamigen fundierten und klugen Buch einlädt.

Prekäre Verhältnisse

Eine Personengruppe, die nicht nur bei Krisen oft unter prekären Ver hältnissen leben und arbeiten, sind Künstler:innen und Kulturarbei ter:innen – besonders wenn sie freischaffend sind. Ein unregelmäßiges Einkommen und damit einhergehende regelmäßige Durststrecken, ein unkalkulierbarer Markt, der unvorhersehbaren Trends unterworfen ist, Materialkosten zum Beispiel im Bereich der Bildenden Kunst, die vorge streckt werden müssen, sowie niedrig angesetzte Honorare, Subventionen oder Fördergelder machen das finanzielle Überleben schwer. Mittlerweile gibt es dafür österreichweit und auch im Land Vorarlberg ein gesteigertes Bewusstsein, was wohl auch der Pandemie zu verdanken ist, die wie ein Brennglas wirkte. Man ist sich einig, dass Kunst und Kultur einen wert vollen Beitrag für die Gesellschaft leisten und – nicht zuletzt aufgrund der Umwegrentabilität – einen milliardenschweren Wirtschaftsfaktor im Kultur- und Tourismusland Österreich bilden. Die vom Bund lancierte österreichweite „Fair Pay“-Kampagne sucht nun nach Mitteln und Wegen, wie die Arbeit im Kunst- und Kulturbereich angemessen bezahlt werden kann. Und im Auftrag des Landes Vorarlberg läuft aktuell eine Studie zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen in der freien Kulturszene im Land, um Rückschlüsse für die eigene Subventionspolitik zu gewinnen.

Text: Brigitta Soraperra, Fotos: locart
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Investition statt Förderung

Der zu Beginn der Pandemie von Vorarlberger Kunst- und Kulturakteur:innen aus Eigeninitative gegründete Verein locart hat von Anfang an einen im Land einzigartigen Weg eingeschlagen. Dies auch deshalb, weil mit Kunst und Kultur lange Zeit eine ganze Sparte in Vergessenheit geriet, als von der Regierung bereits erste Hilfspakete geschnürt wurden. „Es wurde zwar beteuert, wir brauchen Kunst und Kultur“, sagt Barbara Herold, freie Regisseurin, Theaterleiterin und Gründungsmitglied von locart, „besonders von Stimmen aus der Gesellschaft und aus der Wirtschaft, aber es passierte nicht viel. Und wir haben an diese Solidarität appelliert.“ Sie gründete mit neun Gleichgesinnten einen Verein, dessen Ziel es war, Kunst und Kultur durch Investitionen aus der Privat wirtschaft und der Zivilgesellschaft während der Pandemie zu unterstützen. „Es ging uns nie um Spenden, sondern eben um die Investition in die Kunst und Kultur, und damit in eine bessere Gesellschaft und ein gutes Leben für alle.“ Investiti on statt Spende oder Förderung – mit dieser Begrifflichkeit wurde bewusst die Wertigkeit von Kunst und Kultur in ein anderes Licht gerückt. Künstler:innen sind damit nicht mehr Menschen, die gefördert werden müssen, sondern Menschen, deren Arbeit so viel wert ist, dass in sie investiert wird, ver gleichbar zu anderen Wirtschaftszweigen.

Gegenseitiges Vertrauen

Das Ergebnis dieses ehrenamtlichen Engagements der zehn Vorstandsmitglieder von locart, allesamt namhafte Kul turakteur:innen des Landes (www.locart.at), war beacht lich: Während der Pandemie konnte zweimal Geld ausge schüttet werden. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 36 mal 517 Euro verteilt und 2021 waren es 16 Arbeitsstipendien à 1000 Euro. Darum bewerben konnten sich alle professio nellen Künstler:innen und Kulturschaffenden des Landes, unabhängig von den Kunstrichtungen. Zudem waren die Gelder nicht an Projekte gebunden, sondern dienten ein zig der Lebens-Grundsicherung. „Es war höchst erfreulich, dass wir doch einige Unternehmen und auch Private ge winnen konnten, Geld zu investieren“, sagt Babara Herold

Voraussetzung dafür ist natürlich die Bereitschaft, „unsere Welt neu zu denken“ – also außerhalb einer auf Gewinnmaximierung ausgerichteten, kapitalistischen Wirtschaftslogik.

„Es ging uns nie um Spenden, sondern eben um die Investition in die Kunst und Kultur, und damit in eine bessere Gesellschaft und ein gutes Leben für alle.“

und ihre Kollegin und locart-Obfrau Maria Simma ergänzt: „Firmen überlegen sich beim Sponsoring natürlich, was sie selbst davon haben. Das Spannende an unserem Projekt war, dass wir keine messbare Gegenleistung angeboten ha ben. Es ging stets nur um die Kulturschaffenden selbst, also die Menschen und ihre Fähigkeiten, und um das Vertrauen, das unserem Verein seitens der Partner aus der Wirtschaft entgegengebracht wurde.“ Dass auf diese Weise insgesamt 71.000 Euro gesammelt werden konnten, macht die locart Gründerinnen stolz. Dahinter steckte aber auch viel persön licher Einsatz aller Vereinsmitglieder. Nicht zuletzt aufgrund dieses konstant erforderlichen Aufwands und der seit Ende der Pandemie mangelnden Zeitressourcen hat der Vorstand sich nun entschlossen, seine Tätigkeit zu beenden.

Der zündende Funken Zum Abschluss möchte locart aber mit drei Jahresstipendien für Künstler:innen noch einen Funken in der Vorarlberger Kulturpolitik zünden. „Es hat sich unserer Meinung nach als Gewinn erwiesen, dass während der Pandemie Arbeits stipendien ohne Ergebniszwang geschaffen wurden“, sagt Barbara Herold. Das könne sogar zu mehr Kreativität und Arbeitsenergie führen, als wenn immer gleich alles in ein konkretes Projekt mit Produktions- und Termindruck fließen muss. „Deshalb haben wir uns entschieden, mit dem in un serer Kasse verbliebenen Geld drei künstlerische Grundein kommen zu finanzieren.“ Diese werden auf ein Jahr vergeben und die Auswahl erfolgte im Sinne der Chancengerechtigkeit im Juli per Los. Beworben um die drei Stipendien à 12.000 Euro hatten sich über 45 Künstler:innen und Kulturarbei ter:innen, per Zufallsprinzip ausgewählt wurden die Autorin und bildende Künstlerin Gabriele Bösch, die Tänzerin und Choreografin Natalie Fend und der Künstler Peter Wehinger.

Wissenschaftliche Begleitung

Damit das Experiment mit dem monatlichen Grundeinkom men von je 1000 Euro auch nachhaltig wirken kann, suchten die locart Verantwortlichen eine Zusammenarbeit mit der FH Vorarlberg. Es gehe ihnen darum, den Feldversuch wissen schaftlich zu begleiten, erklärt Maria Simma. Die Ergebnisse und Rückschlüsse können Körperschaften für eine künftige Förderpolitik hilfreich sein. Für Studienleiter Fabian Rebit zer von der FH eine spannende Aufgabe und sinnvolle >>

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„Firmen überlegen sich beim Sponsoring natürlich, was sie selbst davon ha ben. Das Spannende an unserem Projekt war, dass wir keine messbare Gegenleistung angeboten haben. Es ging stets nur um die Kulturschaffenden selbst, also die Menschen und ihre Fähigkeiten, und um das Vertrauen, das unserem Verein seitens der Partner aus der Wirtschaft entgegengebracht wurde.“

FABIAN REBITZER FH Vorarlberg Leiter Forschungsgruppe Empirische Sozialwissen schaften

Ergänzung, denn er arbeitet gerade mit seinem Team an der von der Kulturabteilung des Landes in Auftrag gegebenen, bereits erwähnten „Studie zu den Lebens- und Einkom mensverhältnissen Vorarlberger Künstler:innen“. „Formal sind die beiden Studien völlig unabhängig“, erklärt Fabian Rebitzer, „aber es wäre wünschenswert, dass wir dann Zu sammenhänge herstellen können.“ Einziger Wermutstopfen für den Wissenschaftler: „Aus wissenschaftlicher Perspekti ve wäre es natürlich besser, wenn viel mehr als drei Künst ler:innen dabei wären. Allerdings geht es dabei ohnehin nicht um eine quantitative Analyse. Wir untersuchen die Einzelfälle und das persönliche Erleben der Betroffenen in diesem Zeitraum. Auf Basis solcher Ergebnisse zur Wirkung der Stipendien können auch aus wenigen Fällen Hypothesen für größer angelegte Studien abgeleitet werden.“

Internationale Vorbilder

locart ist mit seinem Experiment übrigens nicht alleine. Ak tuell werden auch in Irland und in Amerika Bedingungslose Grundeinkommen für Künstler:innen erprobt, allerdings in völlig anderen Dimensionen. Beim Basic Income for the Arts in Irland soll noch in diesem Jahr die Auszahlung von wöchentlich 325 Euro, das sind 1300 Euro monatlich, an 2000 Kulturschaffende beginnen, dies mit einer Laufzeit von drei Jahren! In San Francisco, USA, erhalten seit Mai 2021 insgesamt 130 Künstler:innen 1000 Dollar monatlich, dies für 18 Monate. Und das bisher wohl größte Grundeinkom mens-Projekt für Kunstschaffende ist das Creatives Rebuild New York (dt.: Wiederaufbau Kreativer New York). Hier sol len ab diesem Sommer 2400 lokale Künstler:innen aus dem Bundesstaat New York für eineinhalb Jahre monatlich 1000 Dollar erhalten. Zusätzlich sollen 300 Künstler:innen über zwei Jahre in Gemeindeprojekten zu einem Jahresgehalt von 65.000 Dollar angestellt werden.

An den internationalen Beispielen beeindruckt die lan ge Dauer der Projekte und die öffentliche Haltung der In itiator:innen. So sagte Ministerin Catherine Martin vom

Uns interessieren die Motivation sich zu bewerben, die Erwartungshaltung, natürlich die Erfahrun gen im Laufe des Jahres und schließlich im Rück blick dann auch die Erwartungserfüllung und Be wertung dieser Zeit. Für uns ist es spannend, dass es sich um ganz unterschiedliche Künstler:innen handelt, also aus unterschiedlichen Sparten und mit völlig anderen Biografien. Wir suchen darin dann Gemeinsamkeiten und individuelle Bewer tungen. Wenn es darum geht, ob ein Bedingungs loses Grundeinkommen ein Förderinstrument in der Breite sein könnte, ist es interessant, diese in dividuellen Zugänge zu untersuchen. Wir haben aber einen ganz offenen, unvoreingenommenen Zugang. Und wir überlegen uns dann, ob wir dazu Hypothesen erstellen.

irischen Kulturministerium zum Start des Projekts: „Diese neuen Maßnahmen sind ein Ausdruck unserer Werte als Na tion – sie zeigen, dass die Stimmen der Künstler:innen gehört wurden und dass Kunst wichtig ist. Es ist eine einzigartige Ge legenheit den Einfluss von Bedingungslosem Grundeinkom men auf die Kunst zu untersuchen und eine Datengrundlage für eine dauerhafte Unterstützung zu schaffen.“

Literaturtipps

Maja Göpel: Unsere Welt neu denken: Eine Einladung. Ullstein, Berlin 2020, ISBN 978-3-8437-2311-4

Richard David Precht: Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten. Goldmann, München 2022, ISBN 978-3-442-31551-2

Mittendrin in V

GABRIELE BÖSCH

Was bedeutet für dich dieses Stipendium? Freiraum!

Was erwartest du dir davon?

Ich habe in diesem Jahr künstlerisch was vor, das ich mir nun wirklich gön nen kann. Für ein echtes Grundein kommen sind 1000 Euro zu niedrig. Es ist aber eine Unterstützung, die dazu führt, dass ich manch andere Er werbsarbeit nicht tun muss, deshalb ist es für mich Freiraum.

Was sind die Pläne?

Ich werde meine witzige Seite entde cken (lacht).

Was bedeutet für dich dieses Stipen dium?

Raum für Kreativität ohne Druck. Mich in Ruhe aufs Wesentliche konzentrieren können, auf mich und meine Arbeit.

Was erwartest du dir davon?

Ich habe keine konkrete Erwar tung, sondern mehr den Wunsch, dass etwas entsteht. Vielleicht et was Neues in meiner Kunst – los gelöst vom Tanz. Ich sehe es als Chance, für eine Zeit lang nicht rein zweckgebunden arbeiten zu müssen, wie es bei Ausschreibun gen meist der Fall ist. Mich hin dert das im Erschaffen eher.

Was sind die Pläne?

Keine Produktion zu forcieren, sondern neue kreative Wege dahin zu gestalten. Ich bekomme An fang des neuen Jahres mein zwei tes Kind. Ich weiß mittlerweile, dass ich in dieser Zeit kein anderes großes Projekt stemmen werden kann. Insofern ist für mich das Stipendium ein großer Glücksfall.

Autorin, Künstlerin NATALIE FEND Tänzerin, Choreografin Bezahlte Anzeige © Petra Rainer © Sarah Mistura
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WENN KULTURARBEIT DIE

KOLONIALISIERTE HÜLLE ABLEGT

Ein aus Vorarlberg stammender Foto graf reist in Konfliktzonen rund um den Globus, um gemeinsam mit loka len Fotograf:innen nicht mehr nur der westlichen Welt, sondern den Einheimi schen selbst die kulturellen Bestände des eigenen Landes zugänglich zu machen. Mit offenen Augen und Ohren sich von einem Kontakt zum nächsten hangelnd, archiviert Lukas Birk, was längst über fällig scheint. Denn großartige Kunst und Kultur gibt es nicht nur in Europa.

EinPark in der Stadt Yangon, davor ein in Schlan ge stehendes Publikum: Anders als im kulturell übersättigten Westen ist das Photo Festival im Maha Bandula Park in der Fünf-Millionen-Ein wohner-Metropole Myanmars ein großes Fest fernab des Alltags, wo es Neues und bis dato Ungesehenes zu entdecken gibt. Mittendrin Lukas Birk, der in Myanmar ein breit angelegtes Fotoarchiv aufgebaut hat und der Fotokunst ein Sprachrohr in die Hand gibt, um lautstark ins Land zu ru fen und nicht zuletzt: um die kulturelle Wertigkeit der noch in den versteckten Ecken schlummernden Kunst zu heben und Zugänge zu ihr zu schaffen. „Die Leute hier sind geschichts hungrig. Sie kommen wie von selbst, denn sowas spricht sich hier wie ein Lauffeuer rum“, betont er. Der Kontrast zu un serer Situation im Westen, wo wir ja von Angeboten nahezu erdrückt werden und Organisator:innen um jede Besucherin und jeden Besucher ringen müssen, sei augenscheinlich. Kul turprogramme sind dort alles andere als selbstverständlich, was den Fotografen nachdenklich stimmt: „Wir haben ein sehr koloniales System der Wissenspolitik, importieren ledig lich Kunst und Kultur aus Drittstaaten. Doch niemand macht

Text: Florian Gucher Bild oben rechts und unten: 3 Yangon Fashion 1979, Yangon Photo Festival, Maha Bandula Park, Yangon, March 2017, © Aline Deschamps/Alina Girshovich Yangon Fashion Publikation © Lukas Birk
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„GESCHICHTE WIRD IMMER VON DENEN GESCHRIE BEN, DIE REGIEREN. DAS MÖCHTE ICH MIT MEINER ARBEIT BRECHEN, INDEM ICH EINFACHE MENSCHEN ZU WORT KOMMEN LASSE. HÄUFIG SIND ES KLEINE, INTIME GESCHICHTEN VON GEWÖHNLICHEN FAMILIEN, DIE EINEN AUTHENTISCHEN EINBLICK GEBEN, WIE MEN SCHEN IN DER JEWEILIGEN ZEIT GELEBT HABEN.“

sich wirklich die Mühe, jenes Kulturgut aus Ländern wie Indien, Indonesien oder Myanmar unmittelbar vor Ort zu verbrei ten.“ Zumindest im kleinen Rahmen wolle er dies verändern.

Westliche Brille ade

Lukas Birk: „Für mich ist das Arbeiten in diesen Ländern viel humaner, fernab von Profit, Gewinn und Verkauf. Womit wirk lich die Kulturarbeit als solche im Mittel punkt steht.“ Seine in Krisenstaaten initi ierten Projekte speisen sich geradezu aus diesem Gedanken und so produziert er weniger für das Publikum des hegemonialen Westens, als vielmehr für die unmit telbare Bevölkerung vor Ort. Und er zeigt, dass die reichen Kulturgeschichten andere Länder dem Westen gar nicht hinterher hinken, sondern lediglich stiefmütterlich behandelt werden. Und mehr Aufmerk samkeit und Recherche verdienen. Wie ein Archäologe gräbt Birk deshalb in Kellern nach Fotokartons lokaler Fotograf:innen und tut dies eben für jene, denen diese Erzählungen wirklich nahe gehen. „Meine Projekte benötigen viel Zeit, Offenheit und einen Dialog auf Augenhöhe mit den hier lebenden Menschen, um reifen zu kön nen“, betont Birk, der sich in den letzten Jahren auch einen eigenen kleinen Buch verlag mit dem Namen Fraglich Publishing aufgebaut hat. Sein Programm ist viel seitig und passt sich den Möglichkeiten in den einzelnen Ländern an, um letzten Endes darüber hinaus zu wachsen. Zwei sprachige Bücher, die immer auch in der jeweiligen Landessprache gehalten sind, entstehen wie auch Ausstellungen vor Ort, ergänzt um Online-Archivierungen und Projekte mit Künstler:innen im Exil, wenn denn nicht anders möglich. Denn was in Myanmar und Indien recht gut funktioniert, ist leider nicht überall auf diese Weise möglich: „In Afghanistan ist das öf

fentliche Ausstellen sowie überhaupt das Verhältnis des Staates zur Fotografie sehr schwierig“, so der Fotograf, der in diesem Fall andere Möglichkeiten aufsucht. In den letzten Jahren mehr und mehr mit dem Kopf arbeitend als selbst den Auslö seknopf drückend, versucht er dem Sinn ehrlicher Kulturarbeit auf den Grund zu gehen. Sich selbst zurücknehmend, doch im Hintergrund enormes leistend, über gibt er die Stimme lieber den viel zu lange ungehörten lokalen Kunstschaffenden.

Kleine Ereignisse mit ungemeiner Erzählkraft

Dabei ist Birk weniger an einer elitären Geschichtsschreibung sowie an Daten und Fakten interessiert, er sucht vielmehr das Große im Kleinen auf. „Geschichte wird immer von denen geschrieben, die regie ren. Das möchte ich mit meiner Arbeit brechen, indem ich einfache Menschen zu Wort kommen lasse. Häufig sind es kleine, intime Geschichten von gewöhn lichen Familien, die einen authentischen Einblick geben, wie Menschen in der je weiligen Zeit gelebt haben.“ Gerade auf die beinahe zweitrangigen, emotionalen Begebenheiten, die bei einem genaue ren Blick über das scheinbar Belanglose hinausgehend politische und sozialge sellschaftliche Zustände augenscheinlich machen, ist der Fotograf aus. Und es sind die kleinen Einblicke ins Alltagsleben, die so humorvoll sie auch anmuten, auf einer zweiten Ebene durchaus auf Ernstes, nicht zuletzt Tieftrauriges, verweisen. Wie die Aufarbeitung fotografischer Arbeiten aus den 1970er Jahren von porträtierten Ein heimischen in westlicher Kleidung. „Yan gon Fashion 1979“ zeigt aber mehr als das vordergründig Sichtbare. Die große Anzahl getragener westlicher Kleidungs stücke verwundert zunächst, war doch die westliche Mode im damals strengen >>

„MEINE PROJEKTE BENÖTIGEN VIEL ZEIT, OFFENHEIT UND EINEN DIALOG AUF AUGENHÖHE MIT DEN HIER LEBENDEN MENSCHEN, UM REIFEN ZU KÖNNEN.“
Lukas Birk © Guillaume Koessler
#74 | September 2022 | 33

Militärregime gar nicht gang und gäbe. Doch in der Nachforschung erweisen sich genau diese Porträts als Art Protest gegen das Regime im stillen Kämmer chen. Sowie die Menschen illegal Mo demagazine konsumierten und darauf hin Schneider:innen beauftragten, die dort gesehene Mode nachbilden zu las sen, gingen jene Menschen schließlich heimlich in Fotostudios und ließen sich ablichten. Kleidung, nicht des Tragens, sondern des Austausches wegen. Einem Rummelplatz der Freiheit gleich entklei deten sich die Menschen aus der starren, ihnen vorgegebenen Fassade und ließen der Kreativität Raum, sich zu entfalten. Nur einmal der lässige Typ in Schlagho

se und Shirt sein? Im Fotostudio wurde dies für den Moment zur Realität, die dann in verewigten Erinnerungen pri vat unter Freunden und Bekannten aus gewechselt und heiß debattiert wurde. Oder wie im Falle des Projektes GÜLIS TAN: Fotos von Pärchen aus schicken Nobelrestaurants in Istanbul, die einem Geschichtsbuch gleich so viel über die Zeit und Lebensweise offenlegen. Birk trifft mit Projekten wie diesen zwei Flie gen mit einer Klappe: Einerseits hält er die Erinnerungen, Geschichten und Erzählungen der Menschen als Kultur gut auf ewig zugänglich, andererseits demonstriert er zeitgleich den unglaub lichen Wert, den diese bis dato unent deckten, aber so geschichtsträchtigen Fotografien besitzen. Birk kramt sie in zuvor gegangenen tiefen Recherchetä tigkeit an Tageslicht und reicht sie der Bevölkerung. Anders wären sie wohl im Erdboden verschluckt geblieben.

Die Wertschätzung reicht noch weiter, bis hin zu den Mängeln, die ei gentlich gar keine sind. Sowie sich in Afghanistan die Box-Camera* aufgrund der Armut des Landes so lange halten konnte, ist sie für Birk kein Armuts zeugnis, sondern lediglich eine andere Art von Fotokultur, die manueller ist und Entwicklungen dokumentiert, die gleichberechtigt mindestens so doku mentationswürdig sind wie die west liche Geschichte der Fotografie. Ne benbei ist Birk auch ein Erfinder und Erforscher, sowie er selbst gerade an der Produktion von solchen Box-Cameras in kleiner Serie arbeitet. Alles in allem

ist Lukas Birk ein Aktivist. Und als ein solcher kann er nur appellieren, dass der Westen auch in krisengebeutelten Län dern mehr Kulturgelder einsetzen sollte, um der Ungleichheit entgegenzutreten: „Wenn auch Länder wie Myanmar und Indien kulturell interessanter werden, wirkt sich das auf die Zufriedenheit und ferner auch auf den Lebensstandard der dort lebenden Menschen aus. So schafft man eine Gleichheit in der Welt, die ak tuell noch viel zu sehr von den in Euro pa und Amerika formulierten Blickwin keln lebt.“

*Box-Camera: Unter der Boxkamera ver steht man eine handgefertigte Holz-Kas tenkamera, die Fotoapparat und Dunkel kammer in einem ist. Quasi ein analoges Gerät der Fotografie, das alles in sich selbst beinhaltet, um Fotos zu machen und auch zu entwickeln. Als Sofortbild kamera war sie vor allem ab den 1920er Jahren und bis hinein in die 1950er Jahre in Europa beliebt. In Afghanistan hielt sie sich aufgrund der Armut deutlich länger, Generationen von Menschen haben sich dort mit einer solchen Kamera porträtie ren lassen, meist für Identitätsfotos. Für eine bestimmte Zeit war die Box-Came ra in Afghanistan sogar verboten, als die Taliban als Herrscher Afghanistans das Fotografieren nicht mehr erlaubten.

„WENN AUCH LÄNDER WIE MYANMAR UND INDIEN KULTURELL INTERESSANTER WERDEN, WIRKT SICH DAS AUF DIE ZUFRIEDENHEIT UND FERNER AUCH AUF DEN LEBENSSTANDARD DER DORT LEBENDEN MENSCHEN AUS.“
Beide Bilder: GÜLISTAN © Lukas Birk
34 | Mittendrin in V

MÄRZENGRUND

MÄRZENGRUND ist die wahre und berührende Geschichte des jungen Elias, der sich Ende der 1960er Jahre gegen die Maxime ei ner profitorientierten Gesellschaft wendet und für ein radikales Leben im Einklang mit der Natur entschei det. Die Geschichte beschäftigt sich mit den brennenden Fragen unse rer Generation, insbesondere der heutigen Jugend: In welcher Welt wollen wir leben, nach welchen Werten wollen wir uns ausrichten und in welchem Verhältnis stehen individuelle Freiheit und gesell schaftliche Anpassung?

Nach dem gleichnamigen The aterstück von Felix Mitterer; Regie: Adrian Goiginger („Die Beste aller Welten“); mit Johannes Krisch, Jakob Mader, Verena Alten berger, Gerti Drassl, Harald Win disch

„Bester Spielfilm“ Bozen Film Festival 2022 Prädikat „Besonders wertvoll“

Impressum

Grundlegende Richtung

Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armuts grenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förde rung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,80 Euro verbleibt den Verkäufern. marie ist ein partei unabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Projekt.

Redaktion

marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems, Telefon: 0677 61538640, eMail:

redaktion@marie-strassenzeitung.at, Internet: www.marie-strassenzeitung.at Redaktion: Frank Andres, Simone Fürnschuß-Hofer MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Daniela Egger, Florian Gucher, Guntram Gärtner, Christine Mennel, Daniel Mutschlechner, Petra Rainer, Brigitta Soraperra, Gerhard Thoma

Zeitungsausgabestellen:

Praxishandbuch „Leben in Gemeinschaft“ von Öko- und Gemeinwohl-Unternehmer Heinz Feldmann

Längst sind es nicht mehr nur Aussteiger und Hippies, die gemeinschaftliche Wohnprojekte gründen. Im mer mehr Menschen folgen ihrer inneren Sehnsucht nach einem anderen Leben, raus aus der drohenden Vereinsamung in der Singlewohnung oder der Enge einer Kleinfamilienbehausung. Einer, der weiß, wie man erfolgreich gemeinsam plant, baut und wohnt, ist Heinz Feldmann, „Wohnprojekt Wien“-Mitbegründer und Mitbewohner. Von seinen Erfahrungen haben be reits viele gemeinschaftliche Wohnprojekte profitiert. Kompakt und praxistauglich hat er nun sein Wissen in einem Buch zusammengefasst. Neben erfrischend ideologiefreien Anleitungen, erprobtem Know-how und mutmachenden Anekdoten finden sich darin gut umsetzbare Tipps und Tricks inklusive zahlreicher Downloads. Interviews mit Expert:innen zu den Themen Gemeinschaftsbildung, Organisation, Finanzierung, Rechtsformen und Ar chitektur runden das Buch ab und machen es zum wertvollen Ratgeber in der Praxis. oekom Verlag, ISBN: 978-3-96238-361-9, Softcover, 352 Seiten

Dornbirn: Kaplan Bonetti Sozialwerke, Kaplan-Bonetti-Straße 1, Montag, Mitt woch und Freitag von 8 bis 9 Uhr Bregenz: dowas, Sandgrubenweg 4, Montag und Donnerstag 8.30 bis 10.30 h Feldkirch: Caritas-Café, Wohlwendstraße 1, Montag bis Freitag 8.30 bis 14 h Bludenz: do it yourself, Kasernplatz 5-7/3b, Montag und Mittwoch 14 bis 16 h Anzeigen Kontakt: anzeigen@marie-strassenzeitung.at Medieninhaber und Herausgeber

Verein zur Förderung einer Straßen zeitung in Vorarlberg, ZVR-Zahl 359044778, 6833 Klaus eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Vorstand

Frank Andres, Obmann

Christina Vaccaro, Obmann-Stellvertre terin, Schriftführerin

Oliver Mössinger, Kassier

Druck: Russmedia Verlag GmbH, Schwarzach

Auflage: 15.000 Exemplare, Erschei nungsweise monatlich Layout/DTP/Bildbearbeitung :TAGWERK Grafik|Design Monika Dür Bankverbindung & Spendenkonto Raiffeisenbank im Rheintal, IBAN: AT94 3742 0000 0648 3580, BIC: RVVGAT2B420 © 2022 marie. Alle Rechte vorbehalten.

FKC/Cinema Dornbirn: 21.09. 18 Uhr, 22.09. 19:30 Uhr RIO Kino Feldkirch (siehe aktuelles Kinoprogramm)
#74 | September 2022 | 35 BUCHTIPP KINOTIPP

Pleiten, Pech und Pannen

„Das, was uns der Versicherungsagent bei Vertragsabschluss versichert, ist im Schadensfall gar nicht so sicher“, unkt der Luftfahrzeugtechniker und Buchautor Siegfried Wache. Auf der anderen Seite unternimmt der leidgeprüfte Kunde alles, um seinen Ausrutscher im besten Licht erscheinen zu lassen. Ein humorvoller Blick in die Erklärungsversuche verzweifelter Versicherungsnehmer.

Ich fuhr mit meinem Wagen gegen die Leitschiene, überschlug mich und prall te gegen einen Baum. Dann verlor ich die Herrschaft über mein Auto.

Meine Tochter hat sich den Fuß ver knackst, weil dieses verdammte Wei bervolk ja keine vernünftigen Schuhe tragen will.

Der Fußgänger hatte anscheinend keine Ahnung, in welche Richtung er gehen sollte, und so überfuhr ich ihn.

Die attraktive, miniberockte Dame auf dem Bürgersteig war schuld. Wenn Sie ein Mann sind, erübrigen sich weite re Ausführungen, wenn Sie eine Dame sind, kann ich es Ihnen sowieso nicht erklären.

Ich hatte den ganzen Tag Pflanzen ein gekauft. Als ich die Kreuzung erreich te, wuchs plötzlich ein Busch in mein Blickfeld, und ich konnte das andere Fahrzeug nicht mehr sehen.

Ich bin deshalb so schnell gefahren, um durch den Luftzug die Biene aus dem Auto zu kriegen.

In der Sauna rutschte Berthold B. auf den nassen Fliesen aus und verschwand kommentarlos unter der Bank.

Wir hielten an einer Böschung, die zum See hinunter führt. Dann kam es zu zwi schenmenschlichen Beziehungen, die aber schlagartig aufhörten, als sich die Handbremse löste.

Außerdem bin ich vor meinem ersten Unfall und nach meinem letzten unfall frei gefahren.

Der Bursche war überall und nirgends auf der Straße. Ich musste mehrmals kurven, bevor ich ihn traf.

Ein unsichtbares Fahrzeug kam aus dem Nichts, stieß mit mir zusammen und verschwand dann spurlos.

Die Heirat mit meinem Mann war ein Risiko. Er ist auf und davon, der kommt nicht wieder. Sie können mir also die Risikoversicherung auszahlen.

Ich habe gestern Abend auf der Heim fahrt einen Zaun in etwa 20 Meter Län ge umgefahren. Ich wollte Ihnen den Schaden vorsorglich melden, bezahlen brauchen Sie nichts, denn ich bin uner kannt entkommen.

Der Beschädigte hat sich die Verletzun gen selbst zugefügt, als er nach meinen Schlägen die Treppe runterfiel.

Mein Auto fuhr einfach geradeaus, was in einer Kurve allgemein zum Verlassen der Straße führt.

Als ich auf die Bremse treten wollte, war diese nicht da.

Das Polizeiauto gab mir ein Signal zum Anhalten. Ich fand einen Brückenpfeiler.

An der Kreuzung hatte ich einen unvor hergesehenen Anfall von Farbenblindheit.

Vor mir fuhr ein riesiger Möbelwagen mit Anhänger. Der Sog war so groß, dass ich über die Kreuzung gezogen wurde.

Ein Fußgänger kam plötzlich vom Bür gersteig und verschwand dann wortlos unter meinem Wagen.

Ich habe nun so viele Formulare ausfül len müssen, dass es mir bald lieber wäre, mein geliebter Mann wäre überhaupt nicht gestorben.

Ich bin schwerkrank gewesen und zwei mal fast gestorben. Da können Sie mir doch wenigstens das halbe Sterbegeld auszahlen.

Textsammlung: Gerhard Thoma, Symbolfotos: pixabay
36 | Gsi

Ich bin in eine Sekte eingetreten. Jetzt weiß ich, dass ich ewig leben werde und kündige daher meine Lebensversiche rung.

Einnahmen aus der Viehhaltung haben wir keine. Mit dem Tod meines Mannes ging das letzte Rindvieh vom Hof.

Wie hoch ist die Prämie für meinen Mann, der zwar im April 60 Jahre alt wurde, aber zehn Jahre jünger aussieht?

Ich dachte, das Fenster sei offen, es war jedoch geschlossen, wie sich herausstell te, als ich meinen Kopf hindurchsteckte.

Wer mir die Geldbörse gestohlen hat, kann ich nicht sagen, weil aus meiner Verwandtschaft niemand in der Nähe war.

Die Hausgehilfin wurde leicht verletzt. Sie wird von mir teilweise im Betrieb, teilweise privat genutzt.

Hiermit kündige ich Ihre Haftpflicht versicherung. Ich bin zur Zeit in Haft und brauche daher keine Haftpflicht versicherung.

Meine Frau hatte eine Kerze auf der Bettleiste brennen lassen. Durch die ehelichen Erschütterungen flog die Ker ze herunter und verbrannte den Bett überzug.

Das Glas ist kaputt, ich schicke Ihnen hier einen Splitter von der Scheibe mit, woran Sie sehen können, dass sie hin ist, denn sonst wäre sie noch ganz un beschädigt.

Dann brannte plötzlich der Weihnachts baum. Die Flammen griffen auf den Vorhang über. Mein Mann konnte aber nicht löschen, weil er wie ein Verrückter nur den Hausrat-Versicherungsschein suchte.

Erfahrungsgemäß regelt sich sowas bei einer gewissen Sturheit von selbst. Dar um melde ich Unfälle immer erst, wenn der Gegner mit Zahlungsbefehlen mas siv wird.

Mein Sohn hat die Frau nicht umge rannt. Er ist einfach vorbeigerannt. Da bei ist die Frau durch den Luftzug um gefallen.

... erlaube ich mir, wieder ein Rezept über Antibabypillen beizufügen, da ich glaube, dass dies Ihre Versicherung doch sicher billiger kommt als eine Schwan gerschaft mit Klinik-Entbindung und vielen Nebenkosten zu erstatten.

Ihr Computer hat mir ein Kind zuge legt. Aber ich habe kein Kind. Schon gar nicht von Ihrem Computer.

Wenn ich oft krank werde, geht Sie das gar nichts an. Sie haben bloß zu zahlen, sonst verzichte ich in Zukunft ganz auf das Kranksein!

Ich habe mir den rechten Arm gebro chen, meine Braut hat sich den Fuß ver staucht – ich hoffe, Ihnen damit gedient zu haben.

Als der Monteur mit dem Hammer zum Schlag ausholte, stellte sich der An spruchsteller hinter ihn, um genau zu sehen, wo der Schlag hinging. Da ging ihm der Schlag an den Kopf.

Heute schreibe ich zum ersten und letz ten Mal. Wenn Sie dann nicht antwor ten, schreibe ich gleich wieder.

Und weil das Finanzamt immer so nett zu mir war, habe ich nach oben aufge rundet.

Das andere Auto kollidierte mit dem meinigen, ohne mir vorher seine Absicht mitzuteilen.

Alle Rechnungen, die ich erhalte, be zahle ich niemals sofort, da mir dazu einfach das Geld fehlt. Die Rechnungen werden vielmehr in eine große Trommel geschüttet, aus der ich am Anfang jeden Monats drei Rechnungen mit verbun denen Augen herausziehe. Diese Rech nungen bezahle ich dann sofort. Ich bit te Sie zu warten, bis das große Los Sie getroffen hat.

Als Hobby halte ich fünf Hühner und ei nen Hahn. Beim Hühnerfüttern am 24. Februar in den Morgenstunden stürzte sich der Hahn plötzlich und unerwartet auf mich und biss mir in den rechten Fuß. Er landete sofort im Kochtopf.

Ich möchte nochmals erklären, dass ihr Mitarbeiter Verträge nur in Gaststätten bespricht und sehr viel Bier und Korn ausgibt. Ich kann Ihre Versicherung und Ihren Mitarbeiter nur weiterempfehlen.

Bitte lassen Sie es mich wissen, wenn Sie dieses Schreiben nicht erhalten haben.

Ich liebe Mahnungen, denn dann weiß ich, dass Ihre Mitarbeiter arbeiten.

Ich kann nicht schlafen, weil ich Ihre Versicherung betrogen habe. Darum schicke ich anonym 500 Euro. Wenn ich dann immer noch nicht schlafen kann, schicke ich Ihnen den Rest.

#74 | September 2022 | 37

38 |

VERANSTALTER AKZEPTIEREN

DEN KULTURPASS FÜR FREIEN/ERMÄSSIGTEN EINTRITT

Infos über den Kulturpass unter www.hungeraufkunstundkultur.at

Di., 06.09. bis 10.09.

17 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

LUOAGA & LOSNA

34. int. Theaterfestival für ein junges Publikum. https://www.luagalosna.at

Mi., 07.09.

20 Uhr, Kammgarn, Hard KULTUR.BAR.KAMMGARN #15

Gute Musik, feine Getränke, bunte Gesellschaft und anregende Gespräche. Jeden ersten Mittwoch im Monat öffnet die Kammgarn auch ohne Veranstaltung ihre Türen. Die Bar und das Foyer werden zum Leben erweckt.

Sa., 10.09.

16 bis 17.30 Uhr, Jüdisches Museum, Hohenems

SCHRUNS-TSCHAGGUNS. VOM GEFÄNGNIS BIS ZUR ILL

Geführte Radtour mit Michael Kasper (Montafoner Museen)

Ort: Montafoner Heimatmuseum Schruns

Sa., 10.09.

19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

ROBERT PFALLER: ZWEI ENTHÜLLUNGEN ÜBER DIE SCHAM Vortrag und Gespräch

Sa., 10.09.

19.30 Uhr, Remise, Bludenz RAINER HONECK & CHRISTOPHER HINTERHUBER Musik, Violine & Klavier

So., 11.09.

9.45 bis 13 Uhr, inatura, Dornbirn UNTERWEGS BEIM GARGELLNER FENSTER

Auf den Spuren des geologischen Gargellner Fensters wird die Kulturlandschaft im Bereich Rüti erkundet.

Veranstaltungskalender

So., 11.09.

11:00 Uhr, netzwerkTanz Dornbirn PERFORMANCE BRUNCH

Titel „Erinnerungskultur“ Lesung, Tanz, Video, Kulinarik und Austausch www. performancebrunch.at

— Mo., 12.09.

19 Uhr, Galerie AllerArt, Remise, Bludenz

LITERARISCHER SALON: OKSANA SABUSCHKO: MUSEUM DER VERGESSENEN GEHEIMNISSE Buchbesprechung

Di., 13.09.

19 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz

SDG SLAM POETRY FÜR CHANGE

Präsentation der Slam-Meisterschaft, die von 15.17. September im Dornbirner Spielboden über die Bühne geht.

— Mi., 14.09.

15 bis 22 Uhr, Dorfplatz, Hittisau SOMMER AM DORFPLATZ Gastlichkeit und Kulinarium

— Mi., 14.09.

19 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn LITERATURKREIS FÜR SACHBÜCHER

Aus einer vorbereiteten Auswahl an Sachbüchern wird gemeinsam entschieden, welches Buch beim nächsten Termin besprochen werden soll.

— Mi., 14.09.

19 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz

ENERGIE LOUNGE I

Klimaneutral und resilient bauen. Verändert klimaneutrales Bauen die Architektur?

— Do., 15.09.

ab 8.45 Uhr, Domino's Hus, Frastanz ICH IN MEINEM KÖRPER Bewegungsstunden, Kurs 1, nur für Frauen

— Do., 15.09.

18.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn POETRY SLAM Österreichische Meisterschaft – Vorrunde 1

Do., 15.09.

19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn

NEUE SPIELRÄUME – KRIEG IST KRIEG

Vortrag

Fr., 16.09.

20 Uhr, Remise, Bludenz PIPPO POLLINA Konzert

Fr., 16.09.

20 Uhr, Ortszentrum Hittisau

TINTENFISCHEN

Café Fuerte, Premiere Theater, weitere Termine: www.cafefuerte.at

Fr., 16.09.

20:30 Uhr, Kammgarn, Hard TAMBOURLA Konzert

— Sa., 17.09.

14 Uhr, Rathaus, Bludenz UNMWELT IM GESPRÄCH: BÄUME UND STADTGRÜN Vortrag

— Sa., 17.09.

18 Uhr, Spielboden, Dornbirn

POETRY SLAM

Österreichische Meisterschaft – Finale

So., 18.09.

15 Uhr, Kammgarn, Hard TERRA MINI | FORT WILLY Theater

Di., 20.09.

14 und 16 Uhr, Remise, Bludenz PFIFFIKUS Kleinkinderprogramm

Di., 20.09.

16.30 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn

GESCHICHTENUNIVERSUM Vorlesezeit für Kinder

Di., 20.09.

19 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz

KARL SCHALL: „FLINT“ – DIE GEBURT DES KULTURELLEN WIDERSTANDES IN VORARLBERG Vortrag und Diskussion

Mi., 21.09.

19 Uhr, inatura, Dornbirn

KLIMANEUTRALER VERKEHR

Vortrag: Wann kommt das Aus für den Verbren nungsmotor?

Mi., 21.09.

19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn ABSCHAFFUNG DER POLITISCHEN PARTEIEN Vortrag

Do., 22.09.

18.30 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz MUZEN

Meditieren im Museum

Do., 22.09.

19.30 Uhr, Theater Kosmos, Bregenz LITTLE ITALY

Theater, Uraufführung von Kathi Klein, Premiere

Do., 22.09.

20.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn JAZZ &: FABIA MANTWILL QUINTET

Musik

Fr., 23.09.

15 Uhr, Remise, Bludenz

DIE BREMER STADTMUSIKANTEN

Kindertheater

Fr., 23.09.

19 Uhr, Theater am Saumarkt, bzw. Dom St. Nikolaus, Feldkirch WAS SAGT ANNA?

Dramen zum Annenaltar, Theater Achtung die Veranstaltung findet im Dom St. Nikolaus in Feldkirch statt

Fr., 23.09. und Do., 29.09.

19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn NAMASTE HIMALAYA

Wie ein Dorf in Nepal uns die Welt eröffnete, Film

Fr., 23.09.

20 Uhr, Kammgarn, Hard UTA KÖBERNICK

Ich bin noch nicht fertig, Theater/Kabarett

Fr., 23.09.

22 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn BONKERS

Musik

— Sa., 24.09.

10 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn

FAMILIENZEIT: EINE STUNDE MÄRCHENKUNDE

Vorlesezeit für Kinder ab 5 Jahren

— Sa., 24.09.

17 Uhr, Frauenmuseum, Hittisau WERFEN UND FANGEN EIN REINES VERGNÜGEN Pforte im Frauenmuseum, Konzert

— Sa., 24.09.

19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch THERESIA NATTER BAND Konzert

— Sa., 24.09.

20 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn VANCOUVER SLEEP CLINIC Musik

— Sa., 24.09.

20.30 Uhr, Kammgarn, Hard SUPERCHARGE FEAT. ALBIE DONNELLY Jazz, Blues & Soul

— Di., 27.09.

19 Uhr, inatura, Dornbirn NATURSCHUTZHUNDE: SPÜRHUNDE IM NATUR- UND ARTENSCHUTZ Vortrag

— Di., 27.09.

20 Uhr, Remise, Bludenz SOAP & SKIN Konzert

Do., 29.09.

19 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn HELMUT BRANDSTÄTTER: HEILUNG FÜR EINE VERSTÖRTE POLITIK Vortrag/Diskussion

Do., 29.09.

19 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

MICDROP – U20 POETRY SLAM Literatur

— Do., 29.09.

20.30 Uhr, Kammgarn, Hard ELIS NOA SUPPORT: NNELLA Musik

— Fr., 30.09.

18 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz KUNST UND YOGA Mit Ingrid Adamer

Fr., 30.09.

19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch

SOSO MUGIRANEZA: KINKY HAIR, STAND-UP COMEDY Kabarett

Fr., 30.09.

19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn

PHILIPP FUSSENEGGER-WERK SCHAU: DIE SCHILEHRER –GELD SPIELT KEINE ROLEX & BESTER MANN Film

Fr., 30.09.

20 Uhr, Spielboden, Dornbirn GRISSEMANN & DOLEZAL –BUH! Kabarett

Fr., 30.09.

20 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn

CARI CARI

Musik

Die Firma blum unterstützt die Berichterstattung über privat initiierte, gemeinnützige Projekte in Vorarlberg.

#74 | September 2022 | 39
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