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Der Schmerz gehört dazu“
„Der
Schmerz gehört dazu“
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Mit zwölf Jahren ließ er sich sein erstes Tattoo stechen. Mit 26 Jahren machte sich Patrick Nägele als Tätowierer selbstständig. Und jetzt mit 43 Jahren kämpft sich der Vater von drei Söhnen nach einem Burnout und Zeiten übermäßigen Alkohol- und Drogenkonsums zurück ins Leben.
Text: Frank Andres Fotos: Petra Rainer
Er ist eine auffällige Erscheinung. Seine Hände und Füße sind großflächig tätowiert. Am augenfälligsten sind aber seine Tattoos im Gesicht und am Kopf. Er schaut streng, ernst. Man hat irgendwie das Gefühl, er will in Ruhe gelassen werden. Auf keinen Fall will er wohl von einem Unbekannten von der Seite angequatscht werden. Ich finde den Menschen, dem ich in Dornbirn in der Nähe des Bahnhofs begegne, aber irgendwie interessant. Meine journalistische Neugierde ist geweckt. Und ich mache das, was von Berufs wegen meine Aufgabe ist. Ich spreche den Mann an. „Hallo, ich bin von der Straßenzeitung marie. Ich bin ganz fasziniert von deinen Tätowierungen. Hast du Lust mit mir darüber zu sprechen?“ Seine prompte und kurze Antwort: „Ja, gerne.“ Wir vereinbaren für Montag einen Gesprächstermin. Patrick Nägele nimmt mich mit auf seine spannende Reise durch sein Leben.
Kannst du dich noch an dein erstes Tattoo erinnern? Das habe ich mir mit zwölf Jahren stechen lassen. Es gab dafür keinen richtigen Anlass. Ich war zu Besuch bei einer Freundin meiner Mutter. Die hatte einen Sohn, der war damals Punk. Er hat sich mit selbstgebauten Tattoo-Maschinen selbst tätowiert. Während meine Mutter sich mit ihrer Freundin unterhalten hat, bin ich zu ihm ins Zimmer. Da hat mich das Tattoo-Fieber gepackt. Ich ließ mir den Kopf einer Bulldogge auf den linken Oberarm tätowieren. Das Motiv hatte ich zuvor auf einem Flight eines Dart-Pfeiles gesehen.
Wie hat die Mutter darauf reagiert? Die hat es erst gesehen, als ich 16 Jahre alt war. Da bin ich nach dem Duschen mit nacktem Oberkörper durch die Wohnung gelaufen. Und sie fragte mich: „Was hast du da am Arm?“ Es war ihr aber zu diesem Zeitpunkt schon egal.
Wann kamen die weiteren Tattoos dazu? Mit 17,18 Jahren, nach dem Abschluss meiner Malerlehre, habe ich begonnen, meinen Arm tätowieren zu lassen. Mit 20, 21 Jahren ließ ich mir einen blauen, japanischen Drachen auf die Brust stechen. Ich liebe die Symbolik japanischer Tätowierungen. Da gibt es keinen Strich ohne Bedeutung.
Waren diese körperlichen Verzierungen alle geplant? Nein. Es wurde einfach sukzessive mehr und mehr. Das hat sich über die Jahre ergeben.
Wie kam es dazu, dass du dein eigenes Tattoo-Studio in Feldkirch eröffnet hast? Ich habe nach der Lehre Airbrush gemacht. Bei dieser Technik werden mit einer Art Spritzpistole Autos, Motorräder, Helme und Handys lackiert. Ich wollte mir eigentlich in diese Richtung eine Existenz aufbauen. Da entdeckte ich aber das Tätowieren für mich. Das Fieber hat mich gepackt. Damals war ich 24 Jahre alt. Mit 26 Jahren habe ich zusammen mit einem Kollegen, der Piercings gestochen hat, das True-Pain in Feldkirch eröffnet. Wer hat dir das Tätowieren beigebracht? Wie das Tätowieren funktioniert, hat dir damals niemand gezeigt. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Ich habe die Nadeln zum Beispiel selbst gelötet und machte die ersten Tattoo-Versuche bei meinen Verwandten. Chinesische Schriftzeichen bei meinem Cousin, ein Katzenkopf bei meinem Bruder. Ich war damals schon ein bisschen nervös. Diese Nervosität ist mir bis heute geblieben.
Außergewöhnlich sind bei dir vor allem die Tätowierungen am Kopf und im Gesicht. Wie kam es dazu? Diese entstanden aus Liebe zu meinem Beruf. Ich wollte meine Leidenschaft nicht mehr verstecken. Für mich sind diese Tattoos ein klares und sichtbares Statement gegen Ungerechtigkeiten gegenüber schwächeren Menschen. Ein unmissverständliches Zeichen, dass man andere nicht nach ihrem Äußeren beurteilen soll. Viele nehmen sich nicht die Zeit, andere Menschen wirklich kennenzulernen. Du wirst einfach abgestempelt, diskriminiert. Ich habe Kraft genug, diesen Menschen zu widerstehen und zu sagen, dass es mir egal ist, was sie von mir denken.
Wie war die Anfangszeit als Tätowierer? Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich war mit der Situation überfordert. Anstatt meine Leidenschaft auszuleben, habe ich zu Drogen gegriffen. Wie ich mich damals aufgeführt habe, war nicht okay. Ich habe zwar meinen Job gemacht, aber ließ niemanden an mich ran. Ich habe total blockiert. Plötzlich hatte ich täglich mit so vielen, unterschiedlichen Menschen zu tun. Ich war bis dahin eigentlich immer ein Einzelgänger. Ich brauchte meine Ruhe. Ich war überfordert.
Ich habe ein Talent, das ich ausleben will. Das ist mein Segen. Aber mein Fluch ist es zugleich, dass ich für meine berufliche Leidenschaft andere Menschen brauche. Ich bin überzeugt, dass der psychische Ballast anderer Menschen die Energie aus meinem Körper gesaugt hat. Ich musste lernen, dass diese negative Energie bei ihnen bleibt. Mit Reinigungsritualen wie dem Räuchern oder Laufen in der Natur. Ich schaue heute mehr auf mich selbst, um mich zu schützen. >>
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Das hat aber am Ende nicht ganz funktioniert. Du hast vor drei Jahren dein Geschäft geschlossen. Was ist passiert? 2019 hatte ich einen Seelenkollaps. Das kam nicht von heute auf morgen, sondern entwickelte sich über die Jahre. Ich habe mich nach zehn Jahren von meiner Freundin getrennt. Ich wollte ihr nicht mehr wehtun. Ich war nicht mehr ich selbst. War permanent unter Drogen. Berauscht von Alkohol. Konnte nicht mehr richtig kommunizieren. Ich hatte keinen Ort für mich, um Ruhe zu finden. Ich bin dann zu meiner Mutter, habe noch ein paar Tattoos gemacht und den Laden schließlich geschlossen.
Wer hat dir in dieser schwierigen Zeit geholfen? Ich habe mir professionelle Hilfe gesucht. Ich bin auf die Maria Ebene, habe dort einen Alkoholentzug gemacht. Ich bin aber auch immer wieder mal rückfällig geworden. Ich war später auch im Landeskrankenhaus Rankweil. Jetzt habe ich meinen dritten Entzug, ohne Medikamente, hinter mir. Das wird mein letzter gewesen sein. Ich habe mir geschworen: Mein nächstes Bier trinke ich mit Odin in Walhalla.
Wie kam es, dass du regelmäßig zu Drogen gegriffen hast? Ich bin mit 26 Jahren zum ersten Mal mit Kokain in Berührung gekommen. Davor hatte ich nie Drogen konsumiert. Nur Zigaretten geraucht, ein, zwei Bier getrunken. Und ab und zu hatte ich auch einen Rausch. Aber wer hat das als Jugendlicher nicht? Ich habe Drogen bis zu meinem 30er exzessiv konsumiert. Dann habe ich mit Kokain aufgehört und bin auf Cannabis umgestiegen. Ich wollte mich nicht mehr hochpushen, sondern lieber meine Ruhe haben. Mittlerweile trinke ich nichts mehr. Ich habe durch meinen Entzug meinen Körper noch einmal kennengelernt. Nüchtern zu leben, ist für mich Freiheit pur. Ich muss heute noch jeden Tag daran arbeiten, dass es so bleibt. Das mache ich durch Sport, ich habe auch drei Kinder und zwei Hunde. Ich hole meine Energie auf gesunde Art und Weise. Und wenn ich einmal einen Schub brauche, dann trinke ich einen Zitronen-Shot mit Ingwer. Natürlich und körperbewusst. Ohne mich wegzudröhnen.
„Ich habe ein Talent, das ich ausleben will. Das ist mein Segen. Aber mein Fluch ist es zugleich, dass ich für meine berufliche Leidenschaft andere Menschen brauche.“ „Viele nehmen sich nicht die Zeit, andere Menschen wirklich kennenzulernen. Du wirst einfach abgestempelt, diskriminiert. Ich habe Kraft genug, diesen Menschen zu widerstehen und zu sagen, dass es mir egal ist, was sie von mir denken.“
Wie soll Deine Zukunft ausschauen? Ich will mein Sein leben. Aber nicht mehr in dem Tempo, das ich früher hatte. Nicht mehr jeden Tag bis am Abend arbeiten und Geld verdienen. Ich will schon wieder selbstständig werden. Bis nächstes Jahr Ende März bekomme ich noch RehaGeld, um mich von meinem Burnout zu erholen. Bis zu diesem Zeitpunkt baue ich mir einen Plan auf, damit ich wieder arbeiten kann. Jetzt bereite ich mich auf mein neues Leben vor. Ich hatte früher immer das Gefühl permanent auf der Überholspur zu sein. Und ich habe gewusst, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann. Ich will wieder tätowieren, aber nicht mehr im Hauptverdienst. Ich will wieder Motorräder und Fahrräder airbrushen. Da kann ich alleine in meinem Atelier zusammen mit meinen beiden Hunden arbeiten. Ich habe gelernt, mit mir im Einklang zu sein. Ich habe keine Angst mehr vor schlechter Energie, die andere Menschen ausstrahlen. Früher war ich verpeilt, weil ich mich immer mit Drogen zugedröhnt habe. Das ist vorbei. Jetzt freue ich auf mein neues Leben.
Eine laienhafte Frage, von jemandem, der sich noch kein Tattoo hat stechen lassen. Tut das weh? Bei Tattoos gehört der Schmerz dazu. Wenn man sich tätowieren lässt, sollte man sich vorher bewusst darauf vorbereiten. Nicht einfach mit zwei, drei Bier intus ins Tattoo-Studio gehen. Am besten früh schlafen gehen und danach ein ausgiebiges Frühstück. Ich meditiere zum Beispiel vor, während und nachdem ich mir ein Tattoo habe stechen lassen. Das ist mein Ritual.