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Freiraum füs Wesentliche
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Freiraum fürs Wesentliche
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Der Verein locart hat es sich zum Ziel gesetzt, Vorarlberger Unternehmen dafür zu gewinnen, in Kunst und Kultur zu investieren. Gegründet wurde er von Vorarlberger Kulturakteur:innen mitten im ersten Corona Lockdown. In den schwierigsten Phasen der Pandemie schaffte es der Verein, zusätzlich zu den eher mageren staatlichen Förderungen Gelder an Kulturschaffende zu verteilen. Nun wartet locart mit einem kleinen Paukenschlag auf: Als Abschlussprojekt wird der erste, wissenschaftlich begleitete Versuch eines Bedingungslosen Grundeinkommens für Künstler:innen in Vorarlberg durchgeführt.
Text: Brigitta Soraperra, Fotos: locart In einer Zeit, die von weltweiten Krisen, Inflation, Teuerung und damit einhergehender zunehmender Verarmung größerer Bevölkerungsgruppen gekennzeichnet ist, sind wir als Gesellschaft gefordert, über neue Wirtschaftssysteme und alternative Finanzierungsmodelle nachzudenken. Seit vielen Jahren ist in diesem Zusammenhang das Bedingungslose Grundeinkommen immer wieder Thema. Volkswirtschaftliche Berechnungen prognostizieren, dass dieses Modell – entgegen aller Kritik – durchaus finanzierbar wäre und einen Staat langfristig nicht teurer kommen würde als herkömmliche staatliche Haushaltspläne. Namhafte Stimmen wie Zukunftsdenker Richard David Precht sehen dieses Modell auch als adäquate Antwort auf die aktuellen Herausforderungen am globalen Arbeitsmarkt. Voraussetzung dafür ist natürlich die Bereitschaft, „unsere Welt neu zu denken“ – also außerhalb einer auf Gewinnmaximierung ausgerichteten, kapitalistischen Wirtschaftslogik, wozu auch die deutsche Politökonomin und Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel in ihrem gleichnamigen fundierten und klugen Buch einlädt.
Prekäre Verhältnisse
Eine Personengruppe, die nicht nur bei Krisen oft unter prekären Verhältnissen leben und arbeiten, sind Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen – besonders wenn sie freischaffend sind. Ein unregelmäßiges Einkommen und damit einhergehende regelmäßige Durststrecken, ein unkalkulierbarer Markt, der unvorhersehbaren Trends unterworfen ist, Materialkosten zum Beispiel im Bereich der Bildenden Kunst, die vorgestreckt werden müssen, sowie niedrig angesetzte Honorare, Subventionen oder Fördergelder machen das finanzielle Überleben schwer. Mittlerweile gibt es dafür österreichweit und auch im Land Vorarlberg ein gesteigertes Bewusstsein, was wohl auch der Pandemie zu verdanken ist, die wie ein Brennglas wirkte. Man ist sich einig, dass Kunst und Kultur einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten und – nicht zuletzt aufgrund der Umwegrentabilität – einen milliardenschweren Wirtschaftsfaktor im Kultur- und Tourismusland Österreich bilden. Die vom Bund lancierte österreichweite „Fair Pay“-Kampagne sucht nun nach Mitteln und Wegen, wie die Arbeit im Kunst- und Kulturbereich angemessen bezahlt werden kann. Und im Auftrag des Landes Vorarlberg läuft aktuell eine Studie zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen in der freien Kulturszene im Land, um Rückschlüsse für die eigene Subventionspolitik zu gewinnen.
Investition statt Förderung
Der zu Beginn der Pandemie von Vorarlberger Kunst- und Kulturakteur:innen aus Eigeninitative gegründete Verein locart hat von Anfang an einen im Land einzigartigen Weg eingeschlagen. Dies auch deshalb, weil mit Kunst und Kultur lange Zeit eine ganze Sparte in Vergessenheit geriet, als von der Regierung bereits erste Hilfspakete geschnürt wurden. „Es wurde zwar beteuert, wir brauchen Kunst und Kultur“, sagt Barbara Herold, freie Regisseurin, Theaterleiterin und Gründungsmitglied von locart, „besonders von Stimmen aus der Gesellschaft und aus der Wirtschaft, aber es passierte nicht viel. Und wir haben an diese Solidarität appelliert.“ Sie gründete mit neun Gleichgesinnten einen Verein, dessen Ziel es war, Kunst und Kultur durch Investitionen aus der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft während der Pandemie zu unterstützen. „Es ging uns nie um Spenden, sondern eben um die Investition in die Kunst und Kultur, und damit in eine bessere Gesellschaft und ein gutes Leben für alle.“ Investition statt Spende oder Förderung – mit dieser Begrifflichkeit wurde bewusst die Wertigkeit von Kunst und Kultur in ein anderes Licht gerückt. Künstler:innen sind damit nicht mehr Menschen, die gefördert werden müssen, sondern Menschen, deren Arbeit so viel wert ist, dass in sie investiert wird, vergleichbar zu anderen Wirtschaftszweigen.
Gegenseitiges Vertrauen
Das Ergebnis dieses ehrenamtlichen Engagements der zehn Vorstandsmitglieder von locart, allesamt namhafte Kulturakteur:innen des Landes (www.locart.at), war beachtlich: Während der Pandemie konnte zweimal Geld ausgeschüttet werden. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 36 mal 517 Euro verteilt und 2021 waren es 16 Arbeitsstipendien à 1000 Euro. Darum bewerben konnten sich alle professionellen Künstler:innen und Kulturschaffenden des Landes, unabhängig von den Kunstrichtungen. Zudem waren die Gelder nicht an Projekte gebunden, sondern dienten einzig der Lebens-Grundsicherung. „Es war höchst erfreulich, dass wir doch einige Unternehmen und auch Private gewinnen konnten, Geld zu investieren“, sagt Babara Herold und ihre Kollegin und locart-Obfrau Maria Simma ergänzt: „Firmen überlegen sich beim Sponsoring natürlich, was sie selbst davon haben. Das Spannende an unserem Projekt war, dass wir keine messbare Gegenleistung angeboten haben. Es ging stets nur um die Kulturschaffenden selbst, also die Menschen und ihre Fähigkeiten, und um das Vertrauen, das unserem Verein seitens der Partner aus der Wirtschaft entgegengebracht wurde.“ Dass auf diese Weise insgesamt 71.000 Euro gesammelt werden konnten, macht die locart Gründerinnen stolz. Dahinter steckte aber auch viel persönlicher Einsatz aller Vereinsmitglieder. Nicht zuletzt aufgrund dieses konstant erforderlichen Aufwands und der seit Ende der Pandemie mangelnden Zeitressourcen hat der Vorstand sich nun entschlossen, seine Tätigkeit zu beenden.
und Kultur, und damit in eine bessere Gesellschaft und ein gutes Leben für alle.“ Voraussetzung dafür ist natürlich die Bereitschaft, „unsere Welt neu zu denken“ – also außerhalb einer auf
Der zündende Funken
Zum Abschluss möchte locart aber mit drei Jahresstipendien für Künstler:innen noch einen Funken in der Vorarlberger Kulturpolitik zünden. „Es hat sich unserer Meinung nach als Gewinn erwiesen, dass während der Pandemie Arbeitsstipendien ohne Ergebniszwang geschaffen wurden“, sagt Barbara Herold. Das könne sogar zu mehr Kreativität und Arbeitsenergie führen, als wenn immer gleich alles in ein konkretes Projekt mit Produktions- und Termindruck fließen muss. „Deshalb haben wir uns entschieden, mit dem in unserer Kasse verbliebenen Geld drei künstlerische Grundeinkommen zu finanzieren.“ Diese werden auf ein Jahr vergeben und die Auswahl erfolgte im Sinne der Chancengerechtigkeit im Juli per Los. Beworben um die drei Stipendien à 12.000 Euro hatten sich über 45 Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen, per Zufallsprinzip ausgewählt wurden die Autorin und bildende Künstlerin Gabriele Bösch, die Tänzerin und Choreografin Natalie Fend und der Künstler Peter Wehinger.
Wissenschaftliche Begleitung
Damit das Experiment mit dem monatlichen Grundeinkommen von je 1000 Euro auch nachhaltig wirken kann, suchten die locart Verantwortlichen eine Zusammenarbeit mit der FH Vorarlberg. Es gehe ihnen darum, den Feldversuch wissenschaftlich zu begleiten, erklärt Maria Simma. Die Ergebnisse und Rückschlüsse können Körperschaften für eine künftige Förderpolitik hilfreich sein. Für Studienleiter Fabian Rebitzer von der FH eine spannende Aufgabe und sinnvolle >>
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„Firmen überlegen sich beim Sponsoring natürlich, was sie selbst davon haben. Das Spannende an unserem Projekt war, dass wir keine messbare Gegenleistung angeboten haben. Es ging stets nur um die Kulturschaffenden selbst, also die Menschen und ihre Fähigkeiten, und um das Vertrauen, das unserem Verein seitens der Partner aus der Wirtschaft

entgegengebracht wurde.“
© FH Vorarlberg
FABIAN REBITZER FH Vorarlberg Leiter Forschungsgruppe Empirische Sozialwissenschaften
Ergänzung, denn er arbeitet gerade mit seinem Team an der von der Kulturabteilung des Landes in Auftrag gegebenen, bereits erwähnten „Studie zu den Lebens- und Einkommensverhältnissen Vorarlberger Künstler:innen“. „Formal sind die beiden Studien völlig unabhängig“, erklärt Fabian Rebitzer, „aber es wäre wünschenswert, dass wir dann Zusammenhänge herstellen können.“ Einziger Wermutstopfen für den Wissenschaftler: „Aus wissenschaftlicher Perspektive wäre es natürlich besser, wenn viel mehr als drei Künstler:innen dabei wären. Allerdings geht es dabei ohnehin nicht um eine quantitative Analyse. Wir untersuchen die Einzelfälle und das persönliche Erleben der Betroffenen in diesem Zeitraum. Auf Basis solcher Ergebnisse zur Wirkung der Stipendien können auch aus wenigen Fällen Hypothesen für größer angelegte Studien abgeleitet werden.“
Internationale Vorbilder
locart ist mit seinem Experiment übrigens nicht alleine. Aktuell werden auch in Irland und in Amerika Bedingungslose Grundeinkommen für Künstler:innen erprobt, allerdings in völlig anderen Dimensionen. Beim Basic Income for the Arts in Irland soll noch in diesem Jahr die Auszahlung von wöchentlich 325 Euro, das sind 1300 Euro monatlich, an 2000 Kulturschaffende beginnen, dies mit einer Laufzeit von drei Jahren! In San Francisco, USA, erhalten seit Mai 2021 insgesamt 130 Künstler:innen 1000 Dollar monatlich, dies für 18 Monate. Und das bisher wohl größte Grundeinkommens-Projekt für Kunstschaffende ist das Creatives Rebuild New York (dt.: Wiederaufbau Kreativer New York). Hier sollen ab diesem Sommer 2400 lokale Künstler:innen aus dem Bundesstaat New York für eineinhalb Jahre monatlich 1000 Dollar erhalten. Zusätzlich sollen 300 Künstler:innen über zwei Jahre in Gemeindeprojekten zu einem Jahresgehalt von 65.000 Dollar angestellt werden.
An den internationalen Beispielen beeindruckt die lange Dauer der Projekte und die öffentliche Haltung der Initiator:innen. So sagte Ministerin Catherine Martin vom Uns interessieren die Motivation sich zu bewerben, die Erwartungshaltung, natürlich die Erfahrungen im Laufe des Jahres und schließlich im Rückblick dann auch die Erwartungserfüllung und Bewertung dieser Zeit. Für uns ist es spannend, dass es sich um ganz unterschiedliche Künstler:innen handelt, also aus unterschiedlichen Sparten und mit völlig anderen Biografien. Wir suchen darin dann Gemeinsamkeiten und individuelle Bewertungen. Wenn es darum geht, ob ein Bedingungsloses Grundeinkommen ein Förderinstrument in der Breite sein könnte, ist es interessant, diese individuellen Zugänge zu untersuchen. Wir haben aber einen ganz offenen, unvoreingenommenen Zugang. Und wir überlegen uns dann, ob wir dazu Hypothesen erstellen.
irischen Kulturministerium zum Start des Projekts: „Diese neuen Maßnahmen sind ein Ausdruck unserer Werte als Nation – sie zeigen, dass die Stimmen der Künstler:innen gehört wurden und dass Kunst wichtig ist. Es ist eine einzigartige Gelegenheit den Einfluss von Bedingungslosem Grundeinkommen auf die Kunst zu untersuchen und eine Datengrundlage für eine dauerhafte Unterstützung zu schaffen.“
Literaturtipps Maja Göpel: Unsere Welt neu denken: Eine Einladung. Ullstein, Berlin 2020, ISBN 978-3-8437-2311-4 Richard David Precht: Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten. Goldmann, München 2022, ISBN 978-3-442-31551-2
GABRIELE BÖSCH Autorin, Künstlerin
Was bedeutet für dich dieses Stipendium?
Freiraum!

Was erwartest du dir davon?
Ich habe in diesem Jahr künstlerisch was vor, das ich mir nun wirklich gönnen kann. Für ein echtes Grundeinkommen sind 1000 Euro zu niedrig.
Es ist aber eine Unterstützung, die dazu führt, dass ich manch andere Erwerbsarbeit nicht tun muss, deshalb ist es für mich Freiraum.
Was sind die Pläne?
Ich werde meine witzige Seite entdecken (lacht).
© Petra Rainer Was bedeutet für dich dieses Stipendium?
Raum für Kreativität ohne Druck.
Mich in Ruhe aufs Wesentliche konzentrieren können, auf mich und meine Arbeit.
Was erwartest du dir davon?
Ich habe keine konkrete Erwartung, sondern mehr den Wunsch, dass etwas entsteht. Vielleicht etwas Neues in meiner Kunst – losgelöst vom Tanz. Ich sehe es als
Chance, für eine Zeit lang nicht rein zweckgebunden arbeiten zu müssen, wie es bei Ausschreibungen meist der Fall ist. Mich hindert das im Erschaffen eher.
Was sind die Pläne?
Keine Produktion zu forcieren, sondern neue kreative Wege dahin zu gestalten. Ich bekomme Anfang des neuen Jahres mein zweites Kind. Ich weiß mittlerweile, dass ich in dieser Zeit kein anderes großes Projekt stemmen werden kann. Insofern ist für mich das
Stipendium ein großer Glücksfall.
© Sarah Mistura
NATALIE FEND Tänzerin, Choreografin
