LANDxSTADT 3/2021

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KOLUMNE – SIMON LIBSIG

DER ARME REICHE MANN SIMON LIBSIG WORTZAUBERER I AUTOR GESCHICHTENERZÄHLER Der Spoken-Word Künstler gewann mit seinen Texten zahlreiche Poetry Slams. Neben Auftritten und journalistischen Publikationen veröffentlicht Libsig regelmässig Tonträger und Bücher mit seinen Texten und unterrichtet im Rahmen von Schreibförderung- und Storytelling-Workshops.

Ich bin ohne Handy und Internet aufgewachsen, dafür mit Donald Duck. Und ich war richtig süchtig nach diesen Geschichten. Ich verbrachte als Kind vermutlich mehr Zeit in Entenhausen als in der Realität. Und diese Comic-Welt hat auch mein Menschenbild geprägt. Mit Dagobert zum Beispiel hatte ich immer Mitleid. In ihm sah ich den unendlich reichen, aber gleichzeitig sehr armen Mann, der die ständigen Angriffe der Panzerknacker-Bande abwehren und sich um sein Geld sorgen muss. Und diese Diebe waren hartnäckig und kreativ. Sie fanden immer wieder neue Wege in den Geldspeicher. Zum Glück stellten sie sich dann jeweils doch zu schusselig an, und gingen immer leer aus. Das Gute gewinnt, weil die dunkle Seite halt tatsächlich weniger hell ist. In diesem Glauben ging ich fortan durchs Leben. Ich verriegelte nie die Haustür oder die Fenster. Wozu auch? Bei mir gab es ja nichts zu holen. Ich war nicht Dagobert, der im Geld schwimmt. Ich war für Diebe doch völlig uninteressant. Klar. Mir kam am Bahnhof Baden auch schon mal ein Fahrrad weg. Und mein Portemonnaie und meine Identitätskarte in der Pariser Métro. Und in Kanada meine Kamera. Und in St.Moritz meine neuen Skis. Aber ich war nicht ununterbrochen Ziel von Verbrechern und Betrügern. Dann wurde die Welt zunehmend digitaler. Und ich muss zugeben, ich fiel anfangs auf jeden noch so billigen Trick herein. Von meinen Facebook-Freunden sind sicher die Hälfte fake. Und ich schickte schon einer Bekannten von mir Geld für einen dringenden Spital-Aufenthalt. Ich gab mein Passwort preis, weil die Meldung kam, es sei zu alt. Und einmal loggte ich mich im Starbucks ins WLAN ein, nur um später zu merken, dass es von einem Hacker aufgesetzt worden war, der wie ein Gast an einem Tischlein vor seinem Computer sass. Ich habe schon schockierende

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Videos angeklickt, die offenbar von mir im Umlauf sind, und blind auf Mails von der Post oder der Bank reagiert. Ich habe Wettbewerbe ausgefüllt, für Umfragen freigiebig Auskunft gegeben, oder Software runtergeladen und installiert, die meinen Computer angeblich schützen soll. Und einmal habe ich aus lauter Neugierde einen USB-Stick (in Herzform), den eine mir völlig unbekannte aber äusserst attraktive Frau auf ihrem Tram-Sitz hatte liegen lassen, in meinen Computer gesteckt und darauf einen Ordner angeklickt, der mit dem Titel «Nacktfotos» überschrieben war… Natürlich war ich blauäugig. Aber ich musste erst lernen, dass ich in der heutigen Welt niemand anderes bin als Dagobert. In meinem Speicher türmen sich wertvolle Daten. Und jeden Tag greifen die Panzerknacker an. Hartnäckig und kreativ. Und häufig heller als ich. Und es beginnt ja erst. Alles, was vernetzt ist, kann man hacken. Oder lahm legen. Jedes Gerät, jede Firma, Jede Stadt. Passiert ja schon. Regierungen werden erpresst. Wahlen manipuliert. Man kann weder Bild noch Ton vertrauen. Was ist noch real? Was ist deep fake? Ich darf mir gar nicht vorstellen, was man mit Drohnen-Schwärmen anrichten kann, oder mit Pflege-Robotern oder selbstfahrenden Autos… Stopp! Ich spüre ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber anderen Menschen aufsteigen, und das ist wohl der gefährlichste Hacker-Angriff aller Zeiten. Ich bin jedenfalls nicht gewillt, darauf herein zu fallen. Zwar schliesse ich meine digitale Tür nun öfter ab, aber ich verrammle nicht mein Herz. Und zur Entspannung lese ich ein Micky Maus Heftli.


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