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Michel Gammenthaler: Der Komiker und Zauberer ist mit seinem siebten Solo- Programm auf Tournée

Der Komiker und Zauberer Michel Gammenthaler ist mit seinem siebten Solo-Programm «Blöff» auf Tournée. Gestartet wird auf der Bühne Heimat in Ehrendingen Mitte Oktober.

«ICH WILL ZUM EMINEM DER ÜBERGÄNGE WERDEN»

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Michel Gammenthaler ist mit seinem siebten Solo-Programm «Blöff» auf Tournee. Der 49-jährige Zauberer und Komiker spricht über die Zwangspause und besondere Momente auf der Bühne.

Text: Stephan Santschi Bilder: Mirco Rederlechner

Die Sommerpause ist beendet, Sie treten wieder vor Publikum auf. Wie fühlt sich das an? Vor kurzem hatte ich eine Show, die sich fast wie früher anfühlte. Generell aber ist jeder Auftritt wie ein Neuanfang. Darf ich auftreten? Unter welchen Bedingungen? Werden die Leute kommen? Ich bin nicht der Einzige in der Kulturbranche, der sich diese Fragen stellt. Tourneen, die unter normalen Umständen ausverkauft wären, sind nur zu 30 bis 50 Prozent ausgelastet. Das ist natürlich viel zu wenig. Bis Normalität einkehrt, wird es noch länger dauern. Die schwierigen Momente werden für die Kultur erst noch kommen.

Weshalb? Weil Kleinkünstler und Komödianten die Präsentation ihrer neuen Stücke weit im Voraus planen, doch das ist derzeit nicht möglich. Viele Veranstalter buchen aufgrund der Ungewissheit wegen der Coronasituation vorerst keine Gastspiele auf weite Sicht. Die Entschädigungszahlungen des Bundes werden wohl irgendwann wegfallen. Und auch Engagements von Künstlern an Firmenevents haben wahnsinnig stark abgenommen.

Machen Sie sich Gedanken über einen beruflichen Plan B? Schon seit einigen Jahren betätige ich mich auch hinter der Bühne, schreibe Stücke und Nummern für andere Künstlerinnen und Künstler und berate sie in den Bereichen Comedy, Zauberei und Bühnenpräsenz. Ich spiele auch mit dem Gedanken, ein Buch zu schreiben, habe auch schon eine konkrete Idee. Von der Bühne werde ich aber nicht verschwinden, dafür liebe ich die Liveauftritte zu sehr.

Wie gehen Sie mit Nervosität um? Sie zitierten einst den britischen Zauberer Paul Daniels: «Die Leute zahlen, damit sie mich auf der Bühne sehen, sie freuen sich darauf, also wäre es absurd, nervös zu sein.» Ja, das sagte ich. Doch so gerne ich es hätte, es stimmt nicht. Mein Job ist mir zu wichtig, ich war und bin vor Auftritten immer nervös. Vielleicht wollte ich das früher einfach nicht sehen.

Also erlaubten Sie sich einen kleinen Blöff. Womit wir bei Ihrem siebten Soloprogramm wären. Was erwartet die Zuschauer? Geblöfft wird nicht nur am Pokertisch. Sie kennen sicher den Spruch: «Jeder kann sein Leben genau so gestalten, wie er will.» Oder: «Den Erfolg muss man nur wollen, dann stellt er sich auch ein.» Das ist geblöfft, wir machen uns etwas vor.

«Die Ideen fi nde ich im Alltag. Wenn man Augen und Ohren off enhält, erlebt man sehr komische und witzige Situationen. Es bieten sich Berge an Inputs, welche ich zu Comedy verarbeite.»

Michel Gammenthaler

Was wird verkauft, wie wird manipuliert? In meinem Programm beleuchte in den Blöff aus verschiedenen Perspektiven.

Auf der Bühne sind Sie ja selbst ein verblüffender Schwindler. (schmunzelt). De nitiv. Ursprünglich war ich ja Zauberer und der Zauber ist eng mit dem Blöff verhaftet. Ich habe aber früh die Comedy in meine Auftritte reingenommen, sonst wäre meine Solokarriere nie so rausgekommen.

Bilden Sie mit «Blöff» auch die Gegenwart ab, in der viele Menschen glauben, alles über Corona zu wissen und keine anderen Meinungen zuzulassen? «Blöff» habe ich schon vorher geschrieben, ich bin nicht jemand, der sich auf tagesaktuelle oder politische Themen fokussiert. Die Coronasituation wirkt aber wie eine Lupe auf der Gesellschaft. Sie zeigt, wie die Menschen sind, wie sie ticken, wie sie mit anderen umgehen.

Wenn Sie einen Gegenstand in den Händen halten, überlegen Sie sich dann, was Sie damit zaubern könnten? Das kommt vor, ja. In meinem neuen Programm schaffe ich es aber besser als je zuvor, gegenstandslos, also praktisch ohne Requisiten zu zaubern. Die Ideen nde ich im Alltag. Wenn man Augen und Ohren offenhält, erlebt man sehr komische und witzige Situationen. Es bieten sich Berge an Inputs, welche ich zu Comedy verarbeite. Das mache ich sehr gerne.

Wie stark mischen Sie spontane Einlagen in ein geplantes Programm? In einer geschlossenen Gesellschaft, etwa bei einem Abendessen, wo ich während 30 Minuten für Unterhaltung sorge, ist es meine Aufgabe, das Publikum zu erspüren. Dann kann es während eines Auftritts x-mal zu einer spontanen Umstellung kommen. Optimal ist, wenn das Publikum nicht merkt, wo eine Nummer aufhört und wo die nächste beginnt. Ich mache wahnsinnig gerne solche smoothen Übergänge. Über den Rapper Eminem sagt man ja, dass er jedes Wort auf jedes Wort reimen kann. So gesehen, möchte ich zum Eminem der Übergänge werden, der von jedem Thema zu jedem anderen Thema überleiten kann. Bei einem abendfüllenden Programm bleibe ich derweil beim Plan, wobei eine gewisse Eigendynamik reinkommt, wenn ich Leute auf die Bühne hole.

Wie gehen Sie bei der Auswahl vor? Ich versuche, sehr wach zu sein, mir Reaktionen, Bemerkungen oder kleine Dialoge mit Zuschauern zu merken und sie während meines Auftritts zu verarbeiten. Dann kann es sein, dass ich eine Person 45 Minuten, nachdem sie mir aufgefallen ist, als Mitspieler auswähle.

Liegen Sie damit immer richtig? Ich habe mir bisher erst zweimal einen richtigen Fehlgriff geleistet.

Michel Gammenthaler wusste bereits mit sieben Jahren, dass er Zauberer werden wollte.

Was geschah? Einmal handelte es sich um eine Frau, die so gut wie gar nichts hörte. Die ganze Gesellschaft wusste das, nur ich nicht. Die Frau nickte, auch wenn sie nein meinte und so kam sie auf die Bühne. Ein andermal entschied ich mich für einen stockbetrunkenen Mann, das merkte ich aber erst, als er auf der Bühne war.

Und wann wird es zu einem ausserordentlichen Erlebnis? Menschen sind vor allem an Menschen interessiert. Wenn sich die Leute auf der Bühne etwas zu sagen getrauen, kommen dabei immer wieder unglaubliche Gags heraus. Für die Zuschauer ist das sehr reizvoll, sie wissen, dass dies nicht geplant sein kann und dass dies nur heute so passiert. Einzigartige Dinge haben die Leute sehr gerne.

Welche Inhalte kommen beim Publikum besonders gut an? Situationen, in denen der Zuschauer sich wiedererkennt und sagt: Genauso ist es! Die Amerikanerin Judy Carter sagte einmal, dass es richtig lustig ist, wenn der Sketch wahr ist und ein wenig weh tut. Einer meiner erfolgreichsten Nummern war jene mit dem Kind, welches mit den Eltern Skifahren lernen musste, um für das Skilager parat zu sein. Das Skilager wurde zuerst gestrichen, und als im

«Grundsätzlich kann alles negative Auswirkungen haben. Auf die Bühne zu gehen und zu glauben, dass an meinem Auftritt niemand Anstoss fi ndet, kann man komplett vergessen.»

Michel Gammenthaler

nächsten Jahr nur ein Skitag durchgeführt wurde, kreuzte das Kind Schlitteln an…

Im Gegensatz dazu, welche Themen sind heikel? Grundsätzlich kann alles negative Auswirkungen haben. Auf die Bühne zu gehen und zu glauben, dass an meinem Auftritt niemand Anstoss ndet, kann man komplett vergessen. Und das kann wirklich bei jedem Thema geschehen. Als ich eine Figur Namens Volker imitierte, einen Ergotherapeuten, der empathisch aber etwas durchgeknallt war, meinte hinterher eine Zuschauerin, ich dürfe nicht eine ganze Berufsgruppe in Verruf bringen. Ein andermal sagte ich zweimal hintereinander «Jesses!», woraufhin mich später eine ältere Dame tadelte, ich könne doch nicht ständig den Herrgott anrufen.

Früher imitierten Sie regelmässig Figuren, seit dem fünften Solo-Programm treten Sie aber nicht mehr verkleidet auf. Weshalb? Ein Zauberer versteckt sich schnell einmal hinter seinen Tricks. Der Zuschauer erlebt so mehr einen Showact und weniger den Menschen. Wenn ich nun noch eine Figur spiele, trage ich sogar eine Doppelschicht auf. Ich musste mir stets überlegen: Was würde die jeweilige Figur in dieser Situation machen? Das hat mich sehr eingeengt und so entschied ich, dass ich keine Lust mehr darauf hatte. Es gab Stimmen, die meinten, dass ich bald weg vom Fenster sein würde, wenn ich nicht mehr Figuren spielen würde. Vor dem ersten Auftritt hatte ich dann auch einen entsprechenden Alptraum.

Erzählen Sie. Ich trat nach einem Auftritt ins Foyer, wo mich die Menschen anschauten und den Kopf schüttelten. Im Sinne von: Das ist wohl nichts gewesen. Tatsächlich bin ich seither aber viel näher an den Leuten, viel fassbarer.

Wann wussten Sie, dass Sie Zauberer werden wollen? Bereits mit sieben Jahren. Es ist ein totales Geschenk, zu wissen, was man will und dann bereits mit sieben Jahren! Das Schlüsselerlebnis hatte ich während meiner Zeit als Barkeeper, als ich mit einem Gast ins Gespräch kam. Es handelte sich um einen leitenden Angestellten, der es geschafft zu haben schien. Bis er mir sagte, dass er lieber etwas anderes machen würde. Ich entschloss, dass mir dies nicht passieren sollte. Kurz darauf trat ich in zwei Programmen mit meinem Bühnenpartner Christoph Borer auf, ehe ich Solist wurde.

Ihre Partnerin Andrea Weber ist gleichzeitig Ihre Managerin. Wie funktioniert das und wie trennt ihr Beruf- und Privatleben? Es funktioniert extrem gut. Ich habe nie das Gefühl, dass wir nur über die Arbeit reden. Wir sind sehr intensiv an der Arbeit dran, klinken uns aber auch gut aus. Ich war noch nie mit einem Menschen so viel zusammen und ich darf sagen: Es ist sehr befreiend. Wir erleben vieles gemeinsam.

Kann die berufliche Kritik des Partners auch nerven? Andrea war jahrelang Produzentin beim SRF im Bereich Comedy und Unterhaltung, hat extrem viel Erfahrung, betreute auch Sitcom-Akteure und Autoren. Sie weiss haargenau, wie es funktioniert, ist gnadenlos analytisch und pragmatisch. Das kann recht heftig sein, ich brauche wirklich gute Argumente, wenn ich widerspreche, das ist sehr gewinnbringend. Klar geraten wir uns privat ab und zu auch in die Haare. Gerade kürzlich, als wir uns darauf hinwiesen, einander nicht erklären zu müssen, wie wir unser Zeug zu machen hätten.

Was machen Sie in der Freizeit? Wir sind sehr gerne draussen, spazieren querfeldein. Wir wandern mit einer gewissen Absicht los, irgendwohin, ändern spontan den Plan und landen manchmal plötzlich auf einer Route, wo wir sogar den Hund tragen müssen oder es ist schon längst dunkel geworden. Ich mag es aber auch, an einem Fluss oder in einer Waldlichtung zu stehen oder zu sitzen und einfach nur zu schauen.

Persönlich

BLöFF – Comedy & Schwindel

Name Gammenthaler Vorname Michel Geburtstag 17.08.1972 Geburtstsort Zürich Wohnort Uster Familie geschieden (Söhne Yann, 21 und Lio, 16) Hobbys Kochen, Lesen, Fitness Beruf Komiker und Zauberer Ausbildung KV auf Reisebüro, Barfachschule Werdegang Zwei Programme mit Christof Borer, sieben Solo programme, mit Circus Knie als Gastkomiker auf Tournee, Host eigener Comedy-Formate im Schweizer Fernsehen Wichtige Auszeichnungen Salzburger Stier (2010)

14.10.2021 20:30, Bühne Heimat, Ehrendingen 15.10.2021 20:30, Bühne Heimat, Ehrendingen 16.10.2021 20:30, Bühne Heimat, Ehrendingen 18.10.2021 20:30, Das Zelt - Comedy Club, Aarau 20.10.2021 20:00, Casinotheater, Winterthur 21.10.2021 20:00, Casinotheater, Winterthur Weitere Termine unter www.michel-gammenthaler.ch

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