55 JAHRE KFS
FAMILIE LEBEN
Stille Die Macht zu hören
Foto © Shutterstock
Auf natürliche Weise hören: Das ist Karin Unterholzners größter Wunsch. Ein Implantat und ein Hörgerät unterstützen die Ohren der 49-jährigen Boznerin maschinell. Im Benediktinerkloster in Gries sucht der mit 81 Jahren älteste Mönch P. Plazidus Hungerbühler die Stille immer bewusster. Er bietet Schweigen in der Gruppe an. Für Benedetta Michelini aus Oberbozen gehört morgendliches Schweigen seit fast 25 Jahren zum Tagesauftakt. Jährliche Schweigewochen begleiten sie zu den Wurzeln. Während viele Menschen sich besonders in der Vorweihnachtszeit nach Lautlosigkeit sehnen, bedeutet das für andere Ausschluss aus der Gesellschaft. Vom Wert und Fluch der Stille.
Unser Bedürfnis nach Stille ist ein relativ junges Phänomen, Ohropax beispielsweise wurden erst 1907 erfunden. Auch die akustische Maßeinheit Dezibel ist nicht alt.
B
eschauliche Stille kennt Karin Unterholzner aus Bozen nicht. Sie kann ihr auch nichts abgewinnen. Bedingt durch Röteln in der Schwangerschaft hörte sie schon als kleines Mädchen schlecht. Links ist ihr „gutes“ Ohr. Dort ist ganz wenig natürliches Restgehör vorhanden, das mit einem Hörapparat verstärkt wird. Rechts trägt sie ein Cochlea-Implantat. Die Maschine macht den größten Teil ihres Gehörs aus. Sie kann auch Vogelgeräusche wahrnehmen. Wie sich natürliches Hören anfühlt, weiß sie schon lange nicht mehr. Die Ärzte raten
4
06 | 2021
ihr, auch im linken Ohr ein Implantat einzusetzen. Doch die Angst ist groß, das selbstständige Hören ganz zu verlieren. Die 49-jährige Mutter von zwei Buben im Alter von 13 und 15 Jahren leidet auch unter Sehschwäche. Mit vier Jahren trug sie ihre erste Brille. Sie war ein geselliges Kind, eine aufgeschlossene Jugendliche, maturierte und studierte. Von der Innenohrerkrankung Morbus Menière hörte sie als 27-jährige Studentin in der Schweiz zum ersten Mal. Dem waren zehn Jahre starker Schwindel, Tinnitus und Hörverschlechterung vorausgegangen. Niemand hatte