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WISSENSCHAFT SCHAFFT WISSEN Starke Wirtschaftsstandorte sind in der Regel auch starke Wissenschaftsstandorte. Dies gilt quasi weltweit. Abgesehen von Regionen mit reichen Rohstoffvorkommen fußt der Wohlstand eines Landes oft in dessen Innovationsund Forschungskraft. Die Coronapandemie hat uns eindrücklich vor Augen geführt, welchen – global wichtigen – Stellenwert die Wissenschaft einnimmt, auch wenn man ihr hierzulande oft skeptisch gegenübersteht. INTERVIEW: MARINA BERNARDI
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ie ist eine der führenden Virologinnen des Landes und eine Frau, die auch Unbequemes ausspricht. Damit macht man sich nicht nur Freunde. Dorothee von Laer ist seit 2010 Professorin am Lehrstuhl für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck und forscht an ihrem Institut zum Einsatz onkolytischer (tumorzerstörender) Viren in der Krebstherapie sowie zur Gentherapie bei HIV-Infektionen. In der österreichischen Öffentlichkeit bekannt wurde sie indes durch ihre fachliche Expertise im Rahmen der COVID-19-Pandemie. Im Interview spricht sie über Wissenschaft, Tirol und die Zusammenarbeit mit der Politik.
ECO.NOVA: Welchen Stellenwert haben Wissenschaft und Forschung für einen Standort wie Österreich bzw. welchen sollten sie haben? DOROTHEE VON LAER: Die Wissenschaft ist ein wichtiger Grundpfeiler für die Entwicklung eines Landes. In Österreich liegt der Schwerpunkt diesbezüglich eher im Osten. In Wien findet viel Forschung und Innovation statt, zahlreiche Startups entstehen und viele Industriebetriebe haben hier oft sogar ihren globalen Hauptsitz. Ich denke, in Tirol sind wir noch nicht ganz so weit, auch wenn in den Universitäten und Fachhochschulen hervorragende Arbeit geleistet wird. Als führenden Wissenschaftsstandort sehe ich Tirol dennoch nicht. Aufgrund der Größe des Landes wäre es vermutlich auch ein wenig übertrieben, ein großes Forschungs- und Innovationszentrum aufbauen zu wollen.
Ist und bleibt Tirol ein Tourismusland? Wirtschaftlich jedenfalls ist Tirol nach wie vor stark vom Tourismus abhängig. Das hat in der Vergangenheit gut funktioniert, insofern hat man bisher vielleicht auch nicht so viel Wert darauf gelegt oder die Notwendigkeit gesehen, die Wissenschaft vermehrt zu fokussieren. Es sind durchaus Aktivitäten angestoßen worden, aber nicht in dem Ausmaß wie anderswo.
Sie sind im Hamburg geboren und waren lange Zeit in Deutschland an führenden Instituten in Hamburg, Freiburg und Frankfurt tätig. Was hat Sie letztlich nach Tirol verschlagen? Der Ruf auf die Professur. Als Virologin hat man es diesbezüglich nicht so leicht, die Stellen im deutschsprachigen Raum sind rar. 2010 wurde am Institut für Virologie der Medizinischen Universität Innsbruck eine Professur sowie die Institutsleitung frei. Tirol hat außerdem einen hohen Freizeitwert, deshalb habe ich die Stelle in Innsbruck angenommen.
Während der Pandemie war die Wissenschaft wohl so präsent wie zu kaum einer anderen Zeit. Es hat allerdings auch gezeigt, wie skeptisch viele Menschen der Wissenschaft gegenüberstehen. Woher kommt das? Es gibt Studien, die zeigen, dass Österreich zur wissenschaftsfeindlichsten und naturwissenschaftlich am wenigsten informierten Bevölkerung in Europa gehört. Nun kann man breit darüber spekulieren, wa-
ZUR PERSON
Dorothee von Laer wurde 1958 in Hamburg als Tochter des späteren Nobelpreisträgers Klaus Hasselmann geboren. Sie studierte an der Universität Hamburg Medizin und war als wissenschaftliche Mitarbeiterin in Hamburg und Freiburg tätig. 1994 beendete sie die Facharztausbildung für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie, 1996 folgte die Habilitation an der Universität Freiburg. Im Jahr 2000 gründete sie gemeinsam mit fünf weiteren Wissenschaftlern das BiotechUnternehmen Vision7, das auf dem Gebiet der Gentherapie bei HIVInfektionen tätig war. 2003 folgte sie einem Ruf an die Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Professorin für Angewandte Virologie und Gentherapie. Obwohl die Berufung auf Lebenszeit erfolgte, wechselte sie am 1. Jänner 2010 nach Tirol als Professorin und Leiterin des Instituts für Virologie an der Medizinischen Universität Innsbruck. 2013 war sie Mitbegründerin des Uni-Spin-offs ViraTherapeutics, das auf ihren Forschungen zu onkologischen Viren basierte, mit einer Reihe von Innovationspreisen ausgezeichnet und 2018 für einen dreistelligen Millionenbetrag an das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim verkauft wurde. Dorothee von Laer ist in zweiter Ehe (Holm) verwitwet und aus erster Ehe (von Laer) Mutter dreier Töchter. Sie wohnt mittlerweile zu einem großen Teil im Burgenland.