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„ES WERDEN EIN PAAR MAGERE JAHRE KOMMEN“ Eine Stagflation, das unheilvolle Zusammentreffen einer stagnierenden Wirtschaft bei gleichzeitig hoher Inflation, wird wahrscheinlicher. Es gibt sowohl Parallelen als auch Unterschiede zur letzten Stagnationsphase in den 1970er-Jahren, die der Weltwirtschaft ein verlorenes Jahrzehnt beschert hat. Hintergründe und Ursachen haben wir mit Universitätsprofessor Jürgen Huber ausgeleuchtet, der nun den Zahltag dafür gekommen sieht, dass wir viele Jahre „über unsere Verhältnisse gelebt haben“, und für Vermögenssteuern plädiert, um die kommenden Herausforderungen zu schultern. INTERVIEW & FOTOS: MARIAN KRÖLL
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ECO.NOVA: Der renommierte Ökonom Kenneth Rogoff sieht das Risiko eines perfekten Sturms heraufziehen und mit ihm eine mögliche Stagflation. „Weil Europa in einer Rezession ist, wegen des Kriegs in der Ukraine, China ist in einer Rezession wegen der misslungenen COVID-Lockdown-Politik und die USA weil die Notenbank eventuell die Zinsen zu schnell und zu stark erhöht“, lautet dessen Begründung. Was ist Stagflation und müssen wir uns vor ihr fürchten? JÜRGEN HUBER: Stagflation ist grundsätzlich ein Kunstwort, gebildet aus Stagnation und Inflation – kein reales Wirtschaftswachstum, gekoppelt mit relativ hoher Inflation. Der Begriff stammt aus den 1970er-Jahren. Damals gab es genau dieses Szenario, mit ähnlichen Vorzeichen wie heute. Es gab mit dem Vietnamkrieg einen großen Krieg und zwei Ölpreisschocks 1974 und 1979. Diese Faktoren haben die Inflation damals wesentlich angeschoben. Der Sozialstaat war in einer Sackgasse, das schnelle Wachstum der Nachkriegszeit vorbei. Jeder hatte ein Auto, eine Waschmaschine und konnte sich einen Urlaub leisten. Die Wirtschaft wuchs kaum noch, die Inflation hat sich über eine Lohn-Preis-Spirale konstant bis auf schließlich 17 Prozent in den USA 1980 hinaufgeschraubt. Das war das Resultat der letzten Stagflation vor über vier Jahrzehnten. Das waren wirtschaftlich keine guten Jahre. Die Reallöhne sind nicht
gestiegen bzw. eher gesunken und auch die Erträge aus Aktien und Anleihen waren mau bis negativ. Wie wurde diese Stagflation damals beendet? Das Ganze wurde durch eine sehr brachiale Zinserhöhung der US-Zentralbank Fed rund um Notenbankchef Paul Volcker beendet. Die Zinsen wurden bewusst so weit nach oben gefahren, wie es notwendig war, wissend, dass das eine enorme Rezession auslösen würde.
Der US-Leitzins wurde damals auf für heutige Verhältnisse unglaubliche 20 Prozent erhöht. So ist es, und auf deutschen Sparbüchern bekam man zwölf Prozent Zinsen. Eine Situation, die man sich heute sehr schwer vorstellen kann.
Sie haben einige Parallelen zu den 1970er-Jahren ausgemacht, aber es gibt auch Unterschiede. Die Niveaus der Staatsverschuldung waren damals nicht annähernd so hoch wie heute. Es gibt einige ganz krasse Unterschiede zwischen der Situation 2022 und in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren: Früher haben die Notenbanken relativ schnell auf steigende Inflationsraten reagiert und die Leitzinsen entsprechend erhöht. Das ist in den USA und vor allem in Europa – acht Prozent Inflation und Zinsen zugleich immer noch im Nullbereich – diesmal nicht geschehen. Das ergibt ungeheure negative Realzinsen, die jedem nützen, der Schulden hat, und jedem schaden, der Geld hat. Geld, sei es am Sparbuch oder als Bargeld, bringt derzeit garantiert acht Prozent Verlust. Fixverzinste Kredite
„Wer am meisten durch die Geldflut gewonnen hat, sollte nun auch solidarisch zur Lösung der Probleme beitragen – auch zur Eindämmung der Ungleichheit und um die kommenden Belastungen zu schultern, muss man über Vermögenssteuern reden.“ JÜRGEN HUBER