Europa aus Rasse und Raum

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Die Grundzüge der “Neuordnung "

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"Mit nachtwandlerischer Sicherheit schritt Bismarck voran und bahnte den Weg in eine größere Zukunft: überall den Dingen folgend und sie in steigendem M aße beherrschend, und innerlich auf das Höchste gerichtet, das möglich werden könnte. - W er möchte dabei nicht an die Politik des Führers bis 1938 denken!"112 Das Dritte Reich hatte sich selber als "Vollender" der interpretierten Traditionslinie in die deutsche Geschichte eingeordnet, da im "Führer als dem wahrhaft 'weltgeschicht­ lichen Individuum'... all dieses seinen unmittelbarsten Ausdruck" gefunden habe. Erst in ihm sei "das Reich als Idee und Gestalt der geschichtlich-politischen Einheit des gesamt­ deutschen Volkstums unmittelbar handelnde und vollstreckende Persönlichkeit"113 geworden. Politischer Charakter und politische Gebundenheit der W issenschaft trium­ phierten endgültig und trieben die merkwürdigsten Blüten. Schon allein die Übertragung nationalsozialistischer Begrifflichkeit auf die ausgewählten historischen Ereignisse und Prozesse verdeutlichte die direkte Absicht der propagandistisch orientierten Geschichts­ deutungen: Das Dritte Reich beanspruchte für sich das Privileg, die "zweite Grundle­ gung Europas" mit seinen "Neuordnungs"-Vorstellungen in A ngriff zu nehm en.114 Abgeleitet von den beschworenen "germanischen Traditionen" und ihrer eigenwil­ ligen nationalsozialistischen Interpretation griff die Idee einer "Neuordnung aus der Mitte Europas" heraus dann zusätzlich auf "rassisch-biologische" Ordnungskriterien zurück, die das Bild der nationalsozialistischen "Europa"-Vorstellungen, das aus den historischen Traditionslinien ansatzweise erkennbar wurde, weiter vervollständigten.

2.2.2. Die rassisch-völkischen Ordnungskriterien Die rassisch-biologische Grundlegung der "Neuordnungs'-Vorstellungen knüpfte an die bereits beschriebene Krise des Nationalismus und des Nationalstaatenprinzips an, die in den Auseinandersetzungen der Zwischenkriegszeit scheinbar deutlich geworden war. Diese Krisenprozesse wurden jetzt von der nationalsozialistischen Propaganda au f die politische Rolle des Nationalismus zurückgefuhrt, der mit seinem vorgeblich falsch verstandenen Selbstbestimmungsrecht der Staaten den europäischen K ontinent zerrissen habe. Um dieser Entwicklung zu begegnen, wertete die N S-Publizistik die "volks­ politischen Wertmaßstäbe" auf, die vor allem in den dreißiger Jahren das "Volkstum" als Gegenmodell zum Nationalstaat wiederbeleben sollten.115 Wie K arl H einz Pfeffer dann 112

Ebenda, S. 167.

113

Vgl. Das Reich und Europa, a.a.O., Einleitung von P. Ritterbusch, S. XII.

114

Vgl. F.A. Six: Das Reich und die Grundlegung Europas, a.a.O., S. 35.

115

Vgl. W. Hasselblatt: Volkspolitische Wende in Europa, in: Europäische Revue, 1939, S. 28-34, S. 28.


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