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und Propaganda: Kriegsziel und Kriegsmittel

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"Neuordnung"

"Neuordnung"

M itteleuropapläne nunmehr nicht mehr Selbstzweck, sondern lediglich den Ausgangspunkt für die eigentlichen Ziele, den "Lebensraum"-Krieg im Osten, bedeuteten.81 Dabei wandelte sich die zunächst rein gewaltpolitisch vertretene Forderung nach mehr "Lebensraum" während der aktiven Außenpolitik des NS-Regimes zur Idee einer neuen übernationalen kontinentalen Ordnung, die die deutschen Expansionsabsichten gleichsam durch die Vision einer europäisch motivierten "Neuordnung" zu begründen suchte, D ie eigentlich angestrebte hegemoniale Umgestaltung des europäischen Kontinents erhielt damit den Doppelcharakter, gleichzeitig deutsches Kriegsziel und propagandistisch wirksames Kriegsmittel zu sein, das sich der zeitgemäßen europäischen Gedanken hemmungslos bediente.

1.1.2. Die "Neuordnung" Europas zwischen nationalsozialistischer Politik und Propaganda: Kriegsziel und Kriegsmittel

Bereits unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatten angesichts der traumatischen Erfahrungen von Niederlage und Verlust in den Überlegungen extrem rechter Gruppierungen massive Revisionsideen in Deutschland Fuß gefaßt. Ihren prägnantesten Ausdruck fanden sie in der NSDAP, deren außenpolitisches Programm weitgehend von der Person Adolf Hitlers bestimmt und repräsentiert wurde.82 Schon in Hitlers "Mein Kampf' wurden die Grundzüge der außenpolitischen Programmatik beschrieben, die dann nach dem Machtantritt den "Europa"-Gedanken übernahm, um die unverhüllte Forderung nach mehr "Lebensraum" zu begründen. Hitler verkündete:

"Die Außenpolitik des völkischen Staates hat die Existenz der durch den Staat zusammengefaßten Rasse auf diesem Planeten sicherzustellen, indem sie zwischen der Zahl und dem Wachstum des Volkes einerseits und der Größe und Güte des Grund und Bodens andererseits ein gesundes, lebensfähiges, natürliches Verhältnis schafft. Als gesundes Verhältnis darf dabei immer nur jener Zustand angesehen werden, der die Ernährung eines Volkes auf eigenem Grund und Boden sichert... N ur ein genügend großer Raum auf dieser Erde sichert einem Volke die Freiheit des Daseins. Dabei kann man die notwendige Größe des Siedlungsgebietes nicht ausschließlich von den Erfordernissen der Gegenwart aus beurteilen... Denn wie ich schon im ersten Band...

81 Vgl. A. Hillgruber: Kontinuität und Diskontinuität in der deutschen Außenpolitik von Bismarck bis Hitler, a.a.O., S.31; sowie B.-J. Wendt: Großdeutschland, München 1987, S. 68. 82 Vgl. A. Kuhn: Hitlers außenpolitisches Programm, a.a.O., S. 32ff, 37ff; sowie K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933 1945. Kalkül oder Dogma? Stuttgart/Berlin/ Köln 1990, S. 19ff; und E. Jäckel: Hitlers Weltanschauung, Stuttgart 1991, S. 29 ff, 42ff.

ausführte, kommt der Grundfläche eines Staates außer ihrer Bedeutung als direkter Nährquelle eines Volkes auch noch eine andere, die militär-politische, zu... Damit ziehen die Nationalsozialisten bewußt einen Strich unter die außenpolitische Richtung unserer Vorkriegszeit. Wir setzen dort an, wo man vor sechs Jahrhunderten endete. Wir stoppen den ewigen Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und weisen den Blick nach dem Land im Osten. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm Untertanen Randstaaten denken..."83

Bereits hier beschrieben die Begriffe von "Volk", "Rasse", "Raum" und "Bodenpolitik", die letztlich auf Autarkie drängte, die ideologischen Grundzüge der späteren "Neuord- nungs"-Propaganda in gleichsam unverhüllter, von politischen Rücksichten freier Form. Keineswegs singulär griff Hitler mit diesen Vorstellungen geopolitische Gedanken auf, die er allerdings falsch interpretierte,84 und benutzte die expansiven Pläne der wilhelminischen Ära genauso wie die Revisionsansprüche in der Weimarer Republik. Sein "Lebensraum"-Konzept vereinte militärpolitische, emährungspolitische und rassenbiologische Tendenzen, die durch eine eindeutige ideologische Frontstellung gegen Bolschewismus und Liberalismus und einen ausgeprägten hegemonialen Anspruch ergänzt wurden.85 Die Idee, neuen "Lebensraum" im Osten Europas zu erobern, dokumentierte letztlich den Übergang von einer eher konservativen Kolonialideologie zu einer - den realen Kräfteverhältnissen gemäßeren - gegen Rußland gerichteten Expansion, die die imperialistischen Ambitionen Deutschlands nunmehr auf den europäischen Kontinent verlagerte.86 Schlüsselerlebnis dafür war der deutsche Zusammenbruch im Ersten Weltkrieg, der die Forderung nach Revision und Wiedergutmachung in den Vordergrund der außenpolitischen Erwägungen sowohl konservativer als auch extrem rechter Kreise gerückt hatte, die damit breite Zustimmung in der Bevölkerung fanden.87

Ausgehend von sozialdarwinistischen Vorstellungen, die "Wert" und "Bedeutung" eines Volkes nach seinem Besitz an "Raum" bestimmten, entwickelte Hitler ein Expansionsprogramm, um der angeblich drohenden Überbevölkerung einen Ausweg zu öffnen. Damit wurde die NSDAP auch für weite Teile der Wirtschaft ausreichend attraktiv, so daß sie mit der programmatischen Forderung nach mehr "Lebensraum" die Macht

83 A. Hitler: Mein Kampf, München 1930, S. 728, 742. 84 So forderte Ratzel zwar ein "großräumiges Denken", lehnte aber Eroberungen als Lösung für Europa ab. ■ 85 Vgl. K. Lange: Der Terminus "Lebensraum" in Hitlers "Mein Kampf, a.a.O., S.426ff; sowie W. Michalka: Ribbentrop und die deutsche Weltpolitik, München 1980, S. 303ff. 86 Vgl. W.J. Mommsen: Der europäische Imperialismus, Göttingen 1979, S. 71; sowie I. Ker- shaw: Ideologe und Propagandist, in: VHZ, 1992, S. 265. 87 Vgl. E. Jäckel: Hitlers Weltanschauung, a.a.O., S. 29.

antreten konnte.88

D ie in diesem Zusammenhang von D. Diner vertretene These, daß der geopolitisch bestimmte B egriff "Lebensraum" "nicht als eine, wie weit auch immer gesteckte, Gebietserw eiterung zu konkretisieren (sei), sondern... ein vom realen geographischen Raum unabhängiges und durch die neue Gesellschaftsformation verlorengegangenes Lebensgefühl"89 widerspiegele, mag auf den Bereich der Geopolitik zutreffen, reicht aber nicht aus, um den realen politischen und durchaus geographisch verstandenen Gehalt der nationalsozialistischen Idee vom "Lebensraum" zu fassen.90 Für Hitler selber bedeutete der "Lebensraum im Osten" sowohl ein agrarisches Ergänzungsgebiet, in dem deutsche

B auern angesiedelt werden sollten, als auch eine wichtige Rohstoffquelle und einen riesigen Absatzmarkt, der die Autarkie im neuen "Großraum" sichern würde.91 Die daraus folgende langfristige "Neuordnung" des gesamten europäischen Kontinents nach deutschen Vorstellungen war damit das eigentliche Kriegsziel der nationalsozialistischen

Außenpolitik. Dieses ließ sich kurzfristig allerdings nur realisieren, indem die deutsche

Kriegführung die sukzessive "neugeordneten" Gebiete materiell ausnutzte, wobei die

Idee der "Neuordnung" quasi selbst zu einem Kriegsmittel wurde.92

In diesem Verständnis erschien die Revision der Versailler Verträge nurmehr noch als

Mittel denn als eigentliches Ziel.93 Hitlers Außenpolitik ging weit über die alte Mitteleuropaidee hinaus94 und strebte letztlich ein "deutsches Europa" an, das neben dem britischen Empire, Amerika und dem japanisch beherrschten Femen Osten die vierte

Weltmacht bilden würde.95 Der Weg dorthin war in zwei Hauptetappen untergliedert:

Zuerst sollte Deutschland im Inneren erneuert und kriegsfahig gemacht werden, so daß au f der Grundlage eines Großdeutschen Reiches militärisch weite Teile Europas zu einem Kontinentalimperium zusammengeschlossen werden könnten. A u f dieser Basis wäre dann eine Expansion nach Übersee und eine Auseinandersetzung mit den USA möglich, die Deutschland - allerdings nicht mehr zu Lebzeiten Hitlers - zur absoluten Weltmacht ließe.96 In diesem Verständnis wurde der Krieg zum legitimen Mittel zur

88 Vgl. A. Kuhn: Hitlers außenpolitisches Programm, a.a.O., S. 12. 89 Vgl. D. Diner: Grundbuch des Planeten, a.a.O., S. 18. 90 Vgl. D. Diner: Grundbuch des Planeten, a.a.O., S. 18f. 91 Vgl. R. Zitelmann: Hitler. Selbstverständnis eines Revolutionärs, Hamburg/New York 1987, S. 301 ff, 297. 92 Vgl. G. Aly/S. Heim: Vordenker der Vernichtung, Frankfurt a.M. 1993, S. 331, 350. 93 Vgl. H. Rauschning: Gespräche mit Hitler, New York 1940, S. 111. 94 Vgl. J. Fest: Hitlers Krieg, in: VHZ, 1990, S. 359-373, S. 367. 95 Vgl. Ch. Bloch: Das Dritte Reich und die Welt, Paderborn / München /Wien /Zürich 1993, S. 42. 96 Vgl. A. Hillgruber: Hitlers Strategie. Politik und Kriegführung 1940-41, München 1982, S. 23; sowie K. Hildebrand: Deutsche Außenpolitik 1933-1945. K a l k ü l oder D o g m a ? a.a.O., S.

Eroberung von "Lebensraum", der dem "Naturgesetz des Stärkeren" zum Durchbruch verhelfen würde. Dabei war die rein machtpolitisch-geographische "Neuordnung" in der nationalsozialistischen Programmatik genauso mit der "rassischen" Auseinandersetzung verbunden wie mit einem permanenten weltanschaulichen Kampf, der die Eroberung von "Lebensraum" mit dem "Gegenstoß" gegen die "Weltfeinde" Bolschewismus und Judentum verknüpfte.97

Unter diesem Blickwinkel verfolgte Hitler ein Europamodell, dessen eindeutig hegemonialer Charakter dringend der propagandistischen Umschreibung bedurfte. In seinen Gesprächen mit Rauschning äußerte er hinsichtlich seiner Ziele:

"Ich werde in den Mittelpunkt den stählernen Kern eines zu unverbrüchlicher Einheit geschmiedeten, großen Deutschland stellen. Oesterreich, Böhmen und Mähren, der polnische Westen. Der Block, von hundert Millionen, unzerstörbar, ohne Riß und ohne fremde Nationen. Das feste Fundament unserer Herrschaft. Dann ein Ostbund. Polen, die baltischen Staaten, Ungarn, die Balkanstaaten, die Ukraine, das Wolgaland, Georgien. Ein Bund wohl, aber nicht gleichberechtigter Partner, wohlverstanden, ein Bund von Hilfsvölkem, ohne Heer, ohne eigene Politik, ohne eigene Wirtschaft. Und ich denke nicht daran, Konzessionen auf einer Gefühlsbasis zu machen... Ich mache keinen Unterschied zwischen Freunden oder Gegnern. Die Zeit der kleinen Staaten ist vorbei. Auch im Westen. Ein Westbund. Holland, Flandern, Nordfranken. Ein Nordbund. Dänemark, Schweden, Norwegen."98

Im Verlauf des Krieges entstand daraus die Vision einer "Neuordnung", die alle Staaten des Kontinent in ein System unterschiedlicher Abhängigkeiten vom Deutschen Reich eingliedem wollte:

Den Kern bildete das "Großdeutsche Reich", das neben Deutschland auch Österreich, Böhmen und Mähren, das Memelgebiet, Polen, Eupen-Malmedy, Belgien mit Flandern und Wallonien, Luxemburg, Elsaß-Lothringen, Nord- und Ostfrankreich, Griechenland, Teile Jugoslawiens und die westlichen Gebiete der Sowjetunion bis zum Ural umfassen würde. Diesem Kontinentalblock sollten die sogenannten "Schutzstaaten" wie die Slowakei, Dänemark, Norwegen, Kroatien und Burgund als neuer Staat auf französischem Territorium angeschlossen werden, deren außenpolitische und militärische Souveränität durch deutsche Sonderbeauftragte eingeschränkt werden müßte. Die nächste Stufe der Unterordnung bildeten die geplanten "Satellitenstaaten" Finnland,

15; und E. Jäckel: Hitlers Weltanschauung, a.a.O., S. 44f. 97 Vgl. H.-A. Jacobsen: Krieg in Weltanschauung und Praxis des Nationalsozialismus (1919- 1945), in: K.D. Bracher/M. Funke/ H.-A. Jacobsen (Hg.): Nationalsozialistische Diktatur 1933- 1945, Bonn 1986, S. 427-439, S. 429ff. 98 H. Rauschning: Gespräche mit Hitler, a.a.O., S. 118.

U ngarn, Rum änien, Irland, die Niederlande, das zu besetzende Großbritannien und das restliche Frankreich, die bei Erhalt ihrer staatlichen Souveränität politisch und wirtschaftlich direkt von Deutschland abhängig wären. Die neutralen Länder wie Schweden, Spanien und Portugal würden dagegen offiziell als unabhängig gelten, sollten aber ebenfalls durch wirtschaftliche und politische Verträge an Deutschland gebunden werden. Die letzte Stufe der Pläne betraf das faschistische Italien, das als Achsenmacht nach außen hin gleichberechtigt bliebe, aber letztlich auch wirtschaftlich an Deutschland gebunden wäre. Vervollständigt wurde das Modell durch "Ergänzungsräume" mit kolonialem Status im Osten der Sowjetunion und in Afrika."

Angesichts dieser Vorstellungen diente der Gedanke an "Europa", der von Hitler wiederholt und eindringlich beschworen wurde, ausschließlich der Propaganda, die von den eigentlichen deutschen Zielen ablenken sollte, indem sie sich des gewachsenen europäischen Bewußtseins hemmungslos bediente. Die tatsächliche Europapolitik des

NS-Regimes paralysierte dagegen alle internationalen Bindungen und Sicherheiten, zerstörte das europäische Staatensystem und versuchte, den Prozeß der europäischen

Integration durch eine eindeutige Hegemonialpolitik umzukehren.99 100 Die daraus resultierende "europäische" Politik des Hitlerregimes bildete damit - wie P. Krüger feststellte - "eher das Ergebnis dieser Anstrengungen, sobald sie von Erfolg gekrönt waren, nicht aber ein vorrangiges Ziel an sich."101 In diesem Verständnis beobachtete Krüger drei verschiedene Ansatzpunkte europäischer Planungen in Deutschland: a) die offizielle Außenpolitik, die den europäischen Gedanken im offiziellen Sprachgebrauch vielfach betonte und damit dem Bedürfnis nach Ruhe und Ordnung sowie der vorhandenen Integrationsbereitschaft Rechnung trug, darüber hinaus aber über keine echten Konzeptionen verfugte; b) das Aufblühen von Planungen in den obersten Reichsbehörden sowie c) die deutsche Besatzungspolitik während des Zweiten Weltkrieges, die bereits mit umfangreichen Ansätzen zur Organisation des europäischen Machtbereiches begann.102 Dieser Auflistung müßte die NS-Wissenschaft zugeordnet werden, da in diesem Bereich weitreichende Überlegungen zu inhaltlichen und ideologischen Fragen der "Neuordnung" entstanden, die den Übergang von der ursprünglichen "Lebensraum"-Forderung zum wissenschaftlich-propagandistischen "Lebensraum"-Konzept demonstrierten. Dabei steht außer Frage, daß die Idee von der "Neuordnung" Europas insgesamt eindeutig ein

99 Vgl. Weltherrschaft im Visier, Berlin 1975, S. 27. 100 Vgl. P. Krüger: Hitlers Europapolitik, in: Der Nationalsozialismus. Studien zur Ideologie und Herrschaft, Frankfurt a.M. 1993, S. 104-132, S. 109 ff. 101 Vgl. ebenda, S. 111. 102 Vgl. ebenda, S. 127 ff.

außenpolitisches Propagandamittel war, das aus rein pragmatischen Gründen von der Politik benutzt wurde. Diese Charakterisierung be-schränkte sich aber weitgehend auf den politischen Bereich, während die NS-Wissenschaft in den beschriebenen Grenzen auch darüber hinausgehende Konzepte zu entwickeln begann, die allerdings keinen Einfluß auf die tatsächliche Politik erlangten.103 Denn unabhängig davon verfolgte Hitler konsequent und zielbewußt seine außenpolitischen Ziele,104 die letztlich in Europa keinen Raum mehr ließen für gleichberechtigte, souveräne Partner, sondern in letzter Konsequenz willfährige Satelliten und Heloten verlangten.105 Nachdem Deutschland 1938/39 einen erheblichen Teil seiner "großdeutschen" Ambitionen bereits auf friedlichem Wege durchgesetzt hatte, brachten die militärischen Erfolge bis zum Sommer 1940 durchaus die Chance für eine echte europäische Lösung unter deutscher Führung, die allerdings nicht den Vorstellungen Hitlers entsprach.106 Statt dessen eröffiieten die Blitzkriegssiege die Möglichkeit, nunmehr vor allem die europäische Wirtschaft im Rahmen einer "Großraumwirtschaft" auf die deutschen Bedürfnisse auszurichten, während die Überlegungen über entsprechende politische Schlußfolgerungen angesichts der Kriegssituation und der militärischen Dominanz Deutschlands als weitgehend sekundär unterblieben.107 Um trotzdem die hegemonialen Absichten Deutschlands zu verschleiern, wies die "Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraumwirtschaft", die die wirtschaftliche "Neuordnung" organisatorisch vorbereiten sollte, schon im Mai 1940 daraufhin, "daß es aus außenpolitischen Gründen notwendig" erscheine, die geplante "kontinentaleuropäische Großraumwirtschaft unter deutscher Führung nicht als eine deutsche Großraumwirtschaft zu bezeichnen". Man müsse vielmehr "grundsätzlich immer nur von Europa sprechen", da sich die deutsche Führung "ganz von selbst aus dem politischen, wirtschaftlichen, kulturellen, technischen Schwergewicht Deutschlands und seiner geographischen Lage" ergeben würde.108 Deutsche Hegemonialpolitik tarnte sich also mit der Europaidee. In diesem Rahmen bildete die deutsche Besatzungspolitik während des Krieges eines der wichtigsten Mittel, um die deutschen Pläne praktisch vorzubereiten. Dabei galt es zunächst, vor allem den deutschen Einfluß in den ausländischen Wirtschaften zu ver-

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-3 : 103 Zum Verhältnis von Politik und Wissenschaft in diesem Rahmen siehe den Abschnitt zum "Selbstverständnis der Neuordnungs-Expertokratie. 104 Vgl. H.R. Trevor-Roper: Hitlers Kriegsziele, in: VHZ, 1960, S. 121-133, S. 122. 105 Vgl. B.-J. Wendt: Großdeutschland, a.a.O., S. 69. 106 Vgl. P. Krüger: Hitlers Europapolitik, a.a.O., S. 125. „ 107 Vgl. Aktenvermerk über eine Chefbesprechung im Reichswirtschaftsministerium, 22. 07.1940, in: Anatomie der Aggression, Berlin 1972, Dok. 7. 108 Vgl. Denkschrift der "Gesellschaft für europäische Wirtschaftsplanung und Großraum Wirtschaft", 31.05.1940, zit.n. K. Drechsler/H. Dress/G. Hassel: Europapläne des deut sehen Imperialismus im zweiten Weltkrieg, in: ZfG, 7/1971, S. 916-931, S. 917.

großem , um die späteren Friedensregelungen zu präjudizieren.109 So ging Reichswirtschaftsm inister Funk davon aus, "daß die Eingliederung der besetzten Gebiete in die großdeutsche W irtschaft und der Neuaufbau einer europäischen Kontinentalwirtschaft unter deutscher Führung nicht durch einen einmaligen staatspolitischen Akt" - wie etwa den "Abschluß eines Zoll- oder Währungsunionsvertrages" - allein erfolge, sondern daß dieses Ziel "durch eine Reihe von Einzelmaßnahmen, mit denen sofort begonnen wird... erreicht werden" müsse. Deshalb käme es darauf an, "die europäischen Volkswirtschaften so vollkommen und eng wie möglich mit der großdeutschen Wirtschaft zu verflechten", um die "deutsche Bedarfsdeckung" und den "deutschen Wirtschaftseinfluß'1 langfristig entscheidend zu stärken.110 Durch umfangreiche Beschlagnahmungen, Enteignungen, Kapitalverflechtungen und die Übernahme von "Treuhandschaften" kam die deutsche Wirtschaft diesen Zielen während des Krieges sehr nahe.111 Parallel zu diesen wirtschaftlichen Überlegungen begann das Auswärtige Amt Ende

Juni 1940 mit umfangreichen Vorarbeiten für die künftigen Friedensschlüsse, an denen alle maßgeblichen wirtschaftlichen und politischen Reichsressorts beteiligt wurden.112

Da aber Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan die Ausarbeitung der wirtschaftlichen Regelungen für seine Behörde beanspruchte,113 wurde letztlich Reichswirtschaftsminister Funk mit der "zusammenfassenden Vorbereitung des Aufbaus des deutsch-europäischen Wirtschaftsraumes" unter Beteiligung sämtlicher interessierter

Partei- und Staatsstellen beauftragt,114 wobei sich das Auswärtige Amt hinsichtlich der

Beziehungen zu anderen Staaten die Entscheidungshoheit vorbehielt.115 Gleichzeitig begann die Reichsgruppe Industrie damit, Industrieanalysen für die besetzten nord- und westeuropäischen Länder zu erstellen und die konkreten "Friedenswünsche" der einzelnen Industriezweige zu sammeln, die die Besatzungspolitik in den Ländern maßgeblich mitbestimmten.116

109 Vgl. Göring an die Reichskommissare für die besetzten niederländischen und norwegischen Gebiete und an den Militärbefehlshaber Belgien/Nordfiankreich, 2.08.1940, in: AD AP, D, Bd. X, Nr. 278. 110 Vgl. Funk an Göring, 6.08.1940, in: Anatomie der Aggression, a.a.O., Dok. 11. 111 Als besonders effektiv erwies sich dabei das Vorgehen in Frankreich, das durch die Kollbo- rationsbereitschaft der Vichy-Regierung sehr erleichtert wurde. (Vgl. B. Kietzin: Trikolore unterm Hakenkreuz, Opladen 1996.) 112 Vgl. Reichsaußenminister an Staatssekretär, 26.06.1940, in: AD AP, D, Bd. X, Nr. 23. 113 Vgl. Göring an das Auswärtige Amt, 2.07.1940, in: AD AP, D, Bd. X, Nr. 82. 114 Vgl. Ständiger Vertreter des Beauftragten für den Vieijahresplan an das Auswärtige Amt, 3.07.1940, in: AD AP, D, Bd. X, Nr. 103. 115 Vgl. Reichsaußenminister an den Beauftragten für den Vieijahresplan, 9.07.1940, in: ADAP, D, Bd. X, Nr. 142. 116 Vgl. Rundschreiben der Reichsgruppe Industrie, 4.07.1940, in: Anatomie des Krieges, Berlin 1969, Dok. 122.

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