creditshelf Magazin No. 14 - Partnerschaften in ihrer schönsten Form

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DIE PANDEMIE ALS CHANCE FüR DIE ORGANISATIONSKULTUR Die letzten eineinhalb Jahre waren eine extreme Belastungsprobe und rüttelten bei vielen Organisationen an den Grundfesten. So waren fast alle Organisationen gezwungen, gewohnte Arbeitsweisen und -routinen stark anzupassen oder vollständig aufzugeben. Die Pandemie war das Ende eines bislang tief verankerten Arbeitsmodells und ein Einschnitt, der bewährte Routinen und wertvolles Wissen unbrauchbar machte. Die vorhandene Zeitspanne für die notwendigen Anpassungen kann aus Organisationsperspektive leicht mit einem Wimpernschlag verglichen werden. Wie gut eine Organisation mit der Situation zurechtkam, hing stark von der vorhandenen Organisationskultur ab. Mit Organisationskultur ist hier ein Grundverständnis aller Mitglieder gemeint, das bei der Bewältigung von Problemen und Innovationsaktivitäten aufgebaut wurde. Die Kultur ist bindend für alle Organisationsmitglieder, wird an neue Mitglieder weitergegeben und umfasst rationale und emotionale Elemente. Kern der Kultur ist ein gemeinsames Werteverständnis. Die Organisationskultur ist folglich nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Identität oder die Seele einer Organisation. Diese Identität bestimmte die Stärke der Resilienz von Organisationen und damit die Fähigkeit, mit der Situation umzugehen. War beispielsweise Anpassungsfähigkeit bereits Teil der bestehenden Identität, konnte schnell und angemessen reagiert werden. Betonte die vorhandene Organisationskultur hingegen die Bewahrung des Status quo, konnten große Umstellungsschmerzen die Folge sein, da so nur langsam notwendige Anpassungen vorgenommen und akzeptiert wurden. Unabhängig von der Eignung der Kultur gelangten viele Organisationen nach dem Erreichen eines akzeptablen Arbeitsmodus an den Punkt, an dem Führungskräfte und Mitarbeiter begannen, die eigene Organisationskultur kritisch zu hinterfragen. Hatte sich die Kultur als hinderlich erwiesen, wurden Überlegungen angestellt, wie man die Kultur anpassen müsste, um in Zukunft besser reagieren zu können. War die Organisationskultur ein Schlüssel zur Lösung, stand die Frage im Raum, ob die vorhandene Kultur auch jetzt noch zukunftsfähig sei. 12

Selbst jetzt, wo eine Rückkehr in das vorherige Arbeitsmodell wieder in den Bereich des Möglichen gerückt ist, verschwindet dieser Gedanke nicht. Schließlich sind die Auswirkungen wie das hybride Arbeiten und die gewonnenen Erfahrungen auch zukünftig bestimmend für das Geschehen in Organisationen. Neben der Eignung der Kultur für die Bewältigung dieser Turbulenz wirkten die Folgen der Pandemie wie eine Sammellinse auf mögliche Probleme der vorhandenen Kultur. So nahmen Organisationen wahr, dass sie eventuell nur bedingt in der Lage sind, ein Gefühl der Zugehörigkeit herzustellen. Dies konnte sowohl (potenziell) neue als auch existierende Mitglieder betreffen. Bei der Integration von neuen Mitgliedern bestand die Unsicherheit, wie diese zu bewerkstelligen sei. Wie sollten die Personen Teil des Teams werden und sich auch als solches fühlen. Organisationen stellten fest, dass es für neue Mitglieder oftmals keinen strukturierten Einstieg in die Organisation gab, der an den Werten der Organisation ausgerichtet war und Personen angemessen sozialisiert. Gab es einen Prozess, war dieser vielleicht nicht geeignet, um unter Pandemiebedingungen zu greifen. Eine erfolgreiche Auswahl, Integration und Sozialisation waren dann eher ein glücklicher Zufall. In Bezug auf bestehende Mitglieder wurde augenscheinlich, dass auch hier ein Gefühl der Zugehörigkeit nicht immer geschaffen wurde. Dychtwald, Erickson und Morison heben beispielsweise in einem Harvard Business Review-Artikel das Paradoxon hervor, dass trotz der demografischen Gegebenheiten und der daraus bekannten Konsequenzen für die Altersstruktur in Organisationen ältere Menschen in Organisationen häufig (unbewusst) diskriminiert werden. Manche kommunizierten Werte der Kultur wirken auf ältere Mitarbeiter befremdlich, da gerade Qualitäten betont werden, die stereotypisch jüngeren Menschen

Prof. Dr. rer. pol. habil.

Christian W. Scheiner

Institutsdirektor Universität zu Lübeck - Institut für Entrepreneurship und Business Development

Nº 14 | Januar 2022 • creditshelf AG


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