#79 / Februar 2023
HAARIGE SACHE
Hardy Fenkart (64) schneidet in seinem Salon in Hohenems seinen Kund:innen nicht nur die Haare. Im Interview mit der marie erklärt er, weshalb das Zuhörenkönnen in seinem Beruf mindestens so wichtig ist.
Seiten 8 bis 10
2,80 Euro
davon 1,40 Euro für die Verkäuferin/ den Verkäufer
Foto: Petraa Rainer
Naturpicknicks an Gewässern, auf dem Berg und im Tal
Nach der erfolgreichen Premiere im vergangenen Winter hat Bodensee-Vorarlberg Tourismus wieder spannende Vorarlberger Naturpicknicks zusammengestellt: Bis Mitte April können Interessierte auf geführten Touren außergewöhnliche Naturräume zwischen Bodensee und Ill kennenlernen. Elf Termine für jeweils maximal 20 Teilnehmer:innen sind bislang fixiert. Die Hälfte der Erlöse geht an das „Vielfalter Sommerprogramm der inatura“.
Impressum
Grundlegende Richtung
Die Vorarlberger Naturpicknicks laden Naturliebhaber:innen zu Exkursionen im Vorarlberger Rheintal ein.
Vogelliebhaber:innen werden am Vorarlberger Naturpicknick, das zum Birdwatching an den Bodensee führt, ihre Freude haben.
Die jeweils zwei- bis dreistündigen geführten Exkursionen finden an den Wochenenden in Zusammenarbeit mit der inatura Dornbirn, den Austria Guides und Vorarlberger Naturführer:innen statt. Tickets können online unter www.bodensee-vorarlberg.com/naturpicknick gebucht werden und kosten 20 Euro pro Person. Start bzw. Ziel der Exkursionen sind lokale Gastronomie-, Hotelbetriebe oder Hütten. Zum Auftakt oder Ausklang gibt es ein wärmendes Getränk und eine kleine Jause.
Termine:
Sa, 04.02., 14 bis 16 Uhr:
Die Ill macht, was sie will | Mit Austria Guide Gerlinde Sauermann
Sa, 11.02., 14 bis 16:30 Uhr:
Waldleben in und um Hohenems | Mit Waldpädagoge und Autor Jürgen Thomas Ernst
Sa, 18.02., 14 bis 17 Uhr:
Birdwatching am Bodensee| Mit Naturführerin Johanna Kronberger
Sa, 25.02., 14 bis 16.30 Uhr:
Biber am Alten Rhein | Mit Biberexpertin Agnes Steinhauser
Sa, 04.03., 14 bis 16 Uhr:
Käsewanderung am Pfänderrücken | Mit Austria Guide Karin Fetz
Sa, 11.03., 14 bis 16.30 Uhr:
Geschichten der Bregenzer Ach | Mit Austria Guide Karl Dörler
Sa, 18.03., 14 bis 17 Uhr:
Örflaschlucht – Zeugen der Vergangenheit | Mit Naturführer Daniel Nussbaumer
Sa, 26.03., 9 bis 11:30 Uhr:
Spaziergang im Dornbirner Ried | Mit Naturführer Daniel Nussbaumer
Sa, 01.04., 14 bis 16.30 Uhr:
Natura-2000-Gebiet Mehrerau | Mit Naturführer Martin Hotz
Sa, 15.04., 14 bis 16:30 Uhr:
Hör-Radweg | Mit Museumsguide des Jüdischen Museums
Die Straßenzeitung marie versteht sich als Sprachrohr für die Anliegen von Randgruppen unserer Gesellschaft. marie ist ein Angebot zur Selbsthilfe für Menschen an oder unter der Armutsgrenze, die ihren Lebensmittelpunkt in Vorarlberg haben. Ziel ist die Förderung des Miteinanders von Menschen am Rande der Gesellschaft und der Mehrheitsgesellschaft. Die Hälfte des Verkaufspreises von 2,80 Euro verbleibt den Verkäufern. marie ist ein parteiunabhängiges, soziales und nicht auf Gewinn ausgerichtetes Projekt. Redaktion
marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems, Telefon: 0677 61538640
eMail: redaktion@marie-strassenzeitung.at Internet: www.marie-strassenzeitung.at
Redaktion: Frank Andres, Simone Fürnschuß-Hofer
MitarbeiterInnen dieser Ausgabe: Alina Bösch, Daniela Egger, Guntram Gärtner, Christine Mennel, Daniel Mutschlechner, Hans Platzgumer, Petra Rainer, Brigitta Soraperra
Zeitungsausgabestellen:
Dornbirn: Kaplan Bonetti Sozialwerke, Kaplan-Bonetti-Straße 1, Montag, Mittwoch und Freitag von 8 bis 9 Uhr
Bregenz: dowas, Sandgrubenweg 4, Montag und Donnerstag 8.30 bis 10.30 h
Feldkirch: Caritas-Café, Wohlwendstraße 1, Montag bis Freitag 8.30 bis 14 h
Bludenz: do it yourself, Kasernplatz 5-7/3b, Montag und Mittwoch 14 bis 16 h
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Druck: Russmedia Verlag GmbH, Schwarzach
Auflage: 13.000 Exemplare, Erscheinungsweise monatlich
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© Dietmar Denger/ Vorarlberg Tourismus
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Die Firma blum unterstützt die Berichterstattung über privat initiierte, gemeinnützige Projekte in Vorarlberg.
Inhalt
2 Naturpicknicks, Impressum
4-6 Wie geht Frieden?
Lisa Hämmerle hat es sich zur Aufgabe gemacht, unsere Vorstellungen von Frieden und Konflikt zu überdenken
7 Sudoku
8-10 „Zuhören, nicht reden“
Interview mit dem Hohenemser Friseur Hardy Fenkart über Beruf, Psychologie, Corona und Pensionspläne
11 Genug vom Besten
Tarte mit Karamell, salzigen Nüssen und Schokolade aus Dans Probelokal
12-13 Wohin geht eigentlich das Geld? Sozialarbeiter Erich Ströhle fordert ein Umdenken im Wohnbau und eine Erhöhung der Sozialleistungen
14-17 Über Lust und Höhepunkte
Jessica Adams räumt mit falschen Mythen und Missverständnissen über die weibliche Anatomie auf
17 Sprüche-Quiz
18-21 „Kolossale Heuchelei“
Wachstumskritiker Niko Paech plädiert für eine kleine Wirtschaft mit weniger Konsum und Mobilität
21 Rätsellösungen
22-25 Entwicklungshilfe anders
Alba Losert begleitet mit ihrem Verein junge Menschen vom Erwachsenwerden ins Erwachsensein
25 Reparaturcafés
26-28 Von Kolumbus bis Karner
Eine kurze Geschichte des Eurozentrismus von Schriftsteller Hans Platzgumer
29 Rechenrätsel, Schachecke
30-31 Veranstaltungskalender
Editorial
Liebe Leserin, lieber Leser!
Eine Bekannte erzählt mir, dass sie sich auf chat.openai. com*, einer seit November 2022 sprudelnden Quelle künstlicher Intelligenz, von einem Chatbot* einen Pressetext hat formulieren lassen. Er sei „spooky“ gut, inhaltlich am Punkt, sprachlich perfekt. Ich schlucke. Werde ich – und Millionen weiterer Schreiberlinge dieser Welt – hier gerade wegrationalisiert, wegdigitalisiert? Kann und will ich nicht glauben. Und sage mir, na, das wollen wir doch mal sehen. Da wollen wir doch wirklich mal sehen, was Mister Chatbot so draufhat, wenn ich ihn beauftrage, ein Editorial für die marie zu verfassen. Als ich mich auf besagter Seite einzuloggen versuche, bleibt es erstmal beim Versuch. Der Kost-NixLaden für Hirnschmalz-Anfragen aller Art genießt so viel Zulauf, dass er überlastet ist. Nix geht mehr. Erst Stunden später werde ich eingelassen und darf das Recherche-Feld mit den Stichworten meiner Wahl füttern. Passend zur vorliegenden Ausgabe wähle ich: „Vorwort für Straßenzeitung mit Aspekten Klimawandel, Teuerung, Friedenspolitik.“ Es dauert keine zwei Sekunden, füllt sich die Antwortmaske gespenstisch schnell mit einem eloquenten Text. Ein Auszug: „Es ist wichtig, dass wir uns jetzt um die Auswirkungen des Klimawandels kümmern, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern. Auch in Bezug auf die Friedenspolitik können wir uns engagieren, indem wir uns für die Rechte von Minderheiten und für Gerechtigkeit einsetzen. In diesen schwierigen Zeiten ist es wichtig, dass wir uns solidarisch zeigen und gemeinsam für eine bessere Zukunft arbeiten.“ Ich bin fürs Erste beruhigt. Der Bot ist zwar schnell und schlau, aber auch ziemlich plattitüdig. Ich verfeinere die Anfrage, bitte den Chatbot um eine „persönliche Geschichte dazu“. Wieder in atemberaubender Geschwindigkeit erzählt mir die Maschine von einer alleinerziehenden, armutsgefährdeten Frau, die sich zwischen Heizung und Essen entscheiden muss, Quelle leider unbekannt. Dazu das Schlussplädoyer: „Es ist unakzeptabel, dass in einem reichen Land wie unserem, Menschen in Armut und Kälte leben müssen, besonders wenn man bedenkt, dass es Mittel und Wege gibt, um dies zu verhindern.“ Oha. Wenn Aussagen wie diese der kleinste gemeinsame Nenner sind, gezogen aus zigmillionen menschengemachter Datenspuren, dann darf doch leise gehofft werden, dass zumindest die kollektive Haltung in die richtige Richtung zeigt. Allerdings: Nicht nur Papier, auch Software und Bildschirm sind geduldig. Ins menschliche Tun müssen wir schon noch selbst kommen – nachzulesen auch in dieser Ausgabe der marie, garantiert 100 % botfrei getextet.
marie ist Mitglied im Weltverband der Straßenzeitungen. www.insp.ngo
Kontaktieren Sie uns
Sie haben Anregungen, Wünsche oder Beschwerden? Dann schreiben Sie uns doch einfach. marie – Die Vorarlberger Straßenzeitung, Graf-Maximilian-Straße 18, 6845 Hohenems. E-Mail: redaktion@mariestrassenzeitung.at oder Sie rufen uns an unter 0677/61538640. Internet: www.marie-strassenzeitung.at. Wir freuen uns über Ihre Zuschriften!
Herzlich, Ihre Simone Fürnschuß-Hofer, Redakteurin
*Kleine Wortkunde: Der ChatGPT des US-Start-ups OpenAI nutzt die Technologien künstlicher Intelligenz, beruht also auf maschinellem Lernen und produziert Texte und Dialoge, die Antworten von Menschen imitieren. Als (Chat-)Bot bezeichnet man ein Computerprogramm, das Anfragen automatisiert beantwortet.
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Die nächste marie erscheint am 1. März.
Wie geht Frieden?
Traurige Realität: Am 24. Februar jährt sich der Kriegsbeginn in der Ukraine zum ersten Mal. Dass es im 21. Jahrhundert einen Krieg in Europa geben würde, hatte kaum jemand für möglich gehalten. Dabei schwelen weltweit dutzende Konfliktherde und knapp 30 Staaten befinden sich aktuell im Kriegszustand oder in bewaffneten Konflikten. Der Mensch scheint per se kein friedfertiges Wesen zu sein. Der bedeutende Philosoph Theodor W. Adorno sagte einmal sinngemäß, dass die Entwicklung von der Steinschleuder zur Atombombe nicht von einem zivilisatorischen Fortschritt zeuge. Mit der in Bregenz lebenden Lisa Hämmerle (30) ist eine junge Friedensforscherin ins Land zurückgekehrt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, unsere Vorstellungen von Frieden und Konflikt zu überdenken.
Fangen wir gleich mit der größten Frage an. Wie geht Frieden? Was sind Grundlagen für Frieden?
Auf jeden Fall braucht es Empathie, also Mitgefühl, die Fähigkeit und den Willen, sich in andere hineinzuversetzen. Dass man realisieren kann, wenn jemand durch das eigene Handeln oder durch Handlungen anderer verletzt wurde. Es geht um das Interesse am anderen Menschen, darum zu verstehen, warum er ist, wie er ist und handelt, wie er handelt. Auch in globalen Konfliktsituationen kann nicht einfach eine Partei für schuldig erklärt werden, selbst wenn es bei manchen Kriegen scheinbar ganz klare Aggressoren gibt. Wir müssen immer genau hinschauen, wie es geschichtlich dazu gekommen ist, dass Kulturen oder Länder im Konflikt sind. In der Friedens- und Konfliktforschung beschäftigen wir uns intensiv mit den Hintergründen.
Es ist ja auch bekannt, dass sich frühere Konflikte und Kriegserfahrungen langfristig ins Gedächtnis ganzer Volksgruppen einbrennen.
Ja genau, wenn ein Konflikt in der einen Generation nicht gelöst wird, dann überträgt er sich auf die nächs-
ten Generationen. Unbearbeitete Traumata führen zu Gewalt, die sehr plötzlich ausbrechen kann. Es gibt eine Art Vererbung von Hass, der auf eine andere Kultur, Religion oder Gesellschaft existieren kann, auch wenn die aktuelle Generation keine realen Erfahrungen damit gemacht hat. Und es gibt kollektive Traumata als Ergebnis von früheren Gewalttaten. Beides muss unbedingt aufgelöst werden, wenn wir dauerhaft Frieden haben wollen. Traumata, die durch Kriege entstanden sind, sind tickende Zeitbomben, wie wir aktuell in Serbien und Bosnien sehen können, aber auch in Israel und Palästina und in vielen anderen Ländern.
Interessant ist auch, dass nachfolgende Generationen einen viel größeren Hass entwickeln können. Das erklärt sich möglicherweise damit, dass die Generation, die die Gewalt direkt erlebt hat, im Schockzustand geblieben ist und reine Überlebensmechanismen entwickelt hat. Wenn die Aufarbeitung nicht möglich ist, werden die Emotionen weitergegeben.
Welche Methoden hat die moderne Friedensforschung, um gewaltvolle Erfahrungen aufzulösen?
Es ist wichtig, zwischen Konfliktlösung und Konflikttransformation zu unterscheiden. Nachhaltige Friedensarbeit bedeutet, einen
4 | Mittendrin in V
Interview: Brigitta Soraperra, Fotos: Aurelia Bösch
ER IST, WIE ER IST
UND WARUM ER HANDELT, WIE ER HANDELT.“
Konflikt in etwas Positives umzuwandeln und diese Transformation muss auf mehreren Ebenen stattfinden. Wenn in einem Land nach einem Krieg nicht drei Dimensionen von Sicherheit gegeben sind, kann es nicht zu dauerhaftem Frieden kommen, sagt die britische Friedensstifterin Scilla Elworthy. Gemeint ist die physische Sicherheit, dass der Mensch körperlich nicht bedroht ist, die politische Sicherheit, die zum Beispiel eine funktionierende Infrastruktur und Wirtschaft beinhaltet, und die psychologische Sicherheit – das Gefühl, sicher zu sein.
Können Sie noch weiter ausführen, inwiefern der psychologische Aspekt so bedeutend ist?
Eine Gräueltat bewirkt beim Gegenüber zunächst einen Schock, auf den folgt Trauer, dann kommt die Angst und darauf folgt die Wut. Aus dieser heraus entsteht Verbitterung, die wiederum zu Rache und Vergeltung führt und somit ist der Kreislauf geschlossen. Wenn dieser Gewaltzyklus vor dem Zustand der Verbitterung nicht gestoppt wird, dann ist es schwierig die Gewaltspirale zu durchbrechen.
Lisa Hämmerle, geb. 1993, ist in Lustenau aufgewachsen und hat in Wien Politikwissenschaft, Publizistik und Kommunikationswissenschaft studiert. Anschließend spezialisierte sie sich auf „Friedens- und Konfliktforschung“ und absolvierte in Dublin (Irland) einen Master in „International Peace Studies“. Nach diversen Ausbildungen und Trainings im Bereich Coaching, Mediation und Konfliktmanagement schließt sie gerade einen zweiten Master an der Europa-Uni in Frankfurt an der Oder in „Mediation und Konfliktmanagement“ ab. Internationale Berufserfahrungen sammelte Lisa Hämmerle bei der österreichischen Botschaft in Canberra (Australien), bei einer NGO in Seoul (Südkorea) und bei der EU-Delegation für die UN in Genf. Nach ihrer Rückkehr nach Vorarlberg startete sie im Jahr 2022 gemeinsam mit Nicholas Perpmer in Bregenz das Projekt „Peace Intelligence“ mit einem breiten Coaching-Angebot zum Thema „Konflikttransformation“. www.haemmerle-perpmer.com
Solche Situationen haben wir überall auf der Welt und sie sind enorm gefährlich.
Warum neigt der Mensch Ihrer Meinung nach zu Gewalt?
Ich glaube, dass eine Person eine andere dann verletzen kann, wenn sie im Laufe ihres Lebens selbst verletzt worden ist. Das hat der Psychiater Reinhard Haller mit dem Konzept der Kränkung sehr gut formuliert. Eine tiefgreifende Kränkung, die aus Kindestagen in einem schlummert, kann als Erwachsener zu einer Gewalttat führen. Oft werden diese Verletzungen aber nicht sonderlich ernst genommen, weil sie nicht sichtbar sind – mit fatalen Folgen. Mir ist aber wichtig zu betonen, dass wir einen differenzierten Blick auf Emotionen und Gefühle haben sollten. Per se sind Gefühle nämlich etwas Neutrales. Sie zeigen uns, wie es uns geht, sie ermöglichen uns zu kommunizieren, sie sagen uns, wo wir Bedürfnisse haben. Deshalb müssen wir erforschen, was hinter dem jeweiligen Gefühl steckt. Genau so sollten wir auch an Konflikte herangehen.
Die gemäß der Konfliktforschung auch neutral sind … Genau. Es ist wichtig festzuhalten, dass ein Konflikt nicht gleich Gewalt bedeutet. Gewalt ist bereits ein sehr fortgeschrittenes Stadium eines Konflikts. Prinzipiell ist ein Konflikt eine Form von Energie, die >>
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„ES GEHT UM DAS INTERESSE AM ANDEREN MENSCHEN, DARUM ZU VERSTEHEN, WARUM
verschiedene Dynamiken innehat. Nehmen wir zum Beispiel eine Pflanze, die ist auch immer wieder Konflikten ausgesetzt, weil es etwa regnet oder heiß ist oder ein Insekt stört. Aber die Pflanze wird stärker durch diese Konflikte, sie wächst dadurch. So sollten wir auch die menschlichen Konflikte sehen, als Chancen für Entwicklung und positive Veränderungen. Durch Konflikte lernen und wachsen wir. In der Konfliktforschung heißt es: Konflikte schaffen Leben.
Das heißt, wir sollten schon früh lernen, mit Konflikten umzugehen?
Am besten im frühen Kindesalter. Ich wünsche mir ein Schulfach „Konflikte lernen“. Es gibt bereits Pilotprojekte an Schulen. Dabei wird mit den Kindern und den Lehrpersonen geforscht, wie sie mit Emotionen umgehen. Dem zugrunde liegt das Konzept der „Emotionalen Intelligenz“. Es geht darum, Selbstreflexion zu fördern, Gefühle zu erforschen, auch vermeintlich negative Gefühle zuzulassen und zu fragen, woher sie kommen. Warum bin ich jetzt genau wütend, traurig, eifersüchtig etc. Es muss ein sichererer Raum geschaffen werden, in dem alle Gefühle da sein dürfen, denn diese Gefühle werden erst dann destruktiv, wenn sie verdrängt oder abgewertet werden.
Kennen Sie erfolgreiche Friedensprojekte, von denen wir lernen können?
In Südkorea hatte ich Einblick in das Projekt „Football for Peace“. Das ist eigentlich eine Bewegung aus London, die von zwei Fußballern initiiert wurde und von der UN unterstützt wird. Hier wird weltweit mit Kindern nicht nur Fußball gespielt, sondern die Gefühle, die dabei aufkommen, werden mit ihnen gemeinsam reflektiert. Das ist eine kraftvolle, friedensstiftende Methode. Generell ist zu sagen, dass die Projekte, die aus der Zivilgesellschaft selbst kommen, die langlebigsten sind. Oft spielen dabei Frauen eine zentrale Rolle. Ich denke da beispielsweise an Liberia, wo Leyma Gbowee während des Bürgerkriegs interreligiöse Gruppen mobilisiert hat, islamische und christliche Frauen, die regelmäßig gemeinsam auf die Straße gegangen sind und von der Regierung Versöhnung und Friedensabkommen gefordert haben. Das hat letztlich den Staatspräsidenten ins Exil vertrieben und den Boden für die erste Frau als Staatsoberhaupt in Afrika bereitet.
Würden Sie Krieg als etwas Männliches bezeichnen?
Mit einem Blick in die Geschichte würde ich Krieg nicht als rein männlich bezeichnen, Kaiserin Maria Theresia hat auch
„ES IST WICHTIG FESTZUHALTEN, DASS EIN KONFIKT NICHT GLEICH GEWALT BEDEUET. WIR SOLLTEN BEREITS IM FRÜHEN KINDESALTER LERNEN, MIT KONFLIKTEN UMZUGEHEN.“
Kriege geführt. Ich glaube aber, dass heute in Frauen die Fähigkeit zum Dialog stärker verankert ist. Ich würde nicht sagen, dass Männer das Mittel des Dialogs nicht beherrschen, aber sie verwenden es oft anders. Es geht bei Dialog nicht um das bessere Argument oder den Gewinn eines Disputs, sondern darum, den anderen zu verstehen. Frauen haben Wesentliches geleistet, um eine konstruktive Dialogführung voranzutreiben und sie haben auch sehr darum gekämpft, Teil des Dialogs zu sein. Für Friedensprozesse sind Frauen unerlässlich.
Man sieht auch an der Stellung der Frau in einer Gesellschaft, wie friedfertig diese ist.
Ja, je gleichgestellter die Frauen sind, desto friedvoller die Gesellschaft. Wenn eine Frau in einem Land unterdrückt wird, dann ist die gesamte Gesellschaft gewaltvoller, wie wir gerade dramatisch im Iran und in Afghanistan erleben.
Sie sind in internationalen Friedensprojekten tätig gewesen, nun sind Sie nach Vorarlberg zurückgekehrt und haben mit Ihrem Partner das Projekt „Peace Intelligence“ gestartet. Wo sehen Sie Ihre Rolle als Friedensforscherin in Vorarlberg?
Wir möchten in der Politik, in Organisationen und Unternehmen Kompetenzen für Konfliktbearbeitung stärken und ein neues Verständnis von Konflikt kultivieren. Es geht um einen ganzheitlichen Zugang und die in Konflikten verborgenen Entwicklungschancen. Daneben möchten wir aber auch weiterhin auf internationaler Ebene tätig sein und bei Friedensprojekten mitarbeiten. Unser Lebensmittelpunkt Bregenz beinhaltet für mich eine langfristige Vision: Wir sind hier im Herzen von Europa und damit prädestiniert für Diplomatie. Geschichtlich betrachtet hatte Österreich viele Beziehungen zu verschiedenen Ländern und Wien war ein Ort, an dem die Menschen zusammengekommen sind. Meine Vision ist, dass Österreich wieder ein Zentrum für Diplomatie wird und als neutrale, reflektierte Kraft die Funktion hat, internationale Friedensdialoge zu führen. Das würde ich gerne mitgestalten.
Wow, das ist groß gedacht. Vielen Dank für das interessante Gespräch.
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Buch-Neuerscheinung
Schreiben von unten –Texte vom Leben am Rand von Eva Renner-Martin
Als Studentin von 26 Lebensjahren kam die Autorin in die psychische Krise. Daraufhin zog sie durch die Psychiatrie, durch Wien, Österreich und mehrere Länder der Welt. Die hier versammelten Texte erschienen und erscheinen zum Teil noch in Straßenzeitungen wie dem Augustin Wien, der Kupfermuckn Linz, dem Megaphon Graz und der marie. united p.c., ISBN: 978-3-7103-5612-4
Bildungshaus Batschuns
Ort der Begegnung
Potentiale erkennen und einsetzen
Mag. a Cornelia Huber | Andrea Anwander
Freitag, 3. März 15.00 – 18.00 h
Pflege der Achtsamkeit | Seminar
Christine Riedmann-Bösch, DGKP in , Lustenau
Samstag, 4. März 9.00 – 17.00 h
—
DAS·UN·DENKBARE·TUN | Workshop
Philipp Oberlohr, Illusionist&Mentalist, Performer
Freitag, 24. März 14.00 – 21.00 h
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Kommunikation und Konflikte | Reden ist Gold ...
Renée Hansen, Wirtschaftspsychologin M.A. | D Mo 27. März 9.00 h – Di 28. März 17.00 h
Info, Ort und Anmeldung: bildungshaus@bhba.at
T 05522 44290-0 | www.bildungshaus-batschuns.at
Lehrgang Interkulturelle Kompetenz 2023
Leben und Arbeiten in interkult. Zusammenhängen
Start: 14. – 15. März (4 Module)
Leitung: Mag. a (FH) Lisa Kolb - Mzalouet, Wien Bitte Detailinformationen anfordern!
Segen zum Valentinstag
Sudoku
So geht‘s: Füllen Sie die leeren Felder so aus, dass in jeder Reihe, in jeder Spalte und in jedem Block (= 3×3-Unterquadrate) die Ziffern 1 bis 9 genau einmal vorkommen. Viel Spaß!
Einladung für alle Liebenden unabhängig von Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung.
... um miteinander weiterzugehen
... die Liebe zueinander zu stärken
... um füreinander da zu sein & zu danken
Mit freundlicher Unterstützung von Wann Sonntag, 12. Februar 2023 um 18:00 Uhr Wo Basilika Maria Bildstein
Seelsorger:in Paul Burtscher, Rainer Büchel, Heidi Liegel Musik David Burgstaller & Erich Berthold Veranstalter Regenbogenpastoral des EFZs
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„ZUHÖREN, NICHT REDEN“
Hardy Fenkart führt das Friseurgeschäft in dritter Generation. 1993 hat er den Salon Fenkart in Hohenems von seinen Eltern übernommen. Der heute 64-Jährige war bereits in jungen Jahren Mehrfachpreisträger bei internationalen Frisurwettbewerben, Mitglied im Österreichischen Nationalteam und 15 Jahre Salontrainer bei Hairdreams in den Niederlanden,Deutschland und der Schweiz. Mit der marie sprach der Mann mit dem langen ZZ-TOP-Bart und der getönten Brille über seinen Beruf, Psychologie, Corona und seine Pläne für die Pension.
8 | Mittendrin in V
Interview: Frank Andres, Fotos: Petra Rainer
War es von Anfang klar, dass Sie den Friseursalon irgendwann übernehmen werden?
Für mich selbst schon. Aber meine Eltern haben niemals zu mir gesagt, dass ich das Geschäft leiten soll. Ich war schon als 12-Jähriger immer in Friseursalon. Mich hat die Arbeit fasziniert.
Worin bestand diese Faszination?
Ich hatte immer gerne mit Menschen zu tun. Zudem ist Friseur ein abwechslungsreicher Beruf. Du kannst deine Kreativität zur Entfaltung bringen.
Wer schneidet eigentlich Ihre Haare?
Das ist unterschiedlich. Je nachdem, wer von den Mitarbeiterinnen gerade Zeit hat. Ich habe zu allen vollstes Vertrauen. Sonst würden sie nicht bei mir arbeiten.
Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass Sie einem Kunden die Haare verschnitten haben?
Nein. Aber es kann vorkommen, dass ich einem Kunden die Haare kürzer als gewünscht geschnitten habe. Das ist für mich aber nicht gleichbedeutend mit „verschnitten“, sondern vielmehr ein Kommunikationsproblem.
Hatten Sie nie Angst, dass eine Frisur daneben gehen könnte?
Nein, ich hatte schon während meiner Lehrzeit damit begonnen, bei Wettbewerben zu frisieren. Da war ich in ganz Europa unterwegs. Da arbeitest du immer auf Zeit und Genauigkeit. Du lernst relativ schnell, saubere Haarschnitte zu machen. Du wirst immer perfekter. Dadurch hatte ich nie das Gefühl, dass ich etwas nicht kann.
Wie waren Sie frisurtechnisch als Jugendlicher unterwegs?
Sehr unterschiedlich. Ich hatte alle möglichen Phasen. Von ganz langen Haaren bis Dauerwellen. Als ich in eine Zeit lang in Wien gelebt habe, waren meine Haare punkermäßig blaugefärbt.
Was bei Ihnen auffällt, ist der lange Bart. Wie kam es dazu?
Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Ich trage ihn erst seit drei, vier Jahren so lang. Im Moment gefällt mir die Länge. Aber er kann in einem Monat auch wieder weg sein.
Ist die Pflege des Bartes nicht sehr zeitintensiv? Überhaupt nicht. Ich wasche und föhne ihn wie mein Kopfhaar.
Sie sind gelernter Damenfriseur, schneiden aber heute meist Herren die Haare. Sind Männer die einfacheren Kunden?
DA ERFÄHRT MAN MANCHMAL DINGE, DIE DER KUNDE NICHT EINMAL SEINER
EHEFRAU ERZÄHLT. DAS BEWERTE ICH
ALS SEHR GROSSES VERTRAUEN, DAS MIR ENTGEGENGEBRACHT WIRD.
Für mich gibt es da keine Unterschiede. Klar, Frisuren bei Männern sind meist einfacher. Frauen experimentieren mehr mit Farben oder Strähnen. Die Haare sind meist auch länger.
Welche Qualitäten muss ein Friseur, abgesehen vom handwerklichen Können, unbedingt mitbringen? Er muss auf jeden Fall kommunikativ sein, mit ganz unterschiedlichen Menschen umgehen können.
Muss ein Friseur manchmal auch ein wenig Psychologe sein?
Psychologe ist nicht ganz zutreffend. Wenn du einen Kunden hast, der regelmäßig zu dir kommt, um sich die Haare schneiden zu lassen, dann baut man ein gewisses Vertrauensverhältnis auf. Da bekommt man natürlich sehr viel Privates mit. Da erfährt man >>
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„ “
Besonders stolz ist Hardy Fenkart auf sein Team.
manchmal Dinge, die der Kunde nicht einmal seiner Ehefrau erzählt. Das bewerte ich als sehr großes Vertrauen, das mir entgegengebracht wird.
Reden Sie mit Ihren Kunden manchmal über ihre eigenen Probleme?
Ich tue das nie. Wenn ein Kunde zu mir ins Geschäft komm, geht es um seine Person, seine neue Frisur und nicht um meine privaten Befindlichkeiten.
Wollen manche Kunden von Ihnen auch einen persönlichen Rat?
Nein. Das Wichtigste ist das Zuhören und nicht das Reden. Und es gibt wenige Menschen, die das können. Das beobachte ich auch, wenn ich privat unterwegs bin.
Wie ist der Hardy Fenkart privat? Ich könnte mir vorstellen, dass er die Ruhe sucht und möglichst wenige Menschen um sich haben will.
Nein, überhaupt nicht. Ich bin, seit ich 14 bin, auch privat viel unterwegs und brauche den Kontakt zu anderen Menschen. Ich bin oft in Lokalen und auf Konzerten. Zudem spiele ich selbst seit 30 Jahren zusammen mit drei Kollegen in der Rockband „Schrott Rock“. Es gibt aber natürlich auch Abende, an denen die Couch mein bester Freund ist.
Friseure sind körpernahe Dienstleister. Auch Ihr Geschäft war deshalb während Corona monatelang geschlossen. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Am Anfang wusste ja niemand so richtig, was passiert. Alle fühlten sich wie vor dem Kopf gestoßen. Die ganze Gastronomie war geschlossen. Du durftest nicht mehr ins Freie. Das war eine Situation, die so niemand gekannt hat. Aber ich bin so gestrickt, dass ich Änderungen zunächst einmal zur Kenntnis nehme. Ich denke mir nicht: „Mein Gott, wie soll das jetzt weitergehen?“ Ich schaue immer vorwärts, nie zurück. Deshalb hat mich Corona auch nicht so belastet. Aber natürlich tut es einem weh, wenn der Umsatz von vier Monaten einfach fehlt. Wenn
ich anfange, herumzujammern, dann ändert sich an der Situation nichts. Ich nehme es zur Kenntnis und schaue, wie es weitergehen kann.
Gibt es wirklich nichts, was Sie gestört hat? Doch. Was ich rückblickend als sehr negativ empfunden habe, war, dass Nachbarn Nachbarn bei der Polizei angezeigt haben. Und das auch nur, weil während des Lockdowns im Garten zwei miteinander geredet und gemeinsam ein Bier getrunken haben. Das fand ich das Allerschlimmste. Ich hatte damals das Gefühl, in der ehemaligen DDR zu leben.
Kommen wir nochmals zu Ihrer Profession zurück. Was auffällt, ist die geringe Zahl von Männern, die den Friseurberuf ergreifen. Das stimmt. Als ich in die Berufsschule gegangen bin, gab es drei Klassen mit jeweils 30 Schülern. Ich war der einzige Junge.
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Der Friseurberuf gilt gemeinhin als feminin. Wenn ein Mann Friseur wird, dann waren es zuvor meist auch dessen Eltern. Das war auch bei mir der Fall.
Sie sind inzwischen 64 Jahre alt. Da ist nicht mehr weit zur Pension. Was macht Hardy Fenkart im Ruhestand?
Keine Ahnung. Ich stehe sicher nicht bis zum 80er am Friseurstuhl. Ich werde mit 65 definitiv in Pension gehen, aber zeitlich reduziert weiterarbeiten. Eines ist auch klar: Der Kunde sucht sich lieber einen jüngeren Friseur. Aber ich werde meine langjährigen Kundschaften sicherlich nicht im Stich lassen. Wenn du jemanden zehn Jahre kennst, dann quatscht du mit ihm auch gerne. Ich stehe in der Pension vielleicht nur mehr ein- bis zweimal im Geschäft. Mein Beruf ist dann mehr Hobby.
10 | Mittendrin in V
Genug vom Besten
Tarte mit Karamell, salzigen Nüssen und Schokolade
Zutaten für eine Tarte-Form (24 cm):
Mürbteig:
• 150 g zimmerwarme Butter
• 80 g Staubzucker
• 20 g Vanillezucker
• 250 g Mehl
• 1 Prise Salz
• 30 g geriebene Walnüsse
• 1 Ei
Zubereitung:
Karamell:
• 100 g Feinkristallzucker
• 20 ml Ahornsirup
• 25 g Butter
• 100 ml Rahm
• 100 g gesalzene, geröstete Erdnüsse Schokoladen-Crème:
• 240 g Schokolade (40 % Kakaoanteil)
• 150 ml Rahm
Für den Mürbteig Butter, Zucker, Mehl, Salz und Nüsse mit der Küchenmaschine oder den Quirlen des Handmixers verrühren. Ei dazuschlagen und Teig rasch verkneten. In Folie einschlagen und ein paar Stunden kühlstellen. Ausrollen, immer wieder mit etwas Mehl bestauben, damit nichts klebt. In die mit Butter ausgestrichene Tarte-Form legen, Seiten andrücken, überstehenden Teig abschneiden, mit einer Gabel den Boden mehrmals einstechen. Tarte-Boden mit einem runden Stück Backpapier auslegen und mit Hülsenfrüchten beschweren, im Ofen bei 160° Umluft 20 Minuten blindbacken. Papier und Hülsenfrüchte entfernen und Boden auskühlen lassen. Aus dem übrigen Teig steche ich immer Kekse und backe sie für gut 10 Minuten.
Für das Karamell Zucker in einem Topf bei mittlerer Temperatur erhitzen. Beginnt er zu schmelzen, den Ahornsirup dazugießen. Dann die Butter darin zerlassen und mit Rahm aufgießen. Unter Rühren 2 Minuten köcheln, in eine Schüssel gießen und abkühlen lassen. Karamell auf dem Tarte-Boden verteilen, gehackte Nüsse darüber streuen und im Kühlschrank fest werden lassen.
Für die Crème Schokolade hacken und in eine Rührschüssel füllen. Rahm erhitzen und über die Schokolade gießen, durchrühren und über die Karamellschicht füllen. Wieder im Kühlschrank fest werden lassen und mit Karamell-Fäden oder -Nüssen dekorieren.
Von Daniel Mutschlechner, probelokal.com
Heute gibt’s weder Vitamine noch Mineralstoffe. Und schon gar keine Belehrung in Sachen gesunder Ernährung. Diese Tarte ist quasi der alte, weiße Mann unter den Kuchen. Mit politisch korrektem Essen hat sie nichts zu tun.
Fettig ist sie, süß und salzig. Weder Zahnärztin noch Diätologe haben ihre Freude mit ihr. Aber ich! Und wie!
Schon klar, dass es diesen Kuchen nicht jede Woche gibt. Dafür schmeckt er zu gut. Doch in Zeiten, in denen Gejammer zum guten Ton gehört und schimpfende Populisten wieder einmal zum Höhenflug ansetzen, darf es zwischendurch ein richtiger Schmackofatz sein. Damit wir ja nicht vergessen, wie schön das Leben ist.
Die Tarte ist mir erst beim dritten Versuch optimal gelungen. Einmal wurde die Schokoladen-Crème zu hart und dann geriet das Karamell zu flüssig. Erstaunlich, dass die Begeisterung der Kinder von Mal zu Mal nachließ – war es am Anfang noch der sensationelle Kuchen, der wie eine Kombination aus Snickers und Daim schmeckte, mutierte er bei der dritten Version bereits zum Ladenhüter. Man bekommt eben vom Besten genug.
Musiktipp:
Beim rettenden, dritten Backversuch stand ich alleine in der Küche – das kommt im turbulenten Familienleben selten vor. Ich nutzte die Gunst der Stunde, drehte die Musikanlage auf und aktivierte die Zufalls-Funktion meiner Gute-Laune-Liste. Aus den Boxen donnerte „The Boy With The Thorn In His Side“ von The Smiths. Entzückt von seinem charakteristischen Spiel musste ich mir das Solo-Album von Smiths-Gitarrist Johnny Marr zulegen („Fever Dreams Pts. 1-4“).
#79 | Februar 2023 | 11
Wohin geht eigentlich das ganze Geld?
Erich Ströhle (59) war als Sozialarbeiter maßgeblich an Neuerungen innerhalb einiger Organisationen beteiligt und arbeitet jetzt seit zehn Jahren beim ifs Wohnen mit dem Schwerpunkt Siedlungsarbeit in gemeinnützigen Wohnanlagen. Davor war er zehn Jahre lang mit dem Aufbau der Beratungsstelle und dem Ausbau der Sozialarbeit in den Kaplan Bonetti Sozialwerken beschäftigt, hat sowohl bei DOWAS, in der Suchtberatung TREFF, im Clean Bregenz und in der Caritas Wohnungslosenhilfe gearbeitet. Seine jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit armutsgefährdeten Menschen hat seinen Blick geschärft und er stellt im Interview mit Daniela Egger eine simple, berechtigte Frage: Wohin geht eigentlich das ganze Geld?
„Der überwiegende Teil der Sozialausgaben sind eine direkte Wirtschaftsförderung. Damit werden Mieten bezahlt und lebensnotwendige Dinge gekauft. Dieses Geld läuft also zurück in die regionale Wirtschaft.“
Das Leben und vor allem das Wohnen in Vorarlberg wird immer teurer – wie sieht die Zukunft aus?
In den letzten Jahren hatten wir eine fatale Preisentwicklung auf dem Vorarlberger Wohnungsmarkt. Die Preise für Mieten und Wohnimmobilien sind nicht gestiegen, sie sind förmlich explodiert. Demgegenüber steht ein seit Jahren kontinuierlicher Reallohnverlust, da die Löhne in keiner Weise mit der Preisentwicklung mitziehen. Daraus entsteht die Situation, dass Wohnen für die Vorarlberger Bevölkerung immer teurer wurde und die Menschen von ihrem Einkommen immer größere Teile für die Abdeckung des Grundbedürfnisses Wohnen aufwenden müssen. Dieser Entwicklung wollte die Vorarlberger Landesregierung entgegenwirken, indem sie in ihr Arbeitsprogramm die Errichtung von 4000 zusätzlichen, neuen gemeinnützigen Wohnungen aufgenommen hat. Das würde bedeuten, dass während der Legislaturperiode jährlich 800 neue Wohnungen gebaut werden müssen. Im ersten Regierungsjahr wurde diese Anzahl auch erreicht, ist aber in der Folge stark gesunken. Aktuell sind wir bei nicht mal 300 neuen gemeinnützigen Wohnungen im Jahr 2022. Es wäre also hoch an der Zeit, die Landesregierung an ihr eigenes Arbeitsprogramm zu erinnern und damit eine größere Anzahl von leistbaren Wohnungen für die Bevölkerung zu schaffen.
Wo würden Sie ansetzen, um Änderungen voranzutreiben?
Zuerst müssen wir mal davon wegkommen, dass das Einfamilienhaus bei uns so eine große Bedeutung hat. Erstens kann sich das ja ohnehin kaum mehr jemand leisten und zweitens ist der damit verbundene Bodenverbrauch ein völliger Wahnsinn. Gerade in einem Land wie unserem, in dem der verfügbare Grund sehr begrenzt ist, sollte uns langsam klarwerden, dass wir gar nicht daran vorbei kommen, vermehrt in die Höhe zu bauen. Wir wissen, dass beim Bau von Wohnhäusern zirka 30 Prozent der Kosten für das dazu nötige Grundstück anfallen. Wenn wir also vermehrt in die Höhe bauen, haben wir mehr Wohnraum auf demselben Grundstück. Das wiederum reduziert die Kosten und führt in der Folge zu etwas günstigeren Mieten. Eine weitere Möglichkeit sehe ich in der in Vorarlberg auch schon vereinzelt umgesetzten Modulbauweise. Dabei werden einzelne Teile einer Wohnanlage vorgefertigt und dann vor Ort zusammengesetzt. Ähnlich wie in ei-
12 | Mittendrin in V
Text und Foto: Daniela Egger
„So gesehen sollte sich eigentlich die Wirtschaftskammer für eine Erhöhung der Sozialleistungen stark machen.“
nem Baukastensystem. Auch dabei werden Kosten reduziert, bei gleichbleibend hohem Standard. Diese und andere Ideen in dieser Richtung müssen sich auch in der Förderpraxis der Wohnbauförderung niederschlagen. Also weg von der Förderung von Einfamilienhäusern oder Kleinstwohnanlagen und so viel Wohnbauförderung als möglich in den Ausbau von gemeinnützigem Wohnraum.
Es gibt ja auch einige Ansätze zu alternativen Wohnformen –sind die vielversprechend?
Neue Modelle sind immer interessant, sie haben aber auf die Armutsbekämpfung bzw. die Verhinderung von Armut keinerlei Auswirkung. Leute, die solche Konzepte angehen sind vorwiegend gut verdienende Akademiker.
Da wäre auch keine soziale Durchmischung gegeben? Mir hat bisher niemand erklären können, was das eigentlich ist – diese soziale Durchmischung. Da reden ganz viele Menschen über völlig unterschiedliche Dinge. In der Schweiz wurden die Auswirkungen von sozialer Durchmischung im Wohnbereich sehr gut beforscht. Die Ergebnisse dieser Forschung machen klar, dass eine gute oder weniger gute Durchmischung praktisch keinerlei Auswirkungen hat. Bei diesem Thema denken wir ja oft an Steuerungsmöglichkeiten, die sich meiner Meinung nach lediglich im Vorfeld des Bezuges einer Wohnanlage ergeben, also bei der Auswahl der Mieter*innen und der Zuteilung der Wohnungen, was im gemeinnützigen Bereich ja die Gemeinden machen. Nach Bezug der Wohnungen fallen diese Steuerungsmöglichkeiten praktisch weg, da der Wechsel der Mieter*innen sehr gering ist und somit nur noch einzelne Wohnungen neu belegt werden können.
Aber für eine gemeinnützige Wohnung kommen doch nur sehr wenige in Frage?
Die Förderrichtlinien des Landes und die damit einhergehenden Vergaberichtlinien für den gemeinnützigen Wohnbau regeln die Vergabe klar. Ein wesentlicher Punkt dabei ist das jeweilige Netto-Haushaltseinkommen. Da liegen die Obergrenzen aktuell für Einzelpersonen bei 2380 Euro und für zwei Personen bei 4200 Euro und für drei oder mehr Personen bei 4900 Euro. Wir reden also hier ganz klar von der Mittelschicht.
Dauernd hört man, dass das alles nicht mehr bezahlbar ist … Ja, aber das ist völliger Unsinn. Die Sozialquote in Österreich, also jener Anteil des Bruttoinlandsproduktes (BIP) der für Sozialausgaben verwendet wird, lag die letzten Jahre sehr konstant bei zirka 29 Prozent. Lediglich in den letzten beiden Jahren stieg dieser Anteil durch die Coronahilfen.
Mich ärgert diese unsinnige Diskussion sehr, weil auch nie jemand darauf hinweist, dass der überwiegende Teil dieser Sozialausgaben eine direkte Wirtschaftsförderung ist. Damit bezahlen die betroffenen Menschen ihre Mieten, kaufen ihre Lebensmittel und Kleidung etc. Dieses Geld läuft also auf direktem Weg zurück in die regionale Wirtschaft. Mit diesem Geld spekuliert niemand an der Börse oder kauft sich Anlegerwohnungen im Ausland, damit wird das Überleben finanziert. So gesehen sollte sich eigentlich die Wirtschaftskammer für eine Erhöhung der Sozialleistungen stark machen.
Man spart also an der falschen Stelle, wenn Pensionen nicht erhöht werden oder Arbeitslosengeld zu knapp angesetzt ist? Ganz genau. Wie bereits vorhin gesagt, muss uns endlich klarwerden, dass wir in einem Land leben, in welchem viele Menschen ohne entsprechende Unterstützung gar nicht überleben könnten. Diese Unterstützungen sichern zwar, mehr schlecht als recht, das Überleben, sind aber viel zu niedrig, um ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Viele der Sozialleistungen sind in den letzten Jahren nicht einmal an die Inflation angepasst worden, während in diesem Zeitraum die Preise explodiert sind. Sie haben sich somit in der Praxis laufend verringert. Die nun von der Bundesregierung beschlossene jährliche Indexierung einiger Soziallleistungen stellt einen ganz wichtigen Schritt für die Betroffenen dar. Noch wichtiger wäre aber die Abschaffung des Bundessozialhilfegesetzes und die Wiedereinführung eines verbesserten Mindestsicherungsgesetzes. So könnten die Bundesländer in die Lage versetzt werden, die jeweiligen Landesgesetze so zu gestalten, dass Armut verhindert und dort, wo sie besteht, abgeschafft werden könnte. Die Sicherung eines menschenwürdigen Lebens für alle Menschen ist doch eine der zentralen Aufgaben der Politik. Und ich möchte nochmal darauf hinweisen, dass der überwiegende Teil der ausbezahlten Sozialleistungen – seien dies Sozialhilfe, Wohnbeihilfe, Arbeitslosengeld, Pensionen, Familienbeihilfen etc. – sofort zurückfließt in den regionalen Wirtschaftskreislauf und somit nicht nur eine Hilfestellung für Betroffene darstellt, sondern genauso eine Förderung der regionalen Wirtschaft ist. Diesen Gedanken sollten wir in den kommenden Diskussionen über Sozialleistungen und deren Finanzierbarkeit vielleicht öfter mal einbeziehen.
TIPP
Erich Ströhles ausführliches Interview ist Teil der Ausstellung „Hotel zur Schiene“ Kaplan Bonetti Dornbirn, die am 5. Mai 2023 im Stadtmuseum Dornbirn öffnet.
#79 | Februar 2023 | 13
LET’S TALK ABOUT BODYSEX
Jessica Adams, 41, aus Schnepfau ist eine von rund 25 „Bodysex-Trainerinnen“ weltweit. Mit ihrem Coaching-Angebot möchte sie Frauen zu einem erfüllten Sexualleben verhelfen. Und mit falschen Mythen und Missverständnissen über weibliche Anatomie aufräumen.
steht da auf dem einen, „All about you“ auf dem anderen Visitenkärtchen. Und meint: Sich selbst und dabei vor allem auch die eigenen Sexualorgane, das eigene Lustempfinden besser kennenzulernen. Jessica Adams, gebürtige Bregenzerwälderin, geht offen damit um, wie sie nicht nur in ein neues Körpergefühl, sondern damit auch zu ihrem Zweitberuf der Bodysex-Coachin gefunden hat. Lange Zeit hat die dreifache Mutter das Thema „eigene Sexualität“ ins Abseits gestellt. Gleichzeitig aber seit jeher viel an sich selbst gearbeitet, eine Yogaausbildung absolviert, allerlei im Bereich Persönlichkeitsentwicklung gemacht. Und dennoch, irgendetwas hakte. „Ich steckte fest“, sagt die gelernte Pädagogin rückblickend und schreibt dem Alter eine gewichtige Rolle zu: „Da tut sich einfach etwas bei der Frau, wenn sie auf die 40 zugeht, auch körperlich.“ Gespräche mit ihrem Partner brachten sie nur bedingt weiter. Nicht, weil es ihm an Einfühlungsvermögen fehlte, sondern weil sie schnell erkannte, dass das Problem nicht auf Beziehungsebene zu lösen war. Die Reise sollte viel eher in ihre eigene Mitte führen. Im Zuge ihrer Auseinandersetzung landete Jessica schließlich bei einer Folge der Netflix-Serie „The Goop Lab“ (siehe Infokasten) über Betty Dodson (†), eine amerikanische Sexualpädagogin, bekannt für ihre Pionierarbeit in Sachen sexueller Befreiung der Frau. Dodsons Vermächtnis: Frauen, darin zu unterstützen, ihren eigenen Körper kennenzulernen, Schamgefühle loszuwerden, das Lustempfinden zu verbessern und sie in ihrer Selbstliebe zu fördern. Gefasst unter dem Begriff „Bodysex“ wird Dodsons Lehre in Kursen und Ausbildungen weitergegeben. Jessica Adams meldet sich für einen virtuellen Bodysex-Kurs an und erlebt diesen als Wendepunkt: „Ehe ich mich‘s versah, war ich die Expertin meines eigenen Orgasmus geworden. Das Wissen, das ich mir nun angeeignet hatte, veränderte alles.“ Jessica weiß jetzt, was sie will: Auch beruflich über Vulven, Orgasmen und Masturbation zu sprechen.
14 | Mittendrin in V
„All about orgasm“
Text: Simone Fürnschuß-Hofer, Fotos: Lindsey Appolis, Petra Rainer
„WENN DIE MÄDCHEN
SICH SELBST BESSER KENNEN WÜRDEN, WÜRDEN SIE MEHR IN IHRE
SELBSTBESTIMMUNG
FINDEN UND IN IHRE URKRAFT.“
Es sei ihr wie Schuppen von den Augen gefallen: „Wenn das alles stimmt, was hier gesagt wird, dann ist an mir fix nichts verkehrt. Auf dem Silbertablett wurde mir serviert, ein Orgasmus ist so einfach wie eins plus eins zwei ergibt.“ Was folgt, ist ein Glücksfall der Lockdown-Zeit: Die einjährige Ausbildung zur Bodysex-Trainerin nach der Betty Dodson Methode, die normalerweise nur in New York stattfindet, wird ins Internet verlegt. Jessica Adams ist via Zoom mit dabei. Natürlich kennt auch sie das Gefühl der Scham – und die Angst, für das unumwundene Zur-Sprache-Bringen intimer Themen verurteilt zu werden. Doch gleichzeitig spürt sie wie nie zuvor den Ruf, weibliche Sexualität zu enttabuisieren, zu normalisieren und Frauen wie Töchter mit ihrer Urkraft zu verbinden. Umfragen (unter vorwiegend heterosexuellen Frauen) zufolge erleben rund 35 Prozent keinen Höhepunkt beim Geschlechtsverkehr. Jessica vermutet eine noch viel höhere Dunkelziffer, ganz abgesehen von den Tabus und Abwertungen, denen Frauen im Erleben ihrer Lust unterworfen sind. Sogleich nach erfolgreicher Ausbildung organisiert sie sich eine Website, Visitenkarten und einen Praxisraum. Zwar ist Jessica nach wie vor hauptberuflich im klassischen Bildungssektor tätig, bietet als selbstständige Sexualtrainerin aber bereits Bodysex-Einzelcoachings, Kurse und Workshops an. Dabei arbeitet sie von zwei Standorten aus: Neben ihrem Wohnort Schnepfau ist in den letzten Jahren auch Kapstadt, die Heimat ihres Mannes, immer mehr zum zweiten Zuhause der Familie Adams geworden.
Fehlentwicklungen durch Fehlannahmen
Sexualität ist patriarchal geprägt. Das hat vor allem für die Frau negative Auswirkungen, mag aber auch dem einen oder anderen heterosexuellen Mann zur Bürde werden, fühlt er sich möglicherweise schuldig, wenn die Frau nicht zum Höhepunkt kommt. „Dabei braucht es den Mann gar nicht dazu“, sagt Jessica und lacht aus vollem Halse. Wohl weil sie sich der Provokation dieser Aussage bewusst ist, aber auch, weil sie die entspannende Wahrheit dahinter kennt. Punkt eins: Jede Frau sei selbst dafür verantwortlich, ihrer Sexualität Platz einzuräumen und sie nicht im Alltag verkümmern zu lassen. Punkt zwei: Das bedinge, sich mit Geschlechtsorganen wertfrei auseinanderzusetzen, die Dinge beim Namen zu nennen und das vor allem präzise. Ein kurioses, aber gutes Beispiel für verhängnisvolle Versäumnisse in Sachen Aufklärung: „Beim Mann käme niemand auf die Idee, dass er seinen Penis nicht von den Hoden unterscheiden kann, eine Frau schaut dich mitunter ratlos an, wenn du sie nach dem Unterschied zwischen Vagina und Vulva fragst.“ Punkt drei: Die fixe Idee, für manche Frauen sei der Höhepunkt „halt einfach ein schwieriges Thema“, sei reine Suggestion und grundfalsch. In ihren Bodysex-Trainings möchte Jessica den Teilnehmerinnen in einem ersten Schritt helfen, sich von ihrer Scham zu befreien und
„WENN DAS ALLES STIMMT, WAS HIER GESAGT WIRD, DANN IST AN MIR FIX NICHTS VERKEHRT.“
#79 | Februar 2023 | 15
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ihrer Lust Raum zu geben. „Allein dabei passiert schon Heilung. Wir alle sind durch Unterdrückung und unsere Unkenntnis über gewisse Körperteile sexuell traumatisiert. Dass beispielsweise die Klitoris ein Schwellkörper ist, wie ihn der Mann auch hat und als wunderbares Organ keine andere Aufgabe hat, als uns sexuelles Vergnügen zu bereiten, das hat mir zuvor niemand gesagt. Das wird komplett ausgeblendet, während Jungs ihr Geschlechtsteil quasi dauernd in der Hand haben. Mädchen wissen oft überhaupt nicht Bescheid, auch nicht über Masturbation. Alles, was sie im Aufklärungsunterricht lernen, ist, wie Fortpflanzung funktioniert.“ Erschreckend sei, wie viele junge Frauen die Vulvalippen verkleinern lassen: „Weil nicht darüber geredet wird und die Mainstream-Pornografie mit ihren gefakten Bildern zusätzlichen Schaden anrichtet, kommt es zu chirurgischen Eingriffen, um einem Schönheitsideal nachzueifern, das jenseits aller Normalität ist. Wenn die Mädchen sich selbst besser kennen würden, würden sie mehr in ihre Selbstbestimmung finden und in ihre Urkraft.“ Auch gefährliche Vorstellungen wie der „Sex-als-Trieb“-Mythos würde Schaden anrichten, beklagt die Sexualtrainerin und zitiert die amerikanische Sexualwissenschaftlerin Emily Nagosky sinngemäß: „Wenn Sex als Trieb gesehen wird, so wie etwa Hunger, dann sind potenzielle Partner:innen wie Nahrung zu sehen. Oder wie Beutetiere, die gejagt werden, um den Hunger zu stillen. Vielmehr sollten wir Sex als etwas sehen, das Interessen und Begehren bedient, nicht Grundbedürfnisse.“ Die Sex-als-Trieb-Erklärung könne schlimmstenfalls sogar dazu führen, Fehlverhalten zu legitimieren. In diesem Kontext will Jessica Adams eines ganz besonders unterstreichen: „Nur ein Ja heißt Ja. Das habe ich in meiner Kindheit und Jugendzeit nicht gelernt, so wie vermutlich viele andere auch nicht.“
Der Stein rollt
„Diese orgasmische Kraft“, so Jessica, „hat bei mir ganz viel in Bewegung gebracht. So viel ist aufgebrochen und ich bin wie kaum jemals zuvor in meine eigene Kraft gekommen. Ich bin plötzlich viel aufrechter gegangen, die Ausbildung und die viele Literatur hat meine Definition dessen, was normal ist, sehr geweitet und in der Partnerschaft können wir offener denn je über alles sprechen.“ Auch die Resonanz aus ihrem Umfeld nehme sie als durchwegs positiv wahr, sagt die Bregenzerwälderin. „Ich bin erstaunt, wie offen und interessiert der Großteil auf mein Tun reagiert. Ich will ja auf keinen Fall irgendjemandem etwas überstülpen. Mein Antrieb kommt aus dem Impuls: ‚Wie wäre es gewesen, wenn ich mit all dem Wissen groß geworden wäre?‘“
Weltweit gibt es erst rund 20 bis 25 Bodysex-Coachinnen, unter iscarosa.com teilt
MIR GANZ VIEL IN BEWEGUNG GEBRACHT. SO VIEL IST AUFGEBROCHEN
UND ICH BIN WIE KAUM JEMALS ZUVOR
IN MEINE KRAFT GEKOMMEN.“
16 | Mittendrin in V
„WIE WÄRE ES GEWESEN, WENN ICH MIT ALL DEM WISSEN GROSS GEWORDEN WÄRE?“
„DIESE ORGASMISCHE KRAFT HAT BEI
Jessica Adams nicht nur ihr Wissen, persönliche Erfahrungen und weiterführende Links, auch kann man sich dort über alle ihre Angebote informieren. Zum Beispiel über den Kurs „Bodysex Light“, die Einstiegsvariante für jene, die nicht sicher sind, wie weit sie gehen wollen. Denn ganz sicher braucht es Mut, um sich auf diese Reise einzulassen, wiewohl auch Achtsamkeit für eigene Grenzen und das eigene Tempo. Dessen ist sich Jessica bewusst, hätte sie sich doch vor wenigen Jahren selbst noch nicht vorstellen können, „sich einmal mit nacktem Hintern auf der Website zu platzieren.“ Befreites Lachen und ein bestätigender Nachsatz: „Ich weiß, ich muss mit diesem Wissen hinausgehen, ich kann das einfach nicht für mich behalten.“
Websites
WEITERFÜHRENDE INFOS
// iscarosa.com: Website von Sexualtrainerin Jessica Adams mit umfassenden Informationen rund um Sexualität, Genitalien und Orgasmus. Persönliche Erfahrungen und weiterführende Links. Außerdem alle ISCAROSA-Angebote wie Beckenbodentraining, Bodysex (Light)-Kurse, Bodysex-Workshops, virtuell wie vor Ort, Einzelstunden und Gruppenkurse.
// dodsonandross.com: Alles über die US-amerikanischen Protagonistinnen der Bodysex-Praxis und Betty Dodson Methode.
Literaturtipps
// „Komm, wie du willst“, Emily Nagoski
// „Das Menopause Manifest“, Jen Gunter
// „Sex for One: The Joy of Selfloving“, Betty Dodson (derzeit nur auf Englisch erhältlich)
// Für Kinder: „Lina, die Entdeckerin“, Katharina Schönborn-Hotter Dokumentationen
// „The Pleasure Is Ours,” 3. Folge der Netflix Serie “The Goop Lab”. Die Doku-Serie, gehostet von der US-Schauspielerin Gwyneth Paltrow, widmet sich Wellnessthemen, alternativen Heilmethoden und in dieser speziellen Episode der Betty Dodson Methode
// „The Principles of Pleasure“: eine dreiteilige, US-amerikanische Dokumentar-Fernsehserie auf Netflix
Female Pleasure Workshop
Loslassen und in die Kraft der weiblichen Lust eintauchen mit Jessica Adams & Angelika Maier-Rottmar
Fr, 3. März, 17 - 19:30 Uhr, Secret Place Yoga, Gütle 11b, Dornbirn Infos rund um die Themen Körpergefühl, Sexualität und Lust, leichte, energetisierende Körperübungen & sanfte Aerial-Meditation
Kosten: € 56,–|Anmeld.: geli.yogini@gmail.com|jess@iscarosa.com
Sprüche-Quiz
Wer kennt die fehlenden Mundartausdrücke?
Wenn jemand jemandem anderen ein wenig drohend sagen will, wie man etwas richtig anstellt, sagt man: I zoag dir glei, wo da da Moscht holt!
Man ist allgemein der Meinung, dass die Reichen immer mehr dazubekommen, deshalb sagt man: Da Tüüfl schiißt all of di gliicha .
Wenn jemand in sehr hohem Alter stirbt, sagt man: Do ischt d‘ numma schuld.
Wenn jemand immer dasselbe wiederholt, entgegnet man mit:
Dia heat an Schprung.
Steht jemand einem anderen vor der Nase und versperrt ihm das Blickfeld, könnte man folgendermaßen reagieren: Ischt diin Vatter ?!
Finden zwei ältere Semester zueinander und heiraten, kann man im Bregenzerwald folgenden Spruch hören: Zwoa geand oo a Hozig.
Wer das ganz genau wissen möchte oder wer sich für weitere 6300 Vorarlberger Sprichwörter und Redensarten interessiert, dem und der kann man das neu erschienene „Vorarlberger Sprichwörterbuch“ von Wolfgang Berchtold im EDITION V Verlag ans Herz legen. Wer uns die richtigen Quiz-Antworten schickt, hat die Chance eines von drei Büchern zu gewinnen.
Schicken Sie eine E-Mail (mit Namen und Adresse!) mit dem Stichwort „Mundart-Quiz an redaktion@marie-strassenzeitung.at
#79 | Februar 2023 | 17
TIPP
DER WIDERSTAND DECKT EINE KOLOSSALE HEUCHELEI AUF“
Der renommierte Wachstumskritiker Niko Paech (62) setzt sich vehement für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen ein. Er kritisiert scharf unwirksame Maßnahmen und leere Floskeln der Politik und der Mehrheit der Gesellschaft, erklärt, warum wir nicht auf die Technik setzen können und es zuallererst eine kleine Wirtschaft mit weniger Konsum und Mobilität braucht. Unpopuläre, stichhaltige Worte.
Vor Jahren sagten Sie im marie-Interview, Krisen können den Prozess in Richtung klimaverträgliche Gesellschaft beschleunigen. Nach der Pandemie und dem Kriegsausbrauch in der Ukraine: Bewegen wir uns schneller? Die Krisen, die wir gerade erleben, sind nicht hinreichend, um moderne Gesellschaften auf einen Entwicklungspfad zu bringen, an dessen Ende eine Postwachstumsökonomie oder ein ökologisches Überlebensprogramm steht. Doch mit jeder Krise steigt die Anzahl derjenigen Menschen, die den Glauben an die Fortsetzbarkeit unseres Lebensstils verloren haben. Das ist noch keine Mehrheit. Die Mehrheit wird nach einer Krise einen gewissen Nachholbedarf an den Tag legen. Wir können nicht ausschließen, dass ausgerechnet der dekadenteste und ökologisch zerstörerische Luxus sogar kurzfristig gesteigert wird, wenn wir an Urlaubsflüge, Kreuzfahrten oder die Nachfrage an SUVs denken.
Wenn es nicht die Krise ist: Was braucht es dann?
Das weiß niemand. Ob die menschliche Zivilisation überleben kann, ist inzwischen offener denn je. Es lässt sich ein spannendes Szenario beobachten: Nie waren die Menschen so gebildet, so frei, so reich, so problembewusst, so politisch korrekt und nie haben sie gleichzeitig so ruinös über ihre Verhältnisse gelebt. Nicht auszuschließen ist, dass es ein unschönes Finale gibt. Solange dieses aber nicht eingetreten ist, sehen es viele Menschen und auch Wissenschaftler wie ich als ihre Pflicht, gegen den Steigerungswahn, der uns die Lebensgrundlage kostet, vorzugehen.
„Spannend“ sagen Sie. „Zum Verzweifeln“ sage ich. Wie gehen Sie persönlich mit der großen Diskrepanz von absolu-
ter, globaler und folgenreicher Dringlichkeit einerseits und der weitreichenden unveränderten Konsumpolitik, -wirtschaft und -gesellschaft andererseits um?
Als wirtschaftswissenschaftlicher Nachhaltigkeitsforscher folge ich meinem Arbeitsauftrag. Persönlich tangiert mich das überhaupt nicht. Ich bin 62 Jahre alt, für mich muss die Welt nicht gerettet werden. Mir tun diejenigen leid, die nicht einmal 20 sind, also noch sieben Jahrzehnte vor sich haben, in denen sich die Lebensbedingungen extrem verschlechtern können. Als Wissenschaftler empfinde ich durchaus Empathie für diese Mitmenschen, auch das treibt mich an.
Wie nehmen Sie junge Menschen in der Klimafrage wahr?
Die junge Generation – das kann man ihr aber bitte nicht zur Last legen, zumal sie Opfer eines kompletten Versagens unserer Erziehungsmaximen und unseres Bildungssystems ist – zieht keine Konsequenzen. Was in Lützerath geschah [Anm.: Protest der Räumung des von Aktivisten besetzten Braunkohleortes in Deutschland] oder unter dem Label von Fridays for Future, Extinction Rebellion und Co geschieht, ist ein Minderheitenphänomen. Das Gros junger Menschen, die natürlich die Welt erleben wollen, stellen heute höhere Anforderungen an Mobilität, Techniknutzung und Komfort als jede vorherige Generation. Aber nochmal: Das möchte ich nicht den jungen Menschen vorwerfen, sondern verdeutlichen, dass die letzten Elterngenerationen ihrem Nachwuchs alle Maximen vorenthalten haben, die zur Überlebensfähigkeit beitragen.
Welche Maximen sind das?
Genügsamkeit. Disziplin. Widerstandsfähigkeit. Verantwortungssinn.
18 | Mittendrin in V
Interview: Christina Vaccaro
„
Foto: Michael Messal
Kann man Menschen langsam wieder an Werte wie Genügsamkeit gewöhnen oder braucht es vielmehr einen brutalen politischen Schnitt?
Es wird keine politische Lösung geben können, gerade weil wir demokratisch agieren. Das ist keine Kritik an der Demokratie, sondern am ethischen Versagen. Wir erleben seit 50 Jahren, dass demokratische Regierungen hinsichtlich der Notwendigkeit, Lebensgrundlagen zu erhalten, zu nichts fähig sind. In Deutschland haben wir eine Regierung, die regelrecht versucht, Feuer mit Benzin zu löschen. Im Namen des Klimaschutzes werden technologische Monstren in die Landschaft gesetzt, die wenig bewirken, gleichzeitig sollen pro Jahr 400.000 neue Wohnungen entstehen, obwohl der behauptete Wohnraummangel ein Luxusproblem ist. Die Politik wird das Problem nicht lösen, weil die Mehrheit der Gesellschaft sie dafür nicht wählt, weil es Wohlstand kosten würde.
Wer tut es dann?
Es sind harte gesellschaftliche Konflikte zu erwarten. Zunehmende Teile der Gesellschaft sind nicht mehr einverstanden mit einer ökologischen Verantwortungslosigkeit, die ihresgleichen sucht. Interessanterweise besteht in modernen Gesellschaften beinahe ein Konsens über die Notwendigkeit, das Klima und die Biodiversität zu schützen. Nun zu fordern, dass dies konsequent, um nicht zu sagen hinreichend radikal umzusetzen ist, würde der Mehrheit keine Minderheitenmeinung aufzwängen, sondern sie daran erinnern, was sie jeden Tag selbst rausposaunt. Der Widerstand gegen die Zerstörung, den wachsende soziale Bewegungen artikulieren, deckt also nur eine kolossale Heuchelei auf.
Mit gesellschaftlichen Konflikten meinen Sie vor allem aktivistische Formen des Protestes?
Selbstverständlich. Es ist von der Reaktion politischer Akteure und der Mehrheit der Gesellschaft abhängig, wie hart diese Kämpfe werden. Fridays for Future war mehr oder weniger harmlos, Extinction Rebellion schon nicht mehr ganz so sanft. Jetzt lesen viele Menschen das Buch vom schwedischen Soziologen Andreas Malm „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“. Das Erreichen ständig neuer Steigungsstufen der Verarbeitung gesellschaftlicher Widersprüche ist unübersehbar. Die Polizei kann aufrüsten, aber sie wird diese Konflikte nicht verhindern. Irgendwann werden Menschen jeglichen Alters sagen: „Wir haben nichts mehr zu verlieren, wenn es so weiter geht. Also können wir jetzt aufs Ganze gehen.“ Das sich Gesellschaften aus Konflikten heraus entwickeln, ist alles andere als neu.
Die individuelle Verantwortung wird aber gerne weggeschoben, auf Politik und Wirtschaft abgewälzt. Ich glaube, es ist ein wichtiger persönlicher Leitsatz der Aufklärung, sich vor dem Spiegel zu fragen: Wer bin ich und wer werde ich am Lebensabend gewesen sein wollen? Sind wir humane Individuen oder brutale Barbaren? Haben wir die Barbarei, wenn wir so leben wie derzeit, überhaupt überwunden oder sie nur demokratisiert? Vor dieser Frage wegzurennen heißt, immer einen inneren Konflikt mit sich zu tragen. Eine erträgliche Lebensqualität hängt nicht nur davon ab, wie man versorgt ist und ob man unter demokratischen Bedingungen lebt, sondern setzt voraus, mit sich selbst im Reinen zu sein. Die Mehrheit der Menschen in den modernen Konsumdemokratien muss sich jeden Tag neu belügen, um ein Leben >>
#79 | Februar 2023 | 19
„NIE WAREN DIE MENSCHEN SO GEBILDET, SO FREI, SO REICH, SO PROBLEMBEWUSST, SO POLITISCH KORREKT UND NIE HABEN SIE GLEICHZEITIG SO RUINÖS ÜBER IHRE VERHÄLTNISSE GELEBT.“
„ES SIND HARTE GESELLSCHAFTLICHE KONFLIKTE ZU ERWARTEN. IMMER MEHR TEILE DER GESELLSCHAFT SIND NICHT MEHR EINVERSTANDEN MIT EINER VERANTWORTUNGSLOSIGKEIT, DIE IHRESGLEICHEN SUCHT.“
Welche Strategien sind das?
Zunächst liegt das Prinzip der Suffizienz nahe, was hieße, das Leben zu entrümpeln und den ganzen Wohlstandsschrott auszumustern, der nur Geld frisst, Ökosphäre zerstört und unsere Lebensqualität ohnehin nicht steigert, weil wir reizüberflutet und überfordert damit sind, alles auszuschöpfen, was wir kaufen können. Das wäre kein Verzicht, sondern eine Befreiung von Ballast.
durchzuhalten, das nicht in Einklang mit den eigenen Erkenntnissen und Überzeugungen zu bringen ist. Eine Flugreise zu buchen, für die nicht essentielle Gründe sprechen, ist Barbarei. Punkt.
Warum können wir nicht auf die Technik setzen? Technologieeinsatz im Ökologieschutz ist nicht pauschal zu verteufeln, führt aber nur zu Lösungen, wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst und außerdem verkleinert wird. Die Geschichte kennt praktisch kein Beispiel dafür, dass mit Technologie je ein ökologisches Problem gelöst wurde, wenn die räumliche, zeitliche, systemische und stoffliche Verlagerungswirkung und sonstigen Nebenwirkungen der dabei zum Einsatz gelangten Mittel berücksichtigt werden.
Oftmals werden uns aber politisch und medial technische Lösungen suggeriert.
Je mehr Narrative einer technischen Lösbarkeit ökologischer Defizite präsentiert werden, desto überzeugender ist das Alibi dafür, selbst nichts an der Lebensführung verändern zu müssen. Damit wird jeder Sinn für individuelle Verantwortung zerstört. Beispielhaft dafür ist die sogenannte Energiewende in Deutschland. Die CO2-Emissionen sinken nicht, obwohl jedes Jahr ein neuer Rekord aufgestellt wird, was die Projektierung neuer Wind-, Solar-, Biogaskraftwerke oder geothermischer Anlagen anbelangt. Jede Windkraftanlage benötigt im Durchschnitt zwei Hektar Fläche, aber das wird in den Medien zumeist weggelassen. Stattdessen wird eine Green New Deal-Ideologie verbreitet, auf die sich alle Probleme abwälzen lassen.
Als mögliche wirtschaftliche Lösung: Wie lautet Ihr Konzept einer nicht auf Wachstum ausgelegten Ökonomie?
Die von mir vorgeschlagene Postwachstumsökonomie beruht auf diversen sich ergänzenden Versorgungsformen, um die Wirtschaft zu verkleinern, ohne dass es zu sozialen Verwerfungen kommen muss. Jede Stagnation oder Reduktion des industriellen Outputs bedeutet, dass das Volkseinkommen sinkt, was wiederum Arbeitsplatzverluste bedeuten kann. Um dieses Problem zu lösen, muss die Arbeitszeit prägnant verkürzt und umverteilt werden, langfristig würde das vermutlich auf eine 20-Stunden-Woche hinauslaufen. Die überwiegende Anzahl der Menschen in Mitteleuropa kann sich das locker erlauben – natürlich wird man ein bisschen sparsamer sein müssen. Zudem lassen sich Strategien nutzen, um mit dem geringer gewordenen Realeinkommen auszukommen.
Zweitens können wir die freigestellten Zeitressourcen verwenden, um durch eigenständige Instandhaltung, Reparatur und Gemeinschaftsnutzung die nötige Industrieproduktion, um ausreichend versorgt zu sein, zu verringern. Das können wir in Netzwerken und dafür geeigneten Orten tun, unterstützt von Profis. Zusätzlich spart die gemeinschaftliche Nahrungsmittelerzeugung in Gärten oder auf Höfen der solidarischen Landwirtschaft Ressourcen und schont den Geldbeutel. Wer kein eigenes Auto bezahlen muss, weil er es sich mit vier anderen teilt, und seine Jeans doppelt so lange nutzen kann, weil er sie repariert und ähnlich mit dem Notebook und anderen Dingen verfährt, spart viel Geld. Wer so lebt, muss nicht so viel arbeiten. Je weniger entlohnte Arbeit nötig ist, um über die Runden zu kommen, desto kleiner kann die Wirtschaft werden.
Ein Rest von Wirtschaft wird verbleiben…?
Neben Suffizienz, also einer Entrümpelung, und Selbstversorgung braucht es eine regionale Ökonomie, in der kreative Unternehmen nach wie vor marktwirtschaftlich agieren und einen Teil der Produktion übernehmen. Das umfasst die ökologische Landwirtschaft, die professionelle Reparaturwirtschaft, und Gemeinschaftsnutzung sowie handwerklich orientierte Güterproduktion.
Der Rest an benötigter Industrie dient dann dazu, einen verkleinerten Güterbestand dadurch zu erhalten, dass nur nachproduziert wird, was nach Ausschöpfung aller Nutzungsdauer verlängernden Maßnahmen doch nicht zu retten war. Selbstverständlich werden diese nachproduzierten Waren nicht identisch sein mit den zu ersetzenden. In die Neuproduktion fließt der zwischenzeitlich stattgefundene Fortschritt ein. Das Vorurteil, eine nicht wachsende, insofern statische Ökonomie sei nicht innovativ oder fortschrittsfeindlich, entpuppt sich als Quatsch.
Welche Schritte braucht es zur Transformation unseres Wirtschaftssystems in eine Postwachstumsökonomie?
Es braucht eine radikale Veränderung unseres Bildungssystems. Jungen Menschen muss ökologische Verantwortung
„ES BRAUCHT EINE RADIKALE VERÄNDERUNG UNSERES BILDUNGSSYSTEMS. JUNGEN MENSCHEN MUSS ÖKOLOGISCHE VERANTWORTUNG FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT VERMITTELT WERDEN.“
20 | Mittendrin in V
für das 21. Jahrhundert vermittelt werden – in Theorie und vor allem in Praxis. Junge Menschen sollten außerdem wieder lernen, handwerklich fähig zu sein, selbst essen zu kochen, im Garten zu arbeiten und sesshaft zu leben. Ihnen muss vermittelt werden, dass Kreuzfahrten, Flugreisen und die Nutzung von Autos absolut unverträglich damit sind, überhaupt noch eine Chance zu haben, überlebensfähig zu sein.
Die Politik sollte sich an individuellen CO2- und Ökobilanzen orientieren. Eine darauf gründende Lebensstilpolitik müsste darauf ausgerichtet sein, was Menschen brauchen, um langfristig mit einer Tonne CO2 pro Jahr gut über die Runden zu kommen. Das setzt Rückbauprogramme voraus, heißt also weniger Autobahnen, weniger Flughäfen, weniger Industrieproduktion, weniger Agrarindustrie, weniger Digitalisierung und so fort.
Haben Sie eine Vision eines doch auch glücklichen Lebens für Menschen, die jetzt 20 Jahre alt sind?
Die noch immer bestehende Überlebenschance speist sich aus dem Druck, den Krisen ausüben, und das ist ja nicht einfach nur ein materieller oder finanzieller Druck, sondern auch ein psychologischer. Mit jeder weiteren Krise nimmt die Anzahl der Menschen zu, die nicht mehr an eine Fortsetzbarkeit der aktuellen Lebensweise glauben. Ein anderer Hoffnungsschimmer besteht darin, dass immer mehr Aktivistinnen und Aktivisten in Erscheinung treten, insbesondere junge Menschen, die durch Protestaktionen die klimaschädigende Daseinsform delegitimieren. Noch wichtiger wäre allerdings, dass immer Vorbilder und vorgelebte Beispiele für ein ökologisch verantwortbares Dasein in die Gesellschaft hineinwirken.
Niko Paech (62 Jahre) lehrt und forscht an der Universität Siegen als außerplanmäßiger Professor im Bereich der Pluralen Ökonomik – einer aktiven Bewegung von Lehrenden und Studierenden der Wirtschaftswissenschaften, die sich den klassischen wirtschaftlichen Theorien widersetzen. Seine Forschungsschwerpunkte liegen unter anderem im Bereich der Umweltökonomie, der Ökologischen Ökonomie und der Nachhaltigkeitsforschung. Paech hat in Deutschland den Begriff der „Postwachstumsökonomie“ geprägt und gilt als vehementer Verfechter der Wachstumskritik.
Am Donnerstag, den 9. Februar, hält Niko Paech einen Vortrag im AK-Saal in Feldkirch. Eine Anmeldung ist online bei der Vorarlberger Arbeiterkammer erforderlich.
1.Dxh5! Dieser fantastische Zug führt unweigerlich zum Matt. 1...Lg7 [In der Partie wurde Schwarz nach 1... dxe4? unmittelbar mit 2.Dh8# matt gesetzt. Auch 1...gxh5? 2.Lh7# führt zum sofortigen Matt.] 2.Dh7+ Kf8 3.Dxg7+ Ke7 4.Df6+! Noch ein präziser Zug von Weiß. 4...Kf8 5.Dxf7#
1...Te2! Schwarz aktiviert seinen Turm und droht „nebenbei“ den weißen Springer zu gewinnen. 2.Lc3 c5! Nun aktiviert Schwarz auch noch seinen weißfeldrigen Läufer und steht klar auf Gewinn. 3.Tg1 [Auf 3.Lxb7? folgt natürlich 3...Dxh2#.] 3...Txd6 4.Lxb4 [Nach 4.h4 Lxc3 5.Dxc3 Tdxd2 hat Schwarz eine Mehrfigur und zudem die bedeutend bessere Stellung.] 4...Dxh2+! Ein hübscher Schlusszug dieser Partie. Das Matt nach 5.Kxh2 Th6# ließ sich Weiß nicht mehr zeigen.
1.Sxf7! Dieses Springeropfer unterstreicht die Anfälligkeit der schwarzen Königsstellung. 1...Txe1+ [1...Kxf7
Die Annahme des Opfers führt zu ziemlich komplizierten Varianten, in denen allerdings Weiß stets die Oberhand behält. 2.Dd5+! Der Schlüsselzug bzw. im höheren Sinn bereits die Entscheidung zugunsten von Weiß. 2...Kf6 (2...Te6
3.Txe6 Dxe6 4.Dxa8 mit weißer Gewinnstellung) 3.g4! g5 4.Dxg5+ Kf7 5.Dh5+! Lg6 (5...Kg8 6.Txe8+! Dxe8 7.Dd5+ nebst Matt) 6.Dd5+ Te6 7.Txe6 Dxe6 8.Dxa8 Weiß steht klar auf Gewinn. Auch nach 1...Lf5 2.Sxh8! steht Schwarz hoffnungslos, da das Zurückschlagen 2...Kxh8? an 3.Df6+ Kg8 4.Dg7# scheitert.] 2.Txe1 Lxc3 [Nach 2...Kxf7? führt
3.Te7+ Kg8 4.Dd5+ zum Matt im nächsten Zug.] 3.Sg5! Gegen die weißen Drohungen 4.Dd5+ und 4.Te7 gibt es kein Mittel. Schwarz gab deshalb auf.
Rechenrätsel
Für Anfänger = 36, Für Fortgeschrittene = 98
Für Genies = 125
Sudoku
#79 | Februar 2023 | 21
3 1 7 4 6 3 1 9 6 2 8 9 8 5 2 5 2 4 6 4 5 9 7 1 7 3 8 6 4 5 5 7 1 7 8 2 1 3 7 9 6 4 3 1 6 2 9 8 8 2 3 4 5 9 2 9 8 8 2 9 3 5 4 4 6 5 1 7 3 9 8 7 7 3 1 5 4 6 6 1 2 2 3 1 LÖSUNGEN Schachecke
TIPP
„WIR MÜSSEN DAS LEBEN ENTRÜMPELN UND DEN GANZEN WOHLSTANDSSCHROTT AUSMUSTERN, DER NUR GELD FRISST, ÖKOSPHÄRE ZERSTÖRT UND UNSERE LEBENSQUALITÄT OHNEHIN NICHT STEIGERT.“
Es geht auch ANDERS
Wenn europäische Organisationen in Afrika Hilfsprojekte starten, folgt das meist einer westlich geprägten Logik. Nicht immer erzählen die Erfolgsgeschichten, die dabei entstehen, die ganze Wahrheit. Alba Losert, eine junge Studentin der Friedens- und Konfliktforschung hat sich nach ihren Erfahrungen im Dunstkreis groß angelegter Entwicklungshilfe-Projekte vorgenommen, es anders zu machen.
Das hier ist keine Geschichte über klassische Entwicklungshilfe. Auch wenn sie zu einem großen Teil in Afrika spielt. Vielmehr geht es um Kooperationsmodelle mit Entwicklungsmöglichkeiten für alle Beteiligten. Treibende Kraft ist die Vorarlbergerin Alba Losert, 28. Ihre Lebenslinie ist eng mit der von Michael Büchele, 66, verbunden. Ihn kennt sie seit Kindheitstagen, damals als Nachbar, später als Mentor, inzwischen heben sie gemeinsam Bildungspotenziale. Von ihm hat sie sich wohl die Abenteuerlust abgeschaut und sie später mit einer Prise Friedensforschung gewürzt. Michael, fünffacher Vater und selbstständig im Bereich Change Management tätig, beschloss nämlich vor rund 24 Jahren, mehr oder weniger in einer Spontanaktion, ein Stellenangebot in Uganda anzunehmen. Es handelte sich dabei um den Aufbau eines Trainingscenters im Bildungssektor. Das Eigenheim in Wolfurt wurde kurzerhand vermietet, mit Sack und Pack und der ganzen Familie sollte es für zwei Jahre nach Kampala gehen. Was „mehr dem Übermut als dem Mut geschuldet war“, fand Gefallen und Fortsetzung. So folgten nach Zwischenhalten im Ländle weitere Stationen in Äthiopien, Vietnam und Palästina. Alba fasste nach der Matura ebenfalls den Entschluss, ins Ausland zu gehen. Ihre erste Reise führt sie in ein Kinderheim in Äthiopien, wo sie allerdings schmerzlich erkennen musste, wie es nicht laufen sollte. „Vieles ist mir emotional sehr nahe gegangen, vor allem das, was dort verabsäumt wurde. Mir wurde klar: Nicht zu handeln ist auch eine Entscheidung, die man verantworten muss. Deshalb habe ich nach meiner Rückkehr Politikwissenschaft und später Friedens-und Konfliktforschung studiert.“
Schlüsselmoment
Ein weiterer Funke zündet, als Alba Michael Büchele in Palästina besucht, um bei ihm als Volontärin mitzuarbeiten. Dieser kümmert sich von 2015 bis 2018 um den Aufbau einer Lehrlingsausbildungsstelle für die Wirtschaftskammer in Ramallah und soll junge Palästinenser „fit machen“ für die Berufsweltmeisterschaften „WorldSkills“. Eine große Herausforderung, die in einer ersten Vernetzung
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Text: Simone Fürnschuß-Hofer Fotos: Christian Chizzola, Stefanie Vogel, privat
Alba Losert
„Vieles ist mir emotional sehr nahe gegangen, vor allem das, was dort verabsäumt wurde. Mir wurde klar: Nicht zu handeln ist auch eine Entscheidung, die man verantworten muss.“
mit Vorarlberg mündet. Michael hat die Idee, einem seiner Kandidaten aus der Berufssparte Maler einen Vorarlberger Meisterbetrieb zur Seite zu stellen. Mit dem Effekt, dass nicht nur die Zulassung zu den Berufsweltmeisterschaften gelingt, sondern gar eine Top-Ten-Platzierung dabei herausschaut. Michael: „Das ist im Nachhinein betrachtet sicher ein Schlüsselmoment für das, was wir jetzt tun. Weil uns diese Geschichte gezeigt hat, wie erstens über Grenzen und Kulturen hinweg zusammengearbeitet werden kann und zweitens, wie ein junger, nur marginal ausgebildeter Mann wie Amin, der zuvor kaum den Pinsel richtig halten konnte, in kurzer Zeit sein Potenzial auszuschöpfen lernt. Man muss wissen, andere Länder trainieren ihre Leute mitunter mehrere Jahre für diese WM.“ Heute hat Amin eine kleine Maler-Firma in Palästina und bildet selbst junge Menschen aus. Das Projekt schärft Albas persönlichen Anspruch an Entwicklungszusammenarbeit (EZA): „Mir wurde klar, dass es falsch wäre, zu behaupten, dass WIR Amin ausgebildet haben. Vielmehr haben wir ihn beim Erwachsenenwerden begleitet.“
Große Ernüchterung
Dann kommt es 2021 zur entscheidenden Erfahrung in Ghana. Wieder sollte Michael Büchele eine regionale Organisation aufbauen, die in 14 Berufen nach WordSkills-Standards ausbildet. Müde von seinen vielen Langzeitpräsenzen im Ausland, bietet er Alba eine bezahlte Assistenzstelle vor Ort an. Alba nimmt an und will es von Beginn weg auf ihre Art machen: „Nicht ich sagte, was es zu tun gibt, wir schauten uns vielmehr mit den Einheimischen die Ressourcen an und entschieden gemeinsam, was Sinn machte.“ Zusammenarbeit auf Augenhöhe ohne einseitigen Anspruch auf Expertenstatus, gemeinsames Leben und Arbeiten. Den Sanktus von Michael hat sie. Und Albas Plan geht auf, die Leute vor Ort vertrauen ihr. Doch es folgt die große Ernüchterung. Denn den europäischen Geldgebern geht es um Repräsentation und „um ein Storytelling, das von westlicher Arroganz geprägt ist“, so Michael und Alba unisono. Nur zu deutlich kommt das bei einem Projektevent in Ghanas Hauptstadt Accra zum Ausdruck. Die eingeflogene europäische Abordnung darf gemeinsam mit der lokalen Politik- und EZA-Elite im vorderen Teil des Saales auf mit Hussen eingekleideten und im Covid-Abstand aufgestellten Stühlen Platz nehmen. Die rund 100 im Projekt engagierten Ghanaer:innen müssen indes zusammengepfercht hinter der Kamerazeile sitzen. Alba platzt der Kragen. Sie postet ein Foto inklusive ihrer Kritik am Event in den sozialen Medien. Noch heute ist sie empört: „Was mich frustrierte und wütend machte, ist die Tatsache, dass jene Leute, die der Grund dafür waren, dass es das Projekt überhaupt gab, in die hinterste Ecke dieses dekadenten Hotels verbannt wurden. Selbst Leute wie Mamudu Hamidu, ein Universitätsprofessor, der federführend und mit Herzblut im Aufbau der Organisation mitarbeitete. Und vorne auf der Bühne schwingen Leute geschliffene Reden, die weder uns noch das Projekt je davor gesehen haben.“ >>
#79 | Februar 2023 | 23
Der Verein „Boost Young Adults“ mit den Vorarlberger Protagonist:innen (von links): Stefanie Vogel, Alba Losert und Michael Büchele
Kehrtwende
Dass Alba nach ihrem engagierten Posting gefeuert wird, ist ihr einerlei, denn eine Fortsetzung der Zusammenarbeit kommt für sie sowieso nicht mehr in Frage. Mit Michael bleibt sie verbunden und sukzessive weisen ihr Erlebtes wie Ersehntes den Weg: „Plötzlich wusste ich, was ich tun wollte, nämlich junge Menschen so zu begleiten, dass sie ihre Potenziale selbst entdecken können.“ Alba holt zwei Vertrauenspersonen aus Ghana, namentlich den jungen Emmanuel Ayimboora und Professor Mamudu Hamidu, mit ins Boot. In Vorarlberg kann sie neben Michael Büchele ihre Freundin Stefanie Vogel, Dipl. Krankenpflegerin, Kulturarbeiterin und Menschenrechts-Aktivistin, für ihr Vorhaben gewinnen. Die jungen Frauen, die früher die Angst vor dem Matheprofessor zusammenschweißte, eint heute der Drang, strukturelle Ungleichheit aufzudecken und die Welt diverser zu gestalten. Ein Verein wird gegründet und auf „ByA – Boost Young Adults“ getauft. Von Anfang an wird grenzübergreifend gearbeitet. Während sich Mamudu schon seit Jahren für eine Verbesserung der Bildungssituation für Lehrlinge in Ghana einsetzt, betritt Emmanuel Neuland. „Er war eigentlich Schüler einer IT-Klasse neben unserem Büro in Accra. Weil aber der Lehrer meist fehlte und den Schülern langweilig war, beteiligte Emmanuel sich immer mehr an unseren Aufgaben und leistete wichtige Hintergrundarbeit“, so Alba. Mit seiner Funktion im Verein haben sich für ihn nun gänzlich neue Perspektiven aufgetan. Er entschied sich, die Schule ganz zu verlassen, in einem bestehenden Ausbildungszentrum in Uganda („SINA – Social Innovation Acadamy) Expertise zu sammeln und diese in Folge mit finanzieller Unterstützung des Vereins nach Ghana zu bringen. Ziel ist der Aufbau selbstorganisierter und frei verantwortlicher
Lernräume für Jugendliche, „wo diese vom Erwachsenwerden zum Erwachsensein begleitet werden, indem sie über ihre Lebenssituation und sich selbst reflektieren können, um darauf aufbauend eine möglichst freie Entscheidung für den weiteren Lebensweg zu fällen“, verdeutlicht Alba. Sie zeichnet das Bild von einem Inkubator, der seine Schützlinge nach dem Brüten in die Unabhängigkeit entlässt und ihnen Wahlmöglichkeiten für selbstbestimmtes Handeln eröffnet. „Wir wollen in Menschen investieren und ihre Visionen“, bringt es die junge Frau auf den Punkt. Emmanuel beispielsweise lerne aktuell in Uganda, was dort warum und wie funktioniert. Aber er müsse es nicht 1:1 nach Ghana transferieren, denn immer gälte es auch soziale Strukturen zu beachten. „Vieles kann er besser beurteilen als wir mit unserer Denkweise. Unsere Devise orientiert sich am Grundsatz ‚lokale Wissensproduktion‘ und am Prinzip ‚Learning by Doing‘ – eine Parallele zu unserem Partner Werkraum Bregenzerwald, mit dem uns hier vor Ort viel an Haltung und Werten verbindet“, so die ambitionierte Vereinsgründerin.
Wahre Geschichten produzieren
Alba: „Egal, ob in der Westbank in Palästina, in Äthiopien oder in Ghana: Dort, wo Menschen Machtpositionen zu ihrem Vorteil ausnutzen und Geschichten so erzählen, wie es für sie passt, überall dort kann man davon ausgehen, dass andere Menschen ausgebeutet werden.“ Alba will nicht alle Initiativen in einen Topf werfen, weiß um die guten Absichten vieler kleiner Hilfsorganisationen, hält es aber nur schwer aus, „wenn weiße Leute auf einem fremden Kontinent einen Wirtschaftsstandort für ihr europäisches Heimatland aufmachen – und das unter dem Deckmantel von Entwicklungszusammenarbeit tun. Denn sie verstärken dabei soziale Ungerechtigkeiten, rassistische Tendenzen und Abhängigkeitsdynamiken. Sie fördern die Kluft innerhalb des Landes, die zwischen den Eliten und der Mehrheit der Be-
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„Plötzlich wusste ich, was ich tun wollte, nämlich junge Menschen so zu begleiten, dass sie ihre Potenziale selbst entdecken können.“
Das EZA-Projekt in Ghana war der Auslöser für Alba, einen Verein zu gründen, um damit Bildungsinitiativen zu lancieren.
völkerung, der Arbeiterklasse, besteht. Natürlich ist die politische Elite an Kooperationen mit Europa interessiert, denn sie profitieren ja auch in erster Linie vom Geld, das dadurch ins Land fließt.“
Spendenfinanzierten Projekten gegenüber ist Alba nicht generell abgeneigt, auch der Verein brauche Zuwendungen, um das Projekt in Ghana voranzutreiben. Außerdem sei sie überzeugt, dass es eine gewisse Umverteilung brauche. Doch: „Immer ist das Wie entscheidend. Wenn wir schon Spenden sammeln, dann wollen wir damit erstens keine isolierten Einmal-Aktionen in Afrika finanzieren und zweitens immer einen Mehrwert schaffen. Deshalb auch unser aktuelles Symposium im Werkraum Bregenzerwald, für das wir kompetente Moderator:innen und fürs Konzert danach großartige Musiker gewinnen konnten.“ Im Rahmen der Veranstaltung freue man sich über Hinweise, wohin mal als Verein die Augen noch richten sollte, auf kritischen Diskurs und nicht zuletzt auch auf das Benennen von Widersprüchen. Seit ihrem Studium der Konflikt- und Friedensforschung sei sie sich mehr denn je bewusst, so Alba, dass jeder Kontext individuell ist und deswegen Austausch braucht: „Europäer:innen müssen endlich damit aufhören zu glauben, sie wissen, wie die Welt funktioniert und diese Ansichten anderen Menschen überzustülpen.“
Verein „ByA – Boost Young Adults“ Gegründet 2021 arbeitet der Verein „Boost Young Adults“ in Afrika und Österreich. Mittels Bildungsinitiativen sollen Jugendliche darin unterstützt werden, ihre Talente und Fähigkeiten und damit sich selbst besser kennen zu lernen. In Vorarlberg möchte der Verein Impulse setzen, über globale Entwicklungszusammenarbeit, Bildung und den Arbeitsmarkt zu visionieren. Nächster Halt: Symposium im Werkraum Bregenzerwald. Mehr dazu: boost-young-adults.jimdosite.com
Symposium: „Ma hilft anand und schaffat zäm“
3. Februar, 14:00 - 18:45 Uhr mit anschließendem Abendessen, Werkraum Bregenzerwald
Visionieren über Arbeitsmarkt, Bildung, internationale Zusammenarbeit in einer globalisierten Welt entlang der Workshop-Themen:
- Begleitung und Vorbereitung von jungen Menschen in einer Migrationsgesellschaft
- Begleitung und Vorbereitung von Mitarbeiter*innen in lokalen Unternehmen
- Gesellschaftspolitische Veränderungen
- Bildungsschwerpunkte und Möglichkeiten in der Schul- und Lehrlingsausbildung
Ab 20:00 Uhr Benefiz-Jazzkonzert mit dem Kesivan Naidoo Quartet (Kesivan Naidoo, Peter Madsen, Fabio Devigili, Herwig Hammerl)
Tickets: Symposium inkl. Konzert EUR 40,- (EUR 30,- für Werkraum-Mitglieder)
Lehrlinge und Schüler:innen gratis!
Anmeldung: alba.losert@gmail.com
Late Night Ticket – Konzert Only, Euro 25,- an der Abendkassa
REPARATURCAFÉS
CARLA REPARATURCAFÉ ELEKTRO ALTACH
Möslestraße 15, 6844 Altach (carla Einkaufspark Altach)
Jeden 2. Freitag im Monat von 13 bis 16.30 Uhr carla@caritas.at, T 05522 200 1520
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Klarenbrunnstraße 46, 6700 Bludenz (carla store)
Jeden letzten Freitag im Monat von 13 bis 16.30 Uhr christine.erath@caritas.at, T 05552 200 26 00
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Vorklostergasse 51, 6900 Bregenz (Integra-Fahrradwerkstatt)
Jeden 1. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr, T 0650 264 74 46, Roswitha Steger
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Riedgasse 6 im Hof, 6850 Dornbirn
Jeden 3. Mittwoch im Monat von 17.30 bis 20.30 Uhr hallo@reparaturcafedornbirn.at
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Hirschgraben 8, 6800 Feldkirch (Polytechnische Schule)
Jeden 1. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr info@reparaturcafe-feldkirch.at, T 0699 192 870 66
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Büttels 6, 6811 Göfis
Jeden 3. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr reparaturcafe-goefis@aon.at
REPARATURCAFÉ KLAUS
Treietstraße 17, Klaus im M2
Einmal im Monat der 2. Samstag von 9 bis 12 Uhr corinna.schaechle@gmail.com
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Arlbergstraße 100, 6751 Innerbraz (Gemeindebauhof)
Jeden 2. Samstag im Monat von 14 bis 16 Uhr info@klostertal-arlberg.at, T 0664 843 71 33
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Alte Säge, (Lebenshilfe), Hofsteigstraße 4, 6923 Lauterach
Jeden 2. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr repcafe.lauterach@hotmail.com
REPAIRCAFÉ RANKWEIL
Köhlerstraße 14, 6830 Rankweil (Werkstätte der Lebenshilfe)
Jeden 1. Freitag im Monat von 14 bis 16.30 Uhr
REPAIRCAFÉ RHEINDELTA
Dr-Schneider-Straße 40, 6973 Höchst
Jede gerade Kalenderwoche am Freitag von 14 bis 16 Uhr repaircafe.rheindelta@gmx.at
NÄHTREFF SATTEINS
Kirchstraße 8, 6822 Satteins (Untergeschoß Pfarrsaal)
Jeden ersten Freitag im Monat 8.30 bis 11.30, 19 bis 22 Uhr
REPAIRCAFÉ THÜRINGEN
Werkstraße 32, 6712 Thüringen
Jeden 1. Samstag im Monat von 8.30 bis 12 Uhr
MACHEREI WOLFURT
Mittelschule Wolfurt, Schulstraße 2, 6922 Wolfurt
Jeden 4. Samstag im Monat von 9 bis 12 Uhr info@macherei-wolfurt.at, T 0650 567 25 10
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EINE KURZE GESCHICHTE DES EUROZENTRISMUS
VON KOLUMBUS BIS KARNER
Text: Hans Platzgumer
Wir schreiben das Jahr 2023 n. Chr., die dunklen Zeiten des Kolonialismus liegen lange zurück. Im 15. Jahrhundert brachen die ersten spanischen und portugiesischen Seefahrer auf, um neue Länder zu entdecken und für Europa in Besitz zu nehmen. Christoph Kolumbus stieß bei seinen abenteuerlichen Reisen auf die Neue Welt. Damit beginnt nach Altertum und Mittelalter das, was Historiker die Neuzeit nennen. Sie reicht bis ins Heute. Auch wenn seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar letzten Jahres der Begriff Zeitenwende herumgeistert, unbestreitbar sind wir nach wie vor in dieser Neuzeit verhaftet. Sie zeichnet sich durch eine Schieflage in der Welt aus, ein Gefälle von Nord nach Süd, durch ungleichberechtigte Machtverhältnisse, durch Unterdrückung und Ausbeutung.
Über ein halbes Jahrtausend ist es her, da Amerika von den Europäern entdeckt wurde. Dort wie in allen anderen Überseegebieten, in die unsere Vorfahren ihren Fuß setzten, errichteten sie skrupellose Kolonialherrschaften. Die in jenen Ländern ursprünglich ansässigen Völker und Kulturen wurden niedergemetzelt, ausgerottet, soweit es sich machen ließ, Überlebende wurden christlich missioniert, unterjocht, enteignet, in Reservate gesteckt oder versklavt. Der Kolonialismus fand in dieser Form erst mit Ende des Zweiten Weltkriegs ein Ende, als Europa von uns Europäern selbst in Schutt und Asche gelegt worden war. Nun mussten die europäischen Großmachtfantasien zumindest vorübergehend beiseite geschoben werden. Aber setzte eine grundsätzliche Läuterung ein, eine tatsächliche Veränderung der europäischen Sichtweise, der entsprechend dieser kleiner Kontinent samt seiner Peripherien unumstößlich das Zentrum der Welt ist?
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Der Kolonialismus ging in den Postkolonialismus über, in dem mit subtileren Mitteln, großteils wirtschaftlichen Methoden, die Unterwerfung des Rests der Welt weiterbetrieben wurde. Dann setzte die Globalisierung ein und zementierte die Machtverhältnisse. Von nun an sind es nicht nur die reichen Industriestaaten, die politisch intervenieren, sondern auch private Konzerne, Unternehmen, Firmen, Banken, die auf Rohstoffe und billige Arbeitskräfte des globalen Südens zugreifen, diese Länder in die Abhängigkeit drängen und sie als Müllhalde des westlichen Wohlstands nutzen. Wenige Profiteure stehen dabei Abermillionen von Verlierern gegenüber. Seit den 1960er-Jahren sprechen wir vom Neokolonialismus. Heute, 2023, noch immer, sogar verstärkt, betrachten Europäer die gesamte Welt als einen Ort, über den sie verfügen und dessen Schicksal sie zu lenken haben.
Die sarkastische und vielschichtige „Dokumentation“ beruht auf dem geradezu genialen Einfall, einen Teil Österreichs, das „unberührte und rätselhafte Oberösterreich“ mit seinen unbekannten „Stämmen“ durch die Augen schwarzafrikanischer Ethnologen und Dokumentaristen beobachten zu lassen. Genau so, wie das umgekehrt ständig der Fall ist. „Das Fest des Huhnes“ zeigt an einem Ausschnitt unserer Kultur und Gesellschaft, wie unumstößliche Urteile über andere Gesellschaften und Kulturen klingen.
„Stellen Sie sich dann nicht nur die Weltkarte, sondern auch die Verhältnisse andersrum vor, dass etwa die Regierung Ghanas uns vorschreiben würde, wie wir uns zu verhalten haben, damit es uns besser geht, oder dass beispielsweise der Kongo seinen Giftmüll in Vorarlberg entsorgt.“
Obwohl uns die Geschichte der Neuzeit soviel über unsere Gräueltaten und Verfehlungen lehrt, scheinen wir über die Jahrhunderte hinweg nicht dazu in der Lage zu sein, uns von dem selbstbezogenen, eurozentrischen Blick zu lösen, mit dem wir die Welt betrachten. Ich sage bewusst: wir. Ich kann mich, wenn ich ehrlich bin, selbst aus dieser Falle des Eurozentrismus nicht ausschließen –und ich gehe davon aus, dass es dem Großteil der Leser*innen dieses Textes ähnlich ergeht. Wir sind, sogar wenn wir es ablehnen, in einer eurozentristischen Weltsicht verhaftet, weil wir es praktisch nie anders gelernt haben.
Versuchen Sie, sich die Weltkarte einmal nicht mit Europa als Mittelpunkt vorzustellen. Drehen Sie sie um, verschieben Sie sie, betrachten Sie die Welt vom Süden aus.
Patagonien ist dann oben und das verschwindend kleine Europa am unteren rechten Rand. Plötzlich steht alles Kopf, steht irgendwo, wo Sie es nicht mehr auffinden, alles, an das Sie sich im Laufe ihres Lebens gewöhnt haben. So schnell kann sich der Eurozentrismus auflösen. Stellen Sie sich dann nicht nur die Weltkarte, sondern auch die Verhältnisse andersrum vor, dass etwa die Regierung Ghanas uns vorschreiben würde, wie wir uns zu verhalten
haben, damit es uns besser geht, oder dass beispielsweise der Kongo seinen Giftmüll in Vorarlberg entsorgt. Dass der Tschad Sanktionen gegen uns erlässt, die zu medizinischen Engpässen und Hungersnöten führen, weil wir uns in seinen Augen falsch verhalten. Stellen Sie sich vor, europäische Flüchtlinge ertrinken zu Abertausenden im Mittelmeer bei ihrer Suche nach einer besseren Zukunft in Afrika. Oder indische Firmen bohren im Salzburger Bergland nach seltenen Erden, schicken österreichische Kinder in die Minen und kontaminieren den gesamten Pinzgau. Versuchen Sie, sich die Welt ohne die Traditionen des Kolonialismus vorzustellen, die wir täglich als gegeben hinnehmen. Es wird Ihnen schwer fallen, weil Sie, wenn Sie hierzulande aufgewachsen sind, es nie andersrum erfahren und gelernt haben. Ihr Blickwinkel war immer jener des Übergestellten, Beherrschenden. Vielleicht wollen Sie sich wie ich als Weltenbürger begreifen, und doch kommt Ihnen dabei immer wieder Ihr Europäersein dazwischen.
„Wir sind, sogar wenn wir es ablehnen, in einer eurozentristischen Weltsicht verhaftet, weil wir es praktisch nie anders gelernt haben.“
Weil sich seit Jahrhunderten kaum etwas daran geändert hat, kommt die zu unseren Gunsten schreiende Ungleichheit auf diesem Planeten vielen von uns wie ein Naturgesetz vor. Seit Generationen leben wir auf Kosten des Restes der Welt. Neuerdings erinnert uns der Klimakollaps an diese Tatsache, weiterhin aber fällt es uns schwer, uns aus unserer gewohnten Rolle des Überlegenen zu lösen. Wir sprechen von Entwicklungshilfe und
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„Das Fest des Huhnes“, 1992, Walter Wippersberg
„Sogar im Untergang meinen wir nach wie vor, das Maß der Dinge zu sein, und zwar deshalb, weil wir es von klein auf nie anders gehört haben. Wir haben nie gelernt, anderen Kulturen auf gleichberechtigter Ebene zu begegnen.“
meinen, Vorbild zu sein. Wir helfen den anderen, so zu werden, wie wir bereits sind. Dem liegt die unverrückbare Überzeugung zugrunde, dass sich die westliche Welt auf dem richtigen Weg befindet – eine absurde Annahme angesichts der von uns verursachten Klimakatastrophe, die beweist, dass wir nicht den richtigen, sondern den Weg der Selbstauslöschung eingeschlagen haben. Sogar im Untergang meinen wir nach wie vor, das Maß der Dinge zu sein, und zwar deshalb, weil wir es von klein auf nie anders gehört haben. Wir haben nie gelernt, anderen Kulturen auf gleichberechtigter Ebene zu begegnen, geschweige denn, uns nach anderen Maßstäben weiterzuentwickeln als den eigenen. Über Jahrhunderte hinweg wird die Hegemonie des Westens aufrechterhalten. Inzwischen, nicht nur aufgrund des Klimawandels, zerbröckelt sie ein wenig. Der Milliarde Eurozentriker*innen stehen sieben Milliarden Andersgeschulte gegenüber, die nicht länger von uns angeführt werden wollen. Besonders mit China hat sich eine Großmacht entwickelt, die wir als Konkurrenz begreifen. Vielleicht trägt dies eines Tages zur Änderung des eurozentrischen Weltbewusstseins bei, ersetzt es durch ein sinozentrisches, das uns erschaudern lässt. Vorerst aber dreht sich weiterhin alles um uns. In unseren Fernsehnachrichten wird über jeden Rülpser berichtet, der Donald Trump in Florida entwischt, kein Wort aber erfahren wir je über die Begebenheiten in Mauretanien, im Sudan, in Laos oder Guyana. Die eurozentrische Perspektive ist die einzige, die uns zumutbar erscheint, auch wenn es etliche andere Blickwinkel gäbe, um die Welt zu betrachten.
Nicht einmal den Versuch, die Welt mit anderen Augen zu sehen, scheint unser Innenminister Gerhard Karner zu wagen. Augenscheinlich glühender Trumpist, träumt er davon, an der Grenze einen vier Meter hohen Zaun mit Stacheldraht gegen Migranten aus dem globalen Süden zu errichten. Bundeskanzler Nehammer träumt mit ihm und will „endlich das Tabu Zäune brechen“. Die hierfür anberaumten zwei Milliarden Euro scheinen es ihm wert zu sein. Vom Eurozentrismus zum Nationalismus ist es schließlich nur ein Katzensprung. Die Jahrhunderte des
Kolonialismus, die Zeiten einseitiger Ausbeutung, die Grenzziehung zwischen dem scheinbar zivilisierten Westen und dem Rest der Welt, derartige Arroganz besteht in Politikern wie den genannten weiter und darf, scheint’s, kein Ende finden. Es wird wohl noch lange dauern, bis plumper Rechtspopulismus nicht mehr als Mittel taugt, um Wahlen zu gewinnen. Seine gesellschaftspolitische Dominanz wird erst erloschen sein, wenn der Großteil der Wähler*innen eine zeitgemäße Sicht auf die Welt erlangt hat: eine, die ferne Länder als ebenbürtige Partner versteht, anstatt als untergestellte Exoten, eine, die den offenen Dialog mit diesen sucht, anstatt sie zu belehren, eine, die bereit ist, vom Fremden zu lernen, anstatt ihm mit Hochmut und Ablehnung zu begegnen. Gerade in der Zeit des großen Umbruchs, in der sich unsere Welt augenblicklich befindet, in einer Zeit, in der Krisen über Krisen uns grundlegende Veränderungen unserer Lebensführung förmlich aufzwingen, jetzt wäre ein guter Moment, damit zu beginnen, die Perspektive umzustellen. Die Welt muss neu gedacht, muss neu erdacht werden. Dies wenigstens zu versuchen, anstatt grimmig in der schlechten alten Zeit, dieser Neuzeit, festzusitzen und mit ihr unterzugehen, ist das Mindeste, was wir tun können.
„Gerade in der Zeit des großen Umbruchs, in der sich unsere Welt augenblicklich befindet, wäre ein guter Moment damit zu beginnen, die Perspektive umzustellen. Dies wenigstens zu versuchen, anstatt grimmig in der schlechten Zeit, dieser Neuzeit festzusitzen und mit ihr unterzugehen, ist das Mindeste, was wir tun können.“
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Die Einzäunung Europas – Auswuchs eines unhinterfragten Eurozentrismus.
Lösen Sie es in 60 Sekunden
Beginnen Sie die Kopfrechnung mit der Zahl im Feld ganz links. Rechnen Sie von links nach rechts – Kästchen für Kästchen. Die Lösung im leeren Feld rechts eintragen. Jede Rechnung unabhängig von der Schwierigkeit sollte in weniger als 60 Sekunden gelöst werden. Keinen Taschenrechner verwenden!
Wir berichteten an dieser Stelle schon des Öfteren von der 2. Bundesliga West. Die Gründe sind naheliegend: von den zwölf teilnehmenden Mannschaften kommen vier aus dem Ländle und in diesen vier Teams ist Runde für Runde nahezu die komplette Vorarlberger Schachelite im Einsatz. Außerdem werden sämtliche Partien im Internet zum Download bereitgestellt.
Vom 20. bis 22. Jänner 2023 trafen sich die zwölf Teams in Kufstein, um die Wettkämpfe der Runden sechs bis acht auszutragen. An der Tabellenspitze gelang es Mayrhofen/Zillertal, sich weiter abzusetzen. Die Tiroler führen überlegen mit 15 Mannschaftspunkten vor Absam und Hohenems, die jeweils 12 Punkte auf dem Konto haben. Aller Voraussicht nach werden die Zillertaler in den noch ausstehenden Runden nichts mehr anbrennen lassen und im April den Aufstieg in die 1. Bundesliga unter Dach und Fach bringen.
Peter Gsteu (Dornbirn)
Gor Tumanyan (Pradl)
2. Bundesliga West, Kufstein 2023
Mit welcher spektakulären Fortsetzung erzwingt Weiß am Zug das Matt?
Aus Vorarlberger Sicht hat Hohenems mit dem dritten Zwischenrang natürlich keine Abstiegssorgen. Auch Bregenz und Lustenau sollten bei „normalem“ Verlauf der Schlussrunden die Klasse halten, wohingegen Dornbirn nur noch geringe Aussichten hat, die Abstiegsränge zu verlassen. Allerdings haben die Messestädter ausgezeichnete Chancen, über die Vorarlberger Landesliga den direkten Wiederaufstieg zu erreichen und wären dadurch auch in der kommenden Saison in der zweithöchsten Liga Österreichs vertreten.
Die drei nachfolgenden Diagramme sind aus Partien, welche an diesem Wochenende in Kufstein gespielt wurden. Dabei gelang jeweils dem Vorarlberger Spieler eine schöne Gewinnkombination. Versuchen auch Sie, diese Gewinnvarianten zu finden bzw. zu berechnen.
Peter Donegani (ASK Salzburg)
Emilian Hofer (Hohenems)
2. Bundesliga West, Kufstein 2023
Wie erreicht Schwarz am Zug entscheidenden Materialvorteil?
IM Milan Novkovic (Dornbirn)
GM Philipp Schlosser (Jenbach)
2. Bundesliga West, Kufstein 2023
Wie nützt Weiß am
#79 | Februar 2023 | 29 Lösungen auf Seite 21
Für Anfänger Lösung Für Fortgeschrittene Lösung Für Genies Lösung
16 ×3 ÷12 +17 ÷7 ×12 +8 ÷4 -7 ×9 72 ÷9 ×13 -48 ÷4 zum Quadrat davon 25% +35 ÷6 ×7 19 zum Quadrat -77 ÷4 +13 +75% ÷3 -24 zum Quadrat ÷5 SCHACHECKE 1 2 3 8 7 6 5 4 3 2 1 a b c d e f g h 8 7 6 5 4 3 2 1 a b c d e f g h 8 7 6 5 4 3 2 1 a b c d e f g h
Zug die unsichere schwarze Königsstellung aus?
Lösungen auf Seite 21
VERANSTALTER AKZEPTIEREN DEN KULTURPASS FÜR FREIEN/ERMÄSSIGTEN EINTRITT
Infos über den Kulturpass unter www.hungeraufkunstundkultur.at
Mi., 01.02.
20:00 Uhr, Filmforum im Metrokino Bregenz
HEBAMMEN – AUF DIE WELT KOMMEN
Österreichpremiere (CH, 2022)
Filmvorführung mit Gespräch im Anschluss (www.filmforum.at)
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So., 05.02.
11.30 Uhr, Jüdisches Museum, Hohenems
AUSGESTOPFTE JUDEN
Führung
—
Di., 07.02.
9 Uhr Domino's Hus, Frastanz LITERATURCAFÉ MIT
ELMAR SIMMA
Lesung/Gespräch —
Mi., 08.02.
19.30 Uhr, Federmann Kultursaal, Hohenems
LIEBSTE MAMA: DIE GESCHICHTE EINER FAMILIE
Szenische Lesung —
Do., 09.02.
18 Uhr, Kunsthaus Bregenz
ART MEETS LANGUAGE
Sprachcafé —
Do., 09.02.
20 Uhr, Bücherei Hohenems
AUGENBLICKE
Kurzfilme: Eine bunte Rolle mit den besten Kurzfilmen der letzten Jahre. Filme ganz unterschiedlicher Genres und Inhalte.
—
Fr., 10.02.
17 bis 18 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz
DIE TABU-KINDER: „MAROKKANERKINDER“ IN VORARLBERG
Freitags um 5 – Landgeschichte im Gespräch
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Fr., 10.02.
20.30 Uhr, Kammgarn, Hard KRAUTHOBEL
Musik
—
Fr., 10.02.
20.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn MALARINA – SERBEN STERBEN
LANGSAM
Kabarett
—
Sa., 11.02.
15 Uhr, Spielboden, Dornbirn
DIE STROMER: EIN GESCHENK
FÜR LIZZY
Kinder
—
Sa., 11.02.
15 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
THEATER GRUNDBERG: DIE
BIRNE HELENE
Figurentheater und Musik
Kinder
—
Sa., 11.02.
17 Uhr, Frauenmuseum, Hittisau
KONZERT NR. 1 IN DER PFORTE
Pforte im Frauenmuseum
Konzert
—
Sa., 11.02.
19 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn
DEEZ NUTS
Musik
—
So., 12.02.
15 Uhr, Kammgarn, Hard DER WASCHLAPPENDIEB
Die Stromer
—
Di., 14.02.
15 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz
KRIEGSENDE UND NACHKRIEGSJAHRE
Erzählcafé
—
Di., 14.02.
18 Uhr, inatura, Dornbirn
TIEFENSCHÄRFE – HOCHAUFLÖSENDE VERMESSUNG DES BODENSEES
Vortrag mit Dr. Martin Wessels
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Di., 14.02.
19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
MARKUS LINDER: VALENTINSTAG-SPECIAL – LINDERWAHN, SOUNDTRACK EINES LEBENS
Eine Musik-Revue, Kabarett
—
Do., 16.02.
19.30, Theater am Saumarkt, Feldkirch
MICHAEL KÖHLMEIER: FRANKIE Lesung und Gespräch —
Fr., 17.02.
16 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn
BI:JU WORKSHOP – COSPLAY
FÜR ANFÄNGER
Workshop
—
Fr., 17.02.
19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
NADESCHKA KRAJNC UND MARTIN LINDENTHAL: WOLKEN UND LIMONADE Musikprogramm
—
Fr., 17.02.
19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn
ALPINALE AUF TOUR Film
—
Fr., 17.02.
20 Uhr, Spielboden, Dornbirn
GENESIS
Surrealistisches Zirkustheater mit Livemusik —
Fr., 17.02.
20 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn
DIRTY HONEY
Musik —
30 |
Veranstaltungskalender
Sa., 18.02.
10 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn
LESEABENTUER: ZU VIEL
Geschichten für Kinder —
Sa., 18.02.
15 Uhr, Jüdisches Museum, Hohenems AUSGESTOPFTE JUDEN
Führung —
Sa., 18.02.
19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
DIE ZITTERNDEN LIPPEN: HUTSCHLALALA
Konzert —
So., 19.02.
11 Uhr, Kunsthaus Bregenz FINISSAGE
Buchpräsentation mit Anna Boghiguian —
Mi., 22.02.
19 Uhr, Remise, Bludenz
LEINWANDLOUNGE: THE BANSHEES OF INISHERIN
Film mit Colin Farrell —
Mi., 22.02.
20 Uhr, Kammgarn, Hard ALPINALE AUF TOUR
Musik/Film —
Mi., 22.02.
20 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz
DAVID HELBOCK, PETER MADSEN UND DAS AUSTRIAN SYNDICATE
Jazz im Museum —
Do., 23.02.
18 Uhr, Galerie Kukuphi, Bludenz ANDREA MARIA BAUER
Fragmente einer Reise durch den Schatten erzählt in Form, Bild und Wort
Vernissage —
Do., 23.02.
18 Uhr, Remise, Bludenz KULTUR.LEBEN: YUNUSKAYA
Klavierrezitat —
Do., 23.02.
19 Uhr, Rathaus, Bludenz BLUDENZ: DER E-LOK STÜTZPUNKT IN DEN 1920ER UND 1930ER JAHREN
Vernissage
—
Do., 23.02.
19 Uhr, Stadtbibliothek, Dornbirn UNSER BODEN DER ZUKUNFT. VERLORENER RAUM ODER MÖGLICHKEITSRAUM?
Vortrag mit Zukunftsforscher Klaus Kofler und Prof. Dr. Arthur Kanonier
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Do., 23.02.
20.30 Uhr, Kammgarn, Hard MARTIN FRANK: EINER FÜR ALLE – ALLE FÜR KEINEN!
Kabarett
—
Fr., 24.02.
19.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
STEFAN WAGHUBINGER MIT NEUEM PROGRAMM: „ICH SAG’S JETZT NUR ZU IHNEN“
Kabarett —
Sa., 25.02.
15 Uhr, Spielboden, Dornbirn DIE HEINZELS: RÜCKKEHR DER HEINZELMÄNNCHEN Film, Kinder —
Sa., 25.02.
15.30 Uhr, Theater am Saumarkt, Feldkirch
THEATER ASOU: DAS KLEINE ICH BIN ICH
Kinder —
Sa., 25.02.
20 Uhr, Spielboden, Dornbirn
THOMAS MAURER: ZEITGENOSSE AUS LEIDENSCHAFT
Kabarett —
Sa., 25.02.
20.30 Uhr, Kammgarn, Hard SCOTT HENDERSON TRIO
Musik —
So., 26.02.
14.20 Uhr, Vorarlbergmuseum, Bregenz
ARCHÄOLOGISCHE ENTDECKUNGEN AUS DEM MITTELALTER
Generationentour – Ausstellungsbesuch und Kreativatelier —
So., 26.02.
15 Uhr, Kammgarn, Hard MISENTO
Kinder —
So., 26.02.
19 Uhr, Conrad Sohm, Dornbirn RUSSKAJA
Musik —
Mo., 27.02.
18 Uhr, Villa K., Bludenz
KUMM INNA DISCO
Faschingsparty, bei der Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen feiern. Die Disco wird von Besucher:innen selbst organisiert und durchgeführt. Eine Kooperation von Caritas und OJA Bludenz.
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Di., 28.02.
19.30 Uhr, Federmann Kultursaal, Hohenems
DER ELEFANT IM RAUM: ISRAEL IN JÜDISCHEN MUSEEN?
Hanno Loewy im Gespräch mit Cilly Kugelmann und Boaz Levin
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Di., 28.02.
19.30 Uhr, Spielboden, Dornbirn
WO IN PARIS DIE SONNE
AUFGEHT: LES OLY
Film —
#79 | Februar 2023 | 31
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