marie 63/ September 2021

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Mittendrin in V

VIER GRAD IN DEN ALPEN Können wir in Vorarlberg bald Zitrusfrüchte anbauen? Zwei Grad Klimaerwärmung global bedeuten im Alpenraum eher vier Grad. Es wird österreichweit mehr trockene Tage geben, gleichzeitig nehmen Starkniederschläge zu. Und der diesjährige nasse Sommer lag nicht außerhalb der Norm. Ein Gespräch mit dem Meteorologen Johannes Vergeiner. Text: Christina Vaccaro, Foto: privat, Illustrationen: flaticon

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efühlt hat es dieses Jahr nur geregnet. Bikini und Badehose jedenfalls blieben überwiegend trocken – lagen sie doch schließlich in der Schublade. 2021 liegt niederschlagsmäßig jedoch (bis jetzt) nicht außerhalb der klimatischen Norm. Wer das nicht glaubt, der kann sich das Klimamonitoring der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) ansehen. Oder Johannes Vergeiner fragen. „Der Niederschlag ist eine Größe, die von Jahr zu Jahr und Jahreszeit zu Jahreszeit sehr stark variiert, viel mehr als die Temperatur. Das hängt einfach mit der Wetterkonfiguration zusammen – einmal kriegt man mehr Luft vom Norden oder Süden und so weiter. Das Interessante dabei ist, dass in Österreich die Niederschlagssumme im Jahr zwar annähernd gleich bleibt, die Verteilung sich aber ändert“, erklärt der Meteorologe. Konkret: Es gibt mehr Tage ohne Niederschlag als vor 30, 40 Jahren. Doch wenn es regnet – vor allem im Sommer, der wärmer ist und deshalb mehr thermische Energie besitzt als früher – entwickeln sich Schauer- und Gewitterwolken intensiver. Und es regnet mehr. Mit all den bekannten Problematiken wie Murenabgänge und überflutete Keller. Hinzu kommt noch ein weiterer Effekt, der diesen nassen Sommer zumindest mitverschuldet hat: Ist der Boden einmal sehr feucht, verdunstet mehr Wasser, wenn es wärmer ist. Damit ist die Luft wieder feuchter – und schwups regnet es schon wieder! „Ist es im Frühjahr beispielsweise trocken, bleibt es oft länger, also wochenlang, so. Bis eine Wetterfront kommt, die Feuchtigkeit heranführt. Deshalb gibt es feuchte und trockene Sommer. Es ist die normale Bandbreite, die wir haben“, klärt Vergeiner auf.

Heiß, heißer, Schnee ade?

Genug vom Regen. Wovon die Welt spricht sind zwei Grad, manchmal auch nur eineinhalb. Gemeint ist die globale Lufttemperatur: Ihre Erwärmung soll nicht über zwei Grad hinaus gehen, wie die 195 Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen 2015 in Paris beschlossen. Das Ziel des Übereinkommens lautet, die menschengemachte globale Erwärmung auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Werten zu beschränken. „Wenn man in die Zukunft schaut und sich fragt, was wäre, wenn es global zwei Grad wärmer wird, muss man sagen: Das wird bei uns im Alpenraum Richtung vier Grad Erwärmung gehen“, informiert Vergeiner. Der Grund ist ein physikalischer: Wasser reagiert träger als Luft. Landflächen erwärmen sich damit schneller als die Wasserflächen der Meere. Wer nun vier Grad für übertrieben hält, dem sei vor Augen gehalten, dass die Temperatur im Mittel in Österreich bereits nachweislich stärker gestiegen ist als global – nämlich um 2,0 anstatt 1,1 Grad, wie es weltweit der Fall war. Doch was bedeuten vier Grad überhaupt? Stellen wir uns die Auswirkungen konkret für die heißesten Tage des Jahres vor. Die Höchstwerte in diesem eher verregneten Sommer lagen in Bregenz bei 34,2 Grad, in Innsbruck hatte es schon 36,3 Grad und in Wien wurden sogar 37,2 Grad gemessen. Addieren wir, nur als Gedankenspiel, nochmals zwei Grad zu den 34, 36 bzw. 37 Grad dazu – nun, wem hier nicht der Schweiß rinnt...


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