Mittendrin in V
Der Holzwurm 18 |
Rudolf Pichler ist aus einem besonderen Holz geschnitzt. Mit bald 95 Jahren ist der gelernte Schreiner noch immer im Unruhestand. Die marie hat den gebürtigen Südtiroler in seinem Haus in Klösterle besucht und mit ihm über Heimat, Krieg und die heile Welt gesprochen. Text und Fotos: Frank Andres
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Rudolf Pichler mit einem Foto seiner Kinder, Enkel und Urenkel
ie Tür zur Schreinerei steht offen. Doch von Rudolf Pichler fehlt jede Spur. Ich bin drei Minuten zu früh. Noch ist also Zeit. Die Sekunden verstreichen. Den Mann, den ich zum Gespräch treffe, ist ja schließlich nicht mehr der Jüngste. Im Oktober wird er 95 Jahre alt. Da ist man vielleicht nicht mehr so fit, denke ich mir. Also einfach abwarten. Doch plötzlich sehe ich einen Mann, der auf einer Wiese auf mich zuläuft. Schnellen Schrittes. Fit wie ein Turnschuh. Das wird doch nicht mein Interviewpartner sein? Doch er ist es. Rudolf Pichler hat es pünktlich geschafft. Er begrüßt mich freudig und will wissen, was ich eigentlich von ihm will. „Wir müssand schwätza“, sage ich zu ihm. „Gut, dann frag, was du wissen willst“, antwortet er. Wir gehen in die Küche, setzen uns an den Tisch und das Gespräch kann beginnen. Aufgewachsen ist Rudolf Pichler, Jahrgang 1926, in Südtirol. In Marling, drei Kilometer von Meran entfernt. Gemeinsam mit seinen jüngeren vier Brüdern und vier Schwestern. Das Dorf ist umgeben von Weinbergen und Obstanlagen. Dort besucht er die Schule. Der tägliche Fußweg dauert eine halbe Stunde. Er lernt Italienisch. Widerwillig. Aber damals ist es Pflicht. „Heute kann ich die Sprache kaum mehr. Zuhause haben wir immer Dialekt gesprochen“, erinnert er sich. Sein Vater arbeitet in einem Sägewerk. Der Lohn ist karg. „Wir haben recht einfach gelebt. Täglich gab es Brennsuppe und Polenta. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Im Gegenteil. Diese Zeit war aus heutiger Sicht geradezu idyllisch“, sagt er. Doch mit nur 14 Jahren verändert sich das Leben von Rudolf Pichler schlagartig. 1940 verlassen er und seine Familie ihre Heimat Südtirol. Eine Folge des Abkommens zwischen Adolf Hitler und Benito