Hausärzt:in medizinisch
Der alte Mensch und Krebs Foto: © shutterstock.com/ Tirachard Kumtanom
Neurologische Störungen sowie spezielle Arzneimittelnebenwirkungen als häufige Risiken
Im Herbst 2021 fand der Onlinekongress „Onkologie für die Praxis“ des Ordensklinikum Linz statt.* Der Fokus lag diesmal auf dem Thema „Der alte Mensch und Krebs“ und dessen „Patient-Journey“ von der Vorsorge bis zum Rezidiv. Wie in den vergangenen Jahren wurde darauf interprofessionell eingegangen – sowohl in den Vorträgen als auch in den Fachdiskussionen. Im Folgenden werden die Themen „Neurologische Störungen“ sowie „Spezielle Arzneimittelnebenwirkungen“ behandelt.
Neurologische Störungen Onkologische Patienten leiden häufig an neurologischen Problemen, allen voran an der chemotherapieinduzierten peripheren Neuropathie (CIPN), am Cancer-related Cognitive Impairment (CRCI) sowie an Beschwerden infolge struktureller und funktioneller Hirnveränderungen. „Die CIPN verursacht sensible Symptome der Finger, Hände und Füße. 50–75 % aller onkologischen Patienten sind davon betroffen, 30 % von ihnen länger als sechs Monate nach der Chemotherapie, etwa mit Taxanen oder Platinen“, schilderte Priv.-Doz. OA Dr. Markus Hutterer, stv. Ärztlicher Direktor sowie Leiter des Spezialbereiches Neuroonkologie und Neuropalliative Care, Barmherzige Brüder Linz. Bei CIPN ist eine klinische Untersuchung wichtig, da jenes Leiden – entgegen einem weitverbreitenden Irrglauben – behandelt werden kann. „Das CRCI wird nicht nur von neurotoxischen Therapien,
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sondern auch von Hormontherapien und einigen Immuntherapien ausgelöst. Dabei wirken die Botenstoffe, welche die Tumorzellen produzieren, im Gehirn und sorgen für kognitive Einschränkungen“, erklärte OA Hutterer. Risikofaktoren für das CRCI sind das Alter sowie Stress, Depression, Ängste etc. Von den strukturellen und funktionellen Hirnveränderungen im Alter sind die Alzheimerkrankheit und vaskuläre Demenzen am weitesten verbreitet. Ab dem 75. Lebensjahr steigt das Demenzrisiko. Psychische Erkrankungen wie Angst- und Anpassungsstörungen sowie Depression treten bei 25–40 % der onkologischen Patienten auf. „Bei Krebspatienten nicht zu unterschätzen ist das Chronic-FatigueSyndrom. Etwa 69 % sind davon betroffen, weswegen es nach Schmerzen die häufigste Beschwerde darstellt“, machte OA Hutterer aufmerksam. Die neuroimmunologische Erkrankung äußert sich nicht nur körperlich, sondern auch kognitiv („Brain-Fog“) und emotional, u. a. durch Schlafstörungen. In der Klinik findet deshalb ein Fatigue-Assessment statt.
Sinnhaftigkeit der Medikation „Geriatrische Patienten haben – unabhängig von ihrem Fitnessgrad – ein höheres Risiko, arzneimittelbezogene Probleme zu entwickeln. Das liegt u. a. an den eingeschränkten Funktionsreserven von Gehirn, Nieren, Herz-Kreislauf-System, dem endokrinen System, dem Immunsystem sowie der Skelettmuskulatur. Ein wich-
tiger Faktor ist auch die Ernährung“, so Mag.a Elisabeth Steiner, aHPh, Klinische Pharmazeutin am Ordensklinikum Linz. Als Stressoren treten die Krebstherapie an sich, aber auch der Aufenthalt im Krankenhaus auf. „Nimmt ein Krebspatient mehrere Medikamente ein, so sollten die Indikationen und die Sinnhaftigkeit derselben geprüft und ein ,Deprescribing‘ nicht gescheut werden“, machte Mag.a Steiner aufmerksam. Überdies sind kognitive Einschränkungen, welche die selbständige Einnahme der Medikation schwierig bis unmöglich machen, sowie motorische Probleme bei der Einnahme, Immobilität und Dysphagie zu bedenken.
Altersrisiken bei Verschreibung Bei der Verschreibung von Medikamenten gilt es auf Risiken zu achten, die besonders im Alter auftreten. Unter anderem erhöhen Opiate, Benzodiazepine, Antipsychotika und Antidepressiva das Sturzrisiko. Selbigen Effekt bewirkt auch eine mögliche orthostatische Dysregulation aufgrund der Einnahme von Antihypertensiva, Diuretika und Antidepressiva. Antipsychotika, Antidepressiva, Methadon und Makrolidantibiotika können wiederum eine QT-Zeit-Verlängerung verursachen. Opioide, Antibiotika, Antidepressiva und Zytostatika können Übelkeit induzieren sowie den Appetit reduzieren. Motorisch oder kognitiv bedingte Dosierfehler von Insulin, eine unregelmäßige Nahrungszufuhr und Sulfonylharnstoffe können zu einer Hypoglykämie führen. Zu bedenken sei auch die anticholinerge Last durch trizyklische Antidepressiva, H1-Antihistaminika, Spasmolytika etc. Mag.a Steiner wies deshalb auf die Bedeutung der interdisziplinären Zusammenarbeit und insbesondere der klinischpharmazeutischen Visite hin, um derartige Nebenwirkungen zu vermeiden. Mag. Gregor Matheis, Emanuel Munkhambwa * Onlinekongress „Onkologie für die Praxis“ des Ordensklinikum Linz, 15.–16. Oktober 2021, gesamter Nachbericht: ordensklinikum.at/onkologie-praxis-2021