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Leben mit paranoider Schizophrenie

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Lizenz zum Lindern

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Eine generische Behandlung über alle Erkrankten hinweg schadet mehr, als sie hilft – ein Betroffenenbericht

Paranoide Schizophrenie ist eine facettenreiche Krankheit mit sehr unterschiedlichen Phasen und Symptomen. Das am meisten verbreitete Bild der Schizophrenie ist von psychotischen Episoden geprägt, in denen Wahnvorstellungen und Halluzinationen auftreten – sogenannte Positivsymptome. Die Prognose für Betroffene ist umso günstiger, je früher die Schizophrenie behandelt wird. Typische Vorläufersymptome sind Schlafstörungen, Reizbarkeit, Geräusch- und Lärmempfindlichkeit sowie sozialer Rückzug. Sobald Beziehungsideen dazukommen – also Betroffene äußere Sinneseindrücke aus der Umwelt auf sich beziehen, als würden andere Menschen das eigene Leben verfolgen oder belächeln –, steht eventuell eine Psychose bevor. Die Beziehungsideen können, wenn die Psychose unbehandelt bleibt, in einen verfestigten Beziehungswahn übergehen. Ich war irgendwann der Überzeugung, dass in meiner Wohnung Kameras und Mikrofone installiert sind und dass alles, was ich tue, im Internet für ein Millionenpublikum übertragen wird. Um die Halluzinationen und Wahnvorstellungen so schnell wie möglich zu reduzieren, sollte das Ziel darin bestehen, dass sich der Patient dauerhaft in psychiatrische Behandlung begibt – am besten in eine Klinik, um dort die Psychosen medikamentös mit Antipsychotika therapieren zu lassen. Dies erreicht man am ehesten, indem man in der Kommunikation an seinen Leidensdruck anknüpft.

Autor: Jens Jüttner

Von paranoider Schizophrenie Betroffener und Buchautor

Individuelle medikamentöse Therapie

Die richtige medikamentöse Einstellung ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und benötigt viel Zeit. Es gibt eine ganze Reihe moderner Antipsychotika, die alle ein anderes Wirkprofil in Bezug auf den Hirnstoffwechsel haben. Da die Medikamente auch langfristig eingenommen werden sollten, ist eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Patienten und seinem Arzt notwendig, sodass die optimale Medikation mit der besten Wirkung und mit möglichst wenigen Nebenwirkungen gefunden werden kann. Ärzte müssen sich auf jeden Patienten individuell einlassen, eine generische Behandlung über alle Erkrankten hinweg schadet mehr, als sie hilft. Auch nach dem Abklingen der Positivsymptome ist es ratsam, Antipsychotika für einen längeren Zeitraum zu verschreiben, weil ein abruptes Absetzen zu einer Reboundpsychose führen könnte. Neben den Positivsymptomen können Negativsymptome auftreten – wie bei einer Depression. Diese lassen sich medikamentös wesentlich schwerer behandeln. Antipsychotika oder Antidepressiva können einen positiven Effekt auf die Negativsymptomatik haben, jedoch besteht bei Antidepressiva immer die Gefahr, dass diese eine erneute Psychose triggern. Mir persönlich hat ein Antiepileptikum als Moodstabilisator sehr geholfen. Diese Behandlung wird zwar eher bei einer schizoaffektiven Störung angewandt. Da die Grenzen zwischen klassischer Schizophrenie und einer schizoaffektiven Störung jedoch fließend sind, kann der Einsatz durchaus einen Versuch wert sein.

Zurück in den Alltag

Nach einem Klinikaufenthalt ist eine gute ambulante Weiterversorgung des Patienten wichtig. Eine weiterführende Betreuung durch einen Psychiater, einen Psychotherapeuten oder ein Sozialpsychiatrisches Zentrum kann ebenfalls sinnvoll sein. Vielen Betroffenen hilft ein geregelter Tagesablauf, um wieder in den Alltag zu finden. Bei mir war es genau das Gegenteil. Nach der erfolgreichen medikamentösen Behandlung war für mich der komplette Verzicht auf jegliche Verpflichtungen der Schlüssel zum Erfolg. Ich war lange allein in meiner Wohnung und habe diese erst wieder verlassen, als ich eigenständig das Verlangen entwickelte, mich gesellschaftlich, beruflich und sozial zu engagieren. Ein weiterer Beweis dafür, dass die Behandlung von Schizophrenie individuell an jeden Menschen und dessen Bedürfnisse angepasst werden sollte. >

X HAUSÄRZT:IN-Buchtipp

Als ich aus der Zeit fiel

Von Jens Jüttner Pinguletta Verlag 2020

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