FiS-Oktoberausgabe 2021

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55 JAHRE KFS

FAMILIE LEBEN

„Die Zeit heilt gar nichts. Ich heile mit der Zeit.“ Noah Ennemoser aus Meran war 18 Jahre alt, als seine Mutter Monika an Krebs starb. Er hat ihre Krankheit und ihren Tod unter anderem mit einem 50-teiligen Text schreibend begleitet. Noah erinnert sich an Berge vollgeweinter Taschentücher und an schlaflose Nächte. Heute arbeitet der fast 21-Jährige in der Palliativstation des Krankenhauses in Meran, wo seine Mutter ihre letzte Lebenszeit verbrachte.

Du schreibst, deine Mutter habe für dich Tagebuch und Karabiner verkörpert: Wie schaffst du dein Leben ohne diese beiden tragenden Elemente? Noah Ennemoser: Ich spüre jeden Tag, dass etwas fehlt, dass ein bedeutender Teil meines Selbst fehlt. An manchen Tagen ist dieses Gefühl erträglich, an manchen fürchte ich, den Halt zu verlieren. Aber auf jede noch so finster scheinende Nacht folgt ein Sonnenaufgang. Dann versuche ich mich darauf zu besinnen, wie glücklich ich mich eigentlich schätzen kann, eine solche Liebe gespürt zu haben, die nun einen solchen Schmerz verursacht.

Woran kannst Du Dich in den ersten Wochen nach dem Tod deiner Mutter erinnern? Noah Ennemoser: Ich erinnere mich an eine Schwere in der Brust, an schlaflose Nächte und einen Berg an benutzten Taschentüchern. Zur selben Zeit fallen mir aber auch lustige Nachmittage mit Freund/innen, schöne Gespräche und gutes Essen ein. Besonders in den ersten Wochen war ich sehr auf mein Umfeld angewiesen. Ich wollte tagsüber so gut wie möglich abgelenkt sein, auch wenn das nicht immer der Fall war, und nachts lag ich dann wach. Ich begriff vieles nicht, besonders nicht, was "für immer fort" bedeutete. Die ersten Wochen waren geprägt von purer Verzweiflung. Ich konnte mir nicht vorstellen, den Alltag zu meistern.

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05 | 2021

Wie überwindest du schwierige Situationen? Noah Ennemoser: Ich suche bewusst die Ruhe um und in mir, sodass ich mir klar werde, was ich in diesem Moment brauche. Brauche ich Gesellschaft, einen Rat oder einfach nur einen Moment für mich? Erst wenn ich mir dessen bewusst bin, kann ich die Situation angehen und schrittweise überwinden.

Sterben für AnfängerInnen Gut vorbereitet für die letzte Reise

Zu wenige Menschen machen sich Gedanken darüber, wie sie sterben und ihren Nachlass – beispielsweise mit Patientenverfügung – regeln möchten. Ziel dieser zweitägigen Weiterbildung ist es, den eigenen Tod zu bedenken und vorzubereiten, um damit Angehörigen schwierige Entscheidungen abzunehmen. Fachreferenten/-referentinnen, bestehend aus einem Arzt, einer Notarin, einem Theologen und einem Finanzberater informieren über Patientenverfügung, Testament, Palliativbetreuung und die Regelung finanzieller Angelegenheiten. Dem Austausch wird viel Raum gewidmet. Wo? Haus der Familie Wann? 3. und 4. Dezember 2021 www.hdf.it

Kann man das Trauern lernen? Noah Ennemoser: In gewisser Weise wage ich zu behaupten, dass man Trauern erlernen kann. Ich habe für mich gelernt, dass ich alleine trauern möchte und nach solchen Momenten viel Ruhe brauche. Ich glaube jedoch, dass es weniger darum geht, einen eigenen "Trauerstil" zu lernen, denn dieser entwickelt sich automatisch. Es geht vielmehr darum zu lernen, dass Trauern legitim und erlaubt ist. Um einen geliebten Menschen zu trauern, wird nach einer gewissen Zeit vom gesellschaftlichen Umfeld nicht mehr verstanden. Thematiken wie Tod und Trauer werden totgeschwiegen, was dazu führt, dass der Trauerprozess vieler Menschen erschwert wird.

Wie bleibst du mit deiner Mutter in Verbindung? Noah Ennemoser: Ich kümmere mich um unser Familiengrab. Allein durch diese Arbeit fühle ich mich sehr mit ihr und meinen anderen Verwandten verbunden. Außerdem muss ich oft an sie denken, wenn mir etwas Lustiges passiert oder ich unsicher bin, auf wie viel Grad ich beispielsweise einen Pullover waschen soll. Auch bei meiner Arbeit auf der Palliativstation ist sie mir sehr nahe.

Wann hast du den 50-teiligen Text geschrieben? Noah Ennemoser: Einige Textabschnitte habe ich bereits viel früher geschrieben. Die Texte selbst entstanden während des ersten Lockdowns.


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