Für Arbeitnehmermobilität und gegen Protektionismus Text: Isabelle Oster
„Einfacher nach Peking als nach Paris!?“ Wer in den vergangenen Jahren die Entwicklung der arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben für die Entsendung von Beschäftigten in einen anderen EU-Mitgliedstaat verfolgt hat, weiß, dass der Aufwand inzwischen in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis mehr steht. Besonders unverhältnismäßig sind die Entsendevorgaben bei Dienst- und Geschäftsreisen. Die EU muss anfangen, unbürokratische und europaweit einheitliche Lösungen zu entwickeln, um das hohe Gut der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu bewahren.
Isabelle Oster Rechtsanwältin Internationale Sozialpolitik, Europa Leitung Büro Brüssel unternehmer nrw Uerdinger Str. 58-62 40474 Düsseldorf Rue Marie de Bourgogne 58 B-1000 Brüssel Belgien T +49 211 4573 238 F +49 211 4573 258 oster@unternehmer.nrw www.unternehmer.nrw
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Corona: Stresstest für den Binnenmarkt Der Europäische Binnenmarkt ist eine der größten Errungenschaften der EU und Heimatmarkt der NRW-Wirtschaft. Waren, Güter, Dienstleistungen und Arbeitnehmer bewegen sich über staatliche Grenzen hinweg. Tagtäglich sind tausende europäische Beschäftigte im grenzüberschreitenden Einsatz – sei es längerfristig oder auch nur kurzzeitig für Verkaufs- oder Beratungsgespräche, für Montage-, Wartungs- oder Reparaturarbeiten beim Kunden oder aber zur Teilnahme an Messen, Sitzungen oder Konferenzen. Die Corona-Krise war ein ungeplanter Stresstest für den Binnenmarkt und hat gezeigt, wie schnell vermeintlich Selbstverständliches enden kann. Obwohl die EU-Kommission die Mitgliedstaaten aufforderte, Grenzgängern, Entsandten oder Saisonarbeitskräften in systemrelevanten Funktionen den Grenzübertritt zu gewähren, dominierten häufig nationale Alleingänge. Nun gilt es, den Binnenmarkt wiederherzustellen und Hindernisse in der EU-Arbeitskräftemobilität abzubauen.
Von Passierscheinen und Flickenteppichen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit sind für unsere exportorientierte NRW-Wirtschaft unverzichtbare Bedingung für ihren Erfolg. Doch mit der Revision der Entsende-Richtlinie und protektionistischen Alleingängen einiger Mitgliedstaaten wurde die Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU in den letzten Jahren erheblich geschwächt. Schon die Durchsetzungs-Richtlinie zur Entsende-Richtlinie hat seit 2016 für den Arbeitgeber im Vorfeld eines Auslandseinsatzes zu einem wahren Flickenteppich an unterschiedlichen nationalen Melde- und Dokumentationspflichten geführt. Die revidierte Entsende-Richtlinie, die bis Ende Juli 2020 in den Mitgliedstaaten umgesetzt sein sollte, wird Auslandseinsätze weiter komplizieren, überdies für große Rechtsunsicherheit und durch viele bürokratische Hürden für einen weiter fragmentierten Binnenmarkt sorgen. ahv nrw magazin 2020