Vermischtes Interview · Prof. Rothenbacher aus Ulm ist gleichzeitig Arzt und Epidemiologe
Foto: Elvira Eberhardt
„Daten für Taten“
Prof. Dr. D. Rothenbacher
D
ie Corona-Pandemie hat die Epidemiologen ins Rampenlicht gerückt. Doch manchen sind ärztliche Begrifflichkeiten und Denkweisen fremd oder sie kennen sich mit Diagnostik und Therapie nur theoretisch aus. Ganz anders beim Arzt Prof. Dr. Dietrich Rothenbacher, habilitierter Epidemiologe und auch Arzt für Arbeitsmedizin, der seit mehr als zehn Jahren das Institut für Epidemiologie und Medizinische Biometrie der Universität Ulm leitet. Mit ihm sprach ÄBW-Chefredakteur Dr. Oliver Erens.
Vermissen Sie es nicht, im „klassischen“ Arztberuf tätig zu sein? Prof. Rothenbacher: Nein. Ich hatte das große Glück, immer positive und herausragende Rollenmodelle im Bereich Epidemiologie zu haben. So habe ich schon sehr früh erfahren können, dass das Streben nach neuen Erkenntnissen eine sehr erfüllende und wichtige Arbeit sein kann. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit in vielen Projekten habe ich auch das große Glück, mit wirklich sehr kompetenten und wissenschaftlich integren, praktisch-tätigen Kollegen zusammenzuarbeiten. Diese Interdisziplinarität, sei es mit Geriatern, Kinderärzten, Gynäkologen, Kardiologen, Neurologen oder auch Allgemeinärzten, um nur einige zu nennen, war immer sehr erhellend
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ÄBW 03 | 2022
und schafft einen deutlichen wissenschaftlichen Mehrwert, der sich auch an internationalen Standards messen lässt.
Was steht im Mittelpunkt Ihrer aktuellen Forschung? Prof. Rothenbacher: Momentan forschen wir mit Kollegen aus Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm in Zusammenarbeit mit regionalen Gesundheitsämtern an der EPILOC-Studie (Long-COVID, Symptome und Beschwerden sechs bis zwölf Monate nach einer akuten SARSCoV-2-Infektion). Hier werten wir, unterstützt vom Land und mittlerweile teilweise auch vom DRV BadenWürttemberg, die Daten von über 11.000 ehemals Infizierten aus. Wir sind sehr überrascht, wie viele Beschwerden und Einschränkungen nach sechs bis zwölf Monaten noch anzutreffen sind – klar ein Thema, das es zu beleuchten gilt – auch, um Ursachen dieser Einschränkungen weiter abzuklären, Behandlungsansätze zu finden und den damit verbundenen Rehabilitationsbedarf besser zu charakterisieren.
Sie sind einer der Initiatoren der Ulmer Säuglingsstudie, die seit über zwanzig Jahren läuft. Wie viel Geduld braucht man da? Prof. Rothenbacher: In der wissenschaftlichen Forschung sind Geduld und andere Tugenden wie Aufrichtigkeit, Zuverlässigkeit und Beharrlichkeit sehr wichtig. Oft dauert es Jahre, bis vom Schreiben des Studienantrags die qualitätsgeprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu sehen ist. Und noch weitere Jahre, bis diese Erkenntnisse dann auch helfen, Entscheidungen in unserer alltäglichen Lebenswelt zu treffen. „Daten für Taten“ war schon immer mein Motto, denn belastbare Daten sind für die richtigen Entscheidungen unabdingbar. Dies ist speziell in der Epidemiologie eine besondere Herausforde-
rung, da die Designs von Beobachtungsstudien besondere Kenntnisse erfordern und besondere Fehlerquellen haben. Es erfordert schon sehr viel Expertise, mit diesen möglichen Fehlerquellen adäquat umzugehen. Den Studierenden sage ich immer, es gibt tausend Möglichkeiten, eine Studie durchzuführen, aber nur eine Handvoll davon ist zielführend und richtig. Da sind randomisierte Studien ein „Kinderspiel“ dagegen.
Zu Ihren Aufgaben gehört auch die Lehre. Wie lebensnah lässt sich die Epidemiologie vermitteln? Prof. Rothenbacher: Wir versuchen den Studierenden an Fragestellungen aus dem medizinischen Alltag die Bedeutung von epidemiologischer Methodenkompetenz aufzuzeigen. Ist ein Test positiv, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass ein Patient krank ist. Die Kenntnis von Sensitivität, Spezifität und den Vorhersagewahrscheinlichkeiten in Abhängigkeit von der Prävalenz einer Erkrankung helfen individuelle Erkrankungswahrscheinlichkeiten einfach auszurechnen. So kann dann beispielsweise auch die mögliche Frage einer Patientin beantwortet werden, wie groß das Risiko einer Brustkrebserkrankung bei einem positiven Screeningbefund ist, wenn die oben genannten Werte bekannt sind. Auch lege ich Wert auf die Vermittlung einer minimalen Methodenkompetenz, um einschätzen zu können, wie belastbar die Ergebnisse einer Beobachtungsstudie denn im konkreten Fall sind. Dabei ist uns auch ganz wichtig, die Notwendigkeit von Qualität und guter wissenschaftlicher Praxis zu vermitteln. Wir sehen ja derzeit in der Pandemie, dass ein faktenbasiertes Handeln der beste Weg für die Überwindung von persönlichen, aber auch gesellschaftlichen Herausforderungen ist. Und für faktenbasierte Entscheidungen wollen wir die Studierenden sensibilisieren und vorbereiten.