3 minute read

Corona und der seelische Raum

Die Debatte um die Corona-Pandemie bestimmt seit Langem die politische Agenda. Entsprechend spiegelt sich diese Kontroverse in den Schlagzeilen der Medien wider. Es wird eine durch Corona „gespaltene“ Gesellschaft konstatiert, in der das Miteinander-Reden-Können grundlegend infrage gestellt ist. Die gesellschaftliche Polarisierung lässt dabei immer seltener einen Dialog zwischen den Positionen zu. Zur Einordnung dieser Entwicklung kann sich ein Blick auf die „Psychodynamik des CoronaVirus“ lohnen, abseits der politischen Argumente.

Das Coronavirus kann objektiv eine Infektion der Atemwege auslösen. Gleichzeitig stellt es eine subjektive Projektionsfläche dar. Die spezifische Biologie des Virus, so die These des israelischen Analytikers J. Triest, triggert in uns unbewusste, archaische Ängste. Je nach individueller seelischer Konstitution löst es in uns einen „Schrecken des Unheimlichen“ (S. Freud) aus, ein „inneres Grauen“, wie es uns allen in den Bildern aus Bergamo präsent ist. Ein historisches kollektives Bild dieser Dynamik findet sich in der mittelalterlichen Vorstellung der „Apokalyptischen Reiter“, berühmt geworden durch das Gemälde von A. Dürer. Es kann verstanden werden als eine symbolische Verarbeitungsweise (vgl. C. G. Jung) der damaligen, als Strafe Gottes angesehenen Pandemie des „Schwarzen Todes“ (Pest).

Das aus der Ferne (China) sich rasch ausbreitende Virus war in seiner Biologie noch weitgehend unbekannt und die von ihm ausgehende mögliche tödliche Atemwegsaffektion wurde noch Anfang Januar 2020 als „Pneumonia of unknown cause“ bezeichnet. Der zwiespältige Charakter des Virus modulierte dessen Unheimlichkeit weiter. Wir kennen diesen Thrill der belebt/unbelebten Lebewesen aus Horrorfilmen und eben jetzt durch die ständige Mutation und die damit einhergehende Unberechenbarkeit des als „Killer“ titulierten Virus. Die hohe Ansteckrate kommt einer Invasion gleich, selbst der private und familiäre Raum können nicht geschützt werden. Und die Abstandsregeln können sich mit der kindhaften Katastrophen-Vorstellung eines Berührungsverbots verbinden, womit eine sichere Umarmung innerhalb einer Beziehung im Kern bedroht ist. Die Gewissheit, durch ein Gegenüber Trost und Geborgenheit zu erfahren, ist damit fundamental infrage gestellt. Diese Verunsicherung kann die gesamte familiäre Struktur erfassen: Kinder und Enkel können potenziell die Eltern/Großeltern infizieren und damit zum schuldhaften Verursacher deren Krankheit oder Tod werden. Über Monate waren ursprünglich nahe Beziehungen deshalb „disconnected“. Gerade die Gefahr, zu demjenigen zu werden, der seine Liebsten gefährdet, kann seelische Strukturen destabilisieren. Intrusives Schulderleben macht dann aus dem äußeren Abstandsgebot innerlich ein selbstauferlegtes depressives Gefängnis, dessen Gitterstäbe die Angst vor dem Kontrollverlust darstellen.

Im psychosomatischen Modell stellt das Virus einen potenziell gefährdenden Stressor dar, der die Säulen unsere Identität (vgl. H. G. Petzold) angreifen kann. Nicht nur unsere Patientinnen und Patienten sind dieser Belastung ausgesetzt, auch wir selber als Behandlerinnen und Behandler in Klinik und Praxis.

Wenn Coping-Mechanismen überfordert sind und in der Folge Angst und Schrecken unsere bisherige Identität infrage zu stellen beginnen, suchen wir in sozialen Zugehörigkeiten nach seelischem Halt – nach H. E. Richter eine Form der psychosozialen Abwehr. Im Hinblick auf die Corona-Pandemie vermittelt die jeweilige Gruppe dem labilisierten Einzelnen seelischen Rückhalt, indem das komplexe Unheimliche sich zwar nicht aufgelöst, aber neu verortet und damit projektiv verschoben wird. Nicht mehr das Virus, sondern die Impfung oder die Politik werden zum angstbesetzten Element – oder eben der Ungeimpfte als der angstauslösende Andere. Vereinfachte Erklärungsmodelle erwecken den Eindruck einer inneren Kontrolle und unterstützen so Verharmlosung, die bis Verleugnung führen kann. Das Ohnmachtsgefühl kann sich ablösen durch die aggressive Ausrichtung auf einen nun „greifbaren“ Feind. Andersdenkende werden zu Abtrünnigen, die den jeweiligen gruppenspezifischen Zusammenhalt gefährden („Bist Du für oder gegen die Impfung“). Im historischen Blick erscheinen die wiederholten Judenpogrome in den Zeiten der Pest als Teil dieser unbewussten Abwehrdynamik. Es macht nachdenklich, dass rechte Teile der heutigen Impfgegner erneut antisemitische Verschwörungsideen propagieren. Der polarisierende Zustand unserer Gesellschaft wäre insofern Ausdruck des innerseelischen Ringens um eine Antwort auf das Unheimliche des Corona-Virus.

Ingrid Scheinhütte-Geiger, Dr. Jörg Schmid, Verena Wollmann-Wohlleben Anzeige Sie

Stuttgart-Wangen Im Industriegebiet Heiligenwiesen 8

Träume lernen fliegen! Alles ist möglich mit unserem 30m Kran. Telefon 0711 40 20 60

info@emo-fensterbau.de www.emo-fensterbau.de

This article is from: