SOZIALES & GESUNDHEIT TITELTHEMA
SEXUELLE GEWALT AN MINDERJÄHRIGEN
Die Mauer des Schweigens durchbrechen E
s gibt sie, die Themen, über die wir eigentlich nicht sprechen, sondern sie am liebsten verdrängen wollen, weil sie so unfassbar sind, dass sie uns direkt ins Mark treffen. Sexuelle Gewalt an denen, deren Schutz eigentlich unsere oberste Pflicht wäre. Klingt unglaublich, ist es leider nicht. Sexueller Missbrauch ist ein weltweites Phänomen und ein gesamtgesellschaftliches Problem. Statistisch am häufigsten tritt er in der Familie und im unmittelbaren sozialen Umfeld auf. Erst danach folgen die niedrigeren Fallzahlen in Schule, Kirche, Sport und ähnlichem. Von Land zu Land zwar unterschiedlich, sind die offiziellen Missbrauchsziffern insgesamt bereits enorm, die Dunkelziffern vermutet noch wesentlich höher. Bis vor nicht allzu langer Zeit ein völliges Tabuthema, ist das Sprechen über sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen langsam in der Mitte der Gesellschaft angekommen und in der Missbrauchsvorbeugung, in der Gesetzgebung und im Umgang mit Tätern und Betroffenen hat sich viel verbessert. Trotzdem ist der
Schweigensdruck seitens der Gesellschaft immer noch hoch, und nur wenige Betroffene finden den Mut sich zu outen und sich psychologische Hilfe zu holen – gerade auch bei uns in Südtirol. Aber es gibt Anlaufstel-
len und Hilfe für Betroffene und Projekte und Initiativen, die sich die Aufarbeitung zum Ziel gesetzt haben. Denn so sehr dieses schwerwiegende Thema auch unsere Seelen verletzt, Schweigen ist keine Option…
von PZ-Redakteurin Judith Steinmair
IM GESPRÄCH MIT… GEORG LEMBERGH Der Filmemacher und Fotograf ist in Tirol aufgewachsen und hat Südtiroler Wurzeln, lebt heute in Wien und Tirol. Im Jahre 2018 kam sein Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ (gemeinsam mit Hansjörg Stecher) in die Kinos, im darauffolgenden Jahr erschien bei Editon Raetia das Buch dazu (gemeinsam mit Brigitte Maria Pircher). „Das versunkene Dorf“ ist der erfolgreichste Dokumentarfilm im Alpenraum 2018, er erkundet die Ereignisse rund um die Reschenseestauung und spürt den menschlichen Schicksalen der Dorfbewohner von Graun nach, die damals quasi über Nacht ihre Heimat verloren. Aktuell befasst sich Georg Lembergh in seinem neuen Projekt wiederum mit menschlichen Tragödien, diesmal nämlich mit dem Thema „Sexueller Missbrauch in 4
PZ 22 | 05. N OV E M B E R 2020
Nord- und Südtirol“. Im Jahr 2022 bringen die ALBOLINA Filmproduktion und der RAETIA Verlag den entsprechenden KinoDokumentarfilm und das Buch (Arbeitstitel: „Gegen das Schweigen – Breaking the Silence“) heraus. PZ: In Ihrem neuen Film- und Buchprojekt befassen Sie sich mit einem höchst sensiblen Thema, dem sexuellen Missbrauch. Wie ist die Idee entstanden, was ist der Antrieb? Georg Lembergh: Nach meinem erfolgreichen Dokumentarfilm „Das versunkene Dorf“ über die Seestauung am Reschensee, habe ich nach einem neuen Filmstoff gesucht. In dieser Zeit war bei uns in Österreich in den Medien recht viel über sexuellen Missbrauch zu lesen. Zufällig habe ich
gleichzeitig die Biographie des ehemaligen österreichischen Skirennläufers Klaus Heidegger in die Hände bekommen. Heidegger ist im selben Tiroler Dorf wie ich aufgewachsen und war als erfolgreicher Rennläufer der Held meiner Kindheit. Auf S. 71 seiner Biographie beschreibt er, dass er als Kind von einem Fußballtrainer im Ort jahrelang sexuell missbraucht wurde. Mir ist fast das Buch aus der Hand gefallen, und ich war geschockt! Als jemand, der im selben Dorf eine glückliche Kindheit erleben durfte, schossen mir gleich Fragen durch den Kopf wie, wieso hat niemand was bemerkt, wie ist so was möglich, wer war der Täter usw.? Klaus Heidegger berichtet in dem Buch ganz offen über seinen Missbrauch, um, wie er schreibt, Menschen zu motivieren, die Ähnliches erlebt haben, nicht mehr länger zu schwei-