GESELLSCHAFT & MENSCHEN
HERBSTGESPRÄCHE AM SPEIKBODEN
Die Zukunft im Blick Abenteurerin Ana Zirner berichtet bei der ersten Ausgabe der neuen Veranstaltung, was sie auf ihrer Alpenüberquerung gelernt hat.
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s war noch mitten im März. Der Lockdown in vollem Gange. Die nächsten Wochen waren ungewiss. Und miteinander reden, sich austauschen können, plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Da beschloss Martin Unterweger, Geschäftsführer der Speikboden AG, dass er im Ahrntaler Skigebiet eine Veranstaltung ins Leben rufen will, die genau das tut: Menschen zusammenbringen, über interessante Themen diskutieren. Nun fand die erste Ausgabe der Speikboden Herbstgespräche statt. „Wir möchten mit den Herbstgesprächen unseren Aktionärinnen und Aktionären und Freunden des Speikbodens etwas zurückgeben und auch die Diskussion anstoßen: über die Zukunft in unserem Tal und die Rolle der Skigebiete im Kontext des Klimawandels”, sagt Unterweger. Zusammen mit Speikboden-Präsident Franz Wieser hatte er Ana Zirner auf den Berg geladen. Die 37-jährige Abenteurerin überquerte vor drei Jahren in 60 Tagen die Alpen von Ost nach West. In
Offen für Diskussionen: Verena Duregger, Ana Zirner, Franz Wieser und Martin Unterweger (v.l.).
der Zeit merkte sie, dass alles, was sie zum Leben braucht, in einen großen Rucksack passt. Ein Erlebnis, das sie dazu anspornte, bewusster zu leben. Die Fahrt im Elektroauto oder Zug gehört für sie selbstverständlich dazu.
DIE ZWISCHENMENSCHLICHEN BEZIEHUNGEN
Im Gespräch mit Verena Duregger erzählte Zirner, warum ihr die Berge so wichtig sind und dass es bei ihrer Tour schon bald nicht mehr um Zahlen ging. Um Höhenmeter oder
ANA ZIRNER: „ICH BRAUCHE IMMER WENIGER“ 2017 machte Ana Zirner das, wovon viele träumen: Sie packte ihren Rucksack und zog los. In 60 Tagen überquerte die freiberufliche Autorin, Kulturmanagerin und Regisseurin die Alpen von Ost nach West und schrieb ein Buch über ihre Erfahrungen („Alpensolo”). Seither ist das Unterwegssein fester Bestandteil ihres Lebens. PZ: In Alpensolo hat jedes Kapitel ein eigenes Thema. In den Dolomiten ist das Ehrlichkeit. Was macht diese Berge ehrlich? In den Dolomiten hatte ich das Gefühl, dass die Felsen nicht aus dem Boden herauswachsen, sondern dass sie vielmehr auf der Erde stehen und von dort aus geradezu schamlos in den Himmel reichen. Sie stehen da, stolz und aufrecht, schön und weise in ihrer Imposanz, und es wirkt, als sei ihnen alles ringsherum, alles Nichtige und sogar alles Menschengemachte erst einmal ganz gleichgültig. Für Berge finde ich das eine sehr ehrliche Haltung (lacht).
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PZ 20 | 08. O K TO B E R 2020
Sie haben während der Tour nach Möglichkeit draußen geschlafen. Was ist das für ein Gefühl? Wenn man über einen langen Zeitraum immer unter freiem Himmel schläft, verändert das die Wahrnehmung der Umwelt, und es entsteht ein tieferes Gefühl der Verbundenheit als Mensch mit dieser Erde. Es schärft die Sinne, im wahrsten Sinne des Wortes. Ich hatte irgendwann das Gefühl, besser sehen, riechen, schmecken, hören und fühlen zu können. Durch das Gehen und das draußen „leben“ befreit man sich mit der Zeit ja nicht nur von vielen menschlichen Konventionen (z.B. Kalendern, medialer Erreichbarkeit, alltäglicher Taktung), sondern auch von den physischen Boxen (Häuser, Autos, öffentliche Verkehrsmittel), und der Körper bekommt so die Chance, ursprüngliche Kräfte wieder zu entfalten, die man sich abtrainiert hatte. Ich glaube viele Menschen suchen derzeit danach, wie ich es ja auch diesen Sommer erlebt habe, als viele Kunden biwakieren wollten. Die erste Nacht unter
freiem Himmel können sie meistens nicht gut schlafen, weil sie sich schutzlos fühlen und jedes Geräusch ungewohnt ist. Aber gerade das kann sehr heilsam sein, um auch sich selbst wieder zu entdecken. Nach der Alpenüberquerung kamen die Pyrenäen, nächstes Jahr wollen Sie den Kaukasus von Ost nach West gehen. Was hat das Unterwegssein für Sie verändert? Ich lerne mich unterwegs immer besser kennen. Meine Wertschätzung für alles, was ich habe, wächst, und ich brauche zugleich immer weniger. Es ist eine wunderbare Herausforderung, die äußere und auch innere Stille auszuhalten, wenn man lange allein in der Natur unterwegs ist. Zunächst hat das Wegfallen der lärmenden Alltagskonventionen oft etwas Beängstigendes. Aber wenn man das aushält, da durch geht, dann gelangt man zu einer tiefen Ruhe und Klarheit. Einen Funken davon kann ich auch immer in meinem Leben zwischen den Touren bewahren. // Interview: Verena Duregger