SOZIALES & GESUNDHEIT TITELTHEMA
DER WERT DER KULTUR IN CORONA-ZEITEN
Die verkannte Wertschöpfung Ein finanziell abgesichertes Leben, das war für Kulturschaffende und -treibende (bis auf wenige Ausnahmen) nie so und jetzt schon gar nicht. Corona hat die Diskussion rund um die Kultur als Wirtschaftssektor beziehungsweise deren Stellenwert und die längst überfälligen Baustellen neu entfacht. Gemeinsam mit politischen Vertretern und Betroffenen ist die PZ der Frage nachgegangen, wo wir in Bezug auf unsere Kultur(auffassung) stehen und wohin wir uns bewegen (sollten)…
BRIGITTE FOPPA: Landtagsabgeordnete/Fraktionssprecherin der Grünen PZ: Wenn es um die Kultur geht will die Mehrheit im Südtiroler Landtag ihren Horizont nicht erweitern, schreiben Sie in Ihrer Presseaussendung, nachdem der Vorschlag der Grünen, eine Erhebung zur wirtschaftlichen Situation der Kultur- und Kreativwirtschaft in Südtirol durchzuführen, abgelehnt wurde – sind wir in Südtirol zu kurzsichtig, wenn es um das Thema Kultur geht? Brigitte Foppa: Mehr als kurzsichtig würde ich sagen: Engsichtig. Im spezifischen Fall hat Landesrat Achammer die Ablehnung damit begründet, dass man bereits erhebe, welche wirtschaftlichen Auswirkungen die Kulturförderung habe. Das ist allerdings nicht dasselbe. Kulturförderung ist gut und wichtig, und ich werde mich immer dafür einsetzen, dass mehr gefördert wird. Aber Kultur ist ja viel, viel mehr als das, was Beiträge kriegt. Es geht nicht darum, zu erforschen, was die Kulturförderung bringt, sondern was die Kultur bringt. Warum bräuchte es Ihres Erachtens nach eine ganzheitliche Erhebung über die Wertschöpfung des Kulturbereichs in Südtirol? Gerade im vergangenen Jahr, vielleicht auch durch den Mangel, wurde vielen be4
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wusst(er), welchen Wert Kultur hat. Für das gemeinsame Weiterkommen als Gesellschaft, für die Mentalitätsentwicklung, ja für die geistige und psychische Gesundheit. Ich selbst habe es immer wieder gesagt: Ohne Kultur, die mir großzügig von vielen Künstler*innen, zum Teil kostenlos, geboten wurde, wäre ich während des Lockdowns im Frühling eingegangen. Die Musik, die Literatur, die Satire – sie haben mich über die Einsamkeit jener Zeit gerettet. Trotz alledem bleibt die Kultur in all ihren Aspekten ein unterbewerteter Sektor, der oft auf Hobby- und Freizeitdimensionen reduziert wird. Ihre wirtschaftliche Bedeutung wird regelmäßig heruntergespielt. Dabei kommt man auf unglaubliche Zahlen, wenn man die Bruttowertschöpfung des kulturellen Sektors analysiert. 2018 belief sie sich in Deutschland auf ca. 100,5 Milliarden Euro. Damit lässt sie Branchen wie die Chemieindustrie, die Energieversorgung oder die Finanzdienstleister hinter sich. Nur die Automobilindustrie erzielt eine höhere Wertschöpfung. Dies alles auch für Südtirol erheben, hieße schon einmal, das Ausmaß der kulturellen Leistung, auch für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt erkennen. Und es wäre eine großartige Argumentationshilfe, wenn es das nächste Mal dar-
um geht, wer im Land wie viel an öffentlicher Förderung erhält. Wo sollten wir ansetzen, um dem Kultursektor die gebührende Wertschätzung entgegenzubringen? Welche konkreten Maßnahmen wären dringend vonnöten? Den Wert schätzen, das hat auch wörtliche Bedeutung. Wissen, wie viel etwas wert ist, ist der Beginn von Würdigung. Natürlich braucht es noch viel mehr. Künstlerinnen