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MENSCHEN IM PORTRAIT
ALFRED VALENTIN „Die fetten Jahre sind vorbei“
Auch eine Abschiedsfeier ist in Zeiten wie diesen ein bisschen anders. Als Alfred Valentin, Generalsekretär der Stadtgemeinde Bruneck seit 1998, in den Ruhestand verabschiedet wurde, ließen sich gar einige Gratulanten online zuschalten. Valentin wusste nichts von der Feier. Da soll noch mal einer sagen, der Gemeindesekretär wüsste über alle Vorgänge in der Gemeinde Bescheid... Im Interview blickt der 62-Jährige zurück und erzählt von der Aufregung am ersten Arbeitstag, dem Spagat zwischen Effizienz und Genauigkeit, dem Konfliktpotential im Bereich der Urbanistik und warum ihm der Mittwoch heilig ist
Alfred Valentin, Jahrgang 1958, wächst in Sand in Taufers auf. Nach der Matura an der Handelsschule (damals noch auf Schloss Bruneck untergebracht) macht er den Befähigungslehrgang zum Gemeindesekretär und tritt seine erste Stelle als damals jüngster seines Standes in Feldthurns an. Gemeindesekretär mit Maturaabschluss? Der Mangel an Bewerbern macht es in Südtirol damals möglich. Aber das will Valentin ändern und studiert berufsbegleitend Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität in Trient. Der damals von der Eurac organisierte Studiengang ist speziell auf Gemeinden zugeschnitten. 1979 wechselt er an die Gemeinde St. Lorenzen, weil er näher an daheim arbeiten will. Der Fußball ist zu dem Zeitpunkt seine ganze Passion und er spielt liebend gern beim SSV Taufers. Ab 1. März 1998 arbeitet er in Bruneck, zunächst an der Seite von Günther Adang, dann begleitet er Christian Tschurtschenthaler und schließlich Roland Griessmair. Von 2005 bis 2011 steht er dem autonomen Verband der Südtiroler Gemeindesekretäre vor. Ende Jänner 2021 geht Valentin in den Ruhestand, doch wirklich ruhig wird es nicht werden, übernimmt er doch die Präsidentschaft der Inhouse-Gesellschaft Sport und Freizeit Bruneck GmbH. Valentin ist Vater von drei Kindern und lebt mit seiner Frau in Kematen. //
PZ: Hätten Sie sich Anfang 2019 vorstellen können, dass Sie einmal mit digitalen Grußbotschaften in den Ruhestand verabschiedet werden?
Alfred Valentin: Nein. Aber damit zeigte sich einmal mehr, welche Möglichkeiten das breit aufgestellte Glasfasernetz in Südtirol bietet. Manche waren persönlich im Gemeinderatssaal dabei oder wurden wie Landeshauptmann Arno Kompatscher live zugeschaltet. Unter anderem sendeten Generaldirektor Alexander Steiner, die Künstler Elfriede und Franz Kehrer und der Ehrenpräsident der Gemeindesekretäre Anton Gaiser Grußbotschaften. Die Wertschätzung von Bürgermeister Roland Griessmair und Stellvertreter Antonio Bovenzi hat mich sehr gefreut. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom Bau- und Recyclinghof, aus den Küchen, das Reinigungspersonal, die Bibliothek, die Ortspolizei, die Verwaltung, alle haben sich mit digitalen Botschaften eingebracht. Am Tag vorher klopfte Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder an die Tür und schaute mit Markus Falkensteiner und Christian Tschurtschenthaler vorbei. Und Reinhold Messner, mit dem ich beim Schlossumbau zusammenarbeiten durfte, gab sich persönlich die Ehre. Da sind die Emotionen hochgekommen und Tränen geflossen.
Sie müssen im Umgang mit anderen
Menschen viel richtig gemacht haben.
Es heißt oft, von der Qualität des Gemeindesekretärs hängt der Erfolg der
Gemeinde ab.
Die Wahrheit ist: Er hängt wesentlich vom Zusammenspiel zwischen Bürgermeister und Gemeindesekretär ab. Beide Rollen sind wichtig und beide müssen ihr Rollenverständnis ausfüllen. Ein schwacher Bürgermeister kann nicht durch einen starken Gemeindesekretär ersetzt werden, umgekehrt funktioniert das genausowenig. Ich bin auch kein Befürworter von Gemeindesekretären, die zwei Stellen haben. Das mag für eine Gemeinde zwar kostensparend sein, aber es geht viel Potential verloren.
Das Problem sind die fehlenden Anwärter auf die ausgeschriebenen Stellen. Warum ist das so?
Es ist höchst an der Zeit, die Zugangsvoraussetzungen zu erleichtern. Du kannst nicht fertige Juristen und Wirtschaftsakademiker in einen Kurs für zwei Jahre zwingen, danach in die Referentenzeit drängen und keine Termine für die Prüfung ansetzen. Die springen ab oder werden abgeworben.
Sie waren der jüngste Gemeindesekretär Italiens, als sie Ihre Stelle in Feldthurns angetreten haben. Mit welchem
Gefühl?
Da war viel Aufregung dabei. Ich war 21, habe ausgeschaut wie 17. Damals hat man Gemeindesekretäre wie Pfarrer betrachtet, als graue Eminenzen. Und dann kam dieser Jungspund. Mit dem Bürgermeister, Anton Dorfmann, ist es gleich gut gelaufen. Und ich habe den Schritt nie bereut.
Nach Feldthurns kam St. Lorenzen und dann Bruneck. 43 Jahre in den Gemeindestuben, fünf Bürgermeister: Was ist das Fazit?
Der Gemeindesekretär übt einen Beruf aus und muss sich an den jeweiligen >>
Bürgermeister anpassen. Das ist die Stärke eines guten Gemeindesekretärs. Ein Unternehmer will Gas geben, wenn er in der Rolle des Bürgermeisters ist. Ein sozial ausgerichteter Mensch wird sein Augenmerk mehr darauf legen. Jeder hat seine Interessen und ein guter Bürgermeister ist froh, wenn er sich in seinem Bereich bewegen kann. Und der Gemeinde-sekretär wird dann intervenieren, wenn es nicht mehr ausgewogen ist. Dieser Beruf ist keine Einbahnstraße. Du musst deine Stärken dort einsetzen, wo du sie hast.

Was ist die wichtigste Regel, die Abschied voller Emotionen: Digital zugeschaltete und physisch anwesende Gratulanten verabschieden Alfred Valentin nach 23 Jahren in der Gemeinde Bruneck. Reinhold Messner, Valentins Frau, die beiden Töchter und
Sie einem Neuling in diesem Be- Christian Tschurtschenthaler, Antonio Bovenzi und Roland Griessmair sind persönlich dabei.
ruf mitgeben würden?
Schau, dass der Bürgermeister nicht in dein Die Abschiedsfeier mit digitalen Gra- sind und wo gute Erklärungen umso wichGehege kommt. Und du nicht in seines. Das tulanten hat gezeigt: Corona hat der tiger sind. Das sieht man besonders bei Geist das Rollenverständnis, das es braucht. Du Digitalisierung einen enormen Schub setzestexten. Die Auslegung der Wortspiele musst für die Gemeinde brennen und dein verpasst. macht alles so schwierig. Wir brauchen präFeuer an die Mitarbeiter weitergeben. Ja, mit vielen Vorteilen. Aber nicht nur. In zise Aussagen, die keinen Spielraum für Inder Verwaltung erleben wir auch die Schat- terpretationen zulassen. Und wenn, dann
Was macht der Gemeindesekretär ge- tenseiten: Softwarepakete und digitale Lö- eine Auslegestelle, an die man sich bei Zweinau? sungen werden aus dem Boden gestampft feln wenden kann. Im Bereich der TalstatioEr führt die Verwaltung in der Gemeinde, und deren Anwendung unerprobt angeord- nen kann nicht ausgeschenkt werden, heißt setzt im Grunde die Beschlüsse um. Er sorgt net. Die Arbeit wird dadurch oft verkompli- es in einer Coronavorschrift. Gut, dann komfür rechtmäßiges und effizientes Handeln. ziert und blockiert. Ein Beispiel ist die digi- men die ersten und sagen: Was ist der BeEr verbindet die politischen Organe der Ge- tale Registrierung der Verträge: Da kommen reich? 100 Meter, 200 Meter und schon fängt meinde mit den Mitarbeitern. Softwarepakete aus Rom, mit einem 1.000 die Unsicherheit an. Und damit steigen auch Seiten dicken Handbuch, das die Mitarbei- die Streitfälle.
Das klingt nach einem Spagat? ter studieren und kennen müssen. Und dann Ja, ein schwieriger dazu. Einerseits ist es erst der Ärger, wenn die Programme wegen In welchem Bereich ist das besonders wichtig, alles korrekt zu machen und auf technischer Probleme ausfallen. häufig der Fall? der anderen Seite möglichst schnell. Ganz klar in der Urbanistik. Dieser Bereich In einer Gemeinde stehen oft schwieri- ist mit großen Interessen verbunden. Da sind
Und dann ist da ja noch die Büro- ge Entscheidungen an. Haben Sie viele auf der einen Seite die Bauherren, auf der kratie... schlaflose Nächte verbracht? anderen die Nachbarn, oder die verschieMich darüber aufzuregen habe ich aufgege- Angst hatte ich eigentlich nie, auch nicht denen Interessensgruppen und Verbände. ben, denn die Rahmenbedingungen kann vor Entscheidungen. Ich bin ein entschei- Alle lesen und interpretieren in ihrem Sinn. man nicht ändern. Was aber geht: Sich im dungsfreudiger Mensch und habe mich viel Das geht oft nicht konform. Es ist zweifelsvorgegebenen Rahmen möglichst dynamisch aufs Bauchgefühl verlassen. Da war einfach ohne schwierig, diesen Bereich klar zu rebewegen und versuchen, aus jedem Fall das das Gespür, wo ich mehr aufpassen muss, geln, ich würde mir aber mehr Anstrengung Beste draus zu machen. welche Verwaltungsakte besonders heikel dazu wünschen.

Diese Symbolfigur hat jeder Gemeindesekretär auf seinem Schreibtisch: 2009 enthüllen der Künstler Josef Rainer, Alfred Valentin, Luis Durnwalder und Arnold Schuler die Bronzefigur, deren wackelige Stiege für die Rechtsunsicherheit steht.
Die Stadt auf der einen Seite, die Fraktionen auf der anderen: In der Gemeinde Bruneck mit Konfliktpotential verbunden?
Die jeweiligen Bürgermeister und politischen Vertreter der Dörfer und Städte haben immer einen guten Ausgleich geschafft. Bei den Kindergärten hat man zum Beispiel ein Prioritätenkonzept zum Umbau erstellt, das dann umgesetzt wurde und noch wird. Das hat nie Anlass für Streit gegeben. Das ausgleichend handzuhaben ist allen drei Bürgermeistern, mit denen ich gearbeitet habe, gelungen. Da gibt es Beispiele in anderen Gemeinden, wo die zur Verfügung stehenden Gelder den Dörfern nach Einwohnerzahl zugewiesen werden. Das ist ein anderer Ansatz.

Ein wackeliger Stapel Gesetzesblätter: Mit dieser Aktion zeigt das Führungsteam der Gemeinde Bruneck 2016 auf, dass das System zu kippen droht.
Wie gut bestellt verlassen Sie das
Haus?
Die Gemeinde steht gut da, hat keine relevanten Schulden. Und die 160 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Gold wert. Man hat in den vergangenen Jahren viele Strukturen realisiert. Nicht nur in Bruneck, im ganzen Land. Jetzt kommen weniger gute Zeiten, aber man hat vorgebaut. Die Anlagen in der Gemeinde Bruneck sind in gutem Zustand. Jetzt gilt es, die Wert- und Instandhaltung im Blick zu behalten, dass die Bauten nicht zusammenfallen und vernachlässigt verkümmern. Ich weiß Bruneck unter meinem Nachfolger Paul Bergmeister jetzt in den besten Händen.
Was werden die Herausforderungen der nächsten Jahre in den Südtiroler
Gemeinden sein?
Corona geht nicht spurlos an uns vorbei. Die Ausgaben von Staat, Land und Gemeinden sind beträchtlich, die Wirtschaft wird auf tieferem Niveau durchstarten. Das werden Gemeinden auch in den Zuweisungen zu spüren bekommen. Denn die fetten Jahre sind vorbei.
Das wird Sie in Ihrer neuen Aufgabe als Präsident der Inhouse-Gesellschaft
Sport und Freizeit GmbH sicher sehr beschäftigen.
Die Führungsgesellschaft gehört zu 100 Prozent den Stadtwerken und fußt auf vier Säulen: Cron 4 und Freibad, das zukünftige Veranstaltungszentrum beim Noi Techpark, die neue Eissportanlage, die ja bereits im Mai fertiggestellt werden soll. Und dann ist auch die Eingliederung des heutigen Vereins Stadtentwicklung geplant. Also allesamt Bereiche, die von den Einschränkungen der Corona-Maßnahmen im Moment besonders betroffen sind. Wenn Staat, Land und Gemeinden in einigen Monaten die Finanzressourcen prüfen werden, wird es wie gesagt bleiche Gesichter geben. Entsprechend wird sich das auch auf vorher eingeplante Unterstützungen für die Führung der Anlagen auswirken. Das gleiche Szenario befürchte ich auch bei den Firmen, die in der Vergangenheit großzügige Werbe- und Sponsorverträge abgeschlossen haben. In der Führungsgesellschaft gilt es jetzt, den Spagat zu finden zwischen Machbarem, Notwendigem und Nützlichem und auf eine Zeitenwende zu setzen. Ich betrachte die heutige Situation als eine Krise, die vorübergehen wird und die wir meistern können, wenn wir die richtigen Pferde satteln.
In Mühlwald und Prettau springt mit
Raimund Steinkasserer ein pensionierter Routinier als Gemeindesekretär ein.
Wäre das für Sie auch eine Option?
Dass ich nach der Pensionierung noch eine Aufgabe übernehmen würde, war für mich klar. Ich habe mich von den gegebenen Optionen für die schwierigste entschieden, weil ich im Brunecker Umfeld bleiben wollte.
Wie schalten Sie ab?
Ich muss nicht wegfahren, um den Beruf hinter mir zu lassen. Es ist ein Vorteil, nicht in der Gemeinde zu wohnen, in der man die Stelle hat. Ich schalte schon bei der Gartenarbeit ab und wandere viel. Heilig ist mir der Mittwoch. Da treffe ich mich seit 35 Jahren mit meinen Freunden zum Tennisspielen. Da gab es für mich keine Sitzung, keine Familienfeiern. Einmal fiel Silvester auf einen Mittwoch und wir haben Tennis gespielt. Und jetzt freue ich mich, mehr Zeit mit den zwei Enkelkindern zu verbringen.
// Interview: Verena Duregger
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