Ausgabe 145 (Juli + August 2022)

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mehr Konzeptvergabeverfahren erleben werden, ob auch hier Nutzungskonzepte wie das des Neuen Amts Altona eine Chance hätten, hängt laut Temel und Gennies auch davon ab, wie gut es Städten gelingt, für das Modell Konzeptvergabeverfahren auch private Eigentümer:innen zu gewinnen. Denn bislang werden in diesen Verfahren meist städtische Grundstücke verkauft – und die werden immer seltener.

irgendetwas geschieht. Nichts hieran orientiert sich am Gemeinwohl, an den wahren Bedürfnissen der Bewohner:innen. Gewinnmaximierung ist das oberste Gebot.” Mit ihrem Co-Working-Haus wollen Christina und das restliche Team ihr Viertel aktiv mitgestalten: „Das Neue Amt Altona soll seinen Mitgliedern gehören und nicht Investoren, denen es nichts bedeutet. Deshalb kaufen wir die Immobilie als Genossenschaft.” Zentrales Co-Working um die Ecke, kombiniert mit einem etablierten Kulturangebot und einem öffentlichen Erdgeschoss mit Gastronomie und Veranstaltungen als Treffpunkt für die Nachbarschaft. Ein Ort für die Stadt von Morgen und ein Gegenentwurf zu Grund und Boden als Spekulationsobjekt. Eine neue Art der Stadtentwicklung.

Zudem gilt: „Ein Konzeptverfahren ist natürlich aufwendiger als ein ganz normales Bieterverfahren. Es braucht planerische und juristische Kompetenz, es macht mehr Arbeit vor allem nach der Vergabe, in der Qualitätssicherung.“ Doch es lohne sich, sagt Robert Temel. „Dafür bekommt man als Stadt herausragende Projekte, die die Stadtteile lebenswerter machen.“

III) Das Konzeptvergabeverfahren Dass Konzeptvergabeverfahren ein Schlüssel für zukunftsweisende Stadtentwicklung sind, bestätigt Robert Temel. Er ist selbstständiger Architekt, Stadtforscher und Autor der Studie „Baukultur für das Quartier. Prozesskultur durch Konzeptvergabe“. „Mich fasziniert, wie ein einfaches Werkzeug so großartig dabei hilft, kreatives Potenzial frei- und umzusetzen“, sagt er. Der große Unterschied zum klassischen Bieterverfahren: In Konzeptverfahren werden meist Fixpreise verwendet. „So kann die Stadt Flächen unterhalb der marktüblichen Preise anbieten. Dadurch werden nicht-profitorientierte, gemeinwohlbezogene Nutzungen auf diesen Grundstücken überhaupt erst möglich.“ Denn am Ende gewinnt die Idee, die die festgelegten Kriterien am besten erfüllt – und nicht der oder die Meistbietende. „Spannend wird es, wenn bereits die Kriterien in einem co-kreativen Prozess mit Bürgerinnen und Bürgern entstehen“, ergänzt Mona Gennies vom Netzwerk Immovielien. Das sei eine große Chance für gemeinwohlorientierte Vergabekriterien, zum Beispiel soziale, ökologische oder gesundheitliche.

Was also könnten Politik und Verwaltung tun? „Konzeptvergaben sind alles andere als Alltag in Kommunen”, weiß Mona Gennies. „Ämter müssen gut zusammenarbeiten.” Sie rät, Kompetenzgruppen zum Thema zu bilden. Und wir, die Stadtgesellschaft? „Bürgerinnen und Bürger müssen solche Verfahren von Politik und Verwaltung einfordern, ganz allgemein und bezogen auf bestimmte Entwicklungsgebiete, beispielsweise für Baugemeinschaften”, sagt Robert Temel. Mona Gennies ergänzt: „Kommunalpolitik ist gut erreichbar. Tretet an den Stadtentwicklungsausschuss heran, leistet politische Überzeugungsarbeit und zeigt der Verwaltung, dass es Interesse und gute Ideen nicht nur in Berlin gibt.“ Wird gemacht! Darmstadt, wie wär's ... mit mehr Konzeptvergabeverfahren? ❉

Anna und Tobi haben Lust auf Stadt mit Zukunft! —­ Wir sind Anna Groos und Tobias Reitz. Einst schrieben wir im P Magazin über unsere Küchenexperimente („Iss was!“). Heute experimentieren wir beruflich wie privat mit der Zukunft von Leben und Arbeit. Eines dieser Experimente führte uns 2021 ins nordhessische Homberg (Efze), wo wir mit 20 anderen Klein- und Großstädter:innen Co-Living und Co-Working auf dem Land testeten. Jetzt sind wir zurück in Darmstadt und haben richtig Lust auf Stadt mit Zukunft.

Während Tübingen als Pionier bereits seit 25 Jahren auf Konzeptvergabe setzt und es sich in Städten wie Hamburg oder München zumindest im Wohnungsbau als Standardmodell für Grundstücksverkäufe etabliert hat, sind Konzeptvergabeverfahren in Darmstadt selten. Bekannt ist vor allem die Konzeptvergabe des Marienplatzes aus dem Jahr 2019. Ob wir in Darmstadt und andernorts in Zukunft P | 32


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