Der gechasste Uwe Eric Laufenberg trug den Konflikt öffentlich aus. Da tat Ministerin Dorn die Kontinuität in Darmstadt mit einem Karsten Wiegand, der die politische Klaviatur wesentlich besser zu beherrschen scheint, entsprechend gut. Dabei ist das Staatstheater per se schon immer auch eine politische Einrichtung. Anfang des 19. Jahrhunderts öffnete Großherzog Ludwig I. sein Hoftheater für alle Bürger:innen. Vor der Machtergreifung der Nazis erreichte Intendant Gustav Hartung mit Uraufführungen moderner Autoren internationale Beachtung. In den 1950er- und 1960er-Jahren prägten die Darmstädter Gespräche, bei denen auch die Philosophen der Frankfurter Schule, Adorno und Horkheimer, auftraten, die bundesdeutsche Geschichte. Und mit dem Neubau Anfang der 1970er, der bei damals beachtlichen Baukosten von 70 Millionen D-Mark bis heute mit den beiden hohen Bühnenaufzügen das Stadtbild prägt, versicherte die Politik sich und den Bürger:innen Darmstadts eine besondere kulturelle Relevanz. Dabei bleibt es ein gigantischer Zuschussbetrieb: Von seinem Jahresbudget von rund 30 Millionen Euro kann das Staatstheater gerade mal wenig mehr als ein Zehntel selbst über den Eintritt einspielen. Den Rest tragen die Stadt und das Land. In den Nullerjahren wurden 70 Millionen Euro in die Sanierung der Gebäude, der Technik und des Vorplatzes gesteckt. Auch wenn die Zeiten, in denen die weltweite Theaterlandschaft auf Darmstadt blickte, lange vorbei sein mögen. Der dabei zu einem offenen und weiten Feld umgestaltete Georg-Büchner-Platz lässt sich dennoch als Ausdruck zeitgenössischer gesellschaftlicher Themen lesen.
Wiegand öffnet „Theater für alle“ So hat das Theater nun einen weiteren Schauplatz, der – anders als die eingemauerten Spielorte des Großen und Kleinen Hauses sowie der Kammerspiele – außen liegt. Auf diesem Vorplatz kann es sich für Menschen öffnen, die nicht gestandene Theatergänger:innen sind, sondern an seinem zentralen Ort nur zufällig in ihrem Alltag vorbeikommen. Sich genau diesem Auftrag verpflichtet zu fühlen, hat Wiegand von Anfang an formuliert. So gibt es nun schon Karten für zehn Euro. Und wenn an einem Sommerabend auf dem Büchner-Platz neben dem klassischen Orchester auch HipHop-Acts auftreten, stellt das Theater keine Zäune auf, sondern hält die Flächen an den Seiten frei für Menschen ohne Billett.
tung auf das Bildungsbürgertum zu einem „Theater für alle“ auf. Dazu gehören das aktuell laufende Langzeitprojekt „Auftritt/Enter Darmstadt“ genauso wie Kindermusicals, für die sich Karten kaufen lassen, das aber auch Familien ohne Ticket einlädt, wenn sie am Brunnen auf dem Vorplatz von der Musik ins Gebäude gelockt werden. Auch künstlerisch hat sich das Theater der freien Theaterszene geöffnet, das in Darmstadt nicht nur beachtenswert breit aufgestellt, sondern naturgemäß auch wesentlich diverser ist als der Staatsbetrieb. „Es ist meine Aufgabe, auch Sachen zu bringen, die außerhalb meines Horizonts, meiner Perspektive oder meines Verständnisses liegen“, fasst Wiegand zusammen.
Der Anspruch der Grünen Seine Ausführungen schließen dabei nicht nur an die gegenwärtige Identitätsdebatte über die Privilegien des alten weißen Mannes und die Sichtbarmachung von Perspektiven bislang marginalisierter Gruppen an. Sie entsprechen auch dem Anspruch der Grünen, deren Klientel sich zwar aus dem gehobenen Bildungsbürgertum speist, sich aber als woke und progressiv versteht. Nicht allen seinen Mitarbeiter:innen gegenüber scheint Wiegand jedoch bislang dem Anspruch erweiterter Beteiligung gerecht geworden zu sein. Allerdings ist sich die Theaterleitung der Problematik durchaus bewusst und diese auch angehen zu wollen. „Es gibt viele verschiedene Erfahrungen und Stimmungen im Staatstheater“, sagt Wiegand. „Alle nehmen wir ernst und suchen den Austausch darüber, was gut läuft und was besser werden kann.“ Nach langer Vakanz verfügt das Theater mit der neuen Geschäftsführenden Direktorin Andrea Jung seit Oktober nun wieder über eine Doppelspitze. „Unser gemeinsames Ziel ist, in den kommenden Monaten einen starken Fokus auf die internen Prozesse und ein gutes Miteinander zu legen“, verspricht Jung. Und auch Oberbürgermeister Partsch scheint guter Dinge: „Dem Intendanten sollte aus Sicht des Landes in einer weiteren Amtszeit somit die Chance gegeben werden, in einem endlich funktionierenden Haus seiner künstlerischen Arbeit nachgehen zu können.“ ❉
Der Autor und das Staatstheater — Sebastian Weissgerber, der Autor dieser Stadtpolitik-Kolumne, hat unter der Intendanz Karsten Wiegands zweimal für das Staatstheater Darmstadt Kunstausstellungen kuratiert. Sein Onkel war dort mehr als 30 Jahre als Bühnentechniker angestellt.
Wiegand zählt im Gespräch mit dem P Magazin viele weitere Beispiele für einen Wandel von der AusrichP | 26