zu suchen. 2015 war ich an der Uni Teil eines Teams, das Geflüchteten geholfen hat, sich an der Uni zu orientieren. Zu dieser Zeit musste ich noch verstärkt darüber reflektieren, wie ich den Leuten dabei helfen kann, sich zu integrieren, wenn ich es selber nicht bin? Das hat mich motiviert. Wie bist Du überhaupt zum Studieren gekommen in dieser Zeit? Manchmal habe ich den Eindruck, wenn Leute erfahren, wie lange ich für mein Master gebraucht habe, haben sie Mitleid mit mir, so nach dem Motto: „Der arme Kerl, der hätte schon so viel Geld verdienen können.“ Und ich denke dann: Vielleicht will ich gar nicht so viel Geld verdienen! Ich habe viel mehr außerhalb der Uni als in der Uni gelernt. Mein ganzes Leben habe ich gesagt bekommen: „Du musst Deinen Abschluss machen, dann musst Du einen guten Job kriegen, und dann Familie, Haus und so weiter.“ Das ist ja die Norm. Aber was ist normal? Normal ist einfach etwas, was vordefiniert ist. Aber wer hat das entschieden? Ich möchte nicht, dass diese Normen mein Leben definieren. Ich bin hier, um mein Leben zu leben. Also habe ich gesagt: Okay, mein Abschluss ist wichtig, aber es gibt andere Dinge, die auch wichtig sind. Ich kann mir ein bisschen mehr Zeit fürs Studium nehmen – und dann lerne ich vielleicht auch noch etwas über mich. Meinst Du, Du hättest diese Erkenntnisse gehabt, wenn Du nicht ins Ausland gegangen wärst? Oder spezifisch in Deutschland? Das kann man natürlich nie sagen. Aber ich würde mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit behaupten, dass es so nicht passiert wäre. Ich bin gereist und das Leben hat mir dafür ein Geschenk gemacht. Ich habe Dinge herausgefunden, die ich wahrscheinlich nicht gelernt hätte, wäre ich in meinem Heimatland geblieben.
Wie ist Darmstadt ein Teil Deines Lebens und wie bist Du ein Teil des Lebens der Stadt? Ich kannte am Anfang meines Studiums so gut wie alle Studierenden aus Pakistan an der TU Darmstadt. Und man sieht, wie sie alle nach dem Studium nach Berlin, München, Stuttgart wegziehen. Und jetzt machen sie sogar schon Witze über mich. „Mann, Du wirst Darmstadt nie verlassen.“ Ich würde total gerne bleiben. Ich habe einen Job in Frankfurt, aber ich zögere irgendwie, aus Darmstadt wegzuziehen. Es ist wirklich meine zweite Heimat geworden. Ich kam sogar nach meinem letzten Besuch in Pakistan wieder hierher und hatte das Gefühl: „Aah, wieder zu Hause“ – und dann habe ich gedacht: „Nee, warte! Ich komme ja gerade von zu Hause ...“ Die aktivste und bewussteste Zeit meines Lebens habe ich hier verbracht – und damit steht Darmstadt für mich auch in Verbindung. Ich liebe den Vibe dieser Stadt, die Leute sind einfach klasse. Es gibt wirklich nichts Negatives, was ich über Darmstadt sagen könnte. Würdest Du sagen, dass Du integriert bist? Ich glaube, noch nicht hundertprozentig ... Glaubst Du, es ist möglich, sich irgendwann hundertprozentig zu integrieren? Ja, natürlich. Ich muss noch mehr auf die Sprache achten – und dann: Ja, natürlich. Was würde Integriertsein für Dich bedeuten? Wenn ich mich an den Ruhetag Sonntag gewöhnt hätte: Wenn ich sonntags aufstehe und gar nicht mehr daran denke, etwas einkaufen zu wollen. Wenn ich bereit bin, an meinem Sonntag gar nichts zu tun. Dann werde ich wissen: Ja, geschafft! [lacht.] Vielen Dank, Awais – und alles Gute für Dich! ❉
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