#68 | Februar 2022
ÜBER EINEN MEISTER DES NICHTSTUNS Ein leises Plädoyer für das Aufschieben anstelle der Tatkraft. Text: Daniela Egger
E
in junger Adeliger im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts treibt das Nichtstun auf die Spitze. Oblomow tut mit großer Konsequenz nichts – er bleibt daheim. Meist sogar im Bett. Das Leben spielt sich ab, aber er spielt nicht mit. Der junge Mann ist gebildet und keineswegs naiv, im Bett liegend macht er sich allzu viele Gedanken um Dinge, die er zu erledigen hätte. Kommt Besuch, sieht er seine Ruhe gefährdet, Menschen halten ihn von seinen Tagträumen fern. Die Anforderungen an ihn werden immer dringlicher, so etwa steht ein Umzug an, er soll seine Wohnung räumen, er soll sich um sein Landgut kümmern, „Nach dem Tee aber richtete er sich auf seinem bevor es endgültig verkommt und er sollte die er führt ein beLager auf und wäre beinahe aufgestanden; ja, wegtes Leben. Er Frau, die er liebt, heiraten. Oljga ist ihm zugetan, die Heiratspläne sind bereits geschmiedet, er hatte sogar begonnen, auf die Pantoffeln mag das Zimmer aber am Ende kann er sich nicht aufraffen, sein kaum verlassen, blickend, den einen Fuß vom Bette zu ihnen aber seine VorBett zu verlassen. Denn ebendort malt Oblomow sich die Konsequenzen seines Handelns hinabgleiten zu lassen; doch gleich darauf zog stellungskraft ist aus, ahnt Fallstricke und Wendungen und sieht so ausgeprägt, er ihn wieder zurück.“ (S. 11) sein Schicksal besiegelt, egal welchen Weg er als würde er jede einschlägt. Also bleibt er, wo er ist. der eingebildeDie Hauptfigur in Iwan Gontscharows Roman Oblomow wurde zu ten Unterhaltungen und Begegnungen intensiv einem Archetypus des Nicht-Handelns, er ist der Inbegriff der Verweierleben. Er ist am Ende des Tages so müde wie gerung. Ein Mensch wie er trägt vielleicht mehr zum Weltfrieden bei als jeder andere Mensch auch, vielleicht sogar noch so mancher, der die Dinge in die Hand nimmt. „Das ganze Unglück des mehr. Seine Sensibilität lässt ihn zum scharfsinMenschen rührt aus einem einzigen Umstand, nämlich, dass sie nicht runigen Beobachter werden, sie macht ihn aber hig in einem Zimmer bleiben können“, postulierte Blaise Pascal bereits im auch besonders verletzlich. Oblomows augen17. Jahrhundert. Viel zu oft zitiert, aber zu Oblomows Leben kommt man scheinliche Schwäche, sein mangelnder Antrieb um diesen Satz nicht herum. und seine Traumverlorenheit beinhalten eine Heute würde man Oblomow mit Sicherheit eine handfeste DepressiQualität, die nicht unbedingt ihm selbst zugute on diagnostizieren und entsprechende Medikation verabreichen, damit er kommen muss. Aber um nur das Mindeste zu wieder funktioniert, wie es der gesellschaftlichen Konvention entspricht. nennen – sie betont die ungeliebte menschliche 1857, als Gontscharow den Roman zu schreiben begann, war das noch anErfahrung der Ambivalenz. Oblomow hat groders. Oblomow nimmt hin, was kommt. Sein kleiner Radius ist ihm genug, ßen Respekt vor der Tatkraft und ihrer Folgen, er ist frei von Begierde und in Zeiten der wiederholten Lockdown-Verseine Skepsis zwingt ihn zum übertriebenen ordnungen gälte er als Meister seiner Zunft. Ein voreiliges Urteil über ihn Aufschub. Der Roman nimmt aus moralischen ist leicht zur Hand, aber es greift zu kurz – Oblomow ist kein Langweiler, Gründen kein glückliches Ende, weil für den Protagonisten nur ein bescheidenes Leben herauskommt, aber auch der tatkräftige Antagonist wird nicht glücklich. Seine Schwäche verweist auf ein wertvolles Gut, und ein gewisses Zögern, eine eingestandene Unsicherheit oder auch nur die Frage nach langfristigen Folgen könnten auch heute durchaus heilsam sein.
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