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Miserable Tänzer und unmusikalisch

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Miserable Tänzer und völlig unmusikalisch

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Die Vorarlberger sind miserable Tänzer und haben keine Ahnung von Musik. Dieses niederschmetternde Urteil fällte die „Gesellschaft der Musikfreunde Österreichs“ in Wien, nachdem sie die Tanzkünste vom Bregenzerwald bis ins Montafon unter die Lupe nahm. Doch im Geheimen trieben es die „Gsiberger“ ziemlich bunt.

Text: Gerhard Thoma, Fotos: Archiv

Man könnte sogar sagen: Die Wiener wurden „an der Nase herumgeführt“. Es begann im Jahre 1819, als Josef von Sonnleithner von den „Musikfreunden“ eine wissenschaftliche Sammlung über Volkstänze und Volksmusik in der Monarchie anlegen wollte. In Vorarlberg sollten die Landrichter Auskunft geben – und das taten sie auch. Aus Bludenz kam die Meldung, „dass in keiner Gemeinde des Gerichtsbezirkes Nationaltänze aufgespielt noch Lieder oder Melodien gesungen werden.“ Nur „linke Füße" und totale musikalische Versager vermeldete auch der Schrunser Landrichter: „In keiner Gegend dürfte wohl weniger Neigung für die Tanzkunst unter dem Volke herrschen, als gerade in diesem Amtsbezirke. Außer den Schullehrern, welche zugleich Organisten sind, versteht niemand etwas von Musik.“ Ein wüstes Gehopse gab es auch im Raum Bregenz: „Ebensowenig werden bei besonderen Feierlichkeiten oder andern Gelegenheiten Nationaltänze, sondern in der Stadt werden die Walzer nach 3/8 Takt und auf dem Land auch die so genannten Hopser nach 2/4 Takt getanzt, welch letztere nicht regelmäßig sind, sondern jeder, der diesen Tanz aussucht, macht willkürlich und nach seinem Gefallen die Bewegung. Melodien zu Nationaltänzen sind keine bekannt und die Tanzspielenden in der Stadt beschränken sich auf keine besonderen Melodien.“ Ebenso in Dornbirn: „Die gewöhnlichen Tänze, die im Lande getanzt werden, sind originelle Schweizer Tänze oder aus dem benachbarten Allgäu und haben durchaus keine besondere Auszeichnung.“

Trotzdem sind die Rückmeldungen der Landrichter wichtig für die Vorarlberger Musikgeschichte, wie Dr. Annemarie Bösch-Niederer, Leiterin des Musikarchivs im Vorarlberger Landesarchiv, erklärt: „Die zur Sammlung aufgeforderten Beamten legten diesen Schreiben Notenmaterial bei, welches heute im Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde in Wien aufbewahrt wird. Diese handschriftlichen Dokumente sind die ältesten volksmusikalischen Belege unserer Region. Tanzbeschreibungen wurden leider nicht mitgeliefert.“

Tanzhäuser

Tatsächlich wurde im Ländle schon immer das Tanzbein geschwungen. Bösch-Niederer: „Tanzveranstaltungen fanden bis ins 19. Jahrhundert in Tanzhäusern oder Tanzlauben statt. Seit dem 14. Jahrhundert gibt es in deutschen Städten, auch in Vorarlberg, Tanzhäuser.“ Um 1390 wird erstmals in Feldkirch ein Tanzhaus erwähnt, 1431 gibt es ein solches in Satteins, 1465 in Rankweil, 1481 in Thüringen. Der Historiker Franz Josef Weizenegger (1784-1822) spricht sogar von „Gemeindetanzlauben, die in jedem Pfarrorte errichtet waren" und in denen man „überall dem Treiben und Drängen der jungen Leute zusehen konnte“. Die Tanzhäuser waren mehrfunktionale Gebäude. Während der Woche dienten sie als Wetterschutz für Vaganten, als Kaufhäuser, Gerichts-, und Versammlungsstätten, doch darüber hinaus waren sie auch Orte der Unterhaltung und des Theaters.

Dass sich die Vorarlberger Behörden ahnungslos stellten, hatte einen triftigen Grund: Angst vor der Kirche. Die meisten Geistlichen wollten das Tanzen verbieten. Der engagierte Volksliedsammler, Pädagoge und erste Archivar des Vorarlberger Volksliedarchivs, Josef Bitsche (1900 bis 1974), schreibt noch im Jahr 1961: „Tanz, das war bei uns immer etwas, dem der Makel des – sagen wir es einmal ganz offen – des Sündhaften anhing.“ In Vorarlberg wurde deshalb sogar an der biblischen Geschichte gedreht: König David hat vor der Bundeslade getanzt, aber auf Vorarlberger Gemälden schreitet er erhabenen Schrittes mit der Harfe der Bundeslade voran. Tanzen bleibt dem Teufel vorbehalten. So dauerte es 100 Jahre, ehe sich wieder ein Musikwissenschaftler auf den Weg machte, um den Vorarlbergern ihre Tanz-Geheimnisse zu entlocken. Prof. August Schmitt (1861-1933) reiste zwischen 1923 und 1927 mehrmals ins Montafon, um die dortigen Volkstänze zu erforschen. Der Wiener Volkstanz-

„Bauerntanz“, Ölgemälde von Rudolf Schiestl 1919. Die ländliche Jugend organisierte Tanzabende auf Maisäßen und Alpen, um das Tanzverbot zu umgehen. Männer, die erwischt wurden, drohte der Militärdienst, Frauen drohte das Zuchthaus.

forscher Raimund Zoder (1882 bis 1963) berichtet über seinen geschätzten Kollegen: „Bei Bauern, Kleinhäuslern, bei Lehrern, Organisten, alten Weiblein und jungen Bauernmägden hielt er Nachfrage nach alten Tänzen und trug die oft bruchstückartigen Nachrichten emsig zusammen.“ 1927 weilte der bereits über 66-jährige Prof. Schmitt längere Zeit im Montafon und berichtet seinem Freund über seine mühevolle Forschungstätigkeit: „Wollte in St. G.[allenkirch] nur eine halbe bis eine Woche zubringen und nun

sind gerade schon drei Monate vergangen, ohne dass ich einen befriedigenden Erfolg erreicht hätte. [...] Man schickt mich hier um Auskunft von einem alten Weib zum andern.“ Er berichtet weiter über zwei ältere Frauen, die ihm einiges abverlangten: „Die Schwestern Kühne drehten und verbeugten sich so lebhaft (beide sind über 70 Jahre), dass ich mit den Augen kaum folgen konnte und mir verwundernd gestand, dass ich so etwas noch nicht gesehen und anfangs ratlos stand, wie ich das lernen werde oder gar beschreiben könnte.“

Bis in die 1990er Jahre mussten die Veranstalter von Tanzkursen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer namentlich der Gemeinde melden. Tänzer flüchten auf Alpen

Zwar durfte auf Hochzeiten und im Fasching getanzt und musiziert werden. Um 1850 gab es sogar die ersten Tanzlehrer im Land. Aber in privaten Wohnhäusern war bis ins 19. Jahrhundert Tanzen und Musizieren verboten. Wer erwischt wurde, musste Frondienste leisten. Im Bregenzerwald etwa mussten die Tänzerinnen und Tänzer sowie der Organisator elf Tage lang beim Straßenbau arbeiten. „Nachdem man im Dorf zu sehr unter Aufsicht war, wich die ländliche Jugend nicht ungern dorthin aus, wo sich die Geistlichkeit selten hin verirrte: auf Maisäße und Alpen“, erklärt Bösch-Niederer: „1778 traf Vogteiverwalter Fidel Obbuochberg in Schruns eine Verordnung betreffend der Sonntagsruhe, nachdem er erfahren hatte, dass auf den Maisäßen Abendtänze gehalten wurden. Bei Übertretung der Anordnung drohte den tanzfreudigen Männern eine Zukunft als Soldat, den Frauen das Zuchthaus.“

Bis in die jüngste Zeit stand Vorarlberg auf Kriegsfuß mit den Tanzlustigen. Ein Gesetz aus dem Jahr 1928 über die Abhaltung von öffentlichen Tanzunterhaltungen hält im § 5 fest, dass „Tänze, die geeignet sind das Sittlichkeitsgefühl zu verletzen“, verboten sind. 1960 wurde ein Tanzverbot am Begräbnistag des Landeshauptmannes Otto Ender „im Bereich des Landes Vorarlberg“ erlassen. Schon früher wurden bei Ausbruch von Epidemien – „dieweil die Pest im Lande übel hauset“ – und bei Naturkatastrophen wie Erdbeben gesellschaftliche Vergnügen verboten. „Nicht immer“, so Bösch-Niederer, „sind die angegebenen Gründe plausibel, wie im Falle der Ankündigung des Erscheinens eines großen Kometen 1681.“ 1962 kam es zu Anzeigen wegen nicht erlaubter Tanzveranstaltungen während der Fastenzeit und wegen des in „anstößiger“ Weise getanzten Modetanzes „Twist“ in einigen Lokalen. Ein weiteres Gesetz aus dem Jahr 1928 betraf die Abhaltung von Tanzkursen. Diese bedurften einer Bewilligung durch die Landesregierung. Der Sittlichkeitsparagraph behielt seine Gültigkeit bis zur Neukundmachung des Tanzkursgesetzes im Jahre 1994. Dieses Gesetz wurde sogar zur Angelegenheit des Volksanwaltes. Laut Medienberichten war ein Ansatzpunkt zur Kritik die Verpflichtung zur namentlichen Bekanntgabe der Teilnehmer an die Gemeinden. Die Diskussion wurde im März 2001 im Vorarlberger Landtag mit der Abschaffung des Tanzkursgesetzes beendet.

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