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Über einen Meister des Nichtstuns
Ein leises Plädoyer für das Aufschieben anstelle der Tatkraft.
Text: Daniela Egger
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Ein junger Adeliger im St. Petersburg des 19. Jahrhunderts treibt das Nichtstun auf die Spitze. Oblomow tut mit großer Konsequenz nichts – er bleibt daheim. Meist sogar im Bett. Das Leben spielt sich ab, aber er spielt nicht mit. Der junge Mann ist gebildet und keineswegs naiv, im Bett liegend macht er sich allzu viele Gedanken um Dinge, die er zu erledigen hätte. Kommt Besuch, sieht er seine Ruhe gefährdet, Menschen halten ihn von seinen Tagträumen fern. Die Anforderungen an ihn werden immer dringlicher, so etwa steht ein Umzug an, er soll seine Wohnung räumen, er soll sich um sein Landgut kümmern, „Nach dem Tee aber richtete er sich auf seinem bevor es endgültig verkommt und er sollte die Frau, die er liebt, heiraten. Oljga ist ihm zuge- Lager auf und wäre beinahe aufgestanden; ja, tan, die Heiratspläne sind bereits geschmiedet, er hatte sogar begonnen, auf die Pantoffeln aber am Ende kann er sich nicht aufraffen, sein Bett zu verlassen. Denn ebendort malt Oblo- blickend, den einen Fuß vom Bette zu ihnen mow sich die Konsequenzen seines Handelns hinabgleiten zu lassen; doch gleich darauf zog aus, ahnt Fallstricke und Wendungen und sieht sein Schicksal besiegelt, egal welchen Weg er er ihn wieder zurück.“ (S. 11) einschlägt. Also bleibt er, wo er ist.
Die Hauptfigur in Iwan Gontscharows Roman Oblomow wurde zu einem Archetypus des Nicht-Handelns, er ist der Inbegriff der Verweigerung. Ein Mensch wie er trägt vielleicht mehr zum Weltfrieden bei als so mancher, der die Dinge in die Hand nimmt. „Das ganze Unglück des Menschen rührt aus einem einzigen Umstand, nämlich, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können“, postulierte Blaise Pascal bereits im 17. Jahrhundert. Viel zu oft zitiert, aber zu Oblomows Leben kommt man um diesen Satz nicht herum.
Heute würde man Oblomow mit Sicherheit eine handfeste Depression diagnostizieren und entsprechende Medikation verabreichen, damit er wieder funktioniert, wie es der gesellschaftlichen Konvention entspricht. 1857, als Gontscharow den Roman zu schreiben begann, war das noch anders. Oblomow nimmt hin, was kommt. Sein kleiner Radius ist ihm genug, er ist frei von Begierde und in Zeiten der wiederholten Lockdown-Verordnungen gälte er als Meister seiner Zunft. Ein voreiliges Urteil über ihn ist leicht zur Hand, aber es greift zu kurz – Oblomow ist kein Langweiler, er führt ein bewegtes Leben. Er mag das Zimmer kaum verlassen, aber seine Vorstellungskraft ist so ausgeprägt, als würde er jede der eingebildeten Unterhaltungen und Begegnungen intensiv erleben. Er ist am Ende des Tages so müde wie jeder andere Mensch auch, vielleicht sogar noch mehr. Seine Sensibilität lässt ihn zum scharfsinnigen Beobachter werden, sie macht ihn aber auch besonders verletzlich. Oblomows augenscheinliche Schwäche, sein mangelnder Antrieb und seine Traumverlorenheit beinhalten eine Qualität, die nicht unbedingt ihm selbst zugutekommen muss. Aber um nur das Mindeste zu nennen – sie betont die ungeliebte menschliche Erfahrung der Ambivalenz. Oblomow hat großen Respekt vor der Tatkraft und ihrer Folgen, seine Skepsis zwingt ihn zum übertriebenen Aufschub. Der Roman nimmt aus moralischen Gründen kein glückliches Ende, weil für den Protagonisten nur ein bescheidenes Leben herauskommt, aber auch der tatkräftige Antagonist wird nicht glücklich. Seine Schwäche verweist auf ein wertvolles Gut, und ein gewisses Zögern, eine eingestandene Unsicherheit oder auch nur die Frage nach langfristigen Folgen könnten auch heute durchaus heilsam sein.