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Der Brückenbauer
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„Ich habe die Vision, Brücken zu bauen“
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Kemal Cansiz ist Projektkoordinator und gemeinsam mit Jochen Specht Architekt eines Bauprojektes, das bereits im Vorfeld für jede Menge Diskussionsstoff sorgt. Die Rede ist vom KUM, einer Moschee samt Kulturzentrum in Lustenau. Die marie sprach mit dem 27-Jährigen über sein Aufwachsen in Vorarlberg, seine türkischen Wurzeln und warum er glaubt, dass das Projekt mithelfen kann, das Zusammenleben zwischen den Kulturen zu fördern.
Interview und Foto: Frank Andres, Renderings: ATIB Lustenau
Kemal Cansiz ist kein Kunterbunter. Zumindest trifft das bei der Auswahl seiner Kleidung zu. Hemd, T-Shirt, Hose, Schuhe. Alles schwarz. Wesentlich bunter wird es aber, wenn er beginnt, über sein Leben bzw. das seiner Familie zu erzählen. Sein Vater kam als Teenager aus der Türkei nach Vorarlberg. Arbeitete zunächst im Gastgewerbe und danach 35 Jahre lang als Abteilungsleiter beim Merkur-Markt. Kemal Cansiz, jüngster Spross der Familie, kam 1994 in Dornbirn zur Welt. Wuchs dort in der Südtiroler Siedlung auf. Besuchte die Volksschule Edlach, wechselte danach aufs Gymnasium Schoren und maturierte schließlich an der HTL Rankweil. Und anders als seine drei anderen Geschwister, zwei Schwestern und ein Bruder, schlug er eine akademische Laufbahn ein. Er studierte Architektur in Wien und München, ging für seine Diplomarbeit nach Tokio, 2018 schloss er sein Studium ab. Mittlerweile arbeitet er im Architekturbüro von Jochen Specht. Selbst im Jahr 2022 ist dieser Weg für einen Sohn türkischer Migranten noch immer ein ungewöhnlicher. Ich bin neugierig. Das Interview kann beginnen.
Herr Cansiz, sprachlich sind Sie ein echter Vorarlberger. Welche Sprache wurde eigentlich bei Ihnen zuhause gesprochen? Kemal Cansiz: In der Familie haben wir immer Türkisch gesprochen. Das war für uns wichtig. Im Laufe der Jahre hat sich nämlich schnell herausgestellt, dass ich ohne Beherrschung der türkischen Sprache niemals so gut Deutsch gelernt hätte. In meinem Freundeskreis und in der Schule habe ich nur Deutsch gesprochen. Ich hatte keine Klassenkameraden mit türkischer Herkunft.
Integration funktioniert oft nicht nur über Sprache, sondern auch über Sport. Wie war das bei Ihnen? Ähnlich. Meine Familie ist absolut fußballbegeistert. Ich selbst habe mit fünf Jahren bereits bei Bremenmahd angefangen Fußball zu spielen. Ich war zu diesem Zeitpunkt noch im Kindergarten. So weit ich mich erinnern kann, gab damals gar keine richtige Einteilung in Altersgruppen. Da haben 12-, 15- gemeinsam mit 20-Jährigen in einer Mannschaft gespielt. Nach dem Umzug spielte ich später zehn Jahre beim DSV im Nachwuchs. Inzwischen bin ich nur mehr Fußballfan. Mein Herz, wie das dem Rest meiner Familie, schlägt für Trabzonspor. Trabzon ist meine Heimatstadt in der Türkei.
Sie sind in Vorarlberg geboren. Welchen Pass haben Sie eigentlich: den österreichischen oder den türkischen? Ich bin noch immer türkischer Staatsbürger. Meine Schwestern haben einen österreichischen Pass. Mein Bruder, meine Eltern und ich haben einen Daueraufenthaltstitel für Österreich. Dadurch fühlen wir uns auch ohne österreichischen Pass nicht benachteiligt. Man kann natürlich sagen, dass ich Österreicher bin, genauso wie ich Türke bin. Dass ich vielleicht sogar Dornbirner bin, genauso wie ich Trabzoner bin. Aber die Verbundenheit zur Türkei, zu meiner Herkunft, kann ich nicht aufgeben.
Das verstehe ich nicht ganz. Wollen Sie etwa später einmal in die Türkei? Ich bin in Vorarlberg zur Welt gekommen, habe hier meine Ausbildung gemacht, habe hier meinen Freundeskreis, meine Erinnerungen. Die Vision, mich komplett von Österreich zu entkoppeln und in die Türkei zu ziehen, habe ich nicht. Ich habe die Vision, Brücken zu bauen. Ich sehe es als großes Potenzial, dass ich die Verbindung in die Türkei habe, zu einer Kultur, die hier in Vorarlberg sehr präsent ist. Ich kann von beiden Seiten profitieren und zu beiden Seiten Wichtiges, Wertvolles beitragen. In gewisser Form ist die türkische Staatsbürgerschaft eine Art Gewohnheit. Sie abzugeben, dafür sehe ich persönlich aber keinen Grund. Ich fühle mich auch so mit Österreich verbunden. Der Pass ist für mich nicht entscheidend für die Loyalität zu einem Land.
Themawechsel: Sie sind erst 27 Jahre alt und ihr erstes Projekt, das sie als Architekt umsetzen wollen, ist eine Kulturzentrum samt Moschee. Klingt spannend, aber es gibt Einfacheres. Welche Motivation steckt dahinter? Hinter dem Projekt gibt es eine lange Geschichte. Als die ersten Gastarbeiter nach Vorarlberg kamen, wollten sie hier arbeiten und später wieder in die Türkei >>
Moschee und Kulturzentrum
Der türkisch-islamische Verein ATIB plant direkt an der Reichshofstraße einen Neubau, der die bestehende Situation mit Räumlichkeiten in einer umgebauten Vorhangfabrik ersetzt. Auf vier Ebenen sollen ein Gebetsraum, Aufenthalts- und Lernräume, ein Mehrzweckraum, Jugendräume sowie diverse Geschäfte entstehen – hinzu kommt ein Restaurant im Erdgeschoss. Das Projekt trägt den Namen „KUM“ für „Kulturzentrum und Moschee“. Die Abkürzung KUM soll, so der Verein, auch an das Wort „kumm“ – wie „komm“ im Vorarlberger Dialekt erinnern. KUM soll „ein Ort der Gemeinschaft“ sein, „wo alle Menschen unabhängig vom Glauben und der Herkunft zu jeder Zeit eingeladen sind“, so die Botschaft. Für Diskussionen sorgt auch ein geplanter 20 Meter hoher Turm. Bei dem Gebäudeteil handle es sich nicht um ein Minarett, da kein Muezzin zum Gebetsruf hinaufsteige und er nicht die klassischen Merkmale eines Minaretts aufweise. Daher sprechen die Projektverantwortlichen von einem Turm – etwa wie ein „Kirchturm“. Damit soll auch der Glaube im öffentlichen Raum sichtbar werden. Im Übrigen sei der Turm mit seinen 20 Metern etwa halb so hoch wie die Flutlichtmasten des naheliegenden neuen Reichshofstadions. Als Vergleich haben die Türme der Kirche St. Peter und Paul 50 Meter, der Erlöserkirche 40 Meter, sowie der Feuerwehrturm und der Sprungturm des Parkbades ebenfalls 20 Meter.
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KUM soll ein Ort der Gemeinschaft sein, wo alle Menschen unabgängig vom Glauben und der Herkunft zu jeder Zeit eingeladen sind.


zurückkehren. Aber sie sind geblieben und sie brauchten Orte für ihre Religionsausübung. Das waren unter anderem Fabriken, die zu Vereinsheimen und Gebetsstätten umfunktioniert worden sind. Mit der Zeit stieg die Zahl der Mitglieder. ATIB Lustenau hat im Moment 550 Mitglieder. Die bestehenden Vereinsheime können diesen Bedarf nicht mehr abdecken. Und sie werden von Außenstehenden nicht als besonderer kultureller, offener Ort wahrgenommen. Es gibt nach wie vor Barrieren, obwohl Gebetshäuser für alle offenstehen.
Haben Sie eine Erklärung dafür? Da spielt die Architektur sicherlich eine große Rolle. Wenn ich an einem Gebäude vorbeilaufe, das nicht die Ausstrahlung eines offenen, kulturellen Ortes hat, dann werde ich eher nicht hineingehen und mich umsehen. Ich habe vielleicht Bedenken willkommen zu sein. Aber, wenn ein Bauwerk etwas Besonderes ausstrahlt, vielleicht auch durch eine spezielle Architektursprache, dann erweckt das Aufmerksamkeit, ähnlich wie bei einem Museum. Und wenn man einmal im Innern eines Gebäudes ist, eröffnet sich eine einzigartige Atmosphäre, die in Erinnerung bleibt.
Fungiert die Architektur als Türöffner? Durchaus. Uns war vor allem wichtig, dass wir durch dieses Projekt das Zusammenleben stärken und den Kontakt zwischen den Kulturen bzw. Menschen fördern. Ich habe mir als muslimischer Architekt gedacht: Hej, ich gehe jeden Sommer in die Türkei, sehe dort geniale Moscheen und andere faszinierende Bauten und dann komme ich zurück, gehe in die Dornbirner Moschee und spüre: Irgendetwas stimmt hier nicht, etwas fehlt. Das Sinnliche, das Atmosphärische. Im Entwurfsprozess war die große Herausforderung herauszufinden, wie eine Lustenauer Moschee aussehen soll.
Sind Sie ein gläubiger Mensch? Ja, ich bin ein religiöser Mensch, bin so aufgewachsen. Ich war schon als Kind an Wochenenden in Moscheen. Mein Glaube prägt meinen Lebensstil wesentlich. Die Glaubensinhalte sind in meinem Verstand und in meinem Herzen verwurzelt. Sie prägen meine Ethik, mein Verhalten. Ich bin überzeugt, dass die religiösen Werte für eine Gesellschaft von großer Bedeutung sind. Der Islam ist eine Religion des Friedens, des Zusammenlebens, der Toleranz, Akzeptanz und der gegenseitigen Wertschätzung ist. Und so lebe ich. Dass die Religion für extremistische Zwecke missbraucht wird, gibt es leider in allen Religionen. Durch falsche Interpretationen neigen manche Menschen dazu anders zu denken. Dafür darf man aber nicht den Glauben verantwortlich machen. Moscheen in Europa sind deshalb wichtig, weil man hier nicht über Menschen, sondern mit den Menschen spricht, Fragen stellt. So können wir Vorurteile abbauen.
Das Kulturzentrum samt Moschee braucht jetzt aber eine Sonderwidmung. Verzögert sich der Zeitplan des Projekt dadurch? Wir haben das Projekt im August eingereicht, das Bauvorhaben läuft seit vier Monaten. Wir hoffen nach wie vor, dass wir bald eine Baugenehmigung bekommen. Wir sind überzeugt, dass es ein gutes Projekt ist und die rechtlichen und gestalterischen Voraussetzungen erfüllt. Ich bin gleichzeitig auch Projektkoordinator. Wir haben im Vorfeld alles offen und ehrlich besprochen, gemeinsam nach Lösungen gesucht. Dass bei einem solchen Projekt nicht immer alles so reibungslos funktioniert, liegt in der Natur der Sache. Aber es gibt für mich derzeit keinen Grund, warum sich das Projekt verzögern sollte. Ich bleibe optimistisch. ICH BIN ÜBERZEUGT, DASS DER ISLAM EINE RELIGION DES FRIEDENS, DES ZUSAMMENLEBENS, DER TOLERANZ, AKZEPTANZ UND DER GEGENSEITIGEN WERTSCHÄTZUNG IST. UND SO LEBE ICH.
Mit Zuversicht Neues wagen
Im Götzner Jugend- und Bildungshaus ist viel los in diesen Tagen. Denn während sich das Seminar- und Kursgeschehen pandemiebedingt wieder einmal etwas schaumgebremst präsentiert, rauchen hinter den Kulissen die Köpfe der Verantwortlichen und des Teams. Schließlich startet im September ein großangelegtes Sanierungsprojekt, das das christliche Traditions-Bildungshaus bis zum Frühjahr 2023 in die sprichwörtliche Bildungs-Zukunft katapultieren soll. „Arbogast ist ein traditionsreiches Haus. An dieser Tradition bauen wir weiter, inhaltlich wie infrastrukturell. Der Generationswechsel im Team sowie weitreichende Veränderungen in Gesellschaft und Kirche führen zu Neuerungen. Und Corona beschleunigt diesen Prozess“, erklärt Geschäftsführer Daniel Mutschlechner. Aber: „Arbogast ist und bleibt ganz bewusst ein analoger – ein ‚dritter‘ Ort. Im Rheintal, nah an den Ballungszentren, und trotzdem mitten in der Natur.“
Das Bildungs- und Veranstaltungsprogramm hat die Menschen und ihre persönliche Entwicklung und Stärkung im Blick. Und unsere Gesellschaft, die gemeinsam zu einer Solidargesellschaft weiterentwickelt werden soll. „Das ist die Voraussetzung dafür, den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte gewachsen zu sein. Wir verstehen uns hier als Antwort auf einen egozentierten Lebensstil“, spricht sich Mutschlechner für Haltungen wie Mut, Hoffnung und Zuversicht aus.
Mit Zuversicht gestaltet wurde auch das aktuelle Veranstaltungsprogramm, das Männer und Frauen, Familien, Senior*innen und Kinder und Jugendliche gleichermaßen dazu einlädt, Neues und Interessantes zu entdecken. Gastfreundschaft, Ästhetik und gute Küche inklusive.
Arbogast-Programmhighlights 2022
Di, 8. März, 19 Uhr: Paul M. Zulehner – Vortrag „Der synodale Prozess der Weltkirche“ So, 13. März, 16 Uhr: Sonntag-Nachmittag in Arbogast mit dem „Pforte Salon“ Do, 24. März, 19 Uhr: Mechthild Schroeter-Rupieper – Vortrag „Hilf mir, wenn ich traurig bin.“ So, 3. April, 19 Uhr - Do, 7. April, 12 Uhr: „Arbogaster Auszeit“ mit Nicole Stern Mi, 20. April und 29. Juni, 19 Uhr: Arbogaster Genussabende Do, 5. Mai, 19 Uhr: Arbogaster Wirtschaftsgespräch mit Volkswirtschaftsprofessor Matthias Sutter u.a. Mi, 1. Juni, 9.30 Uhr: Anton Pelinka zu Gast bei den „Arbogaster Fragen“