Garcon Magazin - Essen, Trinken, Lebensart Nr.58

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ausgabe nr. 58 | 2021 | 6 €

essen, tRinKen & leBensaRt

VOlK | tRattORia papaRaZZi | spReeWalDFleischeRei KORenG | shiitaKe BUchWeiZen | pORRiDGe | JennY VOn DÜsteRlhO | chRistOph haUseR UnteRWeGs in BRanDenBURG | FUhRManns FRÜchteKORB | KUlinaRische nachlese



• Mise en place

Yvonne Weinlich Herausgeberin

Liebe Freunde, immer mal wieder werde ich gefragt, welches Restaurant ich für das beste in Berlin hielte. Ich antworte meist ausweichend, weil ich mich schwer tue mit dem Superlativ und nenne dann mindestens ein halbes Dutzend Namen, die für mich die Berliner Spitzengastronomie repräsentieren. Immer dabei ist das Facil im Mandala Hotel am Potsdamer Platz. Es gehört sicher zu den schönsten gastronomischen Orten der Stadt, weil es trotz seiner intimen Ele­ ganz sympathisch unschnöselhaft daherkommt und so herrlich mediterran luzid wirkt. Das ist ein Grund. Ein zweiter ist natürlich das Essen. Was hier auf die Teller kommt, begeistert, weil es einfallsreich und originell ist, ohne brachiale Kreativität auskommt, nicht aber ohne zeitgemäße Regionalität. Und dafür, dass es auch mittags serviert wird, müsste es sowieso Szenenapplaus geben. Ein dritter Grund ist die Tatsache, dass im Facil eine verlässliche Konstante der Berliner Gastronomie außer Kraft gesetzt scheint: der stete Wechsel des Personals. Küchendirektor Michael Kempf steht seit 18 Jahren hier am Herd, sein Alter ego, Küchenchef Joachim Gerner, seit 15 Jahren. Und Restaurantleiter Manuel Finster, Sommelier Felix Voges sowie Chefpatissier Thomas Yoshida sind sogar seit der Eröffnung am 2. Juli 2001 dabei. Am 2. Juli 2021 also wurde eins der besten Restaurants Berlins zwanzig. Ich erhebe mein Glas und gratuliere. Chapeau, Facil! Michael Kempf, Restaurant Facil:

Spargel, Sauerampfer, Eigelb, Roquefort. (Übrigens: das Bild auf dieser Seite ist Reverenz an eins der intelligentesten Spargelgerichte, die mir jemals serviert wurden und zugleich ein Tipp für meinen Kollegen Jacques Ritzel, wo er in der Saison 2022 erfahren kann, wie Spargel wirklich schmeckt, um seinen Hass auf das Gemüse möglicherweise zu therapieren – siehe: Hass mit Hollandaise, Berliner Zeitung, 5. / 6. Juli 2021.)

Ihre Yvonne Weinlich weinlich@bildart-verlag. de

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Inhalt MISE EN PLACE TITEL Applaus für Annette

Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun

30

Spreewaldfleischerei Koreng: Jubiläum eines Traditionsberiebes.

06

Applaus für Annette: Die Kuchenkönigin der Markthalle Neun.

Buchweizen 47 Porträt einer vergessenen Kulturpflanze

LOKALTERMIN Berliner Teller

Anaïs Causse empfiehlt:

20

Corises mi-cuites

serviert im Restaurant VOLK

Trattoria Paparazzi

Porridge

26

Mehl selber mahlen?

30

Wolfgang Mock GmbH Otzberg

Was bietet der Spreewald kulinarisch? 40

Kostproben

Gespräch mit Melanie Kossatz,

und für gut befunden

GESCHMACKSSACHEN

KOPFSALAT

42

Shiitake aus Kyushu

4

62

Von Garçon-Autoren entdeckt

Spreewaldverein e. V. Lübben

Neues Buch: Magic Fermentation

61

Gespräch mit Paul Lebeau,

Jubiläum eines Traditionsbetriebes

NIHON MONO:

56

Von wegen igitt

Doris Burneleits vierter Streich

Spreewaldfleischerei Koreng

54

46

Jenny von Düsterlho

56

Porridge: Von wegen igitt.

Die Dame vom Grill auf dem Mierendorffplatz

65


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77

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65

Jenny von Düsterlho: Die Dame vom Mierendorff-Grill.

Wie geht’s eigentlich...?

68

Christoph Hauser

KULINARISCHE EXKURSION Unterwegs in Brandenburg

68

Wie geht’s eigentlich…? Christoph Hauser.

77

Gottsdorf: Die Obermühle Strodehne: Fischerei Schröder Schöna: Dahmequell Landprodukte

RUBRIKEN Fuhrmanns Früchtekorb

98

Die Passionsfrucht

Berliner Marktnischen

102

Polnische Backwaren von Natalia Stark

Kulinarische Nachlese

106

Garçon-Quiz 110 Impressum 110

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98

Fuhrmanns Früchtekorb: Die Passionsfrucht.

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• Titel Annette Zeller

www.bettinaduesberg.de

Bettina Düesberg, geboren in Tübingen, aufgewachsen in Brüssel, studierte in Nürtingen, München und Berlin Grafikdesign, Malerei und Bildhauerei. Seit 2005 ist die 59-Jährige in Kreuzberg zu Hause, Atelier und Galerie befinden sich am Lausitzer Platz. Da hängen großformatige Landschaften, farbige Wucht, viele Nuancen, keine romantisierenden Veduten. Und Menschen, immer wieder Menschen. Bekannte Köpfe – und Gesichter aus dem Kiez. „Besonders in Bettina Düesbergs Menschenbildern wird ihre Aus­ einandersetzung mit der Darstellbarkeit von Emotionen sichtbar...“, schreibt Julia Schmitz im Vorwort eines Ausstellungskatalogs. Das trifft es. Die Tour de force der Malerin ist auch eine des Betrachters, dessen Sinne einer ständigen Belastungsprobe ausgesetzt werden. Sie hat Angela Merkel gemalt, mütterlich und mit planender Intelligenz, die zerbrochene Amy Winehouse, und sie hat Menschen von nebenan porträtiert – Menschen, die im Gedächtnis bleiben. Die Frau mit der Pelzmütze, einen Mann mit Hund und Annette Zeller.

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Annette Zeller Titel

Applaus für Annette DIE KUCHENKÖNIGIN DER MARKTHALLE NEUN VON JÖRG TEUSCHER

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• Titel Annette Zeller

Annette Zeller und ihre Eltern Margarete und Arnold Zeller.

Geschichten, die das Leben schreibt – zum Beispiel die von Annette Zeller. Behütete Kindheit im beschaulichen Rechberg am Rande der Schwäbischen Alb. Die Eltern betreiben eine Landbäckerei und ein Café, der Name Zeller gilt was in der Gegend. Des Meisters Wasser­ wecken sind legendär, die Brezeln schmecken auch nachmittags noch frisch und wegen des Genetzten – das ist ein Brot, dessen Teig mit feuchten Händen aus dem Kessel direkt in den Ofen gehoben wird, ohne ihn zuvor zu formen – kommen Kunden sogar von weit her nach Rechberg. Bei seinen Kuchen und Torten hat Arnold Zeller den gleichen Qualitätsanspruch: In den Ofen kommt nichts Vorgefertigtes, Hand­ arbeit zählt – frisch aufgeschlagene Eier, frische Früchte vom Markt, beste Rohstoffe überhaupt. Der Erfolg gibt dem Meister auch da Recht. Dennoch rieten die Eltern ab, als sich Annette Zeller nach dem Abitur in Schwäbisch Gmünd entschied, Bäckerin zu werden: „Mein Bildungshunger war fürs Erste gestillt.“ Doch sie setzte ihren Kopf durch und ging beim Vater in die Lehre. Dem Gesellenbrief ließ sie mit Mitte zwanzig den Meisterbrief folgen, die Übernahme des elterlichen Betriebes schien nur eine Frage der Zeit.

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Annette Zeller Titel

Aber da war so ein Gefühl: „Nennen Sie es Fernweh oder Freiheits­ drang, ich wollte jedenfalls raus, wenigstens eine Zeit lang.“ Annette Zeller stieg ins Catering-Geschäft ein, kochte für die Darsteller von Mittelalterspielen Maultäschle und Kässpätzle und zog mit dem Tross nicht nur durchs Ländle: „Gelnhausen, Hamburg, Telgte, sogar bis nach Innsbruck und ins dänische Horsens sind wir gefahren.“ Auf der Festung Königstein kamen dann der Berliner Apotheker Michael Reuter und die Liebe ins Spiel. Annette Zeller, die sich nie vorstellen konnte, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen – „höchstens bis Heil­ bronn“ – folgte ihm in die Hauptstadt. Sie schrieb sich an der Humboldt-Uni ein, doch ein Jahr später, 2001, kam Sohn Luis zur Welt. Uni ade. Inzwischen 37-jährig, heuerte Annette Zeller bei Manufactum in der Hardenbergstraße an und backte dann und wann Hochzeits- und andere Torten für gute Bekannte. Sie waren

Hochzeitstorte für Toska und Stefan Hartmann.

es auch, die ihr rieten, sich selbstständig zu machen. Eine Anzeige gab schließlich den Ausschlag … (Übrigens: Ihre Eltern schlossen 2016 die Bäckerei in Rechberg. Annette Zeller hatte sich für Berlin entschieden, ihre Schwester Barbara für die IT-Branche.)

Annette Zeller und ihre beste Freundin als ­Marketenderinnen auf einem Mittelaltermarkt.

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• Titel Annette Zeller

Sie starteten 2011 die Renaissance der Markthalle Neun: Nikolaus Driessen, Florian Niedermeier und Bernd Maier, v. li.

Die Annonce, von der die Rede war, kam von Nikolaus Driessen, Florian Niedermeier und Bernd Maier. Das Trio hatte 2011 mit Unter­ stützung einer Anwohnerinitiative die 1891 erbaute Kreuzberger Markthalle Neun übernommen und so die Umwandlung des denkmal­ geschützten preußischen Klinkerbaus in ein Supermarktcenter verhindert. Ihr Konzept des „Anders-Einkaufens“ und „Anders-Essens“ klang nicht nur gut, sondern war es auch und ist es noch immer: regional, saisonal, fair, nachhaltig und was es sonst noch braucht, um Essensschätzer anzuziehen. Und genau dafür suchten die drei Hallen­ betreiber im Herbst 2011 geeignete Händler. „Die Wiederansiedlung des kleinteiligen Lebensmittelhandels und -handwerks hat die Wieder­ aneignung der Halle als lebendigen Ort im Quartier zum Ziel“, hieß es. Das überzeugte Annette Zeller.

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Annette Zeller Titel

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Der erste Garçon-Bericht über Annette Zeller und ihre Backwaren …

…erschien im Januar 2012 – Titel: Berlin backt.

Sie kündigte ihren Manufactum-Job, richtete im Keller ihres Hauses

Schoko-Feige-Ingwer und Zitronen-Wolke sowie ein bisschen Gebäck

eine Backstube ein und im Internet die Seite www.frauzeller.de und

hatte ich an diesem ersten Markttag dabei“, ­erinnert sich Annette

setzte auf die schon von ihrem Vater gespielten Karten: handwerk­

Zeller. Der Sturm auf das Kuchenbuffet bescherte ihr binnen weniger

liches Können, traditionelle Rezepte, beste Zutaten, geschmackliche

Stunden gähnende Leere in den Vitrinen – die meisten von denen, die

Stärke. Und auf eine Prise Originalität. Um Himmelswillen aber kein

damals kamen, sind heute Stammkunden.

Chichi, weder Goldstaub noch Glitzerperlen. Stattdessen Gaumen­ gemütlichkeit. Sie liebt dieses Wort. „Ich backe für meine Kunden wie für Freunde oder die Familie“, sagte sie uns, als wir sie am 1. Oktober 2011 in der Markthalle besuchten,

Die Kreuzberger Malerin Bettina Düesberg beispielsweise entdeckte an diesem Tag Annette Zellers Wolkentorte: „Meine Großmutter in Tübingen hat eine ähnliche Torte gebacken, sie erinnert mich deshalb an meine Kindheit und ist wie ein Schlüssel zur Heimat.“

um ein Interview zu führen. Dass es erstmal nicht wie geplant zu­

Für den Juristen David Richter, ebenfalls vor zehn Jahren schon

stande kam, lag vor allem daran, dass sich so viele Menschen um ihren

Annette Zellers Kunde, war es von Anfang an die zuverlässige hand­

winzigen Stand drängten und Kuchen kauften als gäbe es zum letzten

werkliche Qualität, die zählte: „Ihr Shortbread ist einfach geschmacklich

Mal welchen. „Vier Torten-Sorten – Apfel-Sauerrahm, Käse-Mohn,

besser als das schottische Original.“

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• Titel Annette Zeller

Am Anfang noch ein Geheimtipp, avancierte Annette Zeller rasch

wie: „Entweder bauen oder gehen, eine andere Alternative gibt es

zur „Kuchenkönigin der Markthalle Neun“, die Kunden kamen bald

nicht.“ Doch wie das so ist im Leben – erstens kommt es anders

sogar von weit her. Das sprach einerseits für die Güte ihrer Back­

und zweitens als man denkt. Und dann geht alles auch noch ganz­

waren, andererseits aber auch gegen die Fertigung in der heimischen

schnell.

Bohnsdorfer Backstube und die Fahrt ins 16 Kilometer entfernte

Im Februar 2021 verschickte Annette Zeller eine Jubel-Mail:

Kreuzberg. Früh morgens Kuchenkisten einladen, transportieren,

„Hurra, wir bauen!!! Die Tofu Tussis und La Cazuela sind Ende des

Kuchenkisten ausladen, Stand aufbauen, verkaufen und spät nach­

Jahres ausgezogen. Ich habe beide Hallen-Stände und die Küche

mittags wieder Kuchenkisten einladen, transportieren, Kuchenkisten

im Keller übernommen. Endlich kann’s losgehen!!!“

ausladen – die frei- und samstäglichen Markttage waren für Annette Zeller Stresstage.

Viele beglückwünschten sie zu der mutigen Entscheidung, aber auch die Bedenkenträger traten auf den Plan. „Vollgas mit 55? In dem

Schon früh träumte die praktisch veranlagte Bäckermeisterin

Alter sollte man lieber auf die Bremse treten!“ Annette Zeller konterte

deshalb von einer eigenen Markthallenbäckerei. „Der Wille war

charmant, aber bestimmt: „Jetzt erst recht und endlich richtig!“ Dabei

immer da, aber der Platz fehlte“, sagt sie. Ihr Frust darüber wuchs,

setzte sie auch auf ihre Intuition, obwohl Bauchgefühle in Zeiten der

und man hörte von der sonst so fröhlichen Frau schon mal Sätze

Rationalität nicht eben das beste Image haben.

Engagierte Helfer: Bauleiter Jens Nevermann, Annette Zellers Mann Michael Reuter und ihr Sohn Luis Zeller, v. li.

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Annette Zeller Titel

Elektromeister Reinhard Pantermüller.

Beleuchtungsmeister Jürgen Heitzer.

Installateur Federico Pomodoro. Bäckermeisterin Annette Zeller: „Hurra, der neue Ofen ist da!“

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• Titel Annette Zeller

Zudem baute sie auf eine Kraft, die in unserer pragmatischen

Manufactum-Zeiten und Karen Pollicardo, Bäckerin und mindestens

Kosten-Nutzen-Gesellschaft häufig nur noch verbal existiert.

im Status einer guten Bekannten.

Auf uneigennützige Unterstützung, und die bekam sie reichlich.

Alles, was diese Truppe aus dem Ofen holt – ob Apfel-Sauerrahm-

„Familien-und-Freunde-Aktion“, so nannte sie deshalb ihr Projekt,

oder Käse-Mohn-Torte, Blech- oder Rührkuchen, Johannis- oder

dessen „Kronjuwel“ zweifellos die Backstube in den Katakomben

Orangentaler, Florentiner oder Engadiner oder die legendäre Wolken­

der Markthalle ist. Klein, aber ausreichend, um all das unterzu­

torte – ist Ergebnis meisterlicher Handwerksarbeit, ganz ohne den

bringen, was für eine manufakturelle Backwarenproduktion nun

üblichen Deko-Kitsch, dafür aber mit unendlich viel ­Geschmack.

mal nötig ist. Die Frage, wie der professionelle Backofen seinen

A la bonne heure!

Weg zum richtigen Platz fand, quittiert sie mit einem vielsagendem

Mein Favorit übrigens ist Annette Zellers schon erwähnte Kreuz­

Lächeln. „Irgendwie.“

berger Eierschecke nach einem Uralt-Rezept von Tante Karin aus dem

Auch ihre backende Brigade ist ein „Familien-und-Freunde-Team“: Da ist ihre Schwiegermutter Marita Reuter (s. Seite 15, o. li.), ihr

sächsischen Freiberg. „Die Eierschecke ist eine Kuchensorte, die

Schwager Federico Pomodoro, einige Tage zuvor noch als Installateur zu Gange (s. Seite 15, o. re.), Gabi Bräunig, Freundin seit früheren

geblieben ist“, lobte einst Erich Kästner die Spezialität. Wie recht der

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zum Schaden der Menschheit auf dem Rest des Globus unbekannt Dichter hatte!


Annette Zeller Titel

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• Titel Annette Zeller

Backstubeneröffnung am 30. April 2021: Blumen für die Chefin…

Es ist Freitag, der 30. April 2021. Die abstandshaltende und

die „Halle für alle“ symbolisch beerdigt wurde. „Es geht nicht um Er­

maskentragende Menschenschlange vor Annette Zellers neuer

nährung, es geht nicht um Lebensmittel, es geht um Immobilien und

Markthallenbäckerei ist an diesem Tag länger als die am Kumpel-

Profit“, hieß es da.

und-Keule-Stand, und das will was heißen. Die Gratulationscour der

Auch die sonst eher zurückhaltende Kuchenfrau fühlte sich

Frau-Zeller-Fangemeinde. Einige haben Blumensträuße dabei, andere

angesprochen. „Ich verwende Demeter-Eier und Bio-Dinkelmehl“,

Sektflaschen. Wer es bisher nur ahnte, jetzt weiß er es: Annette Zeller

schrieb Annette Zeller in einem offenen Brief, „und Mitte des Jahres

ist in den zehn Jahren ihres Da-Seins zu einer Markthallen-Institution

will ich auch alle Molkereiprodukte auf bio umstellen. Deshalb die

gewachsen, zur festen und zuverlässigen Größe an einem in Berlin

Preise, die ich fair kalkuliere und die nichts mit Profitgier zu tun

einmaligen Einkaufs-, Begegnungs- und Erlebnisort, der weder etwas

haben, gar nichts.“

mit Gentrifizierung noch dessen Besuch etwas mit Geldbörsendicke

Meine Begleiterin an diesem Tag, eine Münchenerin, hatte von der

zu tun hat – aber das nur am Rande und nur deshalb, weil die Debatte

Geschichte gelesen und betrachtete deshalb die Frau-Zeller-Preis­

um den Auszug einer in der Halle beheimateten Aldi-Filiale schon

schilder aufmerksam. Ihr Kommentar: „Wer mit zwei Euro für ein

groteske Züge angenommen hatte. Und zwar so grotesk, dass einige

Stück Kreuzberger Eierschecke ein Problem hat, der sollte mal unsere

Aldi-Anhänger sogar eine Trauerkundgebung organisierten, auf der

Schrannenhalle besuchen und die Preise vergleichen.“

…und Freude bei ihren Mitstreitern Federico Pomodoro, Gabi Bräunig und Karen Pollicardo, v. li.

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Annette Zeller Titel

Glückwünsche auch für die Kuchenverkäuferinnen Jenny Meier, Bild o. li. und Lina Sastimdur, Bild u. li.

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• Titel Annette Zeller nden mann und Berater für Firmenku Lars Jäger ist diplomier ter Kauf zähl t rtise Expe e Sein tut. en Geldinsti bei eine m inter national tätig iten, sondern auch , enhe eleg Ang en etär mon in allerdings nicht nur rtige . Kein Wun der, denn der gebü wen n es um Lebe nsmittel geht in. Berl Food Slow tlich Jahren ehrenam Niedersachse leite t seit elf Lars Jäge r, „und sagt r“, Zelle Frau ich e kenn „Fas t genauso lange r – einen eher einem Kuchenverweigere sie hat aus mir – eigentlich : „Die ndel eswa Sinn Die Gründe für den Kuchenliebhaber gemacht.“ Herkunft der ente spar tran die n, ware Geschmackss tärke ihrer Back e und onal ität. Dazu redu ziert e Süß Zuta ten, die unbe ding te Sais Vorlieben? „Ihre obstigen e nder Beso hi.“ Chic ches Verzicht auf jegli älder Kirschkuchen.“ Blechkuchen und der Schwarzw

r Berl iner in und lebt mit ihre Mar ion Hiel sche r ist gebü rtige sich die IT-Trainerin ht mac stag Sam n Jede f. Familie in Kaulsdor ich e Neun. „Das Kuchenpaket, das auf den Weg in die Mark thall trage, hat schon eine beacht­ e Haus nach dann r Zelle von Frau hen und fügt hinzu: „Ihre Blechkuc liche Dimension“, bekennt sie en Teig n kere g-loc safti mit n eche und die raffinierten Torten best cher gehört zu den vielen Hiels on Mari “ gen. Belä en und exzellent sich isterin. „Mit den Jahren hat Stammkunden der Bäckerme sie, sagt lt“, icke entw s s Verhältni sogar ein freundsc haftliche immer häufiger ver­ Zeit n bige ellle schn rer „etwas, das in unse loren geht.“

( ja, jene dem wes tfälische n Gronau Als Michael Kasiske 1984 aus chten sogar besu en beid die mt; stam rg Stadt, aus der Udo Lindenbe ium nach elbe Musiklehrerin) zum Stud dieselbe Schule und hatten dies ereien guter Kuchen Bäck ten meis den in dass er, Berlin kam, bemerkte Zeller en entdeckte der Architekt Frau Mangelware war. Vor zehn Jahr h cklic hma gesc ers sond „Samt und und blieb ihren Back werken treu. l, durc hdac hte An­ örke Schn ohne rk dwe Han ausg ereif t, perfektes nehm e und lobt beso nder s „die ange gele genheiten eben“, sagt er nen. eatio en- und Tortenkr Dichte“ der Zellerschen Kuch

Zigler, beste welt weit “, erklärt Gerlinde „Frau Zellers Sachertorte ist die ieß­ schl en, wiss es s mus ektkauffrau „ohne Wenn und Aber “. Die Proj und Kuchen betrifft, da ee Kaff „Was erin. Wien lich ist sie gebürtige inde Zigler was vor.“ Inzwischen lebt Gerl macht uns so schnell keiner tour in aufs Eink ihre he einmal in der Woc in Kreuzberg und absolvier t Größe“, sagt sie feste eine i dabe ist r Zelle u der Mark thalle Neun. „Fra ich nicht ührkuchen und Topfentorte gehe „und ohne Amaretti, Orangenr e.“ wieder nach Haus

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Annette Zeller Titel

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• Lokaltermin Berliner Teller

Berliner Teller SERVIERT VON MARGAUX ARABIAN IM RESTAURANT VOLK

Zwölf Uhr mittags in der Brunnenstraße. Auf dem Gehweg zwei weiß gedeckte Gartentische. Sommerblumen, Weingläser, BernardaudPorzellan. Ein Bild, irgendwie unwirklich. Kein Wunder, es ist der erste Tag, an dem die Berliner Gastronomen nach einem Ewig-Lockdown wieder Plätze im Freien anbieten dürfen. Ein Glas Chablis oder gleich großes Kino? Ich entscheide mich für beides. Das große Kino heißt Plateau de fruits de mer: Fine de Claire und Belon-Austern, Garnelen, Kaisergranate, Bigorneaux-Schnecken, um einen Taschenkrebs drapiert. Autos hupen, die Tram gibt Laut, trotzdem fühle ich mich wie auf dem Quai Gambetta in Cancale. Jörg Teuscher

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Berliner Teller Lokaltermin

Typiquement français: Das VOLK in Berlin-Mitte.

In Berlin gibt es Pasta-Bars, Pho-Bars, Ramen-Bars, Sushi-Bars und

Wohlfühlfaktor. Ab September wird aus dem Mini-Bistro VOLK das

noch ein paar andere auf die Verarbeitung weniger Grundprodukte

Restaurant VOLK – aber dazu später mehr …

oder die Zubereitung bestenfalls einer Handvoll Gerichte spezialisierte

„Als wir vor zwei Jahren die Austria-Bar Minutillo übernahmen

Winzig-Lokalitäten. Bars eben, bar jeder Gemütlichkeit und bar jeden

und daraus die Oyster-Bar VOLK machten, haben wir nie und nimmer

Platzkomforts, schlicht und funktional. Man geht hinein, bestellt, isst,

geglaubt, dass sich das mal so entwickeln würde“, erzählt Oliver

trinkt einen Schluck und zieht – wenn die Angebote keine kulinarische

Chesler. Der 51-Jährige stammt aus New York, ist Musiker, Komponist,

Vollkatastrophe waren – zufrieden weiter.

Produzent und DJ. „Electronical Music“, beantwortet er die Frage nach

Ein bisschen anders war das in vorpandemischer Zeit in der Austern-

der Richtung seiner Musik.

Bar VOLK, einem seltenen Hort gelebter Berliner Frankophilie. Und

„I prefer classical music“, erwidere ich und zeige – um dem Ge­

deshalb auch – trotz der Enge im ebenerdigen Stübchen mit Küche –

spräch eine andere Richtung zu geben – auf eine Tafel, auf die Oliver

kein kulinarischer Kommen-Essen-Gehen-Ort, schnell, schnell, schnell

Chesler die Textzeilen eines Songs von Grover Washington aus den

und zurück an die Werkbank.

1980ern geschrieben hat: „I see the crystal raindrops fall and the

Nein, im VOLK hat man sich schon immer Zeit gelassen, Zeit für Genuss, vorausgesetzt, man konnte einen Stuhl am einzigen Tisch ergattern. Das soll sich nun ändern – natürlich nicht die Genussorientierung, sondern das Platzangebot und damit auch der

beauty of it all …“ Das ist musikalisch mehr meine Zeit. Der Amerikaner lächelt, er ist auch in der Musik der 1980er Jahre zu Hause. Eine junge Frau kommt – T-Shirt, Vorbinder, Touchon – augenschein­ lich die Küchenchefin. Ich kann das Thema wechseln …

Küchenchefin Margaux Arabian und ihr Partner Oliver Chesler.

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• Lokaltermin Berliner Teller

„Je m’appelle Margaux“, sagt sie und buchstabiert ihren Vor­ namen dem Reporter vorsichtshalber in den Block. Irgendwer hatte mal Margot geschrieben, und das fand sie dann doch nicht so prickelnd. Margaux also, Margaux Arabian. Die Standardfragen nach Kochlehre und Küchenstationen kommentiert die 34-Jährige erstmal mit einem Lächeln, dann holt sie ein gerahmtes Foto, darauf eine Frau mit Kochjacke und Kind. „Maman und ich“, sagt sie. Ihre Mutter, Ghislaine Arabian, eine der wenigen 2-Sterne-Köchinnen Frankreichs, war dann auch ihre kulinarische Lehrerin. „Und mein Vater, Jean-Paul Arabian.“ „Tel père, tel fils“, fügt sie lächelnd hinzu. Das Uralt-Sprichwort vom Apfel, der nicht weit vom Stamm fällt, kennen auch die Franzosen. Sicher hätte Margaux Arabian auch in Paris Karriere machen können, aber das Fernweh siegte. 2017 kam sie gemeinsam mit ihrem Partner Oliver Chesler nach Berlin, 2019 eröffneten die beiden das VOLK.

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Berliner Teller Lokaltermin

„Berlin ist einfach großartig, in jeder Hinsicht“, so Margaux Arabian und Oliver Chesler unisono. Die Küchenchefin servierte superfrisches Seafood und einige französische Kleinigkeiten, punktete mit intensiven Aromen und kreativen Arrangements – und die Social-Media-Community jubelte. „Super süßes französisches Restaurant“, „so viel Charakter und Charme“, „very good fresh French food“, „un petit coin de paradis“ … Ein besonderes Lob gab es immer wieder auch für die kleine, feine frankophile Weinofferte, für die neben Bras de Fer in Nantes das Berliner Viniculture-Team verantwortlich zeichnet. Ja, das VOLK hat metropolen Stil und eine sympathische Atmosphäre und – nomen est omen – volkstümliche Preise. Das soll natürlich auch in Zukunft so bleiben, alles andere wird sich allerdings ändern. Margaux Arabian und Oliver Chesler haben – vom Erfolg ermutigt – Großes vor, im wahrsten Wortsinn. Aus dem winzigen Bistro soll ein stattliches Restaurant werden.

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• Lokaltermin Berliner Teller

Stararchitekt und -designer Sam Chermayeff…

Passende Räume dafür haben sie im Nachbarhaus gefunden, und ein bestens geeigneter Architekt ist auch schon am Werk. Sam Chermayeff, New Yorker wie Oliver Chesler und ein guter Freund des Musikers, führt beim Umbau der Räumlichkeiten und bei der Ein­ richtung des neuen VOLK die Feder. Der Architekt und Designer ist eine Größe in seiner Branche. Chermayeff arbeitete immerhin für das Tokioter Architekturbüro SANAA, war Kurator der Venedig Biennale und lehrte am Dessauer Bauhaus Institut und der New Yorker Columbia Universität – 08 / 15 ist da nicht zu erwarten … RESTAURANT VOLK

Das neue VOLK soll im September 2021 eröffnen.

Brunnenstraße 182 10119 Berlin-Mitte Tel. 0173 – 686 38 83 www.volkmitte.de

…und sein Berliner Team.

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Advertorial

TRINKWASSER. GANZ KLAR FÜR BERLIN. Ganz klar für Berlin: Frisches Trinkwasser gibt es rund um die Uhr

Damit das alles weiter so gut funktioniert, ist uns die Reinigung von

direkt aus dem Hahn. Dafür sorgen die Berliner Wasserbetriebe mit

Schmutz- und Regenwasser genauso wichtig. Denn der Ablauf der

ihren Beschäftigten, ihrem Know-how und innovativen Ideen für die

Klärwerke füllt Spree und Havel und damit letztlich auch das Grund­

Zukunft – 24 Stunden täglich, 7 Tage die Woche.

wasser. Deshalb bauen wir die Kläranlagen derzeit noch weiter aus.

Berliner Trinkwasser ist ein Naturprodukt: Grundwasser plus ein

Motto: Gewässer gut = Trinkwasser bestens.

wenig Luft und Sand gegen das Eisen und fertig. Keine Chemie,

Und weil das gute Berliner Trinkwasser nicht nur von Warentestern

keine aufwändige Aufbereitung, viele Brunnen an vielen Orten,

und Gourmets, sondern auch von vielen anderen Berliner Bürgern hoch

umfassende Vorsorge, konsequente Kontrolle und immenser Auf­

gelobt wird, bringen wir es sichtbarer in die Stadt und zu den Leuten:

wand beim Abwasserrecycling sorgen für einen einwandfreien

Mit Trinkbrunnen auf Straßen und Plätzen und mit Wasserspendern

Wasserkreislauf.

in Schulen, Unternehmen und Behörden. Hundert neue Trinkbrunnen

24 Prozent der Berliner Fläche sind Wasserschutzgebiete. Grüne

haben wir in den letzten zwei Jahren zu den bestehenden 50 ge­

Orte, entspannte Plätze. Dort beginnt die Qualitätsvorsorge bis tief

stellt, und an 450 Wasserspendern für alle Grundschulen arbeiten

in den Boden. Schon vor den Brunnen der Wasserwerke haben wir

wir gerade.

das Grundwasser im Blick. Und behalten es fest im Auge, bis es aus

Und wenn Sie ganz genau wissen wollen, was in unserem Berliner

Hähnen und Duschen sprudelt. Kontinuierliche Analysen und Mess­

Trinkwasser steckt, dann erfahren Sie hier mehr:

fühler sichern die Qualität bis zum Hausanschluss.

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ürfel. Ge Schneiden Sie die Hälfte einer Ananas in kleine W sa m m e n ben Sie nun eine kleine Menge frischen Ingwer zu e. Bevor mit der Ananas in eine mit Wasser gefüllte Karaff ziehen. Sie genießen, lassen Sie alles etwas eine S tunde

ie einen P firsich in Scheiben und legen Sie ihn Schneiden S asser gefüllte Karaffe. Lassen Sie alles etwa in eine mit W ehen. Runden Sie das Wasser geschmacklich 10 Minuten zi Spritzern Zitrone und einigen Minzblättern ab. mit ein paar

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• Lokaltermin Trattoria Paparazzi

LA QUARTA VOLTA DORIS BURNELEITS VIERTER STREICH VON JÖRG TEUSCHER

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Trattoria Paparazzi Lokaltermin

Ende Mai 2019 trafen wir uns für die Wie-Geht’s-eigentlich? -Rubrik

Am 13. März 2020 eröffnete sie ihre neue Trattoria Paparazzi. Nicht

dieses Magazins mit Doris Burneleit, drei Monate nach der Schließung

in Mitte oder Prenzlauer Berg, wovon sie geträumt hatte, sondern in

ihrer Trattoria Paparazzi in Prenzlauer Berg. Am 17. Februar 2019

Friedrichshain. Lehmbruckstraße, Oberbaumcity. Früher eine Miets­

hatte sie dort zum letzten Mal ihre legendären Malfatti in Salbeibutter

hausgegend, grau und freudlos, heute ein aufstrebendes Areal, Heimat

serviert, dann blieb der Herd des Kultlokales kalt. „Und nun?“, fragten

junger Kreativer und gestandener Businessmenschen, die für ihren

wir die stadtbekannte Gastronomin damals, „Rückzug ins kanadische

Job keine Charlottenburger Nobeladresse brauchen. Die bekamen

Ferienhaus oder Neustart an anderer Stelle?“ Ihre Antwort kam prompt:

nun ihren „Italiener“ um die Ecke, auch wenn der erstmal nur Pizza

„Auf jeden Fall wird es weitergehen, schon wegen meiner Mitarbeiter

und Pasta to go offerieren durfte – drei Tage nach der Eröffnung

und meiner Tochter Nicole, die Mit-Geschäftsführerin unseres Unter­

musste Doris Burneleit ihren Feelgood-Laden wieder schließen. Am

nehmens ist.“

16. März 2020 war die „Senatsverordnung über Maßnahmen zur Ein­

Wir bleiben in Kontakt. Doris Burneleit informierte immer mal wieder über ihre Suche nach gastrogeeigneten Räumlichkeiten

dämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2“ in Kraft getreten.

und hauptstädtische Üblichkeiten: „200.000 Euro Ablöse und 30

Sie überstand die Lockdown-Tristesse, und als sie gut ein Jahr

bis 45 Euro Quadratmetermiete sind eher die Regel als die Aus­

später wieder Gäste empfangen und Essen auf Tellern servieren durfte,

nahme.“ Im November 2019 dann die Mail: „Endlich. Ein Ort ist in der

gehörten wir zu den ersten, die auf der Bürgersteig-Terrasse Platz

engeren Auswahl.“

nahmen, Malfatti bestellten und Nozze d’Oro tranken.

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• Lokaltermin Trattoria Paparazzi

Koch Marco Becker.

Köchin Anke Richter.

Sie hat Zeit, sich zu uns zu setzen, Tochter Nicole und ihre Küchen­

„Ja“, lächelt sie, „die Trattoria Numero due hier ist mein vierter Streich.“

profis Anke und Marco rocken den Laden locker. Erinnerungen an ein

Treu geblieben ist sie sowohl ihren Mitarbeitern als auch ihrem

Gastronomen-Leben, das ein gutes Buch füllen würde.

Konzept. Italo-Hausmannskost, handwerklich perfekt, da und dort

Doris Burneleit, die aus Lutherstadt Eisleben stammende Küchen-

auf modern gepolt und immer mit jenem Kick versehen, der beim Gast

und Servicemeisterin, die 1987 mit der Chuzpe eines Wilhelm Voigt als Hauptfrau von Köpenick dort das italienische (! ) Restaurant

Zufriedenheit erzeugt – oder mehr. Die Ostriche gratinate, gratinierte

Fioretto eröffnete. Doris Burneleit, die nach dem Mauerfall zum Lieb­

garnelen im Korianderknusper, lassen einem die Ohren schlackern

ling der Medien avancierte und zur bekanntesten DDR-Frau nach

und die Malfatti, Ricotta-Spinat-Nocken mit Salbeibutter, macht man

Katharina Witt. Die 1990 vom FEINSCHMECKER zur Aufsteigerin

auch in der Lombardei nicht besser.

Speckaustern, sind zum Niederknien; die Scampi crosta, Tiefsee­

des Jahres gewählt wurde und ein Jahr später vom Gault&Millau zur Restaurateurin des Jahres. Doris Burneleit, die 1992 den Sprung

TRATTORIA PAPARAZZI

aus dem verschlafenen Spindlersfeld / Ost ins quicklebendige Charlottenburg / West wagte, dort das Fioretto by Carmers eröffnete und scheiterte. Die Bösartigkeiten („Italo-Ossi“ ) wegsteckte, nicht aufgab, 1997 in Prenzlauer Berg ihre Trattoria Paparazzi aufzog und 22 Jahre erfolgreich betrieb.

Doris Burneleit: „Anke, Marco und ich sind schon seit 25 Jahren ein Team“.

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Lehmbruckstraße 9 10245 Berlin-Friedrichshain Tel. 030 – 29 04 44 64 www.trattoria-paparazzi.de


Trattoria Paparazzi Lokaltermin

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Stadtkirche St. Nikolai in Lübbenau / Spreewald.

Als sich Theodor Fontane in seiner Eigenschaft als „Wanderer durch die Mark Brandenburg“ am 6. August 1851 auf den Weg von Berlin in den Spreewald machte, war er noch auf die Nachtpost angewiesen – Züge der Preußischen Staatsbahnen verkehrten auf dieser Strecke erst ab 1866. Fontanes Reisekutsche benötigte für die rund 110 Kilometer damals acht Stunden – Pferdewechsel inklusive. „Mit Tagesanbruch haben wir Lübben …erreicht und fahren nunmehr am Rande des hier beginnenden Spreewaldes hin …Ein vom Frühlicht umglühter Kirchturm wird sichtbar und spielt eine Weile Verstecken mit uns; aber nun haben wir ihn wirklich und fahren durch einen hochgewölbten Torweg in Lübbenau, der Spreewald-Hauptstadt, ein.“ Zu dieser Zeit war die 3.000 Einwohner zählende Ackerbürgerstadt auch das wirtschaftliche Zentrum des Spreewaldes. „Die Spreewaldprodukte haben in Lübbenau ihren vorzüglichsten Stapel­ platz“, notierte Fontane, „und gehen erst von hier aus in die Welt.“ Er nannte Kürbis, Meerrettich, Sellerie und natürlich die schon damals berühmte Gurke und hielt fest, „dass seitens eines einzigen Händlers 800 Schock pro Woche verkauft wurden“ – also 48.000 Stück. Nach einem schmutzigen Intermezzo als Kraftwerksstadt der DDR-Zeit setzt Lübbenau heute auf den Tourismus – mit einigem Erfolg. Das einladende „Tor zum Spreewald“ ist seit 1998„Staatlich anerkannter Erholungsort“. Keine Frage, Lübbenau ist eine Reise wert.

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Fleischerei Koreng Lokaltermin

Familie Koreng

Grützwurst & Co. 140 JAHRE SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG VON JÖRG TEUSCHER

Wer zu spät kommt, den bestraft das

Stadtrundfahrt mit Geschäftssinn und Aus­

Leben, sagt man seit Gorbatschow 1989.

kunftsfreude entsprach. Spreewaldmuseum,

Nun wollen wir den politischen Kontext des

Spreewaldhafen, Spreewaldbahn, der gu­

Satzes nicht bagatellisieren, aber was ist

te Mann kannte sich aus. Die Frage nach

mit dem, der zu früh dran ist? Er vergeudet

kulinarisch Bemerkenswertem allerdings

entweder kostbare Zeit oder aber – wie in

brachte ihn aus dem Takt.

unserem Fall – er lernt Menschen kennen,

„Alle Restaurants und Cafés sind ge­

deren Geschichte spannend genug für eine

schlossen, die Inzidenz liegt bei 160“, sagte

Garçon-Story ist.

er, überlegte und hatte plötzlich eine Idee:

Folgendes war geschehen: Eine Interview-

„Die älteste Fleischerei weit und breit,

Verabredung in Lübbenau, ein viel zu früher

interessiert Sie das?“ Und ob. So kam es,

Zug – zwischen Ankunft in der Spreewald­

dass wir Mitte April 2021 Sylvia Koreng und

stadt und vereinbartem Gesprächster­min

ihre Familie kennenlernten. Die 40-Jährige ist

lagen noch gut zwei Stunden. Auf dem

Fleischermeisterin in fünfter Generation und

Bahnhofsvorplatz ein einsames Taxi, des-

Inhaberin eines Handwerksbetriebes, der seit

sen Fahrer dem Wunsch nach einer

140 Jahren in Familienbesitz ist.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

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Fleischerei Koreng Lokaltermin

Fleischermeisterin Sylvia Koreng.

Sylvia Koreng ist stolz auf so viel Tradition. Im Laden hängen die

Der, Friedrich Wilhelm Koreng, Fleischermeister und Ingenieur für

Meisterbriefe von fünf Koreng-Generationen, es gibt eine Familien­

Fleischverarbeitung, wurde 1977 Betriebsteilleiter im eigenen Haus

chronik, und einige Ponderabilien früherer Fleischerarbeit stehen

und arbeitete bis 1990 unter Aufsicht staatlicher Stellen. „Sogar die

sogar im Lübbenauer Museum.

Rezepturen wurden vorgegeben“, erinnert er sich, „wir bekamen zeit­

„Gründer des Betriebes war mein Ururgroßvater August Wilhelm

weise im Monat nur fünf Kilogramm Majoran, mehr gab’s nicht.“

Koreng, im gleichen Haus, Anfang Mai 1881“, erzählt Sylvia Koreng,

1990 reprivatisierte Friedrich Wilhelm Koreng die Traditions­

„ihm folgten 1910 mein Urgroßvater Karl Richard Koreng und 1945

fleischerei, der alte Schriftzug kam wieder über das Schaufenster.

mein Großvater Oskar Wilhelm Koreng. Weil der einem Dolmetscher

„Aber das war nur eine Äußerlichkeit“, so Altmeister Koreng, „die Un­

der Sowjetarmee bei dessen Flucht in die Berliner Westsektoren half,

sicherheit der Behörden, der Investitionsstau, alte Maschinen, fehlende

wurde er 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, in die Sowjet­

Computer“, das waren die wirklichen Probleme, die uns schlaflose

union deportiert, nach fünf Jahren Straflager aber wieder entlassen.“

Nächte bereiteten. Hätten wir keine Hilfe aus dem Westen bekommen,

Sylvia Koreng, Jahrgang 1981, kennt diese Geschichten nur aus

etwa von den Inhabern des Fleischreibedarf-Großhandels Josef

Erzählungen. „Auch was dann folgte, die Verstaatlichung des Betriebes

Schwan in Heilbronn, wir hätten es wahrscheinlich nicht geschafft.“

1952, die Zeit als HO-Fleischerei, die Probleme mit der DDR-Zuteilungs­

Nach einem Intermezzo ihres Bruders Andreas als Mit-Inhaber an

wirtschaft, weiß ich natürlich nur vom Hörensagen. Wenn Sie darüber

der Seite seines Vaters – Andreas Koreng zog 2011 dann nach Dres­

mehr erfahren wollen, müssen Sie meinen Vater fragen.“

den – übernahm Anfang Januar 2012 Sylvia Koreng die Fleischerei.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Fleischermeister Sven Wieder.

Glückliche Fügung: Sven Wieder, der Mann an Ihrer Seite, ist ebenfalls Fleischermeister. „Wir haben uns 2008 auf der Meisterschule in Cottbus kennengelernt“, so Sylvia Koreng, die zuvor im elterlichen Betrieb Fleischfachverkäuferin gelernt hatte, ein Jahr lang in Amerika unter­ wegs war und sich an der Hochschule Wildau an einem BWL-Studium versuchte. „Das war mir aber zu dröge“ sagt sie, „also bin ich zurück nach Lübbenau und konnte mit einer Ausnahmeregelung der Hand­ werkskammer die Meisterschule absolvieren.“ Der Rest: siehe oben. Sven Wieder, 44, ist Brandenburger (Sylvia Koreng: „Das hat ge­ passt.“ ) und stammt ebenfalls aus einer Fleischerdynastie ( „Das erst recht.“ ). Er lädt uns zum Wurstmachen ein, drei Uhr morgens, Lübbenau. Wir einigen uns schließlich auf vier Uhr und tatsächlich – als wir ankommen, ist der Zwei-Meter-Mann mit den wachen Augen schon ziemlich lange mit seinen wurstigen Spezialitäten beschäftigt. Die Nummer eins in den Spreewald-Charts ist zweifellos die Grütz­ wurst. „Es gibt sie sowohl frisch als auch kaltgeräuchert“, erklärt

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Fleischerei Koreng Lokaltermin

der Meister, „und das Format ist ebenfalls verschieden – dick, um Scheiben zum Braten abzuschneiden oder dünn zum Warmmachen oder Kaltessen.“ Schweineblut, Schweineschwarten, Gerstengrütze, reichlich Thüringer Majoran, ein Hauch Spreewälder Thymian (auf die Her­ kunft der Kräuter legt Wieder besonderen Wert) und eine hauseigene Würzmischung, in der Pfeffer und Piment die Hauptrollen spielen, das sind die Zutaten des regionalen Kultproduktes. Die Frische ist ihr wichtigstes Qualitätsmerkmal. „Seit August Wilhelm Koreng, dem Urur­ großvater meiner Frau, hat sich daran nichts geändert“, so Sven Wieder. Auch seine Leberwurst fertigt der Fleischermeister nach einem Traditionsrezept von 1881. Dazu kommen neue, eigene Kreationen – beispielsweise die Gurkenbockwurst mit gewürfelter Gewürzgurke oder die Meerrettichknacker mit zwölf Prozent frisch geriebenem Meer­ rettich, auch Lamm- und Rindsbratwürste sowie Coppa und Pastrami hat er schon gemacht. „Am Ball bleiben“, nennt der Meister das.

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

„Eine Wurst soll von Umglänztheit blitzen; die Haut muss das Fleisch

Doch solcher Ruhm hält eben nicht ewig. „Früher hatte Lübbenau

stramm umsitzen.“ Das Zitat stammt von Martin Walser und es passt

sage und schreibe mal sieben Fleischereien“, resümiert Sylvia Koreng,

perfekt zu den Korengschen Offerten in der Ladentheke.

­„inzwischen sind wir der letzte noch selbst produzierende Betrieb.

Dazu gibt es ein kleines, spreewaldtypisches Feinkostangebot,

Dafür gibt es sechs Supermärkte, mit deren industrieller Massen­

einen täglich frisch gekochten Mittagstisch und jede Menge Service:

ware wir preislich natürlich nicht mithalten können, obwohl wir schon

den Party- und Lieferservice, einen deutschlandweiten Wurstversand

knapp kalkulieren.“

und neuerdings sogar zwei Wurstautomaten auf Campingplätzen

Und so weiß die Inhaberin der Traditionsfleischerei heute auch

in Lübben und Lübbenau. „Sie müssen sich diese Dinger wie große

noch nicht, was sie ihren beiden Söhnen – Adrian ist sechs, Tristan

Kühlschränke mit vielen Fächern vorstellen, die wir mit vakuumierten

anderthalb – einmal raten wird, wenn es um deren Berufswahl geht...

Bock- oder Bratwürsten bestücken“, so Sylvia Koreng, „die sich aber nur lohnen, wenn auch die Touristen kommen.“ „Und im letzten Jahr

SPREEWALDFLEISCHEREI KORENG

war da eher Ebbe“, fügt Sven Wieder hinzu. Möglicherweise auch deshalb reagieren die beiden Fleischermeister ziemlich zurückhaltend, wenn es um die Zukunft ihres Betriebes geht, der 2014 im FEINSCHMECKER-Ranking „Die besten Metzger Deutsch­ lands“ immerhin Landessieger in Brandenburg wurde.

Ehm-Welk-Straße 3 03222 Lübbenau / Spreewald Tel. 03542 – 27 15 www.spreewaldfleischerei.de

Fachverkäuferinnen Janine Leuschner und Manuela Nowka, v. li.

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Fleischerei Koreng Lokaltermin

Jahre

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• Lokaltermin Fleischerei Koreng

Jubiläums-Gratulanten: Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel…

…und Innungsobermeister Frank Gerber aus Cottbus.

In präpandemischer Zeit galt „Normalität“ als verpönt, unsere distinktionssüchtige Gesellschaft forderte permanent die Abkehr vom Gewohnten. Doch dann kam Corona und aus der faden Spießer­ vokabel wurde ein ultimatives Sehnsuchtswort. „Das Virus macht normales Verhalten zu einem Risiko“, formulierte Kanzlerin Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache 2021. Die Menschen wünschten sich ein „gutes normales Jahr“, und die meistgestellte Frage dieser Zeit lautet: Wann wird endlich wieder alles normal? Auch Sylvia Koreng bedient sich in diesem Baukasten. „Normaler­ weise“, sinniert sie, „hätten wir ein Hoffest gefeiert, eine Jubiläumsparty mit Freunden, Kunden, Nachbarn und Kollegen.“ Doch was ist schon normal an diesem 3. Mai 2021? „140 Jahre Koreng. Ein Jubiläum, aber leider keine Feier“, schreibt die Fleischer­ meisterin an ihre Schaufensterscheibe, bevor sie den Laden öffnet. Zwei offizielle Gratulanten kommen dennoch. „Das ist doch normal“, erklärt Lübbenaus Bürgermeister Helmut Wenzel.

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ECHTE KLIMAFREUNDE

Fleischerei Koreng Lokaltermin

Es gibt sie, klimafreundliche Schnellkühler & Schockfroster, die mit dem natürlichen Kältemittel R290 jeden Tag Höchstleistungen vollbringen.

MultiFresh® Next mit 6 – 26 Einschüben

Gemäß F-Gas-Verordnung 517/2014 dürfen herkömmliche Kältemittel, wie R452A nicht mehr hergestellt werden. Wenn beim Gerät Kältemittel nachgefüllt werden muss, erfolgt dies mit teurem, recyceltem Material. Vorsicht Kostenfalle. Besser gleich in zukunftsfähige Technologie mit möglichst kleinem, ökologischem Fußabdruck investieren. Der neue MultiFresh® Next ist ein solches. Obendrein gibt es staatliche Förderprogramme, die den Geldbeutel entlasten. Hohe Beladungskapazität Wie aber lässt sich die Leistungsfähigkeit eines Gerätes messen? Entscheidend für die effiziente Abkühlung von garheißen Speisen ist die maximale Beladungskapazität, die der Schnellkühler pro Zyklus in der normgerechten Zeit von maximal 90 Minuten abkühlen kann. Je größer die maximale Beladungsmenge, desto leistungsstärer ist das Gerät. Andernfalls ist die anteilige Beladung pro Einschub sehr schnell überschritten und der Schnellkühler geht förmlich in die Knie. Bei der Konfiguration des Schnellkühlers sollten man also auf die maximale Beladungsmenge in kg achten und nicht nur auf die Anzahl der Einschübe. Rollierende Beschickung Ferner ist zu bedenken, dass die Abkühlzeiten der meisten Lebensmittel bis zu 5 x länger sind als die jeweilige Garzeit. Um einen Stau vor dem Schnellkühler zu vermeiden, bedarf es Geräte mit entsprechender Kapazität. Ein Musterbeispiel für hohe Effizienz ist der MultiFresh® Next LL, der 95 kg pro Zyklus auf 26 Einschüben GN 1/1-65 abkühlen kann. Fertige Garchargen können rollieren, d.h. bei bereits laufendem Kühlzyklus einfach nachgeschoben werden. Er wird nicht unterbrochen und die Speisen frieren nicht an, da die Innenraumtemperatur beim Schnellkühlen im niedrigen Plusbereich gehalten wird. Leistungskriterien, wie das rollierende Nachschieben oder die Beladungskapazität sind wichtig, weil sie die Produktivität in der Küche enorm steigern. Lassen Sie sich unverbindlich beraten. IRINOX ist spezialisiert auf Lösungen, die es ermöglichen produktiver und stressfreier zu arbeiten.

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• Garçon-Gespräch Spreewald kulinarisch

älder stark? ew re p S en d t . Was mach nöl und Quark ei L , en el d ee n K onntagsruh? S r zu m a kt Was schmec nze dazu. li Kaffee und P immer lieben? Was werd er nd große Grieben. u Grützwurscht ? Mut und Zorn m a t ib g s a W er Korn. Alter Cottbus u? Mann und Fra ei b p p o K en . Was klärt d aus Lübbenau en rk u G re u a S

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Spreewald kulinarisch Garçon-Gespräch

Melanie Kossatz ist waschechte Spreewälderin – geboren und aufgewachsen in Lübben. Nach dem Abitur verließ sie die Heimat und studierte an der Hochschule Braunschweig-Wolfenbüttel Tourismuswirtschaft, Abschluss als Diplom-Kauffrau. Es folgten Beratungstätigkeiten in Consulting- und Marketingfirmen in Dresden und Berlin sowie die Arbeit als Referentin beim Deutschen Industrieund Handelskammertag, ebenfalls in Berlin. 2016 folgte sie einem Ruf aus ihrer Heimatstadt und übernahm die Geschäftsführung des Spreewaldvereins e. V. mit Sitz in Lübben. Man sagte uns, in Ihrem Verein schlage das kulinarische Herz des

Sympathieträger als auch ein beträchtlicher Wirtschaftsfaktor für

Spreewaldes und nun gibt es hier nur ein paar normale Büros.

unsere Region. Und gewissermaßen auch eine Werbeikone. Das

Was haben Sie denn erwartet? Eine Großküche?

gilt übrigens genauso für den Spreewälder Meerrettich. Gestatten

Zumindest ein Kochstudio, einen Kochbuchverkauf, so was.

Sie mir in diesem Zusammenhang noch einen Gedanken. Indem

Da muss ich Sie enttäuschen.

wir uns um den Schutz und die Sicherung der Qualitätsstandards

Und womit können Sie mich erfreuen?

dieser Produkte kümmern, stärken wir die ländliche Wirtschaft

Vielleicht damit, dass ich Ihnen sage, dass wir dem Spreewald ein

und den Tourismus – sozusagen als unsere übergeordnete Aufgabe.

kulinarisches Gesicht geben.

Oder, um auf den Anfang unseres Gespräches zurückzukommen,

Und wie tun Sie das?

indem wir dem Spreewald ein kulinarisches Gesicht geben,

Das Arsenal unserer Mittel ist vielfältig. Zum Beispiel sind wir Inhaber

tragen wir dazu bei, den Prozess der ländlichen Entwicklung und

der regionalen Dachmarke Spreewald, das ist ein Gütesiegel, mit dem

damit der Lebensverhältnisse der Menschen in unserer Region

wir regionale Produkte und Dienstleistungen sowohl der Land- und

voranzubringen.

Ernährungswirtschaft, aber auch des Handwerks, des Handels und

Eigentlich ist das ein gutes Schlusswort, aber zwei direkte Essen-

der Tourismuswirtschaft zertifizieren.

und-Trinken-Fragen hätte ich dann doch noch.

Welche Bedingungen müssen Produkte oder Dienstleistungen er-

Bitte.

füllen, damit Sie ihnen dieses Gütesiegel zuerkennen können?

Erstens – welches kulinarische Potenzial hat denn die viel gerühmte

Sie müssen im so genannten Wirtschaftsraum Spreewald, der nicht

Spreewaldgurke – außer, dass sie knackig und ziemlich einzigartig

nur das UNESCO-Biospährengebiet umfasst, sondern ein ganzes

im Geschmack ist?

Stück darüber hinaus reicht, angebaut, verarbeitet, erzeugt oder – im

Wir haben gemeinsam mit 18 bekannten Spreewälder Küchen­

Falle von Dienstleistungen – angeboten werden. Sie müssen hohen

chefinnen und Küchenchefs eine umfangreiche Sammlung mit

Qualitätsstandards genügen und sie müssen natürlich typisch für

Gurkenrezepten veröffentlicht, die Ihre Frage sicher beantwortet.

unsere Region sein.

Weil ich die Rezepte jetzt nicht alle aufzählen kann, empfehle ich

Haben Sie ein kulinarisches Beispiel parat?

Ihnen diese Lektüre. Ich wette, Sie werden staunen. Soviel dazu –

Nicht nur eins, aber am bekanntesten ist sicher die Spreewälder Gurke,

und Ihre zweite Frage?

die inzwischen auf rund 600 Hektar kultiviert wird – das sind übrigens

Stellen Sie sich vor, Frau Kossatz, Sie wollen Freunden, denen

80 Hektar mehr als im Vorjahr – und deren Ernte am 24. Juni begonnen

die Spreewaldküche völlig fremd ist, ein regionaltypisches Menü

hat und bis in den September andauern wird.

servieren. Was käme auf die Teller?

Und diese Spreewald-Berühmtheit braucht noch ein Gütesiegel?

Wow, geben Sie mir eine Minute zum Überlegen … Also: Zuerst eine

Richtig. Sowohl das von der EU 1999 verliehene g. g. A. -Prädikat, also

Spreewälder Senfgurkensuppe. Als Hauptgang würde ich Ochsen­

die geschützte geografische Angabe, als auch unser Spreewald-Güte­

bäckchen mit Meerrettichsauce servieren und als Dessert Eierplinse,

siegel garantieren, dass es sich dort, wo Spreewälder Gurke drauf

angerichtet mit Zucker und Zimt. Ach ja, und dazu würde ich eine

steht, auch wirklich um Spreewälder Gurke handelt.

Spreewälder Gurkenbowle nach einem Rezept von Peter Franke ein­

Das ist wirklich so immens wichtig?

schenken. Zufrieden?

Keine Frage. Die Spreewälder Gurke ist sowohl Imageprodukt und

Voll und ganz und vielen Dank für das Gespräch.

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• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake

Die gebürtige Niedersächsin Dagmar Maas studierte Betriebswirtschaftslehre und startete ihre berufliche Karriere als Unternehmensberaterin. Während sie tagsüber internationale Teams coachte, drückte die genussfreudige Managerin abends selbst die Schulbank des Wine and Spirit Education Trusts (WSET). 2011 ging sie mit ihrer Familie nach Japan und begann, sich das weite Feld der japanischen Kulinarik zu erschließen. In Tokio besuchte sie die renommierte Kochschule von Elizabeth Andoh und war als Assistentin der weltweit bekannten Kochbuchautorin tätig. Zudem absolvierte sie eine Lehre zur Sake-Sommelière und wurde danach vom WSET als Sake-Ausbilderin zertifiziert. Nach der Rückkehr der Familie nach Berlin machte die Mutter Potsdamer Straße 91 10785 Berlin-Tiergarten Tel. 0172 – 204 05 50 www.nihon-mono.shop

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dreier Töchter ihre kulinarischen Kenntnisse zum Beruf. Dagmar Maas eröffnete in der Potsdamer Straße die japanische Genusswerkstatt Nihon Mono nebst kleinem Feinkosthandel. Für GarÇon schreibt sie regelmäßig über das kulinarische Japan.


NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen

S H I I T A K E

Kyushu (auf der Karte unten dunkler) ist die südlichste und – was ihre Größe betrifft – die Nummer drei unter den vier Hauptinseln Japans, vergleichbar etwa mit der Fläche Baden-Württembergs. Obwohl Kyushu nicht zum Programm der meisten Japan-Touristen gehört, hat die Insel viel zu bieten, sowohl kulturell und kulinarisch als auch was ihre Natur betrifft. Da sind einerseits die pulsierenden Großstädte Fukuoka, Kagoshima, Kumamoto, Miyazaki und Nagasaki – andererseits gibt es weite Strände, stille Wälder und ausgedehnte Vulkanlandschaften, die allein schon mehr als eine Reise wert sind. Natürlich kommen hier auch Feinschmecker auf ihre Kosten. Zu den bekanntesten Kyushu-Delikatessen zählen Basashi (Pferde-Sashimi), Jikumushi Pusin (im Onsen-Wasserbad gegarter Pudding) und Karashi Renkon (mit Senf gefüllte Lotuswurzel). Eine gewisse Berühmtheit erlangten Shochu – das inzwischen weltweit bekannte Destillat vorwiegend aus Süßkartoffeln – sowie die in den Wäldern von Kyushu kultivierten Shiitake.

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• Geschmackssachen NIHON MONO – Shiitake Sie zählen zum Besten, was es in dieser kulinarischen Kategorie gibt – Geschmack, Textur, Umami sind einsame Spitze, und das ist noch längst nicht alles. Nur noch selten wachsen Shiitake so wie bei Kazuhide Sugimoto, seinem Bruder und ihren Mitstreitern – mitten im Wald. In Japan sind es immerhin noch etwa neun Prozent, ihr Anteil am weltweiten Anbau, der im wesentlichen in China stattfindet, ist nur noch eine marginale Größe. Zu aufwändig die Pflege, zu langsam das natürliche Wachstum, zu gering die Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen. Knapp zwei Jahre braucht es, bis Shiitake-Pilze in ihrem natür­ lichen Lebensraum die volle Größe und das perfekte Aroma entwickeln. Im Gewächshaus dauert das Ganze lediglich um die 12 Wochen. Die Aromatik ist dann zwar weniger ausgeprägt, aber auch hier ist Zeit eben Geld und bei den Mengen, die der Markt braucht, sehr viel Geld. Dennoch: Die qualitativ besten Shiitake wachsen im Freien – in den Wäldern von Kyushu, der südlichsten der vier japanischen Hauptinseln (s. Karte S. 43) – mit großen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht und der vollen Bandbreite der Elemente, denen die Pilze dort ausgesetzt sind. Aber genau darauf bauen Sugimoto und seine Kollegen, die in Japan „Nabashi“ heißen und deren Sorgfalt im Umgang mit den sensiblen Shiitake sprichwörtlich ist. Traditionell werden die Pilze auf abgelagerten Holzstämmen der Pilzkönig Kazuhide Sugimoto.

Getrocknete Shiitake-Pilze sind in der Küche so etwas wie das Ass im Ärmel. Kein Zauberer am Herd, dessen Kunstfertigkeit nicht noch durch die letzte Prise Raffinesse aus dem Wald profitieren würde. Was sich so anhört, als wäre es ein Highend-Superfood von morgen, ist in Wahrheit nur ein behutsam in Empfang genommenes Geschenk der Natur. Beim Trocknen der unscheinbaren braunen Pilze multipliziert sich das ihnen innewohnende Guanosin, ein Umami-Bestandteil, der jedem Gericht eine extra Portion Geschmack verleiht. Guanosin kommt in allen getrockneten Pilzen vor, etwa in Steinpilzen oder Morcheln, jedoch keine andere Art ist damit so reich gesegnet wie Shiitake. Ein Rückblick, der gefühlt wie eine Ewigkeit wirkt. Dabei ist es gerade mal zwei Jahre her, dass Kazuhide Sugimoto mit seinem Shiitake-Hut auf dem Kopf und einem Elektroroller unter den Füßen durch Berlin brauste. In kürzester Zeit wurde er damals zum beliebten Fotomotiv und als Mr. Shiitake zum Publikumsmagnet der Berlin Food Week 2019. Als wir uns verabschiedeten, fügte er seinem „Sayōnara“ hinzu, dass er sicher sei, bald wiederzukommen. Sein gewinnendes Lächeln war Beweis genug, dass er meinte, was er sagte. Keine freundliche Floskel. Dann kam Corona und nicht nur Kazuhide Sugimotos Reise­ pläne liegen seitdem auf Eis. Immerhin – Mr. Shiitake ließ seine Pilze in Berlin.

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Kunugi-Eiche kultiviert. Penibel und mit dem Blick auf unbedingte


NIHON MONO – Shiitake Geschmackssachen

Nachhaltigkeit wird darauf geachtet, dass der Wald sich selbst er­ neuern kann. Keiner der Nabashis würde auf die Idee kommen, sich die Lebensgrundlage zu zerstören. Der Anbau ist körperlich herausfordernd. Weit gefehlt die An­ nahme, dass diese Baumstämme nach dem Aufbringen der Pilzsporen sich selbst überlassen bleiben. Sie werden regelmäßig inspiziert, von Hand gewendet und mit einem Hammer beklopft, um ein gleichmäßiges Wachstum zu fördern. Kein Dünger, keine Schädlingsbekämpfung. Der Lohn dafür sind Pilze mit herausragendem Geschmack, aber auch mit einer Textur, die in einer künstlichen Gewächshaus-Umgebung unerreichbar bleibt. Ein guter Shiitake-Bauer kennt seinen Wald und seine Pilze aus dem Effeff. Insbesondere kurz vor den Erntezeiten im Frühjahr und Herbst schaut er bis zu drei Mal am Tag zu seinem „Hodaba“ – so heißt der Ort im Wald, an dem er seine Baumstämme akkurat platziert hat. Der perfekte Zeitpunkt ist binnen weniger Stunden verstrichen und so kann es auch schon mal passieren, dass ein vierter, nächtlicher Weg in den Wald unternommen wird. Traditionelle Shiitake-Bauern wie die Brüder Sugimoto ernten ihre Pilze ausschließlich von Hand. In die Sammelkörbe kommt nur die Menge an Pilzen, die direkt getrocknet werden kann, da der Geschmack nach der Ernte schnell abnimmt. Zeit spielt dann auch in dem auf­ wändigen Trocknungsprozess, den Kazuhide Sugimoto entwickelt

Shiitake-Freiluftanbau in den Wäldern von Kyushi.

hat, eine wichtige Rolle. Ebenso Temperatur, Menge und Dauer der einwirkenden UV-Strahlen. Nur wenn alle Faktoren stimmen, wird aus den Pilzen ein Umami-Powerhaus mit außergewöhnlich hohem Vitamin-D-Gehalt. Besonders spannend ist das für die vegetarische und vegane Küche. Nicht umsonst sind Shiitake Eckpfeiler der japanische Tempelküche – Shojin Ryori genannt – die mit ihrer Hilfe pflanzliche Geschmackserlebnisse der Extraklasse kreiert. Ihre Verwendung beschränkt sich aber weder auf die japanische Küche noch auf vegetarische oder vegane Speisen. Ihr kulinarischer Karrierepfad zieht sich mittlerweile durch alle Länderküchen. Eine Prise Shiitake-Pulver oder ein Schuss Shiitake-Dashi geben sowohl einer Bolognese, BBQ-Sauce oder Aïoli als auch anderen Saucen, Suppen, Tapenaden und Terrinen den letzten Kick. Wichtig dabei ist jedoch, dass die Pilze unbehandelt sind. Weil man ihnen dies aber nicht ansehen kann, ist der Kauf Vertrauenssache. Wir bei Nihon Mono kennen nicht nur Kazuhide Sugimoto, sondern auch etliche andere Shiitake-Bauern persönlich, besuchen Sie, wann immer es geht, überzeugen uns vor Ort von der hohen Qualität ihrer Produkte und kaufen ausschließlich bei ihnen ein. Bei den Pilzen von „Mr. Shiitake“ kann man übrigens nicht nur das Wasser zum Einweichen bedenkenlos benutzen – man würde sogar auf viel Genuss verzichten, wenn man es nicht täte und das wäre schon fast frevelhaft.

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• Geschmackssachen Magic Fermentation

Marcel Kruse 35 Jahre stammt aus Mecklenburg Eventmanager, Fotograf, Raw-Chef, Paleo-Coach lebt in Berlin

Geru Pulsinger 44 Jahre stammt aus Kärnten Optiker, Koch, Ernährungs- und Körpertherapeut lebt in Graz

FERMENT IM TREND VON NINJA-KIMCHI BIS WASSER-KEFIR Die Fermentations-Freaks jubeln. Immer neue Titel über die Kunst des

dass mein Lieblingsrezept nicht die Gnade der Aufnahme fand (nach

kontrollierten Vergammelns füllen die Regale und feiern den jüngsten

Art der japanischen Umeboshi fermentierte unreife Aprikosen, für die ich bei jedem Grillabend Beifall bekomme).

Trend in den Hipsterküchen des 21. Jahrhunderts: Fermentation von Heiko Antoniewicz, Fermentieren von Kirsten und Christopher

Sein Inhalt ist eine Fundgrube für das Thema „Fermentieren“, mit

Shockey, Das Große Buch der Fermentation von Antonia Kögl, Die

viel Liebe zum Detail gestaltet und hervorragend rezeptiert. Überhaupt

Kunst des Fermentierens von Sandor Katz. Sogar der berühmte Noma-

die Rezepte: Alle Zubereitungen sind verständlich beschrieben, die

Gründer René Redzepi und sein Fermentations-Lab-Guru David Zilber

Einzel-Steps geben klare Umsetzungshilfen, die Zutatenangaben er­

sahen den Markt und bereicherten ihn mit dem Noma-Handbuch

scheinen exakt und die Gerichte sind mit überschaubarem Aufwand

Fermentation.

herzustellen. Kurz gefasst nennt man die Summe all dessen wohl

Und nun: Magic Fermentation von Marcel Kruse und Geru Pulsinger

hoher Gebrauchswert.

und natürlich die Frage – braucht die Welt das auch noch? Wir sagen

Hinzu kommen die Ninja-Tipps. Die beiden Fermentations-Kämpfer

ja, und um es gleich am Anfang zu schreiben, dieser 300-Seiten-Wälzer

Marcel Kruse und Geru Pulsinger geben mit diesen Tipps wichtige

macht von der ersten Seite an so viel Spaß, dass man sofort beginnen

Erfahrungen und Erkenntnisse aus ihrer eigenen Fermentationspraxis

möchte, eine Essigmutter zu züchten, Pink-Chi herzustellen oder

preis – beispielsweise, dass man bei der Herstellung von Oi-Sobagi (Kimchi-Gurke) anstelle der Fischsauce des Originalrezepts ge­

Torshi Seer anzusetzen … Das liegt wohl einerseits daran, dass Kruse und Pulsinger er­

trost Sojasauce benutzen kann oder, dass sich beim Ansetzen von

fahrene Fermentatoren sind und zudem weit gereist und dass sie

Wasserkefir mineralstoffarmes Wasser mit Hilfe von Backpulver oder

sich andererseits – im Gegensatz zu mancher Ratzfatz-Printe – Zeit

einiger zerkleinerter Eierschalen remineralisieren lässt. Und allein

für ihr Buch nahmen.

dafür gehört Magic Fermentation in jede Küche.

Hinzu kommt, dass die beiden Autoren mit dem Innsbrucker Löwen­

Jörg Teuscher

zahn Verlag einen Partner an der Seite hatten, der ex usu weiß, wie

Magic Fermentation

man kulinarische Themen be- und abhandelt. Nur am Rande: Ähnliches

Fermentation, bis die Gläser überschwappen

schrieb ich schon vor zwölf Jahren über das Esterházy-Kochbuch aus

Löwenzahn Verlag Innsbruck

dem gleichen Verlag – für mich noch heute eines der inspirierendsten

www.loewenzahn.at

österreichischen Kochbücher.

1. Auflage 2021

Ebenso kenntnisreich und sorgfältig zubereitet ist nun auch der Titel Magic Fermentation. Der Band lässt keine Wünsche offen – außer,

46

29,90 Euro ISBN 978-3-7066-2686-6


Buchweizen Geschmackssachen

Starkes PORTRÄT EINER FAST VERGESSENEN KULTURPFLANZE VON JÖRG TEUSCHER

47


• Geschmackssachen Buchweizen

Buchweizen, hierzulande sowohl auf Feldern als auch in Läden und

Eine feste Größe ist Buchweizen (Soba) auch in der japanischen Küche.

Lokalen eine herba incognita, gehört anderswo zu den kulinarischen

Rund eine Million Tonnen werden jährlich konsumiert, fast ausschließ­

Selbstverständlichkeiten.

lich in Form von Nudeln. Berühmt ist auch der Soba-Tscha, Tee aus

Zum Beispiel Frankreich. Kreuzritter brachten die Körner, die sie

gerösteten Buchweizenkörnern, mild und leicht nussig im Geschmack.

ihrer dunklen Farbe wegen Sarrasin nannten, einst mit ins Land. Vor

Übrigens: Die Japaner stellen aus getrockneten Buchweizenblättern

allem die bretonischen Bauern waren begeistert, weil sie selbst auf

ein staubfeines Pulver her, dass verwendet wird, um etwa Nudeln und

den kargen Böden im Innern der Bretagne gediehen und ihnen gute

Speiseeis grün zu färben.

Ernten bescherten. Aus dem Mehl wurden auf heißen Steinen – den

In Europa sind neben Frankreich auch Österreich, Slowenien

Jalets – Fladen gebacken, die, nach jenen Backsteinen benannt, bald

und die Schweiz besonders buchweizenaffin. Im Schweizer Kanton

weit über die Bretagne hinaus bekannt wurden.

Graubünden etwa gibt es Pizzocheri, einen traditionellen Eintopf

In Paris beispielsweise sind seit einigen Jahren die so genannten

aus Gemüse und Buchweizenspätzle; in Slowenien wird Potiza ge­

BILIG-Mobile unterwegs, flinke, elektrobetriebene Dreiräder, aus­

backen, ein Nusskuchen mit Buchweizen und in Österreich gehört der Jauntaler Hadn (Hadn = Buchweizen) sogar zu den besonders

gerüstet mit einer Crêpes-Platte und einem Kühlschrank, die an vielen Ecken Galettes anbieten – Buchweizenpfannkuchen mit Spiegelei, Schinken und Käse, mit Gemüse, manchmal sogar mit Fisch (s. Bilder

geförderten Produkten, die einer ganzen Gegend im Süden Kärntens

auf dieser Seite). Streetfood à la française.

gehört zu den besten Spezialitäten der Kärntner Küche.

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das Attribut „Genussregion“ bescherten. Die dort gebackene Hadntorte


Buchweizen Geschmackssachen

49


• Geschmackssachen Buchweizen Prof. Dr. Friedrich Longin, Jahrgang 1978, wurde in Backnang im Rems-Murr-Kreis geboren und studierte an der Universität Hohenheim Agrarbiologie mit den Schwerpunkten Pflanzenzüchtung und Biotechnologie. Dem Diplom schloss sich die Promotion in einem deutsch-chinesischen Graduiertenkolleg der Universität Hohenheim und der China Agricultural University in Peking mit einem Thema über optimierte Zuchtverfahren bei Mais an. 2009 folgte er dem Ruf der Limagrain Europe und arbeitete als Maiszüchter in Frankreich und Spanien. 2010 kehrte er nach BadenWürttemberg zurück, übernahm die Leitung der Arbeitsgruppe Weizen an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim und habilitierte sich 2016 mit einer Arbeit über Pflanzenzüchtung. 2019 wurde er zum außerplanmäßigen Professor berufen. Einer der Schwerpunkte seiner Arbeit liegt auf dem Erhalt weitgehend in Vergessenheit geratener Kulturpflanzen und der Förderung ihres Wiederanbaus – u. a. des Buchweizens. Ihre große Liebe gilt dem Buchweizen, Herr Professor Longin …

auch der botanische Name des Buchweizens – Fagopyrum – gebildet

Sorry, wenn ich Sie gleich unterbreche, aber Ihre Formulierung b­ eziehe

aus dem lateinischen Wort, fagus’ für Buche und dem griechischen,

ich doch zuerst auf meine Familie und meine Hobbies – ich liebe

pyrus’ für Weizen.

zum Beispiel ausgedehnte Wanderungen, Fahrradtouren und das

Nun beschäftigen Sie sich sicher nicht wegen seiner eigenwilligen

Trompeten- und Tubaspiel in meinem Musikverein.

Etymologie mit dem Buchweizen.

Und wie beschreiben Sie Ihr Verhältnis zum Buchweizen?

Nein, natürlich nicht. Buchweizen ist eine uralte Kulturpflanze, die

Nennen Sie es eine noch junge wissenschaftliche Beziehung.

ursprünglich aus den Steppen hochgelegener Gebirgsländer in

Was ist denn das Außergewöhnliche an dieser Getreideart?

Zentral- und Ostasien stammt und dort schon Jahrtausende v. Chr.

Erstmal, dass Buchweizen kein Getreide ist, sondern zur Familie der

angebaut wurde.

Knöterichgewächse zählt. Das heißt, er ist weder mit dem Weizen,

Bis zum zweiten Weltkrieg war der Buchweizen auch in Mittel- und

aber auch nicht mit der Buche verwandt, sondern beispielsweise mit

Norddeutschland verbreitet, mit der Intensivierung des Ackerbaus

dem Rhabarber und dem Sauerampfer.

jedoch verschwand er immer mehr und ist heute auf deutschen Feldern

Der einigermaßen irreführende Name leitet sich übrigens von der Form

eine absolute Rarität.

der Frucht des Buchweizens ab, die ungeschält wie eine Buchecker aus­

Und das wollen Sie ändern …

sieht und nach dem Schälen einem Weizenkorn ähnelt. Das beschreibt

Letztlich entscheidet der Landwirt welche Kulturen er anbaut, und er

Verarbeitungs- und Geschmackstest…

50

…mit 18 Buchweizensorten an der Universität Hohenheim.


Buchweizen Geschmackssachen

baut eigentlich nur das an, womit er Geld verdienen kann – also, was

trotz der geringen Erträge auch für den Landwirt eher lohnen.

er gut verkauft bekommt. Insofern entscheiden hier eher der Einzel­

Ein Problem ist auch die Verfügbarkeit von entsprechendem Saat­

handel bzw. wir als Verbraucher. Als Wissenschaftler versuche ich, die

gut, ein weiteres von Mühlen, die in der Lage sind, Buchweizen zu

Re-Etablierung zu unterstützen mit – meiner Meinung nach – guten

schälen, und weiterhin bedarf es attraktiver Verarbeitungsideen sowie

Argumenten für den Buchweizen.

deren Kommunikation, um dem Verbraucher den Buchweizen-Konsum

Zum Beispiel?

schmackhaft zu machen.

Buchweizen gilt als ernährungsphysiologisch äußerst wertvoll –

Deshalb plädieren wir zum Beispiel für ein heimisches Buchweizen­

sowohl was die Menge als auch die Zusammensetzung von Proteinen,

zuchtprogramm, in das wir uns entsprechend einbringen könnten,

Stärke, Fettsäuren, Vitaminen, Mineralstoffen sowie sekundären

wenn Fördermittel dafür zur Verfügung stehen würden.

Inhaltsstoffen angeht. Zudem ist er für die glutenfreie Ernährung

Was sollte denn die Aufgabe eines solchen Programms sein?

extrem wichtig.

Der Name sagt es. Es müsste gelingen, wenige heimische Buchweizen­

Und wie steht es um den Geschmack?

sorten zu züchten, damit interessierte Landwirte sich nicht damit

Signifikante sensorische Untersuchungen gibt es bisher nicht, aber das

herumschlagen müssen, Saatgut etwa aus Russland zu beschaffen.

hartnäckige Vorurteil, Buchweizen schmecke fad oder muffig, konnten

Außerdem müsste es gelingen, stabile Wertschöpfungsketten vom

die kulinarischen Experten, die wir zu Geschmackstests eingeladen

Züchter über den Landwirt, den Schälmüller bis zum Hersteller von Buch­

haben, nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil – sein Geschmack ist eher

weizenprodukten und dem Lebensmittelhandel zu schaffen und deren

aromatisch und fein nussig.

langfristige Zusammenarbeit zu etablieren. Dass so etwas funktionieren

Welche weiteren Argumente sprechen für den Buchweizen?

kann, haben wir in den letzten Jahren an der Universität Hohenheim etwa

Im Anbau zum Beispiel ist er relativ anspruchslos. Die Pflanze braucht

bei Einkorn, Emmer und Dinkel ja eindrücklich bewiesen.

kaum Dünger, wächst sogar noch auf sandigen Böden und stellt somit

Es bleibt also noch viel zu tun, um den Buchweizen aus seiner ver-

eine attraktive Sommerfrucht für den extensiven Anbau unter den

gessenen Nische wieder ans Licht zu holen.

Bedingungen des Klimawandels dar.

Keine Frage, aber ich bin mir sicher, dass sich jede Anstrengung dafür

Zudem ist der Buchweizen durch seine lange Blühzeit eine wichtige

lohnt. Eben auch, weil solche alternativen Kulturpflanzen einen großen

Nektarquelle für viele Insekten zu einer Zeit, in der auf den Wiesen,

Beitrag für eine vielfältige Landwirtschaft und einen intensiven Natur­

Feldern und in den Wäldern sonst nicht mehr viel blüht.

schutz leisten können.

Gibt es auch Nachteile?

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Longin.

Die Erträge sind mit rund 25 Dezitonnen pro Hektar im Vergleich etwa nur ein Drittel so hoch wie bei Sommergetreide. Deshalb arbeiten wir an einem alternativen Anbausystem, das vorsieht, den Buchweizen als Zweitkultur etwa nach Grünroggen oder einer frühreifenden Kartoffel erst Mitte Juni auszusäen. Wenn dann eine rechtzeitige Reife im Herbst vor der Wintersaat gesichert wäre, würde sich der Buchweizenanbau

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• Geschmackssachen Buchweizen

Inhaber Friedrich v. Gilsa und Mitarbeiterin Danielle Mancini.

Als Freda und Friedrich v. Gilsa Ende September 2014 Berlins erste

Auch das zuckerfreie Bio-Brot „Wilhelm“ mit einem 23-prozentigen An­

glutenfreie Bäckerei eröffneten, wussten sie über das Backen mit Buchweizen nicht viel. Klar war ihnen und ihrem Bäckermeister

teil an Buchweizenvollkornmehl ist ein echtes Charakterbrot, herzhaft und saftig (s. Bilder unten). „Unser Ciabatta und unsere Bagel werden

Guido Tauer damals nur, dass die Verarbeitung des Pseudogetreides

übrigens ebenfalls mit Buchweizenmehl gebacken“, ergänzt Friedrich

eine backtechnische Herausforderung darstellt. „Natürlich betraf

v. Gilsa die Aufzählung.

das nicht nur den Buchweizen, auch Hirse oder Teff waren für uns

Nicht besonders glücklich ist er darüber, dass er Buchweizenmehl

bäckerisches Neuland“, so der 37-jährige diplomierte Landwirt Fried­

aus dem Ausland kaufen muss, weil der Anbau der uralten Kulturpflanze

rich v. Gilsa.

hierzulande kaum der Rede wert ist. „Dabei ist Buchweizen für eine

Sie eroberten es und ihre Jute-Bäckerei gilt heute als angesagte

nachhaltige Landwirtschaft durchaus attraktiv.“

Berliner Adresse, wenn es um glutenfreie Backwaren geht, die geschmacklich höchste Ansprüche erfüllen. Dazu gehören auch eine

JUTE BÄCKEREI

ganze Reihe von Buchweizenprodukten. Das Bio-Buchweizenbrot „Max“ beispielsweise enthält 19 Prozent Buchweizenvollkornmehl und 19 Prozent Buchweizenkerne und über­ zeugt durch sein intensiv-nussiges Aroma, eine ausgebackene Krume und die dunkel glänzende Kruste.

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Schönhauser Allee 52a 10437 Berlin-Prenzlauer Berg Tel. 0172 – 938 09 42 www.jute-baeckerei.de


Buchweizen Geschmackssachen

199,-

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Es wäre angebracht gewesen, im Titel dieses Buches den Artikel fett

*unverbindliche Preisempfehlung

zu drucken: DAS BUCHWEIZENBUCH. Der Grund liegt auf der Hand. Es gibt – zumindest im deutschsprachigen Raum – kein zweites Werk, das derart umfassend über Fagopyrum esculentum und Fagopyrum tataricum, die beiden Arten des glutenfreien Pseudogetreides aus der Familie der Knöterichgewächse, informiert. Bemerkenswert ist außerdem, dass hinter dem 259-SeitenBand zwar renommierte Autoren stecken (etwa Prof. Dr. Ivan Kreft, Buchweizenforscher an der Universität Ljubljana und Mitglied der Slowenischen Akademie der Wissenschaften und Künste), als Herausgeber allerdings kein bekannter Verlag fungiert, sondern die wirtschaftliche Interessenvereinigung Islek ohne Grenzen mit Sitz im luxemburgischen Weiswampach.(Der Islek übrigens ist eine grenzüberschreitende Landschaft im Dreiländereck Belgien-Deutsch­ land-Luxemburg und eine der wenigen Regionen Europas, in der noch großflächig Buchweizen kultiviert wird sowie mehrere Buchweizen­ mühlen in Betrieb sind.)

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Die neue Steinmühle von Visionär und MühlenBaumeister Wolfgang Mock, mahlt Getreide, Hülsenfrüchte und Gewürze von grob bis superfein. Ein innovatives Gehäuse aus nachwachsenden Rohstoffen umfasst das Mahlwerk aus Korund-Keramik. Damit kann jeder gutes Brot backen – gleich ausprobieren!

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DAS BUCHWEIZENbuch ist Sach-, Lehr- und Kochbuch zugleich. Neben Kapiteln über Anbau und Verarbeitung von Buchweizen, enthält es auch 70 Rezepte aus immerhin 15 Ländern. Das Buchweizenbuch

ISBN 978-2-9599967-1-9

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• Geschmackssachen Anaïs Causse empfiehlt… Anaïs Causse, 42, ist gebürtige Berlinerin. Nach dem Abitur an der Goethe-Oberschule in Steglitz studierte sie Arabistik und Islamwissenschaften, merkte aber zunehmend, dass das nicht ihr Ding ist. Sie verabschiedete sich von der Freien Universität und einer möglichen akademischen Laufbahn, heuerte bei Feinkost-Lindner an und absolvierte eine Ausbildung zur Fachfrau für Systemgastronomie. 2003 stieg sie in das Feinkostgeschäft ihres Vaters ein. 2014 folgte ihre jüngere Schwester Noémie und übernahm den Onlineshop, aus „Maître Philippe“ wurde „Maître Philippe & Filles“ – ein Spezialitätenhandel, der beste Beziehungen vor allem nach Frankreich pflegt und kulinarisch wie atmosphärisch zu den ersten Adressen der Branche in Berlin zählt. Für Garçon schreibt Anaïs Causse regelmäßig über ihre exquisiten Spezereien und deren Produzenten. www.maitrephilippe.de

CERISES MI-CUITES, S‘IL VOUS PLAÎT VON ANAÏS CAUSSE Sommerzeit ist Kirschenzeit! Die Freude, die ich empfinde, wenn ich beim Obsthändler die ersten Kirschen aus der Region sehe, kann ich kaum in Worte fassen. Leider geht – zumindest für mich – diese Zeit viel zu schnell vorüber. Was also tun, wenn die Saison vorbei ist und man unbedingt einen Clafouti aux cerises backen möchte? Ich hätte da einen heißen Tipp: Les cerises mi-cuites, die halbgetrockneten Kirschen aus dem Hause Peyrey im Dordogne-Dörfchen Maurens, rund 15 Autominuten ober­ halb von Bergerac. Peyrey ist ein Familienbetrieb, der seit 1988 Trockenfrüchte herstellt – wobei der Begriff eigentlich irreführend ist. Das, was die Peyreys unter diesem Namen verkaufen, ist dermaßen saftig, dass es fast wie frisch schmeckt. Seien es nun die Tomaten, die Aprikosen, Rosinen, die berühmten Prunes d’Ente / Pruneaux d’Agen oder eben die herrlichen Kirschen, um die es heute gehen soll. Bei den Früchten, die von den Peyreys derzeit verarbeitet werden, handelt es sich um Kirschen der diesjährigen Ernte und zwar um die sogenannten Bigarreau-Kirschen, botanisch exakt prunus avium subsp. duracinum, die in Deutschland auch als Knorpel- oder Knupperkirschen

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Anaïs Causse empfiehlt… Geschmackssachen

Süße Früchte sind seine Welt: Der Unternehmer Marc Peyrey.

bekannt sind. Ihr Fruchtfleisch bleibt eher fest und die Süße der Früchte wird durch eine angenehme Säure ausgeglichen. Die im perfekten Reifestadium geernteten Kirschen werden in der Manufaktur nach einem von Seniorchef Marc Peyrey entwickelten,

Übrigens: Die Peyreys machten sich schon vor etlichen Jahren mit einem ihrer ersten Produkte, den Pétales de Tomates ( Tomaten„Blütenblätter“ ), in der französischen Spitzengastronomie einen Namen.

weltweit einzigartigen Verfahren verarbeitet. Es besteht darin, dem

Dafür werden französische Roma-Tomaten per Hand enthäutet,

Obst durch das Backen in speziellen Öfen genau so viel Feuchtigkeit

sorgfältig filetiert, schonend halbgetrocknet und danach mit Gewürzen

zu entziehen, dass es haltbar wird, ihm aber auch so viel Feuchtigkeit

und Kräutern in Öl eingelegt. Marc Peyreys Verfahren zur Herstellung

wie möglich zu lassen, dass die Früchte trotz der „Trocknung“ schön

von Pétales de Tomates wurde sogar patentiert.

saftig und frisch schmecken. Nach dem Backen werden die Früchte

Inzwischen ist der Firmenchef pensioniert und seine Frau Isabelle,

vakuumiert und pasteurisiert und bleiben natürlich frei von jeglichem

die Töchter Lise und Tess sowie zwei Mitarbeiterinnen führen die

Farbstoff-, Konservierungsmittel- oder Zuckerzusatz.

Manufaktur mit 100 Prozent Frauenpower!

Kirschblüte in der Dordogne in der Nähe des 1.000-Einwohner-Dörfchens Maurens.

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• Geschmackssachen Porridge

Traditional Foods of Scotland – mindestens drei Kapitel sind unter

Den Siegeszug des Breis konnte das jedoch nicht aufhalten. Bald

dieser Überschrift von besonderer Bedeutung: erstens die schottischen

aßen nicht nur schottische Bauern Porridge, sondern auch englische

Schnapsbrenner, deren Single Malt als Inbegriff für Whisky schlecht­

Adelige. Allerdings: Während die Schotten dazu neigen, ihn mit Salz

hin gilt; zweitens die schottischen Rinderzüchter und ihr Aberdeen

zuzubereiten, lieben ihn die Engländer eher süß.

Angus, dessen Fleischqualität weltweit mit Superlativen bedacht

Die Debatte, was besser sei, füllte schon Leserbriefseiten der

wird und drittens die schottischen Bäuerinnen, deren Erfindungsgabe

„Times“ und spielt natürlich auch eine Rolle, wenn sich jedes Jahr

es zu verdanken ist, dass aus schlichtem Hafer ein Gericht namens

im Oktober Porridge-Jünger aus der halben Welt zur World Porridge

Porridge entstand.

Making Championship treffen. Die Weltmeisterschaften im Haferbrei­

Dabei handelt es sich um eine graue, gummiartige, weitgehend

kochen finden seit 1984 in Carrbridge statt. Ein ganzes Wochenende

geschmacklose Masse, die in den schottischen Highlands – ihrem

lang herrscht dann in dem 700-Seelen-Ort nahe Inverness Ausnahme­

Ursprungsort – zudem noch „Brochan“ heißt. Das ist Gälisch und –

zustand – immerhin geht es um den Golden Spurtle, den goldenen Rührstab – für den Gewinner eine Art Ritterschlag (s. Bilder oben).

sorry – rein lautmalerisch ziemlich nah dran an „Erbrochenem“.

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Porridge Geschmackssachen

Von wegen igitt PORRIDGE EROBERT DEN FRÜCHSTÜCKSTISCH VON JÖRG TEUSCHER Was zu Schottland gehört wie Rugby und Whisky, taugte hierzulande

und sorgfältigeren Zubereitung. Dabei setzen die Porridge-Freaks vor

bestenfalls als kulinarischer Kinderschreck und galt als tödlich für die schlanke Linie. Schon die Übersetzung sagt alles: Haferschleim. Was

allem auf Pinhead Oatmeal, die relativ grob geschrotete Hafergrütze (die allerdings schwer zu kriegen ist, es sei denn, man stellt sie mit

so heißt, kann höchstens etwas mit Vernunft, nie und nimmer aber

einer Haushaltsmühle selbst her – s. Seite 61) und kombinieren den

etwas mit Genuss zu tun haben. Eine Meinung, die sich in Mitteleuropa

daraus gekochten Brei mit allem, was möglich ist, vorzugsweise mit

jahrzehntelang hartnäckig hielt.

Obst. Es gibt Rezepte mit Birne, Rosmarin, Honig und Haselnüssen;

Inzwischen erlebt das Gericht eine Renaissance nach der anderen, steht regelmäßig auf vielen deutschen Frühstückstischen und wird

mit Cranberries, Sahne und Ahornsirup; mit Erdbeeren und grünem Pfeffer; sogar mit Mascarpone und Waldpilzen.

sogar in den Nobelherbergen des Landes serviert. Das mag einer­

Wem das alles zu bunt ist, dem sei der Klassiker empfohlen: in einem

seits an der Erkenntnis liegen, dass Hafermehl sehr gesund ist,

gusseisernen Topf unter ständigem Rühren sorgfältig geköchelter

kalorienarm, leicht verdaulich, voller Mineralstoffe, Proteine und

Haferbrei, der noch bissfest ist und, nur leicht gesalzen, seine „natural

Eisen – andererseits aber wohl auch an der heutzutage liebevolleren

nuttiness“, die natürliche Nussigkeit, voll entfaltet.

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• Geschmackssachen Porridge

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Porridge hat in Berlin einen Namen: Haferkater. Er steht für eine Alles-

Dafür wird Bio-Hafer mit einer hauseigenen Getreidequetsche geflockt,

richtig-gemacht-Gründung, der 2014 – dem Jahr des Starts – allerdings

leicht angeröstet, lediglich mit etwas Salz cremig gekocht und kann

nur ein paar Freaks Chancen einräumten.

dann mit diversen Toppings verfeinert werden. Fertig ist das gesunde

Anna Schubert, 30, aus Baden-Württemberg; der Elsässer Leandro

Frühstück oder der nahrhafte Snack zwischendurch.

Burguete, 31 und Levin Siert, 33, aus Bremen gehören zu einer

Die Geschäftsidee erwies sich als Volltreffer. Blogger und Insta­

Generation, die, wenn es um gemeinsame Projekte geht, nicht lange

gramer überschlugen sich, die traditionellen Medien verfassten

fackelt. Das Trio lernte sich in Berlin kennen, vermisste sein geliebtes

Lobeshymnen, etliche Preise folgten: September 2015 – Gewinn des

Porridge-Frühstück, und beschloss, etwas dagegen zu tun. „Business-

mit 10.000 Euro dotierten Gastro-Gründerpreises; Mai 2016 – Ehrung

Plan und Business-Zahlen spielten erstmal keine Rolle“, so Anna

mit dem DB Accelerators, Preisgeld 25.000 Euro. Das Friedrichshainer

Schubert, die Romanistik und Germanistische Linguistik studiert und

Mini-Bistro musste abgerissen werden, an seine Stelle traten zwei

einen Master in Journalistik erworben hatte, „das unternehmerische

Haferkater-Edelcafés in der Eberswalder Straße und im Bahnhof Fried­

Denken kam erst später.“ Die junge Frau und ihre beiden Geschäftspartner – Leandro

richstraße. Das Porridge-Angebot wurde durch weitere vegetarische Offerten ergänzt, der Kaffee (Rösterei Van Gülpen) ist einsame Spitze

Burguete hat ein Diplom als Jurist, Levin Siert ist Musik- und Medien­

und – last but not least – gilt das Nachhaltigkeits-Gebot sowohl bei

wissenschaftler – übernahmen im Friedrichshainer Boxi-Kiez eine

der Einrichtung als auch bei den Verpackungen. Das alles findet sich

heruntergekommene Döner-Bude, hübschten den Laden auf und er­

übrigens auch an sieben weiteren Haferkater-Standorten zwischen

öffneten im September 2014 ein Porridge-Bistro. Motto: Das volle

Bremen, Bonn und München.

Korn im Glas.

www.haferkater.com

Bescheidene Anfänge: Das Haferkater-Büdchen in Berlin-Friedrichshain.

58


Porridge Geschmackssachen

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• Geschmackssachen Porridge

Also gut, Holy Granola. Der Porridge aus ge­ flocktem und mit einer kräftigen Prise Salz lange gekochtem Hafer ist weder klumpig noch schleimig und das Topping aus Mandel-Granola, Kürbiskernen, Ahornsirup, Banane und Blaubeeren gibt der Kreation eine angenehme Aromatik. Er­ mutigt von so viel geschmacklicher Exzellenz, wagen wir uns noch an den Ziegenkater. Der Porridge wird hier aufgepeppt mit einem Frisch­ käse-Ziegenmilch-Mix, Walnüssen, Thymian, Ho­nig und frischen Birnenspalten. Diese herzhafte Variante könnte unser Favorit werden.

Die Haferkater-Dependance im Eingangsbereich des Bahnhof Friedrichstraße ist sowohl ein schniekes Frühstückscafé als auch ein beliebter Allzeittreffpunkt. Zwei sympathische junge Frauen servieren Karotten- und Zitronen-MohnKuchen, verschiedene Wraps und Salate sowie Avocado-Tomaten- und Rote-Bete-HummusStullen. Und natürlich Porridge. Cristina Silva Jaitner, seit drei Jahren Haferkater-Store-Frau, erklärt die angebotenen acht Sorten. „Bären­ kater und Holy-Granola-Kater sind derzeit die gefragtesten“, sagt sie.

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Getreidemühlen Garçon-Gespräch

Während der vergangenen Lockdown-Monate erhielten wir eine Reihe von Leserzuschriften – Anfragen vor allem zur Beschaffung von Geräten und Zutaten, zur Vorratshaltung, aber auch zu speziellen Koch- und Backverfahren: Wo kann man Gärtöpfe bestellen? Wie bekommt man ein erstklassiges No-Knead-Bread hin? Lohnt sich die Anschaffung einer Getreidemühle? Auf jeden Fall bestätigten diese Leserbitten den ohnehin vorhandenen Trend zum Homecooking und -baking, zum Einwecken, Fermentieren, Räuchern und Trocknen, der durch die pandemisch erzwungenen Ausgeh- und Einkaufseinschränkungen noch mehr an Fahrt bekam. Wie sich dieses Phänomen auf die Geschäfte seines Unternehmens, der Wolfgang Mock GmbH im südhessischen Otzberg, ausgewirkt hat, darüber sprachen wir mit Paul Lebeau, 65. Der gebürtige Amerikaner aus Decatur, Illinois, studierte in den USA und in Frankreich Betriebswirtschaftslehre, arbeitete in verschiedenen Ländern als Unternehmensberater, kam 1983 nach Deutschland und 2015 zu Mockmill. Seitdem ist er Mitglied der Geschäftsleitung des mittelständischen Mühlenbauers.

MEHL SELBER MAHLEN? Wie hat sich der Lockdown-Trend ,Selber-

Sondern?

machen‘ auf Ihr Unternehmen ausgewirkt,

Wir empfehlen Menschen, die ihr Brot regel­

Herr Lebeau?

mäßig selber backen, auch ihr Mehl selber

Durchaus erfreulich, wie bei vielen anderen

zu mahlen.

Produzenten von Küchenwerkzeugen und

Weshalb?

-geräten in Deutschland auch. Allerdings

Es gibt viele Gründe. Erstens – und das

würde ich nicht von einem Lockdown-

ist zumindest meine Erfahrung als lang­

Trend sprechen. Wir haben jedenfalls die

jähriger Heimbäcker – ist just-in-time

Erfahrung gemacht, dass vor allem jüngere

gemahlenes, also frisches Mehl, aroma­

Leute schon lange vor der Pandemie ver­

stärker und geschmacksintensiver als

stärkt in der Küche selbst Hand angelegt

länger gelagertes, von den vielen positiven

haben. Die über viele Monate geschlossenen

ernährungsphysiologischen Aspekten gar

Restaurants haben das natürlich massiv

nicht zu reden. Und zweitens kann man in der

verstärkt.

Heimbäckerei besser mit seltenen Getreide­

Gilt das auch für Ihre Spezialdisziplin, die

sorten experimentieren, die meist nur als

Heimbäckerei?

Körner verfügbar sind – etwa die Urgetreide

Absolut, der gestiegene Absatz vor allem

Einkorn, Emmer und Kamut oder solche alten

unserer Mockmill 100, einer klassischen Haushaltsmühle, beweist das eindrücklich. Wer sein Brot im heimischen Herd backt, sollte also auch sein Mehl zu Hause mahlen? Viele tun es, aber so kategorisch würde ich das nun doch nicht formulieren.

Die Haushaltsmühle Mockmill 100 ist aus leicht zu reinigendem Arboblend, einem Werkstoff aus nachwachsenden Rohstoffen gefertigt, das Mahlwerk besteht aus großen Korund-Mahlsteinen (Durchmesser 9 cm). Die Motorleistung beträgt 360 Watt, der Mahlgrad kann mittels eines Schiebereglers problemlos von grob bis sehr fein eingestellt werden. Die Mahlleistung etwa bei Weizen liegt in der feinsten Einstellung bei rund 100 Gramm/Minute.

Sorten wie Champagnerroggen, Dickkopf­ weizen und Fahnenhafer. Nicht zu vergessen, dass man mit allen unseren Mühlen auch Mais, Reis und diverse Gewürze mahlen und beim Backen kreativ einsetzen kann. Vielen Dank für das informative Gespräch, Herr Lebeau.

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• Geschmackssachen Kostproben

Ein Wein für alle Anlässe

Kostproben Fünf Supermarkt- und Discounterketten beherrschen 90 Prozent des Lebensmittelhandels in Deutschland. In den Regalen aromaverstärkte Fertiglebensmittel, plastikverschweißter Billigkäse, geschmacksuniforme Industrieware. Nicht nur, aber größtenteils. Die verbleibende Zehn-Prozent-Nische haben engagierte Genuss­ handwerker, kenntnisreiche Feinkosthändler und Onlineverkäufer mit ihrem Gegenentwurf zur Mas­senware der Lebensmittelindustrie be­­setzt: manufakturell hergestellte Aufstriche; Würste, die nicht aus der Schlacht­ fabrik kommen; handgefertigte Schokoladen, haus­­gemachte Liköre, Konser­ven ohne E-Zusätze, vieles in Bioqualität. Das meiste ist teurer als Supermarktware gleichen Namens, aber eben auch gesünder, nachhaltiger und geschmackvoller. Vier Kostproben dessen, was wir neben den vielen anderen erstklassigen Produkten in diesem Heft in den letzen Wochen sonst noch entdeckten, MARRENON VIGNOBLES EN LUBERON & VENTOUX www.marrenon.com Sie finden unsere Weine bei Chez Bruno Berliner Str. 31, 14169 Berlin Tel: 030 80907804 www.chezbruno.de

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probierten und als kulinarisch bemerkenswert empfanden, servieren wir Ihnen auf der folgenden Seite.


FINDE DEINEN GIN •

Kostproben Geschmackssachen

Jinok Kim-Eicken und die Kimchi-Spezialisten vom Kreuzberger Korea-Restaurant NaNum sind bekannt für ihre vielen Varianten des koreanischen National­ gerichts. Zum Beispiel Gak Du Gi, Kimchi aus Rettich und Kohlrabi, knackig, mild-säuerlich und nicht von jener überbordenden Chilischärfe wie andere Sorten. Geschmackliche Überraschungen kommen ins Spiel, wenn man Gak Du Gi etwa mit gedünstetem Fisch und weichem Reis serviert. Und eine Vitaminbombe ist die Kreation sowieso. „Maeu masitsseoyo“, sagen die Koreaner, „äußerst lecker.“ Wir können da nur zustimmen.

Scharf, schärfer, am schärfsten – der Superlativ ge­ bührt auf jeden Fall der ohne jegliche Zusatzstoffe hergestellten Habanero-Chilisauce BEWARE aus der Manufaktur von Marie Sharp am Fuße der Maya Mountains im mittelamerikanischen Belize. Bereits 1999 mit dem Highest Scoville Award ausgezeichnet, ist BEWARE tatsächlich nur was für Schärfefanatiker und selbst denen sei geraten, tröpfchenweise zu dosieren. Für alle übrigen Chilisaucen-Freaks gibt’s aus dem Hause von Marie Sharp acht weitere, etwas weniger hotte Kreationen.

Preis: 5,00 Euro / 250 ml Restaurant NaNum, www.nanumberlin.com Lindenstraße 90 10969 Berlin-Kreuzberg Markthalle Neun Berlin-Kreuzberg, Samstag, 10.00–16.00 Uhr

Preis: 6,99 Euro / 148 ml Marie Sharp’s Germany GmbH Summerstraße 18 82211 Herrsching am Ammersee Tel. 08152 – 983 39 40 Online-Bestellung: www.marie-sharp.de

Die weltweit größten Anbaugebiete für Aprikosen liegen in der Türkei, die süßesten Früchte allerdings wachsen in Österreich. Genauer gesagt in der Wachau, einer sonnengesegneten Bilderbuchlandschaft im Westen Niederösterreichs. Dort heißen sie Marillen und gelten als das Parade-Obst der WeltkulturerbeRegion. Dementsprechend beeindruckend ist auch das Erlebnis dieses Marillen-Fruchtaufstrichs aus dem Hause Aufreiter in Krems, der den vollen Geschmack der aromatischen Früchte einfängt. Kein Wunder bei einem Fruchtanteil von 75 Prozent.

Vor nunmehr vier Jahren brachten die Berliner Lebens­ mitteltechnologen Swen Straßberger und Maja Linda Gérard (SweMa) eine Bio-Gemüsepaste auf den Markt, die inzwischen in vielen Haushalten zum must-have gehört. Gemüsebrühe ohne SweMa? Undenkbar. Nun legte die erfindungsreiche Crew gleich mit einem Trio nach – den Bio-Kraftwürzen mediterran, indisch und orientalisch. Wie bei ihrem Klassiker beträgt der Ge­ müseanteil rund 70 Prozent, hinzu kommen Steinsalz und die jeweils passenden Gewürze. Sonst nichts. Drei saubere Sachen!

Preis: 5,90 Euro / 220 g Feines aus Österreich Leonhardtstraße 11 14057 Berlin-Charlottenburg Tel. 030 – 31 01 68 20 www.feinesausoesterreich.org

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91

Punkte

BAR- & SPIRITS GUIDE

63


• Kopfsalat Jenny von Düsterlho

Wir lieben Fleisch

Original regional, eigene Zerlegung, Portionierung und Produktion.

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Jenny von Düsterlho Kopfsalat

Die Dame vom Grill MITTWOCHMORGEN AUF DEM MIERENDORFFPLATZ VON JÖRG TEUSCHER

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• Kopfsalat Jenny von Düsterlho

„Eine Curry bitte.“

Jenny von Düsterlho – „alter Adel, aber wenig Jeld“ – geboren 1964

„Scharf oder normal?“

in Hannover, kam als Kind nach Berlin. „Papa hatte einen Imbiss an

„Sowas dazwischen.“

der Havelchaussee, ick habe jeholfen, det hat jeprägt.“ Dennoch eine

„Verstehe, scharf biste schon.“

Ausbildung zur Datenverarbeiterin. Rückkehr in den väterlichen Imbiss,

Gerne hätte ich Jenny von Düsterlho ein Berliner Original genannt, aber

den sie später gemeinsam mit ihrem Mann betreibt. 1999 Geburt der

das trifft es wohl nicht ganz. Erstens stammt sie aus Niedersachsen (was eben noch anginge), aber zweitens passt sie nicht in die Reihe

Zwillinge Lisa und Lars, auf die sie wahnsinnig stolz ist. „Lisa hat

der schrägen Vögel und schrulligen Typen von Kaiser Kasimir über den

ist Fallschirmjäger bei der Bundeswehr.“

Grimassenschneider Horst „Knautschke“ Ehbauer bis zur Ficken-fürden-Frieden-Mahnwächterin Helga Goetze. Nein, Jenny von Düsterlho ist eine Berliner Marktfrau und verkauft

Steurfachjehilfin jelernt und studiert jetzt was mit Wirtschaft, Lars Seit dem Tod ihres Mannes im vorigen Jahr rockt sie den Imbiss­ wagen alleine – dienstags und freitags auf dem Rüdesheimer, mittwochs und samstags auf dem Mierendorffplatz.

Bulette, Curry & Co. Dass sie auch Seelentrösterin, Lebenshelferin

Ein Kunde fragt nach einer Kopfschmerztablette zum Kaffee. Jenny

und Problemlöserin ist, gehört zu ihrem Berufsbild, ebenso wie das

hat. Ein zweiter braucht ein Pflaster. Jenny hilft. „Mein Mann ist ins

Gute-Laune-Talent und das Freundlichkeits-Gen. „Eine einzige Geste

Krankenhaus gekommen, Corona“, klagt eine Frau. Jenny tröstet. So

der Freundlichkeit ist eine kleine Weltverbesserung im Alltag“, auch

ist sie, und so sind ihre Kolleginnen. Mal warmherzig, mal kodder­

solche Sätze sind vor ihr zu hören.

schnauzig, immer aber echt. Berliner Marktfrauen eben.

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Jenny von Düsterlho Kopfsalat

t? Naja, je eener nach meinem Beruf frag „Was ick antworte, wenn mich bei Zeiss Ikon in Zehlen­ her, e lang nt, jeler EDV mal nachdem. Ick habe sunde thändlerin und verkaufe unje dorf, aber eigentlich bin ick Mark n. liebe dem trotz e Leut die en, die Sachen. Jenau. Unjesunde Sach en.“ Jahr 34 seit – tig Und das – janz wich

mit Namen. Jut, manchmal ver­ „Die meis ten Kunden kenn ick ick dauernd Thomas jesagt, habe ert Norb Zu wat. wechsle ick ker bringe ick durcheinander, Opti den Nur . aber det weeß ick jetzt jedes Mal Detlef, vielleicht weil der heeßt Dietmar und ick sage bestimmt, denn bei den Mädels Janz . sind al norm die Namen so e Probleme, det sind Namir, keen ick vom Stand jejenüber habe mir jut merken.“ Aytül und Sevgi, det kann ick

viel per­ in Berlin veränder t, da ist janz „Na klar haben sich die Märk te ale norm also t, Mark m jab es auf jede du jejangen. Drei, vier Imbisse Drei -Meter-S tand, n eine hatte die piel, Beis Imbisse wie ick. Klara zum Imbisse hat. Aber ick sage ooch , die wo se nur Bock wurs t verkauft y jab es schon immer, Curr Die det. cht brau in Berl kommen wieder. r, det ist sicher.“ und die Curr y jeht nicht unte

n es soweit e ick jetzt noch nicht, aber wen „Nee, nee, Rente, daran denk ahrerin, wissen Busf die wie n, eibe schr ist, dann will ick ooch ein Buch ick schon. Susi Schmidt. Den Titel hab se, die mit dem Bestseller, die bisschen helfen, hast ein ja mir ste kann Rest Meine Märk te. Bei dem eiben.“ det doch jelernt, also det Schr

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• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Wie geht’s eigentlich…? CHRISTOPH HAUSER Als das 3 Minutes sur Mer Ende 2011 an den

Zwei Jahre später, im Mai 2014, lernten wir

Start ging, ließen wir es erstmal links liegen – zu budikig, zu trubelig. Und: Was sollte ein gänzlich unbekannter Küchenchef in der MiniKüche eines ehemaligen Dönergrills schon zu bieten haben? Irgendwann landeten wir dann doch mal in der winzigen Stube – und staunten nicht schlecht über das kulinarische Niveau im lockeren Ambiente. Christoph Hauser, den jungen Chef am Herd, bekamen wir zwar damals nicht zu Ge­ sicht, aber seine Gerichte straften unsere Vorurteile. Bestens in Erinnerung: Hausers

den damals 29-Jährigen dann persönlich KINDHEIT UND SCHULE Geboren am 21. Mai 1985 in Hechingen Aufgewachsen in Hechingen, Realschulabschluss AUSBILDUNG Kochlehre im Gasthof Lamm, Hechingen-Stein BERUFLICHE STATIONEN Hotel Falkenstein Grand Kempinski, Königstein / Taunus Vigilius Mountain Resort, San Vigilio / Südtirol Villa Rothschild Kempinski, Königstein / Taunus Rutz, Berlin-Mitte 3 Minutes sur Mer, Berlin-Mitte Herz & Niere, Berlin-Kreuzberg HEUTE TÄTIG Gründer und Geschäftsführer Weck die Heimat UG, Berlin-Kreuzberg.

kennen. Der gebürtige Baden-Württemberger eröffnete gemeinsam mit seinem Landsmann Michael Köhle, ehemals Chef­ sommelier im Sternerestaurant Hugos, in der Kreuzberger Fichtestraße das „Herz & Niere˝. Was der Name versprach, hielt Hausers Küche: Es gab – täglich wechselnd – Innereiengerichte, ein Novum in Berlin! Mal Lammleber auf gelben Linsen im SüßSauer-Sud, mal Nierchen in Rotweinsauce, mal medium gebratenes Herz mit geröstetem Blumenkohl. Für einen Teil der Gäste waren

hitverdächtige Gurken-Gin-Kutteln mit

das völlig neue, für einen anderen Teil lange

Joghurt und Estragon.

vermisste Geschmackserlebnisse.

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Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat

Der Rest, der seinem Innereien-Tabu treu bleiben wollte, konnte

so viel Sonnenschein blieb es nicht. In den folgenden Jahren suchten

zwischen Ostseedorsch im Bohnensud, pochiertem Hirschtafelspitz,

dreimal Einbrecher das Herz & Niere heim, 2019 stoppte ein Wasser­

gebackenem Kalbskopf mit Roter Bete oder Hausers legendärem

schaden wochenlang den Restaurantbetrieb, es folgte eine Havarie,

Ochsenmaulsalat mit Radieschen und etlichen anderen Kreationen

die zur Folge hatte, dass im Haus sämtliche Abwasserrohre erneuert

ohne sogenannte Schlachtnebenprodukte wählen.

werden mussten – wieder ewig kein Geschäft.

Der Gault & Millau moserte zwar über „die eher bodenständige

„Das alles hat mürbe gemacht“, sagt Christoph Hauser, „umso mehr,

und deftige als elegante kulinarische Abstimmung“, aber genau das

wenn du kaum Freizeit hast.“ Im Herbst 2020 entschloss er sich nach

empfanden viele Gäste als besonders sympathisch.

langem Überlegen, das Herz & Niere zu verlassen. Er gründete die

Bereits das erste Jahr, das wahrscheinlich schwierigste nach einer

Lebensmittelmanufaktur „Weck die Heimat“ und zog Anfang Januar

Restauranteröffnung, wurde ein voller Erfolg. Dementsprechend wurde

2021 in einen kulinarischen Co-Working Space in der alten Schöne­

das Einjährige gefeiert – Big Party in der Fichtestraße, auf der auch

berger Malzfabrik. Als wir ihn dort im Mai besuchen, wirkt er entspannt

unser Foto auf Seite 68 entstand – Christoph Hauser, links, mit seinem

und ist es wohl auch. „Schön wäre es, wenn Ihr meine Mitstreiter hier

Küchenchef-Kollegen Matthias Gleiß vom Restaurant VOLT. Doch bei

erwähnen würdet“, bittet er. Gerne doch, Christoph Hauser.

Ein Ort, drei Projekte, vier Genussarbeiter: Christoph Hauser ( Weck die Heimat), Sara Gretzer und Sophie Aschenborn (Gretzer Cooking Lounge) und Julian Ronnefeldt ( The Kulcha Box), v. li.

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• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaber Christoph Hauser.

Normalerweise herrscht in der hallenartigen Profiküche planvolle

folgten, Christoph Hauser hatte gut zu tun. Hühnerfrikassee, Königs­

Betriebsamkeit, aber heute wird ausnahmsweise zwischendurch mal

berger Klopse, Coq au Vin, Linsenragout, Potthast, Rahmgoulasch,

angestoßen. Mit Rheingau-Riesling auf 5.000 Weck-die-Heimat-Gläser.

Sauerbraten, Tafelspitz und einige andere Traditionsgerichte kamen

Aber der Reihe nach.

in einer Qualität ins Glas, die über jeden Zweifel erhaben war. „Kein

Die Idee, Traditionsgerichte zu kochen, einzuwecken und Leuten zu

Chichi, keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe,

verkaufen, die zwischen Detox Smoothies und Quinoa Bowls auch mal

kein Mist“, so annoncierte der Weck-die-Heimat-Chef seine Offerten

Bock auf Omas Signature Dish haben, kam Christoph Hauser schon

im Internet. Für mehr Werbung hatte Hauser keine Zeit – eine treue

vor sieben Jahren, noch im Herz & Niere. Er köchelte das Projekt auf

Fan-Gemeinde fand sich trotzdem.

kleiner Flamme und merkte schnell, dass da mehr möglich sei. Nach

Und so verwunderte es nicht, dass der Neu-Unternehmer am

der Entscheidung, das Kreuzberger Restaurant zu verlassen, war es

15. April 2021 das 5.000. Weck-die-Heimat-Glas ausliefern konnte –

dann deshalb auch keine Frage, was er tun würde – Weck die Heimat

5.000 Gläser in dreieinhalb Monaten, darauf kann man schon mal

passte in die von Ausgangs- und Einkaufseinschränkungen betroffene

anstoßen. Prost, Christoph, auf die nächsten 5.000!

Welt und natürlich auch in die Zeit.

Und vor lauter Freude über den erhofften, aber nicht erwarteten

Der umtriebige Berliner Gastronom Jonathan Kartenberg nahm

Erfolg, startete er im Mai gleich noch eine Rabattaktion. „Vier Wochen

Anfang Januar 2021 die ersten Hauser-Kreationen in das Angebot

lang gab es alle Gläser einen Euro günstiger und zudem eine 200-Euro-

seines Online-Shops www.the-good-taste.de auf, weitere Kunden

Spende und 120 Gläser gratis für die Berliner Aids-Hilfe.“

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Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat

Inzwischen ist Christofer Radic gekommen, Inhaber des Wild- und Weinhandels PRACHT am S-Bahnhof Schlachtensee und – Jäger. Gemeinsam schleppen er und Hauser zwei blaue Plastiksäcke in die Produktionsküche, darin zwei Wildschweine, die Radic erlegt hat. Der Küchenchef wird sie noch heute zerlegen und Wildschwein-Bolognese kochen, vielleicht auch noch einen Wildschwein-Curry-Eintopf und ein bisschen Wildschwein-Rilette. Übrig lassen wird er von den Tieren nicht viel, denn Christoph Hauser bleibt auch bei seiner neuen Unternehmung den alten Prinzipien treu. „From nose to tail, das galt in der Restaurantküche und das gilt auch im Weck-Studio“, sagt er, „weshalb sollte ich meine Grundsätze ändern, nur weil ich nicht mehr unter der Augen von Gästen koche?“ WECK DIE HEIMAT

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0173 – 296 26 94 www.hauser-kocht.berlin

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• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaberin Sara Gretzer.

Die eigentliche Hausherrin im Schöneberger Co-Working Space ist

Meister Bernhard Lamprecht, einst der liebe Gott der Konditorenzunft,

Sara Gretzer, 46-jährige Inhaberin und Geschäftsführerin der Gretzer

veröffentlichte 1950 ein Buch, das für viele Konditorgenerationen zum

Cooking Lounge, die allerdings mehr eine Baking Lounge ist.

Standardwerk wurde: „Das Gebot der Leckerheit“. Darin proklamierte

„Just bake“, sagte sich die gelernte Krankenschwester vor nun­

er die Einheit von Materialschönheit, Materialeinheit und Material­

mehr elf Jahren, machte ihr Hobby zum neuen Beruf, gründete

gebundenheit. Ob Sara Gretzer und Sophie Aschenborn Lamprechts

eine eigene Firma und beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiter.

Konditoren-Bibel kennen, wissen wir nicht. Dass sie nach deren Grund­

An der Spitze Sophie Aschenborn, 33-jährige Berlinerin und

sätzen arbeiten, sieht man jedoch.

Konditormeisterin.

Da gibt es Aprikosen-Lavendel-Tartes, Blaubeer-Tartes, Him­

„Wir beliefern Cafés, Bistros, Restaurants und andere Gastronomien,

beer-Pekannuss-Tartes, Brownies und Cookies, Banana-Loaf und

die weder das Personal noch das Know-how oder die technischen

Lemon-Loaf, Carrot Cake und New-York-Cheesecake, Apfel-Keks-

Möglichkeiten dafür haben, mit feinen Backwaren“, beschreibt Sara

Torte und Erdbeer-Mascarpone-Torte, Gugelhupf und Zupfliesel und

Gretzer den Gegenstand ihres Geschäfts. Dabei geht es weniger um

ein gutes Dutzend weiterer Konditor-Kreationen …

schwere Fett- und Kohlenhydratebomben – mit Sicherheit könnte

„Natürlich ist dieses Angebot nicht für alle Ewigkeit festgezurrt“,

die Gretzer-Crew auch das – sondern um kleine Köstlichkeiten aus

so Konditormeisterin Sophie Aschenborn, „wir entwickeln regelmäßig

lockeren Teigen, leichten Cremes und frischen Früchten, zucker­

auch neue Offerten, derzeit beispielsweise einen versunkenen Apfel-

reduziert und in vielen Fällen glutenfrei oder vegan.

und einen ebensolchen Kirschkuchen.“

Konditormeisterin Sophie Aschenborn.

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Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat

Und dann zeigt uns die Meisterin, die ihr Handwerk übrigens in der Berliner Traditionskonditorei Rabien gelernt hat, noch ihren – wie sie es nennt – „Absolut-Klassiker“. Kalter Hund! Die Kalorienbombe der Nachkriegszeit! So recht glauben können wir die Renaissance des Oma-Backwerks aus Keks, Kokosfett, Kakao und Zucker nicht, aber Sophie Aschenborn betont: „Nachdem der Klassiker fast in Vergessen­ heit geraten war, läuft er jetzt in vielen Berliner Cafés wie geschmiert.“ Tatsächlich, elf (!) der kastenförmigen Exemplare muss Sara Gretzer heute noch ausliefern. GRETZER COOKING LOUNGE

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0178 – 663 42 81 www.cookinglounge-berlin.de

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• Kopfsalat Wie geht’s eigentlich…?

Inhaber Julian Ronnefeldt.

Dritter im Bunde im Co-Working Space ist Julian Ronnefeldt. Natür­

Gerätschaften, gründete The Kulcha Box und zog in die Bessemer­

lich ist der Mann auch kulinarisch unterwegs, allerdings sind Kochen,

straße nach Schöneberg.

Braten oder Backen nicht so sehr seine Sachen – Ronnefeldt produziert

Seine Manufaktur wirkt ein bisschen wie ein Mittelding zwischen

Kombucha und das in einer Qualität, die viele andere Getränke gleichen

Apotheke und Chemielabor. Überall in dem weiß gekachelten, klinisch

Namens locker in den Schatten stellt.

reinen Raum stehen Rund- und Erlenmeyerkolben, Pipetten und

Ronnefeldt, 51 und gebürtiger Münchener, ist eigentlich Fotograf von Beruf und war auch in dieser Branche ziemlich erfolgreich. Er lebte elf Jahre in London, kam 2006 nach Berlin, arbeitete in einer Galerie, war Barkeeper und Nachtschwärmer.

Büretten, Mikroskope und diverse Messgeräte. Dazu ein Mini-Re­ aktor und etliche weitere edelstählerne Apparaturen. Der Laie staunt, der Profi erklärt: „Kombucha wird aus gesüßtem Schwarz- oder Grüntee hergestellt, der mit Hilfe eines Kombucha-Pilzes

Während eines Indientrips entdeckte er Kombucha. „An einem

fermentiert wird. Dieser so genannte Scoby – das Kürzel steht für

Strand im südwestindischen Bundesstaat Karnataka probierte ich

Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast – ist eine Lebensgemeinschaft

das spritzige Erfrischungsgetränk zum ersten Mal und war sofort

aus Bakterien und Hefen, mit deren Hilfe ein ziemlich komplexer Um­

begeistert.“ Und zwar dermaßen, dass er beschloss, nach seiner Rück­

wandlungsprozess von Zucker und Alkohol abläuft, an dessen Ende

kehr selbst Kombucha herzustellen. Vor nunmehr vier Jahren ließ

dann eben Kombucha steht.“

er der Idee die Tat folgen. Ronnefeldt beschäftigte sich intensiv mit

Julian Ronnefeldt hat die klassische Zubereitung mit der Zeit immer

Teesorten und Fermentationsprozessen, investierte in Anlagen und

weiter verfeinert, frische Früchte und Gewürze eingesetzt, die seine

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Wie geht’s eigentlich…? Kopfsalat

Versionen des probiotischen Superdrinks so unverwechselbar machen. „Außerdem“, so der Geschäftsführer von The Kulcha Box, „verzichten wir auf die bei industriellen Produkten übliche Filtration. Dadurch behält unser Kombucha seine Seele.“ Was er damit meint, lässt Ronnefeldt offen. Das erfrischende Getränk war eben schon immer geheimnisumwittert – kein Wunder bei seiner jahrtausendealten Geschichte, die bis ins alte China zurückreicht, wo Kombucha als Mittel zur Unsterblichkeit galt. „Das ist natürlich zu viel des Guten“, grinst der Berliner Produzent, „aber es ist eben nicht nur ein Durstlöscher.“ Er verweist auf den Vitamin-C-Gehalt des moussierenden Teegetränks, auf eine Reihe von B-Vitaminen und antioxidativen Polyphenolen. THE KULCHA BOX

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0176 – 78 11 53 32 www.thekulchaboxstore.com

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

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Fläming Prignitz

Wer in der Mark reisen will, der muß zunächst Liebe zu Land und Leuten mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. Er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden,

Dahme-Seenland

anstatt es durch krittliche Vergleiche totzu-

Ruppiner Seenland

machen. Der Reisende in der Mark muß sich ferner mit einer feineren Art von Natur- und Landschaftssinn ausgerüstet fühlen. Es gibt gröbliche Augen, die gleich einen Gletscher oder

Uckermark

Spreewald

Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu Hause bleiben.

s g e w r e t Un rg u b n e d n in Bra DEHNE – SCHÖNA

OR GOT TSD TH O R

F – STRO

, ÏS CA U SSE R V O N ANA TE U SCHE ND JÖRG U I K NS STEN T O

Es ist mit der märkischen Natur wie mit manchen

Lausitzer Seenland

Frauen. ‚Auch die häßlichste‘ — sagt das Sprich-

Barnimer Land

wort — ‚hat immer noch sieben Schönheiten!‘ Ganz so ist es mit dem Lande zwischen Oder und Elbe; wenige Punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben Schönheiten hätten. Man

Seenland Oder-Spree

Elbe-Elster-Land

muß sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.

Theodor Fontane Wanderungen durch die Mark Brandenburg

Havelland

Die Grafschaft Ruppin Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, sind wir Mitarbeiter von Maître Philippe viel unterwegs: Lieferantenbesuche in

Gottsdorf, 140 Einwohner, liegt abseits der großen Straßen ein paar Kilometer nordwestlich von Luckenwalde und ist einer von 23 (!) Orts­

Frankreich, Foodfestivals in Italien, Weinmessen in Portugal.

teilen der Gemeinde Nuthe-Urstromtal im Brandenburger Landkreis

Damit wir am Ende die Bretagne, das Piemont oder die Algarve

Teltow-Fläming. In den einschlägigen Wander- und Reiseführern findet

nicht besser kennen als das Havelland oder die Uckermark,

das Dörfchen keine Beachtung, nicht mal der aktuelle Ausflugsguide

unternehmen wir auch regelmäßig Ausflüge ins Berliner Umland

des Tourismusverbandes Fläming 2021 / 2022 würdigt Gottsdorf auch

und informieren uns darüber, was regionale Lebensmittel-

nur eines Wortes. Und so bleibt ein Ort unerwähnt, der genau das nicht

produzenten dort auf der Pfanne haben. Bei einem dieser Trips

verdient hat – die Gottsdorfer Obermühle. Die unter Denkmalschutz

in vorpandemischer Zeit entdeckte ich die Obermühle Gottsdorf,

stehende Wassermühle wurde 1285 errichtet und klappert heute noch

eine uralte Wassermühle, die immer noch in Betrieb ist.

genauso zuverlässig wie vor 736 Jahren – das dürfte zumindest im

Anaïs Causse, Garçon-Autorin, Berlin

Land Brandenburg einzigartig sein.

Zwei Generationen Müllermeister: Martin Röthel und Markus Röthel, v. li.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg Wer über die Geschichte der Wassermühle recherchiert, landet erstmal bei den alten Griechen, die im 2. Jahrhundert v. Chr. nicht nur den Erd­ umfang annähernd richtig berechneten, sondern auch auf technischem Gebiet bahnbrechende Erfindungen machten – etwa die Drehbank oder eben die Wassermühle. Karl Marx zitiert in seinem Werk „Das Kapital“ in diesem Zusammen­ hang den griechischen Dichter Antipatros von Sidon, der die Erfindung der Wassermühle zum Mahlen von Getreide als „Elementarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin eines goldenen Zeitalters“ feierte. Soviel Überschwang hatte einen guten Grund. Die ersten primitiven Wassermühlen, die noch ohne Getriebe arbeiteten, schafften dennoch das Vierfache der Leistung der bis dahin üblichen Handmühlen, statt zwei also acht bis zwölf Kilogramm Getreide pro Stunde. Bis diese Nachricht die Mark Brandenburg erreichte, dauerte es dann noch ein paar Jahrhunderte. An den rauschenden Bächen des Landes klapperten Mühlen erst zu Zeiten der Askanier, also im 11. und 12. Jahrhundert. Albrecht der Bär und seine Nachfolger waren moderner Technik gegenüber aufgeschlossen und holten Siedler etwa aus Flandern ins Land (daher auch der Name Fläming), die davon was Obwohl die meisten Anlagen und Geräte in unserer Mühle sozusagen den Methusalem-Stempel tragen, also wirklich schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind wir kein Mühlenmuseum mit Eintritt, täglichen Öffnungszeiten, regelmäßigen Führungen und sonstigem Pipapo, sondern ein produzierender Betrieb. Ein technisches Denkmal ja, aber eins, in dem täglich Getreide zu Mehl vermahlen wird. Markus Röthel, Müllermeister verstanden. Sie führten die Dreifelderwirtschaft und den Eisenpflug ein und bauten die ersten Wassermühlen. Auf ihr Konto dürfte auch die Gottsdorfer Obermühle gehen, die 1285 erstmals urkundlich er­ wähnt wurde. Vieles von dem, was dann in und mit der Mühle geschah, verliert sich allerdings im Dunkel der Geschichte. Licht wird erst wieder im 19. Jahrhundert. Marcus Röthel, „Baujahr 71 und Müllermeister in vierter Generation“, erzählt: „Das Mühlen­ gebäude und das Wohnhaus daneben entstanden 1879. Im Jahr 1904 hat mein Urgroßvater das Anwesen gekauft und die Mühle betrieben, ihm folgten mein Großvater und Anfang der 1950er mein Vater.“ Martin Röthel, inzwischen 85 und seit über sechzig Jahren Müller­ meister, zeigt uns sein Reich, das sich über drei Etagen erstreckt. Überall surrende Transmissionen, die dafür sorgen, dass Plansichter, Steinausleser und Walzenstühle ihre Arbeit tun können. Faszination der Mechanik und für den Müller die Logik seines Handwerks. Alles hat seinen Platz und seinen Sinn, damit aus Getreide Mehl wird. Marcus Röthel führt uns in eine Grotte hinter dem Haus. Das Wasser­ rad, Durchmesser 3,60 Meter, 40 Schaufeln, Höchstleistung 10 PS. „Das ist die Kraft, die alles schafft“, sagt er.

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg „In der Vergangenheit war es immer so, dass sich Müllersfamilien selbst versorgen mussten, weshalb zu den meisten Mühlen stets ein Bauernhof gehörte, auch hier in Gottsdorf“, erzählt Marcus Röthel. Der 50-Jährige ist ein moderner Müllermeister, marketingerfahren und kräftig in den sozialen Netzwerken unterwegs, der sicher auch ohne Ackerbau und Viehzucht von seinem Job leben könnte. Dennoch bleibt er der Tradition treu, allerdings auf ganz besondere Weise. Marcus Röthel züchtet Welsh Black. Die in Deutschland seltenen Fleischrinder stammen aus Wales und haben sich in vielen Jahrhunderten dem rauen Klima und der kargen Landschaft im Südwesten Großbritanniens bestens angepasst. „An­ passungsfähigkeit, Robustheit, Langlebigkeit und bis zu zwanzig Kälber pro Kuh“, zählt Marcus Röthel die wichtigsten Rassemerkmale des Waliser Schwarzviehs auf. „In Sachen Fleischqualität und Futter­ verwertung sind Welsh Black absolute Spitze“, fügt er hinzu. Tatsächlich ergaben Tests, dass das Fleisch der Tiere, was seine Markus Röthel und seine Töchter Melina und Miriam, v. li.

Zartheit (Tenderness) betrifft, das anderer Rassen – etwa Charolais, Limousin oder Wagyu – um einiges übertrifft. Seine Marmorierung (Marbeling) bleibt zwar erheblich hinter Wagyu-Fleisch zurück, liegt

Natürlich bin ich stolz, dass meine Töchter die Familien­tradition fortsetzen wollen. Sicher, es kann natürlich alles noch ganz anders kommen, aber Melina spricht schon lange davon, dass sie Landwirtin werden will, und auch Miriams Wunsch, Müllerin zu werden, ist nicht ganz neu. Markus Röthel, Müllermeister

aber gleichauf mit dem der meisten anderen Rassen. „Zudem ist es reich an Omega-3-Fettsäuren, und wenn Sie noch einen Beweis für die einmalige Fleischqualität des Welsh Black brauchen, der legendäre Ruf des englischen Roastbeefs geht genau darauf zurück“, so Marcus Röthel. Umso verwunderlicher ist es, dass sich hierzulande derzeit nur rund 130 Züchter dieser Rasse widmen – im Land Brandenburg sind es lediglich vier, einer von ihnen eben der Gottsdorfer Müllermeister. Seine Herde zählt 90 Tiere, die übrigens keinen Stall kennen. „Ganz­ jährige extensive Weidehaltung“, nennt Röthel das. „Dafür müssen natürlich ausreichend große Flächen naturbelassenes Grünland zur Verfügung stehen“, ergänzt er. Bei ihm sind das etwa 100 Hektar. Das Fleisch seiner Tiere ist natürlich bio und wird zusätzlich mit dem Attribut „angstfrei“ offeriert. Angstfreies Fleisch? Marcus Röthel erklärt: „Wenn ein Rind geschlachtet wird, dann soll es so sanft wie nur möglich sterben, ohne Transport- und Schlachthofstress.“ Dafür erhielt der passionierte Jäger die Genehmigung zum so genannten Weideschuss. „Diese ungewöhnliche Art der Schlachtung bereitet den Tieren am wenigsten Stress und Schmerz“, so Röthel. www.welshblack.de

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Übrigens: Auch aus Sicht der meisten Tierschützer ist der Weide­ schuss die beste Methode der Schlachtung, nicht zu vergleichen mit

Geschmack gekommen. So plant beispielsweise James Doppler, der Burger-King aus der Arminiushalle („Pound & Pence“ ), sein Angebot

dem Massenbetrieb eines Schlachthofes, wo permanenter Zeitdruck

um einen Welsh-Black-Spitzenburger zu erweitern.

herrscht und vor allem Freilandrinder durch ungewohnte Geräusche und enge Gänge schnell in Panik geraten.

Neben dem Premium-Fleisch gibt es im Hofladen natürlich auch die in der Obermühle gemahlenen Mehle – dann und wann auch seltene

Natürlich liegt es auf der Hand, dass sich die stressfreie Schlachtung

Sorten wie Gelbweizen- oder Lichtkornroggenmehl. „Aber bitte sagen

auf der Weide auch auf den Fleischpreis auswirkt. Röthels Kunden

Sie ihren Lesern“, so Marcus Röthel zum Abschied noch einmal mit

jedenfalls akzeptieren den höheren Preis klaglos. Meist kenntnisreiche

Nachdruck, „dass unser Hofladen wirklich nur an zwei Tagen im Monat

Karnivoren, wissen sie natürlich, dass die Fleischqualität zusätzlich

geöffnet ist!“

profitiert, wenn ein präziser Schuss die Tiere plötzlich aus dem Leben holt und keine Stresshormone den Körper fluten.

OBERMÜHLE GOTTSDORF

Zweimal im Monat ist in Röthels Gottsdorfer Hofladen Fleischver­ kauf. Der Meister rät, sich im Internet über die Termine zu informieren, Fleisch online vorzubestellen und es dann zum Termin abzuholen. Obwohl sein Welsh Black etwa in Berlin immer noch als Geheimtipp gehandelt wird, sind einige Hauptstadt-Gastronomen schon auf den

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An der Obermühle 12 14947 Nuthe-Urstromtal OT Gottsdorf Tel. 033732 – 40 314 www.obermuehle-gottsdorf.de


Brandenburg Kulinarische Exkursion

„Wir sind natürlich glücklich, dass uns – neben einigen kleinen Hand­

„Wir bekommen aus Gottsdorf Roggen- und Dinkelmehl, und beide

werksbäckereien – mit der Potsdamer Bio-Bäckerei Fahland auch eine

Mehle sind schon was Besonderes“, sagt Frank Fahland, „deshalb

Branchengröße seit vielen Jahren die Treue hält“, bemerkt Markus

unterstützen wir die Röthel-Familie, wo wir können.“

Röthel zum Abschied, und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.

Vor acht Jahren haben die Potsdamer Bio-Bäcker dem Altmeister

Frank Fahland, Chef des angesprochenen Unternehmens in der

Martin Röthel zu Ehren sogar ein Brot kreiert, das inzwischen zum

Landeshauptstadt, erwidert lächelnd: „Wir sind nicht nur der wichtigste

Fahland-Standardsortiment gehört. Der runde Laib aus 94 Prozent

Kunde der Gottsdorfer Obermühle, sondern auch ihr größter Fan.“

Dinkel- und sechs Prozent Roggenvollkornmehl – beide Mehle stammen

Der 67-jährige Bäcker- und Konditormeister kam 1989 aus Sachsen-

aus der Obermühle – trägt den Namen „Kleiner Martin“ und besticht

Anhalt nach Brandenburg, eröffnete in Wilhelmshorst eine Bäckerei,

mit dichter Krume, knuspriger Kruste und vollmundigem Geschmack.

zog 2013 nach Potsdam-Babelsberg weiter und gehört heute mit 140

„Das Ergebnis einer perfekten Partnerschaft“, kommentiert Fahland-

Mitarbeitern und 15 Filialen – zwei davon in Berlin – zu den größten

Verkaufsleiter Christoph Schröder. Der erfahrene Manager beantwortet

Bio-Bäckern der Region.

schließlich auch die Frage nach dem Risiko der Zusammenarbeit einer

„Größe ist aber nicht das Entscheidende“, so Fahland, „letztlich

großen Bäckerei mit einer kleinen und zudem noch musealen Mühle.

bestimmend ist die Qualität.“ Eine Aussage, die er sowohl auf seine

Schröder sagt: „Wir bei Fahland haben noch nie zuerst die sichere

Bäckerei als auch auf deren Lieferanten bezogen wissen will. Also

Seite gesucht.“

auch auf die Obermühle.

www.baeckerei-fahland.de

Fahland-Filiale in Berlin: Bleibtreustraße 38 / 39.

Filial-Chefin Yvonne Kaiser und Verkaufsleiter Christoph Schröder.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

86


Brandenburg Kulinarische Exkursion

Ehrlich gesagt, Strodehne hatte ich gar nicht auf dem Schirm

Das Dörfchen Strodehne, 240 Einwohner, liegt im westlichen Havel­

als ich mich auf den Weg ins Havelland machte. Mein Ziel war

land, nahe der Grenze zu Sachsen-Anhalt. Der Treckerschrauber, den

der Gollenberg in der Nähe von Stölln, wo Otto Lilienthal einst

ich nach dem Weg zur Fischerei Schröder frage, ist zwar wortkarg,

seine legendären Flugapparate testete und am 9. August 1896

seine Antwort dafür aber präzise: „Gahlberg zwo.“ Dabei weist sein

abstürzte und wo der Interflugpilot Heinz-Dieter Kallbach am

ausgestreckter Arm nach Süden. Obwohl weit und breit kein Berg zu

23. Oktober 1989 ein Langstreckenpassagierflugzeug vom

sehen ist, erreiche ich nach wenigen Minuten das Fischerei-Anwesen.

Typ IL-62 spektakulär landete – der Jet ist heute ein Museum,

Neben dem Eingangstor steht ein „Kühlschrank des Vertrauens“, be­

das ich besuchen wollte. Doch dann meldete sich der kleine

stückt mit vakuumiertem Räucherfisch und diversen Fischkonserven.

Hunger, das Navi lotste mich erstmal nach Strodehne und ich

Da ich weder Messer noch Gabel dabei habe, setze ich auf das Imbiss­

lernte den Fischer Wolgang Schröder kennen.

angebot des Hofladens, der mittwochs bis samstags von 10.00 bis

Thorsten Tonski, Garçon-Autor, Recklinghausen

16.00 Uhr und freitags sogar bis 18.00 Uhr geöffnet ist.

Fischwirtschaftsmeister Wolfgang Schröder.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg Auf dem Weg über das Fischereigelände begegne ich einem hoch­ gewachsenen Mann mit Gummistiefeln, Schiffermütze und derbem Sweater – keine Frage, das muss der Chef sein. „Wolfgang Schröder“, stellt er sich vor. Auf meine Bitte um eine Essensempfehlung reagiert er schnell: „Brassenfilet mit Kartoffelsalat oder Brassenburger und fürs Abendessen saure Bratbrasse.“ Brasse? „Unsere Spezialität“, sagt er. Und nicht nur das. Schröder hat Zeit und erzählt mir die ganze Geschichte. Der 54-Jährige, Fischer in vierter Generation, stammt aus Havelberg. Fischerlehre 1983 bis 85, zehn Jahre später Fischwirtschaftsmeister und seitdem beruflich auf Havel, Elbe und vor allem dem Gülper See unterwegs. Das 570 Hektar große, allerdings nur ein bis zwei Meter tiefe Gewässer, ist als Internationales Vogelschutzgebiet ausgewiesen und gehört seit 2009 zur NABU-Stiftung Nationales Naturerbe. Für Freizeitangler und Wassersportler ist der Gülper See tabu, lediglich Berufsfischer und deren Mitarbeiter dürfen hier ihrer Profession nachgehen. Wolfgang Schröder: „Durch seine geringe Tiefe ist der See ein idealer Laichplatz für viele Fischarten. Neben Zander und Hecht sind In den meisten Fischkochbüchern kommt die Brasse überhaupt nicht vor – und wenn doch, dann nur unter, ferner liefen’ und mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass es sich um einen nicht eben edlen Süßwasserfisch handelt. Dass ich nicht lache. Fragen Sie mal Gäste, die unser gebratenes Brassenfilet probiert haben, wie die das sehen. Wolfgang Schröder, Fischwirtschaftsmeister

Aal, Barsch, Schlei und Wels sowie Karpfen, Karausche, Plötze, Quappe und Rotfeder im Gülper See heimisch. Und eben die Brasse.“ Schröder nennt ihn einen „Massenfisch“, weil er 70 bis 80 Prozent seines Fangs ausmacht. Im Jahr 2019 landeten insgesamt 32 Tonnen Brassen in seinen Netzen. Fisch, den kaum einer wollte und der deshalb in der Tonne landete, also beim Abdecker oder – moderner formuliert – in einer Tierkörperbeseitigungsanlage. Für Wolfgang Schröder ein Graus, sowohl finanziell als auch ethisch. Früher galt die zur Familie der Karpfenfische gehörende Brasse als sogenannter ‚Brotfisch‘ und plötzlich sollte er nichts mehr wert sein, das verstehe wer will, sagte sich Schröder und entwickelte ein Veredelungskonzept. Inzwischen gibt es Brassenbulette, Brassenroll­ mops, Brassensülze und eben die saure Bratbrasse. Ein regionales Produkt, nachhaltig und wertschöpfend zugleich, so wirbt die Fischerei Schröder für ihre Kreation und hofft natürlich auf Nachahmer. Der Meister – einmal in Fahrt – will mir unbedingt noch sein Projekt „Erlebnisfischen auf dem Gülper See“ vorstellen. „Sie werden von uns wasserfest ausgerüstet, können beim Zugnetzfischen mittun und danach ein Fischmenü genießen“, bringt er sein Tourismus-Projekt auf den Punkt. Mein Projekt heißt jetzt Hofladen und Fischereiimbiss.

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Beides befindet sich in einer ehemaligen Garage. Gleich nebenan hat

nicht.“ Genauso leidenschaftlich klingt sein Plädoyer für die bessere

Wolfgang Schröder eine stattliche Profiküche eingerichtet. Sie ist das Reich von Sebastian Krieblin (Bild u.) und von seinem Stellvertreter

Nutzung heimischer Fischarten, vor allen solcher, die kulinarisch bis­

Marco Möller (Bild S. 89 Mitte). Küchenchef Krieblin stammt aus Kyritz

mit dem Karpfen“, erzählt er, „und selbst Menschen, die diesem Fisch

und stand, bevor er ins Havelland kam, in Hamburg und Florenz am

nichts abgewinnen können, fanden unseren Karpfenschinken, mit

Herd, in „ziemlich angesagten Läden“, wie er sagt. Und nun Strodehne?

Kräutern gefüllt und kalt geräuchert, ziemlich cool.“

her unter ferner liefen rangierten. „Wir experimentieren zum Beispiel

Die Frage ist ihm offensichtlich nicht zum ersten Mal gestellt worden,

Wir vergeben das gleiche Prädikat an das gebratene Brassenfilet

denn die Antwort kommt prompt. „Sie mögen es als Karriereknick

und die saure Bratbrasse und schlagen dem Fischerei-Team vor, das

ansehen, für mich ist es eine Herausforderung.“

bisher namenlose Mini-Restaurant „Brasserie Schröder“ zu taufen.

Er spricht über die Möglichkeiten, die Brasse, Karpfen, Schlei und Co. kulinarisch bieten und man sieht dem 34-Jährigen an, wie ernst er

FISCHEREI WOLFGANG SCHRÖDER

es meint. „In zehn, zwölf Jahren werden viele Köche, die heute noch ganz selbstverständlich jeden Tag Seeteufel, Steinbutt und Saint-Pierre servieren, ziemlich blöd aus der Wäsche gucken – so wie wir bisher mit unseren natürlichen Ressourcen umgegangen sind. Und Aquakultur hin oder her, die Rettung für alles, was wir verbockt haben, ist das auch

Küchenchef Sebastian Krieblin.

90

Gahlberg 2 14715 Havelaue OT Strodehne Tel. 033875 – 30 737 www.fischerei-schroeder.eu


Brandenburg Kulinarische Exkursion

Zu-gut-für-die-Tonne!-Preisverleihung…

…am 20. Mai 2021 als Livestream-Event.

Chancen rechnete sich Wolfgang Schröder übrigens nicht aus, als er sich mit seinem Projekt „Saure Bratbrasse“ für den Zu-gut-fürdie-Tonne! -Bundespreis 2021 bewarb, der seit sechs Jahren vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ausgeschrieben wird. Motto: Lebensmittel retten, Klima schützen. „Ein plausibler Zusammenhang“, erklärt Fischer Schröder, „weil für Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Transport von Lebensmitteln wertvolle Ressourcen – Wasser, Boden, Energie – benötigt und Treib­ hausgase freigesetzt werden. Wenn ein Teil dieser Lebensmittel dann in der Tonne landet, war der ganze Aufwand inklusive der verursachten Treibhausgasemissionen umsonst.“ Eine Erkenntnis, die sich – wenn auch nur langsam – durchzusetzen scheint. Beweis dafür sind die 160 innovativen Projekte, die in diesem Jahr für den Zu-gut-für-die-Tonne! -Bundespreis eingereicht wurden – darunter Schröders „Saure Bratbrasse“. Die Jury erkannte der Kreation

Mit ihrer ungewöhnlichen und mutigen Idee zur Verwertung von Beifang findet die Fischerei Schröder mit Sitz in Strodehne im Land Brandenburg eine sehr gute Lösung für eine Herausforderung, vor der viele große und kleine Fischereibetriebe stehen. Die einfache und zugleich effektive Idee, die zu einem Umdenken der Kundschaft geführt hat, besitzt Vorbildcharakter und Potenzial. Wir freuen uns, das besondere regionale Engagement der Fischerei Schröder mit einem Förderpreis zu unterstützen. Bärbel Dieckmann Juryvorsitzende Zu-gut-für-die-Tonne!-Bundespreis Ehem. Präsidentin der Welthungerhilfe (WHH)

einen der drei mit 5.000 Euro dotierten Förderpreise zu. Chapeau!

Moderatorin Sarah Oswald im Gespräch mit Staatssekretärin Beate Kasch, v.re.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

Der Weg zum Ziel ist bestens ausgeschildert und – dort angekommen – gibt es sogar einen Rastplatz mit Info-Tafel. Aber sonst? Unter den wenig spektakulären Quellen vieler Flüsse ist die Quelle der Dahme die wohl unspektakulärste. Weder rauscht noch sprudelt es in dem Wäldchen nahe der Ortschaft Schöna-Kolpien im Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming, lediglich ein paar feuchte Wiesen verraten, dass hier irgendwo Wasser sein muss. Ein Schild bestätigt die Annahme: „An dieser Stelle befindet sich die Dahmequelle.“ Jörg Teuscher, Garçon-Autor, Berlin

Anke und Jens Kottke ist diese Touristen-Enttäuschung nicht neu. „Einen Wasserfall dürfen Sie hier nicht erwarten“, erklärt Jens Kottke, „deshalb heißt es korrekt auch Quellgebiet.“ Gemeinsam mit seiner Frau betreibt der 57-Jährige im Dörfchen Schöna, nahe des besagten Gebietes, eine Lebensmittelmanufaktur mit schnuckeligem Hofladen, winziger Sonntagsbackstube und freundlichem Café. Und weil die Dahmequelle nun mal die größte Sehenswürdigkeit der Gegend ist (außer, man fährt in die benachbarte Kleinstadt Dahme), benannten sie auch ihre Unternehmung danach: Dahmequell Landprodukte Schöna. Deren erheblicher Bekanntheitsgrad allerdings liegt wohl weniger am Namen, sondern eher an den Offerten des rührigen Paares.

Dahmequell-Inhaber Anke und Jens Kottke.

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg Die Stadtflucht ist kein neues Phänomen. Etliche meiner Freunde fanden Berlin schon vor Jahren zu voll und zu teuer und zogen aufs Dorf. Dort erprobten sie neue Wohn- und Arbeitsformen, gründeten Co-Living- und Co-Working-Spaces, probierten sich im genossen­ schaftlichen Arbeiten, einige erlernten sogar neue Berufe, um sich ihren Traum vom Öko-Paradies zu erfüllen. Auch Anke und Jens Kottke sind Stadtflüchter. Als sie 1999 aus Schwedt/Oder nach Schöna im Landkreis Teltow-Fläming zogen, hatten sie allerdings weniger das Landleben als soziales Experiment im Blick, sondern folgten eher praktischen Erwägungen. „Wir wollten vor allem“, so Jens Kottke, heute 57 und diplomierter Sozialpädagoge, „dass unsere beiden Söhne in einer lebenswerteren Umgebung auf­ wachsen als Schwedt sie bieten konnte.“ Als die Söhne dann zum Studium in die Welt zogen – „einer wird Arzt, der andere Lehrer“ – suchten Anke und Jens Kottke eine neue Herausforderung. Die fanden sie in der Herstellung und dem Vertrieb regionaler Lebensmittel. „Am Anfang war das Leinöl“, erzählt die ge­ lernte Bürokauffrau Anke Kottke, „wir hatten uns eine eigene Ölmühle zugelegt und uns mit der Materie beschäftigt. Das erste Öl boten wir dann auf einem Erntefest an, es war ein voller Erfolg.“ Die Gründung der Dahmequell Landprodukte war keine Fahrt ins Blaue mit ungewissem Ausgang. Bevor wir die erste Investition tätigten, haben wir uns viel umgesehen – zum Beispiel in der Bodenseeregion – um rauszukriegen, wie Leute arbeiten, die ähnliche Projekte auf die Beine gestellt haben. Wir wollten jedenfalls genau wissen, was bei einem solchen Vorhaben auf uns zukommt. Jens Kottke, Unternehmer Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Ehepaar kaufte das ehemalige Schönaer Schulzenhaus, richtete einen kleinen Hofladen ein und gründete 2015 die Manufaktur Dahmequell Landprodukte. Vier Jahre später machten Anke und Jens Kottke aus ihrem Hobby dann endgültig einen Beruf und sich als Lebensmittelproduzenten selbstständig. Dem klassischen Leinöl – kaltgepresst und zwölf Stunden de­ kantiert, damit sich grobe Schwebstoffe absetzen – folgte bald ihr Leinöl aus gerösteter Saat. „Unser absoluter Renner“, so Jens Kottke. Inzwischen gibt es auch Rapsöl aus gerösteter Saat, Walnuss- und Kürbiskernöl, ein halbes Dutzend Würz- und ebensoviele Kräuteröle, unter denen das Bärlauchöl bei den Juroren des pro-agro-Marketing­ preises im Frühjahr 2021 große Anerkennung fand. Wo Öl ist, sollte auch Essig nicht weit sein, sagten sich Anke und Jens Kottke und machten sich auf die Suche nach einem passenden Partner für ihre Premium-Öle. In einer Wustermärker Manufaktur wurden sie fündig. Inzwischen investierten die beiden rührigen Unter­ nehmer in einen eigenen Essigreaktor, ernteten die Früchte der Bäume einer uralten Mostbirnenallee in Kolpien, pressten sie zu Saft und ließen ihn zu Essig vergären. „Die ersten Geschmackstests sind viel­ versprechend“, so Jens Kottke.

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Brandenburg Kulinarische Exkursion

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• Kulinarische Exkursion Brandenburg

Um die Kernidee eines guten Geschäftsmodells vorzustellen, braucht

bis zu 40 Personen Platz für Feiern aller Art bietet; einen 135 Jahre

man nicht viele Worte. Im Fall der Dahmequell-Landprodukte-Gründer

alten Backofen, der aufwändig restauriert wurde und in dem die Kottkes

ist es der Satz „Wir sind angetreten, die Geschenke der Natur zu ver­

Landbrot und Bauernkuchen backen. „Und sonntags Brötchen für die

arbeiten.“ Jens Kottke fügt hinzu: „Es geht nie um Geplänkel, sondern

Schönaer und Kolpiener“, fügt er hinzu und vergisst auch nicht zu er­

immer um Geschmack!“

wähnen, dass – wenn es die Corona-Verordnungen erlauben – auch

Der Unternehmer, der gerne auch über ernährungsphysiologische

wieder Hoffeste, Grillabende und Mottopartys stattfinden werden.

Themen referiert, bezieht seine Bemerkung nicht nur auf die Produkte

„Abenteuer Vielfalt – Fernweh stillen, Brandenburg genießen“,

der eigenen Manufaktur, sondern auch auf die Kreationen anderer

lautet das pro-agro-Jahresmotto 2021. Vielleicht auch mit einem

regionaler Lebensmittelhersteller in den Regalen des Schönaer Hof­

Besuch in Schöna.

ladens. Da stehen Eierliköre von „Scharfes Gelb“ in Senftenberg, Obstbrände der Brennerei Kullmann in Reppininchen, Heidelbeerhonige

DAHMEQUELL LANDPRODUKTE

eines Hohenseefelder Wanderimkers und Gewächse des Jessener Weingutes Hanke. Anke Kottke: „Wir erweitern unser Sortiment schrittweise, allerdings nur mit Angeboten, die uns 100-prozentig überzeugen.“ Ihr Mann zeigt uns schließlich noch, was ihr Hof sonst so zu bieten hat: einen kleinen, liebevoll ausgestatteten Gastraum, der

96

Schöna 13 15936 Dahme / Mark OT Schöna Tel. 035346 – 72 039 www.dahmequelllandprodukte.de


JUBILÄUM 150 JAHRE

Brandenburg Kulinarische Exkursion

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• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb Wenn in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern die weißen 7,5-Tonnen-Kühltransporter mit dem Zeichen der Kirsche Hotels, Restaurants, Kantinen, Krankenhäuser und Kitas ansteuern, heißt es bei den Küchenchefs dort meist kurz und knapp: Fuhrmann kommt. Mit Dieter und Marcus Fuhrmann lenkte jahrelang eine Vater-SohnDoppelspitze die Geschicke des renommierten Fruchtgroßhandels mit Sitz auf dem Berliner Großmarkt an der Beusselstraße. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters im Mai 2020 trägt nun Marcus Fuhrmann die alleinige Verantwortung für das 1977 gegründete Unternehmen. Der 55-Jährige trat nach seinem BWL-Studium in Bochum und einem Intermezzo als Tennistrainer 1996 in die Firma seines Vaters ein, absolvierte eine Großhandelsausbildung und lernte die Besonderheiten des Geschäfts mit Obst, Gemüse, Kartoffeln und Kräutern von der Pike auf. Sein unternehmerisches Credo fasst er heute so zusammen: Zuverlässigkeit, unbedingte Serviceorientierung und ein ausgeprägtes Bewusstsein für Qualität. Dem fühlen sich auch die 28 „Fuhrmänner” verpflichtet, die ihre Kunden täglich mit rund 500 Produkten beliefern – von A wie Artischocke bis Z wie Zitronengras. Für unser Magazin stellt Marcus Fuhrmann seine „Früchtchen” vor. Marcus Fuhrmann.

Heute: Die Passionsfrucht

Fuhrmanns Früchtekorb DIE FRUCHT, DIE NACH SONNE SCHMECKT VON MARCUS FUHRMANN

Mit der Passionsfrucht verhält es sich wie mit etlichen anderen Exoten, etwa der Mangostane oder der Sapote. Äußerlich ist sie ein nichtssagendes Etwas, schrumpelig und von undefinier­ bar violett-brauner Farbe, ihr Innenleben allerdings glänzt mit strahlend gelb-orangem Fruchtfleisch, dessen delikates, süß-säuer­ liches Aroma viele Feinschmecker ins Schwärmen geraten lässt. Für mich jedenfalls zählt die Passions­ frucht zu den köstlichsten Tropenfrüchten der Welt, und ich bin mit meiner Meinung da nicht alleine. Spitzenköche wie der Bayer Christian Jürgens aus Rottach-Egern am Tegernsee oder Tim Raue aus Berlin (siehe auch Seite 100) teilen mit mir die Liebe zu Passiflora edulis, so der botanische Name der Pflanze aus der Familie der Passionsblumengewächse.

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Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken

Die eigentliche Heimat der lianenartigen Kletterpflanzen sind die

Passiflora edulis Sims f. Flavicarpa deg. – wie gesagt, das nur für

tropischen Regionen Mittel- und Südamerikas. Spanische Missionare

die absoluten Freaks.

entdeckten sie im brasilianischen Amazonasregenwald, wo sie be­

Passionsfrüchte werden heute weltweit kultiviert. Die gelbe Variante

sonders gut gedeihen. Die Jesuiten schätzten das intensiv-säuerliche

wächst vorzugsweise in den Tropen, die rote wird inzwischen in allen

Aroma ihrer Früchte und bewunderten die eigenwillige Blütenform. Die

subtropischen Regionen der Erde angebaut. Auf der Rangliste der

Geistlichen meinten, in der Anordnung der Kronen- und Staubblätter

Erzeugerländer steht Brasilien vor Ecuador, Kolumbien und Kenia.

sowie der Stempel der Blüte, die Zeichen der Passion Christi – das

Die Welt-Jahresproduktion liegt bei 700.000 Tonnen, verschiebt sich

Kreuz und die Dornenkrone – wiederzuerkennen und nannten sie

allerdings immer mehr zu Gunsten der roten Passionsfrucht.

deshalb Passionsblume – Passiflora.

Der Grund für diese Entwicklung: Während sich die Blüten der rote

Über 400 Passiflora-Arten sind bekannt, viele davon sind Wild­

Früchte tragenden Pflanzen selbst bestäuben, sind die Blüten der

formen mit größtenteils ungenießbaren Früchten. Die für den Verzehr

gelbfrüchtigen Ranken auf Fremdbestäubung angewiesen. Diese Rolle

ihrer Früchte geeigneten Arten erhielten deshalb den Zusatz „edulis“,

übernehmen so genannte Holzbienen, solitär lebende Insekten, deren

das bedeutet essbar. Die beiden für uns Fruchthändler wichtigsten

Körperbau der Blütenform angepasst ist. Der Klimawandel, fehlender

Arten sind die rote und die gelbe Passionsfrucht, letztere wird übrigens

Lebensraum durch großflächige Rodungen und der Pestizideinsatz

meist unter dem Namen Maracuja angeboten. Für die Botanik-Freaks

machen den Holzbienen jedoch das Leben schwer, ihre Population

habe ich hier noch die exakten wissenschaftlichen Bezeichnungen

verringert sich zunehmend. Einzige Alternative: Bestäubung durch

herausgesucht: Die kleinere und nicht ganz so saure rote Passions­

Menschenhand. Keine guten Aussichten, finde ich...

frucht heißt Passiflora edulis Sims f. Edulis, ihre gelbe Schwester

www.dieter-fuhrmann.de

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• Rubriken Fuhrmanns Früchtekorb

Christian Jürgens, Rottach-Egern.

Rezepte von Sterneköchen gibt es jede Menge – sowohl in den

und einer aufgeschnittenen Vanilleschote aufgekocht wurde, al dente

Kochbüchern der Stars als auch in diversen Zeitschriften. Allerdings

gegart. In einem zweiten Topf wird Puddingpulver mit kaltem Wasser

bedarf es allzu häufig ausgedehnter Einkaufstouren, um alle Zutaten

angerührt, aufgekocht und, wenn es gebunden ist, langsam in den

zu beschaffen, die ein einigermaßen authentisches Nachkochen

Nudeltopf eingerührt. Melonenscheiben und Rigatoni auf einem Teller

ermöglichen.

anrichten, das Mark von vier Passionsfrüchten darüber geben und das

Im Falle der Passionsfrucht haben zwei kulinarische Großmeister die Latte mal nicht auf Rekordhöhe gelegt, sodass eine Zubereitung am heimischen Herd mühelos möglich ist.

Ganze mit Limettenabrieb bestreuen. Tomatensalat „Marie“, die Kreation des Berliner 2-Sterne-Kochs Tim Raue, ist noch einen Zacken einfacher. Tomaten und rote Zwiebeln,

Rigatoni Dolce nennt der 3-Sterne-Koch Christian Jürgens seine

beides gewürfelt, werden mit Olivenöl und Passionsfruchtmark

süßen Nudeln mit Charentais-Melone und Passionsfrucht. Dafür

mariniert, mit Meersalz und Pfeffer gewürzt, auf geröstetem Sauer­

werden kurze Rigatoni in Milch, die zuvor mit Butter, Salz, Zucker

teigbrot angerichtet und mit Basilikum bestreut.

Tim Raue, Berlin.

100

(Die Originalrezepte wurden von der Garçon-Autorin, Köchin und Catering-Unternehmerin Sandra Schwarzwälder nachgekocht.)


Fuhrmanns Früchtekorb Rubriken

www.dieter-fuhrmann.de

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• Rubriken Berliner Marktnischen öffentlichen Verkaufsplätze für Butter, Eier, Honig, Käse, Korn und Wolle. Deren Zahl stieg mit der Zeit zunehmend, so gab es 1882 innerhalb der Stadtgrenzen 19 Wochenmärkte mit rund 10.500 Marktständen, die jedoch mit dem Bau der Markthallen wieder verschwanden. 1952, die meisten Markthallen waren zerstört, forderte der Regierende Bürger­ meister Ernst Reuter: „Vor’s Rathaus gehört ein Markt!“ Er meinte das Rathaus Schöneberg und beendete mit seinem Machtwort eine jahrelange Diskussion um den wichtigsten Wochenmarkt Berlins. Heute gibt es wieder rund 120 Wochen­-

Berlin-Wedding 1926: Der Toppmarkt.

märkte in Berlin – nicht nur vor Rathäu-

Wochenmärkte haben in Berlin eine lange

er genannt. Im benachbarten Berlin sind der

sern – die sich wachsender Beliebtheit er-

Tradition. Der erste urkundlich erwähnte

Molkenmarkt und der 1728 von Friedrich

freuen. Unter der Rubrik „Marktnischen“

Markt ist der Spandauer, bereits im Stadt-

Wilhelm I. per Kabinettsbeschluss ge­­

stellt GarÇon Händler vor, deren Offerten

gründungsdokument vom 7. März 1232 wird

schaffene Gendarmenmarkt die wichtigsten

auch eine weite Anreise wert sind.

Berliner Marktnischen ENTDECKUNGEN ZWISCHEN ARMINIUSHALLE UND MAYBACHUFER

Dass ich Natalia Stark und ihre polnischen Backwaren kennenlernte, verdanke ich – genau genommen – meinem Freund Uwe. „Immer wieder Akazienstraße, Preußenallee, Karl-August-, Kollwitz- oder Winterfeldtplatz“, krittelte er über unsere Rubrik Berliner Marktnischen, „sind das denn die einzigen Wochenmärkte in Berlin oder seid ihr nur Dieses Backwerk ist sicher nichts für die New-cool-Generation: ein unter-

zu borniert, um auch mal woanders nach

tassengroßer und daumendicker Hefeteigfladen, auf dem sich in Schmalz glasig

interessanten Offerten zu suchen?“

gedünstete Zwiebeln breitmachen, die dazu noch mit reichlich Mohn bestreut

Sind wir nicht, lieber Uwe, dieser Bericht

sind. Ja, das ist old school und ja, das ist kalorienreiche Oma-Küche. Trotzdem

ist der erste Beweis – und weitere werden

liebe ich diese Teile – allemal, wenn ich sie nicht selbst backen muss.

folgen, versprochen, denn wir sind tatsäch­

Jörg Teuscher.

lich auch abseits der prominenten Plätze auf den Geschmack gekommen.

102


Berliner Marktnischen Rubriken

Charmant und kenntnisreich: Die Markthändlerin Natalia Stark.

Viermal in der Woche muss Natalia Stark verdammt früh aufstehen.

Trainerin wollte sie einst werden, vielleicht auch Lehrerin. An der

Die 30-Jährige ist Markthändlerin, lebt in Szczecin und steuert ihren

Hochschule in Krakόw ging sie daran, diesen Traum zu erfüllen und

knallgelben Citroën Jumper immer dienstags nach Bernau, mittwochs

absolvierte ein Sportstudium. Aber wie das mit Träumen eben so

und freitags nach Berlin und samstags nach Greifswald – das sind

ist, manche erfüllen sich und manche platzen wie eine Seifenblase.

wöchentlich 1.100 Kilometer. An Bord hat sie polnische Backwaren:

Das letzte Wort hat immer die Realität. Und die sah bei der aus

Roggen-, Weizen- und Mischbrote, einige freigeschoben, andere in

Koszalin stammenden Natalia Stark alles andere als rosig aus. Dem

Form gebacken, etliche mit Kümmel oder Mohn gewürzt. Dazu viel

Verkäuferinnenjob in einem Sportgeschäft folgte der als Rettungs­

Hefegebäck – Hefehörnchen, Hefestückchen, Hefezöpfe.

schwimmerin in einer Hotelanlage, beides nicht eben das Gelbe vom

„Alle Produkte stammen aus der Pikarnia Pawłowski“, berichtet

Ei für eine diplomierte Hochschulabsolventin.

Natalia Stark in fließendem Deutsch, „dass ist eine kleine Bäckerei

„Ich beschloss, mich selbstständig zu machen“, fasst sie den sicher

in Szczecin, in der die Backtraditionen unserer Region wirklich noch

nicht einfachen Schritt in eine völlig fremde Branche zusammen. Über

hochgehalten werden.“ Sie zeigt auf ein Schild, das sie in die Auslage

die Zweifel, das Richtige zu tun, will sie heute nicht mehr reden. 2020

gestellt hat und lächelt. „Gesundes Brot ohne Geschmacksverstärker

gründete sie ihre Firma „Polskie Smakołyki“, das heißt polnische

und Konservierungsstoffe, ohne Emulgatoren, Regulatoren und

Leckerbissen und machte sich auf den Weg. Ihr Ziel: Wochenmärkte

Stabilisatoren“, heißt es da. Diese Begriffe gehen ihr dann doch nur

im benachbarten Deutschland. „Am besten solche, auf denen ich nicht

schwer über die Zunge, zumal sie das Bäckerhandwerk nicht gelernt hat.

die einzige Händlerin aus Polen bin.“ Die Rechnung ging auf.

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• Rubriken Berliner Marktnischen

Inzwischen stehen die Leute Schlange, wenn Natalia Stark am Freitag­ morgen an der Marzahner Promenade ihren Verkaufswagen neben Karl Hillerts Marzahnerbauer-Skulptur rangiert. Die grundsolide handwerkliche Qualität ihrer Backwaren hat sich offensichtlich herum­ gesprochen. Das intensive Kümmelbrot aus reinem Roggenmehl, das helle Stettiner Brot mit der rustikalen Mohnkruste und der dichten Krume und die buttrigen Hefezöpfe sind ebenso schnell verkauft wie die Zwiebelkuchen. Und auch die cremigen Kreationen der Stettiner Konditorei Cukiernia Domowa finden rasch ihre Liebhaber. Polnische Backwaren auf dem Wochenmarkt Marzahner Promenade 12679 Berlin-Marzahn Freitag, 8.00–15.00 Uhr (außerdem mittwochs auf dem Kaulsdorfer Cecilienplatz)

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Advertorial

SCHWARZES GOLD ROTE PERLEN LEMBERG – EINER DER FÜHRENDEN KAVIAR-PRODUZENTEN AUS BERLIN War Kaviar einst ein Privileg von Monarchen und Adligen, ist der zarte

und Keta erhält man zu moderaten Preisen. „In unserem Kulturkreis

Rogen heute für jedermann zugänglich und sogar erschwinglich. Wer

gehört Kaviar zu jeder Familienfeier“, erzählt Volny „aber auch die

hätte gedacht, dass sich die Produktionsstätte von Europas größtem

Berliner sind immer mehr an dieser Delikatessen interessiert.“ Er

Kaviarhändler in Berlin-Tempelhof befindet. Geschäftsführer Ruslan

empfiehlt die Störkaviarsorte Amur Royal, die sich durch großkörnige

Volny erklärt: „Wir haben Kaviar vom Keta-, Buckel-, Silber- und Rot­

und zartschalige Perlen mit schönem dunklen Glanz und zartem Aroma

lachs, von Lachsforelle, Dorsch und Hecht, Kaviar aus Pollack- und

auszeichnet. Und er ist eine sehr gute und preisgünstigere Alternative

Heringsrogen und natürlich verschiedene Sorten von Störkaviar in

zu dem immer rarer werdenden Beluga Kaviar.

unserem Sortiment.“ Zur Hauptsaison von November bis Januar

Eine weitere Ladenadresse – wo unter anderem auch das ganze

verlassen täglich bis zu 2000 Pakete nach ganz Europa die Firma

Lemberg-Kaviar-Sortiment zu fairen Herstellerpreisen angeboten

Lemberg. „Unser Online-Shop ist ja auch 24 Stunden erreichbar“, sagt

wird – gehört der Supermarkt LEDO in der Forckenbeckstrasse. Neben

der gebürtige Ukrainer, der seit 20 Jahren im Geschäft ist. Seine Lieb­

Kaviar gibt es frischen und geräucherten Fisch, ein großes Fleisch­

lingssorte ist der Gorbuscha-Lachskaviar, der vom bis zu 60 cm großen

sortiment, saisonales Obst und Gemüse und viele osteuropäische

Buckellachs stammt und in Alaskas Flüssen laicht. 250 Gramm der

Spezialitäten zu günstigen Preisen.

leuchtend orangenen Kaviarkörner, die ein herrlich mildes Aroma und

Zum Schluss, und um bei Ruslan Volnys Liebling dem Kaviar zu

eine zarte Schale haben, kosten 14,50 Euro. „Ich fliege jeden Sommer

bleiben, verrät der Chef noch seinen Verzehrtipp: „Kaviar sollte kalte

persönlich nach Alaska, überwache den Einkauf von Wildlachskaviar,

zwei Grad haben und wird mit einem Perlmutt-Löffel probiert. Wenn

prüfe die Qualität und es wird mit unseren verlässlichen Partnern

man die Kügelchen mit der Zunge am Gaumen zerdrückt, entfaltet

verhandelt“, betont Volny.

sich das Aroma am besten. Wir essen auch kleine Blinis und trinken

Im Berliner Ladengeschäft „Lemberg Feinkost“ am Olivaerplatz wird am meisten Lachskaviar verkauft. Die beliebtesten Sorten Lachsforelle

ein Glas Champagner dazu. Ich bevorzuge aber Wodka, am besten von Lemberg.“

LEMBERG FEINKOST, Olivaer Platz 8, 10707 Berlin, Tel. 030-889 136 50, www.lemberg-kaviar.de LEDO BERLIN, Forckenbeckstr. 1, 14199 Berlin, www.ledo-supermarkt.de

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• Rubriken Kulinarische Nachlese Rosenthaler Platzes, Deutschlands vermutlich größtes, auf jeden Fall aber Berlins einziges Kochbuchantiquariat. Rund 60.000 Titel aus zweieinhalb Jahrhunderten umfasst ihre Bibliotheca Culinaria. Neben bibliophilen Ausgaben, etwa von Auguste Escoffier, stehen büttengedruckte Originale, handgeschriebene Unikate, kulinarische Enzyklopädien, Magazine und Zeitschriften, Promikochbücher von Sophia Loren bis Vico Torriani, Kriegs- und Nachkriegskochbücher. „Das Stöbern in diesem Fundus ist für uns immer auch eine Art besonderer Geschichtsstunde“, sagen die Antiquare.

Johannes Mohr und Swen Kernemann-Mohr, v. re.

Nun stöbern Johannes Mohr und

„Trotz Internet und Fernsehküche – Koch­

Die beiden Männer zogen im Januar 2010

Swen Kernemann-Mohr sozusagen auch

bücher werden immer ein Kulturgut bleiben“,

aus dem Ruhrpott nach Berlin und betreiben

öffentlich. Für Garçon blättern sie in Koch-

davon sind Johannes Mohr und Swen

seitdem in einem restaurierten Altbau-

büchern aus vergangenen Zeiten und

Kernemann-Mohr überzeugt.

Souterrain in Berlin-Mitte, in der Nähe des

notieren, was sie dabei bewegt.

Kulinarische Nachlese IN ALTEN KOCHBÜCHERN GEBLÄTTERT VON JOHANNES MOHR UND SWEN KERNEMANN-MOHR

Es liegt mir auf der Zunge Der Fernsehkoch Clemens Wilmenrod Illustrationen von Gisela Grieger Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1954 5. Auflage 37.– 46. Tausend Umschlaggestaltung H. H. Hagedorn, Hamburg 144 Seiten Preis (antiquarisch): 38,00 Euro

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Kulinarische Nachlese Rubriken

sondern Carl Clemens Hahn ( Wilmenrod im schönen Westerwald war sein Geburtsort), und er war kein Koch, sondern ein mittelloser Schauspieler mit mäßigem Erfolg. Das Konzept für die Kochsendung ersann er gemeinsam mit seiner Frau Erika, einer Metzgerstochter aus Wiesbaden. Sie war es auch, die dem blutigen Anfänger die wichtigsten Handgriffe beibrachte, die er für die Sendung brauchte. Beide stellten ihr Projekt dem damaligen NWDR-Intendanten Adolf Grimme vor, der hatte offensichtlich einen guten Riecher für erfolgversprechende Exposés – und gab grünes Licht. NWDR-Fernsehkoch Clemens Wilmenrod im Hamburger TV-Kochstudio.

Grimmes Entscheidung erwies sich als goldrichtig. „Bitte, in zehn Minuten zu Tisch“ avancierte schnell zur beliebtesten Fernsehsendung der Deutschen. Zuschauerzahlen von bis zu drei Millionen entsprachen zur damaligen Zeit Einschaltquoten von 50 bis 80 Prozent. Das lag vor allem daran, dass Koch-Darsteller Wilmenrod perfekt sowohl auf der Fress- als auch auf der Reisewelle der 1950er Jahre surfte und unserer Elterngeneration vor Augen führte, dass sie wieder wer sei. Leute mit Geschmack und „Was-kostet-die-Welt-Flavour“. Irgendwo lasen wir im Zusammenhang mit dem Phänomen der Gastronomisierung deutscher TV-Kanäle und dem damit verbundenen massenhaften Auftritt von televisionären Herdarbeitern mal den

Wir beide sind Jahrgang 1956 bzw. 1963, haben also auf Grund später

Satz, dass man fürs Fernsehen weder kompetent noch originell, nur

Geburt ein revolutionäres Ereignis der deutschen Fernsehgeschichte

penetrant genug sein müsse. Sicher eine böse Formulierung, aber

verpasst und können es nur mit Hilfe unserer Bücher und des Inter­

auf Clemens Wilmenrod, den „Felix Krull des Fernsehkochens“, traf sie ohne jede Einschränkung zu. Er jazzte Banalrezepte (Arabisches

nets rekapitulieren. Es geschah am 20. Februar 1953, einem Freitag. Um 21.30 Uhr,

Reiterfleisch oder Gefüllte Erdbeere) zu kulinarischen Außergewöhn­

zur besten Sendezeit, begrüßte aus einem deckenhoch gefliesten

lichkeiten hoch; entdeckte, wie lukrativ Schleichwerbung sein kann

Studio des Nordwestdeutschen Rundfunks auf dem Hamburger

und wie man Popularität sonst noch zu Geld machen kann.. .

Heiligengeistfeld ein Mann die Zuschauer. Markenzeichen: schwarzes Menjoubärtchen, knappe Latzschürze, schmieriger Hausfrauenver­ führerblick. „Ihr lieben goldigen Menschen“, säuselte er und kochte in den folgenden fünfzehn Minuten live und in schwarz-weiß ein italienisches Omelett und Kalbsniere mit Mischgemüse aus der Dose. Dazu gab es Fruchtsaft im Glas, danach türkischen Mokka. Wer damals vor dem Fernsehapparat saß, hatte die Geburtsstunde des deutschen TV-Kochens erlebt (die Sendung konnte übrigens auch in Berlin empfangen werden, denn der NWDR versorgte von 1946 bis 1954 die Stadt mit seinem Programm, der Sender Freies Berlin ging erst am 1. Juni 1954 an den Start). Und den ersten deutschen Fernsehkoch. Übrigens: Weder sein Name noch sein Beruf waren echt. Er hieß nicht Clemens Wilmenrod,

Immer dabei: Der Infrarotgrill „Heinzelmann“.

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• Rubriken Kulinarische Nachlese

DFF-Fernsehkoch Kurt Drummer im Adlershofer TV-Kochstudio.

Übrigens: Auch die DDR hatte ihren Fernsehkoch, dessen Bücher

Seine Bücher waren Bückware und sind sogar heute noch gefragt –

in unserem Kochbuchantiquariat zum Standardsortiment gehören. Kurt Drummer (1928-2000) stammte aus dem erzgebirgischen

allerdings, so unsere Vermutung – weniger aus Gründen kulinarischer

Gornsdorf – Kochlehre in Chemnitz, Küchenmeister, Karriere im

DDR, die häufig als „Wechselbad zwischen Verzicht und Völlerei“

Weimarer „Elephant“, im „Erfurter Hof“ und im Karl-Marx-Städter Carola

beschrieben wird.

Nostalgie, sondern eher aus Neugier auf die deutsche Küche der

Hotel. Am 5. August 1958 – zwei Jahre nach dem Start des regulären

Vor allem Drummers 1963 erschienenes „Fernsehkochbuch“

DDR-Fernsehprogramms – stand er zum ersten Mal vor der Kamera:

gibt tiefe Einblicke in die Versorgungslage im Land der begrenzten

Kurt Drummer, die ostdeutsche Antwort auf Clemens Wilmenrod.

Möglichkeiten zu jener Zeit. Statt Butter empfiehlt Kurt Drummer zum

Der stets standesgemäß gekleidete Sachse wirkte zwar – so

Backen und Braten Margarine – wechselweise die Sorten Marina,

jedenfalls Leute, die ihn live erlebten – im Vergleich zu seinem west­

Sonja, Sahna und Vita und statt Sojasauce BINO-Würze aus Bitter­

deutschen Pendant ziemlich dröge, aber Drummer kam an bei den

feld-Nord. Und wenn die Würze trotzdem fehlte, setzte Drummer

Zuschauern zwischen Plauen und Saßnitz. Der TV-Liebling produzierte

eben auf Glutal …

insgesamt 650 Folgen von „Der Fernsehkoch empfiehlt“, in denen er

Dennoch sind wir der Meinung, dass viele der Regionalrezepte etwa

über 2.000 Gerichte zubereitete, wurde mit dem Goldenen Lorbeer des DFF ausgezeichnet (s. Bild unten Mi.) und stieg 1965 sogar zum

aus seinem Buch „Von Apfelkartoffeln bis Zwiebelkuchen“(1982) auch

Chefkoch der DDR-Vereinigung Interhotel auf.

www.bibliotheca-culinaria.de

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heute noch durchaus ihre Berechtigung haben.


Kulinarische Nachlese Rubriken

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GARÇON-QUIZ

IMPRESSUM VERLAG UND REDAKTION Bild Art Media Verlag Inh. Yvonne Weinlich Marzahner Promenade 26 12679 Berlin Fon 030 – 28 86 79 70 Fax 030 – 28 86 79 69 info@bildart-verlag.de www.garcon24.de | facebook.de/garcon24 HERAUSGEBERIN Yvonne Weinlich ( V.i.S.d.P.) REDAKTION Petra Leonhardt (Leitung) Hans-Jürgen Bergs, Heiko Gralki, Marc Steyer, Wolf-Dietrich Strobel, Henning Tietze Stefanie Hartmann, Jessica Kynast (Praktikantinnen) AUTOREN UND KOLUMNISTEN Uwe Ahrens, Anaïs Causse, Hans ­Diener, Stephan Falke, ­Marcus F­ uhrmann, Swen Kernemann-Mohr, Shoko Kono, Dagmar Maas, Johannes Mohr, Rafael Neitzsch, Sandra Schwarzwälder, Jörg Teuscher, Thorsten Tonski GRAFIK UND LAYOUT Diana Putzu (diana.putzu@freenet.de) Hannes Schulze (hannes@nur-mut.com) TITELBILD Marie Geißler www.mariegeissler.de

Der Spritzkuchen ist ein mit Hilfe eines Spritzbeutels mit Sterntülle ringförmig auf

Wir wollen wissen, wo die lebensgroße Statue des Spritzkuchenjungen (siehe Bild

Pergamentpapier gespritztes und in Fett

oben) steht:

schwimmend ausgebackenes Brandteig­ gebäck, das abschließend mit Puderzucker bestäubt oder auf der Oberseite mit Fondant glasiert wird. So jedenfalls formuliert es ein Hand­ buch zur Gesellen- und Meisterprüfung im Bäckerhandwerk, das auch nicht vergisst, den Erfinder dieser beliebten süßen Kreation zu erwähnen. Der Berliner Konditor Gustav Louis Zietemann soll demnach 1832 erstmals Spritzkuchen gebacken haben. Das ent­ spricht zwar nicht den historischen

A in Eberswalde? B in Fürstenwalde? C in Mittenwalde? Ihre Antwort bitte an: Bildart Media Verlag Redaktion GARÇON 12679 Berlin E-Mail: info@bildart-verlag.de Die Gewinne, drei wertvolle Kochbücher, werden

Nürnberg erschienenen Werk „Der wohl­

unter den Teilnehmern verlost, die die Frage richtig

veröffentlicht – dennoch wurde Meister Zietemann am Ort seines Wirkens ein Denkmal gesetzt.

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ANZEIGEN Yvonne Weinlich, Heiko Gralki, Henriette Jüngel anzeigen@bildart-verlag.de

Marzahner Promenade 26

Tatsachen – bereits 1713 wurde in dem in bestehende Bäcker“ ein Spritzkuchenrezept

FOTOS UND ILLUSTRATIONEN Heiko Gralki, Jörg Teuscher, Archiv Garçon, Haferkater GmbH (1/S.4 u., 4/S.58), PALMEN­ MANN (1/S.5 u.), Annette Zeller privat (6/S.8 und 9), Sylvia Koreng privat ( 7/S.32), Spree­ waldverein e.V. Lübben (1/S.41), Nihon Mono Dagmar Maas (1/S.42 o., 1/S.43), Sugimoto Co., Ltd. (1/S.44 o., 2/S.45), Universität Hohenheim/Steffen Hoeft (1/S.50 o.), Uni­ versität Hohenheim/Agron Beqiri (4/S.50 u., S.51 u.), SARL Marc Peyrey (2/S.55), James Ross, Carrbridge (3/S.56), Wolfgang Mock GmbH (2/S.61), Fischerei Schröder privat (1/S.89 o.), Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (3/S.91), Norddeutscher Rundfunk (3/S.107 ).

beantwortet haben. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Einsendeschluss: 26. September 2021. Die Gewinne werden per Post zugesandt.

DRUCK www.pingoprint.de Zu beziehen im Zeitschriftenhandel oder im Abon­nement. Einzelheftbestellung: Jedes Heft kostet 6,00 Euro, zuzüglich 1,55 Euro Versand­ kosten pro Sendung. Bezahlung nach Erhalt der Rechnung oder im Lastschrifteinzugsverfahren. Alle Beiträge und Abbildungen sind urheber­ rechtlich geschützt. Jede Verwertung bedarf der Zustimmung des Ver­lages. Aufnahme in On­ line-Dienste, Internet und Ver­vielfältigung auf Datenträgern nur nach schriftlicher Bestätigung des Verlages.


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Articles inside

Kulinarische Nachlese

5min
pages 106-109

Berliner Marktnischen

6min
pages 102-105

Unterwegs in Brandenburg

21min
pages 77-97

Fuhrmanns Früchtekorb

4min
pages 98-101

Wie geht’s eigentlich...?

9min
pages 68-76

Jenny von Düsterlho

2min
pages 65-67

Kostproben

2min
pages 62-64

Mehl selber mahlen?

2min
page 61

Anaïs Causse empfiehlt

2min
pages 54-55

Porridge

4min
pages 56-60

Buchweizen

8min
pages 47-53

Trattoria Paparazzi

3min
pages 26-29

Berliner Teller

6min
pages 20-25

NIHON MONO

5min
pages 42-45

Was bietet der Spreewald kulinarisch?

3min
pages 40-41

Neues Buch: Magic Fermentation

2min
page 46
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