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Wie geht’s eigentlich...?

Als das 3 Minutes sur Mer Ende 2011 an den Start ging, ließen wir es erstmal links liegen – zu budikig, zu trubelig. Und: Was sollte ein gänzlich unbekannter Küchenchef in der MiniKüche eines ehemaligen Dönergrills schon zu bieten haben?

Irgendwann landeten wir dann doch mal in der winzigen Stube – und staunten nicht schlecht über das kulinarische Niveau im lockeren Ambiente.

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Christoph Hauser, den jungen Chef am Herd, bekamen wir zwar damals nicht zu Gesicht, aber seine Gerichte straften unsere Vorurteile. Bestens in Erinnerung: Hausers hitverdächtige GurkenGinKutteln mit Joghurt und Estragon.

chRistOph haUseR

KinDheit UnD schUle Geboren am 21. Mai 1985 in Hechingen Aufgewachsen in Hechingen, Realschulabschluss

aUsBilDUnG Kochlehre im Gasthof Lamm, Hechingen-Stein

BeRUFliche statiOnen Hotel Falkenstein Grand Kempinski, Königstein / Taunus Vigilius Mountain Resort, San Vigilio / Südtirol Villa Rothschild Kempinski, Königstein / Taunus Rutz, Berlin-Mitte 3 Minutes sur Mer, Berlin-Mitte Herz & Niere, Berlin-Kreuzberg

heUte tätiG

Gründer und Geschäftsführer Weck die Heimat UG, Berlin-Kreuzberg. Zwei Jahre später, im Mai 2014, lernten wir den damals 29Jährigen dann persönlich kennen. Der gebürtige BadenWürttemberger eröffnete gemeinsam mit seinem Landsmann Michael Köhle, ehemals Chefsommelier im Sternerestaurant Hugos, in der Kreuzberger Fichtestraße das „Herz & Niere˝.

Was der Name versprach, hielt Hausers Küche: Es gab – täglich wechselnd – Innereiengerichte, ein Novum in Berlin! Mal Lammleber auf gelben Linsen im SüßSauerSud, mal Nierchen in Rotweinsauce, mal medium gebratenes Herz mit geröstetem Blumenkohl. Für einen Teil der Gäste waren das völlig neue, für einen anderen Teil lange vermisste Geschmackserlebnisse.

Der Rest, der seinem InnereienTabu treu bleiben wollte, konnte zwischen Ostseedorsch im Bohnensud, pochiertem Hirschtafelspitz, gebackenem Kalbskopf mit Roter Bete oder Hausers legendärem Ochsenmaulsalat mit Radieschen und etlichen anderen Kreationen ohne sogenannte Schlachtnebenprodukte wählen.

Der Gault & Millau moserte zwar über „die eher bodenständige und deftige als elegante kulinarische Abstimmung“, aber genau das empfanden viele Gäste als besonders sympathisch.

Bereits das erste Jahr, das wahrscheinlich schwierigste nach einer Restauranteröffnung, wurde ein voller Erfolg. Dementsprechend wurde das Einjährige gefeiert – Big Party in der Fichtestraße, auf der auch unser Foto auf Seite 68 entstand – Christoph Hauser, links, mit seinem KüchenchefKollegen Matthias Gleiß vom Restaurant VOLT. Doch bei so viel Sonnenschein blieb es nicht. In den folgenden Jahren suchten dreimal Einbrecher das Herz & Niere heim, 2019 stoppte ein Wasserschaden wochenlang den Restaurantbetrieb, es folgte eine Havarie, die zur Folge hatte, dass im Haus sämtliche Abwasserrohre erneuert werden mussten – wieder ewig kein Geschäft. „Das alles hat mürbe gemacht“, sagt Christoph Hauser, „umso mehr, wenn du kaum Freizeit hast.“ Im Herbst 2020 entschloss er sich nach langem Überlegen, das Herz & Niere zu verlassen. Er gründete die Lebensmittelmanufaktur „Weck die Heimat“ und zog Anfang Januar 2021 in einen kulinarischen CoWorking Space in der alten Schöneberger Malzfabrik. Als wir ihn dort im Mai besuchen, wirkt er entspannt und ist es wohl auch. „Schön wäre es, wenn Ihr meine Mitstreiter hier erwähnen würdet“, bittet er. Gerne doch, Christoph Hauser.

ein Ort, drei projekte, vier Genussarbeiter: christoph hauser (Weck die heimat), sara Gretzer und sophie aschenborn (Gretzer cooking lounge) und Julian Ronnefeldt (the Kulcha Box), v. li.

Normalerweise herrscht in der hallenartigen Profiküche planvolle Betriebsamkeit, aber heute wird ausnahmsweise zwischendurch mal angestoßen. Mit RheingauRiesling auf 5.000 WeckdieHeimatGläser. Aber der Reihe nach.

Die Idee, Traditionsgerichte zu kochen, einzuwecken und Leuten zu verkaufen, die zwischen Detox Smoothies und Quinoa Bowls auch mal Bock auf Omas Signature Dish haben, kam Christoph Hauser schon vor sieben Jahren, noch im Herz & Niere. Er köchelte das Projekt auf kleiner Flamme und merkte schnell, dass da mehr möglich sei. Nach der Entscheidung, das Kreuzberger Restaurant zu verlassen, war es dann deshalb auch keine Frage, was er tun würde – Weck die Heimat passte in die von Ausgangs und Einkaufseinschränkungen betroffene Welt und natürlich auch in die Zeit.

Der umtriebige Berliner Gastronom Jonathan Kartenberg nahm Anfang Januar 2021 die ersten HauserKreationen in das Angebot seines OnlineShops www.thegoodtaste.de auf, weitere Kunden

inhaber christoph hauser.

folgten, Christoph Hauser hatte gut zu tun. Hühnerfrikassee, Königsberger Klopse, Coq au Vin, Linsenragout, Potthast, Rahmgoulasch, Sauerbraten, Tafelspitz und einige andere Traditionsgerichte kamen in einer Qualität ins Glas, die über jeden Zweifel erhaben war. „Kein Chichi, keine Geschmacksverstärker, keine Konservierungsstoffe, kein Mist“, so annoncierte der WeckdieHeimatChef seine Offerten im Internet. Für mehr Werbung hatte Hauser keine Zeit – eine treue FanGemeinde fand sich trotzdem.

Und so verwunderte es nicht, dass der NeuUnternehmer am 15. April 2021 das 5.000. Weck-die-Heimat-Glas ausliefern konnte – 5.000 Gläser in dreieinhalb Monaten, darauf kann man schon mal anstoßen. Prost, Christoph, auf die nächsten 5.000!

Und vor lauter Freude über den erhofften, aber nicht erwarteten Erfolg, startete er im Mai gleich noch eine Rabattaktion. „Vier Wochen lang gab es alle Gläser einen Euro günstiger und zudem eine 200EuroSpende und 120 Gläser gratis für die Berliner AidsHilfe.“

Inzwischen ist Christofer Radic gekommen, Inhaber des Wild und Weinhandels PRACHT am S-Bahnhof Schlachtensee und – Jäger. Gemeinsam schleppen er und Hauser zwei blaue Plastiksäcke in die Produktionsküche, darin zwei Wildschweine, die Radic erlegt hat.

Der Küchenchef wird sie noch heute zerlegen und WildschweinBolognese kochen, vielleicht auch noch einen WildschweinCurryEintopf und ein bisschen WildschweinRilette. Übrig lassen wird er von den Tieren nicht viel, denn Christoph Hauser bleibt auch bei seiner neuen Unternehmung den alten Prinzipien treu. „From nose to tail, das galt in der Restaurantküche und das gilt auch im WeckStudio“, sagt er, „weshalb sollte ich meine Grundsätze ändern, nur weil ich nicht mehr unter der Augen von Gästen koche?“

WecK Die heiMat

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0173 – 296 26 94 www.hauserkocht.berlin

Die eigentliche Hausherrin im Schöneberger CoWorking Space ist Sara Gretzer, 46-jährige Inhaberin und Geschäftsführerin der Gretzer Cooking Lounge, die allerdings mehr eine Baking Lounge ist. „Just bake“, sagte sich die gelernte Krankenschwester vor nunmehr elf Jahren, machte ihr Hobby zum neuen Beruf, gründete eine eigene Firma und beschäftigt inzwischen sieben Mitarbeiter. An der Spitze Sophie Aschenborn, 33-jährige Berlinerin und Konditormeisterin. „Wir beliefern Cafés, Bistros, Restaurants und andere Gastronomien, die weder das Personal noch das Knowhow oder die technischen Möglichkeiten dafür haben, mit feinen Backwaren“, beschreibt Sara Gretzer den Gegenstand ihres Geschäfts. Dabei geht es weniger um schwere Fett- und Kohlenhydratebomben – mit Sicherheit könnte die Gretzer-Crew auch das – sondern um kleine Köstlichkeiten aus lockeren Teigen, leichten Cremes und frischen Früchten, zuckerreduziert und in vielen Fällen glutenfrei oder vegan.

inhaberin sara Gretzer.

Meister Bernhard Lamprecht, einst der liebe Gott der Konditorenzunft, veröffentlichte 1950 ein Buch, das für viele Konditorgenerationen zum Standardwerk wurde: „Das Gebot der Leckerheit“. Darin proklamierte er die Einheit von Materialschönheit, Materialeinheit und Materialgebundenheit. Ob Sara Gretzer und Sophie Aschenborn Lamprechts KonditorenBibel kennen, wissen wir nicht. Dass sie nach deren Grundsätzen arbeiten, sieht man jedoch.

Da gibt es AprikosenLavendelTartes, BlaubeerTartes, HimbeerPekannussTartes, Brownies und Cookies, BananaLoaf und LemonLoaf, Carrot Cake und NewYorkCheesecake, ApfelKeksTorte und Erdbeer-Mascarpone-Torte, Gugelhupf und Zupfliesel und ein gutes Dutzend weiterer Konditor-Kreationen … „Natürlich ist dieses Angebot nicht für alle Ewigkeit festgezurrt“, so Konditormeisterin Sophie Aschenborn, „wir entwickeln regelmäßig auch neue Offerten, derzeit beispielsweise einen versunkenen Apfelund einen ebensolchen Kirschkuchen.“

Konditormeisterin sophie aschenborn.

Und dann zeigt uns die Meisterin, die ihr Handwerk übrigens in der Berliner Traditionskonditorei Rabien gelernt hat, noch ihren – wie sie es nennt – „Absolut-Klassiker“. Kalter Hund! Die Kalorienbombe der Nachkriegszeit! So recht glauben können wir die Renaissance des OmaBackwerks aus Keks, Kokosfett, Kakao und Zucker nicht, aber Sophie Aschenborn betont: „Nachdem der Klassiker fast in Vergessenheit geraten war, läuft er jetzt in vielen Berliner Cafés wie geschmiert.“ Tatsächlich, elf (!) der kastenförmigen Exemplare muss Sara Gretzer heute noch ausliefern.

GRetZeR cOOKinG lOUnGe

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0178 – 663 42 81 www.cookingloungeberlin.de

Dritter im Bunde im CoWorking Space ist Julian Ronnefeldt. Natürlich ist der Mann auch kulinarisch unterwegs, allerdings sind Kochen, Braten oder Backen nicht so sehr seine Sachen – Ronnefeldt produziert Kombucha und das in einer Qualität, die viele andere Getränke gleichen Namens locker in den Schatten stellt.

Ronnefeldt, 51 und gebürtiger Münchener, ist eigentlich Fotograf von Beruf und war auch in dieser Branche ziemlich erfolgreich. Er lebte elf Jahre in London, kam 2006 nach Berlin, arbeitete in einer Galerie, war Barkeeper und Nachtschwärmer.

Während eines Indientrips entdeckte er Kombucha. „An einem Strand im südwestindischen Bundesstaat Karnataka probierte ich das spritzige Erfrischungsgetränk zum ersten Mal und war sofort begeistert.“ Und zwar dermaßen, dass er beschloss, nach seiner Rückkehr selbst Kombucha herzustellen. Vor nunmehr vier Jahren ließ er der Idee die Tat folgen. Ronnefeldt beschäftigte sich intensiv mit Teesorten und Fermentationsprozessen, investierte in Anlagen und

inhaber Julian Ronnefeldt.

Gerätschaften, gründete The Kulcha Box und zog in die Bessemerstraße nach Schöneberg.

Seine Manufaktur wirkt ein bisschen wie ein Mittelding zwischen Apotheke und Chemielabor. Überall in dem weiß gekachelten, klinisch reinen Raum stehen Rund und Erlenmeyerkolben, Pipetten und Büretten, Mikroskope und diverse Messgeräte. Dazu ein MiniReaktor und etliche weitere edelstählerne Apparaturen. Der Laie staunt, der Profi erklärt: „Kombucha wird aus gesüßtem Schwarz oder Grüntee hergestellt, der mit Hilfe eines KombuchaPilzes fermentiert wird. Dieser so genannte Scoby – das Kürzel steht für Symbiotic Culture of Bacteria and Yeast – ist eine Lebensgemeinschaft aus Bakterien und Hefen, mit deren Hilfe ein ziemlich komplexer Umwandlungsprozess von Zucker und Alkohol abläuft, an dessen Ende dann eben Kombucha steht.“

Julian Ronnefeldt hat die klassische Zubereitung mit der Zeit immer weiter verfeinert, frische Früchte und Gewürze eingesetzt, die seine

Versionen des probiotischen Superdrinks so unverwechselbar machen. „Außerdem“, so der Geschäftsführer von The Kulcha Box, „verzichten wir auf die bei industriellen Produkten übliche Filtration. Dadurch behält unser Kombucha seine Seele.“

Was er damit meint, lässt Ronnefeldt offen. Das erfrischende Getränk war eben schon immer geheimnisumwittert – kein Wunder bei seiner jahrtausendealten Geschichte, die bis ins alte China zurückreicht, wo Kombucha als Mittel zur Unsterblichkeit galt. „Das ist natürlich zu viel des Guten“, grinst der Berliner Produzent, „aber es ist eben nicht nur ein Durstlöscher.“ Er verweist auf den VitaminCGehalt des moussierenden Teegetränks, auf eine Reihe von BVitaminen und antioxidativen Polyphenolen.

the KUlcha BOX

Bessemerstraße 16 12103 Berlin-Schöneberg Tel. 0176 – 78 11 53 32 www.thekulchaboxstore.com