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Unterwegs in Brandenburg

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Wer in der Mark reisen will, der muß zu-

nächst liebe zu land und leuten mitbringen, mindestens keine Voreingenommenheit. er muß den guten Willen haben, das Gute gut zu finden, anstatt es durch krittliche Vergleiche totzumachen. Der Reisende in der Mark muß sich

ferner mit einer feineren art von natur- und

landschaftssinn ausgerüstet fühlen. es gibt gröbliche augen, die gleich einen Gletscher oder Meeressturm verlangen, um befriedigt zu sein. Diese mögen zu hause bleiben. Fläming

Dahme-Seenland

Spreewald

Unterwegs in Brandenburg GOTTSDORF – STRODEHNE – SCHÖNA VOn anaÏs caUsse, thORsten tOnsKi UnD JÖRG teUscheR

es ist mit der märkischen natur wie mit manchen

Frauen. ‚auch die häßlichste‘ — sagt das sprichwort — ‚hat immer noch sieben schönheiten!‘

Ganz so ist es mit dem lande zwischen Oder

und elbe; wenige punkte sind so arm, daß sie nicht auch ihre sieben schönheiten hätten. Man

muß sie nur zu finden verstehen. Wer das Auge dafür hat, der wag es und reise.

Theodor Fontane

Wanderungen durch die Mark Brandenburg Die Grafschaft Ruppin Vorwort zur zweiten Auflage, Berlin 1864

Lausitzer Seenland

Elbe-Elster-Land

Wenn nicht gerade eine Pandemie herrscht, sind wir Mitarbeiter von Maître Philippe viel unterwegs: Lieferantenbesuche in Frankreich, Foodfestivals in Italien, Weinmessen in Portugal. Damit wir am Ende die Bretagne, das Piemont oder die Algarve nicht besser kennen als das Havelland oder die Uckermark, unternehmen wir auch regelmäßig Ausflüge ins Berliner Umland und informieren uns darüber, was regionale Lebensmittelproduzenten dort auf der Pfanne haben. Bei einem dieser Trips in vorpandemischer Zeit entdeckte ich die Obermühle Gottsdorf, eine uralte Wassermühle, die immer noch in Betrieb ist.

anaïs causse, Garçon-autorin, Berlin

Gottsdorf, 140 Einwohner, liegt abseits der großen Straßen ein paar Kilometer nordwestlich von Luckenwalde und ist einer von 23 (!) Ortsteilen der Gemeinde NutheUrstromtal im Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming. In den einschlägigen Wander- und Reiseführern findet das Dörfchen keine Beachtung, nicht mal der aktuelle Ausflugsguide des Tourismusverbandes Fläming 2021 / 2022 würdigt Gottsdorf auch nur eines Wortes. Und so bleibt ein Ort unerwähnt, der genau das nicht verdient hat – die Gottsdorfer Obermühle. Die unter Denkmalschutz stehende Wassermühle wurde 1285 errichtet und klappert heute noch genauso zuverlässig wie vor 736 Jahren – das dürfte zumindest im Land Brandenburg einzigartig sein.

Zwei Generationen Müllermeister: Martin Röthel und Markus Röthel, v. li.

Obwohl die meisten Anlagen und Geräte in unserer Mühle sozusagen den Methusalem-Stempel tragen, also wirklich schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben, sind wir kein Mühlenmuseum mit Eintritt, täglichen Öffnungszeiten, regelmäßigen Führungen und sonstigem Pipapo, sondern ein produzierender Betrieb. Ein technisches Denkmal ja, aber eins, in dem täglich Getreide zu Mehl vermahlen wird.

Markus Röthel, Müllermeister

Wer über die Geschichte der Wassermühle recherchiert, landet erstmal bei den alten Griechen, die im 2. Jahrhundert v. Chr. nicht nur den Erdumfang annähernd richtig berechneten, sondern auch auf technischem Gebiet bahnbrechende Erfindungen machten – etwa die Drehbank oder eben die Wassermühle.

Karl Marx zitiert in seinem Werk „Das Kapital“ in diesem Zusammenhang den griechischen Dichter Antipatros von Sidon, der die Erfindung der Wassermühle zum Mahlen von Getreide als „Elementarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin der Sklavinnen und Herstellerin eines goldenen Zeitalters“ feierte.

Soviel Überschwang hatte einen guten Grund. Die ersten primitiven Wassermühlen, die noch ohne Getriebe arbeiteten, schafften dennoch das Vierfache der Leistung der bis dahin üblichen Handmühlen, statt zwei also acht bis zwölf Kilogramm Getreide pro Stunde.

Bis diese Nachricht die Mark Brandenburg erreichte, dauerte es dann noch ein paar Jahrhunderte. An den rauschenden Bächen des Landes klapperten Mühlen erst zu Zeiten der Askanier, also im 11. und 12. Jahrhundert. Albrecht der Bär und seine Nachfolger waren moderner Technik gegenüber aufgeschlossen und holten Siedler etwa aus Flandern ins Land (daher auch der Name Fläming), die davon was

verstanden. Sie führten die Dreifelderwirtschaft und den Eisenpflug ein und bauten die ersten Wassermühlen. Auf ihr Konto dürfte auch die Gottsdorfer Obermühle gehen, die 1285 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Vieles von dem, was dann in und mit der Mühle geschah, verliert sich allerdings im Dunkel der Geschichte.

Licht wird erst wieder im 19. Jahrhundert. Marcus Röthel, „Baujahr 71 und Müllermeister in vierter Generation“, erzählt: „Das Mühlengebäude und das Wohnhaus daneben entstanden 1879. Im Jahr 1904 hat mein Urgroßvater das Anwesen gekauft und die Mühle betrieben, ihm folgten mein Großvater und Anfang der 1950er mein Vater.“

Martin Röthel, inzwischen 85 und seit über sechzig Jahren Müllermeister, zeigt uns sein Reich, das sich über drei Etagen erstreckt. Überall surrende Transmissionen, die dafür sorgen, dass Plansichter, Steinausleser und Walzenstühle ihre Arbeit tun können. Faszination der Mechanik und für den Müller die Logik seines Handwerks. Alles hat seinen Platz und seinen Sinn, damit aus Getreide Mehl wird.

Marcus Röthel führt uns in eine Grotte hinter dem Haus. Das Wasserrad, Durchmesser 3,60 Meter, 40 Schaufeln, Höchstleistung 10 PS. „Das ist die Kraft, die alles schafft“, sagt er.

Markus Röthel und seine töchter Melina und Miriam, v. li.

Natürlich bin ich stolz, dass meine Töchter die Familientradition fortsetzen wollen. Sicher, es kann natürlich alles noch ganz anders kommen, aber Melina spricht schon lange davon, dass sie Landwirtin werden will, und auch Miriams Wunsch, Müllerin zu werden, ist nicht ganz neu.

Markus Röthel, Müllermeister

„In der Vergangenheit war es immer so, dass sich Müllersfamilien selbst versorgen mussten, weshalb zu den meisten Mühlen stets ein Bauernhof gehörte, auch hier in Gottsdorf“, erzählt Marcus Röthel.

Der 50Jährige ist ein moderner Müllermeister, marketingerfahren und kräftig in den sozialen Netzwerken unterwegs, der sicher auch ohne Ackerbau und Viehzucht von seinem Job leben könnte. Dennoch bleibt er der Tradition treu, allerdings auf ganz besondere Weise. Marcus Röthel züchtet Welsh Black.

Die in Deutschland seltenen Fleischrinder stammen aus Wales und haben sich in vielen Jahrhunderten dem rauen Klima und der kargen Landschaft im Südwesten Großbritanniens bestens angepasst. „Anpassungsfähigkeit, Robustheit, Langlebigkeit und bis zu zwanzig Kälber pro Kuh“, zählt Marcus Röthel die wichtigsten Rassemerkmale des Waliser Schwarzviehs auf. „In Sachen Fleischqualität und Futterverwertung sind Welsh Black absolute Spitze“, fügt er hinzu.

Tatsächlich ergaben Tests, dass das Fleisch der Tiere, was seine Zartheit (Tenderness) betrifft, das anderer Rassen – etwa Charolais, Limousin oder Wagyu – um einiges übertrifft. Seine Marmorierung (Marbeling) bleibt zwar erheblich hinter WagyuFleisch zurück, liegt

aber gleichauf mit dem der meisten anderen Rassen. „Zudem ist es reich an Omega-3-Fettsäuren, und wenn Sie noch einen Beweis für die einmalige Fleischqualität des Welsh Black brauchen, der legendäre Ruf des englischen Roastbeefs geht genau darauf zurück“, so Marcus Röthel.

Umso verwunderlicher ist es, dass sich hierzulande derzeit nur rund 130 Züchter dieser Rasse widmen – im Land Brandenburg sind es lediglich vier, einer von ihnen eben der Gottsdorfer Müllermeister. Seine Herde zählt 90 Tiere, die übrigens keinen Stall kennen. „Ganzjährige extensive Weidehaltung“, nennt Röthel das. „Dafür müssen natürlich ausreichend große Flächen naturbelassenes Grünland zur Verfügung stehen“, ergänzt er. Bei ihm sind das etwa 100 Hektar.

Das Fleisch seiner Tiere ist natürlich bio und wird zusätzlich mit dem Attribut „angstfrei“ offeriert. Angstfreies Fleisch? Marcus Röthel erklärt: „Wenn ein Rind geschlachtet wird, dann soll es so sanft wie nur möglich sterben, ohne Transport und Schlachthofstress.“ Dafür erhielt der passionierte Jäger die Genehmigung zum so genannten Weideschuss. „Diese ungewöhnliche Art der Schlachtung bereitet den Tieren am wenigsten Stress und Schmerz“, so Röthel.

www.welshblack.de

Übrigens: Auch aus Sicht der meisten Tierschützer ist der Weideschuss die beste Methode der Schlachtung, nicht zu vergleichen mit dem Massenbetrieb eines Schlachthofes, wo permanenter Zeitdruck herrscht und vor allem Freilandrinder durch ungewohnte Geräusche und enge Gänge schnell in Panik geraten.

Natürlich liegt es auf der Hand, dass sich die stressfreie Schlachtung auf der Weide auch auf den Fleischpreis auswirkt. Röthels Kunden jedenfalls akzeptieren den höheren Preis klaglos. Meist kenntnisreiche Karnivoren, wissen sie natürlich, dass die Fleischqualität zusätzlich profitiert, wenn ein präziser Schuss die Tiere plötzlich aus dem Leben holt und keine Stresshormone den Körper fluten. Zweimal im Monat ist in Röthels Gottsdorfer Hofladen Fleischverkauf. Der Meister rät, sich im Internet über die Termine zu informieren, Fleisch online vorzubestellen und es dann zum Termin abzuholen. Obwohl sein Welsh Black etwa in Berlin immer noch als Geheimtipp gehandelt wird, sind einige HauptstadtGastronomen schon auf den Geschmack gekommen. So plant beispielsweise James Doppler, der BurgerKing aus der Arminiushalle („Pound & Pence“), sein Angebot um einen WelshBlackSpitzenburger zu erweitern. Neben dem Premium-Fleisch gibt es im Hofladen natürlich auch die in der Obermühle gemahlenen Mehle – dann und wann auch seltene Sorten wie Gelbweizen oder Lichtkornroggenmehl. „Aber bitte sagen Sie ihren Lesern“, so Marcus Röthel zum Abschied noch einmal mit Nachdruck, „dass unser Hofladen wirklich nur an zwei Tagen im Monat geöffnet ist!“

OBeRMÜhle GOttsDORF

An der Obermühle 12 14947 NutheUrstromtal OT Gottsdorf Tel. 033732 – 40 314 www.obermuehlegottsdorf.de

„Wir sind natürlich glücklich, dass uns – neben einigen kleinen Handwerksbäckereien – mit der Potsdamer Bio-Bäckerei Fahland auch eine Branchengröße seit vielen Jahren die Treue hält“, bemerkt Markus Röthel zum Abschied, und man sieht ihm an, wie stolz er darauf ist.

Frank Fahland, Chef des angesprochenen Unternehmens in der Landeshauptstadt, erwidert lächelnd: „Wir sind nicht nur der wichtigste Kunde der Gottsdorfer Obermühle, sondern auch ihr größter Fan.“ Der 67-jährige Bäcker- und Konditormeister kam 1989 aus SachsenAnhalt nach Brandenburg, eröffnete in Wilhelmshorst eine Bäckerei, zog 2013 nach Potsdam-Babelsberg weiter und gehört heute mit 140 Mitarbeitern und 15 Filialen – zwei davon in Berlin – zu den größten BioBäckern der Region. „Größe ist aber nicht das Entscheidende“, so Fahland, „letztlich bestimmend ist die Qualität.“ Eine Aussage, die er sowohl auf seine Bäckerei als auch auf deren Lieferanten bezogen wissen will. Also auch auf die Obermühle. „Wir bekommen aus Gottsdorf Roggen und Dinkelmehl, und beide Mehle sind schon was Besonderes“, sagt Frank Fahland, „deshalb unterstützen wir die RöthelFamilie, wo wir können.“

Vor acht Jahren haben die Potsdamer BioBäcker dem Altmeister Martin Röthel zu Ehren sogar ein Brot kreiert, das inzwischen zum FahlandStandardsortiment gehört. Der runde Laib aus 94 Prozent Dinkel- und sechs Prozent Roggenvollkornmehl – beide Mehle stammen aus der Obermühle – trägt den Namen „Kleiner Martin“ und besticht mit dichter Krume, knuspriger Kruste und vollmundigem Geschmack. „Das Ergebnis einer perfekten Partnerschaft“, kommentiert FahlandVerkaufsleiter Christoph Schröder. Der erfahrene Manager beantwortet schließlich auch die Frage nach dem Risiko der Zusammenarbeit einer großen Bäckerei mit einer kleinen und zudem noch musealen Mühle. Schröder sagt: „Wir bei Fahland haben noch nie zuerst die sichere Seite gesucht.“

www.baeckerei-fahland.de

Fahland-Filiale in Berlin: Bleibtreustraße 38 / 39. Filial-Chefin Yvonne Kaiser und Verkaufsleiter Christoph Schröder.

Ehrlich gesagt, Strodehne hatte ich gar nicht auf dem Schirm als ich mich auf den Weg ins Havelland machte. Mein Ziel war der Gollenberg in der Nähe von Stölln, wo Otto Lilienthal einst seine legendären Flugapparate testete und am 9. August 1896 abstürzte und wo der Interflugpilot Heinz-Dieter Kallbach am 23. Oktober 1989 ein Langstreckenpassagierflugzeug vom Typ IL-62 spektakulär landete – der Jet ist heute ein Museum, das ich besuchen wollte. Doch dann meldete sich der kleine Hunger, das Navi lotste mich erstmal nach Strodehne und ich lernte den Fischer Wolgang Schröder kennen.

thorsten tonski, Garçon-autor, Recklinghausen

Das Dörfchen Strodehne, 240 Einwohner, liegt im westlichen Havelland, nahe der Grenze zu SachsenAnhalt. Der Treckerschrauber, den ich nach dem Weg zur Fischerei Schröder frage, ist zwar wortkarg, seine Antwort dafür aber präzise: „Gahlberg zwo.“ Dabei weist sein ausgestreckter Arm nach Süden. Obwohl weit und breit kein Berg zu sehen ist, erreiche ich nach wenigen Minuten das FischereiAnwesen. Neben dem Eingangstor steht ein „Kühlschrank des Vertrauens“, bestückt mit vakuumiertem Räucherfisch und diversen Fischkonserven. Da ich weder Messer noch Gabel dabei habe, setze ich auf das Imbissangebot des Hofladens, der mittwochs bis samstags von 10.00 bis 16.00 Uhr und freitags sogar bis 18.00 Uhr geöffnet ist.

Fischwirtschaftsmeister Wolfgang schröder.

Auf dem Weg über das Fischereigelände begegne ich einem hochgewachsenen Mann mit Gummistiefeln, Schiffermütze und derbem Sweater – keine Frage, das muss der Chef sein. „Wolfgang Schröder“, stellt er sich vor. Auf meine Bitte um eine Essensempfehlung reagiert er schnell: „Brassenfilet mit Kartoffelsalat oder Brassenburger und fürs Abendessen saure Bratbrasse.“ Brasse? „Unsere Spezialität“, sagt er. Und nicht nur das. Schröder hat Zeit und erzählt mir die ganze Geschichte.

Der 54Jährige, Fischer in vierter Generation, stammt aus Havelberg. Fischerlehre 1983 bis 85, zehn Jahre später Fischwirtschaftsmeister und seitdem beruflich auf Havel, Elbe und vor allem dem Gülper See unterwegs. Das 570 Hektar große, allerdings nur ein bis zwei Meter tiefe Gewässer, ist als Internationales Vogelschutzgebiet ausgewiesen und gehört seit 2009 zur NABUStiftung Nationales Naturerbe. Für Freizeitangler und Wassersportler ist der Gülper See tabu, lediglich Berufsfischer und deren Mitarbeiter dürfen hier ihrer Profession nachgehen.

Wolfgang Schröder: „Durch seine geringe Tiefe ist der See ein idealer Laichplatz für viele Fischarten. Neben Zander und Hecht sind

In den meisten Fischkochbüchern kommt die Brasse überhaupt nicht vor – und wenn doch, dann nur unter, ferner liefen’ und mit der ausdrücklichen Bemerkung, dass es sich um einen nicht eben edlen Süßwasserfsch handelt. Dass ich nicht lache. Fragen Sie mal Gäste, die unser gebratenes Brassenflet probiert haben, wie die das sehen.

Wolfgang schröder, Fischwirtschaftsmeister

Aal, Barsch, Schlei und Wels sowie Karpfen, Karausche, Plötze, Quappe und Rotfeder im Gülper See heimisch. Und eben die Brasse.“ Schröder nennt ihn einen „Massenfisch“, weil er 70 bis 80 Prozent seines Fangs ausmacht. Im Jahr 2019 landeten insgesamt 32 Tonnen Brassen in seinen Netzen. Fisch, den kaum einer wollte und der deshalb in der Tonne landete, also beim Abdecker oder – moderner formuliert – in einer Tierkörperbeseitigungsanlage. Für Wolfgang Schröder ein Graus, sowohl finanziell als auch ethisch. Früher galt die zur Familie der Karpfenfische gehörende Brasse als sogenannter ‚Brotfisch‘ und plötzlich sollte er nichts mehr wert sein, das verstehe wer will, sagte sich Schröder und entwickelte ein Veredelungskonzept. Inzwischen gibt es Brassenbulette, Brassenrollmops, Brassensülze und eben die saure Bratbrasse. Ein regionales Produkt, nachhaltig und wertschöpfend zugleich, so wirbt die Fischerei Schröder für ihre Kreation und hofft natürlich auf Nachahmer. Der Meister – einmal in Fahrt – will mir unbedingt noch sein Projekt „Erlebnisfischen auf dem Gülper See“ vorstellen. „Sie werden von uns wasserfest ausgerüstet, können beim Zugnetzfischen mittun und danach ein Fischmenü genießen“, bringt er sein TourismusProjekt auf den Punkt. Mein Projekt heißt jetzt Hofladen und Fischereiimbiss.

Beides befindet sich in einer ehemaligen Garage. Gleich nebenan hat Wolfgang Schröder eine stattliche Profiküche eingerichtet. Sie ist das Reich von Sebastian Krieblin (Bild u.) und von seinem Stellvertreter Marco Möller (Bild S. 89 Mitte). Küchenchef Krieblin stammt aus Kyritz und stand, bevor er ins Havelland kam, in Hamburg und Florenz am Herd, in „ziemlich angesagten Läden“, wie er sagt. Und nun Strodehne? Die Frage ist ihm offensichtlich nicht zum ersten Mal gestellt worden, denn die Antwort kommt prompt. „Sie mögen es als Karriereknick ansehen, für mich ist es eine Herausforderung.“

Er spricht über die Möglichkeiten, die Brasse, Karpfen, Schlei und Co. kulinarisch bieten und man sieht dem 34-Jährigen an, wie ernst er es meint. „In zehn, zwölf Jahren werden viele Köche, die heute noch ganz selbstverständlich jeden Tag Seeteufel, Steinbutt und SaintPierre servieren, ziemlich blöd aus der Wäsche gucken – so wie wir bisher mit unseren natürlichen Ressourcen umgegangen sind. Und Aquakultur hin oder her, die Rettung für alles, was wir verbockt haben, ist das auch nicht.“ Genauso leidenschaftlich klingt sein Plädoyer für die bessere Nutzung heimischer Fischarten, vor allen solcher, die kulinarisch bisher unter ferner liefen rangierten. „Wir experimentieren zum Beispiel mit dem Karpfen“, erzählt er, „und selbst Menschen, die diesem Fisch nichts abgewinnen können, fanden unseren Karpfenschinken, mit Kräutern gefüllt und kalt geräuchert, ziemlich cool.“ Wir vergeben das gleiche Prädikat an das gebratene Brassenfilet und die saure Bratbrasse und schlagen dem FischereiTeam vor, das bisher namenlose MiniRestaurant „Brasserie Schröder“ zu taufen.

FischeRei WOlFGanG schRÖDeR

Gahlberg 2 14715 Havelaue OT Strodehne Tel. 033875 – 30 737 www.fischerei-schroeder.eu

Küchenchef sebastian Krieblin.

Zu-gut-für-die-tonne!-preisverleihung…

Chancen rechnete sich Wolfgang Schröder übrigens nicht aus, als er sich mit seinem Projekt „Saure Bratbrasse“ für den ZugutfürdieTonne! Bundespreis 2021 bewarb, der seit sechs Jahren vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ausgeschrieben wird. Motto: Lebensmittel retten, Klima schützen. „Ein plausibler Zusammenhang“, erklärt Fischer Schröder, „weil für Produktion, Verarbeitung, Lagerung und Transport von Lebensmitteln wertvolle Ressourcen – Wasser, Boden, Energie – benötigt und Treibhausgase freigesetzt werden. Wenn ein Teil dieser Lebensmittel dann in der Tonne landet, war der ganze Aufwand inklusive der verursachten Treibhausgasemissionen umsonst.“ Eine Erkenntnis, die sich – wenn auch nur langsam – durchzusetzen scheint. Beweis dafür sind die 160 innovativen Projekte, die in diesem Jahr für den Zu-gut-für-die-Tonne! -Bundespreis eingereicht wurden – darunter Schröders „Saure Bratbrasse“. Die Jury erkannte der Kreation einen der drei mit 5.000 Euro dotierten Förderpreise zu. Chapeau!

Moderatorin sarah Oswald im Gespräch mit staatssekretärin Beate Kasch, v.re. …am 20. Mai 2021 als livestream-event.

Mit ihrer ungewöhnlichen und mutigen Idee zur Verwertung von Beifang fndet die Fischerei Schröder mit Sitz in Strodehne im Land Brandenburg eine sehr gute Lösung für eine Herausforderung, vor der viele große und kleine Fischereibetriebe stehen. Die einfache und zugleich effektive Idee, die zu einem Umdenken der Kundschaft geführt hat, besitzt Vorbildcharakter und Potenzial. Wir freuen uns, das besondere regionale Engagement der Fischerei Schröder mit einem Förderpreis zu unterstützen.

Bärbel Dieckmann Juryvorsitzende Zu-gut-für-die-tonne!-Bundespreis ehem. präsidentin der Welthungerhilfe (Whh)

Der Weg zum Ziel ist bestens ausgeschildert und – dort angekommen – gibt es sogar einen Rastplatz mit Info-Tafel. Aber sonst? Unter den wenig spektakulären Quellen vieler Flüsse ist die Quelle der Dahme die wohl unspektakulärste. Weder rauscht noch sprudelt es in dem Wäldchen nahe der Ortschaft Schöna-Kolpien im Brandenburger Landkreis Teltow-Fläming, lediglich ein paar feuchte Wiesen verraten, dass hier irgendwo Wasser sein muss. Ein Schild bestätigt die Annahme: „An dieser Stelle befndet sich die Dahmequelle.“

Jörg teuscher, Garçon-autor, Berlin

Anke und Jens Kottke ist diese TouristenEnttäuschung nicht neu. „Einen Wasserfall dürfen Sie hier nicht erwarten“, erklärt Jens Kottke, „deshalb heißt es korrekt auch Quellgebiet.“ Gemeinsam mit seiner Frau betreibt der 57Jährige im Dörfchen Schöna, nahe des besagten Gebietes, eine Lebensmittelmanufaktur mit schnuckeligem Hofladen, winziger Sonntagsbackstube und freundlichem Café. Und weil die Dahmequelle nun mal die größte Sehenswürdigkeit der Gegend ist (außer, man fährt in die benachbarte Kleinstadt Dahme), benannten sie auch ihre Unternehmung danach: Dahmequell Landprodukte Schöna. Deren erheblicher Bekanntheitsgrad allerdings liegt wohl weniger am Namen, sondern eher an den Offerten des rührigen Paares.

Dahmequell-inhaber anke und Jens Kottke.

Die Gründung der Dahmequell Landprodukte war keine Fahrt ins Blaue mit ungewissem Ausgang. Bevor wir die erste Investition tätigten, haben wir uns viel umgesehen – zum Beispiel in der Bodenseeregion – um rauszukriegen, wie Leute arbeiten, die ähnliche Projekte auf die Beine gestellt haben. Wir wollten jedenfalls genau wissen, was bei einem solchen Vorhaben auf uns zukommt.

Jens Kottke, Unternehmer

Die Stadtflucht ist kein neues Phänomen. Etliche meiner Freunde fanden Berlin schon vor Jahren zu voll und zu teuer und zogen aufs Dorf. Dort erprobten sie neue Wohn und Arbeitsformen, gründeten CoLiving und CoWorkingSpaces, probierten sich im genossenschaftlichen Arbeiten, einige erlernten sogar neue Berufe, um sich ihren Traum vom ÖkoParadies zu erfüllen. Auch Anke und Jens Kottke sind Stadtflüchter. Als sie 1999 aus Schwedt/Oder nach Schöna im Landkreis Teltow-Fläming zogen, hatten sie allerdings weniger das Landleben als soziales Experiment im Blick, sondern folgten eher praktischen Erwägungen. „Wir wollten vor allem“, so Jens Kottke, heute 57 und diplomierter Sozialpädagoge, „dass unsere beiden Söhne in einer lebenswerteren Umgebung aufwachsen als Schwedt sie bieten konnte.“ Als die Söhne dann zum Studium in die Welt zogen – „einer wird Arzt, der andere Lehrer“ – suchten Anke und Jens Kottke eine neue Herausforderung. Die fanden sie in der Herstellung und dem Vertrieb regionaler Lebensmittel. „Am Anfang war das Leinöl“, erzählt die gelernte Bürokauffrau Anke Kottke, „wir hatten uns eine eigene Ölmühle zugelegt und uns mit der Materie beschäftigt. Das erste Öl boten wir dann auf einem Erntefest an, es war ein voller Erfolg.“

Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Ehepaar kaufte das ehemalige Schönaer Schulzenhaus, richtete einen kleinen Hofladen ein und gründete 2015 die Manufaktur Dahmequell Landprodukte. Vier Jahre später machten Anke und Jens Kottke aus ihrem Hobby dann endgültig einen Beruf und sich als Lebensmittelproduzenten selbstständig. Dem klassischen Leinöl – kaltgepresst und zwölf Stunden dekantiert, damit sich grobe Schwebstoffe absetzen – folgte bald ihr Leinöl aus gerösteter Saat. „Unser absoluter Renner“, so Jens Kottke. Inzwischen gibt es auch Rapsöl aus gerösteter Saat, Walnuss und Kürbiskernöl, ein halbes Dutzend Würz und ebensoviele Kräuteröle, unter denen das Bärlauchöl bei den Juroren des proagroMarketingpreises im Frühjahr 2021 große Anerkennung fand.

Wo Öl ist, sollte auch Essig nicht weit sein, sagten sich Anke und Jens Kottke und machten sich auf die Suche nach einem passenden Partner für ihre PremiumÖle. In einer Wustermärker Manufaktur wurden sie fündig. Inzwischen investierten die beiden rührigen Unternehmer in einen eigenen Essigreaktor, ernteten die Früchte der Bäume einer uralten Mostbirnenallee in Kolpien, pressten sie zu Saft und ließen ihn zu Essig vergären. „Die ersten Geschmackstests sind vielversprechend“, so Jens Kottke.

Um die Kernidee eines guten Geschäftsmodells vorzustellen, braucht man nicht viele Worte. Im Fall der DahmequellLandprodukteGründer ist es der Satz „Wir sind angetreten, die Geschenke der Natur zu verarbeiten.“ Jens Kottke fügt hinzu: „Es geht nie um Geplänkel, sondern immer um Geschmack!“

Der Unternehmer, der gerne auch über ernährungsphysiologische Themen referiert, bezieht seine Bemerkung nicht nur auf die Produkte der eigenen Manufaktur, sondern auch auf die Kreationen anderer regionaler Lebensmittelhersteller in den Regalen des Schönaer Hofladens. Da stehen Eierliköre von „Scharfes Gelb“ in Senftenberg, Obstbrände der Brennerei Kullmann in Reppininchen, Heidelbeerhonige eines Hohenseefelder Wanderimkers und Gewächse des Jessener Weingutes Hanke. Anke Kottke: „Wir erweitern unser Sortiment schrittweise, allerdings nur mit Angeboten, die uns 100prozentig überzeugen.“ Ihr Mann zeigt uns schließlich noch, was ihr Hof sonst so zu bieten hat: einen kleinen, liebevoll ausgestatteten Gastraum, der bis zu 40 Personen Platz für Feiern aller Art bietet; einen 135 Jahre alten Backofen, der aufwändig restauriert wurde und in dem die Kottkes Landbrot und Bauernkuchen backen. „Und sonntags Brötchen für die Schönaer und Kolpiener“, fügt er hinzu und vergisst auch nicht zu erwähnen, dass – wenn es die Corona-Verordnungen erlauben – auch wieder Hoffeste, Grillabende und Mottopartys stattfinden werden. „Abenteuer Vielfalt – Fernweh stillen, Brandenburg genießen“, lautet das proagroJahresmotto 2021. Vielleicht auch mit einem Besuch in Schöna.

DahMeQUell lanDpRODUKte

Schöna 13 15936 Dahme / Mark OT Schöna Tel. 035346 – 72 039 www.dahmequelllandprodukte.de